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Lieben Sie große Gefühle? Entspannen Sie sich gerne bei Geschichten mit Sommer, Sonne, Strand und ganz viel Happy End? Warten Sie vielleicht schon lange auf die Fortsetzung von Gabriella Engelmanns »Büchernest«-Serie? Genießen Sie gerne Wohlfühl-Romane für alle Sinne, z.B. solche, die wie Kirsty Mannings »Der Garten der Düfte« ihre Lust am Kochen wecken? Lassen Sie sich gerne an wunderschöne Orte entführen, wie nach Italien in Julia Fischers »Die Fäden des Glücks«? Fiebern Sie mit dem Liebespaar mit, wenn es viele Hindernisse zu überwinden hat? Oder ist es einfach mal wieder Zeit für eine Auszeit vom Alltag und damit für ein entspannendes Buch? In diesem eBook finden Sie Leseproben zu sechs wunderschönen Romanen des Knaur-Verlages. Große Gefühle garantiert! Das kostenlose eBook enthält Leseproben zu: - Kirsty Manning »Der Garten der Düfte« - Dorothea Benton Frank »Tage am Meer« - Claudia Wuttke »Weitewelt« - Gabriella Engelmann »Strandkorbträume« - Julia Fischer »Die Fäden des Glücks« - Daniela Ohms »Wie Treibholz im Sturm«
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Seitenzahl: 232
Romantische Aussichten: Große Gefühle bei Knaur (April bis Mai 2018)
Ausgewählte Leseproben von Gabriella Engelmann, Kirsty Manning, Julia Fischer u.v.m.
Knaur e-books
Weitewelt
erscheint im April 2018
»Es gibt Situationen, da kommt man weder vor noch zurück. Und in so einer stecke ich.«
Für die alleinerziehende Vertriebsassistentin Annabel Wiesengrund hätte es der entscheidende Tag in ihrer Karriere werden sollen. Doch alles geht schief – und zu der entscheidenden Präsentation kommt es erst gar nicht.
Stattdessen findet sich Annabel zusammen mit Töchterchen Romy in einem kleinen Kaff in Schleswig-Holstein namens Weitewelt wieder. Und in einem zauberhaften alten Haus, das sie von Tag zu Tag mehr in seinen Bann zieht. Bald stellt sie fest, dass sie gar nicht mehr fort will, denn das Haus ist inzwischen für sie zum Traumpalast geworden
Doch ihr kleines Paradies ist bedroht …
Es gibt Situationen, da kommt man weder vor noch zurück. Und in so einer steckte ich gerade. Gas geben half nicht, denn der Unterboden meines Ford Fiesta hatte bereits so stark aufgesetzt, dass es ziemlich verdächtig roch. Selbst hier drinnen. Dabei wollte ich nur den Wagen über mir vor einem Dachschaden bewahren. Ich hatte den unteren Teil eines Hebebühnenparkplatzes in einer Tiefgarage gemietet und wegen des Wagens über mir die Rampe nicht richtig hochgefahren. Also hing ich nun auf dem Absatz von fünfzehn Zentimetern mit meinem Wagen fest. Ich wäre ja gerne ausgestiegen, aber das ging nicht mehr. Als hätte sich auch die ganze Elektronik aufgehängt, reagierte mein Auto auf gar nichts mehr. Selbst der mechanische Türöffner war blockiert. Und meinen Scheibenhammer hatte ich neulich mit in die Wohnung genommen, um ein Bild aufzuhängen. Ich besitze sonst nicht so viel Werkzeug.
So hing ich also quer gestellt auf dem Mittelboden meines schicken, schwarzen, auf Raten gekauften Ford zwei Stockwerke tief unter der Erde und vergeigte gerade die unwiederbringliche Chance, beruflich mal so richtig einen Schritt weiter zu kommen. Denn heute war der Tag des amerikanischen Investors! Heute war der Tag meiner Präsentation. Der Tag, der alles hätte verändern sollen.
In meiner Verzweiflung griff ich in die Frühstücksdose meiner Tochter, die ich an diesem Morgen leider in meiner Tasche vergessen hatte. Machte nichts, in letzter Zeit aß sie sowieso grundsätzlich das, was Phoebe in ihrer Dose hatte. Und die war wirklich ein schlechter Esser.
Meine Tochter ist übrigens vier und heißt Romy.
Ich bin einundvierzig, eine Zahl, die man immer ausschreiben sollte, und heiße Annabel. Annabel Wiesengrund. So wie der Philosoph mit zweitem Vornamen: Theodor Wiesengrund Adorno. Darauf war ich lange Zeit irgendwie stolz, bis ich merkte, dass der zweite Vorname einer Persönlichkeit, die sowieso keiner mehr kannte oder aber vergessen hatte, auch nicht mehr bedeutete als der Nachname eines gewöhnlichen Menschen. Was dann wieder ganz gut zu mir passte: Entweder man kannte mich nicht, oder man vergaß mich ganz schnell wieder.
Ich kaute auf dem Salamibrot herum, von dem ich mich wunderte, dass ich es meiner Tochter hatte zumuten wollen, und überlegte. Die Uhr im Display des Cockpits zeigte 8:53. Wäre ich nicht in diese fatale Schräglage geraten, hätte ich meinen Arbeitsplatz durchaus noch pünktlich betreten können. Ich hätte meinen Kolleginnen aus dem Call-Center zuwinken können, um dann lächelnd beschwingt in meiner Zelle zu verschwinden, den PC anzuschalten, mir die Kopfhörer aufzusetzen und auf das kleine elektronische Board zu schauen: Rot bedeutete, der Anschluss des Kollegen war besetzt, Grün, der Kollege war frei. Grünes Blinklicht hieß: Du bist die Nächste!
So aber war das Einzige, was Grün blinkte, das Digitaldisplay meiner Uhr, die inzwischen auf 9:03 stand, und ich pendelte noch immer in meinem Auto auf und ab, ohne dass jemand gekommen wäre, um mich zu retten.
Ich zog mein Handy aus der Tasche und sah schon an den nicht vorhandenen Netzbalken, dass ich wirklich tief gesunken war. Das zweite Untergeschoss machte einfach kein Empfänger mehr mit.
Na ja, was soll‘s?, dachte ich. Ich war ein Fachmann für ausweglose Situationen. Und warum hätte ich mir einbilden sollen, dass ausgerechnet heute, an dem Tag, auf den ich seit locker sechs Wochen hingearbeitet hatte, die Dinge mal so liefen, wie ich sie mir vorstellte? Nimm‘s mit Humor, sagte ich mir und schaukelte vor Begeisterung vor und zurück, bis ich merkte, dass mein noch recht neues Gefährt Anstalten machte mitzuschaukeln.
Es war, wie gesagt, der Tag des amerikanischen Investors. Es war der Tag, an dem endlich auch mal mein Geschäftsbereich, der für die U18, die Unter-18jährigen, im Brennpunkt des Interesses stehen würde. Jetzt, um genau zu sein, vor 5 Minuten, hätte ich beginnen sollen, meine Power-Point-Präsentation auf den Beamer zu spielen, um meinem Chef und dem amerikanischen Investor beweisen zu können, dass auch jugendfreie Produkte eine Chance auf dem Weltmarkt hatten. Einrollbare Trinkflaschen aus bpa-freiem Silikon für Kinder, hergestellt in Solingen! Das hatte die Welt noch nicht gesehen! Quietschbunt. Orange mit grünem Verschluss. Pink mit blauem Verschluss. Gott, waren die süß! Ich hatte sie an Romys viertem Geburtstag den Kids in die Tütchen mitgegeben. Ich konnte die Anrufe der begeisterten Mütter danach kaum zählen. Drei bestimmt.
Lange und hart hatte ich dafür gearbeitet, der globalisierten Welt zu beweisen, dass mit pinkfarbenen Schleifchen versehene Strings, Dildos in Bananen- oder Gurkenform oder simple Lacklaibchen nicht besser in das Konzept eines modernen Unternehmens passten als aufrichtige Solinger Knautschflaschen. Lange genug hatte ich unter den mitleidigen Blicken von Bärbel, Katrin und Kerstin gelitten, die meinten, mit ihrer 18.00-Uhr-Schicht und den daraus resultierenden Erfolgsprämien etwas Besonderes zu sein. Arrogante Wohlstandssingles waren das.
Ich hatte nur auf meinen Tag gewartet. Und dieser Tag wäre heute gewesen. Montag, 11. März.
Schade eigentlich.
Ich kramte in meiner Tasche nach einer Nagelfeile, denn bei dem wilden Einparkmanöver war mir leider der Nagel meines rechten Zeigefingers abgebrochen. Das beruhigend sägende Geräusch erfüllte mich mit einer gewissen Genugtuung: Endlich konnte ich mir auch mal während meiner Arbeitszeit die Nägel feilen – so wie BKK, Bärbel, Katrin und Kerstin.
Ich war gerade bei einer sympathischen Rundung angekommen, als mich ein unangenehmes Hupgeräusch aus den Gedanken riss.
Sicher, irgendwann musste das ja passieren. Ein Touareg wollte an mir vorbei in seine Parklücke. Allein, was sollte ich tun? Ich konnte doch nichts dafür, dass die Autos immer protziger und die Tiefgaragendurchfahrten immer schmaler wurden. Das war das Gesetz der Ökonomie: Viel Geld provoziert3 viele Autos, und viele Autos provozierten das Verlangen nach viel Platz, den es eben aber leider nicht gab. Jedenfalls nicht, wenn etwas dazwischenkam. So wie jetzt mein Ford.
Ich hatte mich schon oft gefragt, wozu so ein betriebswissenschaftliches Studium im Kern gut war. Während sich mir mit meinem gesunden Menschenverstand durchaus ohne die acht Semester erschloss, wie die Welt funktionierte, wussten die Ökonomen nicht, wer Adorno war, geschweige denn, was das W. seines zweiten Vornamens bedeutete. Dass die trotzdem schneller mehr Geld verdienten, als ich es jemals tun würde, war Teil dieses logischen Systems. Das hatte ich im Grundkurs Philosophie auch erklärt bekommen, den die nie gemacht hatten. Vielleicht lag es daran. Aber ehe ich noch weiter diesen nicht gerade hilfreichen Gedanken nachhängen konnte, wurde ich von einem lauten Klopfen gegen das Fahrerfenster unterbrochen.
»Woll… … her… overnach…?«
Rein akustisch folgte noch ein bisschen mehr, aber die Scheibe war von dem Atem dieses ziemlich großen und ziemlich kräftigen Mannes so beschlagen, dass ich ihm leider nicht weiter von den Lippen ablesen konnte, und ohne diese Hilfe war er kaum zu verstehen. Ich beugte mich nach vorne und klopfte meinerseits von innen gegen die Frontscheibe, um Blickkontakt aufzunehmen. Der Mann hatte verstanden und sah mich wütend an, wobei er seine Schultern mit ausgebreiteten Armen fragend hochzog. Genau das jedoch fiel auch mir nur als Zeichen meiner Ratlosigkeit ein, und ich nehme an, von außen betrachtet sahen wir ziemlich merkwürdig aus, wie wir beide synchron mit den Schultern auf und ab zuckten.
»ICH STECKE HIER FEST!«, rief ich dann sehr laut, und mein Mund machte die entsprechend ausgeprägten Bewegungen dazu. Aber der Mann, der offenbar nicht so gut im Lippenlesen war wie ich, hielt sich nur seinen Zeigefinger ans Ohr und schaute weg. So laut war es doch auch wieder nicht, dachte ich noch, bis ich das schmale Kabel erkannte, das ihm vom Ohr bis unter den Hemdkragen reichte. Das wiederum faszinierte mich. Vielleicht war er ein VIP-Chauffeur, ein Bodyguard, ein Killer, ein Mafioso. Vielleicht würde er mich hier gleich liquidieren, in der spärlich beleuchteten Tiefgarage, UG 2, einfach erschießen. Ich sah schon die Schlagzeilen in der Zeitung von morgen vor mir:
Frau am helllichten Tag hingerichtet!
Je tiefer ich in den Artikel einstieg, desto weniger gefiel er mir allerdings. Wenn das wirklich passierte, wer würde Romy dann vom Kindergarten abholen? Und ich hatte ihr versprochen, an diesem Tag noch mit ihr auf einen Ponyhof zum Reiten zu fahren. Eigentlich zur Feier des Tages, wegen meiner erfolgreichen Präsentation. Aber gut. So oder so hasste ich es, Versprechen zu brechen. Erst recht, wenn sie Romy betrafen. Und erst recht, wenn sie die Freizeitaktivitäten mit Romy betrafen, von denen es ohnehin nur so wenige gab. Ich war nun mal keine Perlen-Paula, die ihre Kinder nur aus Jux und Tollerei in die Fremdbetreuung gab, damit sie endlich mal ungestört zur professionellen Zahnreinigung konnte. Oder um sich mit einer Freundin in einem schicken Straßencafé zum Sekttrinken zu treffen. Ich war eine verantwortungsbewusste, hart arbeitende alleinerziehende Mutter, die keine Freundin hatte und das Schicksal gern auf sich nahm, abends schnaubend und wiehernd durch die Wohnung zu traben, weil ihre juchzende Tochter eben gerade in der Fohlen-Pferd-Phase war. Ich sage nicht, dass ich dieses Schicksal liebte. Ich sage nur: Ich nahm es gerne auf mich. Wenn mich schon der Vater unserer gemeinsam gezeugten Tochter so ziemlich genau drei Minuten vor der Geburt grußlos verlassen und die automatische Tür des Kreißsaals sich just in dem Augenblick schnurrend wieder geschlossen hatte, als ich mit einer letzten, finalen Presswehe meinem Kind das Leben schenkte, hatte ich etwas aufzufangen, wenn nicht wieder gutzumachen. Ich komme jetzt nicht mit so was wie: Romy sollte es eines Tages besser haben! Denn summa summarum hatte ich es eigentlich ganz gut getroffen: Meine Eltern hatten sich zwar kurz vor Romys Geburt getrennt, aber ich hatte von beiden ganz gute Anteile mitbekommen: Meine Mutter liebte ihre Selbstverwirklichung und probierte auch mit ihren siebzig plus noch gern neue Dinge aus. Was wiederum bedeutete, dass ich ziemlich früh auf eigenen Beinen stehen musste.
Und mein Vater liebte fürsorgliche Verbindlichkeit, Stetigkeit und einen sicheren Hafen. Weshalb unser Kontakt seit der Trennung trotzdem nicht über die obligatorischen Weihnachtskarten und Geburtstagsgrüße hinausreichte, war mir in dem Moment gar nicht so ganz klar. Irgendwie fühlte ich mich ihm gegenüber schuldiger als meiner Mutter. Vielleicht weil er so wenig falsch machte … Ich würde darüber nachdenken müssen.
Die Uni brachte ich, zwar nur mit Ach und Krach, aber immerhin, zu Ende und fand den Weg in ein geregeltes Berufsleben. Und alle Versuche, mein Leben auch mal mit einem Therapeuten nachhaltig zu verändern, schlugen fehl. Entweder war ich ein wirklich hoffnungsloser Fall. Oder ich war einfach hoffnungslos normal. Ich tendierte zu Letzterem. Und mindestens genauso gut wie ich sollte es nun auch Romy haben. Nur dass dazu seit dem Einsetzen meiner letzten Wehe mindestens fünfzig naturgegebene Prozent fehlten. Was ich als Herausforderung begriff.
Ich musste also kämpfen. Und das tat ich!
In Windeseile suchte ich in meiner Handtasche nach einem Zettel, wobei ich sehr genau darauf achtete, dass die Taschenöffnung zum Fenster zeigte, nicht dass der Mann mich doch noch erschoss, weil er dachte, ich würde eine Waffe ziehen. Keinesfalls wollte ich wegen falsch verstandener Notwehr mein Leben und meine Tochter verlieren.
Ich fand einen zerknitterten Abholschein der Reinigung, der mich an ein vor acht Wochen abgegebenes Kostüm erinnerte, das mir jetzt allerdings auch egal war. Auf die Rückseite schrieb ich drei Zahlen: 110.
Ich hoffte, dass der Bodyguard schlau genug war, sie zu verstehen. Ich presste die Nummer gegen die Frontscheibe und klopfte erneut. Mir kam es vor, als ob die Luft im Wageninneren langsam schon stickig würde, und allein aus diesem Grund fand ich die Idee mit der Polizei ganz clever.
Der VIP-Mafioso gab mir mit einer abwehrenden Handbewegung zu verstehen, dass er noch mit seinem Knopf im Ohr beschäftigt war, um sich dann aber doch stirnrunzelnd zu mir umzuwenden. Wer je Shrek II gesehen hat, weiß in etwa, was ich meine, wenn ich sage, dass ich versuchte, in dem Moment auszusehen wie der Gestiefelte Kater, als er vor Shrek dem Oger stand und um sein Leben bettelte. Für alle anderen: Ich versuchte extrem verknautscht, demütig und sehr, sehr mitleiderregend zu ihm aufzuschauen.
Ob er mich verstanden oder einfach die Ausweglosigkeit seiner eigenen Situation begriffen hatte, kann ich bis heute nicht sagen, Zumindest aber zeigte er nun doch ein gewisses Maß an hektischer Betriebsamkeit. In meine Richtung machte sich das durch Kopfschütteln und wiederholte beschwichtigende Handbewegungen bemerkbar. In Richtung seines Wagens war das Nicken häufiger zu beobachten als das Kopfschütteln, und erst jetzt wurde mir klar, dass der Touareg-Fahrer nicht allein war. Durch die geschlossenen Scheiben kommunizierte er mit einem Mann im Fond des Wagens, den ich kaum erkennen konnte. Wenn überhaupt, würde ich das, was ich sah, mit groß umschreiben: große Nase, große Augen, große Ohren. Warum die beiden weiter offenbar über den Knopf im Ohr miteinander sprachen, anstatt einfach die Fenster runterzulassen, verstand ich auch nicht. Vielleicht hatten sie ja ein ähnliches Problem wie ich?
So langsam wollte ich wirklich hier raus. Es war inzwischen fast zehn. Wenn ich wenigstens die Polizei anrufen könnte! Ich sah Lutz, meinen Chef, schon vor mir, wie er nur wenige Meter über mir tobend den Flur auf und ablief, Christine, die Sekretärin, zum hundertsten Mal aufforderte, mich auf allen vorhandenen Nummern anzurufen. Und wie sie ihm zum hundertsten Male leider sagen musste, dass nach dem dritten Klingeln überall der Anrufbeantworter ansprang. Ich würde viel zu tun haben, all diese Nachrichten zu löschen, wenn ich denn endlich mal wieder in die Handy-Empfangszone geriet. Wenn ich denn jemals wieder so weit kommen würde …
Meine Hoffnung erstarb, als der VIP-Chauffeur just in diesem Moment in seinen Wagen stieg, kurz und bereits mit dem Rücken zu mir in meine Richtung winkte, um dann mit quietschenden Reifen zurückzusetzen und davon zu brausen. Ich meinte noch den erstaunten Ausdruck im Gesicht eines Mannes auf der Rückbank erhascht zu haben, aber das half mir auch nicht weiter.
Ich war wieder allein. Ich wusste immer noch nicht weiter. Ich war isoliert von meinem ganzen bisherigen Leben und konnte nur hoffen, dass Romy nicht plötzlich einen schlimmen Durchfall bekäme und niemand da wäre, um sich um sie zu kümmern. An meine Präsentation und damit an meinen Job wollte ich gar nicht mehr denken. War eh alles im Eimer.
Ich griff erneut zu dem Salamibrot, biss mit Widerwillen ein zweites Mal hinein und merkte erst jetzt, wie ich nach all den durchgearbeiteten Nächten total müde wurde. Darüber nickte ich dann auch ein.
Von mir aus hätte der Traum noch länger andauern können: Romy und ich galoppierten über eine Wiese und sahen uns dabei lachend an. Sie war auf einem kleinen Pony unterwegs, das statt Beinen Kufen hatte wie ein Schaukelpferd. Unermüdlich trieb sie es an und rief dabei: »Vorwärts, Kyra, vorwärts.« Sie hatte so einen glücklichen Blick , als sie mich ansah. Und ich war es auch, denn ich saß auf einem prachtvollen schwarz-weiß gescheckten Pintohengst. Ein echtes Rassetier! Ich parierte ihn, so gut ich konnte, denn ich wollte meine Tochter gewinnen lassen, aber gleichzeitig genoss ich auch die Kraft des Pferdes, das nur eins wollte: Losgelassen werden!
Wahrscheinlich hatte Pinto mich abgeworfen, denn ich erwachte in einer denkbar ungünstigen Position, halb nach links gekippt durch die plötzlich offene Fahrertür. Und ein unangenehm grelles Licht blendete mich. Was sollte das? Ich blinzelte, konnte aber außer schemenhaft zuckendem Blaulicht nichts erkennen. Um mich zu orientieren, rieb ich mir die Augen.
Und dann hörte ich die Stimme: »Guten Tag. Wir sind angerufen worden. Sie behindern mit Ihrem PKW die Tiefgarage. Können Sie sich ausweisen?«
Jetzt war ich ganz da und wusste nicht, ob ich lachen, weinen, nach Luft schnappen, den Mann umarmen oder ihn wüst beschimpfen sollte.
Auf dem Display meiner Uhr blinkte die grüne Zeitanzeige ein verlässliches 10:35 Uhr.
Ich war gerettet. Das war die gute Nachricht.
Man mag es kaum glauben, aber es dauerte weitere 2,5 Stunden, bis endlich all meine Angaben zu Protokoll genommen waren und vor allem ein tiefgaragentauglicher Abschleppwagen den Weg nach unten gefunden hatte, um mein Auto aus seiner Schieflage zu befreien. Die Aktion klang nicht gut, sie roch nicht gut. Und sie hörte sich auch nicht nach billig an. Aber ich war um die späte Mittagszeit eines gewöhnlichen Hamburger Arbeitstages um die Erkenntnis reicher, dass die modernen Autos sich ganz gern mal selbst verschlossen, aber mit einem einfachen Druck auf die Fernbedienung auch wieder zu öffnen waren. Nicht anders hatte es auch der Polizist mit einem Universalgerät gemacht.
»Quie-quie, hat es gemacht, und die Kiste war offen«, hatte er mir strahlend erklärt und gleich noch zweimal quie-quie gemacht, um mir den Effekt zu zeigen.
Ich konnte das zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr würdigen. Das ganze Gerüst, das ich mir in 41/2 Jahren mühsam aufgebaut hatte, war durch eine kleine, miese, selbstverschuldete Einparkpanne mal eben komplett den Bach runtergegangen.
Romys und mein Leben war getaktet durch mein Auskommen und meine Arbeitszeiten bei Lutz, sprich: Kommtech. Ich war die Call-Center-Vertriebsfrau der U 18.. Ich war nicht auf Karriere aus. Und ich verdiente auch nicht viel Geld. Aber ich hatte jemanden zu beschützen. Jemanden wohlgemerkt, der sich um Strom, Gas, Fernwärme und die Fruchtzwerge-Preise nicht scherte.
Und dann kam dieses Angebot des amerikanischen Inverstors – ich kannte noch nicht einmal seinen Namen. Ich nannte ihn immer nur Mr. Big.
Lutz war ganz aufgeregt auf mich zugekommen und wollte, dass ich einiges vorbereitete. Unsere Chance, sagte er, auf dem amerikanischen Markt Fuß zu fassen. Unsere Chance, mit seinen weltweiten Exklusivvertriebsrechten richtig Reibach zu machen.
Und genau so hatte ich es gemacht. Ich hatte so viele Zahlen, so viele Argumente zusammengetragen. Ich hatte das Ganze abends, wenn Romy schlief, so oft durchgespielt. Ich hatte mir eine Bühne gebaut, den aus der Firma geliehenen Beamer angeschlossen und mir sogar zweimal für 150 Euro einen Präsentationscoach geleistet. Ich war so vorbereitet wie auf sonst nichts in meinem Leben. Und dann das …
Am liebsten wäre ich noch einmal draußen an die Alster gegangen, um richtig tief Luft zu schnappen und hätte die Enten gefüttert.. Hätte mir überlegt, wie ich meine Angst, meinen Job zu verlieren, freundlich-souverän kompensierte, hätte über Strategien nachgedacht, wie ich diesen Fauxpas vielleicht doch noch wiedergutmachen könnte. Aber mir war klar, dass meine Situation keinen weiteren Verzug zuließ. Ich hatte einen Kloß im Hals und Pudding in den Beinen. Ich war enttäuscht und wütend wegen meiner Schusseligkeit, ich hatte Angst um Romy und unsere Zukunft, ich bedauerte, dass ich meine sozialen Kontakte in den vergangenen Jahren so vernachlässigt hatte, dass ich noch nicht mal wusste, wen ich anrufen könnte, jetzt, da mein Handy wieder Empfang hatte. Aber all das nützte nichts. Etwas Schreckliches war passiert, und dem würde ich mich stellen müssen.
Als sich die Fahrstuhltüren im 6. Stock des schicken Bürogebäudes in der Hamburger City öffneten und ich als Erstes in Christines grinsendes Püppchengesicht blickte, wurde mir schlagartig wieder bewusst, dass der wahre Feind nicht immer hinter verschlossenen Türen saß, sondern manchmal auch davor. Christine war nämlich nicht nur der private Vorzimmerdrachen von Lutz, sondern vor allem auch der manikürte best friend von BKK. Und als solcher kam sie mir dann auch.
»Na, Annabel. Das hast du ja gut hingekriegt heute Morgen, hm?«, säuselte sie in ihrem Blonde-Macht-Modus. »Egal, macht ja nichts. Solche Amerikaner sind ja bekannt für ihre Geduld, und wenn man ihnen erklärte, dass deutsche Frauen einfach nicht einparken können, würden sie das schon verstehen.« Sie beömmelte sich geradezu über ihren schlechten Scherz. Klar. Es war ja auch meine Existenz, die gerade nachhaltig ruiniert worden war. Nicht ihre.
»Ach, Christinchen«, erwiderte ich innerlich kollabierend, äußerlich hoffentlich nur zitternd. »Jeder erfüllte Traum ist eine geplatzte Illusion. Das wirst du nicht kennen. Hat was mit Zielen zu tun.«
Ich versuchte, eine bedeutsame Miene aufzusetzen. Ist Lutz allein?«
»Ich weiß nicht, ob er …«
Da öffnete sich auch schon die Tür zum Zentrum der Macht, und Lutz machte eine einladende Bewegung in meine Richtung.
»Ist schon gut, Chris. Hi Anna, komm rein.« Ton neutral. Emotionen unter Kontrolle. Lutz wusste, wie er andere unter Druck setzte.
Ich nickte Christine gnädig zu und betrat mit dem letzten Rest Selbstbehauptung aufrecht Lutz Büro. Einmal drinnen, änderte sich alles an meiner Haltung, als würde man Dominosteine einfach umfallen sehen.
»Na, Annabel«, hob er an und ließ sich dabei auf seinen Chefsessel sinken, die Beine gespreizt, die Hände im Schritt, wie er es immer tat, wenn er absolut Herr der Lage war. »Hätte besser laufen können, oder?«
Ich versank gebückt auf der Ledercouch und hatte keine Kraft mehr, darüber nachzudenken, ob ich diese Gesprächseröffnung demütigend oder freundlich finden sollte. Er hätte mir ja auch gleich meine Papiere geben können. Vorsorglich zog ich ein Taschentuch aus meinem Jackett und zerknibbelte es nervös.
»Hmh«, machte ich nur. Jetzt bloß nicht heulen.
Schweigen.
Ich sah ihn an. »Und jetzt?«
Weiter Schweigen.
»Na, wie lief es denn?«, fragte ich zaghaft, und räusperte mich.
»Gut«, sagte Lutz schließlich aufgeräumt. »Sehr gut sogar.«
Jetzt setzte ich mich auch gerade hin. »Es lief sehr gut?«
»Ja«, erwiderte er fast schon gut gelaunt. »Wir sind weiter im Gespräch.«
»Aber ihr hattet meine Präsentation doch gar nicht.« Ich war ein bisschen verwirrt. Wozu bereitete ich mich denn mühsam und auf eigene Kosten auf so einen Tag vor, wenn es am Ende gar nicht nötig war?
»Na ja, Annabel, ein bisschen was kann ich als Geschäftsführer von Kommtech ja auch zum Geschäft beisteuern, meinst du nicht?« Ein Augenzwinkern. Ich entschied mich langsam für Demütigung, und das missfiel mir. »Und in Sachen Vertrieb machst du mir, mit Verlaub, vielleicht auch nichts vor.«
Ich dachte nach. An die Tiefgarage vorhin, an meine Panik. Was ich alles vorhatte in meinem Leben und letztlich immer wieder verschoben hatte. Wegen des Jobs. Und jetzt lernte ich, dass ich eigentlich auch ein bisschen überflüssig war, wenn es um die ganz großen Dinge ging, zu denen ich glaubte, Wesentliches beigetragen zu haben.
»Okay«, sagte ich, inzwischen auch etwas sicherer, weil ich nicht mehr glaubte, dass Lutz mich noch rausschmeißen würde. »Wie seid ihr denn verblieben?«
»Es wird ein Folgetreffen geben«, antwortete Lutz nur vage. »Und wir schicken ihm deine Präsentation.«
»Okay«, sagte ich wieder. »Gibst du mir seine Mailadresse?«
Lutz grinste mich an, stand auf und fasste mich an die Schulter. »Lass mal. Sag Christine, wo die Datei liegt. Sie erledigt das für dich.« Er ließ mich wieder los und wanderte zu einem halbhohen Lackregal, auf dem er sich abstützte. »Und ich mache dir einen Vorschlag: Nimm zwei Wochen Urlaub, kümmere dich um dein Auto und um deine Tochter. Mach es dir einfach mal schön, und dann reden wir weiter.«
War das jetzt doch ein Rausschmiss? »Lutz«, fragte ich entsprechend ernst. »Bin ich freigestellt? Willst du mich feuern?«
Erstaunt sah er mich an. »Annabel, wie kommst du darauf? Ganz und gar nicht. Ich sagte doch: Der Termin lief super. Ich denke nur, du könntest eine Auszeit gebrauchen, wir treiben derweil das Geschäft mit Adam Fern weiter voran, und dann schauen wir, wo wir in zwei Wochen stehen.«
Irgendetwas an dem Duktus gefiel mir nicht. Gefiel mir überhaupt nicht. Wollte Lutz sich jetzt mein Projekt komplett zu eigen machen, oder was? Andererseits war ich ja ohnehin nicht umsatzbeteiligt. Was also sollte das?
Da ich auf diese Frage keine Antwort finden würde, dachte ich über den Urlaub nach. Im vergangenen Jahr hatte ich tatsächlich zehn Tage verfallen lassen, weil ich so viel zu tun und die Kita keine Schließzeiten hatte. Jetzt war das erste Quartal rum, und ich hatte auch dieses Jahr noch keine Pläne für Romys und meine freie Zeit geschmiedet. Warum also nicht dieses Malheur zum Anlass nehmen? Mir waren doch heute da unten in dem havarierten Auto so viele Dinge durch den Kopf gegangen, die ich alle längst hätte mal tun wollen: alte Kontakte wieder beleben, meinen Vater anrufen, mit Romy reiten gehen … Etwas für uns tun?
Einen kurzen Augenblick fragte ich mich, welchen Anteil die Fremd- und welchen die Eigenbestimmung in meinem Leben eigentlich ausmachten. Und wie ich das eigentlich fand. Aber da war die Antwort auch schon da.
»Bist du sicher, Lutz, dass das in Ordnung wäre? Zwei Wochen Urlaub, und danach sehen wir weiter?«
»Das ist absolut in Ordnung, Annabel«, erwiderte er und streckte mir seine rechte Hand entgegen.
Ich glaubte ihm und schlug ein.
Lutz und ich, wir waren schon ein komisches Gespann, immer irgendwie im Ring, aber am Ende doch auch vertraut. Und deswegen drehte ich mich, die Tür zum Vorzimmer schon geöffnet, nochmals zu ihm um. »Ist es okay, wenn Christine den Urlaubsantrag ausfüllt und ihr die Formalitäten regelt?«
Er rollte kopfschüttelnd mit den Augen. »Chris, hast du gehört?«
Natürlich hatte sie gehört – was für eine Frage?
Lutz nickte mir zum Abschied noch einmal zu, und ich verließ das Büro, ohne mich noch einmal umzudrehen. Christines Blicke brannten mir förmlich im Rücken, als ich den Aufzug nach unten betrat. Während sich die Türen hinter mir schlossen, dachte ich nur, dass der Weg abwärts manchmal der eindeutig bessere sein konnte als der nach oben: Ich wusste noch nicht, was mich erwarten würde, aber ich spürte, dass sich etwas verändern würde. Ich freute mich auf Romy und auf unsere Zeit. Die erste Woche, das beschloss ich bei mir, sollte zunächst mir gehören, die zweite auf jeden Fall uns beiden.
Und so begann mein neues Leben.
Die evangelische Kindertagesstätte lag mitten in der Stadt in einem ziemlich unaufregenden 60er -Jahre-Gebäude. Wirklich sensationell an ihr war der Dachgarten im siebten Stock mit einem spektakulären Blick über die Stadt, fast bis hin zu den Landungsbrücken, wo wir wohnten.
Romy abzuholen war schon immer etwas sehr Besonderes für mich gewesen, vielleicht sogar das Schönste, was wir teilten. Sosehr die Kids ihren Tag auch genießen mochten und sich morgens schon fast genervt von dem Geherze und Geküsse abwandten, so wichtig war es doch, dass sie abends nicht einfach vergessen wurden. Dass jemand kam, dem sie in die Arme fliegen konnten.
Und wie Romy flog! Mit so viel Schwung, dass sie mich neulich mal so umgeworfen hatte, dass ich gegen eines der Kinderwaschbecken prallte und am Hinterkopf mit drei Stichen genäht werden musste.
Aber das war egal. Ebenso egal wie die Auseinandersetzungen, die auf die schönsten Momente folgten: Romy, die sich die Schuhe nicht anziehen will, obwohl es draußen regnet. Die sich im Badezimmer versteckt, obwohl ich im absoluten Halteverbot stehe. Die zu Hause noch die Simpsons gucken will, obwohl sie das schon gestern und vorgestern getan hat. Ein Nein hieß Stress. Und ein Ja hieß alarmierendes pädagogisches Fehlverhalten. Damit war der Zauber ganz schnell vorbei, und ich merkte wieder, wie müde ich war.
An diesem Tag war allesanders.
»Wir fahren heute mit dem Bus nach Hause!«, verkündete ich, als ich mich aus der Umarmung meiner Tochter gelöst hatte.
»Mit dem Bus?«
»Genau. Mamas Auto ist kaputt. Das muss erst repariert werden.«
»Oh«, machte Romy. »Ist das beim Doktor? Hat das Husten?«
Ich liebte diese Fragen.
»So ähnlich. Der Boden hat ein Loch. Eventuell.«
Eventuell ist keine Aussage für eine 41/2jährige.
»Dann müssen wir ein Pflaster kaufen. Damit es wieder gesund wird.«
Der Vorschlag leuchtete mir ein, und durch den Kauf von Kinderpflastern in der Apotheke nebenan und der Fahrt mit dem Bus kamen wir tatsächlich an der Diskussion mit dem Fernsehen vorbei