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Ein Feuerball erhellt das Meer vor der Küste Sardiniens. Aus den Trümmern der explodierten Motorjacht rettet der Meeresbiologe Alex Martin einen Verletzten. Damit beginnt ein Kampf ums Überleben - denn der Gerettete ist Journalist und besitzt brisantes Material zu einem Mord in den höchsten Politkreisen Italiens. Ohne es zu wollen, gerät Alex in einen Strudel aus Macht und Intrigen. Bald wird er selbst von Polizei und skrupellosen Verbrechern verfolgt. Es bleibt nur ein Ausweg: Der Gejagte muss zum Jäger werden ...
»Ein extrem spannender Wettlauf um Leben und Tod.« Kölner Rundschau
eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!
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Seitenzahl: 566
Cover
Weitere Titel der Autorin
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Epilog
Nachwort und Dankeschön!
Weißes Gold – Im Sog der Gier
Blauer Tod – Im Netz des Terrors
Ein Feuerball erhellt das Meer vor der Küste Sardiniens. Aus den Trümmern der explodierten Motorjacht rettet der Meeresbiologe Alex Martin einen Verletzten. Damit beginnt ein Kampf ums Überleben – denn der Gerettete ist Journalist und besitzt brisantes Material zu einem Mord in den höchsten Politkreisen Italiens. Ohne es zu wollen, gerät Alex in einen Strudel aus Macht und Intrigen. Bald wird er selbst von Polizei und skrupellosen Verbrechern verfolgt. Es bleibt nur ein Ausweg: Der Gejagte muss zum Jäger werden ...
»Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum!« So machte sich U. T. Bareiss Anfang des Millenniums zur Weltumsegelung auf und verlegte ihr Schreib- und Übersetzungsbüro von Stuttgart an Bord ihres Segelkatamarans. Gemeinsam mit ihrem Mann erforscht sie die Welt über und unter Wasser. Was könnte besser zum Abtauchen in andere Welten inspirieren als exotische Plätze und fremdartige Kulturen? Nicht nur in ihren Reiseberichten für diverse Magazine, sondern auch in spannungsgeladenen Thrillern und Jugendkrimis spiegeln sich aufregende Situationen ihres Alltags facettenreich wider. Unter dem Pseudonym Helen Paris schreibt die Autorin auch Liebesromane.
Die Thriller-Reihe um den Meeresbiologen Dr. Alexander Martin spielt an verschiedenen maritimen Schauplätzen, welche die Autorin auf ihrer Weltumsegelung erkundet hat.
Mehr Infos gibt es unter: www.weltenbummler-blog.de
U.T. Bareiss
Roter Ozean
Im Fahrwasser der Macht
Ein Alex-Martin-Thriller
beTHRILLED
Digitale Erstausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2016 by Ute Bareiss
Originalverlag: Kieselsteiner Verlag, Stuttgart
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer
Covergestaltung: Guter Punkt, München
unter Verwendung von Motiven © andrej67/ iStock / Getty Images Plus; Bluberries/ iStock / Getty Images Plus; dzika_mrowka/ iStock / Getty Images Plus
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar
ISBN 978-3-7517-1491-4
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Für Hajot, der meinen Traum mit mir lebt
und meine Mama Heide und meinen Papa Martin, die mich
das Träumen gelehrt haben.
Kann wohl des großen Meergotts Ozean
dies Blut von meinen Händen waschen?
Nein; weit eh’r kann diese meine Hand
mit Purpur die unermesslichen Gewässer färben –
und Grün in Rot verwandeln.
(William Shakespeare – Macbeth)
Etwas stimmte nicht.
Die Köchin richtete sich in ihren Kissen auf. Der Geruch nach verbranntem Fleisch hing in der Luft. Madre Mia! Die Reste des Saltimbocca alla Romana vom Vorabend standen abgedeckt auf dem Herd. Hatte sie etwa vergessen, das Gas abzuschalten? So etwas passierte ihr in letzter Zeit öfter.
Sie schüttelte den Kopf, strich sich die grauen Haarsträhnen aus dem Gesicht und stand auf. Ein Stechen fuhr durch ihre Glieder – die vermaledeite Arthritis. Zum Anziehen blieb keine Zeit, eine Wollstola musste ausreichen.
Der Flur lag ausgestorben da, nur in den Nischen lauerten schwarze Schatten.
Im Haus herrschte Stille.
Sie eilte in Richtung Küche, nur das Klappern ihrer Pantoffeln auf den Terrakotta-Fliesen übertönte das heftige Klopfen ihres Herzens. Ein ungutes Gefühl beschlich sie und verursachte ein Prickeln, das sich zwischen ihren Schulterblättern bis in den Nacken ausbreitete. Sie hielt inne. Mochte vieles nicht mehr so funktionieren wie früher, ihr Geruchs- und Geschmackssinn arbeiteten noch einwandfrei. Es roch eindeutig verbrannt.
In der Küche war kein Glimmen unter dem gusseisernen Topf auf dem Gasherd zu sehen, der wie eine Insel in der Küchenmitte thronte. Was für ein Glück, sie hatte nichts vergessen!
Doch durch die Gardine fiel ein Flackern, das die Konturen beinahe gespenstisch erhellte. Sie hastete zum Fenster und spähte hinaus. Auf die Entfernung konnte sie nur ein vage tanzendes Licht ausmachen. Hatte etwa einer der Olivenbäume Feuer gefangen? Der Sommer war bislang viel zu trocken gewesen. Kleine Schweißperlen traten auf ihre Oberlippe. Sollte sie Hilfe rufen?
Warum brachte Daniele ausgerechnet heute die Signora mit den beiden Bambini für die Sommerferien zu den Großeltern nach Terracina? Schließlich war er für die Bäume zuständig. Sollte sie den Signore wecken? Nein, sie würde selbst nachsehen, bevor sie falschen Alarm schlug.
Beim Öffnen der Hintertür schlug ihr der penetrante Geruch mit voller Wucht entgegen. Sie drückte sich ein Ende der Wollstola vor die Nase und zog sie enger um ihre Schultern. Trotz der lauen Nachtluft fröstelte sie. Sie musste sich zwingen, einen Fuß vor den anderen über die unebene Wiese in Richtung des Lichtscheins zu setzen. Eine Windböe blies ihr warme Luft zu. Warme, nach verbranntem Fleisch riechende Luft. Beißender Qualm trieb ihr Tränen in die Augen. Sie blinzelte. Blinzelte nochmals.
Dio mio!
Sie schrie, laut und gellend. Als ihre Kehle den Ton versagte, schrie sie stumm weiter. Der Anblick des Menschenkörpers, der an einem Holzkreuz hing, eingehüllt in einen Mantel aus Flammen, die ihm das Fleisch von den Knochen leckten, brannte sich in ihr Gedächtnis.
Diejenigen, die unter die Oberfläche tauchen,
tun es auf eigene Gefahr.
(Oscar Wilde)
Ein Schweißtropfen bahnte sich seinen Weg von der Schläfe über die Wange und tropfte auf den Neoprenanzug. Alex schloss widerwillig den Reißverschluss. Es wurde Zeit, ins Wasser zu kommen. Selbst für Anfang August war es noch ungewöhnlich warm. Kein Windhauch bewegte die blank polierte See des Golfe de Porto Vecchio, die Lichter der Häuser am Ufer spiegelten sich darin.
Alex gab Jean-Luc das Zeichen zum Abtauchen. Langsam ließen sie sich in die Tiefe sinken. Die Konturen der Pecorella schälten sich aus der Schwärze des Meeres. Ein angenehmes Kribbeln lief Alex den Rücken hinauf, als das gesunkene Schiff immer größer wurde, fast bedrohlich auf ihn zukam. Gespenstisch huschte der Strahl ihrer Tauchlampen über das Wrack, das aufrecht auf dem Grund stand. Wie Rubine leuchteten die Augen zweier Langusten auf dem Kabinendach auf, bevor sie rückwärts flüchteten.
Das Äußere des Wracks war mit leuchtend gelben Krustenanemonen übersät, die ihre Knospen in der Nacht allesamt zu eindrucksvollen Blütenkelchen geöffnet hatten, und das Steuerhaus wie ein sonnenblumenfarbiger Teppich überzogen, nur unterbrochen von Tupfen orange- und lilafarbener Schwämme.
Ein Barrakuda schoss aus dem Dunkel, um die vom Lampenschein angezogenen kleinen Fische und Krebse zu jagen. Alex erschrak und musste grinsen. Hatte er dem Fisch ein Abendessen spendiert? Der pfeilförmige Körper des Tieres funkelte wie mit Silberglitter überzogen, dennoch konnte dies nicht von den messerscharfen Zähnen ablenken, die hervorstachen, als der Barrakuda nach einer Sardine schnappte.
Durch Handzeichen verständigte sich Alex mit Jean-Luc, ins Wrackinnere zu tauchen. Ihre Atemgeräusche wirkten zugleich beruhigend und unheimlich in der Düsternis des engen Wracks. Vor ihnen teilte sich ein Schwarm Sardinen wie ein Vorhang, als sie hindurchtauchten. Alex' Lampenstrahl huschte über den Grund, kreuzte sich manchmal mit dem von Jean-Luc. In der Ecke funkelte etwas. Er ließ sich absinken. Es war nur ein herzförmiger Strass-Anhänger, wie sie oftmals an Badekleidung angenäht waren. Achtlos steckte er ihn in die Tasche seines Tauchjackets und deutete fragend zum Ausgang.
Jean-Luc bestätigte.
Die Laderaumluke wurde fast vollständig von einem Meeraal blockiert, der sie neugierig anstarrte. Seine bei Tag dunkelgrau erscheinende Haut schimmerte bläulich irisierend, als er sich davonschlängelte und ihnen den Weg freimachte.
Plötzlich hallte ein lauter Knall durch die Tiefe.
Alex zuckte zusammen. Was war das?
Die Schallwellen drückten gegen seinen Brustkorb und pressten sich schmerzhaft auf sein Trommelfell. In Jean-Lucs weit aufgerissenen Augen spiegelte sich sein eigener Schreck wider. Gleichzeitig zeigten ihre Daumen zur Wasseroberfläche. So schnell es ihre maximale Aufstiegsgeschwindigkeit zuließ, schossen sie nach oben. Ein mächtiger Feuerball erleuchtete unweit nördlich von ihnen in der Cala Rossa den Horizont, Funken stoben in die klare, schwarze Luft.
»Sieht aus, als wäre ein Boot explodiert!« Alex hustete.
»Merde! Lass uns bloß hoffen, dass es unbewohnt war«, rief Jean-Luc und traf damit genau Alex' Gedanken.
Mit einem Satz schwang er sich an Bord des Tauchschiffes und startete den Motor, während Alex, sein Tauchgerät nur notdürftig verzurrt, zum Bug sprintete, um den Anker aufzuholen. Hoffentlich kamen sie nicht zu spät!
Er klammerte sich an der Reling fest, als die Sirène unter Vollgas zur Unfallstelle preschte. In sicherer Entfernung stoppte Jean-Luc. Schwarze Rauchwolken quollen von dem Boot auf. Das kleine Motorboot war in der Mitte gespalten, Flammen fraßen sich durch das völlig zerstörte Heck und schmolzen den Kunststoff. Beißender Gestank verätzte ihre Schleimhäute.
»Mon Dieu!« Jean-Luc spuckte über Bord. Die Wasseroberfläche schillerte in allen Regenbogenfarben, kleine Flammen tänzelten darauf. »Da ist wohl der Tank explodiert.« Er deutete auf die Trümmer.
»Wenn dort jemand war ...« Alex brach schaudernd ab.
Vorsichtig steuerte Jean-Luc auf den noch verankerten Bug zu, der, halb aus der Wasseroberfläche ragend, das seltsam groteske Bild einer bettelnden Hand bot.
Alex versuchte, mit einem Hundert-Watt-Strahler den dichten Rauch zu durchdringen.
Da! Erschrocken zuckte er zurück, biss die Zähne so fest zusammen, dass sie schmerzten.
Schwamm dort ein abgetrenntes Körperteil?
Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. Nein, nur ein Stück Cockpitpolster!
Erleichtert ließ er die Schultern sinken. »Hier ist nichts. Probier es mal auf der Backbordseite«, brüllte er gegen das Dröhnen des Motors an.
Jean-Luc nickte. Seine Lippen bildeten einen schmalen Strich, als er abermals aufstoppte und die Sirène zur anderen Seite manövrierte.
Etwas polterte gegen den Schiffsrumpf. Alex' Herzschlag beschleunigte sich. Hoffentlich war es nur eine der Holzbohlen, die umhertrieben. Er zwang sich, ruhig zu atmen. Im Standgas umrundete Jean-Luc die zerstörten Bootsfragmente. Ein Geräusch drang zu Alex, das weder von den knisternden Flammen, noch von dem UKW-Funkgerät stammte, über das er Hilfe angefordert hatte.
Was war das? Er lauschte angestrengt. Da, wieder!
Ein Husten.
Husten konnte nicht zu vereinzelten Körperteilen gehören. Hinter dem noch halbwegs unversehrten Bug bewegte sich etwas. Der Scheinwerferkegel erfasste einen Kopf. »Jean-Luc, dort hinten!« Seine Stimme überschlug sich beinah.
Doch die Person paddelte von ihnen weg.
*
Rom. Zur Ermordung von Präsidentschaftskandidat Ernesto Branduardi gibt es neue Hinweise. Der für die kommende Wahl im Herbst als Spitzenkandidat der Opposition geltende Politiker wurde vorletzten Freitag in seinem Garten auf grausame Weise getötet.
Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft verkündete am Morgen, dass der inhaftierte Tatverdächtige Alfonso Fratinelli, Mitglied der rechtsradikalen Bewegung Legione Fascista, nach Prüfung der Indizienlage angeklagt werden soll.
Wie gewöhnlich gut informierte Kreise verlauten ließen, soll das Tatmotiv in den Absichten des Ermordeten begründet liegen, die Aufnahmebedingungen für die Flüchtlinge aus den afrikanischen Krisenstaaten zu lockern.
Die Legione Fascista leugnet bislang ihre Beteiligung an dem Attentat.
Im Anschluss an die Nachrichten hören Sie eine Sondersendung mit Informationen zu den neuesten Ermittlungen. Als Gast begrüßen wir den Leiter des Sondereinsatzkommandos, Ispettore Vergnelli, der mit seinem Team den Verdächtigen verhaftet hat.
Mario Monteleone griff zur Fernbedienung und schaltete den Ton des Plasmafernsehers ab. Zufrieden lehnte er sich gegen die glatte Oberfläche des Ledersofas und schloss für einen Moment die Augen. Endlich hatten sie den Täter gefasst, das war beruhigend. Allmählich konnte in Marios politischer Welt wieder Ruhe einkehren.
Er erhob sich und trat an das Barfach der Mahagoni-Schrankwand. Dies war eine der seltenen Gelegenheiten für ein Glas seines gut gehüteten Limoncellos, den seine vor zwei Jahren verstorbene Nonna noch selbst angesetzt hatte.
Als er die gelbe Flüssigkeit in das Kristallgläschen goss und ihm der Geruch nach Zitrone in die Nase stieg, erinnerte er sich unwillkürlich an die Zeit seiner Jugend.
Pizzo, am Golfo di S. Eufemia, im Süden von Kalabrien, wo er Zitronen gepflückt hatte und erst wieder nach Hause gegangen war, wenn der Weidenkorb so schwer war, dass er ihn kaum noch hatte tragen können. Doch wenn der Duft der Zitronenschalen durch den Raum geschwebt war, und seine Nonna ihren Holzlöffel geschwungen und ihm dabei von seiner vielversprechenden Zukunft erzählt hatte, waren die Mühen des Schleppens und Schälens vergessen gewesen.
Seine Nonna hatte schon immer an ihn geglaubt. Wie stolz sie dagesessen hatte in ihrem Samtkleid, dessen Spitzenkragen sie selbst bestickt hatte, als Mario zum führenden Staatssekretär, der rechten Hand des Ministerpräsidenten, ernannt worden war. Die Farbe ihrer Wangen hatte sich zu einem dunklen Rot vertieft, als der Ministerpräsident ihr kurz darauf persönlich die Hand geschüttelt hatte. Noch auf ihrem Sterbebett hatte sie von diesem Erlebnis geschwärmt.
Wehmütig hob er seine Mundwinkel. Wie bedauerlich, dass sie seinen weiteren Weg nach oben nicht mehr verfolgen konnte. Mario nippte an seinem Glas und die wohlige Wärme der Erinnerung vermischte sich mit dem Brennen des Alkohols. Mit einer kubanischen Zigarre bewaffnet, die er sonst für bedeutende Gäste bereithielt, öffnete er die Flügeltüren zur Veranda. Warme Luft schlug ihm entgegen, die drückende Hitze des Tages hatte sich noch nicht verflüchtigt. Die Lichter von Rom erhellten den mondlosen Nachthimmel. An die marmorne Verandabrüstung gelehnt, ließ er seine Blicke über die Ewige Stadt schweifen. Wie viele bedeutende Männer hatten hier bereits regiert und Geschichte geschrieben? Ein zufriedenes Lächeln überzog sein Gesicht. Er würde es ihnen gleichtun.
Gedankenverloren angelte er nach einem Feuerzeug in seiner Jacketttasche. Er zuckte zusammen, als sein privates Mobiltelefon an seiner Hand zu vibrieren begann. Die Tonfolge zeigte ein Gespräch auf der abhörsicheren Leitung an. Wollte jemand die gute Nachricht mit ihm besprechen?
»Pronto?«
Die Stimme am anderen Ende klang gepresst. »Salve, Ma...«
»Emilio? Was gibt's?«, unterbrach Mario ihn unwirsch.
Emilio räusperte sich. »Ich ... Wir ... Also, es gibt da ein kleines Problem.«
Der Limoncello verursachte ein saures Brennen in Marios Kehle. »Was ist passiert?«
»Wir haben uns der Sache schon angenommen, keine Sorge, das ist fast schon wieder erledigt.« Emilios Tonfall war hektisch geworden. »Es gab da einen kleinen Zwischenfall. Ich wollte es dich nur wissen lassen, damit du ...«
»Was soll das heißen? Cretinos! Sei in zehn Minuten bei Nello, wir treffen uns dort!« Marios Stimme überschlug sich beinah. Er drückte das Gespräch weg, ohne eine Antwort abzuwarten. Die unangerauchte Zigarre schleuderte er zu Boden und zertrat sie. Als er ins Haus stürmte, stolperte er über die Katze seiner Frau, die es sich vor der Verandatür bequem gemacht hatte. Wutentbrannt trat er nach ihr. »Scheißvieh!« Türknallend stob er aus dem Haus – so schnell, dass ihm sein aufgeschreckter Leibwächter kaum folgen konnte.
*
»Hallo?« Alex konnte einen dunklen Haarschopf und ein weißes T-Shirt auf der öligen Wasseroberfläche erkennen. Ungelenk steuerte der Schwimmer aufs entfernte Ufer zu.
»Hallo? Monsieur, attendez!« Alex nahm ihn mit dem Strahler ins Visier, doch er paddelte nur noch hektischer und hustete.
»Der ist verletzt. Da stimmt was nicht. Ich muss ihn rausholen, bevor er uns ertrinkt!« Alex griff nach seiner Tauchmaske und den Flossen.
»Merde, pass bloß auf!«
Viel Zeit zum Nachdenken blieb nicht. Der Verletzte wurde von einem erneuten Hustenanfall geschüttelt und verschwand kurzzeitig unter der Oberfläche. Kaum, dass Jean-Luc den Motor ausgekuppelt hatte, sprang Alex ins Wasser und kraulte auf den Verletzten zu. Das Neopren schützte seinen Körper zwar, doch es machte das Schwimmen auch mühseliger.
Öliges Wasser gelangte beim Atmen in seinen Mund. Angewidert spuckte er aus, versuchte den Würgereiz zu unterdrücken und holte wieder tief Luft. Er hustete, als beißender Rauch in seine Lungen drang. Kurzfristig verlor er sein Ziel aus den Augen, doch Jean-Lucs Lampenstrahl wies ihm den Weg zu dem Verunglückten. Alex wandte den Kopf so gut es ging vom Qualm ab, pumpte seine Lungen voll und zog mit gleichmäßigen Armzügen und kräftigen Flossenschlägen voran. Die Zeit drängte.
Gerade als ein Hustenanfall den Verletzten wieder unter Wasser zog, bekam er ihn zu packen. Die linke Schulter sah übel aus, rohes Fleisch blitzte ihm im Lampenschein entgegen. Das weiße T-Shirt war zerfetzt und hatte sich rot gefärbt, blutige Schlieren zogen durchs Wasser. Vorsichtig verstärkte er seinen Griff.
Plötzlich schoss ein stechender Schmerz durch seine Nase. Verdammt, was sollte das? Völlig unerwartet hatte ihn der Verletzte, mit einer Kraft, die er ihm nicht zugetraut hätte, mitten ins Gesicht geboxt.
Seine Tauchmaske, die ihn wahrscheinlich vor einer gebrochenen Nase gerettet hatte, war verrutscht. Er blinzelte, spülte Blut aus der Maske. Angewidert spuckte er aus.
Als er wieder nach dem Verunglückten griff, musste er sich erneut Schlägen und Tritten erwehren. Ein Schwall italienischer Worte, von Husten unterbrochen, brach über ihn herein, von denen er nur »stronzo« verstand.
»Selber Arschloch! Ich will dich retten, verdammt noch mal!« Er musste unbedingt die Panik durchdringen. Schnell packte er ihn am rechten Arm, um weitere Schläge zu unterbinden. Der Rauch biss in seinen Lungen, ruhig zu sprechen fiel ihm schwer.
Der Italiener verstummte, der Blick der schwarzen Augen irrte ziellos umher. Im Licht des Strahlers leuchtete das Weiß seiner Augen gespenstisch auf, doch sein Widerstand schien zu erlahmen.
»Alles okay, du bist in Sicherheit. Alles ist gut. Tutto bene!« Alex redete weiter beruhigend auf ihn ein.
Es schien zu funktionieren, der Andere gab seinen Widerstand auf.
»Sono altre persone a bordo?«, konnte Alex ihm endlich die dringendste Frage stellen. Ob sein Italienisch richtig war, spielte keine Rolle, er musste wissen, ob noch mehr Personen in Gefahr schwebten.
Der Verletzte bäumte sich so abrupt auf, dass Alex kurz unter Wasser gedrückt wurde. Öliges Salzwasser drang in seine Atemwege, er hustete und würgte den ekelhaften Geschmack hinaus.
Verdammt, was wenn noch jemand an Bord war?
Er wiederholte eindringlich seine Frage.
Nun schien der Italiener zu verstehen und schüttelte den Kopf. »No, solo io.«
Erleichtert atmete Alex auf, da zuckte der Verletzte wieder.
Als wollte er ihn hypnotisieren, fixierte er ihn mit seinem Blick. »La borsa.«
Alex blinzelte verständnislos. »Non capisco.«
»La borsa! My bag! Molto importante! Very important!«
Alex nickte beruhigend. »Ja, um deine Sachen kümmern wir uns später.«
Seltsam, wie irrational der Verstand in Notsituationen funktionieren konnte – als gäbe es nichts Wichtigeres als materielle Dinge.
Vorsichtig begab Alex sich in Rückenlage, manövrierte den Italiener über sich. Er spreizte die Beine, versuchte zu flosseln und den Verletzten zu ziehen, ohne ihm unnötige Schmerzen zuzufügen. Die Anstrengung forderte ihren Tribut, seine Muskeln verkrampften sich. Jean-Luc wies ihm von Bord aus die Richtung, doch die Sirène schien kaum näher zu kommen. Nur langsam erhellte sich die Schwärze um ihn.
»Soll ich die Rettungsschlinge werfen?«, rief Jean-Luc, als sie schließlich beim Boot eintrafen.
Alex keuchte. »Geht nicht, er ist an der Schulter verletzt. Ich bringe ihn hoch.« An die Badeleiter gelehnt atmete er ein paar Mal tief durch, bevor er Jean-Luc seine Flossen reichte. Vorsichtig packte er seinen Schützling. Seine Beine zitterten vor Anstrengung, als er mit der Last versuchte, so ruhig wie möglich nach oben zu steigen. Beinahe wäre er abgeglitten. Der Ruck, als er wieder nach der Leiter griff, äußerte sich sofort in einem schmerzerfüllten Aufschrei. Sie betteten den Verletzten vorsichtig auf die Tauchplattform.
Geschafft!
Jean-Luc übernahm die Erstversorgung, so konnte Alex durchatmen. Aus der Kühlbox holte er sich eine Dose Cola. Den ersten Schluck spuckte er über Bord. Bloß diesen ekelhaften Geschmack aus dem Mund bekommen! Er wandte den Kopf, als Jean-Luc den Verletzten auf Italienisch befragte. Doch der sprach zu schnell, als dass Alex allen Sätzen folgen konnte. »Was sagt er?«
»Er heißt Silvio. Wie das mit der Explosion passiert ist, kann er nicht sagen. Ich habe den Eindruck, dass er bei dem Unfall einen Schlag auf den Kopf gekriegt hat. Macht sich hauptsächlich Sorgen um irgendeine Tasche, die er auf dem Boot hatte«, raunte Jean-Luc und verdrehte die Augen. »Als ob das jetzt wichtig wäre, so übel, wie der aussieht. Er hat viel Blut verloren. Ich weiß nicht, ob es reicht, seine Beine hochzulegen, damit er uns nicht wegsackt. Hoffentlich schickt die Küstenwache bald Hilfe.« Er angelte nach der Schere im Verbandskasten.
»Um die Tasche hat er sich schon im Wasser Sorgen gemacht.« Alex stieß die Luft aus. So langsam normalisierte sich sein Atem. Er kniete sich neben den Verletzten und legte die Hand auf seinen gesunden Arm.
Jean-Luc übersetzte, während er das T-Shirt aufschnitt und die Wunde desinfizierte. »Er sagt, du hättest ihm versprochen, seine Wertgegenstände von Bord zu bringen.«
Der Verletzte nickte. »Si, si!« Ein Stakkato an Worten folgte.
Jean-Luc zuckte mit den Schultern. »Es scheint ihm wirklich überlebenswichtig zu sein.«
Alex beugte sich hinunter. »Dov›è la borsa?«
»Sag mal, hast du einen Knall? Da brennt es noch, du hast sie doch nicht mehr alle!« Jean-Luc warf Alex einen verärgerten Blick zu. Seine Kiefernmuskeln zuckten, während er mit ruhigen Händen eine Lage Mull auflegte.
Der Verletzte klammerte sich an Alex' Hand. »Isse vorn. Una borsa nera. Tasche schwarze. Molto importante! Wichtig!«
Beruhigend gab Alex den Händedruck zurück.
»In front, no kaputt.«
»Ich denke, diese Tasche müsste im Bug liegen.«
»Si, si«, nickte der Italiener. Zum ersten Mal zeigte sich ein Lächeln auf seinem Gesicht. »Vorn.«
Alex zögerte. Der Ärmste war mit dem Verlust des Bootes schon genug gestraft.
Jean-Luc warf ihm einen scharfen Blick zu und schüttelte den Kopf. »Von mir aus können wir morgen noch mal herkommen und nach dem Ding suchen.«
Ehe sie reagieren konnten, machte der Italiener Anstalten, sich ins Wasser zu stürzen.
Alex konnte ihn gerade noch rechtzeitig packen. »Herrgott noch mal!« Er ballte seine Hand zur Faust. »Ich hole den nicht ein zweites Mal aus dem Wasser. Bevor er durchdreht, gehe ich diese verflixte Tasche holen. Wir müssen ohnehin warten, bis Hilfe kommt, du hast ja unsere Position durchgegeben.« Als Jean-Luc den Mund öffnete, um ihm ins Wort zu fallen, hob Alex abwehrend die Hand. »So ein Wrack ist schneller ausgeschlachtet, als ein Kind bis drei zählen kann. Die Leichenfledderer sitzen bestimmt schon in den Startlöchern, um alles abzuschrauben, was nicht niet- und nagelfest ist. Wir würden doch auch versuchen, unser Equipment zu retten, wenn etwas mit der Sirène wäre. Ich tauche rein, schnappe mir das Ding und bin sofort wieder zurück.«
Jean-Luc schüttelte den Kopf. »Mon Dieu, Alex, du bist echt nicht ganz dicht. Ich gebe dir zehn Minuten. Zehn!«
Alex konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. »Ich bin in neun zurück!«
Er schnappte sich seine Tauchausrüstung, ließ sich erklären, wo die Tasche exakt zu finden war, zwinkerte dem Italiener zu und bat Jean-Luc, ihn in der Nähe des brennenden Bootes abzusetzen.
Die Bugspitze ragte wie ein mahnender Finger aus der Wasseroberfläche.
Alex ließ sich durch den öligen Film in die Tiefe gleiten, die Schwärze umhüllte ihn. Wie ein Schwert durchschnitt der Lichtstrahl seiner Lampe das Wasser. Obwohl er reine Luft aus seinem Tauchgerät atmete, konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, das Verschmorte um ihn herum auf der Zunge zu schmecken. Das Meer schien wie ausgestorben, kein Fisch war zu sehen. Die Konturen der Bugkabine, von der der Italiener gesprochen hatte, schälten sich aus dem Dunkel. Die Schallwellen übertrugen das Knistern der entfernten Flammen. Er holte tief Luft, die Atemgeräusche dröhnten in seinen Ohren.
Obwohl er schon viel in engen Höhlen getaucht war, und ihm das nie etwas ausgemacht hatte, bekam er plötzlich Beklemmungsgefühle. Was, wenn die Flammen den Bug ergriffen und sich dort etwas Explosives befand? Unwillkürlich beschleunigte sich sein Atem.
Such jetzt das verdammte Ding, die Zeit läuft. Er fasste in die Neopren-Halsmanschette, lockerte sie und zwang sich, ruhig zu atmen. Suchend huschte sein Lichtstrahl durch das Schiff. Dort war die Truhe, unterhalb der Dachluke – hier musste es sein.
Plötzlich ein Ruck. Etwas zog an seinem Atemregler. Er schluckte trocken, sein Puls raste. Doch er hatte sich nur an einem Regalbrett verhängt. Noch fünf Minuten. Der Truhendeckel klemmte. Geh auf, verdammt! Er rüttelte daran. Das Adrenalin peitschte durch seine Adern. Endlich! Knarrend öffnete sich der Deckel.
Da war sie, die schwarze Tasche! Ein wasserdichter Seesack. Erleichtert packte er das schwere Gepäckstück. Hatte der Bursche Goldbarren darin verpackt? In der Kabine war es zu eng, um sich umzudrehen. Er musste rückwärts hinaustauchen. Noch vier Minuten. Alex hangelte sich mit den Ellbogen vorsichtig an den Schränken entlang. Verdammt, wenn er nur sehen könnte! Immer wieder stieß er mit seiner Tauchflasche gegen die Decke, blieb hängen und zerrte sich ungeduldig frei. Ruhig bleiben! Die Ausatemluft blubberte an seinen Ohren vorbei. Noch drei Minuten.
Endlich hatte er es geschafft. Mit einem Rundumblick orientierte er sich. Der Lichtschein der Sirène erschien ihm wie ein heller Stern, der ihm den Weg wies. Er schob sich die Tasche über den Arm, um die Hand für die Tarierung freizuhaben und tauchte Richtung Oberfläche. Noch zwei Minuten.
»Du siehst, ich bin noch nie unpünktlich gewesen«, rief Alex, als er neben dem Tauchboot die Wasseroberfläche durchstieß.
Jean-Luc erwiderte sein Lachen, doch seine Miene drückte Besorgnis aus, als er Alex die Flossen abnahm. »Wir müssen zurück, wir können nicht länger warten, bis Hilfe kommt. Unser Freund hat zwar getobt, als ich ihm vom Krankenhaus erzählt habe, dagegen scheint er eine Aversion zu haben, doch nun ist er still. Ich denke, er hat schon zu viel Blut verloren. Sein Puls rast und ist flach. Kümmere dich um ihn! Ich fahre los und gebe per Funk Bescheid.« Im Weglaufen schlug er ihm auf die Schulter. »Gut, dass du heil wieder da bist, imbécile.«
Nachdenklich blickte Alex ihm nach, dann ergriff er den Sack und kniete sich neben den Verletzen. Der hatte die Augen geschlossen, die Gesichtshaut wirkte durchscheinend blass im fahlen Licht. Vorsichtig nahm Alex die schlaffe Hand und legte sie auf die Tasche. »Ey, amico, tua borsa.«
Der Verletzte blinzelte, Tränen traten in seine Augen. »Mille grazie«, hauchte er. »Mille, mille grazie!«
»Schon okay, Kumpel.« Alex schluckte und tätschelte seine heile Schulter.
»Can you ... take the aluminium box ... per favore?« Der Verletzte war auf ein hart klingendes, gebrochenes Englisch umgeschwenkt.
Alex öffnete die Tasche. Eine silberne Kassette schimmerte schwach im Schein der Navigationsbeleuchtung der Sirène, vermutlich war es ein Mini-Tresor. Er war so groß und schwer wie ein dickes Buch, außen leicht feucht, in den Seesack musste etwas Wasser eingedrungen sein. Er wollte sie dem Italiener in die Hand legen, doch der wehrte ab.
Alex beugte sich mit dem Ohr an seinen Mund.
Die Stimme des Verletzten wurde mit der zunehmend schwindenden Kraft beinahe unhörbar und vom Dröhnen des Motors der Sirène übertönt, die Richtung Porto Vecchio raste.
»Please ... the box ... bring to my friend Sam ... molto importante ... sailing boat ... name Escape ... in Santa Teresa di Gallura in Sardegna ... isse very important ...«
Seine Finger krallten sich schmerzhaft in Alex' Arm. Verblüfft erwiderte Alex den bohrenden Blick aus schwarzen Augen »Du möchtest, dass ich die Kassette zu deinem Freund Sam nach Sardinien bringe, auf ein Schiff namens Escape?«, versicherte er sich auf Englisch.
»Si ... please ... di gran valore ... very valuable ... do not tell anybody.«
Herrje, was war so wertvoll, dass er niemandem etwas davon sagen durfte? Als er nicht sofort antwortete, schlossen sich die Finger fester um seinen Arm.
»Promise ... please ... tell nobody ... very important ... molto importante.«
Alex nickte verwirrt.
»Promise ...«
»Ja, ich verspreche es, ich sage niemandem etwas davon.«
Der Italiener sackte in sich zusammen, sein Griff lockerte sich und die Hand sank zu Boden.
Alex rieb sich den Arm. »Weiß denn dieser Sam Bescheid, wenn ich sage, dass ich von Silvio komme?«
Der Verunglückte öffnete den Mund, doch bevor er antworten konnte, zollten der Blutverlust und die Anstrengung ihren Tribut. Er versank in einer gnädigen Ohnmacht.
*
Mario Monteleone jagte den Ferrari die Auffahrt zu seinem Anwesen hinauf. Der Kies spritzte von den Rädern, die nur vom Stabilitätsprogramm CST am Durchdrehen gehindert wurden. Machtvoll vibrierte das Lenkrad unter seinen Händen, übertrug das Brummen bis in sein Innerstes. Wie gern wäre er jetzt kilometerfressend durch die Gegend geprescht, hätte den brodelnden Ärger in den Asphalt gewälzt, doch auf öffentlichen Straßen hielt er sich streng an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Niemand würde ihm je etwas vorwerfen können. Keinesfalls würde er den Fehler seiner Vorgänger begehen, sich in der Öffentlichkeit etwas zuschulden kommen zu lassen. Hart schaltete er einen Gang herunter, als die Anhöhe zu seinem Anwesen steiler wurde. Er drückte aufs Gaspedal. Alles überrollte ihn momentan, nicht nur der Wahlkampf, der allein seine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen sollte. Das grelle Scheinwerferlicht des Ferraris tauchte in das Licht der riesigen Strahler ein, die die Fassade des Casa Monteleone bei Nacht in einen Silberschein hüllten. Wenn er nur den Präsidenten wieder in solch ein Rampenlicht rücken könnte. Es musste sich dringend eine Gelegenheit ergeben, um die Position von Roberto Tramontana so kurz vor den Wahlen zu stärken. Eine Wiederwahl war zwingend notwendig, um seinen eigenen Stand zu festigen und seine Zukunft zu sichern. Momentan stand ihnen zwar kein potenzieller Gegenkandidat mehr im Wege, doch die Vergangenheit hatte sie gelehrt, dass der Zufall den einen oder anderen Überraschungskandidaten im Ärmel haben konnte. Wenn er den positiven Wahlausgang bloß schon in der Tasche hätte. Das Rumoren in seinem Bauch verstärkte sich. Jemand war darauf aus, seinen sorgfältig ausgearbeiteten Plan zu vereiteln. Doch nicht mit ihm, Mario Monteleone! Verärgert hieb er aufs Lenkrad. Die undichte Stelle musste er finden, und zwar unverzüglich! Seine Fingerknöchel traten weiß hervor, als er das Lenkrad fest umklammerte. Es gab nur eine Handvoll Eingeweihter, für deren Loyalität er bislang Stein und Bein geschworen hätte. Gnade dem, der es wagte, ihn zu hintergehen, sein Vertrauen zu missbrauchen. Das würde dieser aufs Bitterste bereuen.
Direkt vor den beiden marmornen Berglöwen, die das Eingangsportal säumten, trat er so abrupt auf die Bremse, dass sein Leibwächter Enzo hart in den Sicherheitsgurt geschleudert wurde. Der trug es mit der ihm eigenen stoischen Fassung, kein Laut war zu vernehmen.
Als Mario die Marmortreppe hinaufstürmte, öffnete sich die Eingangstür. Doch es stand nicht wie erwartet der Butler dahinter; ein fremdes Hausmädchen begrüßte ihn mit einem tiefen Knicks und bot ihm Einblick in ihren prall gefüllten Ausschnitt. »Guten Abend, Signore Mario.«
Er wandte sich zu Enzo um, der ihm auf den Fersen gefolgt war, und hob fragend die Augenbrauen.
»Ich dachte, Sie benötigen vielleicht noch eine kleine Erfrischung, Signore Mario, wenn Sie nach Hause kommen.«
Unwillkürlich stahl sich ein Lächeln auf Marios Lippen. Eine Erfrischung könnte er nach diesem fürchterlichen Abend sehr gut gebrauchen. »Ist gut, Enzo«, sagte er und nickte ihm wohlwollend zu.
Der verzog sich diskret ins Foyer.
Entspannt lehnte sich Mario an den Türrahmen. »Wie lange arbeitest du schon bei uns?«, wandte er sich an das Mädchen.
»Zwei Wochen, Signore Mario, aber bisher habe ich nur beim Saubermachen geholfen. Enzo sagte, ich solle mich bereithalten, bis ich ... gebraucht werde.«
Mario nickte. Ungeniert musterte er sie von oben bis unten. Sie trug die übliche schwarze Uniform seines Hauses mit der aufgesetzten weißen Schürze, doch zumindest heute war diese eine Nummer zu klein ausgefallen, sie spannte über ihren Brüsten und ließ viel Spielraum, um ihre langen Beine zu präsentieren.
Unwillkürlich fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen. »Wie heißt du?«
»Mein Name ist Theresa, Signore Mario.« Wieder knickste sie mit halb geschlossenen Liedern. Sie musterte ihn verstohlen, was sie jedoch nicht übermäßig verbarg.
Sein Lächeln wurde breiter, er fuhr sich durchs Haar. Diese jungen Mädchen standen auf distinguierte Männer. Seine grauen Schläfen machten ihn nur anziehender für sie, sie spürten die Aura der Macht, vor deren Bann keiner gefeit war. Auch ihr gefiel offensichtlich, was sie sah. Und sie schien die Spielregeln zu kennen. »Was hast du vorher gemacht?«
»Ich habe das Abitur absolviert, später möchte ich Kunst studieren.«
Mario lächelte. »Dann sparst du jetzt für dein Studium?«
Sie nickte, ohne ihn anzublicken. Eine bezaubernde Röte überzog ihre Wangen. »Ja, Signore Mario.«
Wo Enzo diese Mädchen immer so zielsicher auftrieb?
Sie waren meist angehende Schauspielerinnen, Künstlerinnen, auf ihrem Weg nach oben. Verschwiegen, weil sie ein Ziel vor Augen hatten, welches er ihnen ermöglichen konnte. Keine hatte bisher ihr Arrangement bereut.
Er lächelte noch breiter. »Du wirst bestimmt eine sehr gute Studentin werden. Im Leben ist es wichtig zu wissen, was man will, und bereit zu sein, in seine Ziele zu investieren. Nur so erzielt man maximalen Erfolg. Ich kenne einige Künstler – berühmte Künstler«, betonte er, »wenn du Hilfe brauchst, können wir dir auch später weiterhin unter die Arme greifen, während deines Studiums, wenn du ... nicht mehr hier arbeitest.«
Ein Strahlen blitzte über ihre Züge, dann fasste sie sich wieder. »Das würde mich sehr freuen, Signore Mario«, murmelte sie und presste die Arme seitlich an den Körper, dass die Brüste beinahe aus ihrem Oberteil quollen.
In seinem Unterkörper breitete sich eine wohlige Wärme aus.
Ihr braunes Haar umrahmte in Wellen ihr Gesicht und fiel bis über die Schulterblätter. Das Spitzenhäubchen unterstrich die explosive Mischung aus jugendlicher Unschuld und Verruchtheit, die sie ausstrahlte. Sie war genau sein Typ.
Mario holte tief Luft und gestattete der Erregung, komplett von ihm Besitz zu ergreifen. »Wie alt bist du?«
»Neunzehn, Signore Mario.«
Zufrieden nickte er.
Keinesfalls würde Mario die Fehler von Berlusconi machen, sich mit Minderjährigen einzulassen. Ihr Körper lockte frisch und knackig, trotzdem war sie reif genug zu wissen, worauf es ankam, denn bei seiner ausgiebigen Musterung ihrer Brüste hatte sie ihm diese einladend entgegengestreckt.
Er schob seine Hand in die Hosentasche. »Gut«, sagte er abschließend. »Geh in die Küche, sie sollen mir einen Teller leichte Antipasti misti vorbereiten, ich habe noch nicht zu Abend gegessen. Ich lasse dich dann von Enzo rufen, sobald du mir ... das Essen bringen kannst.«
Sie sah ihn kurz an, eine Mischung aus Erleichterung und Zufriedenheit spiegelte sich in ihren Augen, bevor sie diese wieder niederschlug und knickste. »Sehr wohl, Signore Mario.«
Ihr wohlgeformtes Hinterteil wackelte aufreizend, als sie in Richtung Küche stöckelte. Diese Unterwürfigkeit, die sich mit Verlockung paarte, versprach ein angenehmes Ende für diesen Abend.
Leichtfüßig schritt Mario die Stufen nach oben in ihre Privaträume, Enzo folgte ihm wie ein Schatten.
Francesco, einer der Leibwächter seiner Frau, saß vor ihren Gemächern und las in einem Buch. Als sie näher kamen, stand er auf. »Guten Abend, Signore Mario.«
Mario nickte ihm zu und öffnete die Tür.
Ihre Wohnräume lagen verlassen im Dunkeln, doch aus ihrem Schlafzimmer drang ein Lichtschein unter dem Türspalt hervor.
Fara saß beinahe verloren in dem riesigen Himmelbett, hatte ihr Notebook auf dem Schoß und Kopfhörer eingestöpselt. Sichtlich erschrocken fuhr sie zusammen und klappte das Notebook zu. Ihre Wangen wurden für einen Moment feuerrot, bevor sich die Farbe darin zu einer fahlen Blässe verlor. Hastig riss sie die Stöpsel aus ihren Ohren. Ihre Hand zitterte. »Mario, ich habe dich gar nicht kommen hören, guten Abend«, stammelte sie. Ihre ovalen Augen wurden beinahe rund, als hätte sie Angst.
Sie verhielt sich wie ein Pennäler, der von seiner Mutter beim Porno schauen erwischt wurde. Er schmunzelte. Wäre Fara nicht die Letzte, die so etwas tun würde, hätte er laut gelacht.
»Darf ich nicht meine Frau besuchen?« Er weidete sich an ihrer seltsamen Verlegenheit. Trotz ihrer neunundzwanzig Jahre war sie manchmal unbedarft wie ein Kind.
»Doch, natürlich«, versicherte sie eilends, kaum, dass er ausgesprochen hatte. Vorsichtig platzierte sie das Notebook auf ihrem Nachttisch, ohne Mario anzusehen.
Sie setzte sich auf, als er näherkam. Ihre Mandelaugen starrten ihn an, als wäre sie Rotkäppchen und er der böse Wolf. Sie hatte immer Respekt vor ihm gehabt, doch irgendetwas war eigenartig.
Er beugte sich zu dem Notebook auf dem Nachttisch und schrak zusammen, als unter Faras Decke etwas zappelte. Ihre Katze kam zum Vorschein.
»Ich habe dir doch gesagt, sie hat nichts hier zu suchen!«, herrschte er sie an.
»Geh in dein Körbchen, Bastet.« Faras sanfte Stimme stand im Gegensatz zu den hektischen roten Flecken auf ihren Wangen. Sie schob die Katze aus dem Bett.
Blödes Vieh! Dass sie ein Bein etwas hinterher zog, hatte sie verdient. Bastet – allein dieser Name! Eine Ägyptische Mau, die nach einer ägyptischen Katzen-, Glücks- und Fruchtbarkeitsgöttin benannt war. Es hatte bisher nicht geholfen, Fara endlich eine Schwangerschaft zu bescheren. Diese Katze musste beseitigt werden. Womöglich war sie es, die Unglück brachte und die Schwangerschaft verhinderte.
Dabei brauchte er so dringend Nachkommen, nicht nur, weil dann Faras Geld sichergestellt wäre. Er wollte eine richtige Familie. Blut war dicker als Wasser. Die Sippe hielt zusammen. Er lockerte seine Krawatte, seine Kehle wurde eng.
Seit seine Nonna gestorben war, war nichts mehr, wie es einst gewesen war. Wie schön wäre es, einen kleinen Jungen zu haben, mit dem er als Präsident abends über seine Regierungsgeschäfte sprechen könnte. Oder ein Mädchen, das mit Schokoladenaugen bewundernd zu ihm aufsehen und ihn schon an der Tür erwarten würde, wenn er nach Hause käme. Ihm etwas zu trinken brächte, um sich dann auf seinen Schoß zu kuscheln und ihm etwas vorzusingen.
Ein sehnsuchtsvolles Ziehen breitete sich in seinem Magen aus. Nie hatte er sich stärker den Zusammenhalt der Familie gewünscht als in den letzten Tagen. Er würde die Familienplanung mit Fara in zwei Tagen wiederaufnehmen, wenn ihre fruchtbaren Tage nahten. Doch jetzt brauchte er etwas, das ihn aufmunterte. »Lass die Katze nicht wieder in dein Bett, das ist widerlich! Es war ein langer Tag, ich bin erschöpft. Ich werde nur eine Kleinigkeit essen und auch gleich schlafen gehen. Gute Nacht!«
Mechanisch beugte er sich zu ihr, um sie auf die Wange zu küssen.
Sie zuckte zurück.
»Was ist los?« Verärgert runzelte Mario die Stirn.
»Nichts, ich ... habe etwas Kopfschmerzen.« Sie blickte an ihm vorbei.
Misstrauisch kniff er die Augen zusammen und musterte sie. Wies sie ihn ab? Probehalber streckte er die Hand nach ihr aus.
»Mein Vater wollte gleich noch anrufen.« Sie klang atemlos.
Mario erstarrte. Was fiel ihr ein, ihren Vater ins Spiel zu bringen? Sie wusste, wie sehr er diesen hasste, auch wenn sie die Hintergründe nicht kannte. Der Geldsack hatte genug, um ganz Vatikanstadt zu kaufen. Aber alles, was sie besaßen, lief ausschließlich auf Faras Namen, als wäre Mario nicht ihr Mann, sondern ein Bittsteller. In ihm brodelte Ärger hoch.
Um die Wege für die Ölgeschäfte seines Schwiegervaters in Italien zu ebnen, war er gut genug. Sicher war die Lösung nicht schlecht, dass die Gelder über Fara unauffällig laufen konnten und ihm dieses Leben ermöglichten. Sein Plan war sorgfältig ausgeklügelt, niemand konnte ihnen auf die Schliche kommen. Keiner würde den alten Herrn mit dem Öl aus Saudi-Arabien in Verbindung bringen.
Doch er hatte sich das alles anders vorgestellt. Wenn er erst einmal Präsident war, würde sich dieser Tyrann schon noch umsehen, da würden die Weichen anders gestellt. Nachdenklich rieb sich Mario über das Kinn. Warum sollte der Alte gerade jetzt anrufen, wo er seine Tochter sonst ignorierte? »Was will dein Vater?« Die Schärfe in seiner Stimme unterdrückte er nicht.
Ihre Gesichtsfarbe wechselte von Weiß auf Rot. »Ich weiß es nicht, ich habe nicht gefragt. Ich glaube, wegen ... des Geburtstags meines Pflegevaters. Er sagte nur, ich solle auf seinen Anruf warten«, murmelte sie.
Natürlich, Fara tat immer, was man ihr sagte.
Im Wegdrehen erhaschte er den erleichterten Blick, mit dem sie ihr Notebook streifte. Verblüfft hielt er inne. Hatte die brave Fara etwa Geheimnisse vor ihm? Er ging zurück und ergriff das dünne Apple-Notebook. So leicht lag es in seiner Hand und so schwer schien es auf ihrer Seele zu lasten. »Du solltest wirklich nicht so viel in diese Kiste starren, dann würdest du keine Kopfschmerzen bekommen. Am besten du ruhst dich aus, ich nehme das so lange mit.«
Das Notebook unter den Arm geklemmt, schritt er zügig aus. Aus den Augenwinkeln sah er, dass sie ihm hinterhersprang. Das blanke Entsetzen, das sich auf ihren Zügen abzeichnete und jegliche Farbe darin verbannte, musste etwas zu bedeuten haben. Er würde es herausfinden.
»Mario, bitte!« Panisch gellte ihre Stimme.
In dem Moment läutete das Telefon.
Er zuckte zusammen.
Sie ergriff den Hörer wie einen rettenden Anker.
Dieses Arabisch, mit dem sie in den Hörer säuselte, hasste er, am liebsten hätte er Fara geschüttelt.
Sie rief ihm hinterdrein: »Mario, gibst du mir bitte mein Notebook wieder? Ich wollte mit meinem Vater ... etwas ... besprechen.« Ihre Stimme klang schon fester, auch wenn ihre Augen noch schreckhaft geweitet waren.
Fluchend hielt er inne. Sein Schwiegervater finanzierte den Wahlkampf mit. War es den Ärger wert, wegen irgendwelchen Kinderkrams, den Fara wohl verbarg? Unwirsch warf er es auf ihr Bett und stürmte zur Tür hinaus.
Verfluchtes Weibsstück, das würde sie ihm büßen, ihre Geheimnistuerei. Was immer auf diesem Notebook war, bis spätestens morgen Abend würde er jedes Byte darauf kennen, das war sicher.
Ich wurde allein geboren. Ich werde allein sterben.
Und dazwischen bin ich Tag und Nacht allein.
(Sengai)
Alex erwachte, weil ihn etwas an der Nase kitzelte. Haare. Ein verstrubbelter Blondschopf kuschelte sich in seine Armbeuge. Unwillkürlich schlich sich ein zufriedenes Grinsen auf sein Gesicht, als eine Hand die Linien seiner Bauchmuskeln nachzeichnete, bevor sie weiter nach unten strich. Sein Verlangen wuchs.
Die Erinnerung an die Rettungsaktion der vorangegangenen Nacht drängte sich in sein Gedächtnis. Jeannette hatte ihm gutgetan, ihre Ablenkungsversuche waren äußerst erfolgreich gewesen.
Er zog sie noch näher an sich und malte mit dem Zeigefinger Kringel auf ihre Schulter. Sie schnurrte und zog ihrerseits Schlangenlinien unterhalb seines Nabels. Als sich ihre Hand gleich darauf wieder auf Aufwärtskurs befand, stieß er einen gespielten Protestlaut aus. »Mm, falsche Richtung.«
»Ich muss gleich zur Arbeit.« Jeannette zog einen Schmollmund, ihr war das Bedauern anzusehen.
Alex drückte einen Kuss auf ihre Lippen. »Kannst du nicht noch ein bisschen bleiben?«
»Eigentlich bin ich schon spät dran.« Sie blickte ihn mit ihren Kulleraugen unentschlossen an.
Dunkel hob sich seine Hand gegen die zartweiße Haut ihrer Brust ab, als er sie streichelte.
»Uh, Alex ...«, protestierte sie, doch ihr Versuch, ihn wegzuschieben, war äußerst halbherzig.
»Ich mag es, wie du Alöööx sagst.« Grinsend ließ er seine Fingerkuppen kreisen.
»Es hilft nichts, wenn du mich mit deinen Raubkatzenaugen so verschlingend ansiehst. Ich muss los, leider, sonst komme ich zu spät.« Sie seufzte und zog ihre Nase kraus.
»Jaja, schon gut.« Mit einem Stöhnen rollte er sich zur Seite.
Jeannette fuhr mit dem Finger die große Drachentätowierung nach, die sich über seinen gesamten Rücken zog. »Sehen wir uns heute Abend?« Aus ihrer Stimme klang Unsicherheit.
Alex zögerte. So langsam schlich sich eine Regelmäßigkeit in ihre Treffen. Sie hatten sich von Anfang an auf eine Affäre geeinigt, er wollte nicht, dass sie mehr darin sah.
Als hätte sie seine Gedanken gespürt, fuhr sie fort: »Du bist ja schließlich nicht mehr lang auf Korsika und ...«, sie kicherte, »du bist ziemlich gut in ... dem, was du tust, mon cher.«
Er musste lachen und drehte sich zu ihr zurück. »Du kleine Schmeichlerin. Was willst du?«
Sie blinzelte ihn kokett an und kuschelte sich an ihn. Dieses Mal hielt ihre Hand nicht unterhalb seines Nabels ein.
Alex sog die Luft durch die Zähne. »Deine Überredungskünste sind unschlagbar. Ich hole dich um acht an der Bäckerei ab, okay?«
Wenn es für sie in Ordnung war, sollte es ihm recht sein. Er mochte sie, ihren anschmiegsamen Körper mit den weiblichen Kurven.
Ihre Hand zwischen seinen Beinen bewegte sich schneller.
Er hielt sie am Handgelenk fest. »Jeannette! Wenn du so weitermachst, kommst du jetzt nicht zur Arbeit.«
Sie kicherte und rollte sich auf den Rücken. »Ich dachte, ein kleiner Vorgeschmack auf heute Abend.«
»Dir gebe ich deinen Vorgeschmack«, knurrte er, beugte sich über sie und liebkoste mit den Lippen ihre Brust, während er seine Fingerspitzen hauchzart über ihren Körper gleiten ließ.
Sie drängte sich ihm entgegen und stöhnte auf.
»Musst du nicht los?« Er grinste.
Dieses Mal klang das Stöhnen eher unwillig. »Wie viel Uhr ist es?«
Alex angelte nach ihrem Handy auf dem Nachttisch und tippte darauf. »Viertel nach sieben.«
»Dann lass uns keine Zeit verschwenden!« Sie vergrub ihre Hände in seinen Haaren und zog seinen Kopf wieder zu sich hinunter. »Das Leben ist eh viel zu kurz.«
Das Tauchschiff war bereits unterwegs, als Alex in der am Hafen von Porto Vecchio gelegenen Basis eintraf, nur Jean-Lucs Frau Oriane, eine hagere Schwarzhaarige, die Büro und Verkauf betreute, saß über Rechnungen gebeugt und raufte sich die Haare.
Er zwinkerte ihr verständnisvoll zu. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend stieg er ins Obergeschoss der Tauchbasis, in dem sein Zimmer lag, und eilte unter die Dusche. Viel Zeit blieb ihm nicht, wenn er die Mittagsfähre nach Sardinien erreichen wollte, er hatte noch einiges zu tun.
Als er die Tür zur Meeresbiologischen Station öffnete, die neben der Tauchbasis lag, unternahm gerade ein junger Oktopus einen Fluchtversuch aus einem der Aquarienbecken. Eifrig versuchten die Arme an dem Schlauch vorbeizukommen, der das Becken mit frischem Sauerstoff versorgte.
Alex stürzte zum Becken und lachte auf. »Hey, du kleiner Racker, du bist selbst schuld, dass du hier gelandet bist, wenn du dich in einem Plastikbecher versteckst, den ich herausfische. Ich weiß, du würdest es locker schaffen, aber wenn du ausbüxt, vertrocknest du hier draußen.« Vorsichtig schob er die Abdeckung beiseite.
Der Oktopus flüchtete auf den Grund in eine Ecke, wechselte seine Hautfarbe von Braun auf Weiß, gab sich redliche Mühe, sich dem Sandgrund anzupassen.
Ruhig ließ Alex seine Hand auf dem Beckengrund liegen.
Der Kopf des Tieres, der so groß wie die eingezogenen Arme war, reckte sich nach oben. Mit seinen goldenen Augen beobachtete er aufmerksam die Umgebung. Die Farbe seiner Haut wechselte in Wellen, der Tintenfisch musste aufgeregt sein.
Doch anscheinend war die Neugierde größer als die Angst. Vorsichtig streckte er einen Arm zu Alex' Finger und betastete ihn. Die kleinen Saugnäpfe hafteten sich an seine Haut, es kribbelte. Alex hielt still und beobachte den Oktopus, der kaum größer als seine Faust war. Was würde er wohl tun?
Neugierig folgte der zweite Arm, tastete sich voran, kurz darauf thronte der ganze kleine Kerl auf seiner Hand. Als der Oktopus anfing, mit seinem Beißwerkzeug seinen Handrücken zu erkunden, zuckte Alex kurz zusammen. Sofort zuckte der Kleine ebenfalls, flüchtete sich wieder in seine Ecke und wechselte aufgeregt seine Farbe.
Alex lachte. »Du Quatschkopf. Ich bin weder Futter noch eine potenzielle Partnerin für dich. Morgen lass' ich dich wieder frei, versprochen.«
Er schob die Abdeckung zu, verriegelte sie, verschloss alle Öffnungen zusätzlich mit einem Klebestreifen und versicherte sich, dass sein Findling nicht entkommen konnte. »Jetzt muss ich aber dringend etwas arbeiten.« Mit einem Lächeln auf den Lippen wandte er sich ab.
Vorsichtig entnahm er eine kleine Probe von einem der Schwämme im nächsten Aquarium und untersuchte sie unter dem Mikroskop. Der Schwamm war gesund.
Zufrieden lehnte er sich zurück.
Tatsächlich schien er dem Problem auf die Spur gekommen zu sein, wie die Verpilzung der Schwämme eingedämmt werden konnte, die sich in dieser Ecke des Tyrrhenischen Meers so rapide verbreitet und gedroht hatte, die gesamten Schwammpopulationen auszulöschen. Noch zwei, drei Tage, um sich seiner Ergebnisse zu versichern, und die Arbeit der letzten Wochen würde hoffentlich ihren Erfolg präsentieren.
Er notierte die Resultate in seinem Laptop, sicherte sie und schrieb eine kurze Mail an seine Assistentin Katie Downing, eine Doktorandin aus England, die sich auf Heimaturlaub befand. Dann dehnte er sich ausgiebig.
Aus seinem Posteingang leuchtete ihm eine Einladung wichtig markiert entgegen: Er sollte als Gastdozent einen Vortrag für das Ozeanologische Institut in Marseille halten. Müde strich er seine vom Duschen noch feuchten Haare nach hinten. Einerseits mochte er diese Vorträge, die Arbeit mit den Studenten, die Abwechslung brachte, andererseits war dies mit immensen Vorbereitungsarbeiten verbunden. Schulterzuckend sagte er zu. Kurz überlegte er, ob er die Unterlagen für das meeresbiologische Seminar vorbereiten sollte, das er in zwei Tagen halten würde, doch wenn er die Fähre erreichen wollte, musste er los.
Wie ärgerlich, dass er die Wertsachen des Verletzten nach Sardinien bringen musste. Warum hatte er nicht vorgeschlagen, sie in den Tauchbasis-Safe einzuschließen? Er seufzte. Nun gut, er hatte es versprochen, die paar Stunden konnte er investieren. Vielleicht kam dieser Sam mit zurück und konnte dem Verletzten beistehen. Sicherlich wäre der froh, einen Freund um sich zu haben.
An der Tür warf er nochmals einen letzten Rundumblick durch die Station. Aus den Schläuchen, die das Meerwasser in den Aquarienbecken mit frischer Luft versorgten, sprudelte es gleichmäßig. Alles war in Ordnung.
Oriane stand vor der Tauchbasis, den Telefonhörer ans Ohr gedrückt, und zog sichtlich genervt an einer selbst gedrehten Zigarette. Sie rollte die Augen in seine Richtung und sah ziemlich erschöpft aus. Wahrscheinlich hatte sie einen anstrengenden Kunden am anderen Ende. Kurz überlegte er, ob er ihr seinen Zielort mitteilen sollte, doch er wollte nicht länger warten. So drückte er lediglich ihre Schulter und wies nach draußen.
Alex schwang sich auf seine Triumph Thunderbird und startete. Der sonore Sound brachte einige Köpfe in seiner Umgebung dazu, sich ihm zuzuwenden. Unwillkürlich überkam ihn Besitzerstolz auf sein Motorrad, das ihn schon an viele Plätze der Welt begleitet hatte. Ungeachtet der teilweise hohen Transportkosten ließ er es zu sämtlichen Arbeitsstellen in verschiedenen Destinationen verschiffen, sofern er nicht konstant auf einem Forschungsschiff unterwegs war.
Er strich sich die Haare aus der Stirn, als könnte er damit auch die sentimentalen Gedanken vertreiben, die ihn heute immer wieder überkamen.
Die schwarze Halbschale, die er überstülpte, war als Sturzhelm nicht wirklich ein ausreichender Schutz, aber es war so genial, sich den Wind durch die Haare wehen zu lassen und sich einfach frei zu fühlen. Er zog seine Sonnenbrille auf, legte den Gang ein und gab Gas. Sein T-Shirt flatterte im Fahrtwind.
Die Küstenstraße Richtung Südsüdwesten nach Port de Bonifacio, dem Abfahrtsort der Fähre nach Sardinien, war relativ frei an diesem Dienstagmorgen, so konnte er sich unbeschwert in die Kurven legen. Das tiefe Brummen vibrierte durch seinen Körper. Unwillkürlich zog sich ein zufriedenes Grinsen über sein Gesicht. Immer wieder wehte der würzige Kräuterduft der Macchia in seine Nase und vermischte sich mit der frischen Seeluft. Die Landschaft wechselte von pinienumsäumten Granitfelsen im Südosten der Insel zur wind- und wellenumtosten Kalksteinküste um Bonifacio. Wie jedes Mal, wenn er hierherkam, fesselte ihn der Blick auf die mittelalterliche Festungsstadt, deren antike Häuser sich hoch oben auf der kalkweißen Steilküste eng aneinanderdrückten und kaum Platz für die verwinkelten Gässchen dazwischen frei ließen.
Die Triumph tuckerte vorbei am Hafen, wo sich Megajachten, Segelboote und Fischerboote in dem großen Naturbecken vereinten. Kurz spielte er mit dem Gedanken, seine Thunderbird mit auf die Fähre nach Sardinien zu nehmen, doch dann verwarf er diesen wieder. Vielleicht könnte er später auf dem Heimweg eine Spritztour über die Berge machen.
Die Vorfreude schob ein Lächeln auf seine Züge. Er schaltete herunter, legte sich in die enge Haarnadelkurve vor der Zitadelle und brauste durch das Tor in der Festungsmauer zum bewachten Parkplatz auf halber Höhe des Hanges. Sorgfältig verschloss Alex sein Motorrad, auch wenn er nicht wirklich Sorge haben musste, dass jemand dieses Unikat unbemerkt mitnehmen könnte, und eilte in großen Sätzen die Stufen zum Hafen hinunter.
*
Rom, Palazzo Chigi
»Wie konnte so etwas passieren?« Angelina Armados Augen versprühten Eiskristalle. Die Umgebungstemperatur kühlte merklich ab.
Mario Monteleone trat einen Schritt zurück. »Ich habe dir gesagt, es ist alles so gut wie erledigt.«
»Dann bring es auch zu Ende, und zwar subito. Wir sind kurz vor der Wahl, denk daran!« Ihre übliche kühle Beherrschtheit fing an zu bröckeln – nun musste er vorsichtig sein. Mit ihrem engelsgleichen Aussehen, das sie sich mit viel Geld und chirurgischer Hilfe bewahrte, vermochte sie ihn nicht mehr zu täuschen. Es hatte schon mehr als einen kalt erwischt, die das Pech hatten, sie zu unterschätzen. So dumm war er nicht. Dennoch würde er nicht die alleinige Schuld auf sich nehmen.
»Es ist ...«
»Du weißt Bescheid.«
Mario presste die Lippen zusammen, die Ader an seiner Schläfe pulsierte. Natürlich, für sie war die Angelegenheit hiermit erledigt, sie machte es sich einfach. Er hatte Ergebnisse zu liefern, mehr wollte sie nicht hören. Das kannte er inzwischen zur Genüge. Seine Zähne knirschten, als er eine harsche Antwort unterdrückte. Ihn abzukanzeln wie einen dummen Jungen würde er sich nicht bieten lassen. Was sich ihr Mann, Präsident Roberto Tramontana, von ihr gefallen ließ, war seine Sache. Mario war jedoch aus anderem Holz geschnitzt. Er brauchte keine Frau, die ihm sagte, was er zu tun hatte. Mühsam kämpfte er mit seiner Beherrschung, doch er würde sich nicht die Blöße geben, ihr seinen Ärger zu zeigen. Er lockerte die Faust, die er in seiner Jacketttasche geballt hatte, und fixierte Angelina stumm.
Der Wollteppich verschluckte die Schritte ihrer hochhackigen Velourslederpumps, als sie rastlos in seinem Büro im Palazzo Chigi, dem Regierungssitz, auf und ab ging.
Draußen ertönte ein Klirren.
Mario schob den Samtvorhang ein Stück zur Seite, der die mit Schmiedeeisen verzierten Fenster gegen das Sonnenlicht und neugierige Blicke verhüllte. Es war jedoch nur eine der Schreibkräfte, die vielleicht von einer frühen Mittagspause zurückkam und etwas fallen lassen hatte. Aufgeschreckt flatterte ein Schwarm Tauben umher.
Kein Fältchen zeigte sich auf Angelinas Stirn – das letzte Lifting konnte noch nicht so lange her sein –, dennoch sah er es in ihrem Kopf förmlich rattern. Mario lehnte sich gegen die Wand und ließ seine Blicke von ihr zur stuckverzierten Decke und den Eichenmöbeln gleiten, die den Raum dominierten. Was sie wohl wieder ausbrütete? Im Pläneschmieden stand sie ihm in nichts nach. Er sah zum Gemälde des Letzten Abendmahls von Jacapo Bassano, seine letzte Errungenschaft. Noch immer erfüllte es ihn mit Stolz, dass es seinen Platz in der Galerie der Villa Borghese mit der Wand hinter seinem Sekretär getauscht hatte. Jesus umringt von seinen Jüngern, die ihn vergötterten. Und doch gab es Judas, den Verräter.
Wer ...
Er schrak zusammen, als Angelina wieder sprach: »Was ist mit diesem Commissario Vergnelli – kann man ihm trauen?«
»Ispettore Vergnelli«, korrigierte Mario.
Doch sie winkte nur ab.
Er nickte kühl. »Ich traue ihm bedingungslos. Er hat mit seiner Truppe den Hauptverdächtigen festgenommen und sämtliche Beweise gesichert.«
»Dann sollte der baldigen Verurteilung nichts mehr im Wege stehen?«
»Ich weiß nicht, dieser aufstrebende Staatsanwalt, Vito Rossi ...« Verärgert presste er die Lippen zusammen. »Der scheint mir einer dieser Hundertprozentigen zu sein, die alles hieb- und stichfest haben wollen.«
Scharf blickte sie ihn an. »Ich dachte, das wäre es?«
»Das ist es«, erwiderte er indigniert, »an der Schuld dieses Faschisten kann es keine Zweifel geben, die Indizien sind erdrückend.«
Angelina hob die sorgfältig gezupften Augenbrauen. »Was willst du dann? Auch der Staatsanwalt profitiert von Branduardis Ableben. Einen Fall wie diesen, bei dem er sich durch solch eine rasche Verurteilung profilieren kann, bekommt nicht jeder geboten. Durch nichts könnte er seine Laufbahn schneller vorantreiben.«
Ableben – welch seltsames Wort in diesem Zusammenhang. Ausnahmsweise hoffte er, dass sie recht behalten möge und seine Bedenken sich als hinfällig erweisen würden. Er wollte keine weiteren Steine mehr in seinem Weg dulden.
»Der Fall muss bald abgeschlossen werden. Das Ganze schadet unserem Wahlkampf immens«, betonte sie. »Wir können uns nicht leisten, dass sich die Presse mit nichts Anderem beschäftigt. Die Medien sollten Roberto als den barmherzigen Präsidenten zeigen, wie er die Erdbebenopfer in der Toskana unterstützt. Nicht umsonst investieren wir viel Zeit in diesen Bereich. Die Wahl und seine positive Medienpräsenz sollten jetzt eindeutig im Vordergrund stehen.«
Verächtlich schnaubte er. Glaubte sie, das wüsste er nicht? Das musste sie bestimmt nicht hervorheben, er arbeitete bereits daran. »Natürlich muss der Fall baldmöglichst erledigt sein. Doch Vito Rossi ist lediglich dem Consiglio Superiore della Magistratura, dem Obersten Rat der Richter und Staatsanwälte, unterstellt und nicht dem Justizminister oder Präsidenten. Wir können nicht ausschließen, dass er sich querstellen wird.«
Um Angelinas Mundwinkel spielte eines ihrer eiskalten Lächeln, die ihm wechselweise Schauder der Abscheu und Erregung über den Rücken jagten. Doch bevor er näher darauf eingehen konnte, schwang sie plötzlich um. »Wir sollten etwas für die Kinder von Ernesto tun.«
Erstaunt hob er den Kopf. »Um für den Wahlkampf gut dazustehen?«
Angelinas Augen wurden zu Schlitzen, sie schürzte die Lippen und ihre Stimme wurde hart. »Die Kinder brauchen eine vernünftige Ausbildung. Die Familie ist nicht vermögend und ihr Ernährer ist ausgefallen. Man sollte sie unterstützen.«
»Wie stellst du dir das vor? Einen Scheck schicken?« Er konnte den spöttischen Unterton nicht unterdrücken.
Das klimatisierte Zimmer schien plötzlich um einige Grade kälter zu werden. Sie ertrug es nicht, auf den Arm genommen zu werden.
Mario strich sorgsam sein Haar glatt, ließ seine gebleichten Zähne aufblitzen – sein Charme verfehlte auch bei Angelina selten die Wirkung. Er trat auf sie zu. »Ich werde meine Frau darauf ansetzen, die kümmert sich gern um so etwas. Sie hat doch diese Waisenunterstützung gegründet, in die sie Berge von Geld steckt. Diesen Fond kann man sicherlich mit einem bisschen guten Willen auch für Halbwaisen zugänglich machen. Wenn eine Stiftung dahinter steht ...?«
Es war schwierig abzuschätzen, wie Angelina reagieren würde, doch sie schien ernsthaft über den Vorschlag nachzudenken.
Schließlich nickte sie anerkennend. »Gut!«, sagte sie in abschließendem Tonfall. »Ich bin froh, wenn für diese Kinder gesorgt wird.«
Er wusste, dass sie es ernst meinte.
Angelina trat auf ihn zu und ließ ihre blassrosa lackierten Nägel über sein Seidenhemd gleiten. Ihre harten, ballonförmigen Brüste drückten sich gegen seinen Oberkörper und strahlten eine Hitze aus, die im Gegensatz zur eisblauen Kälte in ihren Augen stand.
»Du kümmerst dich darum. Und auch um die andere Sache.«
Kurz streifte ihre Hand seinen Schritt, dann rauschte sie hinaus. Das rhythmische Klackern ihrer Absätze auf dem Marmorfußboden im Flur hallte nach.
*
Nach einer guten Dreiviertelstunde erreichte die Moby Line Fähre Santa Theresa di Gallura im Nordosten von Sardinien.
Alex blinzelte und legte die Hand über die Augen, trotz Sonnenbrille blendete das grelle Licht. Die Mittagshitze flimmerte über dem Hafenort, farbenfroh leuchtete die Uferpromenade im hellen Sonnenschein.
Der Kapitän manövrierte geschickt in dem engen Hafenbecken, das kaum größer als die Fähre selbst war. Geübt warf die Mannschaft die dicken Taue über die Poller an Land.
Die Privatschiffe lagen an Stegen auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht, sodass Alex an der Uferpromenade entlang um das gesamte Hafenbecken laufen musste. Er pustete sich gegen die Stirn, selbst im Schatten war es noch brütend heiß.
Der Meergeruch nach Tang vermischte sich mit dem von Fettgebackenem und Pizza aus einem anliegenden Restaurant. Sein Magen meldete sich knurrend zu Wort und erinnerte ihn daran, dass er das letzte Mal am Vorabend vor seinem Nachttauchgang etwas bekommen hatte. Doch zuerst wollte er diesen Sam finden und den Tresor loswerden.
Er studierte Steg um Steg die Namen der dort liegenden Schiffe. Es waren einige Prachtexemplare darunter: Eine Megajacht, auf der weiß gekleidete Crewmitglieder das Deck polierten und auf seinen Gruß reserviert zurück nickten, alte Holzboote, neue GFK-Schiffe, mit Segeln oder hochmotorisiert – so ziemlich jeder Schiffstyp war dabei. Auf einem Katamaran flatterte bunte Kinderwäsche im Wind, aus einer Motorjacht tönte die eintönige Computerstimme des italienischen Seewetterberichts auf UKW-Funk. Doch keine Escape weit und breit, dafür sichtete er bereits zum zweiten Mal eine Carpe Diem. Vielleicht hätte er seinen Tag auch besser nutzen sollen?
Warum nur hatte er den Verletzten nicht nach Details zur Escape gefragt? Nun war er gezwungen, alle Schiffe abzugehen, wenn er nicht warten wollte, bis er nach der Mittagspause im Hafenbüro nachfragen konnte. Gerade als er beschloss, umzudrehen, um doch zuerst etwas zu essen, wurde er auf dem vierten Steg fündig. Ein traditioneller, weiß lackierter Holz-Segelkutter trug in dicken Lettern den Namen Escape an seinem rundlichen Heck. Rockmusik drang aus dem Inneren und eine englische Flagge flatterte am Achterstag im Wind.
Ob dieser Sam wohl ein Engländer war? Wenigstens musste er seinen spärlichen Italienisch-Wortschatz nicht bemühen. »Hello, Sam?«
Doch sein Ruf verhallte ungehört, nichts regte sich. Nach dem Schlussakkord von Bon Jovis Dead or Alive rief er lauter: »Sa-ham?« Er wartete kurz. »Escape? Is anybody there?«
Die Musik, die wieder eingesetzt hatte, stoppte und ein Kopf tauchte aus dem hölzernen Deckshaus auf. Dichte braune Locken quollen aus einer übergroßen Baskenmütze und ein Schmutzstreifen verunzierte ein hübsches Frauengesicht, aus dem ihn zwei große, fast schwarze Augen grimmig anblickten.
Er hob grüßend die Hand und lächelte. »Hi! Is Sam in there?«
»Who wants to know that?«, brummte die Frau und kletterte aus der Kabine. Sie war wahrscheinlich etwas jünger als er, vielleicht Ende zwanzig, Anfang dreißig. Ihr schlanker Körper steckte in einer weiten Jeanslatzhose, die einige Ölflecke aufwies, und auch das T-Shirt darunter, auf dem in roten Lettern die Aufschrift Barbados prangte, hatte schon bessere Zeiten gesehen.
Wer das wissen will? Vor lauter Verblüffung rutschte Alex ein »Was?« heraus.
Ihre Augenbrauen zuckten nur kurz. »Kennst du dich mit Motoren aus?«, fragte sie übergangslos auf Deutsch.
»Ein bisschen.«
»Dann komm rein, vielleicht findest du heraus, was der Motor wieder für Zicken hat.«