Ruby Fairygale (Band 3) - Das Geheimnis der Tierwandler - Kira Gembri - E-Book

Ruby Fairygale (Band 3) - Das Geheimnis der Tierwandler E-Book

Kira Gembri

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Beschreibung

Ruby lebt auf einer windumtosten Insel. Dort kümmert sie sich um verletzte Tiere und magische Fabelwesen … Seit Ruby herausgefunden hat, dass sie eine Pooka ist, ist auf Patch Island nichts mehr wie es einmal war. Rubys faszinierende Gabe, sich in ein Tier verwandeln und mit ihnen sprechen zu können, sorgt für Unruhe unter den Fabelwesen: Einer Pooka kann man nicht trauen! Deswegen steht auch ihre Praxis leer – und das, obwohl eine mysteriöse Krankheit die Fabelwesen befällt. Mit ihrem Freund Noah an der Seite begibt sich Ruby auf die Suche nach ihren Eltern, um mehr über ihre Gabe zu erfahren. Sie muss das Vertrauen der Fabelwesen zurückgewinnen – das Schicksal der magischen Welt hängt davon ab. Spannende Fantasy zum Eintauchen in eine andere Welt … Auch im dritten Band dieser Fantasy-Reihe wartet ein neues Abenteuer auf Ruby und ihre Freunde. Voller Fantasie und untermalt von stimmungsvollen Illustrationen erzählt Bestseller-Autorin Kira Gembridie Fortsetzung der Geschichte für Kinder ab 10 Jahren und Fans von Alea Aquarius, Woodwalkers und Die Duftapotheke. Mit vielen atmosphärischen s/w-Vignetten. Der Titel ist bei Antolin gelistet.

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Seitenzahl: 253

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Inhalt

Meerjungfrau mit Liebeskummer

Ein überraschender Fund

Wildtierstation Prenderville

Der Dieb

Nacht im Gruselhaus

Ein Streit mit unerwarteten Folgen

Das verborgene Rudel

Verschollen

Rückkehr nach Patch Island

Finbar, der Blutbefleckte

Auf Entdeckungstour

Ein schwimmendes Geheimnis

An Bord des Kutters

Die Falle

Eine Insel versammelt sich

Lavalls Ankunft

Fabelwesen-Rettungsmission

Eine alte Bekannte

Wie man falsche Panther bändigt

Ich stecke in der Klemme

Zurück im Untersuchungsraum

Die letzte Verwandlung

Nichts ist, wie es scheint

Die Geschichte des Raben

Familie

Neuigkeiten zum Frühstück

Zwei gelöste Rätsel

Abschiedstee

1. KAPITEL

Meerjungfrau mit Liebeskummer

Es gab Tage, an denen fragte ich mich, ob Patch Island der schönste Ort auf der Welt war. Und dann gab es noch andere Tage, da wusste ich es einfach. So wie heute.

„Komm, wir machen ein Wettrennen bis zum Strand!“, rief Noah, als wir gerade die Kuppe des Hügels erreicht hatten. Von hier aus führte ein schmaler Trampelpfad in die kleine Bucht im Norden der Insel hinunter. Schmetterlinge gaukelten zwischen bemoosten Felsen und die blühenden Ginsterbüsche dufteten herrlich in der Abendsonne.

Doch Noah hielt offenbar nichts davon, den Augenblick zu genießen. Ohne auf meine Antwort zu warten, stürmte er in Richtung Strand, sodass sein schwarzer Rucksack wild auf und ab hüpfte.

„Frühstart!“, protestierte ich und wollte ebenfalls losrennen, aber ich hatte Schmuggel an der Leine und der trottete seelenruhig weiter. Schmuggel wog etwa zwanzig Kilo mehr als ich. Wenn er wollte, hätte er mich hinterherschleifen können, aber ganz bestimmt nicht umgekehrt. In gemächlichem Tempo erreichten wir also den Strand, wo uns Noah entgegengrinste.

„Oh, Pech für dich“, meinte er schadenfroh. „Der Verlierer muss leider alle Betten machen.“

Ich schnitt ihm eine Grimasse. „Behauptet wer?“

„Der Erfinder dieses Wettrennens.“ Lachend sprintete Noah die letzten paar Meter bis zum Schuppen und ich beschloss, ihm seinen Sieg zu gönnen. Erstens hatte ich einfach zu gute Laune und zweitens waren die Betten, von denen er sprach, nur wenig größer als ein Schuh.

Wie immer huschte ein Lächeln über mein Gesicht, während ich die Schuppentür öffnete. „Es werde Licht“, wisperte ich in die Dunkelheit hinein. Schlagartig erhellte magisches Licht den ganzen riesigen Saal, in dem sich ein Untersuchungsbereich und mehrere Wohnabteilungen aneinanderreihten. Als wir in eine Landschaft aus Felsen, Moos und Heidekraut kamen, wurden wir von begeistertem Johlen begrüßt. Grün gekleidete Männlein streckten die Köpfe aus ihren Häusern und winkten mit ihren Hüten.

„Wuschelkopf und Flammenhaar, die Menschenkinder sind jetzt da!“, krakeelten sie.

„Hey, ich hab mich heute Morgen gekämmt“, sagte Noah und fuhr sich durch seine zerzausten dunkelbraunen Haare. „Außerdem brauch ich keine Styling-Tipps von Leuten, die Gestrüpp am Kinn haben.“

Die Kobolde kicherten entzückt. Mit Noah zu streiten, liebten sie fast noch mehr als ihre struppigen Bärte. Während wir ihre Verbände kontrollierten und ich die winzigen Betten frisch bezog, krähten sie unermüdlich Schimpfwörter – in alphabetischer Reihenfolge von alter Affenfloh bis zottiger Ziegenpo. Erst als wir den Proviant verteilt hatten, kehrte wieder Ruhe ein. Zufrieden beobachtete ich, wie die Kobolde sich über winzige Sandwiches, Kuchen- und Obststückchen hermachten. Sie hatten ihre Portionen noch nicht ganz verdrückt, da ertönte aus einiger Entfernung ein Platschen.

Ohne zu zögern liefen Noah und ich los, aber ich spürte dabei ein nervöses Kribbeln im Bauch. Obwohl ich bereits seit vielen Jahren Fabelwesen pflegte, fand ich es immer noch aufregend, wenn ein neuer Patient zu uns kam. Es konnte sich ja um einen Drachen oder einen ausgehungerten Ghul handeln, der uns zur Begrüßung ein paar Finger abknabbern wollte. So etwas brauchten wir wirklich nicht, solange meine Großmutter noch in der Reha-Klinik war. Zum Glück würde Nana bald nach Hause zurückkehren!

Erleichterung durchströmte mich, als wir hinter die nächste Bretterwand traten und mein Blick auf die Öffnung im Boden fiel. Dort führte ein Tunnel geradewegs ins Meer und das grünhaarige Mädchen, das daraus hervorspähte, kannte ich bereits.

„Fiona!“, rief ich und hüpfte durch den Glitzersand, der in dieser Abteilung den Boden bedeckte. „Endlich sehen wir uns wieder! Wie geht es dir?“

Etwas gequält erwiderte die Meerjungfrau mein Lächeln. Die Zeit bei uns gehörte sicher nicht zu ihren schönsten Erinnerungen. Nana und ich hatten sie gesund gepflegt, nachdem sie von einem Seemann mit einem Messer verletzt worden war.

„Meine Wunden sind gut verheilt, danke“, sagte sie, „aber leider blutet jetzt mein Herz. – Bildlich gesprochen natürlich“, fügte sie schnell hinzu. „Es ist nämlich so, dass ich mich verliebt habe …“

„Schon wieder?“, fragten Noah und ich wie aus einem Mund.

Fiona warf mit einem hochmütigen „Pph!“ ihre grünen Haare nach hinten. „Keine Angst, diesmal ist mein Angebeteter kein brutaler Seemann“, erklärte sie würdevoll, „sondern ein absolut bezauberndes Geschöpf.“ Sie klatschte einmal mit ihrer glitzernden Flosse aufs Wasser. Nur Sekunden später tauchte ein Kopf neben ihr auf – der runde graubraune Kopf eines Seehunds.

Noah räusperte sich. „Hm, nett aussehen tut er ja …“, sagte er gedehnt. „Aber meinst du, ihr passt zueinander?“

„Er ist ein Selkie, du Einfaltspinsel!“, rief Fiona und warf dramatisch beide Arme in die Luft. „Ein Wesen, das wie ein Seehund und wie ein Mensch aussehen kann! Normalerweise nimmt er immer seine menschliche Gestalt an, wenn wir zusammen sind, aber seit unserem letzten Treffen muss ihm etwas Schlimmes zugestoßen sein. Er wirkt total erschöpft. Als hätte er nicht mehr genug Kraft, um sich zu verwandeln!“

„Ähm, entschuldige die blöde Frage“, stotterte ich, „aber bist du sicher, dass das hier dein Freund ist? Seehunde sehen einander ja sehr ähnlich …“

Fiona schnaubte empört. „Na hör mal, ich werde doch wohl meinen herzallerliebsten Robert erkennen!“

„Robert Robbe“, wiederholte Noah. „Wie passend.“

„Das haben wir gleich“, sagte ich und wandte mich mit einem freundlichen Lächeln an den Seehund. „Hallo, ich heiße Ruby Fairygale. Wenn du ein Selkie bist, der sich nicht verwandeln kann, dann klatsch doch bitte einmal mit den Flossen, ja?“

Nichts passierte. Robert schaute mich nur aus seinen großen Knopfaugen an und es war unmöglich zu beurteilen, ob er verzweifelt oder einfach nur gelangweilt war.

„Er steht unter Schock“, sagte Fiona.

„Oder er ist ein Seehund“, entgegnete Noah.

Ich knuffte ihn ein bisschen mit dem Ellenbogen, damit er Fiona in Ruhe ließ. Anders als Kobolde waren Meerjungfrauen nämlich schnell beleidigt. „Es gibt wohl keine Möglichkeit, herauszufinden, ob er wirklich ein magisches Wesen ist“, fasste ich zusammen.

Noah knuffte zurück. „O doch, die gibt es“, widersprach er. Seine Augen leuchteten in einem intensiven Blau, so wie immer, wenn er bester Laune war. „Frag ihn, Ruby“, flüsterte er mir eindringlich zu. „Frag ihn so, dass du seine Antwort verstehen kannst!“

Leider hatte er nicht bedacht, dass Meerjungfrauen sehr gute Ohren hatten.

„Was soll das?“, schimpfte Fiona. „Was redet ihr da? Raus mit der Sprache, immerhin geht es um meinen Herzallerliebsten!“

Ich presste kurz die Lippen zusammen, aber mir dämmerte, dass ich keine Wahl hatte. Nun würde also ein weiteres Fabelwesen von meinen Kräften erfahren.

„Okay, pass auf“, sagte ich langsam. „Noah meint, dass ich den Seehund in seiner Sprache fragen könnte, ob er wirklich Robert ist.“

Fiona starrte mich an, als wäre mir gerade ein Fisch aus der Nase geflutscht. „Wie soll das denn gehen?“, fragte sie. „Du bist doch kein Selkie!“

„Nein, aber ich könnte trotzdem seine Gestalt annehmen. Genau wie die von allen anderen Tieren … Weil ich nämlich ein Pooka bin.“

Einen Moment lang sagte niemand etwas und meine Worte schienen in der Stille nachzuhallen. Für mich klangen sie immer noch verrückt, schließlich hatte ich meine Fähigkeiten selbst erst vor wenigen Tagen entdeckt. Aber es fühlte sich trotzdem irgendwie befreiend an, Fiona die Wahrheit zu erzählen. Ich hasste Heimlichtuerei und hatte es schon immer schrecklich gefunden, die magische Pflegestation vor meinen Freunden –

„Was?“ Fionas entsetztes Flüstern riss mich aus meinen Gedanken. „Wie furchtbar! Und ich habe Robert ausgerechnet zu dir gebracht, das werde ich mir niemals verzeihen!“

„Hey, was soll denn die Aufregung?“, fragte Noah, die Hände beschwichtigend erhoben. „Dein Freund ist doch auch ein Gestaltwandler. Warum findest du es bei Ruby so schlimm?“

Fiona hörte ihm gar nicht zu. Ihr Blick war immer noch auf mich gerichtet und ihre Unterlippe bebte. „Ich fasse es nicht, dass ich dir vertraut habe! Aber du hast deine Macht eben gut verborgen – genauso, wie es in unserem Lied vorausgesagt wird!“

Noah und ich sahen einander beunruhigt an. „Welches Lied denn?“, fragte Noah. „Ich dachte, nur Feen könnten die Zukunft vorhersagen.“

Fiona schaffte es, trotz ihrer Angst die Nase zu rümpfen. „Weissagungen von Feen taugen nicht viel, die sind zu oberflächlich“, meinte sie. „Unsere Zukunftslieder hingegen sind so tief und dunkel wie das Meer. Die Wellen flüstern sie uns zu und sie werden von einer Sängerin zur anderen weitergetragen. Jede Meerjungfrau in dieser Gegend weiß, dass man sich von Pookas fernhalten muss!“ Sie schlang ihren Arm um den Seehund und ich begriff, dass sie mit ihm zurück in den Tunnel wollte.

„Warte!“, rief ich aus. „Kannst du uns nicht verraten, wie dieses Zukunftslied geht? Vielleicht ist das alles bloß ein Missverständnis!“

Fiona hielt inne, die türkisfarbenen Augen zu Schlitzen verengt. „Also gut“, sagte sie, ohne den Seehund loszulassen. „Ich singe es euch vor. Aber nur, um zu beweisen, dass wir gewarnt sind. Ein Pooka kann uns nicht so einfach in die Falle locken!“

Sie machte einen tiefen Atemzug und legte den Kopf in den Nacken, sodass ihre Haare wie Seetang durchs Wasser trieben. Als sie dann eine Melodie zu summen begann, schienen die Haare lebendig zu werden. Sie wirbelten um Fiona herum, tanzten und hoben sich sogar ein paar Zentimeter in die Luft. Kein Wunder, dass es Geschichten über Seemänner gab, die vor Staunen über den magischen Gesang der Meerjungfrauen ins Meer plumpsten! Doch im Gegensatz zur Melodie hatte der Text leider ganz und gar nichts Zauberhaftes an sich.

„O Schwestern und Brüder, nehmt euch in Acht

vor dem Tierwandlerwesen – es verbirgt seine Macht!

Scheint harmlos mit freundlichem Menschengesicht …

Doch nahe kommen dürft ihr ihm nicht!

Sein Herz wird von Dunkelheit bestimmt,

passt auf, dass es euch nicht das Kostbarste nimmt!

Dieses Lied soll bewirken, dass niemand vergisst,

dass der Pooka nicht ehrlich –

dass der Pooka gefährlich –

dass der Pooka ein Feind alles Magischen ist.“

Kaum hatte Fiona das letzte Wort gesungen, zerrte sie den Seehund auch schon unter Wasser. Ganz kurz sah man noch ihre Schwanzflossen im Tunnel, dann waren die beiden fort.

2. KAPITEL

Ein überraschender Fund

Soll ich dir mal was sagen?“, fragte Noah etwas später, als wir schon fast wieder zu Hause waren. „Du machst ein Gesicht wie Schmuggel, wenn man ihm zu sehr auf die Pelle rückt.“

Schmuggel grummelte leise und es klang nach Zustimmung. Auch jetzt wirkte seine Miene reichlich grantig, aber das hatte bei ihm nichts zu bedeuten. Viel ungewöhnlicher war es, dass er mir aufmunternd die Schnauze gegen die Hüfte stieß. Trotzdem bohrte ich meine Fäuste nur noch tiefer in die Taschen meiner Jeans und trottete mit gesenktem Kopf weiter.

„Ich muss mich korrigieren“, fuhr Noah fort. „Du machst ein Gesicht wie der alte Fergus an einem Tag ohne Torte. – Hey!“ Er überholte mich und baute sich zwischen mir und dem Hoftor auf. „Warum lässt du diese Sache so an dich ran? Meerjungfrauen sind viel zu empfindlich. Das hat Florabella uns doch erklärt!“

„Feen und Meerjungfrauen können einander einfach nicht leiden, deswegen behauptet Florabella das“, sagte ich. „Auch unter Fabelwesen gibt es nun mal Vorurteile. Aber die Vorurteile gegenüber Pookas sind anscheinend noch viel, viel schlimmer! Wenn die Meerjungfrauen wirklich solche Angst haben, dauert es bestimmt nicht mehr lange, bis sich auch die anderen Fabelwesen vor mir fürchten!“

Noah verdrehte die Augen. „Ach, komm schon. Was soll an euch Pookas denn so gefährlich sein?“

Ich schluckte schwer. „Dass wir unsere Kräfte nicht unter Kontrolle haben? Dass wir uns bei Albträumen oder starken negativen Gefühlen jederzeit in wilde Tiere verwandeln können, genauso wie beim Kontakt mit Sturm, Feuer oder Meerwasser? Und dass wir uns später oft nicht an unsere Taten erinnern, auch wenn wir das größte Chaos –“

„Das weiß ich doch alles“, fiel Noah mir ins Wort. „Trotzdem finde ich Fionas Reaktion total übertrieben. Ich renne ja auch nicht kreischend vor dir davon!“

„Das wirst du aber, sobald ich dich als schwarzer Löwe auffressen will“, sagte ich düster. „Wenn ich die magische Pflegestation weiterführen möchte, muss ich lernen, mich besser zu beherrschen. Nur dann werden mir wieder alle Fabelwesen vertrauen!“

„Okay, vielleicht wäre es wirklich ganz gut, mehr über deine Fähigkeiten herauszufinden“, räumte Noah ein. „Aber wie soll das gehen, wenn es hier keine anderen Pookas gibt und alle nur Gerüchte herumerzählen? Ich bezweifle, dass darüber was Hilfreiches auf Wikipedia steht. Und deine Nana …“

„… können wir nicht fragen“, ergänzte ich schnell. „Das ist definitiv kein Thema für ein Telefongespräch. Ich erzähle ihr ganz in Ruhe von meinen Wandlerfähigkeiten, wenn sie wieder zu Hause ist.“ Einen Moment lang schwiegen wir beide und ich dachte darüber nach, wie meine Großmutter wohl reagieren würde. Freundlich und locker, wie es normalerweise ihre Art war? Oder eher verwirrt, besorgt … vielleicht sogar ein bisschen wie Fiona?! Bei dieser Vorstellung fühlte ich mich gleich noch elender. Dann aber tauchte ein Gedanke in mir auf, der mein Herz schneller schlagen ließ.

„Was ist mit meinen Eltern?“, stieß ich hervor. „Wenn ich die Wandlerfähigkeit von ihnen geerbt habe, könnten sie mir doch beibringen, wie man richtig damit umgeht!“

Noah pfiff leise durch die Zähne. „Stimmt, du wolltest dich ja sowieso auf die Suche nach ihnen machen. Wenn wir sie aufspüren, schlagen wir gleich zwei Fliegen mit einer Klappe … Äh, sorry, blöder Vergleich“, fügte er hinzu, weil er sich wohl erinnert hatte, dass ich selbst schon mal eine Fliege gewesen war. „Aber wo sollen wir mit der Suche beginnen?“

„Am Anfang“, verkündete ich. „An meinem Anfang hier auf der Insel. Los, komm mit!“ Ich schob mich an ihm vorbei durch das Hoftor und stürmte zum Haupthaus, das genau zwischen der Tierarztpraxis meiner Großmutter und dem Gebäude mit den Pflegetieren stand. Noah folgte mir, ohne Fragen zu stellen, und auch Schmuggel ließ sich diesmal zu einem schnelleren Tempo bewegen. Wahrscheinlich spürte er, wie aufgeregt ich war – oder er freute sich einfach nur auf seinen Lieblingsplatz vor dem Kamin. Im Haus angekommen, marschierte er nämlich geradewegs in die Wohnstube. Ich lief inzwischen die Treppe hinauf, wobei ich versuchte, die knarrenden Stufen auszulassen. Gut möglich, dass Winifred Appleton im Schlafzimmer meiner Großmutter saß und strickte. Ganz im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin, der herrischen MrsSilverton, war Nanas neue Vertretung sehr sanft und zurückhaltend. Oft bemerkten wir gar nicht, dass wir das Haus mit ihr teilten. Aber vielleicht hätte sie jetzt Lust gehabt, ein bisschen mit uns zu plaudern, und ich wollte keine Zeit verlieren.

Oben angekommen, deutete ich auf eine Luke in der Decke. Noah, der einen Kopf größer war als ich, öffnete die Klappe zum Dachboden und zog die metallene Leiter zu uns herunter. Es schepperte und wir hielten kurz den Atem an, doch aus dem unteren Stockwerk war immer noch kein Mucks zu hören. Erleichtert begann ich zu klettern.

Der Dachboden wurde von Nana und mir kaum benutzt. Eine dicke Staubschicht bedeckte die Holzdielen und überall hingen Spinnenweben. Noah, der hinter mir die Leiter heraufgekommen war, ließ den Blick über die Kisten, die Regale und das Gerümpel schweifen. „Also, wonach genau suchen wir?“, fragte er und schaute mich erwartungsvoll an.

„Nach Hinweisen auf meine Herkunft“, antwortete ich. „Allerdings fürchte ich, da wird es nicht viel geben – ich hatte ja noch nicht mal Kleider an, als Nana mich am Strand gefunden hat.“

„Du warst winzig und nackt und kahl wie eine Kartoffel“, ergänzte Noah, dem ich das leider bei unserer ersten Begegnung genau so erzählt hatte.

„Jedenfalls“, fuhr ich mit erhobener Stimme fort, „hat die Polizei nach meinen Eltern gesucht. Die Unterlagen dazu müssen hier irgendwo bei meinen anderen Sachen sein.“

„Alles klar, ich schau mal dort drüben.“ Noah ging zu einem vollgestopften Regal neben dem Dachbodenfenster, während ich mich über ein paar Kartons mit der Aufschrift RUBY hermachte. Eine Weile kramte ich in Kinderkleidung, alten Zeichnungen und Basteleien, bis aus Noahs Richtung ein Poltern ertönte. „Was ist passiert?“, fragte ich und blickte hoch.

Noah rieb sich den Kopf. „Ein Buch hat mich brutal attackiert.“

„Ist vielleicht ein Zeichen, dass du etwas mehr lesen solltest“, neckte ich ihn.

„Pah! Wenn ich was lesen will, versuche ich es eher mit deinem komischen Lieblingsbuch und nicht mit … Kraft der Kräuter: Gewöhnliche Pflanzen und was sie Außergewöhnliches bewirken können. Ärks, da schlafe ich ja schon beim Lesen des Titels ein. Aber ich bezweifle, dass Doktor Poolittle so viel spannender ist.“

„Ich denke, du weißt sehr gut, dass es eigentlich Doktor Dolittle heißt“, sagte ich und schnitt ihm eine Grimasse, ehe ich mich dem nächsten Karton widmete. „Der Glückliche kann mit Tieren sprechen, ohne dass er dafür …“ Ich erstarrte. Unter einem Stapel Babybücher hatte ich eine Mappe gefunden, auf der Rubys Ankunft stand. Mit zitternden Fingern öffnete ich sie und stieß auf Formulare und Dokumente vom Jugendamt. Auch ein Zeitungsartikel über meinen Fund war dabei: Säugling am Strand entdeckt – Eltern unbekannt, lautete die Überschrift. Und was war das? Ein winziges Tütchen mit einer Kette darin!

„Ist das Bernstein?“, fragte Noah, der an meine Seite getreten war. „Meine Mom hat mir so ein Ding umgelegt, als ich Probleme beim Zähnekriegen hatte. Dad findet Heilsteine schwachsinnig, aber aufgehoben hat er die Kette trotzdem …“ Er verstummte und ich konnte hören, wie er tief Luft holte. „Oh! Du meinst, das hier stammt von deiner Mom?“

„Jedenfalls muss ich es als Baby getragen haben, sonst wäre es doch nicht in dieser Mappe!“ Mit zitternden Fingern holte ich die Kette heraus und betrachtete sie genauer. Die aufgefädelten Bernsteine waren winzig wie Milchzähne, aber der metallene Drehverschluss bot genug Platz für vier eingravierte Buchstaben.

„W. A. S. P.“, las ich heiser und in der nächsten Sekunde hatte Noah sein Smartphone gezückt. Was er dann tat, erinnerte ein bisschen an einen Regentanz: Er ging mit langen Schritten auf und ab und streckte den Arm in alle Himmelsrichtungen. „Bingo“, sagte er, als er endlich Internetempfang hatte. „Es ist eine Abkürzung. Erstens für eine amerikanische Metal-Band und zweitens für die Wild Animal Station Prenderville, eine Wildtierstation auf dem Festland.“

„Diese Kette ist der Beweis, dass meine Eltern mich nicht ausgesetzt haben!“, stieß ich hervor. „Wenn sie mir beim Zahnen helfen wollten, hatten sie mich doch ganz bestimmt gern! Wieso hat Nana mir das verheimlicht?“

„Wahrscheinlich hat sie sich deine Reaktion ausgemalt.“ Noahs Stimme klang ungewöhnlich sanft.

„Wie meinst du das?“, fragte ich, das Kettchen so fest umklammert, als könnte es sich jeden Augenblick in Luft auflösen.

„Ich schätze, deine Grandma wollte nicht, dass du dir zu große Hoffnungen machst“, erklärte Noah. „Egal, ob deine Eltern dich ausgesetzt haben oder ob du ihnen in Tiergestalt entwischt bist – sie haben nicht versucht, dich wiederzufinden. Damals hat sich niemand gemeldet, der ein Baby vermisst. Steht alles in diesem Bericht, schau mal.“ Er tippte auf ein Dokument, das ebenfalls in der Mappe gesteckt hatte.

Ein Kloß wuchs in meiner Kehle, während ich die Zeilen überflog. Dann aber schluckte ich ihn herunter und sagte fest: „Dafür kann es viele Erklärungen geben. Möglicherweise waren sie gar nicht in der Lage, nach mir zu suchen. Es wird höchste Zeit, dass ich mich auf die Suche nach ihnen mache! Und auf der Wildtierstation Prenderville fange ich an.“

Noah versuchte gar nicht erst, mich davon abzuhalten. „Wie kommen wir denn aufs Festland?“, fragte er.

„Mit dem Postschiff, gleich morgen früh“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. „Wenn wir Cormack lieb bitten, holt er uns am Abend bestimmt mit seinem Kutter ab. Wir erzählen ihm einfach, dass Brianna uns eingeladen hat. Sie war meine beste Freundin hier, bis sie vor ein paar Monaten mit ihren Eltern aufs Festland gezogen ist.“

„Guter Plan. Und was machen wir mit den Kobolden?“

„Die fragen wir, ob sie einen Tag ohne uns auskommen. Sie sind doch alle fast gesund. Das wird bestimmt kein Problem.“

Als wir etwas später bei der magischen Pflegestation ankamen, war es bereits stockdunkel. Zuvor hatten wir den Dachboden unbemerkt verlassen und Winnie von „Briannas Einladung“ erzählt. Sie hatte sich nur erkundigt, ob Bris Eltern uns vom Hafen abholen würden, aber sonst keine Fragen gestellt. Und sie versprach, sich inzwischen gut um Schmuggel zu kümmern. Sicher glaubte sie, solche Besuche wären nichts Besonderes. Wie sollte sie auch ahnen, dass Bri und ich kaum noch Kontakt hatten, seit sie weggezogen war?

Anschließend riefen wir Cormack an, der zusagte, uns morgen Abend wieder nach Patch Island zu bringen. Nun brauchten wir nur noch den Kobolden Bescheid zu geben. Dafür hatten wir extra gewartet, bis Winnie schlafen gegangen war, denn von der magischen Pflegestation wusste sie natürlich nichts.

„Wir versprechen ihnen eine ganze Tüte Bonbons als Belohnung, wenn sie morgen artig sind“, sagte ich, die Hand bereits auf der rostigen Türklinke.

Noah schüttelte den Kopf. „Ich wette lieber mit ihnen, dass sie nicht dazu in der Lage sind, einen Tag lang keine Probleme zu machen. Dann wollen sie es sicher unbedingt!“

Doch keiner von uns bekam die Gelegenheit, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Kaum hatte ich die Tür geöffnet, da wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Auf der Pflegestation war es so kalt, als hätte schon seit einer ganzen Weile niemand mehr das magische Leuchten benutzt. „Es werde Licht!“, flüsterte ich die Zauberformel und lief mit weichen Knien zur Kobold-Abteilung. Dort blieb ich wie angewurzelt stehen, während Noah hinter mir einen Fluch ausstieß.

Kein Zweifel: Irgendwann in den letzten zwei Stunden musste Fiona zurückgekehrt sein. Sie war gekommen, um die Kobolde vor mir zu warnen, und hatte damit Erfolg gehabt.

Unsere letzten magischen Patienten waren verschwunden.

3. KAPITEL

Wildtierstation Prenderville

Haaalt!“ Kathleens Stimme schallte quer über den Pier. Im Morgenlicht schienen ihre Wangen rot zu leuchten, während sie auf Noah und mich zueilte. „Noch nicht abfahren! Ich habe euch Scones für die Reise eingepackt!“

„Reise wohin – zum Mond?“, erkundigte sich Noah, während er die Hände nach dem riesigen Proviantpaket ausstreckte.

Seltsamerweise zögerte Kathleen, es ihm zu überreichen. „Wollt ihr den Besuch nicht doch lieber verschieben?“, fragte sie. „Cormack meinte, es könnte heute ein Unwetter geben. Jedenfalls hatte er beim Aufstehen gar kein gutes Gefühl.“

Noah warf einen Blick zum blauen Himmel, über den nur ein paar harmlose Schäfchenwolken zogen. Bevor er einen Kommentar abgeben konnte, griff ich schnell nach der Tüte. „Wir werden garantiert alles aufessen. Dann gibt’s auch schönes Wetter“, versicherte ich und Kathleen lächelte zufrieden. Unsere Inselbäckerin war zwar nicht so abergläubisch wie die meisten anderen Bewohner von Patch Island, aber Komplimente für ihre Backkünste heiterten sie immer auf.

„Ihr könnt ja auch Brianna ein paar davon abgeben“, meinte sie. „Wie schön, dass du sie endlich wiedersiehst, Ruby! Ich dachte, ihr hättet keinen Kontakt mehr.“

„Haben sie auch nicht“, mischte sich Brenda Graham ein. Sie lud gerade einen Sack voller Briefe und Pakete auf den Pferdewagen, mit dem sie wie jeden Montag die Post zum GRAHAM’S INN bringen würde. Die ganze Woche freute sie sich auf ihre Rolle als Postbeamtin und man sah ihr an, dass sie sich gerade unheimlich wichtig fühlte. „Ruby hat schon seit Wochen keinen Brief mehr von Brianna bekommen!“, verkündete sie, die Augen forschend auf mich gerichtet.

Nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen. Lügen war absolut nicht meine Stärke – ich fand es schon schlimm genug, dass wir den Inselbewohnern die Sache mit den Fabelwesen verheimlichen mussten. „Wir, äh, chatten aber regelmäßig. Du weißt schon, übers Internet“, sagte ich. Zum Glück funktionierte diese Ausrede perfekt. Das Internet war für Brenda unvorstellbar mächtig und auch ein wenig unheimlich, sodass sie lieber nicht zu viele Fragen darüber stellte.

Nun kam auch noch der alte Fergus auf den Pier gehumpelt. „Ach, hier seid ihr“, sagte er vorwurfsvoll, die dürren Arme vor der Brust verschränkt. „Wie nett, dass sich die Bäckerin und die Postbeamtin in aller Ruhe zum Schwatzen treffen, anstatt ihre Arbeit zu tun! Ich hatte eigentlich geplant, was Leckeres zu frühstücken und dabei ein Kreuzworträtsel in der neuen Zeitung zu lösen, aber da muss ich mir halt was anderes überlegen. Hilf mir mal, Ruby Fairygale – was gibt es denn früh am Morgen sonst noch Angenehmes zu tun? Vielleicht an alten Brotrinden kauen und dabei in der Nase bohren?“

„Also, wir fahren dann jetzt“, sagte Noah laut und zog mich an Bord des Postschiffs. „Danke für die Scones.“

„Scones, pah!“, bellte der alte Fergus. „Wer braucht denn schon so was! Ranzige Pizzareste von letzter Woche und nebenbei Fußnägel schneiden, das ist es, wonach mein Herz begehrt!“

Seine heisere Stimme vermischte sich mit dem Tuten des Schiffes, als wir ablegten. Brenda und Kathleen winkten uns hinterher, ohne sich von Fergus aus der Ruhe bringen zu lassen. Ich stand ganz vorne an der Reling und winkte zurück, dann ließ ich meinen Blick stirnrunzelnd über das Wasser gleiten. Auf Fahrten zum Festland war ich sonst immer gut gelaunt, doch nun hatte ich ein mulmiges Gefühl im Bauch. Was für schlimme Gerüchte über mich machten wohl gerade im Ozean die Runde? Würden sich von nun an gar keine Fabelwesen mehr in meine Nähe trauen? Nana sollte schon Ende dieser Woche von ihrer Kur zurückkommen, worauf ich mich natürlich riesig freute – aber wie enttäuscht würde sie sein, wenn sie die magische Pflegestation leer vorfand …

Noah, der sich neben mich an die Reling gelehnt hatte, schien meine Gedanken zu erraten. Er griff in die Provianttüte, holte ein paar Krümel heraus und ließ sie ins Wasser rieseln. „Da habt ihr was zu futtern und jetzt chillt mal ein bisschen“, sagte er.

„Dir ist klar, dass Meerjungfrauen keine Goldfische sind, oder?“ Ich nahm mir einen Scone und biss hinein. Kathleens Gebäck schmeckte auch ohne Marmelade richtig gut und beruhigte das Ziehen in meinem Bauch ein bisschen.

„Jep, Goldfische sind viel entspannter“, meinte Noah schulterzuckend. „Aber wir kriegen das schon hin.“

Mit vollen Backen versuchte ich zu lächeln, dann tastete ich nach der Bernsteinkette in meiner Jackentasche. Etwas zu berühren, das meine Eltern mir geschenkt hatten, gab mir neue Kraft – und davon konnte ich auf unserer Mission jede Menge gebrauchen.

Die Wildtierstation Prenderville lag zwar an der Küste, aber ein ganzes Stück weiter nördlich als der letzte Hafen, den das Postschiff ansteuerte. Wir mussten mit drei verschiedenen Bussen fahren und für jemanden von einer Insel ohne Autos war das keine besonders angenehme Erfahrung. Im ersten Bus roch es nach einer Mischung aus Wurstbroten und Käsefüßen, der zweite wurde von einem Fahrer gelenkt, den sogar die Kobolde tollkühn gefunden hätten, und im dritten setzte sich ein streng dreinblickender Herr auf unser Proviantpaket. Anscheinend merkte er es nicht mal, denn er rührte sich für die nächste halbe Stunde keinen Zentimeter vom Fleck.

Als wir unser Ziel endlich erreichten, fühlte ich mich genauso zerknautscht, wie die Scones jetzt aussahen. Trotzdem schlug mein Herz beim Anblick der Parkanlage schneller. Ich rannte die letzten paar Meter bis zum vergitterten Eingangstor, dann blieb ich enttäuscht stehen. Stationsführungen ausschließlich werktags um 11Uhr, stand auf einem Schild.

„Wir sind zu spät!“, jammerte ich und schaute durchs Gitter. Die Wege zwischen den Gehegen und Ställen waren leer. Nur ein Mann in grünem Overall stand vor einem Zaun und notierte sich etwas auf einem Klemmbrett.

Noah streckte entschlossen die Hand aus. „Gib mir mal die Kette“, sagte er und winkte dem Mann zu. „Hallo, Sie da, arbeiten Sie hier?“

„Um genau zu sein, leite ich diese Station“, antwortete der Mann und kam lächelnd näher. Er war etwas rundlich, hatte einen Schnauzbart und ein freundliches Gesicht. „MrPrenderville persönlich – was kann ich für euch tun?“

„Wir haben diese Kette auf der Straße gefunden und die Abkürzung gegoogelt“, antwortete Noah. „Wissen Sie vielleicht, wem sie gehört?“

Ich hielt vor Spannung den Atem an, während MrPrenderville das Gittertor entriegelte. „Nun, das ist gar nicht so einfach“, meinte er und nahm die Kette von Noah entgegen. „Eines von meinen Schätzchen wird sie wohl verloren haben …“

„Eines von Ihren Schätzchen?“, wiederholte ich gepresst. Ich hatte nicht wirklich gedacht, dass der Leiter der Station mein Vater war, doch seine Reaktion verunsicherte mich.

MrPrenderville nickte. „Seid ihr zum ersten Mal hier?“, erkundigte er sich. „Wisst ihr was – weil ihr mir die Kette zurückgebracht habt, biete ich euch eine Sonderführung durch die Station an. Aber kommt schnell, es beginnt wahrscheinlich bald zu regnen!“ Mit diesen Worten marschierte er los und uns blieb gar nichts anderes übrig, als ihm hinterherzulaufen. Dabei fühlten sich meine Beine ein bisschen so an, als wären sie aus Gummi, und meine Gedanken drehten sich wie verrückt im Kreis. Konnte dieser Mann uns vielleicht wirklich etwas über meine Herkunft sagen?

„Oh, da ist ja schon das erste Schätzchen“, verkündete MrPrenderville und deutete nach vorne. Auf einem Betonpfeiler lag eine getigerte Katze mit einer goldgelben Kette um den Hals.

Mir klappte der Mund auf. „Aber … wieso trägt die Katze denn auch Bernstein?“, stammelte ich.

„Wieso nicht?“, entgegnete MrPrenderville. „Sie kann die Wirkung genauso dringend brauchen wie die Wildtiere hier.“

„Als Hilfe beim Zähnekriegen?“, fragte Noah mit einem seltsamen Unterton in der Stimme – etwa so, wie Kathleen manchmal mit dem alten Fergus sprach, wenn der von seinem verrückten Aberglauben erzählte.

MrPrenderville zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Aber nein! Bernstein ist ein natürlicher Schutz vor Zecken und Flöhen. Solche Halsbänder verwende ich seit vielen Jahren für all meine Schützlinge – die Haustiere und die Pflegetiere.“

Diese Neuigkeit musste ich erst mal verarbeiten. Ich schluckte mühsam, während Noah fragte: „Und kommt es oft vor, dass welche verloren gehen?“

„Ach, immer wieder“, sagte MrPrenderville. „Meine Katzen streifen sie sich beim Umherstreunen gerne mal ab. Ich glaube auch, dass Besucher der Station solche Ketten als Andenken mitnehmen. Die hängen sie dann wahrscheinlich ihren eigenen Haustieren um oder sogar ihren Kindern. Dass ihr so ehrliche Finder seid, ist wirklich erfreulich!“ Beschwingt ging er weiter und merkte gar nicht, dass wir stehen blieben.

Noah berührte mich flüchtig am Arm. „Ich glaube auch nicht, dass er uns weiterhelfen kann“, raunte er mir zu. „Willst du trotzdem noch die Station besichtigen?“

Wortlos zuckte ich mit den Schultern, als könnte ich meine Enttäuschung auf diese Weise abschütteln. Wie es aussah, würde mich mein erster und bisher einziger Anhaltspunkt nicht ans Ziel bringen. Trotzdem konnte ich nicht Nein sagen, wenn es Tiere zu sehen gab. Also folgten wir Mr