Rückkehr nach Birkenau - Ginette Kolinka - E-Book
SONDERANGEBOT

Rückkehr nach Birkenau E-Book

Ginette Kolinka

0,0
13,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 13,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

“Niemand, der diesen Text gelesen hat, wird ihn vergessen können.“ Carolin Emcke Im März 1944 wird Ginette Kolinka zusammen mit ihrem Vater, ihrem Bruder und ihrem Neffen von Avignon nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Ginette ist die Einzige, die Monate später nach Paris zurückkehrt. Sie schildert eindringlich, wie sie die Schläge, den Hunger, die Kälte, die Nacktheit, den Hass, das Grauen im Lager überlebt hat. Und sie erzählt, wie notwendig das Festhalten an der Weiblichkeit für sie war. Ein Kleid, das Simone Veil ihr im Lager schenkte, gab ihr Würde und Kraft zum Überleben. Ginette Kolinka hat lange geschwiegen und ihre Geschichte zum ersten Mal erzählt, als Steven Spielberg Zeitzeugen für "Schindlers Liste" suchte. Heute führt sie regelmäßig Schulklassen durch Auschwitz. Sie ist 94 Jahre alt und lebt in Paris. „Eine außergewöhnliche Beschreibung des Unbeschreibbaren." Le monde

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 76

Veröffentlichungsjahr: 2020

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über Ginette Kolinka

Ginette Kolinka, Jahrgang 1925, war früher Verkäuferin in Paris. Die Monate in Auschwitz-Birkenau hat sie lange für sich behalten. Ihr außergewöhnlicher Lagerbericht wurde in Frankreich umgehend zum Bestseller. Ginette Kolinka lebt heute in Paris, hält Vorträge und führt regelmäßig Schulklassen durch Auschwitz.

Nicola Denis wurde mit einer Arbeit zur Übersetzungsgeschichte promoviert. Sie übersetzte u. a. Werke von Alexandre Dumas, Honoré de Balzac, Éric Vuillard, Olivier Guez und Anne Dufourmantelle. Nicola Denis lebt seit vielen Jahren in Frankreich.

Informationen zum Buch

»Niemand, der diesen Text gelesen hat, wird ihn vergessen können.« Carolin Emcke

Im März 1944 wird Ginette Kolinka zusammen mit ihrem Vater, ihrem Bruder und ihrem Neffen von Avignon nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Ginette ist die Einzige, die Monate später nach Paris zurückkehrt. Sie schildert eindringlich, wie sie die Schläge, den Hunger, die Kälte, die Nacktheit, den Hass, das Grauen im Lager überlebt hat. Und sie erzählt, wie notwendig das Festhalten an der Weiblichkeit für sie war. Ein Kleid, das Simone Veil ihr im Lager schenkte, gab ihr Würde und Kraft zum Überleben. Ginette Kolinka hat lange geschwiegen und ihre Geschichte zum ersten Mal erzählt, als Steven Spielberg Zeitzeugen für »Schindlers Liste« suchte. Heute führt sie regelmäßig Schulklassen durch Auschwitz. Sie ist 94 Jahre alt und lebt in Paris.

»Eine außergewöhnliche Beschreibung des Unbeschreibbaren.« Le monde

ABONNIEREN SIE DEN NEWSLETTERDER AUFBAU VERLAGE

Einmal im Monat informieren wir Sie über

die besten Neuerscheinungen aus unserem vielfältigen ProgrammLesungen und Veranstaltungen rund um unsere BücherNeuigkeiten über unsere AutorenVideos, Lese- und Hörprobenattraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehr

Folgen Sie uns auf Facebook, um stets aktuelle Informationen über uns und unsere Autoren zu erhalten:

https://www.facebook.com/aufbau.verlag

Registrieren Sie sich jetzt unter:

http://www.aufbau-verlag.de/newsletter

Unter allen Neu-Anmeldungen verlosen wir

jeden Monat ein Novitäten-Buchpaket!

Ginette Kolinka mit Marion Ruggieri

Rückkehr nach Birkenau

Wie ich überlebt habe

Aus dem Französischen von Nicola Denis

Inhaltsübersicht

Über Ginette Kolinka

Informationen zum Buch

Newsletter

Buch lesen

Impressum

Im Namen aller meiner Kameraden,

die weniger Glück hatten als ich.

Als ich das letzte Mal nach Birkenau zurückgekehrt bin, war Frühling. Die Felder waren mit Blumen überzogen, das Gras grün, der Himmel klar, man konnte die Vögel singen hören. Es war schön.

Wie kann ich ein solches Wort benutzen? Und doch habe ich es gesagt und gedacht: »Es ist schön.«

Von Weitem sah ich, wie am Feld entlang eine Gestalt näher kam. Zuerst traute ich meinen Augen nicht, dachte bei mir, »Nein, das ist nicht möglich«, doch ich hatte recht: eine Joggerin. Sie drehte ihre Runden, hier. Auf dieser lehmigen, nicht wiederzuerkennenden Erde, die so viele Tote gesehen hatte, in dieser Luft, die nach den frischen Morgenstunden roch, nach Tau. Sie lief, unbeirrt. Mir stockte der Atem. Am liebsten hätte ich geschrien, ihr zugerufen: »Bist Du verrückt?«

Oder war ich es?

Man sollte nicht nach Birkenau zurückkehren, wenn Frühling ist. Wenn die Kinder in den Vorgärten der kleinen Häuser auf ihren Rutschbahnen spielen, direkt an den ehemaligen Bahngleisen, die ins Lager und an die unselige Haltestelle, die Judenrampe, führten.

16.April 1944: Endlich hält der Zug. Ich habe das Gefühl, die ganze Zeit vor mich hingedämmert zu haben. Hinter der Tür hört man Geschrei und Hundegebell, das Geräusch der entriegelnden Schlösser: Frische Luft strömt in den Waggon, herrlich! Nach all den Stunden, die wir im stinkenden Halbdunkel zusammengepfercht gewesen sind. Wie viele Tage und Nächte? Man sagt mir, drei Tage und drei Nächte, ich wiederhole also, drei Tage und drei Nächte. Bei mir sind mein Vater, mein kleiner Bruder Gilbert und mein Neffe. Ich sehe wieder vor mir, wie ich meinem Bruder im Waggon etwas verweigere. Essbares womöglich? Vielleicht haben sie uns in Drancy ein bisschen Proviant für die Kinder mitgegeben? Etwas für die »J3«? Wegen der Lebensmitteleinschränkungen werden wir im Krieg in Kategorien eingeteilt: J1, die Säuglinge, J2, J3 etc. Die J1 bekommen Milch, die anderen Milch mit etwas Mehl, die J3 Kekse, und die Erwachsenen haben ein Anrecht auf Wein. Ich höre mich unterwegs immer wieder sagen: »Nein, Gilbert, du darfst nicht alles auf einmal essen, wir wissen ja nicht, wie lange die Reise noch dauert …«

Mein Vater ist 61. Das ist heutzutage kein Alter. Dem armen Mann ist es gelungen, vor unserem Aufbruch zwei Decken zu klauen. Er ist so mager, dass er sie sich in die Hose gesteckt hat. Wir sitzen darauf, so gut es eben geht. Auf dem Boden liegt ein bisschen Stroh. Es ist ein geschlossener Güterzug, ohne Fenster oder Gitter. Lange habe ich geglaubt, dass wir im Bahnhof von Le Bourget abgefahren seien, später erfuhr ich, dass es Bobigny war.

Als wir in Bobigny aus den Bussen steigen, sind keine französischen Polizisten mehr zu sehen. Ich höre Schreie, Befehle, Gebrüll. Wir werden gewaltsam zusammengetrieben. Dann weiter bis zum Bahnsteig. Ich sehe den Güterzug, denke naiv, dass er abfahren und für uns ein anderer kommen wird. Doch man treibt uns erneut in die Waggons: Schnell! Mein erstes deutsches Wort.

Im Waggon weichen wir einander nicht von der Seite, wir bleiben zusammen, Papa, Gilbert, mein Neffe und ich. Die Augen auf den hellen Bahnsteig geheftet, stehen wir dicht an dicht, niemand setzt sich, solange die Türen offen stehen. Ich sehe all diese Gestalten, die bis zur Unkenntlichkeit zusammengepfercht sind. Eine Woge aus Schatten. Ein lautes Rattern erstickt den letzten Lichtstrahl. Die Schlösser werden verriegelt. Es wird dunkel, und ich fürchte mich nicht. Ich glaube, dass wir irgendwo auf den Feldern oder in einer Fabrik arbeiten werden. Mein kleiner Neffe ist 14, wirkt aber schon wie ein junger Mann, er ist schlau und kräftig. Mein Vater kann eine Nähmaschine bedienen, ich beruhige ihn: »Die werden dich in die Werkstatt stecken!« Wie konnte ich bis zum Schluss glauben, dass ich arbeiten würde? Warum hatte ich nichts kommen sehen? Langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit: auf dem Boden Stroh, in einer Ecke eine Art Eimer oder Fass. Es ist praktisch unmöglich zu sitzen. Zu so vielen sind wir hier zusammengepfercht. Und falls man irgendwann sitzen sollte, wohin dann mit den Beinen? Und wie, wenn die Beine verstaut sind, wieder aufstehen, seine Bedürfnisse verrichten? Lauter Fragen, die ich mir stelle … Eine sonderbare Übung: aufstehen, ohne auf die anderen zu treten. Ich kann mich nicht erinnern, mich bewegt zu haben.

Wir werden von den Scheinwerfern geblendet. Soldaten springen in den Waggon. Sie brüllen: Schnell! Sie treiben uns zusammen, zerren uns hoch, wir sollen aussteigen. Manche wollen nach ihrer Tasche greifen, ein paar Frauen klammern sich an ihr armseliges Gepäck, aber die Soldaten hindern sie daran, verrenken ihnen den Arm, die Koffer bleiben hier. Geschrei, Gedränge, Befehle auf Deutsch. Auf dem Bahnsteig bellen die Hunde. Ich verstehe nichts. Jemand übersetzt: »Wir müssen zu Fuß ins Lager, aber bis zum Lager ist es weit. Für die Schwächsten gibt es Lastwagen.«

Dieser Satz hallt noch siebzig Jahre später in mir nach. »Für die Schwächsten gibt es Lastwagen.« In meiner Naivität, die für mich womöglich Rettung, für sie Verhängnis ist, denke ich an meinen Vater, der von den zurückliegenden Wochen ausgezehrt und von der Reise erschöpft ist, ich denke an Gilbert, meinen kleinen Bruder, der erst zwölf ist, an seinen kleinen Struwwelkopf. Und ich höre, wie ich ihnen zurufe: »Papa, Gilbert, nehmt den Lastwagen!«

Das erspart ihnen wenigstens den Weg zu Fuß.

Ich verabschiede mich nicht von ihnen. Sie verschwinden.

Sie verschwinden.

Ich bleibe zusammen mit meinem Neffen auf dem Bahnsteig stehen, von den Lichtern geblendet. Der Morgen dämmert. Jemand ruft: »Die Männer auf die eine Seite, Frauen und Kinder auf die andere!« Ich will meinen Neffen bei mir behalten, er ist 14 und noch ein Kind, selbst wenn er älter aussieht. Aber in Drancy oder im Zug hat er sich mit ein paar älteren Jungs angefreundet und bleibt lieber bei ihnen. Ich verstehe ihn, schließlich bin ich auch erst 19 und hätte genauso gehandelt. Auch von ihm verabschiede ich mich nicht.

»Geh schon zu den anderen, bis nachher.«

Wir werden in Fünfergruppen eingeteilt. Jede Riege geht an Soldaten vorbei, die uns aussortieren und durch eine imaginäre Linie voneinander trennen. Ich kann noch laufen, die anderen klettern auf die Lastwagen, auch wenn sie sich sträuben. Ich erfahre, dass wir in Birkenau sind, in Polen, und denke bei jedem Schritt an Papa und Gilbert, wie gut, dass sie sich das erspart haben. Ich sehe Rauch, wahrscheinlich den Fabrikschlot, ja, dort drüben arbeiten Frauen. Je näher wir kommen, desto sonderbarer wirken sie, kahlköpfig, ungewöhnlich mager, fast wie Irre. Ich habe noch einen klaren Verstand und frage mich in diesem Moment, ob es in der Umgebung vielleicht ein Lager für Geistesgestörte gibt. Sie mustern uns verstohlen, ich sehe ihre verlorenen, tief in den Höhlen liegenden Augen.

Nach circa einem Kilometer Fußmarsch biegen wir links ab und betreten ein weitläufiges Gebäude. An der Längsseite des Raums sind Tische aufgestellt, und hinter diesen Tischen warten Frauen auf uns, jeweils zu zweit. Wir stehen. »Zieht euch aus!«, befehlen sie. Manche von uns haben noch ihren Mantel oder ihre Jacke an, ich trage nur eine Strickjacke. Ich ziehe sie aus, falte sie zusammen und lege sie auf den Boden. Schnell! Schnell!