Rosecliff - Band 2: Der Ritter und die schöne Rächerin - Rexanne Becnel - E-Book
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Rosecliff - Band 2: Der Ritter und die schöne Rächerin E-Book

Rexanne Becnel

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Beschreibung

Die Liebe überwindet jeden Hass: »Rosecliff – Der Ritter und die schöne Rächerin« von Romance-Queen Rexanne Becnel jetzt als eBook bei dotbooks. Wales, 1144. Die junge Rebellin Rhonwen hat den Engländern, die ihre Eltern auf dem Gewissen haben, Rache geschworen. Als Erster soll Jasper Fitz Hugh, dessen Bruder über Rosecliff Castle herrscht, ihren Zorn zu spüren bekommen. Doch als die heißblütige Waliserin sich mit gezücktem Messer auf ihn stürzt, überwältigt der englische Ritter sie und macht sie zu seiner Gefangenen. Rhonwen soll als Lockvogel dienen, um die übrigen walisischen Rebellen zu entlarven. Aber je näher die beiden sich kommen, desto mehr wandelt glühender Hass sich in Funken der Leidenschaft. Und so rückt der schicksalshafte Tag immer näher, an dem sie sich entscheiden muss, wofür ihr Herz wirklich schlägt: für die Freiheit ihrer Heimat – oder für Jasper … Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Rosecliff – Der Ritter und die schöne Rächerin« ist der zweite Band der Rosecliff-Saga von der Bestsellerautorin historischer Liebesromane, Rexanne Becnel. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 412

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Über dieses Buch:

Wales, 1144. Die junge Rebellin Rhonwen hat den Engländern, die ihre Eltern auf dem Gewissen haben, Rache geschworen. Als Erster soll Jasper Fitz Hugh, dessen Bruder über Rosecliff Castle herrscht, ihren Zorn zu spüren bekommen. Doch als die heißblütige Waliserin sich mit gezücktem Messer auf ihn stürzt, überwältigt der englische Ritter sie und macht sie zu seiner Gefangenen. Rhonwen soll als Lockvogel dienen, um die übrigen walisischen Rebellen zu entlarven. Aber je näher die beiden sich kommen, desto mehr wandelt glühender Hass sich in Funken der Leidenschaft. Und so rückt der schicksalshafte Tag immer näher, an dem sie sich entscheiden muss, wofür ihr Herz wirklich schlägt: für die Freiheit ihrer Heimat – oder für Jasper …

Über die Autorin:

Rexanne Becnel ist gefeierte Autorin zahlreicher historischer Liebesromane. Während mehrerer Aufenthalte in Deutschland und England in ihrer Jugend begeisterte sie sich so sehr für mittelalterliche Geschichte, dass sie Architektur studierte und sich für den Denkmalschutz mittelalterlicher Gebäude einsetzt. In ihren Bestseller-Romanen haucht sie der Geschichte auf ganz andere Art neues Leben ein. Sie lebt glücklich verheiratet in New Orleans.

Bei dotbooks erscheinen auch:

»Die Sehnsucht des Lords«

»Das Verlangen des Ritters«

»Der Pirat und die Lady«

»Das wilde Herz des Ritters«

»Ein ungezähmter Gentleman«

»In den Armen des Edelmanns«

»Rosecliff – Band 1: Der Ritter und die zarte Lady«

»Rosecliff – Band 3: Der Ritter und die stolze Geisel«

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Aktualisierte eBook-Neuausgabe März 2021

Dieses Buch erschien bereits 2017 unter dem Titel »Rosecliff – Der Ritter« bei dotbooks.

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1999 unter dem Originaltitel »The Knight of Rosecliffe« bei St. Martin’s Press, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2002 unter dem Titel »Der Ritter von Rosecliff« bei Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1999 by Rexanne Becnel

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2002 Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/kiuikson, Sinead_photography

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96148-166-8

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Rexanne Becnel

Rosecliff – Der Ritter und die schöne Rächerin

Roman

Aus dem Amerikanischen von Alexandra von Reinhardt

dotbooks.

Für meinen Brian und meine KatyaIhr seid jetzt erwachsen,aber in meinem Herzen werdet ihr immerKinder bleiben.

Prolog

»Wenn Steine wachsen wie sonst nur Bäume, Wenn der Mittag schwarz ist wie die Nacht, Wenn Hitze die Kälte des Winters bezwingt, Bricht der Tag an, an dem Cymru fällt.«

Walisisches Wiegenlied

Nordwales, zwischen Carreg Du und Afon Bryn, Mai 1139

Rhonwen sah das Kaninchen und blieb regungslos stehen. Warum lief es nicht weg? Sie schaute sich misstrauisch auf der stillen Waldlichtung um, hielt Ausschau nach irgendwelchen Raubtieren oder Menschen. Als ihr nichts Verdächtiges auffiel, stellte sie ihren Weidenkorb vorsichtig ab und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Kaninchen zu, das einen kleinen Sprung machte, dann wie verrückt im Kreis durch das junge Farnkraut hopste und schließlich erschöpft aufgab.

Es war in einer Schlinge gefangen.

An fremden Fallen durfte man sich nicht vergreifen, das wusste Rhonwen genau. In schlechten Zeiten – so wie jetzt – galt es sogar als Verbrechen. Trotzdem würde dies weder das erste noch das letzte Mal sein, dass sie das Gesetz brach. Wenn man Hunger hatte, traten Moral und Ehre in den Hintergrund.

Langsam näherte sie sich dem gefangenen Kaninchen und redete beruhigend auf das Tierchen ein. »Hab keine Angst, mein Freund. Ich werde dich befreien ...« Du wirst einen herrlichen Schmorbraten abgeben, fügte sie in Gedanken hinzu, und ihr Magen knurrte zustimmend. Es war ein langer, harter Winter gewesen, und sie hatte fast vergessen, wie Fleisch schmeckte.

Ihr lief das Wasser im Munde zusammen, während sie geschickt die Schlinge löste, die ein Hinterbein des Kaninchens einschnürte, und das Tier in ihrem Korb verstaute. Schlachten würde sie es anderswo. Jetzt musste sie schnell von hier verschwinden, bevor der Fallensteller sie ertappte.

Obwohl die Sonne von einer dichten schiefergrauen Wolkendecke verhüllt wurde, konnte Rhonwen vage erkennen, dass der Himmelskörper sich schon dem westlichen Horizont näherte. Sie hatte sich weiter als gewöhnlich vom Dorf entfernt, doch mit ein wenig Glück würde sie vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein. Behände rannte sie einen steilen Hügel hinab, rutschte einige Male auf den glatten dunklen Kieselsteinen aus, konnte aber immer das Gleichgewicht halten. Aber das Glück blieb ihr nicht hold. Sie hatte den Fluss fast erreicht, den sie auf einem umgestürzten Baum überqueren wollte, als ein Stein dicht an ihrem linken Ohr vorbeiflog.

»Gib mir mein Kaninchen zurück, wenn du nicht willst, dass der nächste Stein deinen Kopf trifft!«

Eine helle Kinderstimme ... Rhonwen atmete erleichtert auf. Von einem Jungen hatte sie nichts zu befürchten, auch wenn er sich sehr wütend anhörte. Sie rannte weiter, ignorierte einen Stein, der ihre Schulter streifte, bahnte sich einen Weg durch das Weidengestrüpp am Ufer, stolperte über eine Wurzel und fiel hin, kam aber schnell auf die Beine. Ausgerechnet in diesem Moment traf ein Stein mit voller Wucht ihre Wange.

»Aua! Autsch!« Rhonwen stürzte wieder und landete dieses Mal im eiskalten Wasser. Sie ließ ihren Korb los, und das Kaninchen nutzte seine Chance, sprang hinaus und hüpfte davon. Gleichzeitig kam der Junge atemlos und fluchend angerannt.

»Verdammt, das war mein Kaninchen! Jetzt ist es weg, und das ist deine Schuld!«

Er war zerlumpt und sehr schmutzig. Seine dunklen Augen funkelten vor Zorn, was Rhonwen gut verstehen konnte. Sie hatte den Leckerbissen, von dem er bestimmt genauso wie sie geträumt hatte, gestohlen und dann auch noch entkommen lassen ... Doch sie war selbst viel zu frustriert, um Gewissensbisse zu haben. Ihre Wange schmerzte, und sie fror erbärmlich im kalten Wasser. Dieser magere Bursche täte gut daran, sie nicht weiter zu ärgern, sonst würde sie ihn im Fluss ertränken!

Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und sie rümpfte die Nase, während sie ans Ufer watete. »Du bist Rhys ap Owain, stimmt's? Und du stinkst heute noch schlimmer als bei unserer letzten Begegnung! Geh mir aus dem Weg!«

Mit ihren vierzehn Jahren fühlte Rhonwen sich ihm sehr überlegen. Sie war schon fast eine Frau, er hingegen nur ein schmächtiger Junge, was ihn freilich nicht daran hinderte, frech aufzutreten.

»Und du bist das Weibsstück Rhonwen!«, fauchte Rhys. »Das diebische Luder aus Carreg Du.« Er schnappte sich ihren Weidenkorb. »Du hast mein Kaninchen gestohlen, und als Entgelt nehme ich den Korb mit.«

»Der gehört mir! Gib ihn sofort her!«

Rhonwen rannte auf ihn zu, aber er wich geschickt aus. »Du bekommst ihn zurück, wenn ich von dir mein Abendessen zurückbekommen habe!«

»Du schmutziger kleiner Bastard!«, fluchte sie. »Ich werde dich lehren, in Zukunft besser zu überlegen, bevor du Steine wirfst!« Doch es gelang ihr nicht, ihn einzuholen. Er tänzelte vor ihr am braunen Flussufer entlang, immer nur um Haaresbreite entfernt. Einmal bekam sie seinen Kittel zu fassen, aber der Stoff zerriss, und sie stand nur mit einem Fetzen Wolle in der Hand da, völlig außer Atem, mit funkelnden Augen.

»Du hast dich nicht mehr gewaschen, seit ich dir vor fünf Jahren ein Bad verabreicht habe, stimmt's?«, keuchte Rhonwen. »Kein Wunder, dass du in den Wäldern lebst. So wie du stinkst, würde niemand es unter einem Dach mit dir aushalten.«

»Ich lebe in einem schönen, sehr gemütlichen Haus«, behauptete Rhys und schwenkte provozierend ihren Korb hin und her. »Meriel wird sich über diesen Korb freuen, obwohl das Kaninchen ihr lieber gewesen ...«

Er verstummte plötzlich und schaute nach rechts. Das nutzte Rhonwen aus, um sich auf den Jungen zu stürzen. Er fiel hin, sie drückte ihn mit ihrem Gewicht zu Boden und konnte ihm den Korb entreißen. Allerdings war er stärker, als sie gedacht hatte, und bevor sie wusste, wie ihr geschah, drehte er den Spieß um, wälzte sich auf sie und nahm sie gefangen.

»Sei still!«, zischte Rhys, als sie an seinen Haaren zerrte und ihm ein Knie in den Unterleib zu rammen versuchte, was ihr freilich nicht gelang, weil ihre nassen Röcke an den Beinen klebten und ihre Bewegungsfreiheit erheblich einschränkten.

»Sei still«, wiederholte er leise. »Hör auf, dich zu wehren, Rhonwen, Dort drüben sind Engländer – englische Soldaten!«

Englische Soldaten ...

Das brachte Rhonwen sofort zur Vernunft und machte Rhys zu ihrem Verbündeten. Wenn es um den gemeinsamen Feind – die Engländer – ging, mussten alle Waliser zusammenhalten! Seite an Seite suchten die beiden Kinder hinter einer knorrigen Erle Schutz und starrten ängstlich zum anderen Ufer hinüber. Die Soldaten tränkten ihre Pferde und erfrischten auch sich selbst mit dem kalten Wasser. Ihre Stimmen wurden vom Rauschen des Flusses übertönt, so dass Rhonwen und Rhys nicht verstehen konnten, was gesprochen wurde.

Wegrennen kam nicht in Frage, denn die Reiter könnten sie mühelos einholen und töten, wenn ihnen der Sinn danach stand. Doch Rhonwen konnte sich ein noch schlimmeres Schicksal vorstellen: ihre keimenden Brüste, auf die sie normalerweise sehr stolz war, würden die schändlichen Engländer bestimmt veranlassen, sie zu vergewaltigen! Zitternd und mit rasendem Herzklopfen schmiegte sie sich an den Jungen, den sie noch vor wenigen Minuten abgrundtief gehasst und verachtet hatte.

»Das ist er«, hörte sie Rhys flüstern.

»Er? Meinst du Randulf Fitz Hugh, den Lord von Rosecliff?«

»Nein, es ist sein Bruder Jasper Fitz Hugh – der Mann, der meinen Vater umgebracht hat!«

Rhonwen warf ihm einen Seitenblick zu. Auch ihr eigener Vater war von Engländern getötet worden. Sie hatte ihn als freundlichen Mann in Erinnerung, der hart arbeitete, um für seine Familie sorgen zu können. Hingegen war Rhys' Vater fast noch schlimmer als die Engländer gewesen, ein grausamer Mann, der in seinem Fanatismus, Wales vor der Fremdherrschaft zu retten, vor keiner Schandtat zurückschreckte.

Doch dies war nicht der geeignete Zeitpunkt, Rhys darauf hinzuweisen, dass Owain ap Madoc weder ein guter Anführer seiner Landsleute noch ein guter Vater gewesen war. Im Moment war er ihr Verbündeter gegen Jasper Fitz Hugh, den sie zwar seit Jahren nicht gesehen hatte, aber mühelos erkannte.

Er war groß und muskulös, hatte braune Haare und das attraktive Gesicht eines Teufels, der ahnungslose Menschen zum Sündenfall verführen wollte. Alle Frauen im Dorf redeten über ihn – aber nur, wenn ihre Ehemänner nicht in der Nähe waren und wenn sie glaubten, dass auch keine Kinder zuhörten. Doch Rhonwen hatte sie oft heimlich belauscht, und was sie dabei über Jasper Fitz Hugh erfahren hatte, reichte völlig aus, um ihn in ihren Augen zu einer Ausgeburt der Hölle zu machen.

Schlimm genug, dass er ein Engländer war. Alle Engländer waren Ungeheuer!

Schlimm genug, dass er ein Mann war. Alle Männer waren Angeber und Tyrannen!

Allerdings musste sie der Gerechtigkeit halber zugeben, dass es nicht seine Schuld war, als Mann und Engländer auf die Welt gekommen zu sein. Gott hatte es so gewollt ...

Hingegen trug nur er selbst die Verantwortung für sein skandalöses Benehmen: er war ein berüchtigter Trinker, Spieler und Weiberheld. Es wurde gemunkelt, dass er einst auf Wunsch seines Vaters Priester werden sollte, wegen seiner schwarzen Seele jedoch von den frommen Männern der Kirche nicht angenommen worden sei. Seitdem hurte er völlig hemmungslos herum, meistens mit Waliserinnen, denn die wenigen Engländerinnen auf Rosecliff waren verheiratet.

Rhonwen beobachtete Jasper Fitz Hugh aus der Ferne und versuchte vergeblich zu verstehen, wie eine Waliserin sich derart erniedrigen konnte, mit einem Engländer zu schlafen. Ein walisischer Mann – sogar einer, der immer so schlechte Laune wie ihr Stiefvater hatte war immer noch einem englischen Ritter vorzuziehen, ganz egal, wie attraktiv dieser sein mochte.

»Eines Tages werde ich ihn umbringen!«, murmelte Rhys erbittert.

»Ich werde dir dabei helfen«, erwiderte Rhonwen genauso leise. »Aber nur, wenn du vorher ein Bad nimmst.«

»Ich brauche weder ein Bad noch die Hilfe eines Mädchens!«

Unten am Fluss ließ Jasper Fitz Hugh seine Blicke über das felsige Tal schweifen. Er hatte es eilig, nach Rosecliff Castle zurückzukehren, denn ihm war zu Ohren gekommen, dass die beiden Töchter des Architekten Sir Lovell bald ankommen würden, und er hatte seit dem St.-Crispins-Fest vor einem halben Jahr keine Gelegenheit gehabt, eine Engländerin zu vernaschen. Natürlich musste er vorsichtig ans Werk gehen, um nicht versehentlich ein unschuldiges Mädchen zu entjungfern – er wollte sich nicht den Zorn seines Bruders Rand zuziehen. Aber er hoffte, dass wenigstens eine der Töchter des Baumeisters schon gewisse Erfahrungen im Bett gesammelt hatte.

An Jaspers Sattel hing ein Weinschlauch, und er gönnte sich einen großen Schluck Rotwein. Doch während er sich den Mund abwischte, hatte er plötzlich das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Jemand versteckte sich am anderen Ufer zwischen den Bäumen und Felsen! Als er genauer hinschaute, konnte er zwei Köpfe erkennen, die viel zu klein waren, um Männern zu gehören. Kinder?

Jasper entfernte sich ein wenig von seinen Begleitern, so als wollte er seine Notdurft verrichten, hob blitzschnell einen Stein auf und schleuderte ihn gegen die Felsen. Der Erfolg war verblüffend: zwei Gestalten rannten wie aufgeschreckte Kaninchen den Hügel hinauf, ein Junge und ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren, die im Wind flatterten.

Dieser Anblick brachte Jaspers Gefährten zum Lachen. »Sollen wir sie schnappen?«, schlug Alan, einer der Ritter, vor.

Jasper schüttelte den Kopf. »Nein, es sind ja nur harmlose Kinder.«

»Sie werden aber nicht immer Kinder bleiben!«, schnaubte Alan.

Damit hatte der Mann zweifellos Recht, doch Jasper glaubte die mahnende Stimme seines Bruders Rand zu hören, der einen dauerhaften Frieden zwischen Engländern und Walisern anstrebte. »Nein«, entschied er deshalb energisch. »Wenn wir die Kinder der Einheimischen terrorisieren, bringen wir ihre Eltern gegen uns auf, und das wollen wir auf gar keinen Fall. Auf geht's nach Rosecliff, meine Freunde! Ich habe die Gesellschaft von Männern gründlich satt! Was ich brauche, ist eine Frau!«

Teil I

»Ich bekränzte sie mit Rosen, sie mich mit Dornen.Ich wollt sie beglücken,und sie wünschte meinen Tod.«

Mittelalterliches Liebeslied

Kapitel 1

Rosecliff Castle, Nordwales, 3. April 1144

Jasper Fitz Hugh hatte es sich in einem Lehnstuhl aus edlem Holz bequem gemacht und seine langen gestiefelten Beine ausgestreckt. Während er einen Schluck Wein trank, beobachtete er über den Becherrand hinweg seinen Bruder Rand. Kurz nach dem Mittagessen war ein Kurier eingetroffen – ein Kurier von Simon Lamonthe.

Jasper wusste, dass Rand diesem Mann nicht traute, der sich als Repräsentant von Matilda, der Tochter des vor einigen Jahren verstorbenen Königs Heinrich, ausgab. Sie behauptete, ihr Vetter – der jetzige König Stephan – hätte ihr und ihrem Sohn den Thron gestohlen, und die Lords der Grenzgebiete sollten ihr dabei helfen, ihre Ansprüche durchzusetzen und an die Macht zu gelangen.

Wie würde Rand auf diesen Appell reagieren?

Der Herr von Rosecliff lief rastlos in der großen Halle hin und her. Sein langer, dunkler Schatten huschte über die Kinder hinweg, die auf einem Teppich vor dem prasselnden Kaminfeuer spielten. Sie schauten kurz auf und schenkten ihm ein vertrauensvolles Lächeln. Rand war ein Ritter, den Freunde bewunderten und Feinde zu Recht fürchteten. Seine drei Kinder sahen in ihm aber nur den liebevollen, gütigen Vater.

Jasper stieß einen schweren Seufzer aus und nippte wieder an seinem Rotwein. Er war jetzt seit zehn Jahren in Rosecliff, arbeitete zehn Jahre im Schatten seines Bruders. Und obwohl er wusste, dass er Rand auf dem Feld der Ehre ebenbürtig – wenn nicht sogar überlegen – war, befriedigte ihn das nicht mehr. Er hatte ein gemütliches Zuhause, an willigen Frauen herrschte kein Mangel, die Jagdgründe ließen nichts zu wünschen übrig, und die Bierbrauerin von Rosecliff zauberte aus Hopfen, Malz und Gerste einen wahren Zaubertrank. Trotzdem fehlte ihm irgendetwas ...

»Nein, nein!« Gwendolyns schriller Schrei durchbrach jäh die Abendstille. »Mir gehören tut!«, kreischte die Dreijährige.

»Hau ab!«, befahl Gavin und hinderte seine jüngere Schwester daran, nach den Steinen zu greifen, mit denen er und Isolde spielten.

»Gehört mir!«, beharrte Gwendolyn, aber ihr siebenjähriger Bruder schob sie mühelos beiseite.

»Du kannst nicht mitspielen. Du bist noch viel zu klein.« An Isolde gewandt, fügte er hinzu: »Du bist dran.«

»Mama!«, brüllte Gwendolyn. Doch Josselyn hielt sich im oberen Stockwerk auf und brachte einem ihrer Dienstmädchen den Umgang mit dem Webstuhl bei.

»Komm zu mir, Gwennie.« Isolde breitete tröstend die Arme aus und zog das weinende Kind auf ihren Schoß. »Du kannst mir beim Spielen helfen. Einverstanden?«

Die Kleine war mit dieser Lösung zufrieden, zumal ihr Vater sich bückte und zärtlich über das dunkle Lockenköpfchen strich. Jasper schaute zu und dachte neidisch, dass Rand wirklich Glück gehabt hatte: er besaß eine Frau, die ihn abgöttisch liebte, drei reizende Kinder und eine uneinnehmbare Festung, die Josselyn in ein gemütliches Heim verwandelt hatte.

Nicht dass Jasper sich jemals Frau und Kinder gewünscht hätte. Er genoss sein unbeschwertes Leben als Junggeselle, der tun und lassen konnte, was er wollte. Nur manchmal, so wie jetzt ... Schnell verdrängte er solche Gedanken und leerte den Weinbecher. Er brauchte keine Familie, aber er musste endlich seinen eigenen Platz in der Welt finden. Die Burg seines Bruders hatte er immer als bloße Zwischenstation betrachtet, doch nun lebte er schon seit zehn Jahren hier. Höchste Zeit, neue Wege einzuschlagen ...

Er stand auf und ging zu Rand hinüber, der seine spielenden Kinder beobachtete. »Ich würde dich gern in Bailwynn vertreten.«

Sein Bruder warf ihm einen erstaunten Blick zu. »Du willst mit Matildas Repräsentanten verhandeln?«

»Warum nicht? Aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich ebenso wie du für ihre Sache kämpfen müssen.«

Rands Miene verdüsterte sich. »Ich möchte nicht in diesen Streit um die Erbfolge verwickelt werden, das weißt du doch.«

»Das wird sich nicht vermeiden lassen, befürchte ich.«

»Vielleicht nicht, aber ich kann versuchen, meine eigenen Leute so lange wie irgend möglich von Schlachtfeldern fern zu halten. Ich habe Rosecliff nicht erbaut, um Kriege zu führen, sondern um in dieser Gegend den Frieden zu gewährleisten.«

Jasper zuckte mit den Schultern. »Du hast keinen Einfluss auf die Auseinandersetzungen im Königshaus.«

Rand schüttelte den Kopf. »Immerhin kann ich zu Vernunft und Zurückhaltung raten, und deshalb muss ich persönlich bei der Versammlung in Simon Lamonthes Burg anwesend sein.«

Er warf Lamonthes Schreiben auf einen Tisch und wollte die Halle verlassen, doch Jasper packte ihn am Arm.. »Du hast nicht die geringste Lust zu dieser Reise – im Gegensatz zu mir. Warum willst du mich nicht mit dieser Mission beauftragen? Vertraust du mir nicht?«

»Du missverstehst meine Motive. Natürlich vertraue ich dir«, erwiderte Rand ruhig. »Es ist Lamonthe, dem ich nicht über den Weg traue. Er ist machthungrig, und als Lord von Rosecliff werde ich ihn leichter in seine Schranken weisen können als du.«

Der begütigende Ton seines Bruders brachte Jasper noch mehr in Rage. »Und was soll ich hier machen? Weiterhin vergeblich versuchen, die verdammten walisischen Rebellen in den Wäldern aufzustöbern? Dabei erschrecke ich doch meistens nur harmlose Jäger, Holzfäller und spielende walisische Bälger ...«

Rands eisiger Blick brachte ihn jäh zur Besinnung. »Das war nicht abfällig gemeint«, versicherte er hastig. »Du weißt doch genau, dass ich meine Nichten und meinen Neffen niemals beleidigen würde. Herrgott, ich liebe sie, so als wären es meine eigenen Kinder.«

»Vielleicht solltest du dich fragen, ob du nicht der Vater etlicher ›walisischer Bälger‹ bist«, sagte Rand streng. »Du bist mit deinem Samen nicht gerade sparsam umgegangen ...« Er schüttelte den Kopf und kehrte zum Ausgangsthema zurück. »Nein, Bruder, du wirst auf Rosecliff bleiben und Josselyn und die Kinder beschützen. Ich vertraue sie dir an, weil ich weiß, wie sehr du an ihnen hängst, obwohl sie walisisches Blut in sich haben. Glaub mir, es gibt keinen Menschen, dem ich mehr vertraue als dir.«

Jasper war beleidigt über die Anspielung auf seinen ausschweifenden Lebenswandel, aber er zweifelte nicht an der Aufrichtigkeit von Rands Worten. Wenn er in ihm nur einen verantwortungslosen Burschen sähe, würde er ihm niemals seine Frau und Kinder anvertrauen, die er über alles liebte.

Würde er selbst jemals eine so tiefe, leidenschaftliche Liebe für jemanden empfinden – für eine Frau, für eigene Kinder? Manchmal wünschte er es sich, bezweifelte aber, dass irgendeine Frau ihn für immer fesseln könnte. Es hatte durchaus große Vorteile, frei und ungebunden zu sein ...

Rand klopfte ihm auf den Rücken, vergaß seinen Bruder jedoch völlig, als Josselyn die Treppe hinabkam. In seinen Augen stand die Liebe geschrieben, die in zehn Ehejahren stetig gewachsen war. Und Josselyn lächelte ihrem Mann so zärtlich zu, dass es Jasper einen Stich der Eifersucht versetzte.

Er gestand sich ein, dass er dieses glückliche Paar beneidete. Vielleicht wurde es für ihn doch allmählich Zeit zu heiraten. Doch hier in den Hügeln von Nordwales würde er niemals eine geeignete Partnerin finden. Er kannte alle Frauen dieser Gegend und hatte mit vielen von ihnen reizvolle Stunden verbracht, doch nie sein Herz verloren.

Während Rands Abwesenheit würde er Rosecliff nach besten Kräften beschützen, aber nach der Rückkehr seines Bruders musste er dann mit ihm ernsthaft über seine Zukunft sprechen. Vielleicht sollte er ihren ältesten Bruder John auf dessen Familiensitz in Aslin besuchen. Dort hätte er ganz bestimmt Gelegenheit, reiche Erbinnen kennen zu lernen. Und nachdem er nun schon seit zehn Jahren in diesem öden Grenzgebiet lebte, würde ein Ortswechsel ihm sicher sehr gut tun.

Als die Glocken der Burgkapelle am nächsten Morgen zur ersten Gebetstunde läuteten, nahm Rand Abschied von seiner Familie. Bailwynn, Simon Lamonthes Festung am Divernn River, war drei Tagesritte von Rosecliff entfernt. Acht Ritter und ein Dutzend Fußsoldaten würden ihn zu dem Treffen begleiten.

Mit Gwendolyn in den Armen schmiegte Josselyn sich ein letztes Mal an ihren Mann. »Schwöre mir feierlich, Liebster, dass du vorsichtig sein wirst. Lamonthe ist kein Mann, dem man vertrauen darf.«

»Ich schwöre es«, versicherte Rand und wandte sich Jasper zu, auf dessen Schultern Gavin ritt, während die neun Jahre alte Isolde den Arm ihres Onkels umklammerte. Rand grinste. »Wie ich sehe, ist es überflüssig, dich zu bitten, gut auf meine Familie aufzupassen.«

»Gavin und ich werden dafür sorgen, dass kein Schurke sich in die Nähe von Rosecliff wagt, stimmt's, Gav?« Jasper kitzelte den kleinen Jungen, der kichernd sein Holzschwert schwenkte.

»Jawohl, wir werden jedem Angreifer den Garaus machen!«, beteuerte er.

»Mein Sohn, sei nett zu deinen Schwestern und gehorche deinem Onkel.«

»Du kannst dich auf mich verlassen, Vater.«

»Ich werde dieses Treffen mit anderen Lords auch dazu nutzen, eine geeignete Pflegefamilie für dich zu finden.«

Gavin krähte vor Begeisterung, doch Josselyn runzelte die Stirn. Jasper wusste, dass sie die normannische Sitte, Söhne zur Ausbildung in fremden Häusern unterzubringen, als unmenschlich ablehnte. Das war einer der wenigen Streitpunkte zwischen ihr und ihrem Mann. Rand hatte seiner walisischen Frau zuliebe im Laufe der Jahre viele Zugeständnisse an die Waliser gemacht, die in seinem Herrschaftsbezirk lebten, er hatte sich in so mancher Hinsicht ihren Gewohnheiten angepasst, aber dieses Mal war er fest entschlossen, seinen Willen durchzusetzen.

Rand küsste seine Töchter und schüttelte seinem Sohn feierlich die Hand. Seine letzten Worte vor dem endgültigen Aufbruch waren an Jasper gerichtet. »Du solltest wirklich heiraten, Bruderherz. Es ist ein Jammer, dass ein Mann,. der so gut mit Kindern umgehen kann, keine eigenen hat.«

Gleich darauf donnerten Pferdehufe über die Zugbrücke. Die Waffen und Rüstungen der Ritter funkelten in der Morgensonne, Dohlen und Waldschnepfen verliehen ihrer Freude über den warmen Tag lautstark Ausdruck, und aus dem Steinbruch jenseits der westlichen Mauern war das übliche Klopfen und Hämmern zu hören.

»Sollen wir auf den Wehrgang steigen?«, schlug Isolde vor. »Von dort aus können wir genau sehen, wie Papa durch die Stadt und dann am domen vorbei reitet.«

Gavin rannte sofort los, um als Erster am Ziel zu sein, und Gwendolyn trabte auf ihren kurzen Beinchen hinterher. Isolde folgte ihren Geschwistern gemessenen Schrittes – in letzter Zeit wollte sie sich wie eine Dame bewegen. Jasper blickte ihr nach, aber es war Josselyn, die seine Gedanken in Worte fasste.

»Rand will auf seiner Reise auch Ausschau nach einem passenden Ehemann für Isolde halten«, sagte sie bekümmert.

Jasper zuckte mit den Schultern. »Na ja, irgendwann wird sie heiraten müssen. Es kann nichts schaden, sich frühzeitig nach geeigneten Kandidaten umzusehen.«

»Sie ist doch erst neun! Ich werde eure gottverfluchten englischen Sitten und Gebräuche nie verstehen.«

Jasper legte ihr grinsend beide Hände auf die Schultern. »Aber unsere englischen Flüche und Schimpfwörter hast du dir mühelos angeeignet.«

Unwillkürlich musste Josselyn lachen. »Ich habe nie behauptet, dass ihr Engländer nur schlechte Angewohnheiten habt. Hätte ich sonst deinen Bruder geheiratet?« Dann wurde sie wieder ernst. »Ich kann einfach den Gedanken nicht ertragen, dass meine Kinder eines nicht allzu fernen Tages Rosecliff verlassen werden.«

»Gavin wird zurückkehren und später Herr auf Rosecliff sein. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass die beiden Mädchen in dieser Gegend passende Ehemänner finden.«

»Rand sagt, Gwendolyn könnte notfalls auch den Sohn von einem seiner Ritter heiraten. Doch für seine ältere Tochter – seine Erstgeborene – muss es unbedingt ein Mann aus allerhöchsten Kreisen sein. Aber ich werde Isolde nicht zu früh hergeben ... und sie soll auch nicht in weiter Ferne von uns leben.« Seufzend schaute sie zu ihrem Schwager auf. »Meiner Ansicht nach wäre es viel vernünftiger, wenn Rand nach einer geeigneten Braut für seinen kleinen Bruder Ausschau halten würde!«

»Oho! Willst du mich unbedingt los sein?«

»Du weißt genau, wie gern wir alle dich haben. Nichts würde dich daran hindern, mit deiner Frau hier auf Rosecliff zu leben.«

»Hast du vergessen, dass ich ein landloser Ritter bin? Wenn ich mich schon für ein ganzes Leben an eine einzige Frau binden soll, müsste sie wenigstens eine reiche Erbin sein.«

Josselyn schüttelte mitleidig den Kopf. »Oh, ihr Engländer! Ich hatte gehofft, dass du jetzt lang genug in Wales lebst, um gelernt zu haben, dass man eine Ehe nicht nur aus politischen oder materiellen Gründen schließen sollte. Du bist nicht zufrieden, Jasper, das sehe ich dir an. Ist dir noch nie in den Sinn gekommen, dass du keinen Grundbesitz, sondern Liebe brauchst, um deinen Seelenfrieden zu finden?«

Liebe? Eine Antwort auf diese schwierige Frage blieb Jasper erspart, weil Gavin vom Wehrgang aus schrie: »Ich kann Vater sehen! Er näh t sich dem domen. Ich kann sogar Newlin sehen!«

»Um Himmels willen, Kind, lehn dich nicht so weit hinaus!« Erschrocken beobachtete Josselyn ihren grinsenden, fröhlich winkenden Sohn. »O Gott, dieser Lümmel beschert mir jeden Tag ein neues graues Haar!«, stöhnte sie.

»Sobald er in einer Pflegefamilie lebt, wirst du dir keine Sorgen mehr um ihn zu machen brauchen.«

Josselyn warf ihrem Schwager einen erbosten Blick zu. »Du hast keine Ahnung von den Gefühlen einer Mutter! Dann werde ich mir erst recht Sorgen machen. Wird er gut ernährt? Wird er vielleicht misshandelt? Hat er Heimweh? Die Trennung von Gavin wird mir das Herz brechen, ebenso wie die Trennung von Isolde, sollte sie wirklich irgendeinen englischen Lord heiraten. Mir wäre es am liebsten, wenn alle meine Kinder ihre Ehepartner auf Rosecliff fänden – oder in Carreg Du.« Das war ihr knapp zwei Meilen entferntes Heimatdorf. »Und jetzt sollte ich meine Sprösslinge wohl schleunigst holen, bevor sie sich den Hals brechen.«

Jasper schaute ihr bewundernd nach. Josselyn war noch fast genauso schlank und rank wie bei ihrer Hochzeit. Rand hatte eine gute Wahl getroffen, als er eine Waliserin heiratete. Trotzdem wollte er seine Töchter mit Engländern vermählen, wobei politische Erwägungen zweifellos eine wichtige Rolle spielten: das rebellische Wales sollte auf diese Weise enger an das übrige Reich gebunden werden und die Herrschaft der Engländer sichern. Auch für Jasper selbst kam eine Waliserin als Ehefrau nicht in Betracht, obwohl er das Temperament der hiesigen Mädchen und Frauen durchaus zu schätzen wusste ...

Frustriert fuhr er sich mit den Fingern durch die Haare. Warum kreisten seine Gedanken seit gestern ständig um Heirat? Offenbar brauchte er dringend etwas Abwechslung, die ihm ins Gedächtnis rufen würde, wie vergnüglich sein Junggesellendasein war.

Kurz entschlossen begab er sich in den Keller, füllte seinen Weinschlauch, holte Helios, sein Pferd, aus dem Stall, erteilte den Wachposten einige Befehle und ritt in die kleine Stadt, die in den letzten Jahren unterhalb der Burgmauern entstanden war. Maud, die Tochter des Schmieds, hatte ihm schon oft Lust beschert ... und sollte sie beschäftigt sein, könnte er sein Glück auch wieder einmal bei Gert, dem Milchmädchen, versuchen.

Eine Engländerin, eine Waliserin, beide sehr empfänglich für sinnliche Freuden. Maud hatte aufregend üppige Brüste, Gert ein prächtig gerundetes Gesäß. Während Jasper sein Pferd antrieb, stieg Erregung in ihm auf. Vielleicht sollte er versuchen, eine Nacht zu dritt zu arrangieren? Das wäre bestimmt ein unvergessliches Erlebnis ...

Im Städtchen Rosecliff herrschte geschäftiges Treiben. Drei Frauen mit großen Kopftüchern schöpften Wasser am Brunnen. Zwei alte Männer saßen in der Sonne, fertigten Pfeile an und tauschten Erinnerungen an die guten alten Zeiten aus. Kinder spielten auf der Straße und starrten den Reiter neugierig an, doch ohne Angst vor ihm zu haben. Das würde Rand freuen, dachte Jasper. Der Plan seines Bruders, dass Waliser und Engländer friedlich Seite an Seite leben sollten, schien erste Früchte zu tragen. Freilich war es vorläufig noch eine Minderheit von Walisern, die sich mit der Herrschaft der Engländer abgefunden hatte. Die Mehrheit dieses kriegerischen Volkes hoffte nach wie vor, den Feind vertreiben zu können.

In der Molkerei war Gert am Buttern – leider zusammen mit ihrer Mutter, die Jasper zwar einen Becher Buttermilch reichte, ihn aber mit vor der Brust verschränkten Armen misstrauisch beäugte, bis er sich verdrossen wieder auf sein Pferd schwang.

In der Schmiede betätigte Maud den Blasebalg, während ihr Vater und ihr Bruder neue Lanzenspitzen in Form hämmerten. Wegen der Hitze trug sie eine dünne ärmellose Bluse, die – von Schweiß durchtränkt – an den üppigen Brüsten klebte und alle Reize enthüllte. Der Schmied grinste, als er Jaspers lüsterne Blicke bemerkte. Er hatte nur einen Sohn, aber sieben Töchter, für die es Ehemänner zu finden galt, und einen besseren Schwiegersohn als den Bruder seines Lehnsherrn Randulf Fitz Hugh konnte er sich für Maud, seine Älteste, nicht vorstellen.

Jasper trat hastig den Rückzug an, nachdem er zum Schein die fertigen Lanzenspitzen begutachtet hatte. Er wollte die schöne Tochter des Schmieds nicht heiraten, er hätte nur liebend gern wieder einmal mit ihr geschlafen, doch da war – jedenfalls im Augenblick – nichts zu machen ...

Wer käme sonst noch in Frage? Ihm fiel niemand ein, denn jetzt, um die Mittagszeit, würden alle Frauen beschäftigt sein. Vielleicht sollte er in die Burg zurückkehren und bis zur Erschöpfung mit Schwert und Lanze trainieren, um den sexuellen Frust zu vergessen. Aber Rand hatte seine besten Ritter zu dem Treffen mit Lamonthe mitgenommen, und es machte keinen Spaß, gegen schwache Gegner zu kämpfen.

Jasper ritt zum Brauhaus, leerte einen großen Krug Bier und lenkte sein Pferd weiter den Hügel hinab. Zu seiner Linken weideten Schafe, zur Rechten ragte zwischen Wald und Fluss der domen empor, die alte Grabstätte, die von den meisten Walisern und allen Engländern – mit Ausnahme von Rand – gemieden wurde.

Auf dem großen flachen Stein, der das Dach dieses Heiligtums bildete, hockte wie so oft der alte Barde Newlin. Jasper war eigentlich nicht in der Stimmung, mit dem kleinen Krüppel zu reden, fühlte sich jedoch in Rands Abwesenheit dazu verpflichtet und zügelte deshalb sein Pferd.

»Ah, der junge Herr schaut auf seinen Ländereien nach dem Rechten«, sagte Newlin mit sanfter Stimme. In einen mit Bändern geschmückten Umhang gehüllt, wiegte er sich vor und zurück – eine Bewegung, die fast hypnotisierend wirkte.

»Das sind nicht meine Ländereien«, entgegnete Jasper barsch. »Sie werden nie mir gehören.«

»Wer weiß ...«, lächelte der Barde.

Die meisten Engländer hatten Angst vor diesem seltsamen Mann. Er war ihnen unheimlich, und manche – so auch Osborn, Rands Hauptmann – glaubten sogar, Newlin stehe mit dem Teufel im Bunde. Hingegen suchten Rand und Josselyn oft seine Gesellschaft und hielten ihn für einen Weisen. Jasper selbst fürchtete sich nicht vor dem Barden, hatte aber auch nichts für dessen rätselhafte Bemerkungen übrig.

»Im Gegensatz zu euch Walisern gibt es bei uns Engländern eine streng geregelte Erbfolge. Dieses Land wird eines Tages nicht mir, sondern Gavin gehören.«

Newlin lächelte wieder. »Veränderungen sind immer möglich. Der Wind weht manchmal von Süden, manchmal von Norden. Wir Waliser erdulden alles. Was dieses Land betrifft, so wird es stets im Besitz jener bleiben, die mit ihm verwachsen sind.«

»Das ist bei mir nicht der Fall. Meine Pflicht besteht nur darin, in Abwesenheit meines Bruders den Frieden zu sichern. Bald wird sein Sohn alt genug sein, um diese Aufgabe zu übernehmen.«

»Sein Sohn ...«, murmelte Newlin. »Ja, aus Söhnen werden Väter, die ihrerseits Söhne haben ... Hast auch du einen Sohn?«

»Du weißt genau, dass ich keinen habe.«

»Vielleicht wirst du bald einen haben.« Der Barde richtete seinen Blick in die Ferne, so als sei die Unterhaltung für ihn beendet.

Jasper hielt nichts von Visionen und Prophezeiungen, doch Newlins letzte Bemerkung hatte ihn unwillkürlich neugierig gemacht. »Werde ich bald heiraten und einen Sohn haben?«, fragte er.

Der kleine Krüppel schaute weiter zum Horizont hinüber. »Der Tag wird kommen, an dem du einem Kind den Gesang dieser Hügel beibringen wirst.«

»Gesang?«

Newlin gab keine Antwort. Er schloss die Augen, wiegte sich stärker vor und zurück und summte kaum hörbar. Der Wind, der in den Bäumen sang, schien die Weise aufzugreifen.

Wenn Steine wachsen wie sonst nur Bäume ...

Jasper erinnerte sich nur an Bruchstücke dieses walisischen Wiegenlieds, in dem die Unbesiegbarkeit von Cymru beschworen wurde. Die beiden anderen unsinnigen Prophezeiungen fielen ihm nicht ein, weil er sich herzlich wenig für die Torheiten der Einheimischen interessierte, die nicht einsehen wollten, dass die Herrschaft der Engländer unabwendbar war. Dabei hatten sie in den vergangenen zehn Jahren doch gesehen, dass Steine wirklich wie Bäume wachsen konnten: die stolzen Mauern von Rosecliff waren der beste Beweis dafür ...

Newlin saß jetzt völlig in sich versunken da und war nicht mehr ansprechbar. Wütend ritt Jasper weiter. Diese verdammten Waliser und ihr verdammtes Land hätten ihm eigentlich das abenteuerliche Leben bescheren sollen, das ihm weder die Kirche noch der englische Hof bieten konnte. Er war bereitwillig nach Wales gekommen, als Rand seine Hilfe brauchte, weil er sich auf viele Schlachten gefreut hatte. Aber sein Bruder wollte keinen Krieg, sondern Frieden, und zu größeren Auseinandersetzungen war es nur im ersten Jahr gekommen. Seitdem gab es nur noch gelegentliche Scharmützel, die für einen Ritter keine Herausforderung darstellten. Die Reise zu Simon Lamonthe wäre eine willkommene Abwechslung gewesen, doch stattdessen musste er sich weiterhin auf Rosecliff langweilen.

In düstere Gedanken versunken, erreichte Jasper den Fluss, stieg ab und ließ Helios grasen, ohne den Hengst anzubinden. Mit dem Weinschlauch in der Hand machte er es sich auf einem Felsen am Ufer bequem und genehmigte sich einen ordentlichen Schluck. An der Qualität von Wein und Bier war in Rosecliff wirklich nichts auszusetzen, doch das tröstete ihn nicht darüber hinweg, dass Rand ihn zurückgelassen hatte. Mürrisch starrte er ins dunkle Wasser. Ein silbriger Barsch schnellte an die Oberfläche und schnappte sich eine Fliege. Eine Krähe krächzte und erhielt Antwort von einer anderen. Jasper nahm das alles kaum wahr. Er trank Wein, haderte mit seinem Schicksal und träumte von Heldentaten. Gleich nach Rands Rückkehr würde er Rosecliff verlassen, sich Stephans – oder Matildas – Armee anschließen und endlich zu Ruhm und Ehre gelangen. Und falls er im Kampf tödlich verletzt wurde, würde er in Würde zu sterben wissen ...

Während er nach und nach den Weinschlauch leerte und träumte, wanderte die Sonne am Himmel dahin, ließ Jasper im Schatten zurück und tauchte das andere Ufer in helles Licht. Der junge Mann blinzelte, vom Alkohol benommen. Eine der Weiden sah fast wie eine Frau aus – schlank und biegsam.

Dann trat der vermeintliche Baum näher ans Wasser heran, und Jasper begriff, dass es sich wirklich um eine Frau handelte. Eine Frau! Er setzte sich aufrecht hin und schirmte seine Augen mit der Hand gegen die Sonne ab, um besser sehen zu können. Sie war jung und hatte langes rabenschwarzes Haar. Durch seine Bewegung hatte er sie auf sich aufmerksam gemacht, aber sie ergriff nicht die Flucht, sondern legte ihr Bündel am Ufer ab, zog ihre kurzen Stiefel aus und schürzte den Rock.

Jasper hielt den Atem an. Litt er vielleicht unter Halluzinationen, weil er auf nüchternen Magen zu viel Wein und Bier getrunken hatte? War dieses liebliche Geschöpf, das jetzt unerschrocken ins eisige Wasser watete, nur in seiner überreizten Fantasie vorhanden? Er sprang auf und musste feststellen, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Doch das würde ihn nicht davon abhalten, die schwarzhaarige Schönheit in Besitz zu nehmen. Sein Hirn mochte nicht in bester Verfassung sein, aber das hatte seine Manneskraft noch nie beeinträchtigt ...

Auf der anderen Seite des Flusses konnte Rhonwen sich beim besten Willen nicht erklären, warum sie es darauf anlegte, den Fremden zu provozieren, indem sie ihre Röcke hob und die Beine entblößte. An seiner Kleidung war er unschwer als englischer Ritter zu erkennen, und eigentlich hätte sie hastig den Rückzug antreten sollen, aber sie fühlte sich nicht bedroht. Der Mann stand schwankend am Ufer, offensichtlich betrunken. Sollte er in diesem Zustand versuchen, den Fluss zu überqueren, bliebe ihr immer noch genügend Zeit zur Flucht.

Plötzlich schnappte sie jedoch erschrocken nach Luft. Das war er! Der Bruder von Sir Randulf – Jasper Fitz Hugh, den sie als neunjähriges Mädchen zum ersten Mal gesehen hatte, als er ein Gefangener von Rhys' Vater Owain gewesen war, der ihm eine Hand abhacken und Randulf Fitz Hugh schicken wollte. Damals hatte Rhonwen dafür gesorgt, dass Jasper nur einen Finger verlor. Nicht etwa aus Mitleid, sondern weil sie ihre Freundin Josselyn retten wollte, die sich in Randulfs Gewalt befand. Doch ihre Bemühungen waren letztlich vergeblich gewesen: Josselyn hatte sich in ihren Entführer verliebt und ihn geheiratet, Jasper hatte Owain getötet und sich einen zweifelhaften Ruhm als Schwerenöter erworben.

Das alles war lange her ... Rhonwen betrachtete über den Fluss hinweg den großen, breitschultrigen Mann, der die Hand zum Gruß hob. Er war äußerst attraktiv, wie sie zugeben musste. Kein Engländer dürfte so attraktiv sein!

Würde sie ihm ein zweites Mal helfen, wenn sich eine Gelegenheit dazu böte? Ganz bestimmt nicht! Und was täte Rhys, wenn er jetzt an ihrer Stelle hier wäre?

Auf diese Frage gab es nur eine einzige Antwort. Rhys vertrat die Ansicht, dass Wales von allen Engländern gesäubert werden musste. Wer nicht freiwillig ging, musste umgebracht werden. Der Zweck heiligte die Mittel ...

Die Fitz Hughs hatten demonstriert, dass sie nicht die Absicht hatten, das Land freiwillig zu verlassen. Und Rhonwen konnte dafür sorgen, dass ein Feind weniger ihre Heimat beherrschte. Als Waliserin war es ihre Pflicht, so zu handeln.

Sie winkte Jasper zu, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Dann griff sie nach dem kleinen Jagdbogen, der über ihrer Schulter hing, und zog langsam einen Pfeil aus dem Köcher an ihrem Gürtel. Bevor ihr Zweifel an ihrem Vorhaben kommen würden, schritt sie zur Tat. Der Pfeil surrte durch die Luft ...

Kapitel 2

Als Jasper in den eisigen Fluss stürzte, wurde er innerhalb von Sekunden nüchtern. Sie hatte ihn zu töten versucht! Die Sirene mit den reizvollen Kurven und dem langen schwarzen Haar hatte ihn umbringen wollen!

Hatte ihr Pfeil ihn getroffen?

Nein, stellte er sehr schnell fest, er war unverletzt. Die Redensart, dass Gott Kinder und Betrunkene beschützte, stimmte offenbar, denn er selbst hätte nicht mehr rechtzeitig reagieren können, als der mörderische Pfeil angeflogen kam, den seine vom Alkohol getrübten Augen zu spät wahrgenommen hatten. Aber weil er sich ohnehin kaum auf den Beinen halten konnte, hatte ein heftiger Windstoß ihn vollends aus dem Gleichgewicht gebracht, und er war ins Wasser gefallen. Dadurch musste der Pfeil ihn um Haaresbreite verfehlt haben.

Seine Kleidung saugte sich mit kaltem Wasser voll, und die Strömung riss ihn mit. Er wollte ans Ufer schwimmen, bevor es zu spät sein könnte, doch seine Vernunft riet ihm, sich noch ein Stück den Fluss hinab treiben zu lassen. Wenn die verdammte Hexe glaubte, er sei ertrunken, würde sie ihn nicht verfolgen. Nicht dass er Angst vor ihr hatte, aber möglicherweise war sie nicht allein ... Wenn sie sich in Sicherheit wähnte, würde er ihr viel leichter auf die Spur kommen können.

Als Jasper schließlich am anderen Ufer aus dem Wasser watete, war er so durchfroren, dass er am ganzen Leibe zitterte und mit den Zähnen klapperte. Das würde ihn freilich nicht davon abhalten, das mörderische Luder zu schnappen! Danach würde er leider noch einmal den Fluss überqueren müssen, um sein Pferd zu holen.

Du lieber Himmel, sein Pferd!

Die Waliser waren notorische Pferdediebe, und Helios war ein prachtvoller Hengst. Trotz seiner Erschöpfung rannte Jasper los, umrundete Weiden und Stechpalmen, rutschte immer wieder aus, wurde aber von maßloser Wut angetrieben. Verdammt, sie würde Helios nicht bekommen! Er ließ sich doch nicht von einem Weibsstück überlisten! Das durfte einfach nicht wahr sein!

Leider war es wahr, das sah er sofort, als er die Stelle erreichte, wo sie gestanden hatte. Genau gegenüber befand sich der große Felsen, auf dem er es sich bequem gemacht hatte. Was für ein arroganter Idiot er doch gewesen war, ausgerechnet einen Platz zu wählen, der keinerlei Schutz bot! Und jetzt war Helios, der friedlich auf der Wiese hinter dem Felsen gegrast hatte, verschwunden!

Rand würde wütend sein.

»Verdammter Mist!«, fluchte Jasper laut. »So ein verdammter Mist!«

Doch Flüche halfen ihm nicht weiter, und er versuchte, vernünftig über seine Situation nachzudenken. Wenn das Luder den Fluss überquert hatte, um seinen Hengst zu stehlen, würde es ihn noch einmal überqueren müssen, um den Heimweg anzutreten.

Aber woher stammte sie?

Jedenfalls nicht aus Rosecliff, denn er kannte alle Frauen, die dort lebten. Vielleicht aus Carreg Du, vielleicht sogar aus Mon Bryn, obwohl jenes Dorf für einen Fußmarsch ziemlich weit entfernt war. Mit einem so auffälligen Pferd wie Helios würde sie sich jedenfalls nicht in die Nähe von Rosecliff wagen.

Afon Bryn war vermutlich ihr Ziel, entschied er. Und er musste sie einholen, bevor sie das Dorf erreichte, dessen Einwohner eine besonders feindselige Einstellung zu den Engländern hatten.

Jasper ging langsam am Ufer entlang und suchte im Lehm nach Spuren. Nach etwa hundert großen Schritten wurde er für seine Mühe belohnt. Hufe hatten sich tief in die feuchte Erde eingedrückt, und abgeknickte Äste bewiesen, dass ein großes Lebewesen durchs Gebüsch in südliche Richtung geführt worden war.

Er tastete nach seinen beiden Dolchen – dem großen in der Scheide am Gürtel und dem kleinen, der in einem Stiefel steckte. Die Pferdediebin hielt ihn für tot und würde deshalb keine besondere Vorsicht walten lassen. Sie konnte ihm nicht entkommen! Er würde sie schnappen und teuer für ihre Hinterlist bezahlen lassen.

Ja, sie würde ihre Taten bitter bereuen, bevor dieser Tag zu Ende war ...

Rhonwen führte den Hengst am Zügel. Eigentlich hätte sie stolz und glücklich sein müssen, denn ihr war ein Schlag gegen den verhassten Feind gelungen. Aber sie verspürte keine Freude, nur ein grässliches Schuldbewusstsein. Sie hatte einen Menschen umgebracht – umgebracht! –, und obwohl er ein Engländer gewesen war, hatte sie Gewissensbisse.

Doch sie konnte ihre Tat nicht ungeschehen machen ... Jetzt galt es, schnell nach Hause zu kommen. Zum Glück ließ das Pferd sich wenigstens willig führen, nachdem es verhindert hatte, dass Rhonwen sich in den Sattel schwang. Wenn sie ihm zu nahe kam, rollte der Hengst mit den Augen und schnaubte – fast so, als wüsste er, was sie seinem Herrn angetan hatte. Natürlich kam es nicht in Frage, ein so wertvolles Beutestück einfach zurückzulassen. Sie wollte es ins Lager zwischen Carreg Du und Afon Bryn bringen. Rhys würde dort sein und entscheiden, was sie mit dem Tier machen sollten. Er würde begeistert sein, wenn er hörte, dass sie seinen schlimmsten Feind getötet hatte oder doch nicht? Er selbst hatte Jasper Fitz Hugh umbringen wollen.

Aber hatte sie den Mann wirklich getötet?

Rhonwen nagte an ihrer Unterlippe. Sie hatte auf ihn geschossen, und er war in den Fluss gestürzt. Folglich musste ihr Pfeil getroffen haben. Selbst wenn sie ihn nicht tödlich verletzt hatte, war er anschließend im Fluss ertrunken. Sie hatte mit eigenen Augen gesehen, wie sein Körper von der Strömung mitgerissen wurde. Ja, er war tot, daran konnte gar kein Zweifel bestehen. Aber sie war nicht glücklich über seinen Tod.

Während Rhonwen auf einem schmalen Pfad tiefer in den Wald vordrang, schien eine schwere Last auf ihren schmalen Schultern zu lasten. Sie hatte nie zuvor jemanden umgebracht. Natürlich ging sie auf die Jagd und erlegte kleines Wild oder Fische, doch das tat sie, weil sie Nahrung brauchte, um zu überleben.

Andererseits führte auch ihr Volk einen Überlebenskampf gegen die Engländer, und Jasper Fitz Hugh war ein Engländer gewesen. Gab ihr das nicht ein Recht zu töten?

Hatte er wenigstens einen schnellen Tod gehabt? Oder war er langsam verblutet? Oder ertrunken? Sie blieb auf dem Pfad stehen und atmete die kalte Frühlingsluft in vollen Zügen ein. Wie mochte es sein, wenn die Lungen sich nicht mit Luft, sondern mit Wasser füllten? Ein Schauer lief ihr bei dem bloßen Gedanken über den Rücken. Sie zuckte erschrocken zusammen, als irgendwo eine Krähe krächzte. Dann blies der Hengst ihr seinen heißen Atem in den Nacken und gab ihr einen so kräftigen Schubs, dass sie fast das Gleichgewicht verlor.

»Hör mit diesem Blödsinn auf, du Riesenvieh!«, schimpfte sie mit zittriger Stimme und schlang die Lederzügel fester um ihr Handgelenk. Gleichzeitig rief sie sich streng zur Ordnung: sie durfte sich nicht wie ein verängstigtes Kind aufführen. Sie war aus härterem Holz geschnitzt als ihre Mutter, die sich ständig Sorgen machte!

»Komm!«, befahl Rhonwen dem Pferd. Es war nicht mehr weit bis zu Rhys' Rebellenlager. Doch das Tier blieb störrisch stehen. »Komm jetzt!«, wiederholte sie energischer, ohne jeden Erfolg. »Am Ziel erwartet dich kühles Wasser und eine schöne Wiese«, versuchte sie ihr Glück mit Bestechung.

Der Hengst schaute sie mit großen, klugen Augen an und stellte die Ohren auf, so als hätte er ihre Worte verstanden. Aber natürlich reagierte er nur auf den leisen Ruf eines Zaunkönigs ...

Eines Zaunkönigs? Rhonwen bekam eine Gänsehaut. Zaunkönige hielten sich nur im Hochsommer in dieser Gegend auf. Etwas stimmte hier nicht!

Sie zerrte verzweifelt an den Zügeln, doch das riesige Tier stand wie angewurzelt da. In der nächsten Sekunde brach ein Mann aus dem Dickicht hervor, ein großer nasser Mann, dem Mordlust ins Gesicht geschrieben stand.

Der Engländer war nicht tot!

»Nein!« Rhonwen wollte mit der linken Hand ihren Dolch zücken, aber es war schon zu spät. Er packte sie grob am Handgelenk und entriss ihr gleichzeitig die Zügel seines Pferdes.

Sie schlug mit der Faust nach seinem Kopf, versuchte ihm die Augen auszukratzen, trat wild um sich, biss in seine Hand und stieß wilde Flüche aus, obwohl sie wusste, dass es ihr nichts nützen würde: er war viel zu groß, viel zu stark.

»Höllenbrut!«, kreischte sie in ohnmächtiger Wut. »Schlange! Feigling! Impotenter Bastard!«

»Das wohl kaum«, murmelte er in ihrer walisischen Muttersprache, riss sie von den Füßen und warf sie in die Luft.

Rhonwen stieß einen grellen Schreckensschrei aus. War der Kerl völlig verrückt? Sie machte sich auf eine harte Landung auf dem Boden gefasst, doch er fing sie auf, presste ihr die Arme auf den Rücken und zog sie so fest an sich, dass sie kaum Luft bekam.

»Gib auf, Mädchen! Du sitzt in der Falle – in einer Falle, die du selbst ausgelegt hast.«

Sein Spott reizte sie bis zur Weißglut. Ihr Gesicht war an seine Brust gedrückt, und sie grub ihre Zähne in die nasse Wolle.

»Verdammt, bissig bist du auch noch!«, knurrte Jasper erbost, packte sie bei den Haaren und zerrte daran, bis sie gezwungen war, den Kopf in den Nacken zu legen und zu ihm aufzuschauen.

Seine Augen waren grau, von der Farbe nassen Schiefers. Vor zehn Jahren hatte sie ihn zum ersten – und einzigen – Mal aus der Nähe gesehen, aber in ihrer Angst um Josselyn war seine Augenfarbe ihr damals egal gewesen. Doch jetzt fiel ihr wider Willen ein, was die Frauen am Dorfbrunnen flüsterten. Nicht einmal der Teufel könne es mit diesem Mann aufnehmen, wenn es um Fleischeslust gehe, raunten sie einander zu.

Als er lächelte, begann Rhonwen zu zittern. »Ich bin weder ein Bastard noch impotent«, sagte er leise und bewegte zum Beweis ein wenig die Hüften, damit sie seine Erektion spürte. Ein heißer Schauer lief ihr über den Rücken, aber sie hatte nicht die Absicht, klein beizugeben.

»Ich habe wohl die falschen Ausdrücke gewählt«, murmelte sie. »Ich hätte Euch einen Feigling und Frauenschänder nennen sollen!«

Jasper lachte, eher amüsiert als wütend. Das änderte jedoch nichts daran, dass er gefährlich war – extrem gefährlich!

»Wie heißt du, Mädchen?«

Als sie keine Antwort gab, presste er sie noch fester an sich. Rhonwen schluckte hart.

»Wie heißt du?«, wiederholte er seine Frage.

»Rhonwen ap Tomas«, fauchte sie.

»Und warum wolltest du mich umbringen, Rhonwen ap Tomas?«