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Dieser Band enthält folgende Romane: (499) Patricia Vanhelsing und der indische Fluch (Alfred Bekker) Der gute Geist von Ravens Crest (Ann Murdoch) Der Graue Zirkel (Der Graue Zirkel) Der Fluch aus der Gruft (Der Fluch aus der Gruft) Andrea Parker versucht nach dem Tod ihres Mannes ihr Leben neu zu sortieren. Ein neuer Mann ist das Letzte, nach dem ihr Sinn steht. Doch als sie Sidney Buchanan kennenlernt, empfindet sie zarte Zuneigung zu diesem Mann. Doch sie ahnt nicht, dass mit ihm auch ein großes Übel in ihr Leben tritt. Gut, dass es den Geist von Ravens Crest gibt, der über sie wacht...
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Seitenzahl: 477
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Romantic Thriller Viererband 1017
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Patricia Vanhelsing und der indische Fluch
Der gute Geist von Ravens Crest
Der Graue Zirkel
Der Fluch aus der Gruft
Dieser Band enthält folgende Romane:
Patricia Vanhelsing und der indische Fluch (Alfred Bekker)
Der gute Geist von Ravens Crest (Ann Murdoch)
Der Graue Zirkel (Der Graue Zirkel)
Der Fluch aus der Gruft (Der Fluch aus der Gruft)
Andrea Parker versucht nach dem Tod ihres Mannes ihr Leben neu zu sortieren. Ein neuer Mann ist das Letzte, nach dem ihr Sinn steht. Doch als sie Sidney Buchanan kennenlernt, empfindet sie zarte Zuneigung zu diesem Mann. Doch sie ahnt nicht, dass mit ihm auch ein großes Übel in ihr Leben tritt. Gut, dass es den Geist von Ravens Crest gibt, der über sie wacht...
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
COVER A.PANADERO
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Unheimlicher Roman von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Romans entspricht 106 Taschenbuchseiten.
Ein Fluch soll auf Pembroke Manor seit jener unheilvollen Nacht im Jahre 1829 liegen als die indische Hexe bei lebendigem Leib verbrannt wurde. Patricia Vanhelsing, Reporterin aus London, will eine Story über die derzeitige Besitzerin von Pembroke Manor schreiben. Wird auch sie der Fluch treffen?
Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author / © dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Das weiche Licht des Feuers ließ die Schatten auf ihren Gesichtern tanzen. Wie gebannt und noch immer voller Angst blickten sie auf das, was sie vollbracht hatten. Eine Mischung aus Furcht und Grausamkeit blitzte in ihren Augen.
"Pembroke Manor soll brennen!"
"Nieder mit der indischen Hexe!"
"Brennen soll sie, die Teufelin!"
Lodernde Flammen erhellten jene mondlose, wolkenverhangene Nacht des Jahres 1829. Wie die roten Zungen eines vielköpfigen Dämons leckten sie aus den Fenstern von Pembroke Manor heraus, einem alten, aus massivem Stein erbautem Landhaus in der Nähe Edinburghs. Das graue, auf jeden Betrachter etwas einschüchternd wirkende Gemäuer würde diesen Brand zweifellos überleben...
Aber das Innere brannte zwangsläufig völlig aus.
Ein Mob von aufgebrachten, mit Mistgabeln und Sensen bewaffneten Bauern aus der Umgebung stand in ehrfurchtsvollem Abstand. Vereinzelt ertönten noch jene barbarisch grausamen Rufe, aber die meisten Anwesenden waren jetzt still geworden.
Die Hitze schlug ihnen entgegen.
"Sie hat es verdient, die Hexe!", rief einer aus der Menge mit rauer, heiserer Stimme.
Und eine Frau murmelte mit grimmigen, wutverzerrten Gesicht vor sich hin: "Ratami soll büßen. Büßen für alles, was sie uns angetan hat. Mein totgeborenes Kind..." Sie sprach nicht weiter, sondern lehnte sich an die Schulter ihres Mannes, eines rothaarigen, breitschultrigen Kerls mit blauen Augen, der in der Linken eine Sense hielt.
Schaurige Schreie waren aus dem grauen Gemäuer des Landhauses zu hören und ließen die Bauern erschaudern.
"Noch ist sie nicht tot", flüsterte einer von ihnen und in seiner Stimme klang Furcht mit. "Und wer weiß, ob sie uns nicht auch noch über ihr Ende hinaus heimsucht, diese indische Teufelin!"
"Von den Toten ist noch keiner zurückgekehrt", raunte ein anderer.
In diesem Moment trat ein dunkel gekleideter Mann mit graumeliertem Haar und strengem, durchdringendem Blick aus der Menge hervor. Unter dem Arm trug er eine Bibel, aber sein Gesicht war so verzerrt wie die Fratze eines heidnischen Götzenbildes.
"Der Reverend...", raunte die Menge.
"Reverend Morley!"
"Seht nur..."
Reverend Morley hob die Hand mit der Bibel darin und im selben Moment erstarb das Gerede der Menge.
"Gott gab mir die Gabe, Satan in seinen vielen Masken zu erkennen!", rief der Reverend dann, wobei seine Augen fanatisch leuchteten. Er deutete auf das brennende Landhaus.
"Wir alle waren im Bann des Bösen, das in Gestalt der indischen Hexe in diese Gegend kam! Viele von uns haben ihren Einfluss am eigenen Leib zu spüren bekommen... Denkt an die Missernten und die Seuchen, die euer Vieh hinweggerafft haben. Aber nun wird es damit vorbei sein! Das Böse vergeht im Feuer und George Pembroke, der das Übel hier her holte, muss nun dafür büßen! Aber das ist nichts weiter als die Gerechtigkeit des Herrn!"
Zustimmendes Gemurmel erhob sich unter den Anwesenden, ehe es einem erstaunten Raunen wich, das sich in Windeseile in der Menge verbreitete.
Die Menschen wichen unwillkürlich ein Stück zurück, während auf der Stirn des Reverends tiefe Falten erschienen.
Auch er wandte sich nun den grauen Mauern von Pembroke Manor zu. Wie einen Schirm setzte er die Hand schützend über die Augen.
Reverend Morley erschrak.
Sein Mund öffnete sich halb vor Entsetzen und auch er wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
An einem der Fenster war die Gestalt einer Frau zu sehen.
Sie war in dem Flammenmeer gefangen. Es gab keinen Ausweg für sie.
"Ratami...", flüsterte Morley.
Dann nahm er eine Bewegung war. Im nächsten Moment flog etwas Hartes, Metallenes durch die Luft und landete etwa zehn Schritte vor dem Reverend auf dem Boden. Morley senkte kurz den Blick.
Im Schein des Feuers sah er einen Armreifen, der mit drei roten Rubinen besetzt war, die eigentümlich zu funkeln schienen.
"Ich verfluche euch!", rief indessen eine durch Hass und Schmerz verzerrte Frauenstimme aus dem Flammenmeer heraus. "Ich verfluche euch! Auf ewig wird euch meine Rache verfolgen! Euch und dieses Land!"
Ein schauerlicher Schrei folgte, der allen schier das Blut in den Adern gefrieren ließ.
"Sie ist wirklich eine Hexe", konnte man einen der Männer sagen hören. "Die Flammen hätten sie längst verzehren müssen..."
"Gehen wir!"
"Ja, wer weiß, was diese Teufelin noch auf uns herabbeschwört..."
Die Menge wurde bereits kleiner.
Die Menschen bewegten sich mit Schaudern und angstgeweiteten Augen von dem brennenden Landsitz weg.
Nur einer machte völlig genau die entgegengesetzte Bewegung. Und das war Reverend Morley.
Vorsichtig, fast tastend ging er auf das graue Gemäuer zu.
Einige der Bauern blieben stehen und sahen ihm halb bewundernd, halb ungläubig zu.
"Mein Gott, er fürchtet wirklich weder Tod noch Teufel", raunte jemand unter ihnen.
Schauderhafte Schreie gellten aus den Flammen heraus.
Dem Reverend stand der Schweiß auf der Stirn und die Angst kroch ihm einer kalten glitschigen Hand gleich dem Rücken hinauf, ehe er schließlich sein Ziel erreicht hatte.
Den Armreif.
Während die Schreie verstummten und vom Prasseln des Feuers verschluckt wurden, bückte sich Morley. Seine Finger berührten den Armreif mit den eigentümlich funkelnden Rubinen und er hob ihn mit einer entschlossenen Bewegung auf...
Morley sah die seltsamen Symbole, die in den Armreif eingraviert waren.
Magische Symbole, ging es ihm fröstelnd durch den Kopf. Und im selben Moment spürte er eine seltsame Kraft, die dieser Armreif ausstrahlte. Ein Prickeln ging vom ihm aus und fuhr ihm den Arm hinauf. Rasch wurde es derart intensiv, dass Morley vor Schmerz aufschrie.
Ein eigentümliches, grünweißes Leuchten umgab jetzt den Armreif. Es war so grell, dass Reverend Morley die Augen schließen musste. Ein Raunen ging durch die Menge.
Aber Morley war nicht bereit, den Armreif loszulassen.
Mit verbissenem Gesicht hielt er ihn fest. Ein Artefakt des Bösen, dachte er.
Er würde darauf achten und es bewachen müssen, damit es nicht in falsche Hände geriet...
Die leuchtende Aura, die sich um den Armreif herum gebildet hatte, verblasste dann mehr und mehr.
Der Schmerz ließ nach und Reverend Morleys Arm fühlte sich beinahe taub an. Er drehte sich herum und und sah Dutzende von Augenpaaren auf sich gerichtet.
Reverend Morley hob den Armreif wie im Triumph empor.
"Das Böse in Pembroke Manor ist besiegt", verkündete er dann in feierlichem Tonfall. Seine Stimme war jedoch leicht brüchig. Und in den Augen der Männer und Frauen um ihn herum sah er Zweifel und Unglauben.
"Irgendwo hier in der Gegend muss dieses Pembroke Manor sein, Patricia", hörte ich Jim sagen, der auf dem Beifahrersitz meines kirschroten 190er Mercedes saß und mit dem spärlichen Licht einer kleinen Taschenlampe eine Landkarte zu studieren versuchte.
Jim gähnte.
Wir waren schon seit vielen Stunden unterwegs in Richtung Edinburgh und hatten uns immer wieder am Steuer abgewechselt.Das letzte Stück war das schwierigste, denn wir suchten ein abgelegenes Landhaus, das derzeit die Residenz der alternden Hollywood-Diva Gillian Carter war. Gillian Carter stammte ursprünglich aus Schottland, hatte dann in Hollywood Karriere gemacht und wollte sich nun in ihrer alten Heimat zur Ruhe setzen.
Die London Express News, jener Zeitung, für die Jim Field und ich arbeiteten, hatte Mrs. Carter ein Exklusiv-Interview samt Homestory versprochen. Es war das erste Interview seit Jahren, was der Carter einen gewissen mysteriösen Nimbus gegeben hatte.
Es war eine Top-Story und wir konnten es uns als Ehre anrechnen, dass unser etwas grantiger, stets überarbeiteter Chefredakteur Michael T. Swann nicht irgendeinen alten Hasen damit betraut hatte, sondern uns.
Jim Field, 26 Jahre alt, blond und von seiner äußeren Erscheinung her etwas unkonventionell wirkend, war der Fotograf. Ich war die Reporterin und für den Text zuständig. Wir hatten schon des öfteren zusammengearbeitet und waren zu einem hervorragenden Team geworden.
Mein Name ist Patricia Vanhelsing und – ja, ich bin tatsächlich mit dem berühmten Vampirjäger gleichen Namens verwandt. Weshalb unser Zweig der Familie seine Schreibweise von „van Helsing“ in „Vanhelsing“ änderte, kann ich Ihnen allerdings auch nicht genau sagen. Es existieren da innerhalb meiner Verwandtschaft die unterschiedlichsten Theorien. Um ehrlich zu sein, besonders einleuchtend erscheint mir keine davon. Aber muss es nicht auch Geheimnisse geben, die sich letztlich nicht erklären lassen?
Eins können Sie mir jedenfalls glauben: Das Übernatürliche spielte bei uns schon immer eine besondere Rolle. In meinem Fall war es Fluch und Gabe zugleich.
Jim ließ die Karte sinken.
"Ich hoffe nicht, dass wir uns verfahren haben", meinte er.
"Ich bin nur deinen Anweisungen gefolgt, Jim", erwiderte ich.
"So wird man nie Chefredakteurin", flachste Jim.
"Wieso?"
"Na, wenn du immer alle Verantwortung von dir wegschiebst."
"Haha, sehr witzig."
Die Straße führte jetzt durch ein finsteres Waldstück.
Trotz eingeschaltetem Fernlicht hatte ich immer das Gefühl, am Rande des Nichts zu fahren. Der Verlauf der Straße war kaum zu erahnen. Es war kein Mond am wolkenverhangenen Himmel und der Wald wirkte wie eine schwarze Wand. Die sich schattenhaft abhebenden Baumkronen erinnerten an riesenhafte Hände...
Ich versuchte ein Gähnen zu unterdrücken, was mir nicht so recht gelingen wollte.
"Soll ich dich ablösen, Patricia?"
"Schon gut, Jim. Es geht noch."
"Soll ich das Radio laut machen, damit du nicht einschläfst?"
"Ach, Jim! Braucht jemand, der mit dir zusammen im Wagen sitzt denn noch ein Radio?"
"So gut bin ich? Naja, dann weiß ich ja zumindest, dass ich auch noch in einer anderen Branche eine Chance hätte. Ich meine, falls irgendwann einmal niemand mehr meine Bilder haben will..."
Wir lachten beide.
Jim war ein Spaßvogel, der immer einen Gag auf der Zunge hatte. Das machte es angenehm, mit ihm zusammenzuarbeiten.
Ich verengte die Augen ein wenig, als die Straße eine ziemlich enge Kurve machte. Es wurde immer schwieriger, sich zu konzentrieren.
Jim gähnte ziemlich ungeniert.
"Wie alt ist die Carter eigentlich inzwischen?", meinte er.
"Keine Ahnung. Ich habe zwar nachgeforscht, aber in verschiedenen Werken zur Filmgeschichte unterschiedliche Daten gefunden..."
"Und die Dame macht wahrscheinlich ein Geheimnis daraus, was?"
"So ist es. Aber immerhin dürfte feststehen, dass sie zum vierten Mal verheiratet ist."
"Alle Achtung", staunte Jim.
"Ihr letzter Film liegt aber schon zwanzig Jahre zurück. Danach kamen nur noch ein paar Gastauftritte in Seifenopern. Trotzdem hat das breite Publikum nie das Interesse an ihr verloren. Und je mehr sie sich zurückgezogen hat, desto größer wurde es..."
"Ich hoffe, die alte Dame besteht nicht darauf, dass ich alle Falten herausretuschiere. Dann hätten wir nämlich gleich die Bilder aus dem Archiv nehmen können..."
Ich seufzte.
"Manchmal bist du geschmacklos, Jim."
Er hob die Augenbrauen.
"Ach, ja?"
"Ich habe Gillian Carters Filme immer sehr gemocht", bekannte ich. "Altmodische Melodramen fürs Herz - aber wenn sie im Fernsehen wiederholt werden, lasse ich sie mir nicht entgehen!"
"Patricia! Pass auf, da!"
Nur einen Sekundenbruchteil später schlug der Puls mir bis zum Hals und schiere Verzweiflung erfasste mich.
Nein!, schrie es in mir.
Im Licht der Scheinwerfer erschien wie aus dem Nichts eine Gestalt, die mitten auf der Straße stand. Einen Augenblick später trat ich mit aller Kraft in die Bremsen. Mit quietschenden Reifen kam der Mercedes schließlich nur Zentimeter von der Gestalt zum Stehen.
Ich zitterte.
Der Schreck steckte mir noch in den Gliedern.
Vor der Kühlerhaube des 190ers stand eine Frau in einem fließenden roten Gewand. Ihr Gesicht war sehr feingeschnitten und wirkte exotisch. Das lange dunkle Haar fiel ihr bis auf die Schultern. Sie stand da und berührte mit der Hand leicht die Kühlerhaube.
Ihr Blick schien seltsam entrückt zu sein.
Ein merkwürdiges Lächeln umspielte ihre vollen Lippen. Ein Lächeln, das mir unwillkürlich einen Schauder über den Rücken jagte.
"Auch das noch", hörte ich Jim neben mir sagen. "Eine Selbstmörderin! Sie muss wahnsinnig sein, sich mitten auf die Straße zu stellen."
Er öffnete die Tür.
"Jim!"
Er sah mich erstaunt an.
"Was ist los?"
Ich konnte es nicht sagen.
Da war nur ein Gefühl.
Eine vage Ahnung, dass da draußen etwas Unheilvolles lauerte... Es war absurd, denn alles, was in der Finsternis zu sehen war, war eine offenbar verwirrte junge Frau, die beinahe vor meinen Wagen gelaufen war.
"Nichts", murmelte ich.
Wir stiegen aus.
Die junge Frau sah uns mit ihren dunklen Augen an und wich etwas zurück.
"Ist Ihnen etwas passiert?", fragte ich. "Sind Sie verletzt?"
Sie reagierte nicht darauf.
Stattdessen wich sie weiter zurück, drehte sich schließlich herum und ging in die Finsternis hinein.
"Warten Sie!", rief ich. "Warum gehen Sie denn weg?"
Sie antwortete nicht.
Ich folgte ihr ein paar Schritte. Sie wandte sich seitwärts, so dass sie aus dem Scheinwerferkegel des Mercedes hinaustrat. Noch einmal rief ich hinter ihr her, dann sah ich ihre schattenhafte Gestalt in den Wald hineingehen, der sich rechts und links der Fahrbahn erstreckte. Ihre Schritte schienen völlig geräuschlos zu sein, während unter meinen Füßen die Äste nur so knackten, nachdem ich den Asphalt der Fahrbahn verlassen hatte.
Wind strich durch die Baumkronen und ließ sie leicht hin- und herschwenken. Ein paar Schritte noch machte ich vorwärts und ließ den Blick umherschweifen. Knorrige, verwachsene Bäume wirkten wie die Umrisse alptraumhafter Ungeheuer.
Blätter raschelten und von irgendwoher war der Ruf eines Uhu zu hören.
Von der jungen Frau war nichts mehr zu sehen.
"Hallo!", rief ich, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.
Ich verengte die Augen, aber in der Tiefe dieses finsteren Waldes war nicht das Geringste zu sehen. Nur Dunkelheit.
"Patricia!"
Das war Jim.
Ich wandte mich zu ihm herum und ging zurück zum Wagen. Ein unbehagliches Gefühl hatte sich in meiner Magengegend breitgemacht.
"Hey, Patricia! Schau dir das mal an!"
Jim kniete inzwischen vor dem Kotflügel des 190ers und starrte wie gebannt auf eine bestimmte Stelle, die er mit dem Schein seiner kleinen Taschenlampe beleuchtete.
Ich trat zu ihm.
"Was ist?"
"So etwas habe ich noch nie gesehen!"
"Mein Gott...", flüsterte ich, während mein Blick auf den dunklen Abdruck einer sehr zierlichen Hand fiel.
Jim tastete mit den Fingern darüber und meinte dann: "Merkwürdig... Wie eingebrannt."
Etwa eine knappe Viertelstunde später erreichten wir Pembroke Manor. Das graue Gemäuer des Hauptgebäudes erhob sich düster auf einer Lichtung. Die Nebengebäude waren unbeleuchtet und wirkten wie düstere Schatten.
Das Landhaus wurde von Parkanlagen umgeben, die durch altertümlich wirkende, gusseiserne Laternen erleuchtet wurden.
Vor dem großzügigen, achtstufigen Portal hielt ich den Wagen an.
"Dies muss es sein", meinte ich und stellte den Motor ab.
Ich atmete tief durch. Dann wandte ich mich an Jim und meinte: "Mir geht diese Frau nicht aus dem Kopf..."
"Das muss eine Wahnsinnige gewesen sein! Wer stellt sich schon bei Dunkelheit mitten auf die Straße?", Er zuckte die Schultern. "Vielleicht eine Selbstmörderin..."
"Sie schien plötzlich wie vom Erdboden verschluckt...", murmelte ich tonlos und versuchte, mir die Szene noch einmal zu vergegenwärtigen.
Jim machte eine wegwerfende Handbewegung.
"Kein Wunder! Bei der Dunkelheit!"
"Ich frage mich nur, warum sie weggerannt ist..."
"...und wie sie ihren Handabdruck in den Lack brennen konnte", ergänzte Jim.
In diesem Moment stieg eine dunkel gekleidete, hoch aufragende Gestalt die Stufen des Portals hinab. Es schien sich um eine Art Butler zu handeln. Sein Gesicht war beinahe viereckig und wirkte sehr grobschlächtig. Die Eingangsbeleuchtung beschien sein Gesicht auf eine Art und Weise, die die harten Konturen noch unterstrich.
Jim und ich stiegen aus.
Der Butler trat näher. Er hatte kurzgeschorenes rotes Haar.
Das Gesicht war übersät von Sommersprossen.
"Guten Abend", sagte er mit dunkler, kehliger Stimme. "Ich nehme an, Sie sind die Herrschaften vom London Express News..."
"Ja", sagte Jim. "Dies ist Miss Patricia Vanhelsing und mein Name ist Jim Field."
"Wir hatten Sie schon vor einer ganzen Weile erwartet..."
Aus den Worten des Butlers klang so etwas wie ein leiser Vorwurf mit, den ich geflissentlich überhörte.
"Pembroke Manor liegt ziemlich abgeschieden", sagte ich.
"Das ist einer der Gründe, weshalb Mrs. Carter den Besitz gekauft hat....", war die Erwiderung des Butlers, der es nicht für nötig zu halten schien, seinen Namen zu nennen.
"Ich verstehe... Mrs. Carter möchte abseits des Medienrummels leben..."
Er schwieg dazu und deutete mit dem Arm in Richtung des Portals. Dabei sah ich, dass das Jackett unter der Achsel etwas spannte.
Ein Schulterholster, vermutete ich. Offenbar diente dieser Mann nicht nur als Butler, sondern auch als eine Art Leibwächter.
Wir gingen die Stufen hinauf.
Das Geländer war mit marmornen Löwenköpfen verziert, die uns grimmig entgegenblickten. Dieses Haus hatte etwas Abweisendes, Einschüchterndes an sich. Ich konnte nicht so recht erklären, woran es lag. Waren es die massiven Blöcke aus grauem Stein, aus denen es errichtet war? Oder war da noch etwas anderes, etwas, das sich nicht erklären ließ?
Die Aura von Tod und Verzweiflung!
Am Treppengeländer des Portals bemerkte ich Spinnweben und aus irgendeinem Grund blieb mein Blick daran einen Moment lang haften...
Unbehagen stieg in mir auf und mischte sich mit Ekel.
"Ist irgendetwas?", fragte Jim und riss mich damit aus meiner Gedankenwelt heraus. Ich schüttelte den Kopf.
"Nein."
Wir gingen durch die große zweiflügelige und mit Eisen beschlagene Tür und betraten einen weiträumigen, sehr hohen Empfangsraum. An den Wänden hingen alte Gemälde.
Landschaftsbilder zumeist, aber sie drückten allesamt eine düstere Stimmung aus. Tosende Stürme, wolkenverhangene Himmel und von Blitzen zerrissene Finsternis war ein immer wiederkehrendes Motiv. Wer immer diese Sammlung zusammengestellt hatte, schien sich nicht gerade durch ein frohes Gemüt auszuzeichnen.
Von Ferne war Klaviermusik zu hören. Hämmernde, aufwühlende Kompositionen von Rachmaninoff oder Skrjabin, voll von düsterer Leidenschaft und schmerzerfüllter Sehnsucht drangen an unsere Ohren. Sie wurden mit einer geradezu von Besessenheit zeigenden Intensität gespielt, die einem Schauder über den Rücken jagen konnte.
Zweifellos waren es die begnadeten Finger eines Meisters, die da in die Tasten griffen und dieses düstere Gemäuer mit einer überschäumenden Flut von Tönen erfüllten.
Eine Tür öffnete sich und die Musik wurde für einen Moment etwas lauter.
Ein Mann im dunklen Rollkragenpullover, mittelgroß und mit sehr wachen Augen kam herein. Das Lächeln, bei dem er zwei Reihen makellos blitzender Zähne zeigte, gefiel mir nicht. Es hatte etwas Kaltes, Geschäftsmäßiges an sich.
"Miss Vanhelsing? Mister Field?", begrüßte er mich und sein überharter Händedruck sollte wohl jedem gleich klarmachen, wer hier das Sagen hatte. "Mein Name ist Thomas Lambert. Ich bin Mrs. Carters Manager."
"Angenehm."
"Mister Swann hat Sie mir gegenüber telefonisch angekündigt. Willkommen auf Pembroke Manor."
"Ein schönes Anwesen."
"Ja, Mrs. Carter hat Geschmack!"
"Sind diese Bilder historische Stücke, die schon immer zum Besitz gehörten!"
"Oh, nein!", Lambert schüttelte den Kopf. "Im letzten Jahrhundert war das Haus hier mal komplett ausgebrannt und stand dann jahrzehntelang als leere Ruine da. Ein Platz, von dem man sich Geistergeschichten erzählte. Sie wissen ja, wie so etwas geht..."
"Sicher...
"Nachdem es schließlich restauriert wurde, wechselten ziemlich häufig die Besitzer... Und jeder von ihnen brachte seine eigene Einrichtung mit. Wir haben uns natürlich bemüht, Mobiliar zu finden, dass sich vom Stil her einigermaßen einfügt, wenn Sie verstehen, was ich meine..."
"Ja, sicher."
Jim hatte seine Kamera um den Hals hängen. Das Revers seiner Jacke war dadurch ziemlich in Mitleidenschaft gezogen.
Er sah sich um und ließ es kurz darauf bereits einige mal blitzen.
Lambert hob daraufhin die Hand.
Auf seiner Stirn erschien senkrecht zwischen den Augen eine dicke Furche.
"Damit wir uns gleich richtig verstehen, Mister Field", sagte er dann in einem strengen, glasklaren Tonfall. "Jedes Bild, das dieses Haus verlässt, wird erst von mir begutachtet."
"Aber..."
"Andernfalls wird es gar keine Bilder geben. Habe ich mich klar ausgedrückt!"
Jim zuckte etwas verärgert die Achseln.
"Das war nicht misszuverstehen", knurrte er zurück.
Lambert setzte jetzt wieder ein joviales Gesicht auf, dass jedoch reichlich gekünstelt wirkte. "Sie müssen das verstehen", sagte er.
"Ach, ja?", erwiderte Jim trotzig. Es war ihm überdeutlich anzusehen, dass ihm das Gehabe des Managers nicht gefiel.
"Sehen Sie, Mrs. Carter hat im Grunde genug davon, im Mittelpunkt des Medieninteresses zu stehen. Sie will sich zurückziehen, deswegen ist sie hier her, nach Pembroke Manor gezogen. Andererseits möchte sie aber auch, dass die Erinnerung an ihre Arbeit, an ihre Filme und ihr Leben erhalten bleibt. Sie möchte ihr Image in der Öffentlichkeit etwas mitbestimmen..."
"Vielleicht hätte sie dann lieber eine Werbeagentur engagieren sollen", erwiderte Jim etwas gallig. "Wir sind nämlich Journalisten!"
Bevor Lambert etwas sagen und sich die Situation noch weiter zuspitzen konnte, mischte ich mich ein.
"Ich denke, wir werden uns sicher einigen", erklärte ich in der Hoffnung, zu Gillian Carter selbst einen besseren Draht zu finden, als zu ihrem Manager.
Lambert lächelte geschäftsmäßig.
"Schön, dass Sie soviel Verständnis zeigen, Miss Vanhelsing. Ich sehe, ich habe es bei Ihnen mit einem Profi zu tun!", Dann wandte er sich an den Butler. "Edward! Wären Sie so freundlich und würden den Herrschaften das Gepäck auf die Zimmer bringen, die wir für sie vorbereitet haben?"
"Ja, Sir", war die kühle Erwiderung.
"Miss Vanhelsing! Mister Field! Ich nehme an, dass Sie nach Ihrer langen Reise hungrig sind. Daher schlage ich vor, dass wir uns in einer Viertelstunde zum Dinner sehen."
"Einverstanden", nickte ich.
Die Zimmer, die man uns zuwies, waren groß und hoch. Sie lagen nebeneinander im Westflügel des Hauses.
Das Klavierspiel war hier kaum noch zu hören.
Als Edward, der Butler das Gepäck brachte, fragte ich ihn nach dem Pianisten.
"Das ist Mister Stanton", erklärte er.
"Das habe ich mir gedacht", erwiderte ich.
Norman Stanton, der vierte Ehemann der Gillian Carter, war ein begnadeter und berühmter Konzertpianist gewesen. Soweit ich mich darüber informiert hatte, musste man von Stantons Karriere allerdings tatsächlich in der Vergangenheit reden, denn seit Jahren war er nicht mehr öffentlich aufgetreten.
Er hatte immer im Schatten seiner viel berühmteren Frau gestanden. Außerdem munkelte man von Alkoholproblemen.
Als mein Blick die düsteren Landschaftsbilder streifte, die auch in diesem Raum allgegenwärtig waren, schien Edward meine Gedanken zu erraten.
"Mister Stanton hat im übrigen auch die Gemäldesammlung zusammengestellt, die Sie schon unten im Empfangsraum so zu faszinieren schien."
Ich atmete tief durch. Bei Mister Stanton schien es sich um einen ziemlich depressiven Charakter zu handeln.
"Kann ich noch etwas für Sie tun?", fragte Edward dann.
Ich schüttelte den Kopf.
"Nein, danke."
Edward verließ mein Zimmer und ich sah auf die Uhr. Es war noch Zeit genug, mich ein wenig frisch zu machen. Ich räumte meine Sache in den großen, etwas klobig wirkenden Kleiderschrank und blickte dann hinaus aus dem Fenster. An die von Hecken durchzogene Parklandschaft schloss sich ziemlich schnell der düstere Wald an. Ein paar Laternen sorgten für etwas Helligkeit. Den dunklen Schatten einer Katze sah ich lautlos über einen der von Unkraut durchwachsenen Wege huschen.
Pembroke Manor hatte eine geradezu bedrückende Atmosphäre.
Und obgleich die Räume viel höher waren, als dies in normalen Wohnungen der Fall war, hatte ich, seit ich dieses graue Gemäuer betreten hatte immer ein bisschen das Gefühl von beängstigender Enge.
Ein Gefühl, das mir manchmal den Atem raubte.
Einen Moment lang stand ich einfach so da, sah zu, wie der Wind die düsteren Baumwipfel hin- und herschwenkte und ließ mich ganz von der Atmosphäre dieses Hauses gefangennehmen.
Für den Bruchteil einer Sekunde erschien dann dann mit schier unglaublicher Intensität ein Bild vor meinem geistigen Auge. Ein Bild, das mich zutiefst erschreckte und mir kalte Schauer über den Rücken jagte. Ein Frösteln überfiel mich, dass aus dem tiefsten Innern der Seele kam und ich zuckte regelrecht zusammen.
Ich hatte einen Sarg gesehen.
Von meiner früh verstorbenen Mutter habe ich eine leichte übersinnliche Begabung geerbt, die sich schon als Jugendliche in Form von Träumen und tagtraumartigen Visionen zeigte, in denen sich die Zukunft spiegelte. Natürlich waren es Bruchstücke, aber ich hatte gelernt diesen Visionen und Ahnungen mehr und mehr zu trauen.
Lange hatte ich mich dagegen gewehrt, meine Gabe als das zu akzeptieren, was sie war. Aber meiner Großtante Elizabeth Vanhelsing, bei der ich nach dem frühen Tod meiner Eltern aufwuchs, war es schließlich gelungen, mich davon zu überzeugen, dass es keinen Sinn hatte, diese Fähigkeit schlichtweg zu leugnen.
Ich musste lernen, damit umzugehen und sie mehr und mehr zu kontrollieren.
Elizabeth - oder Tante Lizzy, wie ich sie nannte - hatte in ihrer Villa eines der größten Privatarchive Englands auf dem Gebiet der außersinnlichen Wahrnehmung und des Okkultismus. Sie interessierte sich brennend für beide Bereiche, blieb aber stets skeptisch, denn natürlich wusste sie nur zu gut, dass sich hier viele Scharlatane tummelten.
Menschen, die nichts weiter wollten, als sich wichtig zu machen oder Gutgläubigen Geld abzuknöpfen.
Aber es blieb da ein Rest an ungewöhnlichen Phänomenen, der auf natürliche Weise nicht zu erklären war. Dinge, für die es in der hergebrachten Wissenschaft nicht einmal richtige Begriffe gab. Ich selbst war bereits Zeuge solcher Phänomene geworden und teilte mit Tante Lizzy die Faszination, die von diesen Dingen ausging.
Der Sarg...
Ich versuchte ihn mir ins Gedächtnis zurückzurufen und vielleicht irgendein Detail erkennen zu können.
Aber es war unmöglich.
Wie eine flüchtige Erinnerung war dieses Bild mir entglitten und schon fragte ich mich, ob ich mich nicht geirrt hatte.
Jemand wird sterben, wurde es mir klar, als ein klopfendes Geräusch mich herumfahren ließ.
Das Geräusch kam von der Tür, aber ich brauchte einen Augenblick, um wieder in die wirkliche Welt zurückzufinden und das zu begreifen.
"Ja? Herein!", rief ich etwas atemlos.
Es war Jim.
Er öffnete die Tür. Seine Schritte waren auf dem harten Steinboden deutlich zu hören. Das unbeschwerte Lächeln auf seinem Gesicht erstarb, als er mich ansah.
"Mein Gott, Patricia! Was ist passiert?"
"Passiert?", echote ich.
"Du solltest dein Gesicht sehen! Es ist kreidebleich, so als wärst du gerade dem Leibhaftigen begegnet!"
Ich versuchte entspannt zu wirken und ging auf ihn zu.
"Komm, Jim. Lass uns zum Dinner gehen."
"Ich hoffe nur, dieser eingebildete Manager lässt mich ein paar Bilder von der Tafel machen."
Ich sah an ihm hinab und mein Blick fiel auf den Flicken, der seine ausgefransten Jeans zierte. Auch sein Hemd und das zerknitterte Jackett hatten schon bessere Zeiten gesehen.
"Jim, ich hoffe, dass man dich in diesem Aufzug überhaupt an den Tisch lässt", erwiderte ich, woraufhin sein Mund erst einmal einen Augenblick offenstand.
Wir gingen den langen, nur spärlich erleuchteten Flur hinunter. Mein Blick glitt die kalten Steinwände entlang, an denen ebenfalls Landschaftsgemälde in verschiedener Größe hingen.
An einem der Rahmen fielen mir Spinnweben auf...
Das feine graue Gespinst ließ mich innerlich zusammenzucken, obwohl ich wusste, dass es eigentlich keinen vernünftigen Grund gab, sich davor zu fürchten.
Aber da ging es mir, wie den meisten Menschen.
Die Klaviermusik schwoll indessen wieder etwas an.
"An einem Ort wie diesem könnte ich nicht leben", meinte Jim. "Ich frage mich, ob man nicht zwangsläufig zum Selbstmörder wird, wenn man tagtäglich in dieser deprimierenden Umgebung zubringt - mit diesen schrecklichen Bildern an den Wänden. Von der Musik gar nicht zu reden..."
"Mister Stanton ist ein berühmter Pianist", wandte ich ein.
"Mag sein. Aber ich hoffe trotzdem, dass er nicht die ganze Nacht übt."
Wir hatten eine Biegung erreicht. Eine breite Treppe führte von dort aus nach unten in den hell erleuchteten Empfangsraum.
Ich blieb stehen, ohne erklären zu können, weshalb eigentlich. Ich hatte einfach in dieser Sekunde das Gefühl, beobachtet zu werden. Unbehagen erfasste mich. Ich drehte mich herum und blickte in das Halbdunkel des spärlich erleuchten Flurs hinein.
Unwillkürlich zuckte ich zusammen, als ich dort eine schattenhafte Gestalt sah.
Jim fasste mich am Arm. "Patricia..."
Dem Umriss nach war es eine Frau, die ein fließendes Gewand trug. Lautlos bewegten sich ihre Füße über den kalten Steinboden. Sie entfernte sich. Das Licht fiel auf ihr dunkles Haar.
Ihr Gewand war rot wie Blut.
Am Ende des Flurs, wandte sie den Kopf zur Seite und ich sah das Gesicht. Es war sehr ebenmäßig und feingeschnitten wie das einer Statue. Ein Gesicht von fast überirdischer Schönheit. Die exotisch wirkenden Züge erkannte ich sofort wieder und die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag.
Sie ist es!
Die Frau aus dem Wald...
Ihre Augen blitzten herausfordernd.
"Warten Sie!", rief ich und lief mit schnellen, entschlossenen Schritten den Flur entlang.
Hinter mir hörte ich Jim, der mir folgte.
"Patricia..."
Die Frau hatte das Ende des Flurs erreicht und bog um die Ecke.
"So bleiben sie doch stehen!", rief ich.
Nur einen Augenblick später hatte ich die Ecke ebenfalls erreicht. Der Flur endete dort in einem Erker, in dem eine kleine Sitzgruppe aufgestellt war.
Der Puls schlug mir bis zum Hals. Verzweifelt sah ich mich um, aber von der jungen Frau war nicht das geringste zu sehen. Sie schien buchstäblich wie vom Erdboden verschluckt zu sein.
"Du hast sie doch auch gesehen, oder?", wandte ich mich an Jim.
Er machte ein ziemlich ratloses Gesicht.
"Da war jemand, ja...", murmelte er.
"Es war die Frau, die uns heute Abend beinahe vor die Kühlerhaube gelaufen wäre!"
"Hm..."
"Jim, ich bin mir sicher!"
"Die Beleuchtung ist hier ziemlich schlecht", erwiderte Jim, suchte nach einem Lichtknopf und fand ihn schließlich.
Eine zusätzliche Lampe ging an, die alles etwas heller machte.
Die Sitzgruppe war überzogen von Spinnweben, so als wäre hier seit vielen Jahren kein Mensch mehr gewesen. Nur mit Mühe konnte ich einen Aufschrei unterdrücken, als ich das grauweiße Gespinst sah. Mein Herz schlug wie wild.
"Komm, Patricia", sagte Jim. "Hier ist jedenfalls niemand. Das ist eine Tatsache."
"Aber sie kann doch nicht so einfach verschwinden..."
Jim schwieg.
Schritte hallten im nächsten Moment im Flur wider.
Es war Edward, der Butler. Er ging mit bewegungslosem Gesicht auf uns zu. Offenbar hatte er unsere Stimmen gehört.
Er musterte uns kurz und erklärte dann: "Ich soll Sie zum Dinner abholen." Sein Blick fiel dann mit einem verständnislosen Gesichtsausdruck auf die Spinnweben.
Mit hastigen Handbewegungen zerstörte er die Netze. Sein Gesichtsausdruck wirkte ärgerlich.
"Haben Sie eine Spinnenplage?", erkundigte sich Jim.
"In diesem Jahr ist es ziemlich schlimm", brummte der Butler. "Das Hausmädchen kommt nicht nach! Es ist furchtbar!"
"Wohnt hier noch eine junge Frau, mit dunklen langen Haaren?", erkundigte ich mich dann. "Ein eher exotischer Typ..."
"Eine junge Frau?", echote der Butler. "Da wäre nur Miss Lisa, Gillian Carters Tochter aus ihrer dritten Ehe. Aber Miss Lisa ist blond und hat einen Kurzhaarschnitt..."
"Und sonst? Wer wohnt noch hier?"
"Mrs. Carter, Mister Stanton, Miss Lisa, Mister Lambert, meine Wenigkeit... Es gibt hier keine Frau, auf die Ihre Beschreibung passt, Miss Vanhelsing."
"Aber sie war hier! Gerade eben!"
"Das ist unmöglich", erklärte Edward im Brustton der Überzeugung. "Ich wüsste sonst davon, Miss Vanhelsing! Sie müssen sich getäuscht haben..."
Edward führte uns in einen weitläufigen Salon. An einer Tafel aus Ebenholz war für uns alle gedeckt. Unablässig war die Klaviermusik zu hören. Romantische Appeggi erinnerten an die Wellen des Meeres, bevor harte, hämmernde Dissonanz-Akkorde dem ein dramatisches Ende setzten.
Lambert, der Manager, stand lässig gegen eine Kommode gelehnt da und musterte uns aufmerksam.
Eine junge Frau saß bereits am Tisch. Ihren blonden kurzen Haaren nach war sie Lisa Carter, die einzige Tochter der großen Diva.
Lisa hatte ein sehr zartes Gesicht mit großen, in sich gekehrt wirkenden Augen, die ins Nichts zu blicken schienen.
Sie trug ein blaues Kleid. Um den Hals hing ihr ein Diamantencollier. Sie saß da, schien uns gar nicht zu bemerken und kaute auf ihren Nägeln.
Ein hübsches Gesicht, dachte ich.
Und ein sehr trauriges.
Und dann sah ich sie, deren Gesicht mich von Dutzenden von Filmplakaten angelächelt hatte und deren Name in riesigen Lettern auf der Leinwand stand, wenn einer ihrer Filme gezeigt wurde.
Sie war eine alte Dame geworden.
Lächelnd kam sie auf mich zu.
"Ich bin Gillian Carter Stanton", stellte sie sich vor, als ob es bei jemandem wie ihr noch einer Vorstellung bedurft hätte. "Und Sie sind gewiss Patricia Vanhelsing."
"Ja. Ich bin zusammen mit meinem Kollegen Jim Field hier..."
Sie gab erst mir die Hand, dann Jim. Dabei blickte sie an ihm hinab und sah auf die zerschlissene Jeans. Sie war eine perfekte Schauspielerin, denn die Missbilligung, die sie zweifellos empfand, vermochte sie hinter einem charmanten Lächeln nahezu perfekt zu tarnen.
"Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Mister Field."
"Ganz meinerseits."
Sie deutete auf die Kamera um Jims Hals und meinte dann: "Für eine Schauspielerin in meinem Alter ist jede Kamera ein Feind, Mister Field - wenn Sie verstehen, was ich meine!"
Jim, ganz gefangen vom Charme der alten Dame, lächelte und erwiderte dann: "Ich glaube, die Kamera, die jemanden mit Ihrer Ausstrahlung entstellen könnte, ist glücklicherweise noch nicht erfunden, Mrs. Carter!"
Gillian Carters Gesichtszüge wurden jetzt weich.
"Wer hätte das gedacht, dass in Ihnen ein Charmeur der alten Schule steckt, Mister Field..." Sie wandte sich an mich und fuhr dann lächelnd fort: "Sie sollten sich glücklich schätzen, Miss Vanhelsing! Diese Gattung stirbt nämlich leider aus!"
Jim zuckte die Achseln.
"Leider weiß Miss Vanhelsing diese Qualitäten an mir bislang nicht so recht zu schätzen", meinte er schelmisch und zwinkerte mir dabei zu.
Jim war insgeheim immer ein bisschen in mich verliebt gewesen, aber für mich war er nicht mehr, als ein netter, sehr guter Kollege und Freund. Seine etwas jungenhafte Art entsprach einfach nicht dem, was ich mir von einem Mann erträumte und er wusste das auch.
Dennoch unternahm er immer wieder einen - wenn auch kaum wirklich ernstgemeinten - Versuch.
Er war eben ein Spaßvogel.
"Bitte setzen Sie sich doch!", forderte Lambert uns auf. Wir nahmen Platz und Mrs. Carter saß mir direkt gegenüber.
Der Butler begann indessen die Gläser zu füllen, während im Hintergrund immer noch ein wahres Inferno aus Klaviertönen tobte, ehe Norman Stantons Spiel schließlich in ruhigere Bahnen geriet. Er spielte jetzt ein Stück, das aus einer Reihe getragener, dunkler Akkorde zu bestehen schien, die wie eine akustische Untermalung zu den massiven Blöcken aus grauem Stein wirkten, aus dem Pembroke Manor erbaut war.
"Kommt mein Mann nicht zum Dinner?", fragte Gillian Carter an den Butler gewandt.
"Er hat mir strickte Anweisung gegeben, ihn nicht beim Spielen zu stören, Ma'am!"
"Dann befehle ich Ihnen das Gegenteil, Edward! Stören Sie ihn! Er soll hier erscheinen und nicht nicht zusammen mit seinem Flügel einschließen, wie ein lebendig Begrabener!"
"Sie stürzen mich in einen unlösbaren Konflikt, Ma'am", stellte Edward fest.
"Ach, ja?", polterte die Diva unbeherrscht. "Dann überlegen Sie mal, von wessen Geld eigentlich Ihr Gehalt bezahlt wird!"
"Lass ihn doch", sagte Lisa. Sie kaute jetzt nicht mehr auf den Nägeln, sondern spielte nervös mit ihrem Brillantcollier. "Er ist ein Künstler, Mutter. Du solltest das verstehen, schließlich bist du..."
"Ja, ja, schon gut", unterbrach die Carter ihre Tochter. Ein Schatten fiel über ihr Gesicht. In ihren Zügen glaubte ich den Ausdruck tief empfundenen Schmerzes zu sehen. Aber das dauerte nur einen kurzen Moment, dann war sie wieder ganz die entspannte Gastgeberin und Grand Dame. Sie hob ihr Glas.
"Trinken wir auf unsere Gäste!", sagte sie und sah mir dabei in die Augen. "Ich bin überzeugt davon, dass wir uns gut verstehen werden!"
Genau in diesem Moment endete das Klavierspiel mit einer schroffen Dissonanz, die Stanton ausklingen ließ, bis die letzte Tonschwingung verstummt war.
Danach war nichts mehr zu hören.
Die Gespräche plätscherten so dahin und Jim machte Fotos dabei, von denen man später vielleicht ein paar ins Blatt bringen konnte.
Den Löwenanteil bestritt die Carter selbst, die eine Anekdote nach der anderen aus ihrer großen Zeit zum besten gab.
In einem Nebensatz erwähnte sie dabei mehr Stars und Sternchen, als für gewöhnlich auf einer ganzen Seite der London Express News genannt wurden.
"Ich habe nichts dagegen, wenn Sie jedes Wort von dem in Ihrer Reportage bringen, was ich sage", erklärte sie lächelnd und fügte dann noch hinzu. "Meinetwegen dürfen Sie sogar hinzuerfinden - aber tun Sie es auf nette Weise. In Ordnung?"
"Wenn ich jetzt ja sage und mein Kollege verrät mich bei meinem Chefredakteur, dann bin ich meinen Job los", lächelte ich zurück.
"Oh, was Sie nicht sagen! Am Telefon wirkte Michael T. Swann gar nicht so knochentrocken, wie Sie ihn mir schildern."
Ich zuckte die Achseln.
"Er ist ein Journalist der alten Schule."
"Nur der Wahrheit verpflichtet, ja?"
"Ja, so ist es..."
Die Carter seufzte.
"Mein liebes Kind", sagte sie. "Die Wahrheit! Was ist schon die Wahrheit?"
"In unserem Job ist sie das Wichtigste", erwiderte ich.
"Sie sind Swanns Schülerin, habe ich den Eindruck!"
"In diesem Punkt ja."
"Aber die Wahrheit hat den Nachteil, dass sie oft so hässlich ist, Miss Vanhelsing! Und wer will schon Hässlichkeit? Niemand. Schöne Träume, das ist es, was die Menschen wollen. Und ich habe ein Leben lang versucht, ihnen das geben..."
"Dafür warst du für deine Umgebung ein überaus hässlicher Alptraum", mischte sich jetzt Lisa in das Gespräch ein. Der jungen Frau mit den großen traurigen Augen traute man einen derart harten Tonfall nicht zu und so drehten sich alle etwas verwundert zu ihr um. Sie sah nicht auf, sondern nahm in aller Ruhe ihren letzten Bissen.
Als sie dann zu mir herüberblickte, sah ich das Funkeln in ihren Augen.
Ein Funkeln voller Bosheit.
"Meine Mutter hat sich einen wunderschönen Ort ausgesucht, um sich zur Ruhe zu setzen!", zischte sie. "Ein graues Gemäuer in einer Einöde! Ein Ort, an dem man den Verstand verlieren kann, an dem es von Spinnen zu wimmeln scheint und der Modergeruch so sehr in das Mauereck eingezogen ist, dass es unmöglich ist, ihn zu vertreiben!"
"Schweig jetzt, Lisa!", versuchte Gillian Carter ihre Tochter zu besänftigen. Aber das stachelte diese nur noch mehr an. Lisas Gesicht veränderte sich, wirkte gerötet und angespannt. An ihrer linken Schläfe pulsierte eine Ader. Sie atmete schwer und rang nach Luft.
Mit ihrem Blick fixierte sie mich auf eine Art und Weise, die mir unangenehm war.
"Soll ich Ihnen sagen, was mit dem Vorbesitzer dieses niedlichen Landhauses geschehen ist?"
"Lisa!", rief Mrs. Carter. Aber sie hatte keine Chance, ihre Tochter in diesem Moment zu beeinflussen.
"Was glauben Sie wohl? Als der Mann hier her zog, war er ein erfolgreicher Geschäftsmann. Zwölf Monate später starb er unter mysteriösen Umständen. Vermutlich hat er sich umgebracht." Sie lehnte sich zurück und fügte dann noch hinzu: "Es würde mich nicht wundern, wenn hier etwas Ähnliches geschähe... Dies ist ein verfluchter Ort! Ein Ort des Wahnsinns!"
"Lisa!"
"Ein Ort des Todes, Mutter!"
"Hör jetzt auf! Was soll man denn von dir denken!"
Lisa zitterte.
Ihr Blick wirkte wirr und desorientiert. Mit einer ruckartigen Bewegung stand sie auf und ging davon. Mit schnellen Schritten durchquerte sie den Salon, ohne sich noch einmal dabei umzudrehen.
Dann riss sie die Tür auf und knallte sie hinter sich zu.
Einige Augenblicke lang herrschte betretenes Schweigen. Dann sagte Gillian Carter schließlich an mich gewandt: "Denken Sie jetzt nicht zu schlecht von ihr, Miss Vanhelsing. Lisa ist krank. Nicht körperlich, sondern seelisch. Sie..." Die Carter brach abrupt ab und deutete dann mit dem Zeigefinger in meine Richtung. "Sie werden von dem, was ich Ihnen sage, nichts schreiben, nicht wahr?"
"Ich schreibe über Sie, Miss Carter. Und es ist keineswegs meine Absicht, die psychischen Probleme von Angehörigen ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren..."
"Es freut mich, dass Sie so denken, Miss Vanhelsing. Sehen Sie, Lisa hatte als Kind ein traumatisches Erlebnis, als unser Haus in Florida abbrannte. Vielleicht hätte ich mich damals mehr um sie kümmern müssen. Ich mache mir heute noch Vorwürfe deswegen..."
"Ich habe die alten Pressemeldungen im Archiv der News gelesen", erwiderte ich.
Die Carter sah mich an. Ihr Blick schien durch mich hindurchzugehen und war ins Nirgendwo gerichtet.
"Sie haben sich gut auf Ihren Besuch auf Pembroke Manor vorbereitet, scheint mir", sagte sie dann und lächelte ihr Schauspielerlächeln, das ich so oft auf Zelluloid gesehen hatte.
"Das ist mein Job", sagte ich.
"Morgen früh werden wir Zeit für ein ausführliches Interview haben. In Ordnung?"
"Gerne."
Sie beugte sich vor und legte ihre Hand auf die meine. Sie fühlte sich kalt an.
Kalt, wie die Hand einer Toten.
Der jungen Frau fiel das pechschwarze Haar bis auf die braunen Schultern, die durch das blutrote, fließende Gewand freigelassen wurden.
Lautlos und mit langsamen, gemessenen Schritt trat sie die breite Steintreppe hinab. Ihre Augen leuchteten katzenhaft.
Hass sprach aus diesen Augen.
Abgrundtiefer Hass gemischt mit unendlichem Schmerz.
Stufe um Stufe ging sie hinab. Einer Elfe gleich schritt sie dahin, während sich um sie herum eine seltsame Aura zu bilden schien. Eine Aura, die aus grünlich-weißem Licht bestand.
Ihr Gesicht veränderte sich leicht.
Der Ausdruck des Hasses wandelte sich in etwas, das noch bedrohlicher war: den Willen, zu töten!
Sie hatte den Fuß der Treppe beinahe erreicht, da begann sich hinter ihrem Rücken eine geradezu gespenstische Verwandlung zu vollziehen. Spinnweben bildeten sich und rankten auf groteske Weise die Steinwand hinauf. Dichtes weißes Spinngewebe spannte sich zwischen den Stufen und füllte zahllose kleine Ecken und Winkel aus.
Schwarze Rußflecken bildeten sich auf dem bis dahin makellosen grauen Steinblöcken.
Es war, als ob diesen Raum seit vielen, vielen Jahren niemand mehr betreten hätte.
Feiner, weißer Staub bedeckte die Stufen und eine Mischung aus Moder- und Brandgeruch lag in der Luft.
Und mit jedem Schritt, den die Frau in Rot hinter sich brachte, breitete sich die unheimliche Verwandlung weiter aus.
Sie durchschritt den weitläufigen Empfangsraum, ohne dabei auch nur ein einziges Geräusch zu verursachen, während sich hinter ihr die Aura von Alter und Verfall unaufhaltsam ausbreitete. Der Narzissenstrauß, der in einer wertvollen chinesischen Vase stand, verwelkte innerhalb eines Augenaufschlags, während sie vorüberging.
Sie lachte boshaft, als sie es sah. Dann ging es den Flur entlang.
Sie hatte offenbar ein Ziel und jetzt stand sie kurz davor.
Vor einer bestimmten Tür blieb sie stehen.
Die Tür öffnete sich wie von Geisterhand. Die Scharniere knarrten und überzogen sich innerhalb eines einzigen Augenblicks mit Rost. Spinnweben spannten sich in einer dicken, weißen Schicht von der Türklinke herab.
Die Frau in rot stoppte kurz und hielt inne. Ihr Blick war auf das reich verzierte Bett gerichtet, in dem eine ältere Dame friedlich schlief.
Es war Gillian Carter.
Die Frau in Rot verzog boshaft das Gesicht. Ihre hübschen Züge wurden durch eine teuflische Grimasse beinahe entstellt. In ihren katzenhaften Augen loderte blanke Mordlust.
Sie hob ihre zarte Hand, deren Innenfläche kohlrabenschwarz war und trat dann langsam näher...
"Nein!"
Ein Schrei voll ohnmächtiger Verzweiflung durchschnitt die unheimliche Stille der Nacht und ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass ich selbst es war, die geschrien hatte.
Kerzengerade saß ich im Bett.
Ich war schweißnass und das Nachthemd klebte nur so an meinem Körper. Mein Puls raste und namenloses Entsetzen hatte mich gepackt.
Es war ein Traum gewesen - ein Alptraum von geradezu furchtbarer Intensität.
Aber diese Erkenntnis konnte mich nicht beruhigen. Ganz im Gegenteil, denn ich wusste, dass es einer jener Träume war, die mit meiner Gabe zusammenhingen.
Mir fröstelte und eine Gänsehaut hatte meinen gesamten Körper überzogen. Ich schlug die Decke zur Seite und stand auf. Irgendetwas Furchtbares würde geschehen, das fühlte ich ganz deutlich.
Ich dachte an den Sarg, den ich in meiner Tagtraumvision gesehen hatte und auf einmal wusste ich, wessen Leben in Gefahr war.
Das von Gillian Carter.
Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag vor den Kopf.
Du wirst zu spät kommen, sagte eine düstere Stimme in mir mit entmutigender Gewissheit.
Ich zog mir einen Morgenmantel über und und öffnete die Tür meines Zimmers.
"Hey, Patricia! Was ist los?", fragte eine wohlbekannte Stimme. Sie gehörte Jim, der ebenfalls gerade aus seinem Zimmer getreten war.
Er knöpfte sich sein Hemd zu und stopfte es in die Hose, während er sich etwas irritiert umsah. "Hast du so geschrien, Patricia?", fragte er dann.
"Frag jetzt nicht", flüsterte ich.
"Aber..."
"Komm einfach mit."
"Es riecht hier seltsam", meinte er dann. "Irgendwie..."
"Verbrannt", murmelte ich tonlos.
Als wir die Treppe erreichten, sahen wir die Spinnweben und den Staub. Entsetzen packte mich, als ich sah, dass die Szenerie meines Alptraums Wirklichkeit geworden war.
"Mein Gott...", flüsterte ich.
"Was ist hier nur passiert?", fragte Jim, dessen Züge völlige Verständnislosigkeit ausdrückten. Mit dem Finger fuhr er über die Rußflecken an den grauen Steinquadern. Sie färbten schwarz ab.
"Als ob hier ein Brand stattgefunden hätte... Aber das kann nicht sein! Und der Staub..." Jim schüttelte den Kopf. "So etwas habe ich noch nicht gesehen..."
"Komm, Jim!", forderte ich.
"Aber..."
Ich konnte ihm nichts von meinem Traum sagen. Außer Tante Lizzy und mir wusste niemand etwas von meiner Gabe und ich hatte gute Gründe dafür, daran nichts zu ändern.
Wir gingen die Stufen hinab und mit unseren Füßen zerrissen wir die feinen grauweißen Gespinste, sofern wir sie berührten.
Ich kannte den Weg zu Mrs. Carters Gemach.
Schließlich hatte ich ihn in meinem Traum gesehen und im übrigen brauchten wir nur der Spur jener unheimlichen Verwandlung zu folgen, die vor unseren Augen offenbar wurde.
Sie war hier!
Die Erkenntnis versetzte mir einen Stich. Aber so musste es sein. Die Frau in rot, hatte diesen Weg längst hinter sich gebracht.
Als wir in das Halbdunkel des Flures traten, in dem sich Gillian Carters Schlafzimmer befand, trat plötzlich eine dunkle, hochaufgeschossene Gestalt aus dem Schatten heraus.
Es war Edward.
"Wir müssen zu Mrs. Carter!", forderte ich.
Edward sah mich verständnislos an und schüttelte den Kopf.
"Miss Vanhelsing, Sie sollten..."
"Ihr Leben ist in Gefahr, Edward!"
"Wie kommen Sie auf diese Idee?"
"Bitte!"
Ich versuchte, an ihm vorbeizugelangen, aber er packte mich hart am Arm. "Nein, das kommt nicht in Frage, Miss Vanhelsing!"
"Riechen Sie nicht den Brandgeruch?", fragte ich ihn dann.
Er nickte und ließ mich los. "Ja", sagte er. "Offen gestanden hat mich dieser Geruch dazu veranlasst, eine Runde durchs Haus zu machen..."
"Es ist jemand im Haus!", sagte ich.
"Und wer?"
"Die Dunkelhaarige mit dem roten Kleid, auf die ich Sie schon einmal angesprochen habe..."
"Das ist doch Unfug, Miss Vanhelsing!"
"Haben Sie die Brandflecken neben der Treppe im Empfangsraum gesehen?"
"Miss Vanhelsing..."
"Edward, ich bitte Sie doch nur darum, mal nachzusehen, ob mit Mrs. Carter alles in Ordnung ist!"
Der Butler atmete tief durch. Er schien mit sich zu ringen, dann nickte er. Wir folgten ihm bis zu Gillian Carters Schlafzimmertür.
Edward klopfte an.
"Mrs. Carter?"
Die Tür stand einen Spalt offen. Edward sah Jim und mich streng an.
"Sie bleiben hier", flüsterte er, während seine Rechte unter das Jackett ging. Als er die Tür öffnete, zerrissen unzählige feine, grauweiße Gespinste. Er machte Licht und ich konnte nicht anders, als hinzuzutreten und einen Blick in das Zimmer zu werfen.
Edward war kreidebleich.
Er hielt Gillian Carters schlaff herunterhängenden Arm, um ihr den Puls zu fühlen.
Als er mich sah, bildete sich in der Mitte seiner Stirn eine senkrechte Furche.
"Sie ist tot, Miss Vanhelsing", erklärte er tonlos. "Mein Gott, was ist hier nur geschehen..."
Etwa eine Viertelstunde später traf ein Arzt aus der Gegend auf Pembroke Manor ein. Der Butler hatte ihn verständigt.
Er stellte sich als Dr. Frank Ridley vor, war Anfang dreißig, hochgewachsen und hatte ruhige, dunkle Augen, deren Wirkung durch die kräftigen Brauen noch unterstrichen wurde.
Das dunkelblonde Haar trug er kurz und sah insgesamt ausgesprochen attraktiv aus.
Wir begegneten uns für einen Moment, als der Butler ihn durch den Empfangsraum führte.
"Kommen Sie, Dr. Ridley!", forderte Edward etwas ungeduldig.
Für einen kurzen Moment blieben unsere Blicke aneinander haften. Dann folgte Ridley dem Butler und sagte ihm: "Lassen Sie mich bitte bei der Leichenschau allein, Edward."
"Wie Sie wünschen, Sir!"
Inzwischen war auch Lambert, der Manager auf den Beinen.
Und Lisa strich wie eine streunende Katze im Empfangsraum herum. Edward hatte ihr vom Tod ihrer Mutter berichtet, aber das hatte sie ohne irgendeine Emotion nach außen dringen zu lassen geschluckt.
Jetzt wirkte sie ziemlich nervös.
"Wo ist eigentlich Mister Stanton?", erkundigte ich mich irgendwann bei Lambert, der mich erstaunt ansah.
"Stanton? Oh, der ist sicher in seinem Zimmer und schläft noch. Wissen Sie, Mrs. Carter und ihr Mann hatten getrennte Zimmer. Die beiden lebten schon seit Jahren mehr oder weniger nebeneinander her und..." Er sprach nicht weiter.
An Lamberts Stelle meldete sich Lisa auf ihre kratzbürstige Art und Weise zu Wort.
"Warum sagen Sie es nicht, wie es ist, Mister Lambert? Mein Stiefvater hat ein Alkoholproblem. Wenn er irgendwo auftreten müsste, würde er früher oder später vom Klavierhocker fallen, das ist die Wahrheit!"
Sie verzog das Gesicht und verschränkte die Arme vor der Brust.
Dann sah sie mich an.
"Schockiert Sie meine Offenheit, Miss Vanhelsing?"
"Wohl kaum", antwortete ich.
"Tja, Sie hätten wohl nicht gedacht, dass aus Ihrer Reportage samt Interview nun ein Nachruf werden wird, nicht wahr?"
Meine Erwiderung war eisig.
"Sie sagen das nicht gerade wie eine Tochter, die um ihre tote Mutter trauert."
Sie verzog das Gesicht zur Ahnung eines Lächelns. Zynismus leuchtete in ihren Augen. Sie schüttelte den Kopf und lachte kurz auf.
"Bleiben Sie ruhig noch eine Weile hier und schreiben Sie Ihre Story, Miss Vanhelsing! Wussten Sie, dass Mutters Erinnerungen bei einem renommierten Londoner Verlag liegen?"
"Nein, das wusste ich nicht."
"Im nächsten Herbst wird es herauskommen und was immer Sie auch nun schreiben werden - es wird den Verkauf ankurbeln. Und da ich die Erbin ihrer Rechte bin..."
Sie war geschmacklos und auf ihre Art grausam. Ich schluckte die Erwiderung herunter, die mir auf der Zunge lag.
Diese Frau war seelisch krank. Ich konnte sie nur zum Teil für das verantwortlich machen, was sie sagte.
Mein Blick ging seitwärts.
Ich sah, dass Lambert unruhig auf und ab ging.
"Hat sich schon jemand überlegt, wer meinem Stiefvater die schlechte Nachricht überbringt?", war Lisas Stimme dann zu vernehmen. "Ich werde es jedenfalls nicht sein!"
Es herrschte Schweigen.
Lisa atmete tief durch.
Auch sie schien ziemlich nervös zu sein. Sie ging bis zur Treppe, warf einen Blick auf die Spinnweben und den Staub und murmelte dann mit boshaftem Unterton: "Ich war schon lange dafür, das Hausmädchen rauszuwerfen und jemand anderes dafür einzustellen!"
Dr. Frank Ridley kam schließlich aus Mrs. Carters Schlafgemach und trat in den Empfangsraum. Alle Augen waren auf den jungen Arzt gerichtet, dessen Gesicht sehr ernst wirkte.
"Nun, wenn Sie den Totenschein unterschrieben haben, ist Ihr Job erledigt, Dr. Ridley!", sagte Lisa schneidend.
"Wir müssen die Polizei verständigen", erklärte Ridley ruhig.
"Was?", rief Lisa.
Ridley stellte sein Arztköfferchen auf einem der kleinen runden Tische ab und setzte sich. Dann schlug er die Beine übereinander und fuhr sich mit einer fahrigen Handbewegung über das Gesicht.
"Die Todesursache scheint Herzversagen zu sein, soweit ich das dem ersten Anschein nach beurteilen kann..."
"Was bei einer Frau in Gillian Carters gesegnetem Alter ja vielleicht nicht gerade eine Todesursache ist, die die Mordkommission auf den Plan rufen sollte, oder?", fauchte jetzt Lambert, der Manager. "Mir gefällt der Gedanke nicht, dass die Polizei hier herumschnüffelt und in die Privatsphäre aller, die hier leben eindringt..." Dann wandte er sich an Edward und knurrte: "Warum haben Sie diesen Quacksalber angerufen und nicht einen anderen Arzt?"
"Er ist der einzige in der Umgebung", verteidigte sich der Butler. "Außerdem vertraute Mrs. Carter Dr. Ridley. Sie hat sich in letzter Zeit des öfteren von ihm behandeln lassen..."
"Ja", bestätigte Ridley. "Und ihr allgemeiner Gesundheitszustand war gut."
"Und was lässt Sie nun an Mord glauben?", erkundigte ich mich.
"Auf ihrer Schulter befand sich der Abdruck einer Hand. Er war wie eingebrannt." Ridley atmete tief durch.
Sein Blick war nach innen gerichtet. "Ich glaube, dass diese Berührung den Tod verursacht hat!".
"Ein Handabdruck?", meldete sich Lambert zu Wort und dabei legte sich seine Stirn in Falten. "Eingebrannt? Aber das ist doch unmöglich!"
"Wie auch immer. Ich möchte Sie bitten, Mrs. Carters Schlafgemach zu verschließen, bis die Polizei eintrifft und den Tatort untersuchen kann..."
Der Butler ging bereits zum nächsten Telefon, dass auf einer schmalen Kommode stand. Es war ein altmodischer Apparat mit Wählscheibe und geschwungenem, knochenförmigen Hörer. Ein Stück aus dem Museum, so wirkte es.
Edward hatte den Hörer gerade von der Gabel genommen, da trat Lisa entschlossen hinzu und drückte auf die Gabel.
"Lassen Sie das, Edward!"
"Aber..."
"Ich werde nicht zulassen, dass irgendein Kriminalbeamter hier grundlos herumschnüffelt! Wer sollte Mutter schon ermordet haben? Außer uns war niemand auf Pembroke Manor! Es müsste also jemand von uns gewesen sein!"
"Nun, Miss Lisa, Sie müssen zugeben, dass Sie ein Motiv hätten", sagte Lambert und seine Stimme klirrte dabei wie Eis. "Sie warten doch schon lange auf Ihr Millionenerbe. Norman Stanton wird kaum etwas bekommen, das weiß ich."
"Woher?", fauchte Lisa.
"Weil ich dabei war, als Mrs. Carter zum Notar ging, um ihren letzten Willen aufzusetzen. Im übrigen ist Mister Stanton durch die Tantiemen seiner früheren Plattenaufnahmen auch finanziell abgesichert. Und ich wüsste nicht, dass er kostspielige Interessen hätte, die über den Besitz eines Steinway-Flügels hinausgingen!"
Ridley erhob sich jetzt. "Wenn keiner von Ihnen anruft, werde ich es tun", sagte er bestimmt.
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen.
Lisa verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
Schließlich nickte sie. "Also gut, Edward. Tun Sie, was Sie nicht lassen können..."
Genau in diesem Moment kam wie aus dem Nichts ein dumpfer Klavierakkord, dem noch eine Reihe weiterer dissonanter Klänge folgten.
"Stanton!", entfuhr es Lambert.
"Kommt das öfter vor, dass er mitten in der Nacht spielt?", erkundigte sich Jim.
"Ab und zu ja", nickte der Manager. "Dieser Wahnsinnige..."
Es war keines jener romantischen Stücke voll düsterer Leidenschaft, die bisher von ihm zu hören gewesen waren, sondern etwas modernes, voll von kalten Dissonanzen, die eine beklemmende Wirkung hatten.
Während der Butler mit der Polizei telefonierte, ging Ridley mit nachdenklichem Gesichtsausdruck zu jener breiten Treppe, die ins Obergeschoss führte. Er beugte sich nieder und berührte mit dem Finger die dichten Spinnweben. Dutzende verschiedener Schichten schienen es zu sein, ein Gespinst, dass in Jahren entstanden sein musste. Dazu der Staub und die Rußflecken am grauen Stein...
Frank Ridley nickte stumm und ich studierte dabei genau sein Gesicht.
Er weiß mehr!
Es war nur ein unbestimmtes Gefühl, dass mir das sagte. Aber Ridleys Gesichtsausdruck schien mich dabei zu bestätigen.
Ich trat zu ihm. Unsere Blicke begegneten sich. Diese dunklen, ruhigen Augen wirkten sehr sympathisch auf mich.
Mir gefiel dieser Mann, aber ich wollte mich davon im Moment nicht ablenken lassen.
Er lächelte freundlich.
"Was kann ich für Sie tun, Miss..."
"Vanhelsing. Patricia Vanhelsing."
"Kannten Sie Mrs. Carter gut?"
"Leider habe ich sie erst am Abend vor ihrem Tod persönlich kennenlernen können", erwiderte ich. Ich deutete auf Jim und fuhr dann fort. "Mein Kollege Jim Field und ich machen eine Story für die London Express News über die Carter..."
"Ich denke, die Nachrufe, die man jetzt überall lesen wird, werden schon seit Jahren fertig in den Schubladen der Redaktionen liegen", erwiderte Ridley etwas bitter.
Ich ging nicht darauf ein, sondern trat noch etwas näher an ihn heran. Sein After Shave roch gut und war nicht zu aufdringlich. Ich sprach mit gedämpftem Tonfall und fragte dann: "Haben Sie so etwas schon einmal gesehen, Dr. Ridley?"
"Meinen Sie die eingebrannte Hand oder das hier..." Er deutete dabei auf die Spinnweben und die angerußten Steine.
"Was auch immer..."
Er musterte mich nachdenklich.
Augen sind Fenster zur Seele, so sagt man, aber ich als in diesem Moment die seinen studierte, sah ich nur ein großes Geheimnis. Ein Geheimnis, das er offenbar noch nicht preiszugeben bereit war.
Er schluckte.
Einige Augenblicke lang schwiegen wir, dann sagte er schließlich: "Warten Sie die Ermittlungen der Kriminalpolizei ab, Miss Vanhelsing!"
"Das klingt aber nicht gerade, als würden Sie in deren Fähigkeiten besonders viel Vertrauen setzen, Dr. Ridley..."
"Das haben Sie gesagt."
"Wie auch immer..."
"Ich bin müde, Miss Vanhelsing... Vielleicht sind Sie und Ihr Kollege so nett, ein bisschen darauf zu achten, dass am Tatort nicht alles umgeräumt wird, bevor die Kriminalpolizei eintrifft. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden..."
"Sicher."
"Gute Nacht, Miss Vanhelsing."
Der Klang seiner Stimme war angenehm.
Er schenkte mir ein charmantes, etwas flüchtiges Lächeln und wandte sich dann in Richtung der Tür. Ich sah ihm etwas verwirrt nach. Er wusste etwas, davon war ich überzeugt. Und ich fragte mich, ob ich ihn jetzt einfach so gehen lassen durfte.
Ich wandte mich an Jim, der inzwischen den Gesprächen der anderen mehr oder minder interessiert zugehört hatte.
"Bleib du hier", murmelte ich. "Und halt Augen und Ohren auf..."
"Wo willst du hin?"
"Ich muss den Arzt noch etwas fragen."
"Okay."
"Bis gleich."
Draußen war es recht kühl und der Wind fuhr mir unangenehm durch den Morgenmantel, den ich noch immer trug.
Frank Ridley war gerade dabei, die Fahrertür seines Landrovers zu öffnen. Mit einer lässigen Bewegung warf er den Arztkoffer auf den Beifahrersitz.
"Dr. Ridley!", sagte ich laut, während ich die steinernen Stufen des imposanten Portals hinabstieg. Aber der Wind verschluckte meine Worte.
Mit schnellen Schritten eilte ich auf den Landrover zu.
Ridley sah mich aus den Augenwinkeln heraus und drehte sich zu mir herum.
"Miss Vanhelsing?", fragte er, nachdem ich ihn erreicht hatte.
Er hob die Augenbrauen dabei und schien etwas überrascht zu sein.
"Kommen Sie, ich möchte Ihnen etwas zeigen."
"Sie können, wann immer Sie wollen, in meine Praxis kommen!"
"Nein, das hat nicht bis morgen Zeit! Kommen Sie!"
Ich nahm ihn einfach bei der Hand er schlug die Tür des Landrovers zu. Ein paar Augenblicke später standen wir bei meinem kirschroten 190er Mercedes.
"Ein schöner Wagen!", meinte er. "Ein richtiger Oldtimer, aber gut gepflegt... Dürfte einiges wert sein!", kommentierte er mit Bewunderung in der Stimme.
"Eigentlich wollte ich Ihnen nicht meinen schönen Wagen zeigen, sondern das hier!", erwiderte ich und deutete auf den schwarzen, in den Lack gebrannten Handabdruck am vorderen Kotflügel.
Ridley war sofort hellwach. Seine Augenbrauen zogen sich zu einer Art Schlangenlinie zusammen und die Augen verengten sich ein wenig. Vorsichtig tastete er mit den Fingerkuppen darüber und atmete dann tief durch.
"Wie ist das passiert?", fragte er dann erregt. Er sah mich dabei an und seine Augen leuchteten.
"Als wir gestern hier her, nach Pembroke Manor kamen, stand plötzlich eine Frau mitten auf der Straße. Sie hatte langes schwarzes Haar und wirkte ziemlich exotisch. Ich konnte gerade noch bremsen..."
"Und sie berührte Ihren Wagen", schloß Ridley.
Ich nickte.
"Ja, so war es. Dann lief sie davon, mitten in den finsteren Wald hinein. Ich habe noch hinter ihr hergerufen, aber sie gab keine Antwort... Später habe ich die Frau noch einmal gesehen."
"Wo?"
Er fasste mich bei den Schultern und bedachte mich mit einem durchdringenden Blick.
Es schien sehr wichtig zu sein, auch wenn ich noch nicht die leiseste Ahnung hatte, worum es hier eigentlich ging.
"Auf Pembroke Manor. Ich sah sie nur kurz, dann war sie verschwunden. Ich habe den Butler gefragt, ob noch jemand auf dem Landhaus wohnt, jemand von dem ich nichts weiß. Aber das leugnete er..."
Ridley ließ mich los und blickte zur Seite. Er nickte leicht und atmete tief durch.
"Ratami...", flüsterte er leise vor sich hin - so leise, dass ich es kaum verstehen konnte.
"Was geht hier vor, Dr. Ridley? Sie scheinen etwas darüber zu wissen!", hakte ich nach.
Er sah mich an und schien innerlich abzuwägen, in wie weit er mir vertrauen konnte.
"Sie haben sie also wirklich gesehen, diese Frau?", vergewisserte er sich dann noch einmal.
"Ja", bestätigte ich und fragte dann sogleich: "Ratami - ist das ihr Name?"
Er nickte.
"Ja, das ist ihr Name."
"Und warum hat sie Gillian Carter getötet?"
"Miss Vanhelsing, ich weiß nicht, ob..."
"Sie können mir vertrauen, Dr. Ridley."
"Ich habe schlechte Erfahrungen gemacht", bekannte er dann. "Vor allem mit Leuten von der Presse."
Ich sah ihn offen an. "Was muss ich tun, um Sie in meinem Fall vom Gegenteil zu überzeugen?"
Er zuckte die Achseln. Sein Lächeln wirkte etwas ratlos.
Schließlich sagte er nach einer längeren Pause: "Zumindest soviel kann ich Ihnen zu der Sache sagen: Gillian Carter ist keineswegs die einzige, die in den letzten Jahren auf diese Weise umgekommen ist..."
"Erzählen Sie mehr darüber..."
In diesem Moment erschien Lambert vor dem Portal. Er stieg zwei Stufen hinab und lehnte lässig am Geländer, um sich eine Zigarette anzuzünden. Sein Gesicht verriet die innere Anspannung, die in ihm herrschte.
Ridley blickte kurz zu ihm hinüber und sagte dann: "Nicht jetzt, Miss Vanhelsing..."
"Aber...
"Kommen Sie morgen früh doch einfach in meine Praxis. Dann können wir uns unterhalten..."
Von der Nacht blieb mir nicht mehr allzuviel, um zu schlafen.
Ein gewisser Inspektor McEllroy kam aus Edinburgh herausgefahren. Seine Leute untersuchten Gillian Carters Schlafzimmer auf alle möglichen Spuren hin und McEllroy befragte alle Anwesenden danach, wo sie zur Tatzeit gewesen waren. Ein Alibi hatte niemand, was in Anbetracht der Tatsache, dass Mrs. Carter mitten in der Nacht gestorben war, auch nicht weiter verwundern konnte.
Als ich an der Reihe war, sprach ich den Inspektor auf das an, was ich von Ridley gehört hatte.
"Es soll bereits ähnliche Todesfälle in der Umgebung gegeben haben", erklärte ich.