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Wieso sind nasse Hosenbeine dunkler als trockene? Weshalb sind 40 Grad nicht doppelt so warm wie 20 Grad? Und warum können Bergsteiger keine Eier kochen? Wissenschaftlich fundiert und äußerst unterhaltsam geht Aeneas Rooch den Rätseln unseres Alltags auf den Grund. Und liefert Experimente zum Selbermachen und Angeben: So zeigt er, wie man Cappuccino singen lässt, eine Flasche Wein mit einem Schuh öffnet oder einen Wasserstrahl ablenkt (kleiner Tipp: hier kommt die Katze ins Spiel). Frisch und witzig – Physik mal anders!
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Seitenzahl: 260
Über den Autor
Aeneas Rooch, geboren 1983, hat Mathematik und Physik studiert. Er arbeitet in der Softwarebranche und ist als freier Wissenschaftsjournalist tätig. Er spielt gerne Klavier und Badminton (aber selten gleichzeitig).
www.rooch.de
Aeneas Rooch
oder wie man Wasser biegt
Die wunderbare Weltder Alltagsphysik
Mit Illustrationen von Katharina Bitzl
WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN
Für Lena und Ida
Inhalt
Vorwort
Die brutal beschleunigte Weinflasche
Wie öffnet man eine Flasche Wein ohne Korkenzieher?
Der Blitz im Briefumschlag
Wie kann man mit einem Briefumschlag Funken sprühen lassen?
Kühles, dampfendes Bier
Woher kommt der Nebel beim Öffnen einer Bierflasche?
Rubbel die Katz
Wie kann man Wasser biegen?
Salziges Plastik am Babypopo
Warum bleiben Windeln trocken?
Edle Ballons im Sektglas
Wieso perlt Sekt im Glas?
Tanzende Sterne, stoischer Mond
Weshalb funkeln die Sterne, aber nicht der Mond?
Geheime Wärme im Eis
Warum kühlen Eiswürfel so gut?
Filzstifte mit Disco-Effekt
Wie leuchtet ein Textmarker?
Wasser steht Kopf
Wie kann man Wasser schweben lassen?
Luft zerlegt Licht
Warum ist der Himmel blau?
Hose ohne Wiederkehr
Wieso ist nasse Kleidung dunkler?
Der Gesang des Cappuccinos
Wie kann man mit einem Cappuccino eine Tonleiter spielen?
Der leuchtende Fingerabdruck des Gases
Was leuchtet in einer Neonröhre?
Machtkampf in der Flasche
Wie entstehen die Töne beim Blasen über eine Flasche?
Nebel im Milchglas
Warum tauchen Dinge im Nebel so plötzlich auf?
Doppelt so warm ist halb so kalt?
Wieso sind 40 Grad nicht doppelt so warm wie 20 Grad?
Ausbruchshelfer für tiefe Töne
Wieso haben viele Blasinstrumente einen Trichter?
Kristalle in der Jackentasche
Woher nimmt ein Taschenwärmer seine Wärme?
Gas lässt die Korken knallen
Was knallt beim Öffnen einer Sektflasche?
Partnervermittlung im Kochtopf
Wie kann man zwei Tassen Zucker in einer Tasse Wasser auflösen?
Gestreichelte Gläser (glingen wie Glocken)
Wie singen Weingläser?
Ball mit Drall
Was ist das Geheimnis der Bananenflanke?
Eierproblem am Mount Everest
Wieso können Bergsteiger keine Eier kochen?
Bunt wie Schnee
Warum ist Schnee weiß?
Der ungestüme Elan des Champagners
Weshalb spritzt Champagner aus der Flasche?
Es saugt der Wind
Wie deckt ein Sturm Dächer ab?
Wurst/Finger
Warum kann man ein Smartphone mit einer Wurst bedienen?
Waben im Wasser
Wieso schwimmen Eiswürfel?
Danksagung
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser,
Physik ist wunderbar. Leider wissen das nur wenige. Alles im Universum scheint Regeln zu folgen, und wir können diese Regeln entdecken und verstehen lernen, indem wir beobachten, was um uns herum passiert. Das ist Physik.
Allerdings ist Physik nicht immer so poetisch, wie ich das eben beschrieben habe, sondern auch ziemlich kompliziert, außerdem hat sie mit Mathematik zu tun – beides Eigenschaften, die nur wenige als Spaßfaktor bezeichnen würden. Physik hat es also schwer.
Dabei ist Physik äußerst partytauglich. Denn die Gesetze, nach denen unsere Welt funktioniert, zeigen sich auf spannende und spektakuläre Weise auch an Gegenständen, die Sie oder Ihre Gastgeber wahrscheinlich im Haus haben – etwa an Bierflaschen, Weingläsern, Eiswürfeln, Textmarkern und Fußbällen. Mit diesen alltäglichen Dingen kann man großartige Experimente anstellen und eine Menge über die Regeln unseres Universums lernen.
Bei meiner Arbeit für das Radio habe ich mich mit dieser Art von spannender und unterhaltsamer Physik beschäftigt. In einer Reihe von Beiträgen habe ich zum Beispiel eben physikalische Phänomene vorgestellt, die uns im Alltag begegnen. Ich wollte zeigen, dass Physik Spaß macht. Diese Serie, die im Bayerischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk ausgestrahlt wurde, hat wiederum mir so viel Spaß gemacht, dass ich ein ganzes Buch darüber geschrieben habe. Es liegt nun vor Ihnen (dieses hier!) und wartet darauf, von Ihnen gelesen zu werden. Sie finden darin viele alltagstaugliche Versuche, die Sie zu Hause nachmachen können, Erklärungen der Phänomene, die Sie beobachten werden, Informationen über Dinge, die Sie sonst noch werden wissen wollen, und das eine oder andere, von dem Sie jetzt noch gar nicht ahnen, dass Sie es interessieren wird. Ich hoffe, mein Buch kann Sie dafür begeistern, wie unsere Welt funktioniert.
Bochum, im Sommer 2016
Aeneas Rooch
Die brutal beschleunigte Weinflasche
Wie öffnet man eine Flasche Wein ohne Korkenzieher?
Physik hilft nicht nur, das Universum zu verstehen, sondern auch wenn Sie eine Flasche Wein öffnen wollen, aber keinen Korkenzieher dabeihaben. Sie brauchen nur etwas Mut und ein bisschen Gewalt, den Rest erledigt ein physikalischer Effekt, der ansonsten Schiffsschrauben zerstört. Er ruft winzige Stoßwellen hervor, die sogar Stahl zerfressen können und Ihnen beim Öffnen der Weinflasche helfen.
Das Experiment: Sie benötigen eine Flasche Wein und einen Schuh. Erfolgreich getestet habe ich es mit einem 2011er E. Guigal Côtes du Rhône, aber eigentlich ist nur wichtig, dass die Flasche einen Korken hat. Stellen Sie die Flasche aufrecht in den Schuh, das heißt mit dem Flaschenboden gerade auf das Fußbett, und halten Sie beide so, dass die Flasche fest im Schuh sitzt. Weinliebhaber müssen jetzt tapfer sein: Schlagen Sie den Schuh mit der Flasche darin mehrfach kräftig mit dem Absatz gegen eine Wand.
Was Sie sehen: Bei jedem Stoß schwappt der Wein in einem klassischen Rubinrot hin und her. Mit würzigen Noten von Blaubeeren, Kirschen und Pfeffer wird er gegen den Flaschenboden und den Korken geschleudert. Nach und nach steigt der Korken auf, sodass Sie ihn mit einer Zange oder den Zähnen zu fassen kriegen und aus der Flasche ziehen können. Alternativ können Sie mit dem Schuh weiter gegen die Wand schlagen, bis der Korken ganz herauskommt und der Wein mit einem kräftigen, mineralischen Auftritt auf den Boden schwappt. Inzwischen in Ansätzen moussiert, zeigt er hier sein einnehmendes Bouquet an roten Früchten, Blumen, Kräutern und erdigen Noten. Auf dem Boden opulent, schöne Balance zwischen Erlebnis und Schweinerei.
Was hier vor sich geht: Das, was den Korken aus der Flasche schiebt, ist der Impuls des Weins, die Wucht, mit der er unterwegs ist. Wenn man es wissenschaftlich genau nimmt, ist der Impuls eines Gegenstands das Produkt aus seiner Masse und seiner Geschwindigkeit. Das bedeutet: Je schwerer und je schneller ein Gegenstand ist, desto mehr Impuls, desto mehr Wucht hat er. Das Phänomen kennen Sie aus Ihrem Alltag: Wenn Sie mit jemandem zusammenstoßen, müssen Sie nicht besonders schnell unterwegs gewesen sein, es reicht, wenn einer von Ihnen beiden dick ist, dann spüren Sie einen großen Impuls, das heißt einen heftigen Aufprall. Beim Federball ist es umgekehrt, der Ball wiegt wenig, aber wenn Sie ihn ins Gesicht kriegen, tut es trotzdem weh, weil er schnell ist und deshalb einen hohen Impuls besitzt. Den Zusammenhang nutzen Sie bei der Weinflasche: Das Gewicht des Weins können Sie nicht ändern, aber Sie können den Wein auf eine hohe Geschwindigkeit bringen und so seinen Impuls erhöhen.
Warum man das überhaupt machen sollte beziehungsweise wie man auf die Idee kommt, die Weinflasche vor die Wand zu schlagen, liegt auf der Hand, wenn Sie das Problem durchdenken: Sie wollen die Flasche öffnen, können den Korken mangels Korkenzieher jedoch nicht herausziehen. Da die Pfadfinder-Lösung, den Korken in die Flasche hineinzudrücken, für Sie als Weinliebhaber nicht in Betracht kommt, bleibt nur noch die Möglichkeit, den Korken von innen nach außen zu drücken. Der Einzige, der das kann, ist der Wein selbst, denn er ist als Einziger in der Flasche.
Das Ziel ist also, den Wein so zu beschleunigen, dass er den Korken von innen herausschiebt, und das erreichen Sie, indem Sie den Boden der Weinflasche gegen die Wand schlagen. Dadurch gerät der Wein in Bewegung und brandet gegen den Flaschenboden, wo er allerdings nicht weiterkommt und wie ein Ball, der gegen eine Wand geworfen wird und zurückprallt, umdrehen muss. Der Fachmann nennt das Impulsumkehr. Der Wein schwappt also zurück in die entgegengesetzte Richtung und klatscht gegen den Korken, der allerdings nicht so unnachgiebig ist wie der Flaschenboden und sich etwas bewegt: Der Wein schiebt ihn mit seiner Wucht Stück für Stück aus der Flasche heraus, man spricht von einem Impulsübertrag oder, etwas anschaulicher, von einem Kraftstoß. Das klappt deshalb so gut, weil sich Wein kaum zusammendrücken lässt; man sagt, er ist so gut wie inkompressibel. Das ist eine typische Eigenschaft von Flüssigkeiten: Im Gegensatz zu Gasen lassen sie sich von hohem Druck praktisch nicht auf weniger Platz zusammenstauchen. Deshalb gibt der Wein beim Aufprall nicht nach, und beim Umdrehen entsteht am Korken ein enormer Druck.
Der Schuh dient nur als Aufprallschutz: Er federt die brutalen Stöße etwas ab und sorgt dafür, dass die Flasche nicht zerbricht, wenn Sie sie gegen die Wand schlagen und den Wein dazu zwingen, am Flaschenboden schlagartig kehrtzumachen und seinen Schwung mit zurück in Richtung Korken zu nehmen. Sie sollten also besser keine Filzpantoffeln oder Stöckelschuhe wählen, sondern einen Schuh mit fester Sohle und Absatz. Sie brauchen außerdem ein bisschen Übung, um herauszufinden, wie stark Sie die Flasche mit dem Schuh gegen die Wand schlagen können, ohne das Glas zu zerbrechen. Fangen Sie also lieber vorsichtig an!
Bei der rabiaten Flaschenöffnung kommt noch ein Effekt hinzu, der filigraner, aber nicht weniger brutal ist: Kavitation. Bei den Schlägen gegen die Wand wird der Wein punktuell stark beschleunigt – das ist ja gerade Sinn der Sache –, doch das ruft einen berühmten Effekt aus der Strömungsmechanik auf den Plan, das bernoullische Gesetz: Wenn eine Flüssigkeit schnell strömt, sinkt ihr Druck. Das passiert im Wein, wenn auch nur für einen kurzen Moment, aber es hat fatale Auswirkungen: Der Druck sinkt, und der Wein beginnt zu verdampfen. Das ist normal. Anschaulich kann man sich vorstellen, dass es Teilchen bei geringem Druck leichterfällt, den engen Verbund einer Flüssigkeit zu verlassen und sich als Gas davonzumachen, als bei hohem Druck, der mit seinem eisernen Griff alles zusammenhält. Im Wein bilden sich durch die brutale Beschleunigung und den dadurch hervorgerufenen Druckabfall winzige Dampfbläschen – denn gasförmiger Wein braucht mehr Platz als flüssiger –, doch sie zerfallen sofort wieder, da die hohe Geschwindigkeit und der geringe Druck in der Flasche nur hier und da und bloß für einen kurzen Moment auftreten. Schlagartig stürzen die kleinen Hohlräume also wieder in sich zusammen, und das verursacht winzige Stoßwellen im Wein, die ebenfalls mithelfen, den Korken aus der Flasche zu drücken.
Geringer Druck lässt den Wein verdampfen? Genau. Das gilt nicht nur für Wein, sondern ganz allgemein. Wann eine Flüssigkeit verdampft (und auch andersherum: wann ein Gas kondensiert, das heißt: sich als Flüssigkeit niederschlägt), hängt nicht nur von der Temperatur, sondern auch vom Druck ab. Bei hohem Druck werden Gasteilchen gewissermaßen zusammengeschoben und schließen sich eher zu einer Flüssigkeit zusammen als bei niedrigem Druck. Und bei niedrigem Druck ist es für die Teilchen in einer Flüssigkeit einfacher, die Anziehungskräfte im Flüssigkeitsverbund zu überwinden und wegzufliegen.
Was mache ich, wenn ich keinen Schuh dabeihabe? Ich kann mir nicht viele Umstände vorstellen, in denen Sie keinen Schuh haben, aber unbedingt eine Flasche Wein trinken wollen. Doch die Physik hilft Ihnen auch in dieser misslichen Lage. Die Schuh-Methode ist effizient, hat aber, physikalisch betrachtet, mit dem Schuh nichts zu tun; es geht ausschließlich darum, den Wein in Richtung Korken zu beschleunigen, und das können Sie auch ohne Schuh, zum Beispiel indem Sie die Flasche mit kleinen, vorsichtigen Stößen gegen einen Baum schlagen. Sie brauchen hier nur etwas mehr Geduld als bei der brutalen Schuh-Methode.
Wo findet man das noch? Was Ihnen beim Öffnen einer Weinflasche zupasskommt, ärgert Ingenieure: Kavitation tritt immer dort auf, wo sich Flüssigkeiten schnell bewegen, zum Beispiel an Propellern und in Pumpen, und meistens ist sie nicht erwünscht, weil die Stoßwellen die Propeller und Pumpen stören oder sogar beschädigen können. Man kann die Stoßwellen aber auch gezielt nutzen, etwa um Nierensteine zu zerstören oder um Chemikalien zu zerkleinern und gut durchzumischen. Kavitation ist ein komplizierter Vorgang: Sie lässt eine Flüssigkeit den Aggregatzustand wechseln und zieht alle Register im komplexen Zusammenspiel von Druck, Temperatur, Verdampfen und Kondensieren. Im Alltag begegnet sie uns selten – außer es fehlt ein Korkenzieher. Dann leistet sie gute Dienste und sorgt nebenbei für einen enormen Imagegewinn: Männer brauchen sich nicht mit einer Machete zu rasieren, um eine Frau mit archaischer Männlichkeit zu beeindrucken! Eine Flasche Wein mit dem physikalisch-brutalen Stoßwellen-Trick zu öffnen ist ebenso eindrucksvoll, wenn nicht sogar mehr.
Der Blitz im Briefumschlag
Wie kann man mit einem Briefumschlag Funken sprühen lassen?
Spektakuläre Naturereignisse können Sie nicht nur unter freiem Himmel bewundern, sondern auch im Büro: Ein selbstklebender Briefumschlag zum Beispiel kann einen Blitz erzeugen.
Das Experiment: Nehmen Sie einen frischen selbstklebenden Briefumschlag zur Hand und verschließen Sie ihn; drücken Sie die Klebelaschen fest aneinander. Schlitzen Sie die Oberkante des Umschlags mit einem Brieföffner auf und verdunkeln Sie den Raum. Ziehen Sie nun die Klebelasche vom Umschlag ab.
Wahrscheinlich müssen Sie ein bisschen herumprobieren, welches Abreißtempo sich eignet, aus der Ferne kann ich Ihnen nur den Hinweis geben, dass Sie die Lasche langsam abreißen müssen, aber nicht zu langsam. Probieren Sie also aus, bei welchem Tempo sich der Effekt gut zeigt. Nach einigen Versuchen sollten Sie allerdings einen neuen Umschlag nehmen, denn frische Zutaten sind nicht nur beim Kochen wichtig: Wenn Sie einen Umschlag verwenden, der schon eine Weile herumliegt oder einige Male geöffnet wurde, ist die Klebeschicht womöglich schon zu trocken oder abgenutzt, um Blitze zu erzeugen.
Was Sie sehen: Zwischen den beiden Klebestreifen sprühen für einen kurzen Moment bläuliche Funken. Es liegt in der wenig imposanten Natur des Briefumschlags, dass der Effekt, verglichen mit einem Blitz am Himmel, eher beschaulich ist, aber das, was Sie da sehen, ist ein echter Blitz, eine echte elektrische Entladung. Und auch wenn er in dieser Größe vielleicht kein spektakuläres Naturereignis ist, ist der Briefumschlagblitz auf jeden Fall ein spektakuläres Büroereignis. (Aber lassen Sie sich nicht von Ihrem Chef dabei erwischen, wie Sie mit Büromaterial experimentieren! Die Faszination packt nicht jeden auf Anhieb.)
Was hier vor sich geht: Der Blitz im Briefumschlag entsteht durch das Zusammenspiel zweier physikalischer Vorgänge. Zum einen laden Sie die Klebelaschen des Briefumschlags beim Öffnen elektrisch auf: Elektronen, elektrisch geladene Teilchen, gehen von der einen Lasche auf die andere Lasche über.
Dieses Phänomen nennt man Reibungselektrizität. Hochtrabend kann man auch triboelektrischer Effekt sagen (vom altgriechischen τριβή/tribé, Reibung), was exakt dasselbe bedeutet, aber ungemein mehr Eindruck macht. Er/sie/es (der Effekt, die Reibungselektrizität, das Phänomen) zeigt sich, wenn man Stoffe aneinander reibt, weil sie dadurch in engen Kontakt kommen, besonders gut Ladungen austauschen und sich so elektrostatisch aufladen können. Schon in der Antike haben Menschen beobachtet, dass ein Stück Bernstein wie von Geisterhand kleine Schnipsel anzieht, wenn es mit Wolle oder Fell abgerieben wird. Diese Erkenntnis wird dem griechischen Philosophen, Mathematiker und Astronomen Thales von Milet (um 600 v. Chr.) zugeschrieben. Die Hintergründe, warum Thales Bernstein poliert hat, sind mir nicht bekannt, allerdings ist auch einem Naturphilosophen angeraten, hin und wieder mal seinen Schmuck zu putzen, nicht nur aus optischen Gründen, sondern auch, weil man eben nie wissen kann, ob man dabei nicht etwas Bedeutendes herausfindet. Thales’ Bernsteinpolitur wird heute gemeinhin als die Entdeckung der elektrostatischen Aufladung gesehen: Das altgriechische Wort für Bernstein lautet ἤλεκτρον/élektron und ist Namensgeber für unseren modernen Begriff der Elektrizität sowie – das ist nun nicht wirklich überraschend – für das Elementarteilchen Elektron.
Beim Öffnen des Umschlags ist Reibungselektrizität entstanden, genau wie beim Reiben von Bernstein und Wolle: Ladungen sind von der einen auf die andere Lasche übergegangen. Doch da sich die Laschen nach dem Öffnen nicht mehr berühren, können die Ladungen nicht mehr ohne Weiteres zurück, um sich auszugleichen. Diese Situation – getrennte Ladungen, die sich ausgleichen wollen, aber nicht können – nennt man elektrische Spannung. Um diese Spannung aufzulösen und einander wieder auszugleichen, wagen die Elektronen einen Base-Jump: Sie springen von der einen Lasche wieder auf die andere zurück, und zwar, gewissermaßen notgedrungen, durch die Luft.
An dieser Stelle kommt der zweite Effekt ins Spiel: Die Elektronen stoßen bei ihrem Sprung hin und wieder mit einem arglosen Luftteilchen zusammen, und bei diesem Zusammenprall kann das Luftteilchen seinerseits ein Elektron verlieren. Ein anderes herumfliegendes Elektron kann diesen frei gewordenen Platz einnehmen, und wenn es das tut, leuchtet es. Denn beim Herumfliegen hat das Elektron mehr Energie, als wenn es festsitzt, und diese Herumfliegeenergie, die es nach dem Andocken an das Luftteilchen nicht mehr braucht, muss es loswerden: Es sendet quasi als Ersatz Licht aus. Ihr Briefumschlag sprüht also Funken, weil Elektronen zwischen den Klebelaschen leuchten.
Die Klebe ist übrigens wichtig. Wenn Sie ein Blatt Papier von einem Stapel nehmen, blitzt nichts, selbst wenn Sie es ganz schnell wegziehen. Denn unter dem Mikroskop betrachtet, berühren sich die Blätter mit ihrer rauen, zerklüfteten Oberfläche nur an wenigen Stellen. Der Kleber ändert das: Er fließt in die Spalten und versucht, die ganze Oberfläche zu benetzen. Durch den Kleber können sich die Laschen des Umschlags also viel enger aneinanderschmiegen und sich gegenseitig aufladen.
Wenn Sie es genau wissen wollen: Als ich eben beschrieben habe, dass Elektronen von der einen Lasche auf die andere Lasche übergehen, habe ich nicht verraten, von welcher Lasche aus sie starten und auf welcher sie landen – aus gutem Grund. Denn Elektronen sind nicht wählerisch: Die Klebelaschen sind gleich, warum also sollten die Elektronen bevorzugt auf eine von beiden springen, auf die andere aber nicht? Die Elektronen springen auf beide Laschen gleichermaßen – die einen von links nach rechts, die anderen von rechts nach links –, beim Auseinanderreißen laden Sie also nicht eine Lasche komplett positiv und die andere komplett negativ auf. Trotzdem entstehen durch das Springen der Elektronen auf jeder Lasche kleine geladene Bereiche, positive wie negative, und auf der anderen Lasche, gegenüber, ist es genau umgekehrt. Diese unterschiedlich geladenen Bereiche, die sich gegenüberliegen, sorgen für die Spannung, die es schließlich blitzen lässt.
Wo findet man das noch? Genau das Gleiche, was Sie mit dem Öffnen eines selbstklebenden Briefumschlags auslösen, passiert bei einem Gewitter: Ladungen werden getrennt und gleichen sich mit einem Funkenschlag, einem Blitz, wieder aus. Die Ladungstrennung geschieht in der Gewitterwolke nicht durch das Auseinanderziehen von Klebelaschen, sondern unter anderem dadurch, dass Eis- und Wasserteilchen aneinander reiben und auseinanderdriften. Da es ein paar Ladungen mehr als bei Ihrem Briefumschlag sind, die da getrennt werden, und da sie eine größere Strecke zurücklegen, ist ein Blitz am Himmel etwas imposanter.
Das Licht, das von Teilchen ausgesendet wird, ist nicht nur spektakulär (wie bei einem Blitz) und verblüffend (wie bei einem Briefumschlag), sondern auch aufschlussreich, denn es verrät etwas darüber, wie Teilchen in ihrem Inneren aufgebaut sind oder wie sie sich verhalten, wenn sie auf andere Teilchen treffen. Je nachdem, was Teilchen tun oder wie sie aufgebaut sind, schicken sie nämlich unterschiedliches Licht aus. So hat zum Beispiel jedes Element – Helium, Sauerstoff, Eisen, Quecksilber und so weiter – seine ganz eigene Kombination von Farben, die es aussendet oder auch aufnimmt, sein eigenes, charakteristisches Muster von Spektrallinien. Physiker machen sich das zunutze, um etwas über den Aufbau oder den Zustand der Stoffe zu lernen, was ziemlich clever ist, allerdings auch ziemlich aufwendig, sodass Sie es zu Hause mit den Geräten, die Sie in der Küche, im Keller, in der Garage oder in der Werkstatt finden, wahrscheinlich nicht schaffen werden, aus dem Leuchten mehr über die Stoffe zu lernen als die Tatsache, dass sie leuchten. Aber ist das allein nicht schon großartig?
Übrigens sind leuchtende Briefumschläge nicht nur ein verblüffender Effekt für Hobbyphysiker, sondern beschäftigen auch Wissenschaftler (allerdings nicht allzu viele, vermute ich): Physiker der University of California haben 2008 im Fachmagazin Nature berichtet, dass zwischen den Klebelaschen eines Briefumschlags nicht nur ein Blitz aus gewöhnlichem Licht, sondern auch hochenergetisches Röntgenlicht gemessen wurde, was sie mit den gängigen Theorien allerdings nicht erklären können. In einem gewöhnlichen Briefumschlag stecken also sogar noch Rätsel für die Wissenschaft.
Kühles, dampfendes Bier
Woher kommt der Nebel beim Öffnen einer Bierflasche?
Selbst wenn Sie der Experimentalphysik bisher nur wenig abgewinnen konnten, sollte Ihnen dieses Experiment zusagen.
Das Experiment: Nehmen Sie eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und öffnen Sie sie. Schauen Sie auf die Flaschenöffnung. Wenn Sie ausreichend physikalische Erkenntnis gewonnen haben, dürfen Sie die Flasche leeren.
Was Sie sehen: Direkt nach dem Öffnen steigt eine dünne Wolke aus der Flasche auf.
Was dahintersteckt: Es ist nicht nur eine lyrische und (vielleicht dem vorausgegangenen Genuss ähnlicher Experimente geschuldete) unwissenschaftliche Beschreibung dessen, was Sie beobachten können, sondern es handelt sich bei dem, was aus der Flasche aufsteigt, tatsächlich um eine Wolke wie die Wolken am Himmel: einen Haufen winziger Wassertröpfchen.
In der Bierflasche waren sie noch gasförmig, das heißt, die Wasserteilchen schwebten als Wasserdampf zwischen Bier und Deckel hin und her. Sie waren auf dem kleinen Stückchen regelrecht eingezwängt und sind, als Sie die Flasche geöffnet haben, mit einem Zischen herausgeströmt. Hier draußen ist viel mehr Platz – stellen Sie sich vor, wie groß Ihre Küche für ein Gasteilchen wirken muss, das bisher nur das Innere der Bierflasche kannte! –, und die Gasteilchen, die sich gerade noch in der engen Flasche drängten, sich anrempelten und hin und her sausten, stieben jetzt in alle Richtungen auseinander. Dabei werden sie langsamer, denn das Herumtoben in der neuen Freiheit kostet Energie. Das können wir nicht sehen, aber wir spüren es: Das Gas wird kühler, denn Temperatur ist, wissenschaftlich genau genommen, nichts anderes als eine Maßzahl für die Teilchenbewegung. Dieses exotische Expertenwissen nutzt Ihnen wahrscheinlich nichts, wenn Sie schwitzen oder Ihnen kalt ist, aber schnelle Teilchen bedeuten Hitze, langsame Teilchen bedeuten Kälte. Für Physiker sind Temperatur und Teilchenbewegung das Gleiche.
Der Wasserdampf kühlt ab, wenn er aus der Flasche strömt, weil die Gasteilchen plötzlich mehr Platz haben und langsamer werden, und was jetzt passiert, kennen Sie aus Ihrem Badezimmer: Wenn Wasserdampf kalt wird, kondensiert er, das heißt, das Gas verwandelt sich in eine Flüssigkeit und bildet kleine Tröpfchen. Im Badezimmer passiert das auf dem Spiegel, bei der Bierflasche direkt in der Luft, sodass eine Wolke entsteht.
Apropos Wasserdampf: Man kann eine Menge falsch machen, wenn man sich über Wolken und Wasserdampf unterhält, und steht schnell als wunderlicher Kauz da, nur weil man nicht das richtige Wort gewählt hat. »Richtig« heißt in diesem Fall nicht einmal »wissenschaftlich richtig«, denn einige Begriffe rund um Wasser und Wolken sind zwar wissenschaftlich korrekt, wirken im normalen Leben aber trotzdem verschroben. Konkret: Ist Wasser gasförmig, sagt man nicht Wassergas, sondern Wasserdampf. (Wassergas gibt es auch, es ist aber etwas anderes; fragen Sie bitte einen Chemiker.) Wissenschaftlich korrekter Wasserdampf ist also ein Gas und als solches unsichtbar. Das jedoch passt nicht zu dem, was Sie und ich im Alltag Dampf nennen, den kann man schließlich sehen. Dieser Dampf enthält winzige flüssige Tröpfchen, ist also nicht mehr nur gasförmig, und Wissenschaftler sagen dazu Nebel oder in manchen Fällen auch Aerosol. Hinzu kommt, dass man im Alltag bei dem Wort »Dampf« meistens an etwas Heißes denkt, auch wenn Wissenschaftler damit ganz allgemein den gasförmigen Zustand einer Flüssigkeit oder eines festen Stoffes bezeichnen, unabhängig von seiner Temperatur. Kühler Dunst, der aus einer Wiese aufsteigt, ist ebenso Dampf wie heiße Schwaden über einem Kochtopf. Missverständnissen sind in diesem Bereich Tür und Tor geöffnet. Mit folgendem Satz können Sie wissenschaftlich punkten, manövrieren sich gesellschaftlich aber vermutlich ins Abseits: »Eine Wolke besteht nicht aus Wasserdampf, sondern aus Aerosol.«
Wo findet man das noch? Die Zutaten und Effekte, die in der Bierflasche zusammenspielen – Wasser, Luft, Druck, Temperatur, Ausdehnung, Kondensation –, bestimmen auch unser Wetter. Schon in der Bierflasche ist hoch kompliziert, was physikalisch auf der Grenze zwischen gasförmigem und flüssigem Wasser abläuft; was sich jedoch im Großen daraus ergibt – Wirbelstürme, Wind, Monsunregen, Dürre –, ist noch viel verworrener, vielfältiger und komplexer, und Wissenschaftler versuchen, die Abläufe und Zusammenhänge mit Formeln zu beschreiben, um sie zu verstehen und vorherzusagen.
Apropos Klima: Während es für das Raumklima egal ist, ob Sie eine kleine Flasche Bier öffnen (oder auch eine große), spielen Wolken und Wasserdampf bei den Prozessen, die unser Wetter bestimmen, eine Schlüsselrolle. Luft kann Wasserdampf aufnehmen: Bei 30 Grad Celsius fasst sie etwa 30,3 Gramm Wasserdampf pro Kubikmeter. Fliegt über diese sogenannte Sättigungsmenge hinaus noch mehr Wasserdampf herum, kondensiert er und wird flüssig, und es bildet sich – je nach Menge und Wetter – Nebel, Raureif, Schnee, Hagel oder Regen.
Soeben haben Sie (wahrscheinlich unbemerkt) gelernt, was es mit absoluter und relativer Luftfeuchtigkeit auf sich hat. Die Begriffe sorgen seltsamerweise immer wieder für Verwirrung, obwohl sie nicht kompliziert sind: Die absolute Luftfeuchtigkeit ist die Menge an Wasserdampf in einer Portion Luft; um sie anzugeben, muss man also wissen, über wie viel Kubikmeter Luft man spricht und wie viel Gramm Wasserdampf diese Portion enthält. (Falls Sie über die Einheit stolpern: Ein Kubikmeter sind 1000 Liter. Beim Einkaufen ist die Einheit Liter etwas praktischer.) Die relative Luftfeuchtigkeit gibt hingegen, grob gesprochen, an, wie viel Wasserdampf die Luft enthält, verglichen mit der maximal möglichen Menge. Bei 100 % relativer Luftfeuchtigkeit ertrinken wir nicht, weil sich die Prozentangabe nicht auf die Portion bezieht, sondern auf die Sättigung: Die Portion Luft ist nicht zu 100 % mit Wasser gefüllt, sondern mit Wasserdampf gesättigt und kann nichts mehr aufnehmen. Alles, was jetzt noch hinzukommt, bleibt nicht gasförmig, sondern kondensiert in Form von Wassertröpfchen. (Bei Prozentangaben sollte man sich generell fragen: Prozent von was? Wenn man diese Frage stellt – und vielleicht sogar beantwortet –, kann man einige statistische Irrtümer vermeiden, die schlicht dar-aus resultieren, dass Prozentangaben zwar praktisch zum Vergleichen sind, wir aber intuitiv kein Gefühl für sie haben.) Kurz nachdem Sie die Bierflasche geöffnet haben, betrug die relative Luftfeuchtigkeit über der Flasche 100 %, denn die Feuchtigkeit hat sich als Nebel niedergeschlagen – offenbar war die Maximalmenge dessen erreicht, was hier in Gasgestalt herumfliegen konnte.
Wolken haben übrigens Namen. Sie stehen im »Internationalen Wolkenatlas«, den eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen herausgibt (wie die UNESCO und die WHO, nur eben zuständig für Atmosphäre und Klima: die WMO, die »World Meteorological Organization«). Obwohl es sich bei dem Nebel über Ihrer Bierflasche um eine Wolke handelt, zumindest aus physikalischer Sicht, bezweifele ich jedoch, dass die Bierflaschenwolke als eigene Gattung im Wolkenatlas verzeichnet ist.
Der Wolkenatlas geht zurück auf den Londoner Apotheker Luke Howard, der um 1800 die Idee hatte, dass man Wolken in Kategorien einteilen kann, was kein unerhört kreativer Einfall war, schließlich hatte der schwedische Botaniker und Zoologe Carl von Linné ein paar Jahre zuvor Pflanzen und Tiere in Klasse, Ordnung, Gattung, Art und Varietät eingeteilt und damit die Grundlage für das System geschaffen, nach dem Biologen heute Pflanzen und Tiere benennen; eine einheitliche Klassifikation war also auch damals keine bahnbrechende Idee, bei so etwas Ätherischem wie Wolken aber zumindest eine, auf die nicht viele andere gekommen sind. Man kann nicht leugnen, dass das Ansinnen, Wolken zu beobachten und ihre Form zu beschreiben, nicht ausschließlich nach naturwissenschaftlichem Forschergeist klingt, sondern auch ein bisschen nach Hans Guckindieluft; doch Luke Howard schuf mit seinem Einteilungsschema die Grundlage für die systematische Beschreibung von Wolken und damit auch für ihre wissenschaftliche Untersuchung, auch wenn Wolkennamen wie Altocumulus translucidus, Cirrus fibratus oder Cumulonimbus klingen wie Titel ehrwürdiger Geheimlogen-Vorsitzender oder Zaubersprüche bei Harry Potter. Die Wissenschaft der Wolken heißt übrigens Nephologie, was Sie nicht mit Nephrologie verwechseln sollten, dem medizinischen Fachgebiet rund um die Niere. (Zu wissen, dass beide Begriffe aus dem Altgriechischen stammen – nämlich von νεφρός/nephrós, Niere, und νέφος/néphos, Wolke –, schützt Sie wahrscheinlich auch nicht davor, sie zu verwechseln, aber ich wollte es schnell noch erwähnt haben.)
Wann ist Luft feucht? Eben habe ich erwähnt, dass Luft bei 30 Grad pro Kubikmeter ungefähr 30 Gramm Wasserdampf aufnehmen kann (oder, wenn Sie sich das besser vorstellen können, 0,03 Gramm pro Liter). Hinter der scheinbar beiläufigen Temperaturangabe steckt ein Clou: Je wärmer Luft ist, desto mehr Wasserdampf kann sie unterbringen. Nur die absolute Luftfeuchtigkeit anzugeben nutzt also wenig, wenn Sie nicht noch die Temperatur dazu verraten, weil man dann nicht weiß, ob die Luftfeuchtigkeit hoch oder niedrig ist. Bei 5 Grad beträgt die Sättigungsmenge, die Maximalmenge Wasserdampf, die in die Luft passt, rund 6,8 Gramm pro Kubikmeter. Bei 30 Grad sind es besagte 30,3 Gramm. Und bei 80 Grad nimmt die Luft bereits unglaubliche 290,7 Gramm Wasserdampf auf.
Die relative Luftfeuchtigkeit ist, wie eben gesagt, die Luftfeuchtigkeit bezogen auf die Maximalmenge, die die Luft aufnehmen kann, und weil diese Maximalmenge mit steigender Temperatur immer größer wird, wird die relative Luftfeuchtigkeit immer geringer, wenn es wärmer wird. Das ist erst einmal eine rein rechnerische Konsequenz. Doch sie hat auch spürbare Auswirkungen: Beispielsweise machen 6,8 Gramm Wasserdampf pro Kubikmeter an einem Sommertag bei 30 Grad nicht viel aus, die relative Luftfeuchtigkeit beträgt dann rund 22 %. Wenn es draußen nur 5 Grad Celsius oder kälter ist, sind diese 6,8 Gramm jedoch die Maximalmenge, die die Luft schlucken kann; die relative Luftfeuchtigkeit beträgt dann 100 %, und Nebel entsteht. Ob wir Luft feucht oder trocken finden, hängt also nicht ausschließlich von der enthaltenen Wassermenge, sondern auch ganz entscheidend von der Temperatur ab.
Rubbel die Katz
Wie kann man Wasser biegen?
Physik ist zwar die Wissenschaft des Allgegenwärtigen, trotzdem scheint sie die Naturgesetze, wie wir sie kennen, hin und wieder auf den Kopf zu stellen. Ein Beispiel für so etwas Merkwürdiges und Magisches in der Physik ist gebogenes Wasser.
Das Experiment: Sie benötigen einen Wasserhahn, ein langes Plastiklineal und ein Katzenfell. Sollten Sie eine dieser Zutaten nicht zur Hand haben und es problematisch finden, sie zu beschaffen, kann ich Sie beruhigen: Das geht auch Physikern so. Nie hat man ein Lineal zur Hand, wenn man es braucht. Nein, es geht natürlich um das Katzenfell. Was Sie tun können, wenn Sie keines haben oder besorgen können, verrate ich Ihnen am Ende dieses Kapitels. Ich gehe jedoch erst einmal davon aus, dass Sie ein Plastiklineal und ein Katzenfell in der Hand halten und sich in der Nähe eines Wasserhahns befinden, zum Beispiel im Badezimmer, in der Küche oder im Garten. Eine öffentliche Toilette mit Waschbecken tut es auch, aber es gibt bessere Orte für Zaubertricks.
Drehen Sie den Wasserhahn auf und langsam wieder zu, bis das Wasser gerade noch fließt. Der Strahl muss möglichst dünn sein, darf aber auch nicht tröpfeln oder sprühen. Reiben Sie das Lineal am Fell (ohne Hemmungen mit festem Griff rauf und runter, so als wollten Sie es polieren) und führen Sie es dann an den Wasserstrahl heran, ohne ihn zu berühren.
Was Sie sehen: Der Wasserstrahl fließt nicht mehr gerade nach unten, sondern wird in Richtung des Lineals gebogen. Ist das nicht bizarr? Wir sind von Wasser gewohnt, dass es aus dem Hahn senkrecht nach unten fließt. Vom gerubbelten Lineal jedoch scheint eine magische Kraft auszugehen: Offensichtlich können Sie mit ihm einen Wasserstrahl ablenken!
Was hier vor sich geht: