Rule The Darkness - Katja Rostowski - E-Book

Rule The Darkness E-Book

Katja Rostowski

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Beschreibung

Sie setzten ihre letzte Hoffnung in mich, ohne zu wissen, dass ich ihr Tod sein würde. Mehr als Fünfzig Jahre nachdem die Sangvis für ihre Verbrechen in die Unterwelt verbannt wurden, zerbricht ihr Gefängnis. Zurück auf der Erde verbreiten sie auf der Jagd nach Magiern Tod und Zerstörung. Unter ihnen Pax, der sich jedoch nur nach Frieden sehnt. Dabei sind es seine Hände, an denen das Blut von Hunderten klebt. Als er auf die schweigsame Magierin Hazel trifft, steht er vor der Wahl - sterben oder denjenigen helfen, die ihn und alle Sangvis erneut verbannen wollen. Dabei ahnt niemand, dass eine Bestie in Pax lauert, die droht, jeden in seiner Nähe in den Tod zu reißen - und Pax ist kurz davor, die Kontrolle über sie zu verlieren.

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Katja Rostowski

 

Rule The Darkness

 

Rule The Darkness

 

 

 

 

© 2025 VAJONA Verlag GmbH

 

 

 

 

Lektorat: Lara Gathmann

Korrektorat: Patricia Buchwald und Annalena Ogrodnik

Umschlaggestaltung: Stefanie Saw

Satz: VAJONA Verlag GmbH, Oelsnitz unter Verwendung von

Motiven von Canva

 

VAJONA Verlag GmbH

Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3

08606 Oelsnitz

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Cia.

Weil du an meiner Seite bleibst,

wenn alle anderen schon schlafen.

 

Der scharfkantige Stein bohrte sich tief in meine Haut. Er durchschnitt das empfindliche Fleisch an meiner Wade, teilte es, sodass augenblicklich dunkelrotes Blut herausquoll. Der Schmerz war nichts weiter als ein dumpfes Pochen im hintersten Winkel meines Bewusstseins. Und doch bedeutete er mir alles.

Es war kein Traum, keine Halluzination. Ich war hier. Ich existierte. Ob das gut oder schlecht war, stand auf einem anderen Blatt.

Kaum, dass ich den Stein von meinem Bein gelöst hatte, zog sich die Haut zusammen und die Wunde schloss sich, als hätte es sie nie gegeben. Ich wischte das Blut fort und mit ihm auch die Sicherheit, dass dies kein Traum war.

Die vertrauten Zweifel krochen an die Oberfläche, flüsterten, dass mein Körper längst zu Asche verbrannt und lediglich mein Geist in der Hitze der Unterwelt zur Unendlichkeit verdammt war.

Ich holte tief Luft, kämpfte gegen das Wispern der Bestie an, die geduldig in der Finsternis meiner Seele auf mich wartete. Mich lockte. Mir einen Ausweg aufzeigte.

Ich müsste nur hinabsinken und ihr die Kontrolle überlassen, dann wäre ich frei. Frei von Schuldgefühlen, frei von der erdrückenden Trauer, frei von Zweifeln und Hoffnungslosigkeit. Sie würde meine Seele aufreißen, das Innere in tausend Einzelteile zerbrechen und in der Unterwelt verstreuen. Alles würde an Bedeutung verlieren – und die Bestie könnte endlich ihre Macht entfesseln und den staubigen Boden mit neuen Leichen pflastern.

Bilder von zerfetzten Körpern, blutgetränktem Sand und toten Augen blitzten durch meine Gedanken. Vertraut und schrecklich zugleich.

Ein ersticktes Geräusch kam über meine trockenen Lippen und ich schlang die Arme um meine Knie. Wiegte mich vor und zurück, während die Bestie in der Finsternis lauerte und auf ihre Chance wartete.

Würde jemals wieder Frieden in meiner Seele einkehren? Wahrscheinlich nicht. Das hier war meine Strafe dafür, dass ich sie nicht hatte beschützen können. Nicht einen Einzigen. Im Gegenteil. Ich war für ihren Tod verantwortlich.

Meine Hände zitterten, mein Körper bebte, genau wie die Erde unter mir …

Ich hielt in meiner Bewegung inne. Moment.

Ruckartig hob ich den Kopf und sah mich um.

Warum bebt der Boden?

Die gesamte Unterwelt wankte und ein überraschtes Raunen hallte durch die wüstenartige Landschaft.

Ich stützte mich mit den Händen ab, um mein Gleichgewicht nicht zu verlieren. Aus dem hohen, trockenen Berg vor mir lösten sich große Gesteinsbrocken – und rollten direkt auf mich zu.

Hastig sprang ich auf, konnte nicht ausweichen, nur schützend meine Arme heben. Mit rasendem Herzen wartete ich auf den Aufprall, der nur einen Herzschlag später folgte. Mit einem ohrenbetäubenden Knall explodierte der Brocken an dem Bannkreis, der mich gefangen hielt.

Die dunkelrote, durchscheinende Wand waberte, als hätte jemand einen Stein in einen See geworfen. Doch sie hielt, ließ nichts hinein, aber auch nichts hinaus.

Keuchend sah ich auf, als ein erneutes Beben die Unterwelt erzittern ließ und ich rückwärts zu Boden fiel.

Andere Verbannte tauchten aus ihren Verstecken hervor, blickten gen Himmel. Ich tat es ihnen nach. Ein feiner Riss zog sich durch das helle, sandige Gelb, das weder Sonne noch Mond je eine Heimat geboten hatte.

»Was geschieht hier?«, fragte eine besorgt klingende Stimme in weiter Ferne. Gemurmel erfüllte die staubige Luft, so lange, bis die nächste Erschütterung es zum Schweigen brachte. Der Riss weitete sich, enthüllte ein schwarzes Nichts, das mir einen Schauer über den Rücken jagte.

Schreie ertönten aus unterschiedlichen Richtungen. Panik. Entsetzen. War das unser Ende? Die Erlösung aus unserem tristen, endlosen Dasein in der Unterwelt? Ich hoffte es.

Ein angsterfülltes Keuchen lenkte meine Aufmerksamkeit von dem seltsamen Riss ab. Einige Meter hinter mir stand eine Frau in zerlumpter Kleidung, starrte auf ihre Hände, die seltsam verzerrt wirkten. Ihr ganzer Körper verschwamm, als würde ich ihn durch Wasser sehen. Gleichzeitig schien etwas an ihr zu ziehen. In Richtung des Risses.

»Hilf mir, Geküsster!«, rief sie mir panisch zu. Unsere Blicke trafen sich und die Bestie in mir freute sich über die Furcht, die in den Augen der Frau flackerte. Dann gab ihr Körper nach und wurde mit einem Zischen nach oben gezogen. So schnell, dass ich nur noch ihre verschwommene Gestalt wahrnahm, bevor sie fort war.

Auch wenn ich das Ende herbeisehnte, hieß das nicht, dass ich mich nicht davor fürchtete. Zitternd stand ich erneut auf, bemerkte, dass mein Bannkreis sich ebenfalls veränderte. Genau wie die Frau wirkte er verzerrt, streckte sich gen Himmel.

Die grausame Bestie in mir horchte auf, witterte ihre Chance. Dunkelrote, beinahe schwarze Ranken ihrer Macht stoben aus meinem Inneren durch meine Haut nach außen, donnerten gegen den unstabilen Kreis.

»Nein«, wisperte ich.

Wenn der Bannkreis fiel, dann …

Angst stieg in mir auf, wo sich zuvor Hoffnung gerührt hatte.

»Sadie!«, rief ich panisch über den Tumult hinweg. Sie hatte den Bannkreis errichtet, hatte die anderen Verbannten vor mir beschützt, sie könnte …

Ich stockte. Was sollte sie können? Ich wusste nicht einmal, was gerade vor sich ging. Um mich herum wurden immer mehr Gestalten in den Riss gezogen. Verzweifelt flohen sie, rannten über den trockenen Boden, suchten nach Verstecken zwischen großen Gesteinsbrocken. Doch wie sollte man vor etwas entkommen, das man nicht verstand?

Dann spürte ich den Sog. Etwas, das mich gen Himmel, in den Riss zerren wollte. Als würde die Schwerkraft die Richtung wechseln und ich kurz davor war, in den Himmel zu fallen.

Mein Herz hämmerte panisch in meiner Brust. Keuchend sah ich mich um, sah die anderen Verbannten, wie sie nacheinander verschwanden. Jeder Einzelne.

»Pax?« Sadies hochgewachsene Gestalt stolperte auf mich zu. »Was hast du ge–«

Der Sog hob mich von den Füßen, verschluckte ihre Worte. Ich schrie auf, presste die Augen zusammen und flog durch die siedend heiße Luft. Wind zerrte an meinen Haaren, an der zerrissenen Kleidung, die ich trug. Mein Bannkreis existierte nicht mehr, das Wispern der Bestie war verstummt, genau wie ihre Macht und für einen winzigen Augenblick fühlte ich mich … wie ich selbst.

Die Gedanken waren klar und frei. Ich war losgelöst von meinen selbst auferlegten Fesseln und das erste Mal seit einer Ewigkeit war ich kein Gefangener.

Dann tauchte ich in die Schwärze ein, wirbelte herum, fiel, wusste weder wo oben noch wo unten war. Druck baute sich in meinem Kopf auf, mein Brustkorb verengte sich. Ich konnte nicht atmen, nicht denken. Mein Herz raste und eiskalte Panik strömte durch mein Inneres.

Ich prallte auf einen harten, nassen Boden. Schürfte mir die Ellenbogen, Knie und das Kinn auf. Der scharfe, ungewohnt klare Schmerz brachte mich zum Stöhnen. Keuchend und zitternd blieb ich liegen.

Ist wohl doch nicht mein erlösendes Ende.

Mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen öffnete ich die Augen, blinzelte mehrmals hintereinander, was nicht nur an der fremden, dunklen Umgebung lag. Regen prasselte auf mich nieder, lief mir in die Augen, über die Arme.

Regen …

Langsam richtete ich mich auf. Stützte mich auf die Hände und starrte fasziniert auf die kleine Pfütze, die sich vor mir auf dem rissigen Asphalt gebildet hatte. Wie lange war es her, dass ich Regen gesehen, geschweige denn gespürt hatte? War ich wieder zurück? Zurück auf der Erde?

Zittrig fuhr ich mit einem Finger durch das schmutzige Wasser, hob ihn an die Lippen und benetzte sie mit dem feuchten Glück.

In der Unterwelt gab es weder das Bedürfnis zu essen noch zu trinken. Es hätte sowieso nichts gegeben außer heißem Sand und trockenem Gestein. Aber als ich diesen winzigen Tropfen mit meiner Zunge von der Lippe leckte, stieg in mir ein erschreckender Durst auf. Als hätte mein Körper erkannt, dass ich ihn seit einer Ewigkeit vernachlässigt hatte.

Mit dem Durst erwachte auch mein Hunger und etwas anderes – Furchterregendes. Etwas, das mich zu dem machte, was ich war. Etwas, das ich nie gewollt hatte, das ich nicht kontrollieren konnte. Ich hasste dieses Ding in mir, die Bestie. Und doch war sie dafür verantwortlich, dass ich nicht den Verstand verloren hatte. Weder in der Unterwelt noch bei ihr.

Die anderen Verbannten nannten mich Geküsster, verehrten mich, verehrten die Bestie, ihre dunkelroten, fast schwarzen Ranken aus Macht, die allen nur den Tod brachten.

Keuchend krümmte ich mich zusammen, drängte sie mit rasendem Puls zurück. Doch sie ließ es nicht zu. Wollte raus. Zerstören. Frisches Blut kosten. Lachte über meine Verzweiflung.

Ein Bannkreis!

Ich musste mir einen neuen Bannkreis errichten. Niemals wieder durfte ich zulassen, dass sie jemanden verletzte. Egal, an was für einem Ort ich gelandet war. Ich musste die Bestie zurückdrängen und ihre unnatürliche, bösartige Macht einsperren, auch wenn das hieß, mich selbst einzusperren.

Mit reiner Willenskraft konzentrierte ich mich auf das Bild in meinen Erinnerungen. An den Kreis, der mich umschlossen hatte, die Zeichen auf dem trockenen Boden. Die Reihenfolge. Die Bedeutung. An Sadies Worte, den Klang von ihnen. Ihr Blut, das sie mit dem Sand vermischt hatte.

Doch hier gab es keinen Sand. Der Boden war zu nass, um etwas mit dem eigenen Blut zu zeichnen.

Ein Gefühl von Hilflosigkeit verengte mir die Brust. Ich würde es nicht schaffen.

In diesem Augenblick übertönte ein lautes Quietschen das Prasseln des Regens. Mit zusammengebissenen Zähnen hob ich den Kopf und blickte die Gasse entlang, die sich vor mir erstreckte.

Einige Meter entfernt öffnete sich eine alte, mit Graffiti beschmierte Metalltür. Etwas trat heraus. Ein kleiner, dunkler Schatten. Glühende Augen fixierten mich.

Die Katze fauchte und hüpfte davon, als jemand hinter ihr durch die Tür kam.

Eine schlanke Gestalt, die etwas in den Händen hielt, das ich aus der Entfernung nicht erkennen konnte. Vielleicht eine Pistole, denn sie hielt den Gegenstand konzentriert von sich und suchte die Umgebung ab. Eine junge Frau trat in den Schein einer Laterne und ich sah hellbraune Haut und dunkle, lockige Haare. Sie ließ ihren Blick schweifen, bis sie ihr Ziel fand. Mich.

»Und? Hatte ich recht?«, fragte eine tiefe, männliche Stimme und ich dachte für einen unsinnigen Moment, dass sie von der Katze stammte.

Die Frau schnaubte und blieb in sicherem Abstand zu mir stehen.

»Und?« Der eigentliche Besitzer der Stimme trat aus der Tür. Ein grimmig dreinblickender Mann, gefolgt von einer hochgewachsenen rothaarigen Frau.

Ein erneutes Aufbäumen der Bestie ließ mich fluchen und ich krallte die Finger in meine Brust. Ich konnte sie nicht mehr lange zurückhalten. All die Zeit der Meditation, die Versuche, Kontrolle zu erlangen – es hatte nichts gebracht.

»Ihr müsst fort!«, rief ich undeutlich durch meine zusammengebissenen Zähne.

Der Mann lachte hart auf. »Ein beschissener Neuling. Hab’s doch gewusst. Wenn alle von denen so vor unsere verfickten Füße fallen, hätten wir ein leichtes Spiel.«

»Tun sie nur leider nicht«, murmelte die Frau und trat einen Schritt näher.

»Bitte geht!«, flehte ich sie an. Aus meinen Händen schlängelte sich die dunkle Macht wie Ranken. Kalter Schweiß lief mir den Rücken hinab. »Schnell!«

Aber die Frau kam weiter auf mich zu. Sah sie denn nicht, in welcher Gefahr sie schwebte? Ihr folgte die schwarze Katze, die mir am Rande meines Bewusstseins seltsam vertraut vorkam.

Die Frau hielt zwei schmale Pistolen in den Händen und richtete sie auf mich. Verzweifelt kroch ich zurück. Nicht aus Angst, dass sie mich erschießen würde. Denn das konnte sie nicht. Nicht mit einer einfachen Pistole. Sondern aus Angst, dass ich sie töten würde.

»Worauf wartest du?«, rief der Mann ungeduldig. »Die neue Folge Jujutsu Kaisen wartet auf uns.«

Die Frau legte den Kopf schief und musterte mich. Regen prasselte auf ihre zarte Haut, lief ihre Wangen hinunter, tropfte von den lockigen Haaren, die ihr Gesicht umrahmten.

»Ich kann sie nicht viel länger aufhalten«, rief ich ihr verzweifelt über den stärker werdenden Regen zu, zitterte vor Kälte und dem sinnlosen Versuch, die dunkelroten Ranken der Macht zurückzuhalten. »Lauf weg! Schnell!«

Plötzlich schoss eine Ranke in ihre Richtung. Entsetzt versuchte ich, sie irgendwie zu lenken. Weg von der Frau. Ohne Erfolg. Doch statt auf sie, traf die Macht auf eine grün schimmernde Wand, die sich vor der Frau erhob, und prallte davon ab. Allerdings fiel diese sofort in sich zusammen und ließ die überraschte Frau erneut schutzlos vor mir stehen. Trotzdem durchflutete mich ein Funken Erleichterung.

Magier. Sie waren Magier. Das bedeutete, dass sie Fähigkeiten besaßen, die Menschen unmöglich besitzen konnten. Keuchend sah ich in ihre braunen Augen. Das eine heller als das andere.

Ich konnte sie nicht beschützen. Nicht vor der Bestie. Nicht vor mir. Es blieb nur eine Möglichkeit.

»Töte mich!«

Die Bestie schrie auf, drohte mein Inneres zu zerreißen. Ich schlang die Arme um meinen Oberkörper, als könnte ich sie so zurückhalten.

»Jetzt!«

Sie wich zurück, zog verwirrt die Augenbrauen zusammen.

»Hazel!«, rief die rothaarige Frau. Sie hatte eine Hand ausgestreckt. War sie es, die den Schutzschild gezogen hatte? »Was ist los?«

Die Frau, Hazel, musterte mich so intensiv, dass meine Haut prickelte. Es schien, als suchte sie etwas. In mir. Meinen Augen. Meiner Seele. Doch sie würde nur den Tod finden.

»Bitte!«, flehte ich sie an, blinzelte Regen und Tränen aus den Augen. Ich wollte nicht sterben, aber es war der einzige Weg, sie und alle anderen zu schützen.

Mit einem Mal wurde ihr Gesicht ausdruckslos. Sie senkte eine Waffe und zielte mit der anderen auf meinen Kopf. Grüne Magie flammte in dem Lauf auf und mein Herzschlag setzte aus. Angst und Erleichterung vermischten sich zu einem brennenden Tanz in meinem Herzen.

Die Bestie brüllte im Angesicht ihres und meines Todes auf.

»Es tut mir leid«, sagte Hazel leise.

Ich schenkte ihr ein trauriges Lächeln. »Es ist okay.«

Das Letzte, was ich sah, war eine hellgrüne Explosion, die mich in die Dunkelheit riss.

 

Ein leises Miauen holte mich zurück aus dem Reich des Nichts. Langsam und zäh begann mein Kopf seine Arbeit. Zuerst setzte ein schmerzhaftes Pochen ein. Dann kehrte das Gefühl in meine Gliedmaßen zurück und sagte mir, dass etwas nicht stimmte.

»Na? Was machst du denn hier unten?«

Der leisen, sanften Stimme folgte ein lautes Schnurren. Ich hielt meine Atmung ruhig, konzentrierte mich darauf, meine verworrenen Gedanken in die richtige Reihenfolge zu sortieren.

Ich bin immer noch nicht tot.

Der Gedanke erleichterte mich, obwohl ich das Gefühl hatte, dass er es nicht tun sollte. Am Leben zu sein, war doch … gut … oder?

Hinter meiner Stirn hämmerte es und mein Nacken schmerzte, genau wie meine Handgelenke. Sie waren über meinem Kopf an etwas Kühlem befestigt. Mein Kinn lag auf meiner Brust. Der Untergrund, auf dem ich saß, war hart und unbequem. Die Fußgelenke eng aneinander. Fesseln. Jemand hatte mich gefesselt.

Nur mit Mühe unterdrückte ich die eiskalte Panik, die langsam meine Gliedmaßen emporkroch. Warum war ich gefesselt?

Mein gesamter Körper zitterte, nicht nur wegen der Kälte, die wie ein feuchtes Tuch an mir haftete. Erinnerungen an einen trostlosen, dunklen Raum flackerten in meinem Kopf auf, wie eine defekte Glühbirne. Das unheilvolle Quietschen einer Tür. Die Schreie. Das Blut.

Ein Fiepen schwoll in meinen Ohren an.

»Ich habe keine Leckerlis, du gieriges Kerlchen.«

Ein anklagendes Mauzen.

Weitere Bilder zuckten wie Blitze durch meine verworrenen Gedanken. Die schwarze Katze. Regen. Der Riss im Himmel. Zerlumpte Gestalten, die hineingezogen wurden. Dunkelrote Ranken. Unterschiedlich braune Augen. Intensiv. Durchdringend.

»Ich glaube auch nicht, dass er welche hat.«

Das Schnurren kam näher.

Als hätte mir jemand auf den Hinterkopf geschlagen und dabei einen Wackelkontakt gerichtet, ordnete sich das Chaos in meinem Kopf. Erinnerungen fügten sich zusammen und ich wusste, warum es schlecht war, noch am Leben zu sein.

Mein Puls hetzte durch meine Adern und ich riss die Augen auf. Direkt vor mir machte die Katze einen Buckel und fauchte mich an. Dahinter sprang eine junge Frau mit lockigen Haaren von ihrem Stuhl auf.

Hazel.

»Warum hast du mich nicht getötet!«, krächzte ich, zerrte panisch an den Fesseln.

Sie ist in Gefahr!

Überrascht hob sie die Augenbrauen, bevor sie die Arme verschränkte.

»Hängst du so wenig an deinem dummen Leben?!«, fuhr ich sie an. Mein Atem ging stoßweise und das hektisch pochende Herz drohte mir, die Brust zu zerreißen.

Sie verzog ärgerlich den Mund und die Katze fauchte mich erneut an. Wutentbrannt starrte ich das Tier mit dem gesträubten Nackenfell an. »Sei still, du niederträchtiges Wesen! Versteckst dich hinter flohverseuchtem Fell. Feigling!«

Noch während die Worte meine Lippen verließen, wusste ich, dass sie stimmten. In der Gasse war es mir bereits aufgefallen. Dies war kein normales Tier.

»Hey, du kannst mich beleidigen, aber nicht meine Katze«, fuhr mich Hazel an, woraufhin ich meinen Blick von den goldenen Augen löste und aufsah.

»Wenn du wirklich denkst, dass das eine Katze ist, bist du dümmer, als ich dachte.«

Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und ihre Wangen erröteten. »Vielleicht hätte ich dich doch töten sollen, Arschloch.«

»Ja, das hättest du!«

»Bring mich nicht in Versuchung.«

»Sondern erlöse mich von dem Bösen!«

»Das hättest du wohl gerne.«

»Ja, verdammt. Sonst werde ich dich töten!«

Sie legte den Kopf schief und musterte mich verärgert, aber auch verwirrt.

Schwer atmend, starrte ich sie an.

Das war er. Der Grund, warum es schlecht war, zu leben. Eiskalte Angst pulsierte durch meine Adern. Die tödliche Macht brodelte in mir. Ich machte mich bereit, sie zurückzuhalten. So lange, bis ich niemandem mehr schaden konnte. Ich könnte es nicht ertragen, jemanden zu verletzen, zu töten. Nicht noch mehr.

»Du musst weg«, wisperte ich, starrte mit leerem Blick nach unten. Aber wie in der Gasse hörte Hazel nicht auf mich.

»Du weißt es«, sagte ich leise zu der Katze, die keine war. Goldene Augen trafen meine. Die spitzen Ohren zuckten und ich erkannte, was genau dieses Wesen war und warum es mir so vertraut vorkam.

»Was hast du nur mit meiner Katze?«, fragte Hazel genervt.

Ich verstand es nicht. Sie war Magierin, sie musste es doch sehen. Musste doch erkennen, wie gefährlich die teuflische Macht der Bestie war, die in mir lauerte. Aber selbst die Katze setzte sich hin und leckte sich unbekümmert das Fell.

Verdammt, sind die lebensmüde …

Unsicher hielt ich inne, horchte in mich hinein. Suchte nach der Bestie. Tastete nach ihrer Macht. Sie pulsierte ungeduldig und wartete darauf, hinauszugelangen. Aber sie konnte nicht. Etwas hielt sie zurück und das war nicht ich.

Blinzelnd sah ich mich das erste Mal richtig um und schüttelte dabei einige noch nasse Haarsträhnen aus meinen Augen.

Ich saß auf einer schmalen Holzbank in einer kleinen Zelle, in der ich mich nur knapp der Länge nach hinlegen könnte. Auch zwischen meinen Knien und den dicken Gitterstäben, die mich von allen vier Seiten umgaben, war nicht mehr als eine Handbreit Platz. Eine massive Kette verband meine gefesselten Handgelenke mit den Stäben hinter mir. Fixierte sie über meinem Kopf, dass ich sie kaum bewegen konnte. Eine weitere dicke Kette lag um meine Fußgelenke.

Sie rasselten bei jeder kleinen Bewegung. Das Geräusch löste ein beklemmendes Gefühl in mir aus, drohte, Erinnerungen an die Oberfläche zu holen, für die mir in diesem Moment die Kraft fehlte.

Ich bin nicht mehr dort, an diesem Ort. Sie ist nicht hier. Sie kann mir nichts tun.

Der Raum vor meiner Zelle bestand aus dunklen Mauersteinen, war nicht groß und beherbergte lediglich eine kleine Stehlampe und einen alten Holzstuhl auf dem Hazel nun wieder saß.

Sie trug eine schwarze, löchrige Jeans und ein lockeres graues Shirt. Die dunkelbraunen Haare lockten sich bis zu ihren Schultern. Mit überschlagenden Beinen musterte sie mich konzentriert, als wüsste sie nicht, was sie mit mir anfangen sollte. Einen langen Moment sahen wir uns in die Augen, hingen unseren eigenen Gedanken nach, bevor mich die ungewohnte Kälte wie eine eisige Welle überschwemmte.

In der Unterwelt hatte ich mich beinahe an dem Sand und den Steinen verbrannt. Die Luft hatte vor Hitze geflimmert und bei jedem Atemzug war einem eine kleine Spur aus Feuer durch die Lungen gezogen. Das komplette Gegenteil von diesem feuchten, kalten Ort, der Erinnerungen in mir weckte, die ich all die Zeit konsequent verdrängt hatte. Meine Zähne klapperten und ich verstand nicht, wie die Magier die Macht der Bestie in Schach hielten.

Seufzend stand Hazel auf und verließ den Raum, nur um einen Moment später wieder zurückzukommen. In der Hand hielt sie eine grüne, dünne Decke mit gelben Blumen darauf. »Das kann ja keiner mit ansehen«, murmelte sie vor sich hin und reichte mir den weichen Stoff durch die Gitterstäbe. Obwohl ich meine gefesselten Hände kaum bewegen konnte, kam ich mit Zeige- und Mittelfinger gerade so an eine Ecke der Decke. Mühsam schaffte ich es, die Decke über meine Beine fallen zu lassen, ohne dass sie zu Boden rutschte.

»Warum tust du das?«, fragte ich ernsthaft verwirrt. Denn es sind die Magier gewesen, die mich und die anderen in die Unterwelt verbannt hatten. Natürlich nicht ohne Grund. Wenn einfache, von Hass durchtränkte Menschen nach übersinnlicher Macht gierten, endete das nie gut. Diese Macht hatte uns in Monster verwandelt. In Sangvis.

»Was genau meinst du?«, antwortete sie mir gespielt fragend. »Warum ich dir eine Decke gegeben habe? Warum ich dich nicht getötet habe? Oder warum ich dir nicht jede Sommersprosse einzeln aus dem Gesicht steche, weil du meine Katze und mich beleidigt hast?«

Hitze kroch auf meine Wangen, während sie mich abwartend, mit gehobenen Augenbrauen musterte.

»Alles?«

Sie schnaubte. »Tja, das frage ich mich gerade auch.«

Sie setzte sich zurück auf den Stuhl und die Katze folgte ihr mit erhobenem Schwanz. Schlanke Finger strichen über den fellbesetzten Kopf, aber nach einem kurzen, unsicheren Blick auf mich, zog sie sie wieder zurück.

»Wie habt ihr es geschafft, die Macht zu kontrollieren?«

Noch immer hatte ich nichts bis auf die Fesseln entdeckt, was dafür verantwortlich sein könnte.

»Eisen?«, sagte Hazel, als wäre es selbstverständlich. Was es für gewöhnliche Sangvis auch war. Eisen hatte die Fähigkeit, die Magie der Magier, aber auch die Macht der Sangvis zu schwächen. Doch bei mir brauchte es deutlich mehr Eisen als diese paar Ketten. Selbst als sie mich damals unter Schichten davon begraben hatte, fanden die dunklen Ranken einen Weg nach draußen. Ich erschauderte, spürte mit einem Mal das kalte Gewicht des Metalls auf meinem Körper, das mir die Luft zum Atem genommen hatte.

»Sind … ist das eine besondere Art von Eisen?«, fragte ich, weil ich es mir nicht anders erklären konnte. Aber Hazel deutete mit dem Kinn zur Decke über mir. Ich blickte auf. Die Gitterstäbe verschwanden in dem dunklen Stein und gaben den Blick auf mehrere Symbole frei, die durch eine kreisförmige Linie miteinander verbunden waren, ähnlich wie von Sadie. Nur, dass es nicht nur ein Kreis war, sondern sechs. Ein Großer und fünf Kleine, die ihn überlappten. Nicht nur aufgemalt, sondern tief in den Stein geritzt und mit heller Farbe gefüllt.

»Ah«, meinte ich wenig intelligent.

»Normalerweise reicht bei euch ein einzelner Kreis, aber da du Erins Schutzbarriere mit Leichtigkeit zerstört hast, sind wir auf Nummer sicher gegangen.«

Was klug von ihnen gewesen war, mich aber wieder zu der Frage zurückführte, warum sie mich nicht getötet hatten, als sich ihnen die Chance dazu bot.

Ich kam nicht dazu, die Frage zu stellen, denn in diesem Augenblick öffnete sich die Tür. Die Frau und der Mann aus der Gasse traten in den engen Raum. Mit ihnen ein junger Mann, der nicht viel älter als achtzehn sein konnte. Schwarze Haare fielen ihm in die dunkelbraunen, mandelförmigen Augen.

»Ah, er ist wach«, sagte die Rothaarige, die Erin sein musste. Ihre hochgewachsene, schlanke Gestalt steckte in einer weiten, leichten Hose und einem eng anliegenden, blauen Oberteil ohne Ärmel. Feine Fältchen lagen auf der Haut um die blassen, blauen Augen, die zuerst mich musterten und dann Hazel.

»Und?«

Hazel hob nichtssagend die Schultern.

Der Schwarzhaarige drängte sich vor Erin und starrte mich ungeniert an. Auf dem für ihn viel zu großen, weißen T-Shirt waren mehrere Zeichentrickfiguren abgebildet. Neben einem Bleistift, hinter seinem rechten Ohr, entdeckte ich noch einen dezenten Ring, der seitlich an seinem Nasenflügel prangte.

Nachdenklich zog er die Brauen zusammen.

»Er scheint mir zumindest nicht so verrückt zu sein, wie die anderen.«

»Oder er versucht, uns zu täuschen«, knurrte der andere Mann. Seine Haare waren hellblond, auch wenn dazwischen einige deutlich dunklere Strähnen zu erkennen waren. Auch sein Drei-Tage-Bart deutete darauf hin, dass er seine Haare heller gefärbt hatte. Ich schätzte ihn auf mein Alter – Anfang zwanzig.

»Wäre nicht das erste Mal, dass wir darauf reinfallen.«

Bei seinen Worten versteiften sich plötzlich alle.

»Und was sollen wir jetzt mit ihm machen?«, fragte der Schwarzhaarige.

»Wie gesagt«, meldete sich Hazel zu Wort. »Er ist irgendwie anders als die anderen. Vielleicht reden wir einfach mal mit ihm.«

Der Blonde lachte hart auf. »Als ob er uns die Wahrheit erzählt. Bin ich der Einzige, der hier gerade einen beschissenen Déjà-vu-Moment hat?«

»Keiner von uns hat vergessen, was passiert ist.« Erins Miene verdunkelte sich und für einen kurzen Moment lag ein Schmerz in ihren Augen, der sie deutlich älter wirken ließ als die knapp vierzig Jahre, auf die ich sie schätzte.

»Hazel hat uns damals vor Grace gewarnt. Wir haben nicht auf sie gehört. Wir sind es ihr schuldig, ihrem Gefühl bei dem hier wenigstens eine Chance zu geben.«

»Und ihr Gefühl sagt bei dem Kerl was? Dass wir gemütlich mit ihm ein Käffchen trinken können und er uns nicht bei der nächstbesten Gelegenheit die Kehle aufschlitzt?«

Hazel schenkte ihm einen genervten Blick. »Ihr Gefühl sagt, dass er nicht wie die anderen ist und es einen Versuch wert ist, mit ihm zu reden.«

Der Blonde schnaubte. »Ich verstehe nicht, warum wir einem Sangvis erneut vertrauen sollten. Das Risiko ist zu groß.«

Während die Magier diskutierten, tat ich mein Bestes, so unauffällig und ungefährlich wie möglich zu wirken. Gleichzeitig wirbelten dutzende Fragen durch meinen Kopf.

Wo war ich? Mit Sicherheit nicht in dem Kaff, in dem ich aufgewachsen war. Wo waren die anderen Sangvis? Wo war sie? Welches Jahr hatten wir? Was war geschehen, seit die Magier uns verbannt hatten?

Ein Hass, der nicht mein eigener war, rauschte durch meine Venen. Die Bestie in mir versuchte, ihre Macht durch meine Haut nach außen zu drängen. Sie wollte die Magier zerfetzen, sich an ihrem Blut laben. Es war, als könnte ich die zischende Stimme in meinem Kopf hören, als wäre sie ein eigenständiges, denkendes Lebewesen. Gefangen in mir.

Ich durfte nicht zulassen, dass sich ihr Wunsch erfüllte und erneut Blut meine Hände benetzte. Aber zurück auf der Erde, gefangen in einem starken Bannkreis, die Bestie unter Kontrolle, drängte sich ein Gedanke an die Oberfläche.

Gab es vielleicht doch eine Möglichkeit für mich? Eine Chance, zu leben? Hatten die Magier die Mittel dazu? Oder würde ich ein Gefangener bleiben? Bis in die Ewigkeit – oder bis zum Tod?

»Lasst uns anhören, was er uns erzählen kann.« Erins Stimme holte mich aus meinen Gedanken. »Und dann sehen wir weiter.«

Die Aufmerksamkeit aller richtete sich auf mich und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Also sagte ich so freundlich wie möglich: »Guten Tag.«

 

Unwohl wand ich mich unter ihren Blicken. Der Raum war zu klein für vier Magier und eine Katze, sodass sie zu nah an meiner Zelle standen.

»Fangen wir ganz einfach an«, sagte Erin zu mir und mein Puls schlug einen Takt schneller. »Wie heißt du und seit wann bist du ein Sangvis?«

»Ich heiße –« Zögernd hielt ich inne. Die gierige Stimme meiner Schwester wisperte in meinen Gedanken. Paxton, wehr dich nicht dagegen. Töte ihn, Paxton. Du wirst es nicht bereuen. Vertrau mir, Paxton.

Seit diesem Tag hatte ich ihr nie wieder vertraut.

Bittere Galle stieg in mir hoch und meine Stimme klang heiser, als ich antwortete: »Mein Name ist Paxton.«

Der Blonde zischte genervt. »Als ob das sein richtiger Name ist. Das ist eine verfluchte Zeitverschwendung.«

Ich presste die Lippen aufeinander. Warum war er so aggressiv?

»Du kannst auch gerne gehen, Landon«, bemerkte Hazel.

Doch er lachte nur emotionslos. »Besser nicht. Wer weiß, was er euch für Scheiße ins Ohr flüstert. Am Ende tut ihr noch etwas Dummes.«

Glaubte er, dass meine Macht sie beeinflussen konnte? Ich war mir ziemlich sicher, dass weder ich noch die anderen Sangvis zu so etwas in der Lage waren. Die Macht in uns war anders als die Kraft der Magier. Grober, brutaler, gemacht, um zu zerstören. Um zu töten. Im Gegensatz dazu konnten Magier, soviel ich wusste, ihre Magie nach ihrem Willen lenken, gezielter und vielseitiger anwenden.

»Okay, Paxton. Und wie lange bist du bereits ein Sangvis?«, fragte Erin.

»Welches Jahr haben wir?« Angespannt leckte ich mir über die Lippen. Wie lange war ich fortgewesen?

»2025.«

»Oh …« Oh, verflucht! Ich hatte mit einigen Jahren gerechnet. Aber es hätten genauso gut wenige Tage sein können. In der Unterwelt hatten wir keine Möglichkeit gehabt, Sekunden oder Stunden zu zählen. Ohne Sonne und Mond waren die Tage vergangen, ohne dass es uns bewusst gewesen war.

»Seit 1968«, flüsterte ich, schockiert, wie lange ich sinnlos vor mich hinvegetiert hatte. Denn nur ein Jahr später, im Mai 1969, hatte sich die Erde unter mir geöffnet und ich war in die Unterwelt gefallen, genau wie auch tausende andere Sangvis.

Die Magier sahen mich mit einer Mischung aus Zweifeln und Entsetzen an. Die Fesseln klirrten laut in der angespannten Stille, während ich meine Hände zu Fäusten ballte.

»Wie bist du innerhalb eines Jahres so mächtig geworden?«, fragte Erin beinahe tonlos, als würde sie meine Antwort fürchten.

Plötzlich stürzte Landon vor und schlug ungehalten gegen die Gitterstäbe. Erschrocken zuckte ich zurück.

»Wie viele Opfer hast du dem Schattenkönig gebracht, du kranker Bastard?« Zorn sprühte aus den grauen Augen, die mich voller Abscheu fixierten.

»Eins«, wisperte ich. Erinnerungen krochen aus der Dunkelheit in meinem Inneren, füllten meinen Kopf. Brannten sich durch mein Herz.

Liebevolle braune Augen, die ich von ihm geerbt hatte. Das milde Lächeln, als ich ihm die Kehle durchgeschnitten hatte. Wie er meine Hand gehalten hatte, als sein Blut den Boden tränkte. Hastig blinzelte ich die hässlichen Bilder fort. »So ein Bullshit!«, brüllte Landon und schlug erneut gegen die Stäbe, sodass mein Gefängnis erzitterte. Er drehte sich um, deutete dabei auf mich. »Der verarscht uns doch!«

»Was willst du von mir hören?«, zischte ich. Dabei ignorierte ich das verräterische Brennen in meinen Augen, dass mich auch nach all der Zeit heimsuchte. »Dass ich tausende Menschen abgeschlachtet habe? Ihr Blut in Kanistern dem Schattenkönig dargeboten habe?«

Mit vor Wut erhitztem Gesicht und gebleckten Zähnen starrte er mich an.

»War es etwa nicht so?«, spie er mir entgegen.

»Nein!«, entgegnete ich wütend. »Es war nur ein Menschenleben, das ich geopfert habe.« Ich wandte den Blick ab, sah auf meine verdreckten, nackten Füße und fügte leise hinzu: »Und das war bereits eines zu viel.«

Doch nur so gelangten einfache Menschen an einen Teil seiner Macht. So funktionierte der Pakt mit dem Schattenkönig. Einer grässlichen, bösartigen Kreatur, die in den Schatten lauerte. Ein Menschenleben für einen winzigen Funken seiner dunklen Macht und aus Menschen wurden Sangvis. Gierig, erbarmungslos, kalt. Aber dieser Funke genügte ihnen nicht. Sie wollten mehr. Und dafür opferten sie ein Leben nach dem anderen.

Ich selbst hatte diese Macht nie gewollt. Und dieses eine Leben, das ich genommen hatte, lastete schwer auf meinem Herzen, zerquetschte es unter all der Trauer und dem Schmerz des Verlustes.

Langsam sah ich auf und blickte in die zweifelnden Gesichter der Magier. Selbst Hazel sah aus, als würde sie mir nicht glauben.

»Meine Schutzschilde haben bisher jeden aufgehalten«, meinte Erin skeptisch. »Aber du hast sie innerhalb von einer Sekunde zerstört. Wie soll das möglich sein, wenn du dem Schattenkönig gerade mal ein Opfer gebracht hast?«

Die Bestie in mir zischte, als wüsste sie, dass wir über sie sprachen.

»Es war ein Unfall. Ich habe mich gewehrt. Gegen den Pakt und gegen den König. Aber es hat ihn nicht gekümmert.«

Ich erschauderte bei der Erinnerung.

Dieses Gefühl würde ich niemals vergessen. Wie ein hässlicher, schwarzer Parasit war er in meine eigene Seele eingedrungen, hatte rote, schmierige Macht in mich gepflanzt. Ich hatte sie nicht gewollt. Hatte mich bis zum letzten Moment dagegengestemmt. Ohne Erfolg. Er hatte sich in meine Eingeweide gekrallt, mich festgehalten, damit ich nicht fliehen konnte.

»Ich bin in Panik geraten. Wollte ihn von mir wegziehen, habe ihn gepackt, an ihm gezerrt und dabei … musste ich ihn irgendwie verletzt haben.« Sein Brüllen hatte mir das Trommelfeld zerrissen. »Ich habe das Bewusstsein verloren und als ich wieder aufgewacht bin, hatte ich deutlich mehr Macht in mir, als ich hätte haben dürfen. Ich glaube, ich habe ihm einen Teil seiner Seele herausgerissen.«

»Herausgerissen?« Hazel starrte mich aus großen Augen an.

Ich hob die Schultern, schenkte ihr ein freudloses Lächeln. »Ja. Vielleicht. Könnte sein.«

Schweigen legte sich über uns. Sogar Landon sagte kein Wort. Die Katze starrte mich aufmerksam an, genau wie der Schwarzhaarige. Erin rieb sich gedankenverloren über den Mund.

»Ich habe nicht genug Kraft, um diesen Teil seiner Seele zu kontrollieren.« Meine Stimme durchbrach die Stille und ich wusste, dass ich die nächsten Worte nicht aussprechen sollte, aber sie mussten erfahren, wie gefährlich ich war.

»Ihr habt nur zwei Möglichkeiten. Entweder, ihr lasst mich in diesem Bannkreis mit den Fesseln oder ihr tötet mich. Alles andere wäre Selbstmord.«

Der Schwarzhaarige schob seine Hände in die hinteren Hosentaschen und wippte auf den Fußballen vor und zurück. »Echt heftig.«

»Können wir ihm jetzt endlich den Kopf abhacken?«

»Landon«, entfuhr es Hazel genervt.

»Was denn? Seit wann bist du so zurückhaltend?« Er verschränkte die Arme. »Bisher hattest du keine Hemmungen, sie abzuknallen.« Als ein erneutes Schweigen einsetzte, verlangte mein Körper nach Aufmerksamkeit. Nicht nur die Kälte und die noch klamme Kleidung machten mir langsam zu schaffen. Ich fror, als wäre es mitten im Winter, dabei standen die Magier allesamt mit kurzärmligen Oberteilen vor mir. Der Durst ließ meine Kehle bei jedem Schlucken schmerzhaft kratzen und als wäre das nicht schlimm genug, krampfte sich mein Magen zusammen und knurrte leise. Das Gefühl in meinen Händen war ebenfalls fort und durch das Brennen in den Augen schaffte ich es kaum noch, sie offenzuhalten.

Im Gegensatz zu der Zeit in der Unterwelt ging es mir hier gerade ziemlich bescheiden. Trotzdem sehnte ich mich nicht zurück. Wenn es nicht so unangenehm gewesen wäre, hätte ich diese fast vergessenen Empfindungen beinahe genossen.

Stoff raschelte und ich sah blinzelnd auf.

Erins Blick traf meinen. Unergründliche blassblaue Augen. Erst jetzt fiel mir die Erschöpfung in ihrem Gesicht auf. Dunkle Schatten unter den Augen, Sorgenfalten auf ihrer Stirn. Das naturrote Haar war zu einem zerzausten Knoten gebunden.

Sie stieß ein unbestimmtes »Hm« aus, wandte sich ab und trat durch die Tür nach draußen. Landon folgte ihr, ohne mich noch einmal anzusehen. Der Schwarzhaarige hob eine Hand zum Abschied und Hazel stand auf, hielt jedoch zögernd an der Tür inne.

»Warum leidest du so darunter?« Ihr zierliches, weiches Gesicht wirkte ehrlich verwirrt. »Andere würden sich um diese Macht reißen.«

»Weil ich das alles nie gewollt habe«, sagte ich leise.

Unsere Blicke kreuzten sich und ich verlor mich kurz in den verschiedenen Farbnuancen ihrer Augen, bevor sie aus der Tür trat und mich allein ließ.

Die Zeit verging, ob schnell oder langsam, vermochte ich nicht zu sagen. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken, doch ich war zu erschöpft, um mich auf sie zu konzentrieren. Auch wenn sich das nervöse Prickeln der Ungewissheit in meinem Magen hielt, fielen mir immer wieder die Augenlider zu.

Ich schreckte hoch, als mein Kopf nach vorn sackte. Es war, als hätte ich seit hundert Jahren nicht mehr geschlafen.

Verdammt, ich habe seit einem halben Jahrhundert nicht mehr geschlafen.

Nur mit Mühe hielt ich meine Augen offen und beobachtete die Katze, die es sich auf dem Stuhl gemütlich gemacht hatte.

»Wissen sie, was du bist?«, murmelte ich undeutlich. Die Katze legte ihre Ohren an und drehte sich demonstrativ weg.

»Also nicht.« Ich seufzte. »Könntest du nicht trotzdem ein gutes Wort für mich einlegen? Dich zu mir legen? Ihnen zeigen, dass du mich magst?«

Jetzt fauchte mich das Mistvieh tatsächlich an.

»Hey! Wir sind beide Geschöpfe des Schattenkönigs. Müssten wir da nicht zusammenhalten?«

Als Antwort machte die Katze einen Buckel, fauchte erneut und verschwand durch den Spalt der nicht ganz geschlossenen Tür.

»Hoffentlich bleibt dir die nächste Maus im Hals stecken«, grummelte ich, ohne viel Elan und verschwendete damit das letzte bisschen Energie, das ich noch besaß. Schwindel ließ mich im Sitzen schwanken, bevor mich die Erschöpfung mit sich riss und ich in einen tiefen, dunklen Schlaf fiel.

»Er sieht noch so jung aus«, flüsterte jemand.

»Lass dich nicht davon täuschen.«

»Glaubst du wirklich, ich bin so naiv?«

Ein kurzes Schweigen.

»Hey!«

Ein tiefes Lachen. Landon. »Komm, mach diese verfluchte Kette ab und dann lass uns wieder verschwinden.«

In dem Moment, als ich das leise Rasseln der Ketten hörte, öffnete ich langsam die Augen. Der schwarzhaarige Magier hielt einen Zeigefinger in meine Richtung. Ich spannte mich an, aber die grüne Magie schlängelte sich über meinen Kopf und kurz darauf fiel eine lange Eisenkette zu Boden.

»Sorry.« Er lächelte mich entschuldigend an. »Ich wollte dich nicht wecken.«

»Yoshi!« Landon stand hinter ihm im Türrahmen und funkelte mich schlecht gelaunt an. »Komm jetzt.«

Eilig zog er sich zurück. Vor meinen Füßen entdeckte ich Wasser, Essen und eine weitere Decke.

»Danke«, krächzte ich ihm hastig hinterher. Der junge Magier – Yoshi – winkte grinsend und verschwand gemeinsam mit Landon.

Vom Schlaf noch etwas benommen, sah ich meine Hände an, die noch mit einer Eisenkette aneinander gefesselt, aber immerhin nicht mehr mit den Gitterstäben meines Gefängnisses verbunden waren, sodass ich sie mehr oder weniger frei bewegen konnte.

Zuerst nahm ich die warme, weiche Wolldecke und warf sie umständlich über meine Schultern. Als Nächstes griff ich nach der Wasserflasche. Es kostete mich all meine Willenskraft, überhaupt an dem Getränk zu riechen. Wer weiß, ob sie mich nicht einfach vergiften wollten. Funktionierte Gift bei uns Sangvis? Wir heilten schnell und alterten, ähnlich wie die Magier, nur sehr langsam, aber vielleicht gab es ein Mittel, mit dem man uns trotzdem sofort töten konnte.

Aber warum sollten sie mich hinterhältig vergiften wollen?

Ich schüttelte den Kopf und trank die große Flasche beinahe komplett leer. Ließ nur einen kleinen Schluck übrig. Dann griff ich nach dem Sandwich. Gierig biss ich hinein und meine Geschmacksknospen explodierten. Stöhnend aß ich das helle Brot mit Schinken und Mayonnaise, bevor ich mich der Süßigkeit zuwandte, die ich noch von früher kannte. Schokoladentörtchen gefüllt mit Erdnussbutter. Pures Glück erfüllte mich und ich erinnerte mich daran, wie mein Großvater mir immer heimlich Naschereien geschenkt hatte.

Der Gedanke an ihn dämpfte meine Euphorie. Erinnerungen an sein Blut verdarben mir den Appetit und ich lehnte mich an die Gitterstäbe hinter mir. Mit aller Macht schob ich die Bilder von jenem Tag beiseite. Er hatte es nicht verdient, so zu sterben, und ich hatte es nicht verdient, so zu werden. Das Leben war nicht fair. War es noch nie gewesen. Aber man musste das Beste aus dem machen, was einem vor die Füße geworfen wird. Auch wenn es blutige Scherben sind, die man nie wieder zusammensetzen kann.

 

»Also … Paxton.« Erin zögerte bei meinem Namen, als hätte sie lieber etwas anderes gesagt. Gemeinsam mit Hazel und Landon war sie erneut zu meiner Zelle gekommen und stand nun mit verschränkten Armen genau vor den Gitterstäben.

»Wir sind uns nicht einig, was wir mit dir machen sollen.«

Angespannt knetete ich meine gefesselten, schwitzigen Hände.

»Du bist ein Sangvis mit extrem starker Macht. Du hast selbst gesagt, dass es besser wäre, dich zu töten.« Sie ließ die Worte wirken, bevor sie weitersprach. »Auf der anderen Seite bist du der erste Sangvis seit Langem, der freiwillig mit uns kommuniziert und Dinge gesagt hat, die unser Interesse geweckt haben. Allerdings vertrauen wir dir nicht.«

»Was wollt ihr wissen?«, fragte ich sofort. »Ich verrate euch alles, was ich weiß.«

Es war nicht gelogen. Welchen Grund hatte ich, ihnen etwas zu verschweigen? Ich verabscheute die Sangvis. Ihre Gier, ihre kalten Herzen und Seelen. Ich wollte nie einer von ihnen werden, war erbarmungslos dazu gezwungen worden. Ich war ihnen nicht zur Treue verpflichtet, genauso wenig wie dem Schattenkönig.

Landon schnaufte abwertend, bevor Hazel mir antwortete. »Weißt du, warum ihr seit drei Jahren zurück aus der Unterwelt kommt?«

Irritiert sah ich sie an. »Drei Jahre?«

Sie nickte.

»Ich dachte, wir seien alle zur selben Zeit zurück auf die Erde gekommen.«

»Was ist in der Unterwelt passiert?«, fragte Erin.

Kopfschüttelnd dachte ich an den Riss im Himmel. »Es gab einige starke Beben und als ich in den Himmel geschaut habe, konnte ich eine Art Riss sehen.«

»Riss?«

»Davon hat sie uns nichts erzählt«, murmelte Hazel.

Ich nickte, wusste zwar nicht, wer sie war, fuhr aber trotzdem fort: »Wie in einer maroden Hausmauer. Ein gezackter Riss.«

»Was ist dann passiert?« Erin hatte sich mittlerweile auf den einzigen Stuhl im Raum gesetzt. Die schlanken Beine elegant überschlagen. Neben ihr an der Wand starrte Landon finster auf den Boden und Hazel kaute nachdenklich an ihrem Daumennagel.

»Wir wurden hineingezogen.« Ich sah auf den löchrigen Stoff meiner Hose. »Irgendetwas hat an meinem Bannkreis gezerrt und dann an mir. Ich weiß nicht, was es war, aber plötzlich bin ich durch die Luft geflogen und im nächsten Moment lag ich bereits in der Gasse.«

»Das war’s?«

Ich nickte erneut.

»Toll«, grummelte Landon. »Also nichts, was wir nicht schon wussten.«

»Bis auf den Riss«, sagte Erin.

Hilflos hob ich die gefesselten Hände. »Mehr kann ich euch nicht sagen.«

»Dieser Riss, war er punktuell oder hat er sich durch den ganzen Himmel gezogen?«

Ich dachte darüber nach. »Ich weiß nicht, wie groß die Unterwelt ist, aber es sah für mich aus, als würde er sich durch den gesamten Himmel ziehen.«

»Warum weißt du nicht, wie groß die Unterwelt ist?« Hazel sah mich mit gerunzelter Stirn an. »Du hattest über fünfzig Jahre Zeit, dort herumzulaufen und nach den Infos der anderen Sangvis, habt ihr eure Zeit nicht damit verbracht, kleine Häuschen zu bauen oder Radieschen zu pflanzen.«

Ich schnaubte belustigt und traurig zugleich. Selbst wenn wir gewollt hätten, die Unterwelt war nichts weiter als ein trockener kahler Ort mit vereinzelten Bergen. Wir hatten nichts besessen, außer der Kleidung an unserem Leib und hatten nichts tun können, als langsam den Verstand zu verlieren.

»Ich bin die gesamte Zeit in einem Bannkreis eingesperrt gewesen«, erklärte ich.

»Was für einen Bannkreis?« Nicht nur Hazel sah mich irritiert an. Auch Erin und Landon musterten mich verwundert.

»Ich habe euch gesagt, dass ich die Macht nicht kontrollieren kann. Weder hier noch in der Unterwelt. Wenn Sadie damals keinen Bannkreis gezogen hätte, dann –« Ich hob matt die Schultern, wollte nicht an die Hunderten Sangvis denken, deren Körper durch meine Macht zerfetzt worden waren. Das Eisengefängnis, in ich in der Zeit vor der Verbannung gesperrt wurde, war mir nicht in die Unterwelt gefolgt. Nur ein Herzschlag, nachdem wir Sangvis dort gelandet waren, war meine Macht explodiert und wie ein tödlicher Hurrikan aus mir hinausgebrochen. »Sie hat die anderen vor mir beschützt.«

Nach einem kurzen Moment des Schweigens platzten aus den Magiern zeitgleich ihre Fragen.

»Ein Sangvis hat einen Bannkreis gezogen?«, wollte Erin wissen, während Landon blaffte: »Du hättest sie alle killen können?« Und Hazel fragte: »Du warst über fünfzig Jahren in einem Bannkreis gefangen?«

Ich sah sie der Reihe nach an. »Äh … ja?«

Erin presste die Augen zusammen und rieb sich die Stirn. »Sangvis können keine Bannkreise errichten. Ihre Macht funktioniert völlig anders als unsere.«

»Die Symbole –«

»Runen«, korrigierte sie mich.

»Die Runen«, ich deutete über mich an die Decke, »sahen etwas anders aus, aber es hat funktioniert.«

Es schien Erin sichtlich schwerzufallen, meinen Worten zu glauben.

»Und ohne diesen Bannkreis, hättest du alle Sangvis in der Unterwelt niedergemetzelt, oder was?«

Ich richtete meinen Blick auf Landon. Der Zorn in seinen Augen brannte sich auf meine Haut und ich wagte es kaum, ihm zu antworten.

»So könnte man es ausdrücken.«

Er lachte bitter. »Warum zur Hölle hast du es nicht einfach getan?«

Überrascht und entsetzt zuckte ich vor seinen Worten zurück.

»Dann hätten wir dieses beschissene Problem jetzt nicht, dann wäre –« Er schloss den Mund und wandte sich ab. Seine zu Fäusten geballten Hände zitterten. Er starrte die kahle Steinmauer an, als könnte sie allein dadurch in Flammen aufgehen.

»Welches Recht habe ich, über Leben und Tod zu entscheiden«, entfuhr es mir ungehalten. Blutige Bilder wirbelten durch meinen Kopf und bittere Galle stieg mir die Kehle hinauf.

»Du hättest es verhindern können«, knurrte er, ohne mich anzusehen. »Die ganze Scheiße der letzten drei Jahre.«

Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Ich wusste nicht, warum die Wut ihn so vereinnahmte, aber eines wusste ich.

»Ich hasse die Sangvis, genau wie ihr.« Meine Stimme klang erstaunlich ruhig, dafür, dass in meinem Inneren ein Sturm tobte. »Doch nicht alle von ihnen sind schlecht. Nicht alle haben sich dieses Leben freiwillig ausgesucht.«

Landon wirbelte herum, setzte an, mir zu antworten, doch Hazel fuhr dazwischen. »Ich bin dafür, dass Landon mal ein bisschen frische Luft schnuppert.«

»Einen Scheiß schnupper’ ich!«, bellte er.

Hazel verdrehte die Augen und Erin seufzte leise und hob eine Hand, um alle zum Schweigen zu bringen.

»Okay, wir machen erst einmal weiter mit der Fragerunde.« Erneut rieb sie sich die Stirn, als hätte sie Kopfschmerzen. »Was weißt du über den Schattenkönig?« Ich sah noch einmal zu Landon, bevor ich sagte: »Der Ursprung der Sangvis.« Meine Schwester hatte mir die Geschichte so oft erzählt, dass ich sie auswendig konnte.

»Der Erste seiner Art. Feind der Magier. Sie konnten ihn nicht töten, daher verbannten sie ihn ins Schattenreich. Doch es gelang ihnen nicht, ihn vollends von der Erde verschwinden zu lassen. Er fand einen Weg, um mit Menschen in Kontakt zu treten und ging mit ihnen einen Pakt ein. Das Leben eines Menschen für einen Teil seiner Macht. Je mehr Opfer, desto mehr Macht. Bis man stark genug ist, um ihm Magier zu opfern. Ihnen entzieht er nicht nur die Seele, sondern auch ihre Erinnerungen, in der Hoffnung, irgendwann an das Wissen zu gelangen, wie er dem Schattenreich entkommen kann. Aber die Magier haben es herausgefunden und begonnen, die Sangvis zu jagen. Am Ende waren sie ihnen jedoch unterlegen. Die Sangvis machten einfach weiter bis … bis wir alle plötzlich in der Unterwelt gelandet sind.«

Erin nickte. »Aber nun kommt ihr nach und nach zurück. Verbreitet Tod und Chaos. Und seid auf der Jagd nach uns Magiern.«

Ich schluckte. Jetzt wusste ich, was Landon meinte und was ihn so wütend machte. Für die Sangvis hatte es in der Unterwelt nur einen einzigen Gedanken gegeben – Rache. Sie wollten die Magier leiden sehen, sie dafür büßen lassen, dass sie uns in die Unterwelt verbannt hatten. Und jetzt waren sie wieder da, bereit ihre Pläne in die Tat umzusetzen. Das einzig Gute war, dass wir offenbar zeitlich versetzt zurückkamen.

»Gibt es besondere Schwachstellen bei euch? Außer Eisen?«, fragte Erin weiter.

»Ich weiß es nicht. Bevor ich zu diesem Pakt gezwungen worden war, wollte ich nichts davon wissen. Und nach dem Pakt gab es für mich … keine Möglichkeit mehr, es herauszufinden.«

Sie zog die Augenbrauen zusammen, ging jedoch nicht weiter auf meine Antwort ein. Stattdessen fragte sie: »Gibt es bei euch eine Art Anführer?«

Ich schüttelte den Kopf. Sie stellten mir noch einige weitere Fragen, zu denen ich ihnen keine genaue Antwort geben konnte. Es war ja nicht so, dass ich in der Unterwelt mit den anderen beim Kartenspielen zusammengesessen hatte.

Die meisten hatten mich zwar verehrt, aber auch gemieden und den größtmöglichen Abstand zu mir bewahrt. Kein Wunder. Meine Macht hatte so viele von ihnen getötet, bis Sadie mich aufhalten konnte. Sie hatte nicht nur die Sangvis gerettet, sondern auch mich.

»Das ist sinnlos, was wir hier machen. Der Kerl ist genau wie sie.«

»Wir –« Mit Blick zu Landon sagte Erin: »Nicht alle von uns wollen dich um jeden Preis töten. Es ist eine Chance, an mehr Informationen über euch ranzukommen, aber dafür musst du uns auch mehr geben. Was kannst du uns noch erzählen, oder zeigen?«

Ich wollte leben. Solange ich niemanden verletzte und sogar helfen konnte, die Sangvis aufzuhalten, wollte ich Teil dieser Welt bleiben. Auch wenn es nur in dieser kalten, ungemütlichen Zelle war. Zu sterben, war die einzige Option, um alle anderen vor mir zu schützen, aber das hieß nicht, dass ich nicht eine verdammt große Angst davor hatte. Die Bestie horchte auf. Labte sich an dieser Angst, die sich langsam in mir ausbreitete. Auch sie wollte nicht ausgelöscht werden. Fürchtete sich genauso sehr davor wie ich.

»Denk nach«, flüsterte Hazel kaum hörbar.

Ich rieb meine Fingerspitzen nervös aneinander. Mir fiel nichts Hilfreiches mehr ein. Nichts, was ihnen oder mir weiterhelfen konnte. Bis auf …

»Die Katze.«

Hazel stöhnte. »Nicht das schon wieder.«

Ich ignorierte ihren Einwand, verspürte einen Funken Hoffnung. »Die Katze – sie … er ist keine echte Katze.«

»Was soll das bedeuten?«, fragte Erin verwirrt.

»Sie sind oder waren Diener des Schattenkönigs«, stammelte ich hektisch. »Seine Augen und Ohren. Sie haben das Wissen über den Pakt verbreitet und den Menschen schmackhaft gemacht. Sie sind der Grund, warum der Schattenkönig überhaupt mit den Menschen in Verbindung hatte treten können.«

»Was redet der Kerl da?«, schimpfte Landon zeitgleich, als Hazel fragte: »Katzen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Es geht nicht um die Katze an sich, sondern welches Wesen sich dahinter verbirgt. Sie sind Gestaltwandler.«

Erin wirkte nicht überzeugt. »Von so etwas habe ich noch nie gehört.«

»Sadie hat mir davon erzählt.«

»Die Sangvis, die dich in den Bannkreis gesperrt hat?«

Ich nickte. »Genau. Ich habe es ihr auch nicht wirklich geglaubt, bis ich eure Katze gesehen habe.«

»Und was ist so besonders an meiner Katze?« Hazel sah nicht glücklich aus.

Ich zog die Schultern hoch. »Intuition? Ein Schatten in den Augen? Ein Gefühl? Ich weiß es nicht, aber was ich weiß, ist, dass wir von dem gleichen Wesen abstammen. Wenn auch auf eine unterschiedliche Art und Weise.«

»Okay, mal angenommen wir glauben dir«, meinte Erin. »Was sollen wir jetzt mit der Katze machen?«

»Zwingt ihn, sich zurückzuverwandeln.«

»Wie?«

Ich hob die Schultern. »Ihr könnt eure Magie doch lenken. Gebt ihm einfach eine Art Schubs.«

Erin und Hazel wechselten einen Blick.

»Nein.« Hazel schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Niemand wird Cookie mit Magie bewerfen.« Demonstrativ verschränkte sie die Arme und suchte mit einem Blick Hilfe bei Landon.

»Also, mich würde es schon interessieren, ob der Mistkerl recht hat«, erwiderte dieser.

Beide starrten Hazel an, bis sie genervt die Arme hob. »Gut, okay. Fein. Aber wenn Cookie etwas passiert, dann könnt ihr euch auf etwas gefasst machen.«

Wütend stampfte sie hinaus und kam nach kurzer Zeit wieder. Mit dem Kater auf dem Arm schloss sie die Tür hinter sich und ließ das Tier auf den Boden gleiten.

Als der Kater mich sah, fauchte er arrogant.

Dir wird dein Rumgefauche gleich vergehen.

Erin streckte ihre Hand in Richtung des Tiers aus.

»Bitte sei vorsichtig«, flehte Hazel leise, bevor sie mich wütend anfunkelte. »Wenn ihm etwas passiert, wirst du dir wünschen, tot zu sein.«

Ich wich instinktiv zurück und betete, dass mich meine Intuition nicht täuschte.

Fragend sah sich das Tier um, bevor es laut mauzend an der Tür kratzte. Als alle ihn anstarrten und niemand auf seine Bitte reagierte, bemerkte auch er, dass etwas nicht stimmte. Statt zu fauchen, jaulte der Kater bedrohlich.

Grüne Magie sammelte sich um Erins Hand. Ihre roten Haarspitzen tanzten in der Luft. In einem feinen Strahl entließ sie die Magie und traf den Kater. Obwohl es nur wenig Magie gewesen war, knallte er mit solch einer Wucht gegen die Wand neben Landon, dass ich den Aufprall deutlich hörte.

Der schlaffe Körper landete auf dem Boden und blieb bewegungslos liegen.

Sekunde um Sekunde verstrich, in denen nichts geschah.

»Verfluchte Scheiße!« Hazel hastete auf das Tier zu.

»Du hast ihn umgebracht«, wisperte sie. Vorsichtig, mit zitternden Fingern, betastete sie das Fell, strich sanft darüber.

»Oh, du mieser Scheißkerl!« Ihre Stimme war gefährlich leise. »Du verdammtes Arschloch!«

Ihre Augen glitzerten feucht und funkelten vor Zorn, als sie mich fixierten. Mein Puls schoss in die Höhe.

»Du hast meine Katze auf dem Gewissen.«

Mist, Mist, Mist!

Ich wollte weiter zurückweichen, was mir in der kleinen Zelle natürlich nicht gelang. Hatte ich mich wirklich so getäuscht?

Ich erhaschte einen Blick auf das Tier. Zuckte da nicht ein Ohr?

»Vielleicht müssen wir nur abwarten«, sagte ich unsicher.

Erin und Landon musterten den leblosen Körper. Als Landon die Katze anfassen wollte, zischte Hazel ihn an. »Ihr seid genauso schuld daran!«

Schluchzend wischte sie sich über die Augen.

»Hm«, entfuhr es Erin zweifelnd, ohne den Blick abzuwenden. »Das war wohl nichts.«

Das raubtierhafte Grinsen in Landons Gesicht trieb mir den Schweiß auf die Stirn, zeitgleich bäumte sich die Bestie in mir auf. Drängte sich mit ihrer Macht gegen das Eisen und die Magie des Bannkreises. Panisch sah ich zu Erin, die sich seufzend zu mir drehte.

»Sorry«, meinte sie und nickte Hazel zu.

Mein Herz setzte aus, bevor es im doppelten Tempo weiter schlug.

Ich wollte nicht sterben!

Langsam und kontrolliert stand Hazel auf. Den Kopf gesenkt, holte sie eine Waffe aus einem Holster an ihrer Hüfte.

»Das mit Cookie ging echt zu weit«, murmelte sie.

Ich starrte auf die schmale Pistole. Meine Hände zitterten. In meinem Kopf brüllte die Bestie. Sie donnerte wieder und wieder gegen die unsichtbare Barriere, sah das Ende von mir, von sich selbst, näherkommen.

Wie hatte ich mich so täuschen können? Es musste doch einen Weg geben. Einen Weg, zu leben.

Töte sie!

Mein Magen verkrampfte sich bei dem Klang der fremdartigen Stimme in meinem Kopf.

Töte sie!

Ein unerträgliches Brennen unter meiner Haut ließ mich aufkeuchen. Die Decke über meinem Gefängnis bebte.

Töte sie!

»Die Schutzkreise!«, rief Landon warnend.

Erin starrte erschrocken nach oben. »Das kann nicht sein.«

Ich fiel von der schmalen Bank, schlang die Arme um meinen Oberkörper, damit ich nicht auseinandergerissen wurde.

Ich wollte leben.

Dann töte sie!

Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich es tun könnte. Die Macht der Bestie könnte die Schutzkreise durchbrechen und mir helfen, zu entkommen. Ihre Leben nehmen, um meines zu retten.

Doch zu welchem Preis?

Schreie. Blut. Entsetzen. Schuld.

Die Bestie tigerte unruhig und erwartungsvoll durch mein Inneres. Wartete darauf, dass ich meine Gegenwehr aufgab, sie entfesselte und ihr den Weg in meinen Kopf freigab.

Tränen liefen mir die Wangen hinab und ich traf eine Entscheidung.

Wenn ich unterging, dann nicht allein. Ich würde die Bestie, diesen Splitter des Schattenkönigs, mit mir nehmen und das einzig Richtige tun – die Welt vor mir beschützen.

»Meine Intuition hat mich wohl doch getäuscht«, brachte ich gepresst hervor. Die Bestie suchte kreischend einen Ausweg und ich sah gequält zu Hazel auf.

Ihre Augen weiteten sich für einen Moment. »Meine wohl auch.« Die kalte Entschlossenheit wich einer traurigen Bestürzung. »Ich hatte wirklich gehofft, du wärst anders.«

Sie hob die Waffe und zielte auf meinen Kopf. Grüne Magie sammelte sich in dem Lauf.

»Ich bin anders«, wisperte ich erstickt, während die Bestie Hazels Körper zerfetzen wollte.

»Nein. Du bist schlimmer.«

Ich schloss die Augen.

Vielleicht hatte sie recht.

 

Ein Jaulen durchdrang die Stille, die meinen Tod ankündigte. Jeder im Raum erstarrte. Selbst die Bestie in mir stoppte den verzweifelten Versuch, mich zu zerreißen. Vorsichtig öffnete ich ein Auge und blickte dem Lauf der Waffe entgegen, der genau vor meinem Gesicht schwebte. Doch die Magie darin verblasste. Hazel und die anderen blickten auf den Kater, der unverändert am Boden lag und erneut aufjaulte.

»Cookie?« Hazel eilte zu ihm, stockte jedoch, als sich das Geräusch änderte. Es wurde quälender, beinahe gurgelnd.

»Was zur Hölle«, entfuhr es Landon.

Das schwarze Fell zuckte unkontrolliert.

»Was passiert hier?«, flüsterte Hazel vor meinem Gefängnis, während die Geräusche nun nicht mehr an die einer Katze erinnerten.

Durch die Gitterstäbe hindurch sah ich, wie der Körper des Tieres wuchs. Das Fell wellte sich auf eine unnatürliche Weise, riss an einigen Stellen auf.

Hazel keuchte auf und alle drei Magier wichen an die Wand zurück.

Ich starrte die ehemalige Katze an und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Verdammt, ich hatte doch recht.

Der Körper war auf die Größe eines großen Hundes gewachsen. Fell rutschte von schleimüberzogener Haut. Selbst der Schwanz fiel mit einem feuchten Klatschen auf den Boden.

»Irgh!« Hazel hielt sich eine Hand vor dem Mund. Weiteres Fell platschte auf den Boden, wie ein nasser Haufen Lappen. Zum Vorschein kam eine zusammengekauerte menschliche Gestalt. Durchsichtiger Schleim tropfte von nackter, blasser Haut. Der Körper erschauderte in Wellen.

»Ich bring’ dich um«, knurrte eine undeutliche Stimme.

»Stell dich hinten an«, murmelte ich.

Hazel hauchte ein entsetztes »Cookie«.

Ruckartig drehte Cookie seinen Kopf in meine Richtung, legte ihn auf eine tierische Weise schief. Leuchtend goldene Katzenaugen funkelten mich an. An seinem Kopf klebten die schwarzen Haare wie Seetang und links und rechts zuckten unruhig Katzenohren. Er sah aus wie ein verrückter, nackter Katzendämon, geradewegs der Hölle entsprungen.

Der Gestaltwandler fletschte die Zähne und schoss auf mich zu.

Mit einem leisen Aufschrei kämpfte ich mich aus meiner knienden Haltung, sprang auf die Bank und presste mich gegen die hinteren Gitterstäbe. Schützend zog ich die Beine an, gerade rechtzeitig, denn eine krallenbesetzte Hand langte durch die Stäbe nach mir.

»Herrje, beruhige dich!«

Als Antwort fauchte er, was sich aus einer menschlichen Kehle Furcht einflößend anhörte. Aber ich wäre auch nicht glücklich, nackt und schleimig vor Magiern zu hocken, die einen fassungslos anstarrten.

Cookie versuchte weiter, mich zu zerfleischen, knurrte dabei unverständliches Zeug.

»Was hätte ich denn anderes machen sollen?«, zischte ich leise.

Schlagartig hielt er inne, funkelte mich aus den goldenen Augen mit den geschlitzten Pupillen an. »Mich nicht in deine Scheiße reinziehen, vielleicht?«

Seine Stimme klang fremd und kratzig, als hätte er lange Zeit keine Worte mehr mit einem menschlichen Mund geformt.

»Sie wollten mich töten!«, verteidigte ich mich und war mir nicht mehr sicher, ob es klug gewesen war, den Gestaltwandler zu enttarnen.

Er fletschte die Zähne. »Genau das wolltest du doch. Du hast sie angefleht!«

»Weil es keinen anderen Weg gab! Aber jetzt –«

»Und was habe ich damit zu tun?!«, unterbrach er mich ungehalten.

»Du wolltest mir nicht helfen. Hast mich angefaucht!«

»Du hast mich niederträchtig genannt. Einen Feigling!«

Ein Räuspern unterbrach unsere Diskussion. Wir wandten uns den Magiern zu. Grüne Magie waberte um Erins und Landons ausgestreckte Hände. Hazel fixierte uns über ihre gezogene Pistole hinweg.

»Ich habe keine Ahnung, was da gerade passiert ist«, sagte Erin bedrohlich, ruhig. »Aber du gehst jetzt besser da rein, außer du willst, dass einer von uns deinen nackten Hintern brutzelt.«

Sie holte einen Schlüssel aus ihrer Hosentasche und warf ihn Cookie vor die Füße. Dieser sah allerdings nur Hazel an. Ein verletzter Ausdruck huschte über sein blasses Gesicht. »Ich habe euch nie etwas getan, wollte euch nie etwas Böses.«

»Rein«, zischte Erin ungeduldig. Die Atmosphäre im Raum war zum Zerreißen gespannt. Hätte sich nur einer falsch bewegt, wäre die Hölle ausgebrochen.

Cookie kniff die Lippen zusammen, nahm jedoch den Schlüssel. Mit wackligen Beinen stand er auf und öffnete ungelenk das Schloss an der Tür. Ich wagte erst wieder, zu atmen, als er die Tür hinter sich schloss und Erin von außen den Schlüssel umdrehte und uns einschloss.

Hazel senkte die Waffe und fuhr sich mit der anderen Hand über das erblasste Gesicht. »Ich muss hier raus.«

Cookie umfasste die Gitterstäbe. »Hazel!«

Sie reagierte nicht auf seinen flehenden Ruf und hastete aus dem Raum.

»Das ist die verrückteste Scheiße, die ich je gesehen habe.« Kopfschüttelnd folgte Landon ihr, sodass nur noch Erin zurückblieb und uns weiterhin konzentriert musterte. Lange Zeit sagte sie nichts, schien über alles genau nachzudenken. Keiner von uns bewegte sich und ich war mir nicht sicher, was als Nächstes geschehen würde.

»Ich schicke jemanden runter, der euch neue Klamotten bringt.«

Selbst, nachdem ihre Schritte ganz verhallt waren, schwiegen wir, sahen starr auf die Tür.

»Hätte schlechter laufen können«, murmelte ich.