Ruby Fairygale (Band 6) - Das Vermächtnis der Geister - Kira Gembri - E-Book

Ruby Fairygale (Band 6) - Das Vermächtnis der Geister E-Book

Kira Gembri

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Beschreibung

Tauche mit Ruby Fairygale in eine magische Welt  Ein heftiger Sturm verwüstet die Tierarztpraxis. Sogar das Dach ist eingestürzt! Wo soll Nana nur das Geld für die Renovierung hernehmen? Ruby hat eine Idee: Sie könnte ihre wohlhabenden Großeltern in Frankreich um Hilfe bitten! Als Ruby bei ihnen ankommt, erwartet sie allerdings eine böse Überraschung. Da entdeckt sie ein gespenstisches Familiengeheimnis …  Ruby lüftet gespenstische Geheimnisse  Im sechsten Band dieser Fantasy-Reihe wartet ein neues Abenteuer auf Ruby und ihre Freunde. Voller Fantasie und untermalt von stimmungsvollen Illustrationen erzählt Bestseller-Autorin Kira Gembri die Fortsetzung der Geschichte für Kinder ab 10 Jahren.  Dieser Titel ist auf Antolin.de gelistet.

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Seitenzahl: 257

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Inhalt

Keine Ruhe vor dem Sturm

Zurück auf zwei Beinen

Pyjamaparty zwischen Feen

Die absolute Katastrophe

Ein Brief und ein französischer Stein

Mein Plan nimmt Gestalt an

Auf und davon

Das Anwesen der Lavalls

Ein altes Haus und neue Verwandte

Unterwegs mit den Zwillingen

Oje, kein Tee!

Jemand kommt mir auf die Schliche

Außer Kontrolle

Nächtliche Mission mit plötzlichem Ende

Auf dem Friedhof der Lavalls

Ertappt

Neue, uralte Bekannte

Gespenstergeheimnisse

Zwei ungebetene Wächter

Das nötige Puzzlestück

Wir kombinieren

Bleiche Gefangene

Wildschwein auf High Heels

Der Ball beginnt

Anders als gedacht

Die Lügen der Lavalls

Rettung abgelehnt

Stunde der Wahrheit

Auf der Flucht

Ein magisches Familientreffen

Nach all den Jahren

Glamour, Glanz und Glibberschleim

1. KAPITEL

Keine Ruhe vor dem Sturm

Selten hatten die Bewohner von Patch Island so ängstlich ausgesehen wie jetzt.

„Sie sind weg“, hauchte Tratschtanten-Tilda und drückte ihr Gesicht an Mr Murphy, den dicken Mops, als wäre er ein Kuscheltier. (Ein bisschen sah er auch so aus, denn wie jeden Herbst war Tilda vom Strick-Fieber gepackt worden und hatte ein pinkes Mäntelchen für ihn gemacht.) „Gestern Abend waren sie aber noch da, hab ich recht?“, fügte sie hinzu.

Mr O’Leary, unser Inselreporter, nickte heftig. „O ja, ganz bestimmt. Ich dokumentiere das jeden Tag, bevor ich meine Hühner in den Stall bringe.“ Er schwenkte seinen Notizblock, auf den er immer Ideen für seinen Roman oder für Zeitungsartikel kritzelte. „Bitte sehr, hier steht es: Lage unverändert, alles im grünen Bereich. Aber jetzt …“

„Jetzt sind sie wie vom Erdboden verschluckt“, ergänzte Pfarrer Morland mit Grabesstimme. „So wie unsere letzten Hoffnungen und Träume. Möge Gott uns beschützen!“ Schwungvoll hob er die Arme, um jeden in seiner Reichweite zu segnen.

Noah schnaubte leise. „Also echt“, sagte er. „Findet ihr nicht, dass ihr übertreibt? Immerhin geht es hier nur um ein paar Gartenmöbel!“

Tatsächlich umringten wir alle den Platz vor der Bäckerei, auf dem normalerweise zierliche Tische und Stühle standen. Kathleen musste sie heute Morgen weggeräumt haben, und wir wussten, was das bedeutete. Auch Noah hatte diese Inselweisheit bereits gelernt, als er vor fast fünf Monaten hierhergekommen war. Trotzdem behandelte er die Sache nicht mit dem nötigen Ernst – genauso wenig wie mein Bruder Flynn.

„Macht euch keine Sorgen“, sagte der und lächelte aufmunternd in die Runde. „Vielleicht hat sie das Zeug bloß reingetragen, weil niemand draußen in der Kälte sitzen will. Es ist ja schon November.“

Doch die anderen redeten weiter ängstlich durcheinander. Im November begann die Zeit der Winterstürme, und es war ein besonders schlimmes Unwetter vorausgesagt worden. Man war sich nur nicht ganz sicher, wann genau es auf die Westküste und die nahen Inseln treffen würde. Die Menschen von Patch Island verließen sich aber sowieso nicht auf das, was irgendjemand im Fernsehen über das Wetter sagte. Hier zählte bloß die Meinung eines echten Seemanns, und Kathleens Ehemann Cormack war Seemann. Also bedeutete es Alarmstufe Rot, wenn die O’Sullivans ihre Gartenmöbel in Sicherheit brachten. Ende der Diskussion!

Als die Tür der Bäckerei sich öffnete, wurde es mucksmäuschenstill. Der alte Fergus kam ins Freie gehinkt, wie immer mit seiner zahmen Möwe Meinsmeins auf der Schulter. Ihm folgte sein Kumpel, der ständig röchelnde und mies gelaunte Ghul. „Bevor ihr fragt“, knurrte Fergus und ließ seinen Blick über das besorgte Grüppchen wandern, „ja, sie hat die Möbel reingetragen, weil der Sturm bald kommen wird. Aber das ist keine Entschuldigung!“

„Keine Entschuldigung wofür?“, kam ich auch endlich mal zu Wort. Dabei beugte ich mich zu Schmuggel, der neben mir stand, und vergrub nervös die Finger in seinem Fell.

Fergus fixierte mich mit seinen käferschwarzen Augen. „Mich zu vergiften, Fräulein Fairygale“, sagte er düster. „Mich kaltblütig hinzumeucheln, und das schon bei der ersten Mahlzeit des Tages …“

„Niemand wird hier vergiftet!“Kathleen war hinter Fergus aufgetaucht und stemmte ärgerlich die Hände in die Seiten. „Aber ich konnte Cormack unmöglich zum Einkaufen schippern lassen. Immerhin rast gerade ein Jahrhundertsturm direkt auf uns zu! Also habe ich alle Zutaten zusammengekratzt, die von letzter Woche noch übrig waren, und daraus etwas Leckeres gezaubert. Heute gibt es Zitronen-Kaffeecreme-Torte mit einem Hauch von dunklem Bier!“

„Davon will ich mich jedenfalls nicht anhauchen lassen“, raunzte der alte Fergus. „Obwohl ich eigentlich vorhatte, mir noch schnell ein paar Pfunde anzufuttern. Der Sturm könnte mich ja wegpusten wie nix!“ Vorwurfsvoll klopfte er sich auf den mageren Bauch.

„Dann solltest du meiner neuen Kreation vielleicht doch eine Chance geben“, erwiderte Kathleen streng.

„Das heißt, der Sturm wird tatsächlich so schlimm, wie die Wetterfritzen glauben?“, warf Mr O’Leary ein. Er hielt seinen Bleistift über den Notizblock, und ich konnte sehen, dass seine Hand vor Aufregung zitterte.

Kathleen wandte sich von Fergus ab und atmete tief durch. „Ganz recht“, bestätigte sie. „Cormack sagt, am besten machen wir uns alle bereit. Es kann jetzt nicht mehr lange dauern.“

„Verwüsten, verwehen! Die Glieder verdrehen“, röchelte der Ghul, der selten etwas Hilfreiches beizutragen hatte. Diesmal aber nickten die anderen, als hätte er genau das ausgesprochen, was sie insgeheim alle befürchteten.

Noah griff nach meinem Arm. „Kommt, gehen wir nach Hause“, raunte er Flynn und mir zu.

„Aber wir wollten doch Kuchen fürs Frühstück besorgen!“, protestierte ich.

„Fergus hat recht: Kathleens neue Kreation klingt wirklich nicht sehr verlockend“, meinte Noah gedämpft und zog mich hinter sich her. „Außerdem ist es nicht gut für dich, wenn du dir dieses Getratsche anhörst. Du bist ja kreidebleich im Gesicht!“

„Unwetter machen mich eben nervös, das war schon immer so.“ Mit klammen Fingern hielt ich die Hundeleine noch ein bisschen fester, während wir das Inselzentrum verließen. Heftige Böen fegten über die Hügel, brachten Schmuggels Schlappohren zum Flattern und zerrten an meinen Haaren. Bestimmt hätten die meisten Menschen bereits jetzt von einem Sturm gesprochen, aber unsere kleine Insel war weitaus Schlimmeres gewöhnt – und ich wusste, dass es an diesem Tag noch viel schlimmer kommen würde. Abgesehen vom Thema Kuchen war Kathleen normalerweise sehr entspannt. Nie und nimmer hätte sie uns in Alarmbereitschaft versetzt, wenn die Lage nicht ernst gewesen wäre!

Trotz meiner Jacke fühlte ich mich bis auf die Knochen durchgefroren, als wir schließlich zu Hause ankamen. Nana und Mam waren gerade dabei, den Frühstückstisch zu decken. Lächelnd schauten sie uns entgegen, aber mir fiel auf, dass Nana schnell das Radio ausgeschaltet hatte. „Gab’s was Neues im Wetterbericht?“, fragte ich sofort.

„Eigentlich nicht.“ Mam zögerte, dann zwinkerte sie uns zu. „Ich finde es nur immer noch komisch, dass sie diesen Sturm Billie genannt haben. Ich meine: Hilfe, hier kommt Billie! Das klingt nicht gerade so, als müsste man sich in Acht nehmen.“

„Aber vielleicht sollten wir das“, rutschte es mir heraus. Schon in der nächsten Sekunde bereute ich es, weil mich jetzt alle mitleidig anschauten.

„Ruby bekommt nie genug Schlaf, wenn die Wellen zu laut sind“, sagte Nana und drückte mich auf einen Stuhl. „Hier, Süße, trink erst mal einen Tee. Der weckt die Lebensgeister und schenkt dir neuen Mut!“

Verlegen steckte ich meine Nase in die dampfende Tasse. Der Spezialtee aus Schafgarbe, Salbei und Brennnessel hatte schon immer eine beruhigende Wirkung auf mich gehabt, aber was noch wichtiger war: Er sorgte dafür, dass Mam, Flynn und ich unsere Pooka-Kräfte unter Kontrolle halten konnten. Sogar bei starken negativen Gefühlen – und wahrscheinlich sah ich gerade so aus, als könnte ich mich gleich in ein bibberndes schwarzes Mäuschen verwandeln!

Nach den ersten paar Schlucken kam mir meine Angst selbst ein bisschen übertrieben vor. In unserer Stube mit den niedrigen Holzbalken und dem warmen Kamin war es so gemütlich, dass das Heulen des Windes in die Ferne zu rücken schien. Diese Stunde am Morgen, bevor Nana zur Arbeit ging, hatte ich schon immer geliebt. Es war sogar noch schöner, seit wir nicht mehr nur zu zweit, sondern zusammen mit Mam, Flynn und Noah beim Frühstück saßen. Bloß mein Dad lag nicht wie sonst mit Schmuggel vor dem Kamin. Er schlief nachts im Wartezimmer der Praxis und hatte heute Morgen keine Lust gehabt, uns auf unserem Spaziergang zu begleiten.

„André hat von mir schon was zu essen bekommen“, sagte Mam, als könnte sie meine Gedanken lesen. „Ich glaube, der braucht heute seine Ruhe. Irgendwie hat er so einen Ausdruck in den Augen wie früher, wenn …“ Sie verstummte, griff nach dem Marmeladenglas und schob sich einen vollen Löffel in den Mund. Das war eindeutig ein Ablenkungsmanöver! Mam hatte zum Glück vor einer Weile aufgehört, Dad wie Luft zu behandeln – manchmal ging sie sogar mit ihm spazieren, aber von ihrer Zeit als Paar erzählte sie mir nie. Ich konnte ihr ansehen, wie erleichtert sie war, als im nächsten Moment das Telefon schrillte.

Eine angebissene Scheibe Toast noch in der Hand, eilte Nana zum Apparat. „Guten Morgen, Brenda!“, sagte sie. Dann lauschte sie kurz, drehte uns den Rücken zu und sprach mit gesenkter Stimme weiter. „Das halte ich nicht für notwendig“, hörte ich sie murmeln. Und: „Kann ich mir kaum vorstellen.“ Und: „Ernsthaft, ihr macht euch alle viel zu sehr verrückt.“

Nachdem sie aufgelegt hatte, kam sie seufzend wieder an den Tisch. „Brenda fragt, ob ihre Kanarienvögel während des Sturms im Keller besser aufgehoben wären“, erzählte sie. „Aber vor allem wollte sie sich über Tilda beschweren. Sie glaubt nämlich, dass die sich heimlich an ihren Computer im Graham’s Inn gesetzt und das Google verwendet hat.“

Noah prustete in seine Tasse. „Wie kommt Brenda denn darauf? Tilda geht doch nie ins Internet!“

„Tja, anscheinend hat Tilda erwähnt, dass sie in der Bibliothek Bücher mit Unwetter-Überlebenstipps raussuchen wollte. Aber jemand hat ihre ganze Ordnung durcheinandergebracht, deswegen konnte sie nichts finden.“ Nana schüttelte den Kopf und wiederholte: „Unwetter-Überlebenstipps,also wirklich! Die Leutchen drehen allmählich durch.“ Mit zwei energischen Happen verputzte sie ihren restlichen Toast, dann machte sie sich auf den Weg zur Praxis, wo wahrscheinlich schon ihre Kollegin Winnie auf sie wartete. Ein Fauchen und Pfeifen schallte durch den Flur, als sie die Haustür öffnete, und die Fensterscheiben klirrten. Vor Schreck ließ ich beinahe den Löffel in meinen Haferbrei fallen. Schnell zwang ich mich zu einem Lachen und tat, als fände ich Tildas Aufregung genauso komisch wie die anderen. Es half ja nichts, wenn ich allen mit meinen unerklärlichen dunklen Vorahnungen auf die Nerven ging.

Doch tief in meinem Inneren spürte ich, dass wir diesen Sturm nicht unterschätzen durften. Irgendetwas würde heute noch passieren – etwas, womit keiner gerechnet hatte. Und ich konnte mir kaum vorstellen, dass es etwas Gutes war.

2. KAPITEL

Zurück auf zwei Beinen

In den folgenden Stunden gab ich mein Bestes, die Aufgaben für den Fernunterricht zu erledigen. Dann verkrümelte ich mich auf die Tierpflegestation. Wir hatten mal wieder die Kater des Pfarrers zu Gast: zwei verspielte Raufbolde, die mich hoffentlich auf andere Gedanken bringen würden. Doch die beiden Mini-Tiger schienen zu spüren, dass etwas anders war als sonst. Anstatt sich wie wild auf das Stöckchen zu stürzen, mit dem ich vor ihnen über den Boden fuhr, spähten sie nur mit glühenden Augen aus ihrer Kuschelhöhle. Ja, sie saßen gemeinsam in einer Höhle, ohne sich zu verhauen! Bei diesem Anblick wurde mir klar, dass sie genauso besorgt auf das Heulen vor den Fenstern lauschten wie ich.

„Hey“, sagte Noah, zog mir das Stöckchen aus der Hand und pikte mich damit leicht in die Rippen. „Wir haben doch schon mal einen Sturm zusammen durchgestanden. Da ist auch alles gut gegangen, hab ich recht?“

„Du meinst im Sommer, als dieser kleine Selkie fast ertrunken wäre?“

„Nein! Ich meine im Sommer, als alles gut gegangen ist“,betonte Noah.

„Nachdem der kleine Selkie fast ertrunken wäre“, wiederholte ich ebenso stur wie er.

Noah seufzte. „Du musst dich wohl davon überzeugen, dass alle in Sicherheit sind, die dir am Herzen liegen. Vorher gibst du keine Ruhe, stimmt’s?“

„Stimmt genau!“ Ich nahm ihm das Stöckchen wieder ab und tat, als zeichnete ich damit einen Haken auf die Kuschelhöhle der Katzen. „Check“, sagte ich, drehte mich zur Seite und machte dieselbe Bewegung vor Noah. „Und check.“

Gleich darauf spürte ich, dass meine Wangen heiß wurden. Alle, die dir am Herzen liegen … Der Satz schien zwischen uns in der Luft hängen zu bleiben und machte mich furchtbar verlegen. Zum Glück reagierte Noah so nett, wie es nur ging. „Dann werde ich mir mal an dir ein Beispiel nehmen“, sagte er und stand auf.

„Was hast du vor?“, fragte ich (während ich das blöde Stöckchen in meiner Hosentasche verschwinden ließ).

„Ich bitte die anderen, dass wir heute schon früher zur magischen Pflegestation gehen. Damit du dich endlich entspannen kannst!“

„Gute Idee, ich sag schnell Nana Bescheid.“ Erleichtert flitzte ich an ihm vorbei nach draußen – und wurde von einem solchen Windstoß getroffen, dass es mir den Atem verschlug. Es dauerte einen Moment, bis ich wieder Luft bekam. Mit gesenktem Kopf musste ich mich gegen die Böen stemmen, während ich quer über den Hof rannte. Noch ehe ich die Praxis erreicht hatte, flog die Tür auf, und Nana kam mir entgegen.

„Gehen wir zu den Fabelwesen!“, riefen wir genau gleichzeitig über das Brausen hinweg, dann verzog Nana den Mund zu einem schiefen Grinsen.

„Zwei Schlaue, ein Gedanke“, sagte sie und kämpfte mit ihrem flatternden Kittel. „Wenn wir noch länger warten, könnte der Heimweg zum Problem werden. Winnie ist schon vor einer Weile gegangen. Ich glaube, die passt heute Nacht zusammen mit Bauer Orin auf seine Schafe auf. Dieser Billie wird langsam doch ungemütlich! Lass mich nur schnell meinen Rucksack und eine wärmere Jacke holen.“ Sie lief weiter zum Haupthaus, während ich ins Wartezimmer der Praxis schlüpfte. Es kostete mich meine ganze Kraft, die Tür hinter mir zu schließen. Drinnen war es so dämmrig, dass ich den schwarzen Hund kaum erkennen konnte.

„Kommst du, Dad? Letzte Gelegenheit für einen Spaziergang heute!“, sagte ich und beugte mich vor. Mein Vater reagierte nicht. Still kauerte er in seinem Korb, das Nackenfell ein bisschen gesträubt. „Frische Luft wird dir guttun“, beharrte ich, während die anderen draußen bereits nach mir riefen. „Auch, wenn es sehr wilde, eisige Luft ist.“ Um ihn zu überzeugen, drückte ich die Tür einen Spaltbreit auf. Jetzt verließ André tatsächlich den Korb, aber nur, um in den hintersten Winkel des Wartezimmers zu flüchten.

Nana, die einen Blick hereinwarf, lachte leise. „Nun sieh sich das einer an! Deine Angst vor Stürmen hast du anscheinend von ihm geerbt“, meinte sie, während sie die Kapuze ihrer Jacke fest unter ihrem Kinn zusammenschnürte. „Wenn du möchtest, kannst du mit André hierbleiben. Wir sind sowieso bald zurück, und manche Fabelwesen sehen ihn immer noch nicht allzu gern.“

Das stimmte leider. Seit mein Dad an einem Mittel gegen magische Kräfte geforscht hatte, war er in der Feenwelt nicht gerade beliebt. Etwas unschlüssig schaute ich zwischen ihm und Nana hin und her, dann nickte ich. André wirkte so nervös, dass ich ihn nicht alleine zurücklassen wollte. Nana und die anderen würden mir ja gleich erzählen, ob auf der magischen Pflegestation alles in Ordnung war.

„Macht es euch inzwischen gemütlich!“, rief Nana mir noch zu, dann eilte sie davon.

„Hast du gehört?“, wandte ich mich wieder an meinen Vater. „In der Stube ist es viel gemütlicher als hier. Also nix wie rüber!“ Ich öffnete die Tür noch ein bisschen weiter, und der Sturm riss sie mir aus der Hand. Mit einem Krachen prallte sie gegen die Mauer. Von demselben Windstoß wurden mir die Haare ins Gesicht gepeitscht, sodass ich nichts mehr sehen konnte. Hektisch wischte ich mir über Stirn und Wangen, packte dann meine Locken und stopfte sie unter den Kragen meines Pullovers. „Jetzt sollten wir aber wirklich schnell –“, setzte ich an und schaute wieder ins Wartezimmer.

Mir blieb der Rest des Satzes in der Kehle stecken. Der Boden war übersät von Zeitschriften und Flyern, die der Wind vom Regal gefegt hatte … und dazwischen stand ein Mann in einer weißen Kapitänsjacke.

„Dad?“, brachte ich mühsam hervor. Meine Stimme war so dünn, dass der Sturm sie komplett übertönte. Stolpernd wich ich zurück, und der Schreck in Andrés Augen – seinen menschlichen,grauen Augen in seinem menschlichen, bleichen Gesicht – wurde noch etwas größer. Wahrscheinlich dachte er, dass ich gleich vor ihm Reißaus nehmen würde. Stattdessen tastete ich nach der Tür und zog daran, bis ich es geschafft hatte, sie zu schließen.

In der plötzlichen Stille glaubte ich, meinen eigenen schnellen Herzschlag hören zu können. André hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Er stand genauso kerzengerade da wie am Ende des Sommers, als er mich vor dem Hoftor abgepasst hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung gehabt, dass er mein Vater war. Ich hatte ihn für einen grausamen Fabelwesenjäger gehalten, der versuchte, die magische Pflegestation zu überfallen. In Wirklichkeit war er nur aus einem Grund nach Patch Island gekommen: um mich zu finden.

Ich schüttelte den Kopf, um die Furcht von damals loszuwerden. Es hat sich nichts verändert,dachte ich. Nur seine Gestalt. Trotzdem wusste ich einen Moment lang nicht, wie ich mit ihm reden sollte. Es machte eben doch einen Unterschied, ob man einen Hund vor sich hatte oder einen erwachsenen Mann in Uniform! „Das … das hat bestimmt mit dem Sturm zu tun“, stotterte ich, und meine Stimme klang immer noch heiser. „Er ist eine Naturkraft, und Naturkräfte können Verwandlungen auslösen. Genau wie Meerwasser und …“

„… starke negative Gefühle, ich weiß.“ Dad verschränkte die Arme vor der Brust. Zusammen mit seiner Kapitänsjacke und seiner steifen Haltung sah das ziemlich streng aus. Aber ich nahm an, dass er einfach nicht wusste, was er sonst mit seinen Armen machen sollte – er hatte ja lange Zeit keine gehabt. Nach einem Räuspern fuhr er fort: „Darum ist es mir auch schon letzte Nacht passiert, als ich einen Albtraum hatte. Und in der Nacht davor.“

„Es?“,wiederholte ich fassungslos. „Du meinst, du bist jetzt schon mehrmals in deine alte Gestalt zurückgekehrt, ohne dass irgendjemand davon wusste?!“

„Schmuggel hat es mitbekommen. Aber der ist nicht gerade ein Klatschmaul.“

Täuschte ich mich oder hatte mein Vater mir gerade zugezwinkert? Anscheinend versuchte er, die Situation ein bisschen aufzulockern. So gut es ging, riss ich mich zusammen und griff erneut nach der Türklinke. „Auf den Schreck brauche ich ganz dringend was Süßes“, schnaufte ich.

Diesmal folgte mir mein Dad, als ich über den Hof sprintete. Wenige Minuten später standen wir zusammen in der Küche, ich hatte den Teekessel aufgesetzt und knabberte an einem Schokokeks aus unserer Notfall-Vorratsdose. Auch Dad aß manierlich einen Keks, ohne einen einzigen Krümel fallen zu lassen.

„Also, jetzt mal von vorn“, sagte ich und schluckte. „Hast du denn gemerkt, dass das Anti-Magie-Mittel in dir abgeklungen ist?“

Dad schüttelte den Kopf. „Es kam wie aus heiterem Himmel“, sagte er mit seinem leichten französischen Akzent. „Ich wusste ja selbst nicht, wie viel von dem Mittel ich mir gespritzt hatte. Wäre auch möglich gewesen, dass ich noch jahrelang in Hundegestalt feststecke! Aber in den vergangenen Nächten bin ich plötzlich als Mensch aufgewacht. Ich vermute, dass es ein Zusammenspiel aus meinen Albträumen und dem nahenden Sturm war, das die Verwandlungen ausgelöst hat. Beim ersten Mal habe ich mich vor Schreck sofort wieder zurückverwandelt, doch beim zweiten Mal konnte ich mir einen Spaziergang zum Inselzentrum nicht verkneifen. Ich wollte so gern wieder das Internet benutzen, in ein paar guten Büchern schmökern …“

Da ging mir ein Licht auf. „Alsobist du heimlich in der Bibliothek gewesen! Und im Graham’s Inn warst du auch!“ Ich starrte ihn ungläubig an, dann entschlüpfte mir ein Kichern. „Oje, damit hast du Brenda und Tilda ganz schön durcheinandergebracht.“

Dad zog bedauernd die Schultern hoch. „Das tut mir ehrlich leid. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte niemand etwas von meinen Besuchen gemerkt. Ich war schon nervös genug, als ich im Freien herumgeschlichen bin. Meine weiße Jacke ist nicht gerade unauffällig“, erklärte er, aber ich hörte ihm kaum noch zu. Vielleicht lag es an der Schokolade oder am Duft des Spezialtees, dass sich mein Schreck inzwischen verflüchtigt hatte. Nun spürte ich eine freudige Aufregung, die mit jeder Sekunde stärker wurde.

„Ist dir eigentlich klar, wie tolldas ist?“, platzte ich heraus. „Ich kann’s kaum erwarten, den anderen davon zu erzählen! Dad, du bist sozusagen erlöst und kannst jetzt wieder allesmachen, was du willst: nicht nur lesen und im Internet surfen, sondern auch …“

„Ja, was?“ Ernst schaute mein Vater mich an. „Ma fille,was würdest du an meiner Stelle tun? Ich durfte doch nur so lange hierbleiben, weil ich euch ein bisschen an Schmuggel erinnert habe – an einen Streuner, harmlos und nett und ohne bekannte Vergangenheit. Wenn mich alle wieder als Mensch sehen, ist das vorbei. Mir ist dein erschrockener Blick vorhin nicht entgangen.“

„Das war doch nur im ersten Moment!“, beteuerte ich, aber Dad schüttelte den Kopf.

„Bei deiner Mutter wird das bestimmt anders sein. Ich habe ihr leider viel zu viele schmerzhafte Erinnerungen bereitet.“

Gerne hätte ich widersprochen, doch ich fürchtete, dass er recht hatte. Mam und Dad waren getrennt, seit Mam mit mir schwanger gewesen war. Als Reaktion auf die Schwangerschaft hatte Dad nämlich gerufen, er würde dieses Problem auf jeden Fall beseitigen. Zwar hatte er damit nur meine Wandlerkräfte gemeint, aber für Mam hatte es sich so angehört, als wollte er auch mich loswerden. In Tiergestalt war sie geflohen, und kurz nach meiner Geburt hatte sie mich für dreizehn Jahre verloren. Streng genommen war das zwar nicht Dads Schuld gewesen, doch das Unglück hatte nun mal mit seinem Hass auf Magie begonnen.

„Also“, sagte ich nach einigem Grübeln, „wie soll es nun weitergehen?“

„Vielleicht könnten wir diese Veränderung für uns behalten. Wenigstens eine Weile?“ Die Stimme meines Vaters klang jetzt beinahe flehend. „Derzeit ist meine übliche Gestalt immer noch die eines Hundes. Ich müsste mir Mühe geben, um dauerhaft ein Mensch zu bleiben. Bis sich das Medikament restlos aus meinem Körper verflüchtigt hat, würde ich gern alles so lassen, wie es ist: Ich möchte auf dieser Insel bleiben … dabeisitzen, wenn du deine Schulaufgaben machst … und mit Keela spazieren gehen.“

Sollte das bedeuten, er verzichtete freiwillig auf seine wahre Gestalt, nur um bei Mam und mir zu sein? Der Gedanke verschlug mir kurz die Sprache, doch gleich darauf hob ich entschlossen das Kinn. „Weißt du, eigentlich mag ich keine Geheimnisse“, sagte ich, „aber sie kommen trotzdem ständig zu mir, und deines kann ich sogar verstehen.“ Feierlich reckte ich eine Hand in die Luft. „Darum schwöre ich, es für mich zu behalten – auf diesen letzten Schokokeks.“

Dad blinzelte verwirrt, dann lächelte er. Plötzlich sah er nicht mehr streng aus, sondern richtig nett. „Da bin ich froh“, antwortete er und brach sich ein Stück von dem Keks ab. „Das hier sind übrigens die besten und einzigen Kekse, die ich seit langer Zeit gegessen habe.“

„Was für ein elendes Hundeleben“, kommentierte ich, aber Dad schüttelte den Kopf.

„Finde ich nicht“, sagte er mit Nachdruck. „Es ist gut so, wie es ist.“

Und wir stießen unsere Kekshälften aneinander, als wären es Sektgläser.

3. KAPITEL

Pyjamaparty zwischen Feen

Kurze Zeit später machten wir uns auf den Weg zur magischen Pflegestation. Vorher hatte ich Dad eine Tasse Spezialtee serviert, damit er seine Magie besser in den Griff bekam und sich nicht mehr unabsichtlich verwandelte. Außerdem hatte ich ihn dazu überredet, seine Kapitänsjacke auszuziehen: „Dieses weiße Ding ist wirklich zu auffällig, wenn du doch mal wieder nachts als Mensch herumspazieren willst. Ich hab was viel Besseres für dich!“ Eilig lief ich in mein Zimmer, um die Jacke zu verstecken. Als Ersatz brachte ich Dad den dicken schwarzen Pullover, den Nanas Mam einst für ihre beste Feenfreundin gestrickt hatte.

„Eigentlich war der dazu gedacht, Felicitys Flügel zu verstecken“, erklärte ich. „Aber sie besucht momentan gar keine anderen Orte in der Menschenwelt als Patch Island, und hier kennt sie sowieso jeder. Da ist es sinnvoller, wenn du ihn zur Tarnung benutzt!“

Also hatte André den Pullover übergezogen, und ich fand, dass er damit viel … dadhafter aussah als in seiner Uniform. Fast tat es mir leid, als er wieder in Hundegestalt vor mir stand; dann beschloss ich, mich ebenfalls zu verwandeln. Mit vier Beinen erreichte man die magische Pflegestation sehr viel schneller!

Als wir ins Freie kamen, fegte mich die Wucht des Sturmes beinahe von den Pfoten. Es fühlte sich an, als würde uns ein unsichtbarer Riese zwischen seinen Pranken hin und her schleudern. Wäre ich die menschliche Ruby gewesen, hätte ich womöglich auf der Stelle kehrtgemacht, mich in mein Zimmer geflüchtet und die Bettdecke über den Kopf gezogen. Aber als Hund tickte ich ein bisschen anders.

‚Das ist der Hammer‘, jubelte ich in Tiersprache und sprang um Dad herum. ‚Ich rieche Sachen von ganz, ganz weit her! Und schau dir all die Blätter an, die da wirbeln! Die muss ich schnell mal verjagen, o ja, aaalle verjag ich die oder fang sie ein und packe sie mit den Zähnen – und was glaubst du, was hier für tolle Stöckedurch die Gegend fliegen?!‘

‚Wenn wir nicht machen, dass wir weiterkommen, werden wir vielleicht bald durch die Gegend fliegen‘, warnte Dad. Er lief voraus durch das Hoftor, das klappernd in den Angeln hing, und ich sauste hinterher. Zum Glück fand Hunde-Ruby es manchmal genauso toll, jemandem nachzulaufen, wie auf eigene Faust verrücktzuspielen.

Als wir den Nordstrand erreicht hatten, war meine Begeisterung allerdings verschwunden. Entsetzt starrte ich auf das tosende Meer hinaus. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals so hohe Wellen gesehen zu haben! Schnell verwandelte ich mich zurück, damit ich mir im Vergleich dazu nicht ganz so winzig vorkam. Dann riss ich die Schuppentür auf und wurde zusammen mit Dad über die Schwelle geweht.

Was mich im nächsten Augenblick traf, war keine Böe, sondern ein Durcheinander aus strohblonden Zöpfchen und Glitzerflügeln. „Rubylein!“, jauchzte Felicity und wirbelte mit mir im Kreis. „Du bist doch noch gekommen! Wir hatten gerade überlegt, wer dich am besten holen soll!“

André flüchtete vor ihrem Geflatter unter den Behandlungstisch, wo auch schon Schmuggel mit leidender Miene hervorlugte. „Mich holen?“, fragte ich. „Ich dachte, es kommen alle bald wieder nach Hause …“ Meine Stimme wurde immer leiser, während ich mich staunend umsah. In letzter Zeit war die magische Pflegestation fast leer gewesen: Die Meerjungfrauen hatten sich in ruhigere Gewässer zurückgezogen, sodass nur ein einsamer alter Selkie in einer der Wannen schwamm, und ein Kobold mit gebrochener Nase bekam schon seit Tagen keinen Besuch mehr. Wahrscheinlich hatten seine Kumpels Angst, vom Sturm erfasst zu werden – immerhin waren sie gerade mal so groß wie Gummistiefel. (Als Ersatz warfen sie nun jede Nacht bekritzelte Steine durch das Feenportal nach Patch Island, auf denen halb nette, halb unverschämte Botschaften standen: Du wirst hier wirklich sehr vermisst, obwohl du so ein Fischkopf bist. Oder: Wir würden dir gern winken. Uns fehlt sogar dein Stinken.) Auch Feen hatten wir schon eine Weile nicht mehr zu Gesicht bekommen. Jetzt aber schwebten Mädchen mit hüftlangen Haaren vor allen Fenstern und blickten konzentriert nach draußen.

„Was ist denn hier los?“, fragte ich verblüfft.

„Oh, das sind nur die nettesten Leutchen aus der Feenschule“, trällerte Felicity. „Sie haben eingewilligt, mitzukommen und zu helfen, weil ich ja dummerweise ein Jahr lang nicht zaubern darf. Aber für mich allein wäre dieser Sturm auch ein bisschen zu viel. Außerdem könntees sein, dass ich das eine oder andere winzigeNickerchen gehalten habe, als Wettermagie im Unterricht an der Reihe war!“

„Du hast damals so laut geschnarcht, dass ich für meinen gezauberten Donner eine goldene Blüte bekommen habe“, ergänzte ein Feenmädchen in unserer Nähe. „Dabei sind Gewitter nicht gerade meine Spezialität. Aber im Sturmschutz habe ich mir meine Auszeichnung redlich verdient!“ Und sie machte eine zierliche Handbewegung, die so aussah, als wollte sie etwas durch das Fenster schleudern. Kurz sah ich ein magisches Funkeln, dann schien das Klirren der Scheibe ein bisschen leiser zu werden.

Aufgeregt drückte ich Felicitys Hand. „Du meinst, diese Feen sind gekommen, um die magische Pflegestation vor dem Unwetter zu schützen?“, flüsterte ich.

„Aber ja! Ich konnte doch nicht zulassen, dass hier alles weggepustet wird, oder?“ Strahlend zupfte Felicity mir ein paar Blätter aus den Haaren, sortierte sie nach ihrer Größe und steckte sie sorgfältig wieder hinein. „Ich schätze, dieser Schuppen ist heute Nacht der sicherste Ort auf ganz Patch Island. Und das ist auch gut so, wenn man bedenkt, wer gerade bei euch gelandet ist!“

Bevor ich weiterfragen konnte, streckten Noah und Flynn die Köpfe aus der Meerjungfrauen-Abteilung. Aufgeregt winkten sie mir zu. „Ruby, hierher! Das musst du dir ansehen!“ Schon waren sie wieder verschwunden, und ich beeilte mich, zu dem künstlichen Sandstrand zu kommen.

Der Name „Meerjungfrauen-Abteilung“ war eigentlich nicht ganz richtig, denn genauso oft wie Meerjungfrauen hatten wir hier Selkies zur Pflege. Die waren allerdings so zurückhaltende, sanfte Wesen, dass sie lieber unerwähnt blieben. Auch unser aktueller Patient dümpelte nur still in dem Heilbad, das er wegen seiner Hautkrankheit bekommen hatte. Wahrscheinlich behielt er mit Absicht seine Seehundgestalt, damit man ihn in Ruhe ließ.

Nana und Mam knieten aber gar nicht neben seiner Wanne, sondern neben einer anderen, die bei meinem gestrigen Besuch noch leer gewesen war. Als Noah und Flynn mich näher schoben, erkannte ich etwas Rundes, Schuppiges im seichten Wasser. Vor Staunen klappte mir der Mund auf. „Ist das etwa … ein Drachenei?“, hauchte ich.

„Seeungeheuerei“, verbesserte Nana und lächelte zu mir hoch. „Siehst du diesen türkisfarbenen Schimmer? Zum Glück haben es ein paar Meerjungfrauen entdeckt, als es allein im finsteren Ozean herumgewirbelt ist. Muss wohl aus seinem Nest getrieben worden sein, obwohl die Mütter normalerweise sehr gut auf ihre Eier aufpassen. Die sind nämlich furchtbar empfindlich!“

„Und was machen wir jetzt damit?“ Ich kauerte mich zwischen Nana und Mam und stützte das Kinn auf den Wannenrand.

„Nun, wir behalten es genauestens im Auge. Wenn es bis morgen nicht rissig oder kalt geworden ist, hat es sein Missgeschick wohl unbeschadet überstanden. Aber bei diesem Sturm können wir es auf keinen Fall zu uns nach Hause tragen!“

„Umso besser, dass Felicity ihre Mitschülerinnen geholt hat“, sagte Mam und strich sanft über das Ei. Ich hatte gedacht, dass es hart wäre, doch die Schale verformte sich unter Mams Fingern wie Wackelpudding. „Ist André eigentlich mit dir zusammen hergekommen?“

Diese Frage wirkte so beiläufig, als würde Mam sich kaum für die Antwort interessieren. Aber ich ließ mich nicht täuschen. Immerhin war sie die Erste gewesen, die an Dad gedacht hatte! „Der ist hier, alles okay“, sagte ich schnell.

„Gut.“ Einen Moment lang hielt Mam ihren Blick noch auf das Ei gerichtet, ehe sie den Kopf hob. Mit blitzenden Augen schaute sie in die Runde. „Was haltet ihr davon, hier zu übernachten?“, fragte sie und musste lachen, als Flynn sich sofort in den warmen Sand plumpsen ließ.