Schwarze Gier - Die Spur der Angst - U.T. Bareiss - E-Book
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Schwarze Gier - Die Spur der Angst E-Book

U.T. Bareiss

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Beschreibung

Als der Meeresbiologe Alex Martin von bevorstehenden Ölbohrungen vor der Küste der Bahamas hört, ist er alarmiert. Denn die Gegend befindet sich in der Nähe eines unter Naturschutz stehenden hochempfindlichen Ökosystems! Ist bei der Lizenzvergabe betrogen worden? Zusammen mit zwei Kollegen von der Operation STARFISH - die sich auf maritime Umweltsünden spezialisiert hat - lässt er sich als Arbeiter auf der Ölplattform einschleusen. Die Ermittler stoßen auf eine geheime Organisation, welche die weltweite Ölförderung unter ihre Kontrolle bringen will und für diesen Plan vor nichts zurückschreckt. Um sie zu stoppen, begeben sich Alex und seine Kollegen in Lebensgefahr ...

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Epilog

Nachwort und ein dickes Dankeschön

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

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Über dieses Buch

Als der Meeresbiologe Alex Martin von bevorstehenden Ölbohrungen vor der Küste der Bahamas hört, ist er alarmiert. Denn die Gegend befindet sich in der Nähe eines unter Naturschutz stehenden hochempfindlichen Ökosystems! Ist bei der Lizenzvergabe betrogen worden? Zusammen mit zwei Kollegen von der Operation STARFISH – die sich auf maritime Umweltsünden spezialisiert hat – lässt er sich als Arbeiter auf der Ölplattform einschleusen. Die Ermittler stoßen auf eine geheime Organisation, welche die weltweite Ölförderung unter ihre Kontrolle bringen will und für diesen Plan vor nichts zurückschreckt. Um sie zu stoppen, begeben sich Alex und seine Kollegen in Lebensgefahr ...

U.T. Bareiss

Schwarze Gier

Die Spur der Angst

Ein Alex-Martin-Thriller

Für Hajot

Meine Liebe, mein Leben

Prolog

Warum die Hölle im Jenseits suchen?

Sie ist schon im Diesseits vorhanden,

im Herzen der Bösen.

(Jean-Jacques Rousseau)

Bohrinsel Antares, zwischen Andros, Bahamas und Florida, USA

Es sollte die letzte Fahrt der World Warrior sein – nach diesem Einsatz würde sie abgewrackt werden.

Wie viele Einsätze ich selbst wohl noch erleben werde?, ging es Patrick durch den Sinn, und das ungute Gefühl, das ihn seit dieser verfluchten Entdeckung ergriffen hatte, verstärkte sich.

Ein Ruck ging durch das alte Schiff, als der Kapitän die Fahrt drosselte und dann stoppte. Sie hatten den erforderlichen Mindestabstand von fünfhundert Metern zur Ölbohrinsel erreicht. Patricks Finger umklammerten die Reling noch etwas fester.

Angespannt sah er nach vorn. Stolz ragte die Plattform Antares aus dem tiefblauen Meer – wie eine uneinnehmbare Festung. Obwohl sie von der tropischen Sonne in ein gleißendes Licht gehüllt wurde, wirkte sie auf einmal bedrohlich. Trotz der Wärme fröstelte Patrick.

Er versicherte sich, dass ihre Mitstreiter auf dem Vordeck, die mit erhobenen Schildern in unterschiedlichen Sprachen Protestrufe angestimmt hatten, weit genug weg waren. Erst dann beugte er sich nach vorn und raunte Devon ins Ohr: »Bist du dir sicher, dass wir es den anderen nicht vorher sagen sollten?«

»Und uns den Spaß vermasseln? Spinnst du? Das wird die Enthüllung des Jahres! Ach was, des Jahrhunderts!« Devons blaue Augen funkelten übermütig. Momentan sah er eher aus wie ein kleiner Junge, der einen Streich plante – und nicht wie zweiundzwanzig. Patrick fühlte sich neben ihm plötzlich uralt, obwohl er selbst sogar knapp zwei Jahre jünger war.

»Und was, wenn sie doch bemerkt haben, dass wir uns in ihr System gehackt haben? Was, wenn sie wissen, dass wir es wissen?« Patrick merkte selbst, dass nun er sich wie ein kleiner Junge anhörte.

Devon zuckte betont lässig mit den Schultern. »Das hilft ihnen dann auch nicht mehr – bald weiß es die ganze Welt. Diesen Schweinen mit ihrer grenzenlosen Gier nach dem schwarzen Gold muss das Handwerk gelegt werden!«

»Hätten wir die Infos nicht doch noch irgendwo hinterlegen sollen?«

»Quatsch, das wäre zu unsicher gewesen. Es hätte vorher publik werden können.« Devon umklammerte seinen Arm so fest, dass es schmerzte. »Du hast doch auch Alicia nichts verraten?«, stieß er zwischen den Zähnen hervor.

»Nein, habe ich nicht!« Patrick war lauter als beabsichtigt geworden und senkte schnell den Blick.

»Und du sagst ihr auch nichts?«, drängte Devon.

Patrick zögerte. Eigentlich hatte er keine Geheimnisse vor seiner neuen Freundin. In den letzten fünf Wochen, die sie zusammen auf dem Schiff der Umweltorganisation Greenlife verbracht hatten, hatten sie zunehmend miteinander geteilt, was in ihnen vorging.

Zumindest, bis er mit Devon auf diese unglaublichen Hintergründe gestoßen war. Doch er hatte seinem Freund versprechen müssen, bis zur großen Enthüllung niemandem etwas zu verraten. Es ist ja nicht mehr lange hin, beruhigte er sich selbst.

Dann würde Alicia wissen, dass er Geheimnisse vor ihr gehabt hatte. Ob sie sauer oder verletzt sein würde? Oder wäre sie stolz auf ihn, dass er derjenige war, der die Hintergründe aufgedeckt hatte? Das Grummeln in seinem Bauch verstärkte sich. Auf einmal bereute er, sich so todesmutig gemeldet zu haben, mit Devon die Plattform zu erobern. Brauchten sie diese Bühne wirklich? Viel lieber bliebe er jetzt hier, bei Alicia. Und würde andere anfeuern.

Doch damals, als er sich freiwillig bereit erklärt hatte, die Plattform zu stürmen, war es sein Ziel gewesen, bei ihr zu punkten. Schließlich hatte das heißeste Mädchen aus der Crew ihn aus der Menge der anderen jungen Umweltaktivisten ausgewählt und seinem Werben nachgegeben, obwohl die Jungs bei ihr Schlange gestanden hatten.

Zweieinhalb emotionale Wochen hatten sie miteinander verbracht. Verborgene Leidenschaft. Vereint in ihrem Ziel, die Welt zu retten – und vielleicht auch ein bisschen sich selbst.

Es fühlte sich toll an, selbstständig zu agieren, endlich ein Ziel vor Augen zu haben, nachdem sie in der Schule gefühlt immer nur von den Lehrern fremdbestimmt gewesen waren. Und es war ein verdammt gutes Gefühl, zum ersten Mal im Leben so richtig, bis über beide Ohren, verliebt zu sein.

Vielleicht würde er – nach der spektakulären Offenbarung – auch seine Beziehung zu Alicia vor den anderen offenlegen. Die Geheimniskrämerei darum beenden. Gerede hin oder her, das sie hatten vermeiden wollen.

Heute war der Tag der Enthüllungen.

Entschlossen griff Patrick nach dem dünnen, schwarzen Latexanzug, der sie zwar nicht vor der Auskühlung schützen würde, aber so lange blieben sie ja nicht im Wasser. Er würde seinen Kindern und Enkeln später einmal erzählen können, welch relevanten Beitrag er zur Rettung der Welt geleistet hatte. Und Alicia würde stolz auf ihn sein.

Als hätte sie gespürt, dass er an sie dachte, drehte sie sich auf einmal zu ihm um. Sie ließ langsam die Hand mit der Kamera sinken und kam auf ihn zu. Der laue Wind blies ihr eine dunkle Haarsträhne ins Gesicht. Bevor er den Arm ausstrecken konnte, wischte sie sie selbst achtlos nach hinten.

»Es ist so weit.« Das Funkeln in ihren haselnussbraunen Augen konnte er nicht so richtig deuten. War es Aufregung? Besorgnis? Ihre Stimme klang auf einmal ganz dünn. »Pass auf dich auf. Versprich mir das, okay?«

Patrick zog sie in eine Nische hinter dem Deckshaus, wo sie vor den Blicken der anderen verborgen waren. Bislang wusste lediglich Devon von ihrer Beziehung. Patrick drückte Alicia an sich und streichelte ihren Rücken. Mit mehr Bestimmtheit, als er verspürte, sagte er: »Uns wird nichts passieren. Die Presse ist gleich da. Vor deren Augen werden sie uns nichts tun.«

Sie hob leicht den Kopf. »Und was, wenn die bahamaischen Behörden kommen? Wenn sie euch festnehmen? Immerhin betretet ihr fremdes Eigentum.«

»Dann wird Greenlife dafür sorgen, dass wir wieder freikommen. Das wussten wir doch von vornherein. Die Bahamas sind zivilisiert, nicht irgendein rechtloser, von einem Despoten regierter Drittweltstaat«, wiegelte er ab. Das andere Problem lag ihm viel drängender auf dem Herzen. »Ich ... wir ... haben noch eine Überraschung vorbereitet«, murmelte er schließlich. »Etwas von großer Bedeutung für unsere Mission. Für alle künftigen Aktionen.«

Sie lehnte sich in seinem Arm zurück und sah ihn erstaunt an. »Was meinst du?«

Er strich sanft über die weiche Haut ihrer Wange – sein Lachen hörte sich selbst in seinen eigenen Ohren falsch an. »Eine Überraschung heißt deshalb so, weil du davon überrascht sein wirst. Das ... Ganze wird uns eine bessere Handhabe für künftige Proteste geben.«

»Sprich nicht in Rätseln! Was meinst du?«, drängte sie. Nun trat eindeutig Sorge in ihren Blick.

»Sag zu niemandem ein Wort, bis es so weit ist«, schärfte er ihr ein.

Bevor sie noch einmal nachfragen konnte, verschloss er ihre Lippen mit seinen. Ihr Kuss war so süß, und Patrick konnte nicht genug davon bekommen, doch die Zeit drängte.

Ein Schatten fiel auf sie, und Devon packte ihn am Arm. »Wir müssen los!«

»Ich liebe dich«, raunte Patrick Alicia noch ins Ohr, bevor er sich von seinem Kumpel mitziehen ließ. Das hatte er ihr bislang noch nie gesagt. Nicht einmal vor fünf Tagen, als sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten.

Auf einmal waren Devon und er umringt von zahllosen Mitstreitern, die ihnen auf den Rücken klopften und viel Glück wünschten. Jemand half ihm ins Tauchgerät. Sie würden hoffentlich unerkannt auf einigen Metern Tiefe zur Bohrinsel tauchen. Bis sie dort wären, müssten auch die Hubschrauber mit den Presseleuten da sein. Auf dem Banner würde noch etwas anderes stehen, als alle erwarteten. Fünf Namen. Die großen Unbekannten.

Und plötzlich war er doch wieder stolz auf ihren Coup.

Alicia drängte sich durch die Menge zu ihm. Sie umarmte erst Devon – als Alibi – und dann ihn. »Ich liebe dich auch, wie verrückt«, wisperte sie ihm ins Ohr, in ihren Augen glänzten Tränen. »Versprich mir, dass du wiederkommst.«

»Warum sollte ich das nicht?« Und auf einmal war die Angst wieder da. Sein Herz drohte zu platzen, als er sich von ihr löste und sie mit einem allerletzten Blick bedachte.

Devon und er ließen sich im Sichtschutz der World Warrior ins klare Wasser gleiten. Obwohl es fünfundzwanzig Grad hatte, war es im ersten Moment frisch. Er stellte den Kompasskurs ein, gab Devon ein Okay-Zeichen und tauchte ab. Der Wasserdruck presste sich gegen seine Ohren. Patrick schluckte trocken, bis er das Knacken verspürte, bevor er noch einige Meter tiefer ging. Auf zehn Metern würden sie von oben mit ihrer schwarzen Ausrüstung nicht mehr wahrgenommen werden können. Das Dröhnen des Motors der World Warrior übertönte das Hämmern seines Pulses. Patrick hatte den Eindruck, eine Spur der Angst hinter sich herzuziehen. Er zwang sich, ruhig zu atmen.

Erst jetzt fiel ihm die Sichtweite auf – das Wasser war glasklar, er hatte das Gefühl zu schweben. Die Sonnenstrahlen drangen strahlenförmig durch die Wasseroberfläche. Vorsichtig wandte er den Blick nach oben, als ein Schatten auf ihn fiel. Sie näherten sich der Plattform – er hörte das laute Brummen der Motoren, die die Bohrinsel auf Position hielten.

Es war, als könnte er Devons Anspannung körperlich spüren. Sie tauchten unter die Plattform. Die Bohrinsel war gerade erst hergeschleppt worden, doch schon versammelten sich unzählige Fische im vermeintlichen Schutz darunter. Noch hatten die Probebohrungen nicht begonnen.

Im Geiste waren Devon und er jeden Handgriff unzählige Male durchgegangen. Die Tauchgeräte und die Bleigurte befestigten sie an den metallenen Streben. Patrick konnte nicht sagen, ob es seine Hände waren, die bei diesen Tätigkeiten zitterten, oder ob die Stützen der Plattform von den Motoren vibrierten, dem Wasserdruck und dem Wind, der gegen die Bohrinsel drückte.

Er nahm die Verbindungsschnur, die Devon ihm reichte. An dieser sollte das Banner nachher aufgespannt werden. Sie hatten die Presse informiert, die um vierzehn Uhr kommen wollte, um die Aktion von einem Hubschrauber aus zu filmen.

Patrick zwang sich, ruhig zu atmen. Der Blick auf die Taucheruhr zeigte ihm: 13.59. Noch eine Minute.

Devon nickte ihm zu und entfernte sich.

Noch dreißig Sekunden.

Patrick griff nach seinem Atemregler.

Noch zwölf Sekunden.

Er holte tief Luft und ließ den Lungenautomaten aus dem Mund gleiten. Packte die Metalltritte und zog sich um Punkt vierzehn Uhr nach oben. Auch Devon hatte sich in Bewegung gesetzt, wie er am Zug an der Leine spürte.

Stück um Stück erklomm Patrick den Pfeiler, wie sie es geübt hatten. Strebe packen, Halt finden, Körper nachschieben. Und wieder. Obwohl Ballspiele und der Sportunterricht im Allgemeinen nicht sein Ding waren, er war eher auf Computer fixiert – ein guter Kletterer war er stets gewesen. Die Profilsohlen der Neoprenschuhe sollten eigentlich haften, dennoch glitt er auf den schmalen Tritten mit den feuchten Sohlen immer wieder ab.

Der gefährlichste Moment kam, als sie aus dem Sichtschutz der Plattform hervorklettern mussten und auf die unterste Ebene kamen.

Die Sonne brannte ihm auf die rechte Wange – er musste gegen das grelle Licht blinzeln, um nach Devon zu sehen, der sich mit ebenso gleichmäßigen Zügen nach oben bewegte. Sie hatten sich extra die Sonnenseite ausgesucht, damit die Enthüllung keineswegs im Schatten liegen würde. Noch hatte die Crew der Bohrinsel wohl nichts von den Eindringlingen bemerkt, alles an Bord blieb ruhig.

Patrick machte den Fehler, nach unten zu sehen. Ihm wurde schwindelig, seine Gelenke mutierten zu Gummi. Das Meer schien plötzlich Kilometer entfernt zu sein. Sein Mund wurde trocken. Wenn er jetzt abglitt, würde die Wasseroberfläche beim Aufschlag bretthart sein. Seine Glieder drohten zu verkrampfen, und er musste sich zwingen, ruhig durchzuatmen und sich weiter nach oben zu ziehen.

Kurz vermeinte er, das Knattern des Hubschraubers zu hören, aber vermutlich war das nur das Hämmern in seinem Kopf, das von der Anstrengung und der Anspannung herrührte. Er musste sich beeilen, um mit Devon auf einer Höhe zu bleiben. Ihr Ziel war die Balustrade auf der zweiten Ebene, die sich wie ein Balkon über die Seite der Plattform zog.

Aus dem Augenwinkel sah er, wie Devon nach der Brüstung griff. Ein Knarren ertönte.

Plötzlich ging ein Ruck durch Patricks Schulter. Devon hatte die Banderole losgelassen, die nun mit Schwung nach unten krachte und Patrick beinahe mit sich gerissen hätte – er konnte sich gerade noch ein Stück nach oben ziehen und das Ende der Banderole eilends um das Geländer wickeln. Sein Puls raste.

Verärgert wollte er Devon böse Blicke zuwerfen, da erstarrte er. Wie in Zeitlupe knickten die Beine seines Freundes weg. Aus irgendeinem Grund packte er nicht mit den Händen nach, sondern ließ sich einfach fallen. Der dumpfe Laut, als Devons Körper gegen die darunterliegende Treppe knallte, bevor die Schwerkraft ihn weiter in Richtung Meer zog, ging Patrick durch Mark und Bein.

Tausend Gedanken rasten gleichzeitig durch seinen Kopf. Sollte er Devon hinterherspringen? Er war sicherlich verletzt, vielleicht musste er ihn retten? Würde er selbst den Sprung aus dieser Höhe schadlos überstehen, oder sollte er ein Stück tiefer klettern? Verlor er dabei zu viel Zeit? Der Zug an der Banderole wurde stärker. Vorsichtig spähte Patrick unter seiner Achsel hindurch. Er sah, wie Devon mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieb.

In dem Moment pikte ihn etwas in den Hals. War es eine Biene gewesen? Hier auf dem offenen Meer? Instinktiv fuhr seine Hand zu der schmerzenden Stelle. Aus dem Augenwinkel nahm er einen Schatten in der halb offenen Tür wahr. Mitten in der Bewegung erstarrte er. War es der Schock? Warum konnte er sich nicht mehr bewegen. Er versuchte, den Mund zu öffnen, doch auch das ging nicht.

Sein Verstand funktionierte noch einwandfrei, nur seine Glieder wollten ihm nicht mehr gehorchen. Das kalte Metall der Balustrade entglitt seinen Fingern. Die Füße verloren den Halt. Er kippte nach hinten, sein Fußgelenk verfing sich in einer Strebe. Etwas knackte, als er mit dem Körper nach unten fiel und das Gelenk dabei verdrehte. Obwohl sein Körper so gefühllos war, schoss ein Phantomschmerz durch ihn hindurch. Seine Stirn donnerte gegen kaltes Metall, ein weiteres Knacken folgte. Dann riss sich sein Bein los, und er fiel. Sein Körper drehte sich im Fallen, Blut rann ihm ins Auge.

Es verging nicht allzu viel Zeit auf dem Weg nach unten, dennoch jagten ihm unzählige Gedanken gleichzeitig durch den Kopf.

Wie einfältig waren sie gewesen zu glauben, sie – zwei unerfahrene Jungs – könnten sich allein mit den größten Mächten der Welt anlegen? Für Öl wurden Kriege begonnen, Öl regierte die Welt – das war kein Spiel!

Wieso waren sie dem Verdacht nicht nachgegangen, als sie das Gefühl gehabt hatten, man hätte sie beim Hacken erwischt? Sie waren sogar so naiv gewesen, ihren Plan per Chat auszubaldowern, weil sie gedacht hatten, dann könnte sie niemand an Bord der World Warrior belauschen. Mit Sicherheit waren ihre Gegner über jeden ihrer Schritte bestens informiert gewesen.

Wieso bloß hatten sie niemandem von ihrer Entdeckung erzählt? Hätte er Alicia wenigstens einen Hinweis gegeben! Seiner süßen Alicia, die das Ganze gerade live mitansehen musste.

Er schlug auf der Wasseroberfläche auf, es knackte abermals. Ein Ruck ging durch seinen paralysierten Körper. Mit Alicia hatte er immer gewitzelt, dass er mit seiner schlanken, sehnigen Gestalt so viel Abtrieb hatte, während sie – zwar schlank, aber Polster an den richtigen Stellen – oben schwamm. Der Latexanzug verschaffte ihm keinen Auftrieb, er sank wie ein Stein. Trieb an Devon vorbei, dessen Augen und Mund weit aufgerissen waren.

Patrick schrie stumm. Er flehte seine Glieder an, sich zu bewegen, doch sie gehorchten nicht. Immer tiefer sank er hinab. Er konnte nicht einmal sagen, ob er die letzten Sekunden während des Sturzes geatmet hatte. Seine Erinnerung ließ ihn den Reflex in seinem Brustkorb spüren. Er wusste nicht, ob er das Brennen des Salzwassers in seinen Lungen spürte oder es sich nur einbildete. Ob das Gefühl, soeben qualvoll zu ersticken, Wirklichkeit war.

Er dachte an Alicia. An seine Mutter, seinen Vater und seine kleine Schwester Lilian, gerade erst sechzehn. Plötzlich gab es so viel, was er ihnen noch sagen wollte.

Ein Schatten glitt über ihn. Der Hubschrauber ist da, war sein allerletzter Gedanke.

*

Kapitel 1

Es gibt kein Verbrechen, keinen Kniff,

keinen Trick, keinen Schwindel, kein Laster,

das nicht von Geheimhaltung lebt.

(Joseph Pulitzer)

Frankfurt, Deutschland

»Schmeckt man das eigentlich auch, wenn das Meer versauert, Dr. Martin?«

Alex sah die eifrig auf ihrem Netbook mitschreibende Studentin lächelnd an. »Nun, zuerst einmal: Nein, das Meer wird immer salzig schmecken, durch die im Wasser gelösten Mineralien. Es bleibt auch alkalisch, mit einem pH-Wert von über sieben. Momentan liegen wir bei rund acht Komma eins. Wir nennen es nur ›Versauerung‹ durch die Kohlensäure, die dadurch entsteht, dass das Meerwasser mit dem in den Ozeanen gespeicherten Kohlendioxid reagiert. Die Meere sind – neben den Torfböden der Regenwälder – unser größer CO2-Speicher.«

Die Studentin nickte eifrig zu jedem seiner Worte, sodass ihr Pferdeschwanz aufgeregt auf und ab wippte. Alex musste sich zwingen, seine zuckenden Mundwinkel zu beherrschen, ihr Eifer war zu drollig. Er mochte das.

»Und dadurch gehen die Riffe kaputt? Wie können wir die Versauerung dann stoppen? Könnte man das Meer nicht irgendwie davon abhalten, das CO2 von der Oberfläche aufzunehmen?«

»So einfach ist das leider nicht, wie auch das allgemeine Klimaproblem. Es hilft nur, den Kohlendioxidanteil an der Erdoberfläche zu reduzieren; da sind Politik, Wirtschaft und wir alle gefragt, um den Ausstoß zu minimieren.«

»Wieso ist die Versauerung denn so gefährlich?«

»Die Riffe bestehen ja aus kalkbildenden Korallen. Die Kalkbildung wird in einer sauren Umgebung beeinträchtigt, das bedeutet, die Korallen werden entweder zerstört oder wachsen langsamer. Was natürlich das gesamte maritime Leben beeinflusst, auch den Küstenschutz gefährdet. Erschwerend kommt hinzu, dass die Algenbildung wiederum von einer sauren Umgebung profitiert, sprich, die Riffe können veralgen, das Meer wird überdüngt. Zudem erfolgt die Zerstörung der Riffe durch verschiedene weitere Faktoren, wie die Erwärmung, die ebenfalls das Algenwachstum begünstigt, oder auch durch Verschmutzung und Nährstoffübersättigung. Das zieht wieder nach sich, dass sich die Meeresströmungen verändern, was auch unser Klima beeinflusst. Würde der Golfstrom zusammenbrechen, bekämen wir in Europa arktische Verhältnisse.«

»Und durch die künstliche Aufzucht von Korallen kann dies gestoppt werden?«

»Leider nein. Wir können nur den zerstörten Riffen helfen, sich wieder aufzubauen. Wir haben natürlich versucht, die gezüchteten Korallen etwas widerstandsfähiger gegen Temperaturschwankungen und erhöhten CO2-Anteil zu machen. Verschmutzt, versauert oder erhitzt sich die Umgebung jedoch weiterhin, werden auch diese nicht resistent gegen die Zerstörung sein. Bislang hat man noch keine Methode gefunden, die Riffe auf eine wechselnde Umgebung einzustellen.«

Eine andere Studentin, mit lila Stoppelhaaren und einer Himmelfahrtsnase, blinzelte ihn keck an. »Dann könnten Sie diese Methode doch entwickeln, Dr. Martin!«

Alex lachte auf. »Ich gebe mir Mühe. Wenn mir das gelingen würde, wäre ich ein gemachter Mann.«

»Das sind Sie jetzt schon.« Die Studentin hob herausfordernd das Buch über die Aufzucht künstlicher Riffe in die Höhe, das er mit einer Kollegin verfasst hatte.

Alex war froh, dass ein anderer Student eine neue Frage in den Raum warf und er die Studentin mit einem kurzen »Danke« abspeisen konnte. Der Vortrag sollte nicht zur Werbeveranstaltung für sein Buch ausarten.

Nach einem nicht enden wollenden Strom von Fragen rief der Dekan der hiesigen Universität das Ende der Veranstaltung aus. Doch Alex' Erleichterung wurde sofort wieder zunichtegemacht, als die kecke Studentin sein Buch wieder in die Höhe hielt.

»Bekommen wir noch eine Signatur von Ihnen?«

Alex zwang sich zu einem Lächeln. »Natürlich!« Einerseits freute es ihn sehr, und er fühlte sich geschmeichelt, doch seit die Tätigkeit als Dozent der Meeresbiologie vorwiegend eine Tarnung war und er hauptsächlich im Verborgenen arbeitete, war ihm ein Übermaß an Aufmerksamkeit zu seiner Person in der Öffentlichkeit eher unangenehm.

Anscheinend hatten einige der Anwesenden hier das Buch erworben, die Schlange wurde immer länger. Seine Hand wurde schon lahm, und er musste sich konzentrieren, dass er sich nicht verschrieb. »Auf welchen Namen?«, wiederholte er immer wieder mit einem Lächeln. Die Gesichter verschwammen vor seinen Augen.

»Für Sabrina.«

»Für Marvin.«

»Für Dana.«

»Für Alina.«

So ging es weiter. Und alle bekamen noch einen aufmunternden Spruch dazu.

Endlich lichtete sich die Schlange.

»Auf welchen Namen?«, fragte Alex mechanisch.

»Für Mia.«

Alex hob den Kopf, strich sich eine lange blonde Haarsträhne aus dem Gesicht und blinzelte. Der Klang der Stimme weckte eine Erinnerung in ihm. »Mia?«

Erst als sie ihm das aufgeschlagene Buch herausfordernd vor die Nase hielt, nahm er es ihr ab und legte es auf den Tisch. Er fokussierte sie. Braune Haare, die bis unters Kinn reichten, einen leicht gebräunten Teint und große braune Augen, die immer ein wenig an die eines Rehs erinnerten. Wärme breitete sich in ihm aus. »Mia?«

»Ja, bitte! Für Mia ... Doktor Martin!« Um ihre Mundwinkel zuckte es, ihre Lachfältchen verstärkten sich.

Alex schlug das Buch wieder zu, ohne etwas hineingeschrieben zu haben. »Würdest du bitte am Ende nochmals wiederkommen?« Ohne sich um ihre Verblüffung zu kümmern, wandte er sich an den nächsten Studenten. »Auf welchen Namen?«

Während er sich zwang, sich auf die letzten sechs Signaturen zu konzentrieren, wurde sein Lächeln immer breiter. Die Müdigkeit in ihm war auf einmal verflogen. Ein Sonnenstrahl drang durchs Fenster und ließ die Staubflocken tanzen. Der Saal wirkte plötzlich gar nicht mehr so düster wie bei seinem Vortrag über die sukzessive Zerstörung der Riffe.

Als er die letzte Ausgabe signiert hatte, wandte er sich Mia zu. »Bist du in Eile? Gehst du mit mir was trinken? Dann überlege ich mir eine ganz persönliche Widmung.« Er grinste sie an.

»Oho, du erinnerst dich also doch noch?«

»Na ja, gemeinhin setzt die Verkalkung mit sechsunddreißig noch nicht ein«, gab er trocken zurück. »Ich werde doch bestimmt nicht die Frau vergessen, mit der mich solch prägnante Erinnerungen im Meer verbinden.«

Dass sie beide bei einer Studienfahrt vom Dekan und einer ganzen Gruppe Mitstudierender in flagranti im Meer erwischt worden waren, hatte auch sie ganz sicher nicht vergessen.

Sie legte stöhnend die Hände vors Gesicht. »Erinnere mich nicht daran! Du hast mich aber nicht auf Anhieb erkannt.« Der Nachsatz klang vorwurfsvoll.

Er lachte. »Sorry, ich nehme die einzelnen Gesichter bei den Vorträgen oft gar nicht wahr.«

»Das hat sich gar nicht so angehört. Du hast ja ordentlich geflirtet mit deinen weiblichen Fans.«

»Ich gehe lediglich freundlich auf die Fragen ein. Studentinnen sind für mich tabu.« Er hob in einer unschuldigen Geste die Hände, bevor er grinste. »Zumindest die mir unterstellten.«

»Oh, wie unschuldig können diese grünen Augen doch blicken!« Lachend boxte sie ihn gegen den Arm. »Wahrscheinlich merkst du nicht mal, wie du flirtest. Es ist einfach deine Natur, du Charmeur!«

Er hob herausfordernd die Augenbrauen. »Reicht mein Charme aus, dass du mit mir was trinken gehst?«

»Hmm.« Sie wiegte den Kopf, als müsste sie darüber nachdenken, bevor auch sie grinste. »Okay! Die Widmung muss dann aber besonders gut werden.« Ein kokettes Blinzeln folgte. »Wohin entführst du mich denn?«

»Nicht hier in die Uni-Cafeteria, da ist vielleicht zu viel los. Kennst du ein nettes Lokal?«

»Nein, ich wohne auch nicht hier in der Ecke.«

Was machte sie dann bei seinem Vortrag? Das würde er später in Erfahrung bringen.

Doch sie schien seine Frage geahnt zu haben, denn sie erwiderte: »Ich habe dein Buch entdeckt und dann nach Vorträgen Ausschau gehalten. Allerdings war ich etwas erstaunt, dass man überhaupt kein Bild von dir im Internet findet. Ich dachte schon, du bist vielleicht kugelrund geworden, mit Geheimratsecken bis auf den Hinterkopf.«

Auf die Frage, warum es – dank seines Freundes Walther Michalsky – keine Bilder von ihm im Internet zu finden gab, ging Alex lieber nicht ein. So fuhr er sich nur lachend durch die dichten blonden Wellen und klopfte sich auf den durchtrainierten Bauch. »Auch das kommt noch. Der Zahn der Zeit macht vor niemandem halt, der das Glück hat, älter zu werden.«

Hatte er mit dem Zusatz ein bisschen zu viel preisgegeben? Schnell schwenkte er um: »Ich kenne mich hier nicht so gut aus. Aber mein Hotel ist nur eine Querstraße weiter und hat eine nette Bar mit anliegendem Restaurant. Italienische und deutsche Gerichte. Ich könnte auch was zu essen vertragen; ich hatte heute noch nicht viel.« Vor Vorträgen hielt sich sein Hunger immer in Grenzen.

Sie hakte sich bei ihm ein. »Das klingt gut.« Ihre Stimme klang leicht heiser. Ob sie die Erinnerungen auch gerade einholten?

Der schwache Duft ihres Parfüms stieg ihm in die Nase. Es war ein anderes als früher, aber immer noch eher herb. Ansonsten hatte sie sich nicht stark verändert seit ihrer gemeinsamen Studienfahrt vor rund dreizehn Jahren. Vielleicht war das ein oder andere Lachfältchen dazugekommen, und sie hatte ein paar Kilos zugelegt seit damals, aber nicht zu ihrem Nachteil; sie verteilten sich über ihren gesamten, schon damals gut proportionierten Körper. Ein verstohlener Blick auf ihre Hände zeigte ihm, dass sie zwar Ringe trug, diese jedoch zumindest nicht nach einem Ehe- oder Verlobungsring aussahen. Die Vorfreude auf den Abend wuchs.

Diese wurde nur kurz getrübt, als sie auf die Straße traten und ein Kribbeln zwischen seinen Schulterblättern hinaufkroch. Automatisch spannten sich seine Muskeln an. Er blieb vor dem Schaufenster eines Schreibwarenladens stehen, das in das Licht der Straßenlaternen gehüllt war, und versuchte, in der Spiegelung zu erkennen, ob jemand ihnen folgte.

»Was ist los?«, fragte Mia verblüfft. »Brauchst du noch Schreibutensilien?«

Alex warf einen Blick über die Schulter und scannte die Umgebung. Menschen hasteten durch die Dunkelheit, das Gesicht im Kragen verborgen, eine Gruppe Studenten stand beisammen, und alle lachten, doch ihm fiel niemand konkret auf. War es nur seine übliche Paranoia? Wachsam würde er auf jeden Fall bleiben – wie immer! Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich hatte nur gerade überlegt ... Lass uns gehen!«

Auf dem Weg unterhielten sie sich über ihren beruflichen Werdegang seit ihrer gemeinsamen Exkursion während des Studiums. Mia fragte ihn erst nach der Methode aus, die er zur künstlichen Aufzucht von Korallen entwickelt hatte und die sogar seinen Namen trug: »Die Martin-Methode.« Dass dies nicht sein einziger Beruf war, verschwieg er ihr lieber, und fragte Mia, was sie jetzt machte.

Sie hatte sich auf die technische Biologie spezialisiert und forschte seit längerer Zeit an der Minimierung des Wasserwiderstandes. Dabei diente ihnen die Haihaut als Vorbild.

Alex sah sie anerkennend von der Seite an. »Bei den Tauchanzügen oder auch Bootsrümpfen kenne ich den Effekt, dass die Geschwindigkeit durch die besondere Oberflächenstruktur, die der Haut des Hais nachempfunden ist, um einige Prozent verbessert wird, weil der Widerstand verringert ist.«

Sie lachte wieder. »Das dachte ich mir fast. Wusstest du aber auch, dass die Haie nicht nur Weltmeister darin sind, Zähne nachzubilden, sondern dass die Haihaut aus Placoidschuppen, einer zahnähnlichen Struktur, besteht? Die Haut der Haie fühlt sich ja weich an, wenn man von Kopf bis Fuß darüberstreicht, und ist in der Gegenrichtung hart und stachelig – wie spitze Zähne.«

Er stupste ihr neckend auf die Nase. »Haie streicheln? Du als Biologin solltest doch wissen, dass man nichts anfassen sollte.«

Dieses Mal lachte sie laut. »Und du weißt nur zu genau, dass wir die Schlimmsten sind und wirklich alles erforschen müssen.«

Er lehnte sich näher und raunte ihr ins Ohr: »Das mochte ich schon damals an dir, dass du immer alles erforschen wolltest.«

Ihr verführerischer Blick unter halb geschlossenen Lidern war ein einziges Versprechen. »Daran hat sich nichts geändert.«

Alex fuhr zart über ihren Rücken. »Das freut mich zu hören.« Seine Stimme klang heiser, als er sie an sich zog und sie ungeachtet der Passanten, die sich zum Feierabend an ihnen auf dem Gehweg vorbeidrängten, küsste. Mia ließ sich auf das heiße Spiel ihrer Zungen ein, bis Alex sie nach einer Weile schwer atmend von sich schob. »Lass uns ins Hotel gehen. Aus dem Alter sind wir wohl wirklich raus.«

Sie nickte.

Er legte den Arm um ihre Schultern, als sie weiter in Richtung Hotel schlenderten. »Wie kommt es, dass eine so großartige Frau wie du noch allein ist? Das bist du doch, oder?« Er wollte lieber vorher sichergehen. In fremden Gewässern zu fischen, war nicht sein Ding.

Sie nickte.

»Genießt du einfach nur das Single-Dasein?«, versicherte er sich.

»Du meinst, so wie du? Bist du immer noch der ewige Single?«

Unwillkürlich kam ihm Sam in den Sinn. Viel zu wenig Zeit war ihnen geblieben ... Schnell verdrängte er den Gedanken. »Der werde ich wohl bleiben, ja.« Er ging nicht näher auf die Gründe ein, sondern sah sie nur fragend an.

Mia zuckte mit den Schultern. »Ich war verheiratet, habe sogar einen vierjährigen Sohn, doch es hat einfach nicht funktioniert. Vermutlich steckt doch mehr Unabhängigkeit in mir, als ich dachte.«

Das klang gut, nach Unverbindlichkeit, aber das sprach er nicht aus.

Die gespannte Erwartung in ihm wuchs, als sie in Richtung seines Hotels eilten. Er konnte es selbst nicht erklären, doch in letzter Zeit hatte er – ungewöhnlich für ihn – wenige Dates gehabt, war kaum ausgegangen. Dabei war er eigentlich bereits seit einigen Wochen wieder auf den Beinen und trainierte auch schon fleißig. Körperlich gab es also keine Einschränkungen. Über das Warum wollte er jedoch jetzt nicht nachdenken, schließlich war das mehr oder weniger zufällige Treffen mit Mia heute eine positive Wendung.

Als teilte sie seine Gedanken, drehte sie sich plötzlich zu ihm um und drückte sich an ihn. »Ich freue mich sehr, dich wiederzusehen!«

Sein vernachlässigter Hormonspiegel reagierte sofort auf ihren weichen Körper an seinem, als sie ihn abermals leidenschaftlich küsste. Auf den restlichen Metern des Weges zum Hotel konnten sie die Finger nicht voneinander lassen.

Keiner von ihnen sprach mehr von dem geplanten Essen – das hatte später noch Zeit. Nun gab es wesentlich dringendere Bedürfnisse zu stillen.

Sie waren zum Glück allein im Aufzug. Alex drückte auf den Knopf für den achten Stock. Kaum, dass sich die Türen geschlossen hatten, presste er Mia mit seinem Körper an die Wand, küsste ihren Hals und schob die Hand unter ihre Bluse.

Sie rieb sich aufreizend an ihm. »Weißt du noch – im Uni-Aufzug?«

Oh ja, und wie er sich erinnerte! Alex stöhnte auf und drehte sich um, um den Stopp-Knopf zu drücken, schließlich gab es zwei Aufzüge, da ertönte ein lautes »Pling«, das einen Halt anzeigte. Er fluchte unterdrückt.

Schnell richteten sie ihre Kleider, doch mit ziemlicher Sicherheit waren ihre glänzenden Augen und zerwühlten Haare verräterisch.

Ein älteres Ehepaar stand vor der Aufzugstür. »Geht der Aufzug nach unten?«

»Nein, wir fahren nach oben. Sie müssen den anderen nehmen«, erwiderte Alex freundlich.

Die Frau zog ihren Mann am Arm. »Ach, komm, dann fahren wir eben eine Runde.«

Alex hätte bei Mias verstohlenem Augenrollen beinahe laut aufgelacht, obwohl ihm im Grunde nicht nach Lachen zumute war.

Kaum waren sie aus dem Aufzug, fiel Mia ihm wieder um den Hals. Sie stolperten beinahe übereinander, als sie sich küssend den glücklicherweise leeren Gang entlangschoben. Noch während Alex mit der Linken die Karte in den Öffnungsschlitz schob, öffnete er mit der Rechten den Verschluss von Mias BH, um ihr während des Aufstoßens der Tür bereits das T-Shirt über den Kopf zu ziehen und, mitsamt seiner Tasche, achtlos auf den Flurboden fallen zu lassen.

Er konnte selbst nicht sagen, was es gewesen war. Ein Geräusch, vielleicht auch der gut trainierte siebte Sinn. Auf einmal spürte er durch den Nebel der Leidenschaft, dass jemand in seinem Zimmer war, obwohl er im Dunkeln nichts erkennen konnte. Mit einem Schlag war seine gesamte Wahrnehmung hellwach.

Blitzschnell riss er Mia mit einem Fußfeger die Beine weg und zog sie mit sich auf den Boden. Ihren Aufschrei unterdrückte er mit seinen Lippen, rollte sich mit ihr hinter das Sofa und griff nach der .45 Magnum, die er darunter versteckt hatte. Während er Mias halb nackten Körper mit seinem schützte und ihr die Hand auf den Mund presste, hatte er schon die Waffe entsichert. Jeder Muskel in seinem Körper war angespannt.

»Alex! Ich bin es, Karl«, drang eine tiefe Stimme auf Englisch zu ihm.

Noch immer pumpte das Adrenalin durch Alex' Körper. Er sicherte die Waffe wieder und nahm vorsichtig die Hand von Mias Mund. »Entschuldige! Ich dachte, es wäre ein Einbrecher.«

Schnell schlüpfte er aus seinem Hemd, um Mias Blöße damit zu bedecken, bevor er aufstand. Zumindest ließen die Endorphine das Blut, das sich noch vor wenigen Augenblicken so vehement in seiner Mitte gestaut hatte, nun wieder durch seinen gesamten Körper pulsieren.

Er musste nicht fragen, wie Karl Holden in sein Zimmer gekommen war. Als ehemaliger CIA-Agent und heutiger Leiter der Operation Starfish, der auch Alex angehörte, war es ein Leichtes für seinen Boss, in ein Hotelzimmer zu gelangen. Er selbst war ebenfalls darauf trainiert worden. Es war auch belanglos, woher Karl wusste, wo er sich aufhielt – im Notfall hatte sein Boss Zugriff auf seinen Kalender und seinen Handy-Standort. Doch eine Frage brannte Alex trotzdem auf der Zunge: »Wieso, verflucht, sitzt du hier im Dunkeln?«

»Weil das Licht nur mit deiner Zimmerkarte funktioniert«, gab Karl trocken zurück. »Es tut mir wirklich leid. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du Besuch mitbringst. Wobei ...« Er verstummte zum Glück wieder und ersparte ihnen eine zotige Bemerkung über Alex' Liebesleben – aber dazu war Karl auch nicht der Typ.

Alex strich Mia, die immer noch äußerst geschockt wirkte, beruhigend über den Rücken. »Es tut mir leid, dass ich dir einen Schreck eingejagt habe.« So langsam konnte er in der Dunkelheit wieder etwas sehen. Er nahm wahr, dass sie die Augen weit aufgerissen hatte, sodass sie mehr denn je denen eines Rehs ähnelten, doch sie schüttelte nur abwehrend den Kopf.

Er zögerte. Im Grunde sollte er jetzt die Karte in den Schlitz stecken, um das Licht einzuschalten. Doch es gab sicherlich einen Grund, dass Karl hier so unangemeldet in seinem Zimmer saß – im Dunkeln, anstatt eine Nachricht zu hinterlassen und in der Bar zu warten. Deshalb wollte er auch vermeiden, dass Mia seinen Boss sah und später beschreiben konnte.

Da sagte Karl auch schon im bedauernden Tonfall: »Es tut mir wirklich leid, euch gestört zu haben. Ich war in der Ecke und dachte, ich könnte dich überraschen, doch das war wohl keine so gute Idee.«

»Bleibst du länger in der Gegend?«

»Leider muss ich morgen früh schon weiter. Ich hatte an ein kleines Treffen gedacht, mit Walther. Ihn habe ich schon kontaktiert, er wollte auch herkommen.« Er sagte es im Plauderton, aber Alex konnte nur zu genau das Bedeutungsvolle heraushören.

Sein Herzschlag beschleunigte sich. Karl war nicht der Typ für freundschaftliche Besuche ohne Grund. Gab es einen neuen Auftrag? Am Vortag, als Alex seinen besten Kumpel Walther besucht hatte, hatte dieser noch nichts von Karls Stippvisite gewusst.

Alex warf Mia einen schnellen Seitenblick zu. »Ich ... würde Walther ebenfalls gern sehen. Ich wollte ihn auf jeden Fall besuchen, bevor ich wieder heimfahre.« Das war schließlich nicht einmal gelogen. Er hatte sich nur ein »nochmals« erspart.

Ihr Lächeln wirkte selbst im Dunkeln wehmütig. »Ich wollte deine Pläne nicht durcheinanderbringen.« Sie sprach ebenfalls Englisch.

»Ich lasse euch mal allein. Melde dich einfach, falls wir uns noch treffen können«, schaltete sich Karl wieder ein. »Ich bin auf jeden Fall in den nächsten Stunden hier in der Gegend. Du hast meine Nummer.« Er wandte sich an Mia, ohne sie genau anzusehen. »Bitte entschuldigen Sie nochmals die Störung.«

Da hatte Karl schon die Zimmertür hinter sich zugezogen, während Alex die Karte in das Gerät steckte und gegen das plötzlich grelle Licht blinzeln musste.

Mias Neugierde konnte Alex förmlich spüren. »Karl ist ein Bekannter, den ich bei Forschungsarbeiten im Ausland kennengelernt habe.« Er bemühte sich, seinen Tonfall so zu gestalten, dass kein Raum für Fragen blieb.

Es funktionierte wohl, oder etwas lag ihr drängender auf der Zunge. Mia fragte stattdessen: »Wieso hast du als Meeresbiologe, der künstliche Riffe entwickelt und darüber Vorträge hält, eine Waffe unter dem Sofa versteckt?«

Alex atmete tief durch. »Ich bin in letzter Zeit bei der Arbeit ein paar zwielichtigen Gestalten in die Quere gekommen.«

»Ich muss gestehen, du machst mich neugierig.«

»Es tut mir wirklich leid, dass wir unterbrochen wurden«, erwiderte er, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen.

Ein Schatten glitt über ihr Gesicht. »Aber es drängt dich jetzt, zu deinen Freunden – oder was auch immer sie sind – zu fahren, nicht wahr?«

Alex zögerte. Sein in letzter Zeit in der Richtung etwas vernachlässigter Körper schrie ihn an, Mia an sich zu ziehen und dort weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten. Doch die ganze Nacht würde er nicht mit ihr verbringen können, dazu war er viel zu neugierig. Und weniger war ihr gegenüber unfair.

Vermutlich hatte er zu lange gezögert, denn Mia stand auf, dieses Mal war deutlich Wehmut in ihren Zügen zu erkennen. »So sehr ich es auch bedauere, dass wir gerade unterbrochen wurden: Ich denke, du lässt besser deinen Freund nicht so lange warten.« Bevor er überlegen konnte, ob er ihr widersprechen sollte, fuhr sie fort: »Ich bin mit den Jahren ein bisschen abergläubisch geworden. Vielleicht war diese Unterbrechung soeben Schicksal, und es hat nicht sollen sein. Das Ganze gerade ...«, sie machte eine umfassende Handbewegung, »hat mich erschreckt, und ich weiß nicht, ob ich diese Seite an dir näher kennenlernen will.«

Er schluckte.

Sie hob einen Mundwinkel. »Zudem warst du schon damals verdammt gut im Bett, und da besteht die Chance, dass ich mich hinterher mit der einen Nacht, die du mir zu bieten hast, nicht begnügen will.«

Das Kompliment hatte den bitteren Beigeschmack des Vorwurfs. Doch den konnte er nicht guten Gewissens entkräften.

Sie schlüpfte aus seinem Hemd und hielt es ihm mit einem nicht einzuordnenden Funkeln in den Augen hin, während sie mit der anderen Hand zart über seinen Bauch strich. Alex kam nicht umhin, bei der Berührung, verbunden mit dem Anblick ihrer nackten Brüste, scharf die Luft einzuziehen.

»Es tut mir wirklich leid.« Er wusste selbst nicht, ob er sich für die Störung oder die Tatsache entschuldigte, dass er nicht in der Lage war, ihr mehr zu bieten. Oder dafür, wer er war. Vielleicht drückte er auch einfach nur sein Bedauern darüber aus, dass es nicht zu mehr gekommen war. Wahrscheinlich war es von allem ein bisschen. Für einen Moment schmiegte sie sich an ihn. Er genoss das Gefühl von nackter Haut auf nackter Haut, dann zog er sich widerwillig zurück. »Ich hatte damals übrigens auch absolut keinen Grund zur Klage.« Sein Grinsen geriet schief.

Kurz war das Prickeln wieder da. Ihre Blicke verfingen sich ineinander. Dann bückte sich Mia und griff nach ihrem T-Shirt und dem BH.

Während sie sich anzog, signierte er ihr Buch und konnte die Wehmut, die ihn dabei überkam, nicht unterdrücken.

Zum Abschied berührte sie seine Lippen leicht mit ihren, bevor die Tür hinter ihr ins Schloss klickte.

In das Bedauern mischte sich überraschenderweise ein Gefühl der Einsamkeit, das er schnell verdrängte. Während er sich ein Sweatshirt überstreifte, zwang er seine Gedanken auf Karls überraschenden Besuch. Die Erregung, die Alex nun überkam, war eine andere als die, die er in Mias Gegenwart empfunden hatte. Aber sie war nicht geringer. Was Karl wohl von ihm wollte? War die Zwangspause, die er aus gesundheitlichen Gründen hatte einlegen müssen, endlich zu Ende?

*

Cartagena, Kolumbien

Ihr Finger schwebte über den Wähltasten ihres Handys, dann legte Consuela Bonita Maria Rodriguez y Álvarez das Telefon auf den wuchtigen Schreibtisch und ließ sich in ihren Bürosessel fallen. Das weiche, hellbraune Nappaleder fing den Stoß auf, die Rückenlehne federte leicht. Sie presste den Hinterkopf mit dem Knoten in den langen schwarzen Haaren gegen die Nackenstütze und schloss die Augen.

Nicht, weil sie ihre Umgebung nicht sehen wollte – sie liebte ihr geschmackvoll eingerichtetes Büro im obersten Stock des rundherum verspiegelten, achtzehnstöckigen Turms, auf dem groß die Lettern CP – für Columbian Petroleum –prangten.

Mit dem entsprechenden finanziellen Background konnte man viel Geschmack beweisen – und ihre Räume zeigten sehr viel Sinn für Schönes. Natürlich hatte sie für die allgemeine Gestaltung – die schweren Möbel aus seltenen Tropenhölzern, die Vorhänge aus feinster Seide und die dicken Orient-Teppiche – eine Innenarchitektin beauftragt. Aber die Kunstwerke und Skulpturen hatte sie allesamt selbst ausgewählt. Consuela liebte die Atmosphäre bei Auktionen, die adrenalingeschwängerte Luft.

Es störte sie nicht, dass es unterschiedliche Stilrichtungen waren – sie mochte Vielseitigkeit. Natürlich waren die Stücke alle echt, wenn auch weniger bekannte Werke – Picasso, Cézanne oder auch Arbeiten von lokalen Künstlern wie Statuen und Bilder von Fernando Botero.

Ihr Lieblingsgemälde war eine bislang noch recht unbekannte Variante von Edvard Munchs Der Schrei. Nicht, weil es ihr übermäßig gefiel oder sie Mitleid mit dem armen Mann auf dem Bild hatte, sondern weil dieser mit weit aufgerissenem Mund schreiende Mensch sie immer daran erinnerte, dass ihr selbst eine Opferrolle niemals stehen würde.

Einer ihrer ältesten Bekannten – Pepino, ein Anwalt, der sie schon seit den Vorfällen in ihrer Jugend begleitete –, warnte sie immer, dass sie nicht so viele Werte ungeschützt herumliegen lassen sollte. Doch zum einen scheute sie kein Risiko; sonst wäre sie falsch in ihrem Beruf. Schließlich hatte sie das in ihrem zweiundvierzig Jahre währenden Leben erfolgreich bewiesen. Zum anderen wusste sie sehr wohl, wie man sich schützte, schließlich hatte sie dieses Wissen quasi schon mit der Muttermilch aufgesogen.

Doch momentan drückten sie ohnehin andere Sorgen.

Sie öffnete die Augen wieder – Nachdenken hin oder her. Jetzt war es an der Zeit zu handeln. Aber sie musste mit Bedacht vorgehen, durfte keinen Fehler machen, wenn ihr Telefongespräch von Erfolg gekrönt sein sollte. Und Erfolg war letztendlich das Einzige, was zählte. Um Erfolge drehte sich die Welt. Sie waren Consuelas Lebenselixier.

Schließlich entschied sie sich für den Franzosen. Seine grenzenlose Gier zu siegen, stand ihrer in nichts nach. Nicht viele hatten die Nummer, die sie jetzt anwählte. Um genau zu sein, waren sie insgesamt zu fünft.

In Europa war es jetzt kurz nach elf Uhr nachts, doch ein Mann in dieser Position schlief nie. Auch der Franzose – sie bezeichnete ihre Mitstreiter am liebsten nach ihrer Herkunft – ließ die Nummer sicherlich auf eine andere umleiten, doch er würde immerhin sehen, dass es wichtig war. Es war das Beste, derartige Gespräche liefen nicht über irgendwelche Sekretärinnen, Telefonzentralen oder Hausangestellte. Schließlich legten sie alle fünf Wert darauf, ihre Verbindung diskret zu halten. Immerhin waren sie offiziell Konkurrenten, auch wenn gewisse Umstände immer spezielle Maßnahmen erforderten.

Der Franzose nahm das Gespräch auch sofort an.

Sie hielt sich nicht lange mit Begrüßungen auf, jeder von ihnen hatte mehr als genug zu tun. Mit aller Schärfe, zu der sie fähig war, fragte sie: »Was hat es mit diesem Zwischenfall auf sich, Dominique?« Consuela brauchte nicht zu erklären, wovon sie sprach; der Franzose würde sich seit Stunden genau dieselbe Frage stellen.

»Ich dachte, das könntest du mir erklären«, gab er nicht minder scharf zurück. Gelegentlich wirkte Dominique Depardieu leicht cholerisch, doch momentan war er wohl zu verblüfft, um wirklich in Rage zu geraten.

Sie ließ einige Sekunden verstreichen, als würde sie darüber nachdenken, dann gab sie ihrer Stimme dieses Mal einen rauchigen Touch. »Wer kann das veranlasst haben?«

Nun war es an dem Franzosen, innezuhalten. Er hatte sie im Verdacht gehabt und kam nun ins Stocken. »Die beiden haben es verdient. Ich war's trotzdem nicht.«

Natürlich war das seine Einstellung, das wusste sie. Er wollte nun ihre Meinung hören. »Der Fall erweckt unnötige Aufmerksamkeit und bringt die ganze Branche in Verruf«, gab sie ungehalten zurück.

»Da hast du wohl recht. Verdient haben sie es trotzdem. Meinetwegen hätte der ganze baufällige Kahn dieser Umwelt-Rebellen mit Mann und Maus untergehen können.«

Der Franzose war der Typ, für den Hindernisse dazu da waren, aus dem Weg geräumt zu werden. Das gefiel ihr an ihm. Sie schätzte es auch, dass er kein Blatt vor den Mund nahm, wenn er mit ihr sprach. Das zeugte von Vertrauen. Auch wenn er sonst eher auf der Hut, ja hinterlistig war.

»Und du bist dir sicher, dass du nichts damit zu tun hast?«, hakte sie nach. Auch sie beherrschte diese Spielchen.

Bei seinem unwirschen »Natürlich« musste sie ein Lächeln unterdrücken.

»Mich würde interessieren, wer da seine Finger drin hatte«, erwiderte sie grübelnd. Der Köder war noch nicht richtig ausgeworfen, und der Franzose hatte ihn bereits geschluckt. »Viele Möglichkeiten gibt es ja nicht«, erwiderte er – und sie konnte förmlich vor sich sehen, wie die Adern an seiner Schläfe anschwollen.

Als Kind hatte Consuela regelmäßig eine Logopädin aufgesucht. Weil die schlimmen Ereignisse sie zum Stottern gebracht hatten. Aber es lag nicht an der Sprachtherapeutin, dass sie nun in der Lage war, ihre Stimme in Samt zu packen. »Wenn du etwas herausfindest, lässt du es mich wissen?«

»Das werde ich. Vielleicht können wir uns ja auch mal wieder persönlich treffen? Das Ganze in kleiner Runde besprechen?«

Ihr Blick fiel auf die diamantbesetzte Uhr an ihrem Handgelenk. Unter fünf Minuten bis zu dem Angebot. Er war heute schnell zum Punkt gekommen; sie hatte die Wette mit sich selbst gewonnen. Zum Glück konnte er nicht sehen, dass sie siegessicher die dunkelrot geschminkten Lippen schürzte. Ihre Stimmlage blieb unverändert samtig, sie bekam nur eine heisere Note. »Das sollten wir unbedingt tun.«

Nun war sie sich sicher, dass er eine Sieger-Miene zur Schau trug, was sie nun wirklich zum Schmunzeln brachte. Bevor er noch etwas hinzufügen konnte, legte sie auf.

Bestimmt grollte er ihr ein wenig, aber im Endeffekt würde die Vorfreude überwiegen. Und die Neugierde herauszufinden, wer hier eigenmächtig gehandelt hatte.

Consuela erhob sich in einer geschmeidigen Bewegung und strich das enge, auf Figur geschnittene Kostüm glatt, das ihre Kurven so wunderbar betonte. Der Franzose würde sich dahinterklemmen. Aber vielleicht sollte sie noch ein Telefonat führen. Oder zwei. So bedauerlich die Vorfälle waren, so war der Nervenkitzel dennoch nicht zu verachten.

*

Frankfurt, Deutschland

Eine schmale Treppe führte vom obersten Stockwerk auf das Dach des Hotels hinaus. Wahrscheinlich war die stählerne Tür normalerweise verschlossen, doch nun war sie nur angelehnt.

Alex stieß sie auf. Ein frischer Wind empfing ihn in dieser Höhe und zerzauste seine nackenlangen blonden Haare. Unter ihm glitzerten die Lichter der Großstadt. Er brauchte einen Moment, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Das Dach war – abgesehen von einigen Klimageräten und einer hohen Mauer außen herum – kahl und ganz offensichtlich nicht zum Aufenthalt für Gäste vorgesehen.

Zuerst nahm Alex den Geruch nach Rauch wahr, dann sah er das Glimmen einer Zigarette, bevor er die an die Ziegelwand gelehnte Gestalt erkannte.

Karl stieß sich von der Wand ab, hielt die Zigarette seitlich von sich weg, legte den anderen Arm um Alex und schlug ihm freundschaftlich auf den Rücken. »Lass dich erst mal richtig begrüßen! Es tut mir wirklich leid, dass ich so unangemeldet bei dir hereingeplatzt bin. Ich hätte ja eigentlich damit rechnen können, dass du nicht allein kommst, aber ...« Bedauern trat auf seine Züge.

Kurz überlegte Alex, ob er darauf eingehen sollte, doch die Neugierde siegte. »Was führt dich zu mir? Und vor allem so im Geheimen?«

»Nun, geheim ist bei uns alles.« Karl hob die Mundwinkel. »Aber ich dachte, ich spreche am besten mit euch persönlich. Tatsächlich habe ich einen Grund, warum ich hier bin.«

»Schieß los!«

»Gleich, wenn Walther da ist. Wenn ich es richtig gesehen habe, hast du nur noch nächste Woche einen Vortrag zu halten und bist dann abkömmlich, stimmt's?«

»Genau.« Alex nickte.

»Gut. Du bist wieder fit genug, um voll einzusteigen?«

Alex grinste. »Ich bin wieder in Hochform – auf allen Ebenen.«

Karl schmunzelte, was ihn gleich um einiges jünger wirken ließ als seine knapp fünfzig Jahre, von denen man ihm normalerweise jedes erlebnisreiche Jahr beim Secret Service ansah. Auch wenn das braune, kurz geschnittene Haar noch dicht und nur an den Schläfen ergraut war, hatten die Erlebnisse einige Furchen in sein Gesicht gegraben. »Das freut mich zu hören.«

In dem Moment wurde die Tür aufgestoßen, und Walther kam aufs Dach. Er zog fröstelnd die Schultern zusammen, bevor er sich umsah und auf sie zueilte. Wie meist trug er eine schwarze Jeans, einen schwarzen Hoody – heute mit dem Emblem des Hard Rock Cafés in San Francisco – und eine Lederjacke darüber. Die braunen Haare, die er für den vorletzten Einsatz hatte kurz schneiden lassen, wellten sich bereits wieder im Nacken.

Er umarmte Alex und feixte: »Lange nicht mehr gesehen, Alter.«

»Schon mindestens vierundzwanzig Stunden nicht.« Alex lachte.

Auf Englisch fuhr Walther an Karl gewandt fort: »Das ist ja eine schöne Überraschung.« Auch ihr gemeinsamer Boss wurde mit einer herzlichen Umarmung bedacht. Walther sah sich um. »Cooler Platz, passend für ein echtes Agententreffen.«

Karl lachte. »Ich war nur eine Weile im Flieger unterwegs und wollte in Ruhe rauchen.«

»Super Idee!« Walther zog eine Packung aus der Fronttasche seines Hoodys und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an.

Karl drückte seine auf dem Boden aus und steckte die Kippe dann in seine Packung. »Außerdem ist es mir ganz recht, wir können hier in Ruhe sprechen.«

»Hauptsache, du spannst uns nicht länger auf die Folter.« Alex zwinkerte ihm zu.

Nun glitt ein Schatten über Karls Züge, bevor sie erneut vom Schein des Feuerzeugs erhellt wurden, als er sich noch eine Zigarette anzündete. »Ich komme direkt zur Sache. Zwei junge Umweltaktivisten sind bei einer Ölbohrinsel auf den Bahamas zu Tode gekommen. Sie waren zwanzig und zweiundzwanzig.«

Walther stieß die Luft in einem Schwall aus, während Alex die Augen schloss. So jung!

»Was ist passiert?«

»Sie sind mit einem Protestbanner auf die Bohrinsel getaucht und haben versucht hinaufzuklettern. Es gibt unterschiedliche Aussagen. Eine Version lautet, einer der beiden sei ausgeglitten, habe das Banner, das sie setzen wollten, verloren, und der andere sei davon ebenfalls in die Tiefe gezogen worden.«

»Sie sind ins Wasser gefallen und waren beide sofort tot? Nachdem sie vorher dorthin getaucht sind, also offenbar gute Schwimmer waren?«, erkundigte sich Alex, seine Zweifel nicht verbergend. »Wie tief sind sie denn gefallen?«

»Vielleicht fünfzehn, zwanzig Meter.«

»Das ist hoch und kann tödlich enden, aber nicht zwingend sofort.« Alex runzelte die Stirn.

»Du sagst es.« Karl nahm einen tiefen Zug. »Der Fall wurde als Unfall eingestuft und von den bahamaischen Behörden zu den Akten gelegt.«

Alex schnaubte. »Nun, wenn jemand im Bereich Umweltschutz zu Tode kommt, kommen bei mir unwillkürlich Zweifel an einem Zufall auf. Der Mord an Umweltaktivisten ist weit verbreitet – allein im letzten Jahr sind weltweit knapp zweihundertdreißig Naturschützer grausam getötet worden, und die Anzahl steigt jährlich an.«

Walther zupfte sich an seinem Kinnbart. »Schon krass! Das bedeutet, jede Woche werden vier Menschen im Zuge ihres Engagements für die Umwelt ermordet?« In seiner Stimme schwang Entsetzen mit.

Alex nickte. »Und das waren nur die offiziell gezählten Toten, die Dunkelziffer liegt um ein Vielfaches höher.« Er rieb sich das Kinn und sah dann Karl an. »So wie ich dich kenne, vermutest du, dass es auch hier um Mord geht, stimmt's?« Kurz zögerte er, weil er den beiden jungen Toten gegenüber nicht respektlos erscheinen wollte. »Und du denkst, dass weit mehr dahintersteckt als die Protestaktion dieser beiden Jungs und der Umweltorganisation? Ging es ihnen um mehr als nur darum, diese eine Bohrung zu verhindern?«

Karl hob die Mundwinkel. »Du kennst mich gut.« Über sein Gesicht glitt ein Schatten. »Wobei ich gleich offen sagen muss, dass bei mir auch ein persönliches Interesse mitspielt, die Sache aufzuklären. Devon Lieberman, einer der beiden Verunglückten, ist ein entfernter Verwandter meiner Ex-Frau. Deshalb übernehme ich es selbst, etwas über ihn herauszufinden. Ich kannte ihn ... zumindest, als er klein war.«

Karl wäre es nicht recht, wenn er näher auf die Tatsache einging. Deshalb sagte Alex nur: »Oh, das tut mir leid!«, und auch Walther brummte lediglich betroffen vor sich hin.

Alex sah seinen Boss nachdenklich an. »Ein reiner Mord – so schlimm er ist und dich persönlich betrifft – wäre kein Fall, mit dem du an uns herantrittst und das Team zusammentrommelst, oder? Was steckt noch dahinter?«

Starfish war zwar ein inoffiziell operierendes Team unter geheimdienstlicher Aufsicht und wurde vorrangig auf Aufträge angesetzt, für die es bislang nur karge Beweise gab und die vorerst nicht in offiziellen Akten erscheinen sollten. Sei es, weil irgendwo ein Leck in den eigenen Reihen befürchtet wurde oder das öffentliche Interesse noch nicht offensichtlich genug war für einen behördlichen Auftrag. Was wohl in diesem Fall noch alles zum Vorschein kommen würde?

»Devon war Hacker. Er hat seinem Bruder gegenüber angedeutet, dass er demnächst groß rauskommen wird. Leider hat er keine Details verraten. Der Bruder ist sich sicher, dass sie auf etwas ganz Großes gestoßen sind, was sie nicht hätten erfahren dürfen. Wir gehen fest davon aus, dass man bei ihrem ›Unfall‹ nachgeholfen hat, und zwar nicht nur, weil man sie als Störenfriede empfunden hat.«

In Alex' Kopf überschlugen sich die Gedanken. »Du meinst, Korruption?«

»Bestechung, Manipulation – mir fällt da eine ganze Palette an möglichen Skrupellosigkeiten ein.«

Alex nickte grübelnd. »Wieso gibt es eine Erschließung von Ölquellen auf den Bahamas? Die Gegend war bislang für Bohrungen nicht freigegeben; dort herrscht ein sehr sensibles, momentan jedoch noch einigermaßen intaktes Ökosystem. Dort zu bohren, ist zu gefährlich.«

Karl hob vielsagend die Augenbrauen. »Du sagst es.«

»Okay. Da hat es also jemand geschafft, entgegen aller bisherigen Restriktionen eine Konzession zu erlangen.« Nachdenklich strich Alex sich die Haare aus dem Gesicht. »Wissen wir, wer dahintersteckt?«

»Es ist eine kleine, bislang unbekannte Gesellschaft. Texco. Die Firma operiert äußerst verdeckt. Bisher hat noch niemand von ihr gehört.«

»Das macht sie ja schon mal per se verdächtig«, kommentierte Alex trocken.

»Vor allem: Woher soll diese No-Name-Gesellschaft die Mittel haben, sich dort irgendwie einzukaufen, wo große Firmen zuvor gescheitert sind?« Walther schnipste mit einem ungläubigen Knurren die Glut von seiner Zigarette.

»Ich bin überzeugt, du wirst es herausfinden.« Karl schmunzelte.

»Okay, wie lautet der Plan?«, hakte Alex nach. »Bestimmt hast du einen, oder?«

»Leider einen viel zu vagen. Walther sollte auf jeden Fall versuchen, so viel wie möglich über diese Firma Texco herauszufinden. Natürlich die Dinge, die nicht im offiziellen Register stehen.«

In Walthers Augen funkelte es unternehmungslustig. Man sah ihm an, dass er am liebsten sofort losgelegt hätte. »Hast du noch mehr Details?«

»Fenna versucht, sämtliche Gespräche von Texco zu entschlüsseln.« Karl sah Walther eindringlich an.

Der wirkte überrascht. »Okay, dann weiß ich wenigstens, wo sie gestern so dringend hinmusste.«

Alex beobachtete Karl gespannt. Eigentlich war es den Team-Mitgliedern verboten, Beziehungen miteinander zu führen. Da Fenna und Walther jedoch eher im Hintergrund arbeiteten – Fenna war für das Data-Mining zuständig, und Walther verstand es dank seiner Hacker-Fähigkeiten famos, alles, was im Verborgenen lag, ans Licht zu befördern –‍, tolerierte Karl die Beziehung. Er hatte jedoch von Anfang an klargestellt, dass Privates nicht mit der Arbeit vermischt werden durfte.

»Ich hatte ihr keine Geheimhaltungsklausel auferlegt, aber sie wird natürlich mir zuerst Bericht erstatten.«

»In Ordnung.« In einem fast übertrieben beiläufigen Tonfall fragte Walther: »Bleibt Fenna dann vorerst bei dir?«

»Ihr könnt euch noch mal verabschieden, doch dann soll sie mit mir nach Florida kommen, wo wir unsere Leitzentrale einrichten.«

»Und was hast du für mich?« Die Aufregung in Alex wuchs.

»Ich möchte, dass du die Freundin des jüngeren Toten, Patrick Wilson, besuchst. Sie ist neunzehn, heißt Alicia Frank und ist eine Deutsche mit Wohnsitz in Heidelberg. Adresse bekommst du. Das sollte auf der Heimfahrt kein allzu großer Umweg für dich sein. Das Mädchen stand unter Schock, weil sie alles live miterlebt hat. Inzwischen ist sie wieder zu Hause. Sie hat ausgesagt, sie wären einfach dort gewesen zum Protestieren. Aber ich bin mir nicht sicher, ob sie vielleicht nicht doch mehr weiß, womöglich sogar mehr, als ihr selbst bewusst ist. Ich möchte gern, dass du mit ihr sprichst. Vielleicht findest du etwas heraus. Lass deinen Charme spielen, gewinn ihr Vertrauen.«

Alex schluckte. Fast meinte er, ihren Verlust körperlich zu spüren. Er wusste schließlich leider nur zu gut, wie es war, jemanden zu verlieren, der einem nahestand. Und wie dies einen beinahe zerbrechen konnte ... »Soll ich mich als jemand Bestimmtes ausgeben?«

»Das überlasse ich dir. Du machst das schon richtig.«

»Danke!« Alex räusperte sich. Seine Stimme klang immer noch rau. Vielleicht auch, weil es ein Vertrauensbeweis von Karl war, dass er ihm völlig freie Hand ließ.

»Die Beziehung der beiden – Alicia und Patrick – war geheim. Ich weiß nur zufällig von Devons Bruder davon. Anscheinend hatte Devon auch ein Auge auf Alicia geworfen, sie schien ziemlich begehrt zu sein. Sonst weiß niemand, dass die beiden zusammen waren, und das soll auch so bleiben.«

»In Ordnung.« Alex nickte. »Gibt's noch mehr, was wir auf die Schnelle wissen müssen?«

»Nichts, was nicht Walther noch viel ausführlicher in Erfahrung bringen wird.« Karl ließ den Blick über die Lichter der Großstadt schweifen. »Wie auch immer ... In der nächsten Woche liegt ziemlich viel Arbeit vor uns. Wir sollten baldmöglichst anfangen.« Nun glitt ein Lächeln über seine Züge. »Morgen früh dann. Jetzt, würde ich sagen, gehen wir erst einmal etwas essen.«

Walther schlug ihm lachend auf den Rücken. »Das klingt nach einem Spitzen-Plan! Denken macht hungrig.«

Auch Alex fiel auf, dass ihm der Magen knurrte. Doch momentan überwog die Aufregung. Bei seiner Arbeit als Meeresbiologe hatte er sich stets für die Umwelt eingesetzt. Er war ins Team Starfish gekommen, um die Umweltkriminellen direkt zu bekämpfen. Vielleicht würde er nun wieder eine Chance dazu bekommen.

Auf einmal konnte er es kaum erwarten, endlich loszulegen.

*

Nassau, New Providence, Bahamas

»Sie waren wieder da. Diese Typen, die uns schon letzte Woche gefolgt sind, als wir mit den Kindern beim Einkaufen waren.« Priscilla sah ihn anklagend an. Vielleicht bildete er sich den Vorwurf in ihrem Blick auch nur ein, und sie war lediglich besorgt.

George widerstand der Versuchung, sich mit dem Taschentuch über die Stirn zu wischen, und fuhr sich nur über das schwarze Kraushaar, in dem sich – seit den letzten ereignisreichen Tagen – einige zusätzliche Silberfäden zeigten. Obwohl das Haus klimatisiert war, brach ihm der Schweiß aus. Wie immer, wenn er mit dem Gedanken an das konfrontiert wurde, was er getan hatte.

Nicht, dass er sich dafür schämte. Er hatte es schließlich für sein vom Hurrikan und dem Einbruch des Tourismus gebeuteltes Land getan, dem die zu erwartenden Zusatz-Einnahmen von rund fünf Milliarden mehr als guttun würden – die Summe allein betrug schließlich die Hälfte des normalen jährlichen Bruttoinlandsprodukts der Bahamas.

Und er tat es für seine Familie. Auch wenn diese noch nichts davon wissen durfte. Das Geld versteckte George auf diversen Konten – einen kleinen Teil in den USA, falls er überstürzt dorthin fliehen musste, den größten Teil steuerfrei auf den Cayman Islands, und er hatte sogar eine fünfstellige Summe in der Schweiz deponiert.

Nicht in seinem eigenen Land. Auch wenn die Bahamas ebenso viele Möglichkeiten boten, Geld unentdeckt von Finanzämtern und ausländischen Behörden anzulegen; aber das war ihm doch zu unsicher, falls er eilig die Inseln verlassen musste.