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Bist du bereit? Bereit zu sterben? Schmerzen bestimmen Caels Leben als Werwolf. Erst nach der Flucht vor seinem gewalttätigen Alpha findet er unerwartet Schutz im Sauk-River-Rudel. Bis Cael in den Fokus von Vampiren gerät. Und sich inmitten ihrer blutigen Spielewiederfindet. Band 1 einer unglaublichen und brutalen Werwolf-Reihe ...
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Katja Rostowski
Trapped In Blood And Bones
(Band 1)
Trapped In Blood And Bones
© 2024 VAJONA Verlag GmbH
Originalausgabe bei VAJONA Verlag GmbH
Lektorat: Sandy Brandt
Korrektorat: Sandy Brandt und Susann Chemnitzer
Umschlaggestaltung: Stephanie Saw
Satz: VAJONA Verlag GmbH, Oelsnitz
VAJONA Verlag GmbH
Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3
08606 Oelsnitz
Für Emil und Maja.
Hab euch lieb, ihr Quatschbirnen.
Der einzige Ausweg
Ein schwerer Stiefel donnerte gegen meine gebrochenen Rippen. Der Schmerz ließ helle Sterne vor meinen Augen tanzen, aber ich hatte weder die Kraft, mich schützend zusammenzurollen, noch ein Geräusch von mir zugeben.
»Ich glaube, der macht nicht mehr lange.« Durch das Rauschen in meinen Ohren klang Trents Stimme, als würde er über einen sterbenden Vogel reden und nicht über einen Menschen, den er seit vier Jahren kannte.
»Willst du ihn hier liegen lassen?«, fragte Conor.
»Wo soll er denn hin? Der hat nicht die Eier in der Hose, einfach abzuhauen. Falls er überhaupt noch mal aufsteht.«
Jemand lachte. Ich blinzelte, erkannte nicht mehr als drei verschwommene Schatten über mir.
»Von mir aus.« Trockenes Laub raschelte unter ihren Füßen, als sie sich von mir abwandten. Erleichterung löste die Enge in meiner Brust, während ich auf ihre leiser werdenden Stimmen lauschte.
»Und wer sagt Raffael, dass sein Hündchen gerade am Abkratzen ist?«
»Immer der, der fragt, Conor.« Trents arrogante Stimme hallte kaum hörbar durch den finsteren Wald, bis auch seine Schritte vollends verklangen.
Ich starrte durch die dichten Baumkronen über mir. Auf die vereinzelt schimmernden Punkte zwischen den Blättern. Sterne, deren Licht versuchte, zu mir zu gelangen. Mein Herz kämpfte verzweifelt darum, mich am Leben zu erhalten. Es schlug laut und schwer, während meine rasselnde Lunge mühsam neuen Sauerstoff in meinen Körper sog.
Wer hätte gedacht, dass sich mein Leben in solch einen Albtraum verwandeln würde.
Meine Lider fielen zu, nur mit Mühe konnte ich sie wieder öffnen. Ich wartete. Wusste nicht worauf. Vielleicht, dass die Monster wiederkamen, mich holten. Aber das taten sie nicht. Ich wartete weiter. Eine kalte Leere breitete sich in mir aus, legte einen grauen Schleier über meine Sinne. Die Welt wurde farblos, die Geräusche dumpf und die Gerüche fahl.
Meine Wunden heilten, die Schmerzen verblassten, aber die Erinnerungen blieben. Ich wartete. Minuten. Stunden. Langsam verfestigte sich ein einzelner Gedanke in meinem Kopf. Eine Entscheidung.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten, kämpfte mich stöhnend auf die Beine. Kurz drehte sich der Wald. Ich wankte leicht, bevor ich mir Blut und Dreck aus dem Gesicht wischte und mich umsah.
Ich schleppte mich in die Richtung, in der ich die Straße vermutete. Ein Schritt nach dem anderen. Mein Inneres fühlte sich taub an. Ich hatte weder Angst, noch war ich betrübt oder glücklich. Ich war nichts. Selbst mein Wolf lag still in mir. Ich spürte ihn kaum. Die Schrecken der letzten Jahre hatten ihn verkümmern lassen, sodass er sich in den tiefen Schatten meiner Seele versteckt hielt.
Ich erreichte den asphaltierten Weg, wusste, wohin ich gehen musste. Auch wenn Raffaels Drohung durch meinen Kopf hallte. Sie hatte keine Bedeutung mehr, wenn ich nicht mehr war.
Ich lief ohne ein Gefühl von Zeit. Nahm meine Umgebung kaum wahr, bis das Rauschen eines Flusses zur mir drang. Die Straße war verlassen, führte mich weiter auf eine Brücke zu. Ich lief an der flachen Seitenbegrenzung entlang, bis ich an dem hellblauen Stahlkonstrukt ankam, das sich wie ein Bogen über die Brücke formte.
Ich kletterte auf das schmale Geländer und hielt mich an den Stahlseilen fest.
Unter mir tobte der reißende Fluss. Die Brücke war nicht hoch, aber da ich nicht schwimmen konnte, sollte das kein Problem darstellen.
Dies war mein Ausweg. Der Einzige.
Ich seufzte. Hätte ich mich damals an Silvester nicht mit meinem Vater gestritten, wäre ich nie mitten in der Nacht in den Park gegangen, dann hätte mich auch nie diese wilde Bestie angegriffen. Mir wären die Schmerzen meiner ersten Verwandlung und die Angst und Verwirrtheit danach erspart geblieben. Und vor allem wäre ich nie auf Raffael getroffen.
Ich starrte über den Fluss, betrachtete das Glitzern der Sterne auf der Wasseroberfläche.
Niemand hatte mir erklärt, was das alles zu bedeuten hatte. Warum ich mich plötzlich in einen Wolf verwandeln konnte. Warum ich dieses animalische Bewusstsein in mir spürte, dessen Instinkte mit jeder Verwandlung auf meine Seele abfärbten.
Ich war nichts weiter als ein Gefangener. Ein Prügelknabe, Diener und persönliches Unterhaltungsprogramm.
Meine Hände krampften sich um den kühlen Stahl. Tränen brannten in meinen Augen und ließen die Welt vor mir verschwimmen.
Gegen meinen Willen dachte ich an meine Familie. An all die Lügen, die ich ihnen erzählen musste. An die Sorge in ihren Gesichtern, ihre Enttäuschung.
»Tut mir leid«, wisperte ich und der Wind riss mein leises Schluchzen mit sich.
Ohne mich seid ihr sicherer.
Ich schloss die Augen, holte tief Luft und – hörte hinter mir ein leises Knirschen.
Hastig drehte ich mich um. Mein Herzschlag beschleunigte sich, Panik raste durch meine Venen, während ich bereits befürchtete in Raffaels leere, grüne Augen zu blicken. Stattdessen hielt ein dunkler SUV einige Meter von mir entfernt. Die Tür öffnete sich und eine blonde, junge Frau stieg langsam aus. Sie hielt ihre Hände oben, während sie mich mit einem besorgten und zugleich wachsamen Ausdruck im Gesicht musterte.
»Hey.«
Der leichte Wind trieb ihre warme Stimme zu mir. Außerdem noch einen vertrauten Geruch, der meine Gliedmaßen zum Zittern brachte.
Ein Hauch von Leiche
Zwei Jahre später
An manchen Tagen verfluchte ich meine empfindliche Nase.
Noch bevor ich die schweren Schritte meines Kollegen hörte, roch ich ihn. Eine Wolke aus Schweiß, Knoblauch und ungewaschenen Füßen, dazu eine Prise Aftershave, die mir Tränen in die Augen trieb.
Hastig duckte ich mich hinter meinen Bildschirm, aber er hatte mich bereits entdeckt.
»Hey, Cael!«, rief Billy quer durch das leere Großraumbüro und eilte auf mich zu, als hätte er Angst, ich würde weglaufen.
Was ich auch getan hätte, wäre da nicht die mahnende Stimme meiner Mutter in meinem Kopf gewesen. Sei immer nett zu deinen Mitmenschen. Wer weiß, wofür du sie später noch brauchst. Also setzte ich ein Lächeln auf, während Billy neben meinem Schreibtisch zum Stehen kam. Er erinnerte mich immer an eine verwirrte Eule, mit seinen zerzausten Haaren und der großen, runden Brille.
»Was machst du denn noch hier?«, fragte er und wischte sich einen feuchten Film von der Oberlippe.
»Das Gleiche könnte ich dich fragen.« Meine Stimme klang belegt. Durch die stinkende Wolke drehte sich mir der Magen um und ich kämpfte gegen die Übelkeit an.
»Ach, du kennst doch den Boss. Wenn er etwas will, dann am besten gestern noch.«
Ich nickte verständnisvoll, bevor ich mir unauffällig eine Hand vor den Mund hielt.
Billy beugte sich näher zu mir.
O Gott!
»Sag mal, geht es dir nicht gut? Du siehst so blass aus.«
Ich winkte ab. »Nein, alles gut. Ich mache gleich Schluss und –«
»Dann ist endlich Wochenende!«, unterbrach er mich begeistert. »Irgendwelche spaßigen Pläne?«
Kopfschüttelnd wandte ich mich wieder meinem grellen Bildschirm zu. Ich hatte nicht vor, Billy von der Hochzeit zu erzählen.
»Wir spielen morgen Abend im Diddley’s. Wenn du Lust hast, komm vorbei, dann kann ich dir Cedric vorstellen.«
»Ja, vielleicht«, meinte ich ausweichend. Ich wusste, worauf Billy hinauswollte. Vor einigen Tagen waren wir ins Gespräch gekommen und er hatte mir von seiner Jazz-Band erzählt. Irgendwie war mir dann herausgerutscht, dass ich nicht nur Klavier spielen konnte, sondern auch Gitarre und Geige. Obwohl Letzteres nie meine Begeisterung hatte wecken können.
Wie es der Zufall wollte, suchte die Band gerade einen Ersatz für ihren ausgefallenen Pianisten. Billy hatte mir sofort angeboten, zum Vorspielen vorbeizukommen. Früher wäre es eine Riesenchance für mich gewesen. Aber heute trieb mir der Gedanke, vor Menschen zu spielen, den kalten Schweiß auf die Stirn.
»Morgen, zwanzig Uhr.« Er klopfte mir auf die Schulter. »Überleg’s dir.«
»Mach ich. Schönes Wochenende.«
Sobald Billy aus der Tür verschwunden war, schnappte ich mir eine Mappe und wedelte damit durch die Luft. Er war ein netter Kerl, vielleicht hätten wir sogar Freunde werden können, aber für meinen Geruchssinn war er eine absolute Qual.
Einer der vielen Nachteile, ein Werwolf zu sein.
Seufzend lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und dehnte meinen verspannten Nacken.
Jeder in meinem Rudel hätte spätestens nach einem Tag in meinem langweiligen Bürojob gekündigt. Dafür war der Drang nach Bewegung und Freiraum einfach zu groß. Nicht ohne Grund betrieb Alec, unser Alpha, eine große Tischlerei, in der auch einige aus dem Rudel arbeiteten.
Aber mich störte das ruhige, eintönige Leben an meinem kleinen Schreibtisch nicht. Die meiste Zeit gab es nur mich und meine Tapeten. Kariert, gestreift, mit rosa Elefanten oder schwarz in tausend verschiedenen Schattierungen. Ich sorgte dafür, dass jeder, der sein Haus renovierte, auf W&P Wallpaper stieß und sich dachte: »Hey, diese Tapeten sind verdammt teuer, aber ich muss sie haben!«
Mit Glück klingelte mein Telefon höchstens einmal am Tag. Meistens war es Grace aus dem Vertrieb, die fragte, ob ich auch etwas von Starbucks wollte, oder der Chef, der genau gesehen hatte, dass ich außerhalb meiner Pausen mit Grace quatschte.
Die Uhr zeigte mir drohend, dass es kurz vor neun war. Der Hausmeister wartete wahrscheinlich zähneknirschend am Empfang, dass ich endlich meinen Hintern aus diesem Gebäude beförderte. An jedem anderen Freitag wäre ich bereits vor Stunden nach Hause geradelt. Ich hätte das Wochenende mit meiner nagelneuen Xbox und einer Tüte Chips eingeläutet. Nur heute reizte ich die Zeit bis zum Ende aus.
Ich war nicht scharf auf die Hochzeit am Sonntag zwischen Alec, dem Alpha des Sauk-River-Rudels, und meiner besten Freundin Josie. Das lag nicht nur daran, dass mich ein Haufen dominanter, zum Teil fremder Wölfe nervös machte.
Bei Josies Frage, ob ich sie zum Traualtar führen würde, hatte ich tagelang nach einer Ausrede gesucht. Natürlich fand ich keine. Was wäre ich für ein Freund, wenn ich ablehnte?
Genau wie die meisten alten Wölfe hatte Josie keine Familie mehr. Irgendwann kam der Moment, an dem man den Kontakt abbrechen musste. Wie sollte man erklären, dass man mit sechzig noch genauso aussah wie mit zwanzig?
Und so war das Rudel alles, was wir noch hatten. Ein zusammengewürfelter Haufen Leute, die alle durch den Biss eines Werwolfs verflucht worden waren. Angeführt von einem Alpha, dessen Macht uns schützte und zu einer Einheit verband.
Als Rudelmitglied und bester Freund war es also meine Pflicht, diese Aufgabe zu übernehmen. Auch wenn das hieß, sie lächelnd in die Arme eines Mannes zu übergeben, obwohl ich mir nichts sehnlicher wünschte, als selbst dieser Mann zu sein.
Das Horrorwochenende rückte unerbittlich näher. Ich wollte nicht nach Hause. Der Hausmeister schon. Mittlerweile stand er keine drei Meter hinter mir und schnaufte wie ein wütender Grizzlybär.
»Sorry, ich beeil mich schon.« Hektisch schaltete ich alles aus, schnappte meinen abgewetzten, schwarzen Rucksack und eilte an dem grimmigen Mister-Filch-Verschnitt vorbei.
Draußen schälte ich mich aus meinem blauen Hemd. Es war nicht nur unbequem, sondern trug dank Billys Schulterklopfer nun eine leichte Note Schweiß.
Aus dem Rucksack kramte ich meinen dunkelgrauen Lieblings-Hoodie und streifte ihn über. Ich streckte und reckte mich ausgiebig, dehnte ächzend die verspannten Muskeln.
Für Ende Mai war die Luft erstaunlich warm. Kurz überlegte ich, den Hoodie wieder auszuziehen, entschied mich jedoch dagegen. Die Sonne war gerade erst untergegangen, die Kälte der Nacht wartete bereits hinter der nächsten Ecke.
Rechts vom Gebäude neben einem kleinen Parkplatz stand mein Fahrrad. Ich holte es und schwang mich auf den Sattel.
Bevor ich in die Pedale trat, hielt ich schwankend inne. Ich konnte nicht genau sagen, warum. Ein ungutes Gefühl, ein feines Prickeln im Nacken. Aufmerksam sah ich zu allen Seiten, schärfte meine Sinne. Autos fuhren vorbei, eine Handvoll Leute eilte hektisch über den Bürgersteig. Es roch nach Abgasen, feuchtem Gras und dem alten Fett des runtergekommenen Burgerladens zwei Blocks entfernt.
Nichts Ungewöhnliches. Warum fühlte ich mich dann wie das nächste Opfer aus Scream?
Mein Bauch knurrte, sodass ich den Gedanken vorerst beiseiteschob.
Kurzentschlossen fuhr ich zu dem nächstgelegenen Subway.
Ein Schwall aus vertrauten Gerüchen wehte mir entgegen. Aufgebackenes Brot, frische Zwiebeln, Knoblauchsoße und eine süße Prise Cookies.
»Hey Cael!«, begrüßte mich ein junger blonder Mann hinter dem Tresen. Brad? Charles? Keine Ahnung. Woher kannte er überhaupt meinen Namen? Ich kam höchstens zweimal die Woche hierher.
»Das Übliche?«
Vielleicht auch dreimal.
»Hey … du. Ja, wie immer.« Ich reckte ihm den Daumen entgegen und wartete, mit nervösem Blick auf die Tür, auf meine beiden großen Sandwiches. Doppelt Rindfleisch, doppelt Käse, ohne Soße.
Ein bulliger Mann in Lederjacke trat ein. Ich spannte meine Muskeln an, bereit, so schnell wie möglich die Biege zu machen. Aber statt sich auf mich zu stürzen, setzte er sich an einen der Tische und brüllte seine Bestellung quer durch den Raum.
Entspann dich, Cael. Du bist ein Werwolf! Ein blutrünstiges Monster aus Dutzenden Horrorfilmen.
Mein Atem beruhigte sich langsam, trotzdem zuckte ich zusammen, als die Tüte mit den Sandwiches neben mir auf dem Tresen landete.
»Guten Hunger, wünsch ich euch.«
Euch, hahaha. Ohne ihn aufzuklären, dass ich diese göttlichen Köstlichkeiten mit niemandem teilen wollte, bezahlte ich und verstaute mein baldiges Mahl in meinem Rucksack. Voller Vorfreude und mit ein bisschen zu viel Speichel im Mund, trat ich aus dem Laden und schob das Fahrrad an.
Mitten in der Bewegung erstarrte ich. Ein nervöses Knurren vibrierte in meiner Brust.
Dieses Mal spürte ich es deutlich. Ein unangenehmes Prickeln zwischen den Schulterblättern. Irgendetwas war hier. Beobachtete mich. Noch immer konnte ich nichts wittern, was meinen inneren Wolf völlig verrückt machte.
Okay, ganz ruhig. Wer oder was könnte es auf dich abgesehen haben?
Ein anderer Werwolf? Kurz dachte ich an mein altes Rudel. An Raffael. Hatte er mich gefunden? Der Gedanke trieb mir Angstschweiß auf die Stirn. Nein. St. Cloud war Alecs Revier. Kein fremder Wolf würde es wagen, unerlaubt einzudringen, geschweige denn, jemanden anzugreifen. Ich schob den Gedanken an Raffael beiseite.
Vielleicht waren es Hexen? Aber wenn es hier welche gab, wussten wir nichts davon. Warum sollten sie die Tatsache plötzlich ändern und mich verfolgen?
Blieben noch Vampire oder verrückte, menschliche Monsterjäger, die plötzlich von unserer Existenz erfahren hatten. Beide Möglichkeiten sorgten nicht dafür, dass ich mich besser fühlte.
Mit weichen Knien schloss ich das Fahrrad an der nächsten Laterne an. Ohne den alten Drahtesel konnte ich mich und mein Essen besser verteidigen.
Moment! Verteidigen? Heilige Scheiße! Ich konnte mich gar nicht verteidigen!
Alec zwang mich regelmäßig, mit ihm oder Josie zu trainieren, aber Kämpfen lag mir nicht.
Gegen Menschen hätte ich vielleicht noch eine Chance, aber Vampire?
Nervös sah ich die Straße rauf und runter.
Sie dürfen mir nichts tun.
Theoretisch.
Praktisch sah es vielleicht etwas anders aus.
Zwischen Vampiren, Hexen und Werwölfen herrschte eine Abneigung aus Prinzip. Die ständigen Kämpfe der letzten Jahrhunderte hatten nicht nur zu vielen Verlusten geführt, sondern auch die Aufmerksamkeit der Menschen auf uns gezogen. Allein stellte ein Mensch kaum eine Bedrohung dar, aber zusammen waren sie uns zahlenmäßig überlegen. Also hatten sich die Anführer zu einem Bündnis zusammengeschlossen und einen Friedenspakt ausgehandelt.
Das war weit vor meiner Zeit gewesen. Heutzutage ging man sich größtenteils aus dem Weg. Trotzdem stellten sich mir jedes Mal die Nackenhaare auf, wenn ich einem Vampir begegnete. Ich traute diesen Blutsaugern nicht. Es kursierten genügend Horrorgeschichten über verrückte Vampire, die süchtig nach Werwolfblut waren, über geheime Käfigkämpfe oder über Vampire, die nur so zum Spaß Werwölfe töteten.
Mittlerweile war ich mir ziemlich sicher, dass hier ein oder mehrere Vampire lauerten.
Entgegen aller Vernunft breitete sich die Panik wie ein Lauffeuer in mir aus.
Es war bereits dunkel. Die Laternen spendeten mehr Schatten als Licht.
Zu Fuß würde ich eine Ewigkeit nach Hause brauchen. Aber das Fahrrad stand nicht zur Diskussion, genauso wenig die Verwandlung in einen Wolf. In den knapp fünf Minuten, die ich dafür brauchte, wäre ich ein leichtes Ziel.
Immer wieder sah ich mich um, entdeckte aber niemanden. Doch das Prickeln zwischen den Schulterblättern hielt sich hartnäckig. Mit schnellen Schritten eilte ich an einer bereits geschlossenen Autowerkstatt vorbei. Links von mir lag ein gespenstiger Hof mit wenigen ausgeschlachteten Fahrzeugen. Das Licht brannte nur spärlich.
Dank meiner Verwandlung vor sechs Jahren konnte ich gut im Dunkeln sehen, trotzdem fühlte es sich unheimlich an.
Sie durften mir nichts tun. Aber warum hatte ich das ungute Gefühl, dass es meinen Verfolgern egal war? Vielleicht wollten sie mir nur Angst einjagen, aber sicher war sicher. Selbst wenn ich am Ende als Feigling dastand, fummelte ich mein Handy aus der Hosentasche und wählte die Nummer von Alecs Zuhause.
Das Haus eines Alphas war so gut wie nie leer. Es bot jedem Rudelmitglied zu jeder Zeit einen sicheren Rückzugsort. Es würde also jemand ran gehen – hoffentlich.
Laut dröhnte das Klingeln in meinen Ohren, während ich hastig weiterging. Vorbei an dem großen Werbeschild der Werkstatt, dessen Neonbeleuchtung in unregelmäßigen Abständen aufflackerte und unheilvoll summte.
Kurz bevor meine Panik eine neue Intensität annehmen konnte, nahm jemand ab.
»Owen«, hörte ich die tiefe, brummende Stimme von Alecs Stellvertreter.
»H-hier ist C-Cael«, stotterte ich heiser. »Joe’s Autowerkstatt, V-Vampire. Ich weiß nicht … also vielleicht –«
»Sind unterwegs«, unterbrach er mich und legte auf.
Mit dem tutenden Handy am Ohr drehte ich mich erneut um.
Da standen sie.
Vor Schreck stolperte ich über meine Füße. Keine zehn Meter hinter mir liefen zwei Vampire so entspannt, als wären sie bei einem romantischen Abendspaziergang. Sie grinsten, entblößten dabei ihre spitzen Eckzähne. Übelkeit ließ mich schwanken. Das Handy fiel mir aus der schwitzigen Hand.
Ich war am Arsch.
Eilig wich ich zurück. Doch der Abstand verringerte sich zusehends. Ich brauchte gar nicht erst versuchen wegzurennen. Das weckte nur ihren Jagdinstinkt und Vampire waren deutlich schneller als Werwölfe.
Je näher sie kamen, desto besser konnte ich sie erkennen. Einen Mann in dunklen Jeans und einem langen schwarzen Mantel. Mit den nach hinten gekämmten blonden Haaren wirkte sein Gesicht scharfkantig und kalt. Der andere Vampir war eine Frau mit rotem welligen Haar. Ihre dürre Gestalt steckte in einer weinroten Ledermontur. Dunkle Augen musterten mich gierig.
Diese beiden wollten mir definitiv nicht nur Angst einjagen. Wenn mein Rudel nicht rechtzeitig auftauchte, wäre ich nur noch eine blutleere Leiche, versteckt im Kofferraum eines alten rostigen Autos.
Keine Panik! Keine PANIK! Die Vampire kamen schnell näher, ich hielt nicht an. Alecs Selbstverteidigungstraining kam mir in den Sinn. Was hatte er mir immer gesagt? Angestrengt dachte ich an die letzte Stunde. Shit, ich hatte keinen blassen Schimmer. Ich war kein Kämpfer. Ein Werwolf ja, aber mehr auch nicht. Nicht stark, nicht mutig. Noch nicht einmal groß. Einfach nichts.
Kein Wunder, dass Josie auf Alec stand und nicht auf mich. Der große, starke, nette Alec. Ein Leitwolf, ein Held. Mit eigener Firma und eigenem Anwesen. Wie konnte ich da mithalten? Gar nicht.
Aber wenn mich diese Vampire gleich zerfleischten, müsste ich immerhin nicht an der Trauung teilnehmen.
Ein freudloses Lächeln glitt über meine Lippen.
»Was ist denn so lustig, kleiner Welpe?«, schnurrte die rothaarige Vampirin.
Als Antwort fletschte ich grollend die Zähne. Ich musste die beiden hinhalten, so lange bis das Rudel mich rettete. Nur kam kein Wort über meine Lippen. Zu meinem Pech stieß ich in diesem Moment mit dem Rucksack auf meinem Rücken gegen eine Mauer.
Ich saß in der Falle.
Rette mich, wer kann
»So ein ängstlicher Welpe«, flüsterte die Rothaarige.
Ohne Vorwarnung knallte mein Hinterkopf schmerzhaft gegen die Mauer. Sterne explodierten vor meinen Augen. Ich realisierte voll Entsetzen, dass mich eine eiskalte Hand an der Kehle gepackt hatte und mich gegen die kalten Steine presste. Für einen kurzen unsinnigen Moment dachte ich an das Essen in meinem Rucksack und hoffte, dass es das Ganze unbeschadet überstand.
Das Gesicht der Vampirin war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Eine flinke rosa Zunge huschte über kirschrote Lippen und spitze Eckzähne.
O Scheiße!
Ich wusste, dass Vampire schnell waren, aber es am eigenen Leib zu spüren, machte mir eine höllische Angst. Verzweifelt zerrte ich an ihrem Handgelenk, um ihren Griff zu lockern. Vergebens. Ihre Fingernägel bohrten sich schmerzhaft tief in meine Haut, während sie mich Stück für Stück an der Mauer hochschob. Meine Füße baumelten hilflos in der Luft, der Druck um meinen Hals verstärkte sich. Der plötzliche Sauerstoffmangel löste eine wilde Panik in mir aus. Mein Herz raste, kalter Schweiß drang aus jeder Pore. Unkontrolliert trat ich um mich, aber das beeindruckte die Vampirin nicht.
»I-Ir … ni –«
»Sch-sch, alles ist gut«, besänftigte mich die Vampirin, als wäre ich ein weinendes Kind. Sie musterte mich neugierig aus unnatürlich weiten Pupillen. Es sah aus, als überlegte sie, ob sie mich jetzt gleich essen wollte oder lieber morgen zum Frühstück.
Mit weit aufgerissenen Augen versuchte ich, so unappetitlich wie möglich auszusehen. Was nicht schwer sein dürfte, denn ich spürte bereits, wie mein Kopf rot anlief, weil ich zu wenig Luft bekam. Gleich würden meine Augen aus den Höhlen ploppen, wie bei einer albernen Zeichentrickfigur. Wenn die Situation nicht so unglaublich beängstigend gewesen wäre, hätte ich über den Gedanken gelacht.
»Isabelle, ist das dein Ernst?«
Ich stellte mein Gezappel ein und richtete zögernd meinen Blick auf den anderen Vampir. Sein Gesicht wirkte wie gemeißelt. Keine Falten, keine Unebenheit, keine Miene. Er blinzelte nicht einmal.
»Du willst diesen Schwächling doch nicht mitnehmen? Der würde nicht mal eine Minute überleben.«
Ich hatte keine Ahnung, wovon dieser Kerl sprach, aber er war mir sofort sympathisch.
»Rrag … nen –«, röchelte ich, was so viel bedeutete wie: Hör auf deinen Kumpel, gruselige Lady.
»Suchen wir uns einen anderen, bevor seine Leute kommen«, fuhr er ungeduldig fort.
»Ich will den hier aber haben«, gurrte die Vampirin. »Er riecht so gut«, wisperte sie und lächelte mich süffisant an. Das Herz rutschte mir in die Hose.
Ich will dich aber nicht! Panisch sah ich an den beiden vorbei. Wo blieben die anderen? Kamen sie überhaupt? Machten sie sich die Mühe, mich zu retten?
»Isabelle!«
»Lorenz!«, äffte sie den Typen nach, dabei lockerte sie ein wenig den Griff um meinen Hals. »Er gehört mir, verstanden? Wir suchen uns einfach noch einen Flohfänger in einer anderen Stadt.« Sie kniff die Augen zusammen. Ihr Grinsen verhieß nichts Gutes. »Aber zuerst möchte ich ihn kosten.«
Noch bevor ich die Worte richtig verstand, fixierte sie mit der freien Hand meinen rechten Arm und ihr Kopf ruckte vor. Spitze Eckzähne drangen durch die dünne Haut an meinem Handrücken. Ich schrie erstickt auf, mehr vor Angst als vor Schmerz. Ihre kalten Lippen schlossen sich um die Wunde und mit leisem Stöhnen begann sie zu saugen. Übelkeit stieg in mir auf. Ich spürte, wie das Blut durch meine Venen gesogen wurde, wie ihre widerliche, weiche Zunge meine Haut liebkoste. Mit jedem Schluck erzitterte mein Körper und ein dumpfes Gefühl legte sich über meine Sinne.
Vor meinem inneren Auge tauchte der rostige Kofferraum wieder auf.
Ob Josie wohl weint, wenn sie meine verschrumpelte Leiche sieht?
Motorengeräusche unterbrachen meine verstörenden Gedanken, vertrieben kurzzeitig den Nebel aus meinem Kopf.
»Verdammt, Isabelle!«
Sie reagierte nicht auf den anderen Vampir.
Erst als ein dunkelblauer SUV mit quietschenden Reifen hinter den Vampiren hielt, riss sie ihre Zähne aus meinem Fleisch. Dunkle Flecken tanzten vor meinen Augen, während ich mich an ihren kalten Arm klammerte.
Sie waren gekommen! Ich wäre vor Erleichterung zusammen gesackt, wenn mich nicht gerade eine Hand gewürgt hätte.
Josie und Alec stiegen zeitgleich aus dem Wagen. Ihre Bewegungen waren langsam und kontrolliert, während goldene Augen vor Zorn leuchteten. Sie taxierten die Vampire und kamen langsam näher. Hinter ihnen tauchte der schwarze Pick-up von Owen auf, aus dem neben Owen auch Quentin ausstieg.
Die Luft flimmerte vor Anspannung und die Wut meines Rudels kratzte wie Krallen über meine Haut.
Alec fixierte die Vampire und kam einen bedrohlichen Schritt näher.
Aus der Ferne wirkte er wie ein netter, durchschnittlicher Sportlehrer an der Highschool. Verblasste Jeans, dunkles Shirt mit einem offenen Hemd. Dazu kurze braune Haare, gepflegter Drei-Tage-Bart. Seine Statur glich eher einem Läufer, statt einem Bodybuilder.
Ein durchschnittlicher Typ, bis man ihm in die Augen sah. Auch ohne das verräterische Gold zwang der Ausdruck in ihnen, dass man sich instinktiv duckte und schnell das Weite suchte.
»Lasst ihn sofort frei!« Seine dunkle Stimme donnerte durch die Nacht. Die wilde Macht darin traf mich mit voller Wucht, sodass ich unwillkürlich winselte.
Er war verdammt wütend.
Innerlich zeigte ich diesen Blutegeln tanzend meinen Mittelfinger. Äußerlich hing ich weiterhin wie ein zuckender Lachs in Isabelles Griff, die weder ihre Hand von meinem Hals noch von meinem Arm gelöst hatte. Ihr starrer Blick und der schmerzhaft pochende Biss erinnerten mich daran, dass die Gefahr noch nicht vorüber war.
»Meine Herren, meine Dame«, säuselte Lorenz völlig unbeeindruckt. »Bitte verzeihen Sie die Unannehmlichkeit, meine Begleiterin ist noch etwas … ungehalten in der Gegenwart von Wölfen. Es gab da –«
»Ich sage es nicht noch einmal«, drohte Alec leise. An seinen Händen bildeten sich bereits Krallen. Obwohl er mein Alpha war, hatte ich in diesem Moment eine Heidenangst vor ihm.
Lorenz hob abwehrend die Hände und sah zu Isabelle und mir. Ich erstarrte, als sie ihre spitzen Nägel in meine Haut bohrte.
»Isabelle!«
Sie fletschte die blutverschmierten Zähne.
Ich sah schon, wie sie mir die Kehle zerfetzte und in meinem Blut badete wie Kleopatra in Milch.
»Isabelle!« Lorenz zischende Stimme bewirkte etwas. Sie schloss resigniert die Augen und ließ mich frei.
Unsanft landete ich auf dem Boden. Ohne Zeit zu verschwenden, kroch ich hustend über den Asphalt Richtung Alec. Owen kam mir entgegen, packte mich auf halber Strecke am Kragen und zog mich von den Vampiren fort. Erleichtert blieb ich neben ihm auf dem kühlen Boden sitzen. Vorerst hatte ich genug damit zu tun, neuen Sauerstoff in meine Lunge zu bekommen. Jeder Atemzug brannte wie Feuer, aber es kümmerte mich nicht. Ich war in Sicherheit.
Owen tätschelte kurz meinen Kopf. »Alles klar, Kleiner?«
Ich nickte, obwohl mich das rothaarige Biest anstarrte, als wäre ich ein saftiger Burger.
»Seien Sie versichert, dass mir dieser Zwischenfall sehr unangenehm ist«, schwafelte Lorenz weiter. »Ihrem Wolf wäre nichts Schlimmeres geschehen. Ich hatte die Situation im Griff und meiner Begleiterin wird eine gerechte Strafe zuteil.«
Ich konnte nicht fassen, wie dreist dieser Kerl log. Zittrig umfasste ich meine blutige Hand. Die Wunde schloss sich bereits, aber das grässliche Gefühl ihrer Zähne unter der Haut blieb. Wie zwei glühende Nägel, die bis zu meiner Seele dringen wollten.
Wenn das Rudel nicht gekommen wäre, wäre ich jetzt tot oder Schlimmeres. Ein versklavtes Schoßhündchen, für immer dazu verdammt, als lebender Blutbeutel herzuhalten. Bei dem Gedanken zogen sich meine Eingeweide zusammen.
Alec nahm Lorenz das Gerede offenbar ebenso wenig ab, denn er ging einen weiteren Schritt auf ihn zu, sodass ihre Gesichter nur wenige Zentimeter trennten.
»Ihr seid nur noch nicht tot, weil ich Anthony schätze und nicht glaube, dass er von diesem Angriff weiß.« Seine Stimme klang eisig. »Aber wenn ich einen von euch noch einmal in der Nähe einer meiner Wölfe sehe, ertränke ich euch in Weihwasser, reiße euch den Kopf von den verwesten Körpern und lasse euch in der Sonne verbrutzeln – nur zur Sicherheit.«
Was folgte, war eine so angespannte Atmosphäre, dass ich meine Versuche, zu atmen, einstellte. Lorenz und Alec lieferten sich ein stummes Blickduell. Hätte in diesem Moment auch nur einer von uns geniest, wäre die Hölle ausgebrochen.
Schließlich neigte der Vampir seinen Kopf und verschwand zusammen mit Isabelle.
Scotty hatte sie hoch gebeamt. Der Gedanke war angenehmer als der, dass sie sich unglaublich schnell bewegen konnten.
Die unheimliche Stimmung hielt noch einige Herzschläge an. Irgendwo hupte ein Auto und erst dann atmeten wir alle auf.
Owen half mir auf die Füße. Im nächsten Moment zog Josie mich in eine kräftige Umarmung, die ich ihrer zierlichen Gestalt nicht zugetraut hätte.
»Geht’s dir gut?« Besorgt musterte sie mich aus goldenen Augen. Wenn uns nicht gerade Vampire bedrohten, hatten sie die Farbe von verwaschenem Grün. Ihre langen blonden Haare waren zu einem engen Zopf geflochten. Ich mochte sie lieber offen, dann flossen sie wie ein honigfarbener Fluss ihren Rücken hinab. Innerlich gab ich mir eine Ohrfeige. Ich musste diese peinlichen Schwärmereien loswerden.
Äußerlich nickte ich schlapp.
»Ich habe mir solche Sorgen gemacht!« Sie drückte mich noch einmal fest an ihren weichen Körper. Ich seufzte leise.
Neben mir fuhr sich Quentin über den kahlrasierten Schädel. Mit seiner dunklen Haut und den rabenschwarzen Klamotten wirkte er wie ein furchterregender Schatten.
»Was war das denn für ein Scheiß?«, brummte er mit tiefer, grollender Stimme. Ein Zeichen, dass sein Wolf nah unter der Oberfläche lauerte.
Ich wusste, dass die Wut in seinem Gesicht nicht mir galt. Trotzdem duckte ich mich unter seinem eindringlichen Blick.
Da ich meiner Stimme noch nicht traute, hob ich die Schultern, bevor sich Alecs wölfische Augen auf mich hefteten. Ich zuckte zusammen und musste mich zwingen, nicht vor ihm zurückzuweichen. Nur mit Mühe und Not blieb ich stehen, trat stattdessen unruhig von einem auf den anderen Fuß. Er kam auf mich zu und packte mein Handgelenk. Erschrocken holte ich Luft, aber er musterte lediglich das Blut über der verheilten Wunde.
»Weißt du, was sie von dir wollten, außer deinem Blut?«
»Meine Telefonnummer?«
Unsicher lachte ich auf. Es klang wie Sandpapier. Er schnaubte gereizt und ich sah schnell auf meine abgenutzten Schuhe. »Nicht wirklich«, krächzte ich heiser. »Sie stritten sich über … mich. Glaube ich. Die Frau – Isabelle – wollte mich behalten, der Typ aber nicht.«
»Behalten?«, fragte Josie.
Ich schielte kurz in ihre Richtung. Unter der rosa Sweatshirt Jacke trug sie ein Bambi T-Shirt. Der Anblick des unschuldigen Rehs fühlte sich angesichts der Situation befremdlich an.
»Sie wollten mich mitnehmen und noch jemanden anderen suchen. Mehr weiß ich nicht.«
Bei dem Gedanken schluckte ich schwer.
Owen stand mit verschränkten Armen neben Quentin und schaute sich wachsam um. »Glaubst du, Tony hat etwas damit zu tun?«
»Schwer zu glauben.« Alec ließ seine Nackenwirbel knacken. Seine Anspannung löste sich ein wenig und damit auch meine. Vor einem verärgerten Alpha zu stehen, war in etwa so entspannend wie eine Blinddarmoperation ohne Narkose.
»Was hätte er davon meinen Zorn und die Aufmerksamkeit des Bündnisses auf sich zu lenken?«
»Ich glaube nicht mal, dass sie zu seinem Clan gehören.« Ich sah zu Josie auf, die sich nachdenklich an der Nase kratzte. »Irgendetwas war seltsam an den beiden.«
»Sind Vampire nicht immer seltsam?« Owen grinste, was eher an ein Zähnefletschen erinnerte, während Josie nur mit den Augen rollte und sich gegen Alec schmiegte.
»Ich rufe Tony nachher an. Vielleicht weiß er etwas über die beiden Vampire«, fuhr Alec dazwischen, bevor ich seinen Blick erneut auf mir spürte. »Alles klar bei dir?«
Ich nickte. Er war ein guter Alpha. Auch wenn sich jedes Mal spitze Dornen in mein Herz bohrten, wenn ich ihn und Josie zusammen sah. »Gut.« Er gab mir einen kräftigen Klaps auf die Schulter. »Ab nach Hause. Wir haben ein anstrengendes Wochenende vor uns.«
»He!« Josie rückte von ihm ab und stemmte die Hände in die Hüften. »Anstrengend? Wir heiraten! Aber wenn du nicht mehr willst, such ich mir halt jemand anderen.«
Mich zum Beispiel. Haha. Den engen Knoten in meiner Brust ignorierte ich gekonnt.
Alec grinste schief, nahm sie in den Arm und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss.
Ich wandte mich ab.
Hätte ja klappen können.
Aus dem Augenwinkel entdeckte ich mein Handy. Zwei Risse zogen sich quer über das Display. Aber als ich den Bildschirm berührte, schien alles zu funktionieren. Ein Hoch auf Panzerglasfolien. Ich steckte es in meine Hosentasche, bevor ich mir erschöpft über das Gesicht rieb.
Der Gedanke an mein Sofa war noch nie so verlockend gewesen wie jetzt. Das nachlassende Adrenalin ließ meine Knie zittern und ich spürte noch immer die eiskalte Hand der Vampirin an meiner Kehle.
»Cael«, hörte ich Alec schließlich sagen. »Du fährst bei Owen mit. Hol aus deiner Wohnung alles, was du für das Wochenende brauchst. Du bleibst erst mal bei uns.«
»Was?« Nein!
Das meinte er nicht ernst. Ich begegnete Josies Blick, die mitfühlend den Mund verzog. Sie wusste, wie unwohl ich mich im Herzen des Rudels fühlte.
»Also eigentlich –«
»Keine Widerrede«, unterbrach er mich forsch. Ich biss die Zähne zusammen.
»Solange diese Vampire noch in der Nähe sind, lasse ich dich nicht allein in der Stadt zurück.«
Verdammt, ich hatte keine Lust, das Wochenende über Alec und Josie beim Turteln zu beobachten. Dazu der ganze Trubel rund um die Hochzeit. Noch schlimmer konnten die nächsten Tage nicht werden.
Eine große, glückliche Familie
Grummelnd holte ich meinen Anzug aus dem Schrank, bevor ich noch schnell ein Paar Socken und andere Wechselsachen in meinen Rucksack stopfte. Sehnsüchtig sah ich zwischen Sofa und Xbox hin und her.
Scheiß Vampire. Scheiß Hochzeit.
Owen betrachtete interessiert die Bilder an meinem Kühlschrank. Es gab ein paar Aufnahmen von meiner Familie. Mein großer Bruder Shaw, der seinen Sohn Arthur auf den Schultern trug, den ich nur von Fotos oder Videos kannte. Ein altes Familienbild aus der Highschool-Zeit. Meine Eltern hielten sich strahlend in den Armen. Ich verschwand beinahe in dem übergroßen weißen T-Shirt und der tief hängenden Jeans. Mein Bruder hielt stolz eine Urkunde in die Kamera. Auf einem anderen Bild hielten Shaw und ich uns mitten auf einem Holi Festival in den Armen. Grinsend mit abstehenden Haaren, Sonnenbrillen und unter dem bunten Farbpulver kaum zu erkennen. Bei den Erinnerungen verkrampfte sich mein Magen. Es waren schöne, unbeschwerte Zeiten gewesen, kurz bevor es mit meinem Leben bergab gegangen war.
Neben einem Gruppenbild von unserem Rudel und einem von Josie und mir vor einer XXL-Pizza, gab es noch ein Foto, wie Owen und ich voller Konzentration Mario Kart spielten. Natürlich hatte ich gewonnen. Niemand konnte mir in diesem Spiel das Wasser reichen. Was auch Owen schnell lernen musste. Seine Wette ging damals nach hinten los und am Ende war er derjenige, der sich seine Haare abrasieren musste. Offenbar hatte es ihn nicht gestört, denn er trug sie noch immer nur wenige Millimeter lang.
»Wie fühlst du dich?«, fragte er, ohne den Blick von den Bildern abzuwenden.
»Geht schon. Die Vampire sind bestimmt schon über alle Berge.«
»Das meinte ich nicht.«
Überrascht sah ich auf.
»Josie wird Sonntag heiraten.«
Ich verkrampfte mich. Mit einem Mal kam mir die Einraumwohnung kleiner vor als sonst. »Ich weiß.«
»Wirst du damit klarkommen?«
Verunsichert von seinen Fragen, wandte ich mich Richtung Tür, schulterte den Rucksack, schnappte mir Anzug und Schlüssel.
»Der Trubel hat ja bald ein Ende –«
»Cael, verkauf mich nicht für dumm.«
Owen folgte mir aus der Wohnung. Unwohl, einen so dominanten Wolf im Rücken zu haben, eilte ich die Treppe hinunter.
»Du liebst sie«, fuhr er fort.
Ich stolperte zwei Stufen hinunter und konnte mich gerade noch am Geländer festhalten. Woher …?
»Und Sonntag heiratet sie einen anderen Mann. Das ist nicht so einfach zu verdauen.«
Mit hastigen Schritten trat ich raus auf die Straße, an der Owens Pick-up stand. Ich holte ein paar Mal tief Luft, beruhigte meine Nerven und mein Herz.
»Woher weißt du es?«, fragte ich in bemüht lässigem Tonfall.
Hey, ist ja nichts Besonderes. Jeder verliebt sich mal in die Gefährtin des Alphas, oder?
Owen lachte auf. »Tut mir leid, Kleiner. Aber es ist so offensichtlich, da könntest du dir direkt ein Schild um den Hals hängen: Ich bin in Josie Grant verknallt.«
Das Blut schoss mir in den Kopf und ich fuhr mir gequält durch die Haare.
»Weiß es Alec auch? Und … o mein Gott, weiß es Josie?« Panisch sah ich zu Owen. Er fuhr sich durch die millimeterkurzen Haare. Sein schwarzes T-Shirt spannte, als er die Arme verschränkte. Der Anblick ließ mich frösteln. Jede Wette, dass er selbst in der Arktis mit einem dünnen T-Shirt herumlaufen würde. Seine dunkelblauen Augen musterten mich. Schnell senkte ich den Blick. Auch wenn ich Owen mochte, war er als Zweiter im Rudel Alecs Beta und somit beinahe so dominant und stark wie der Alpha selbst.
»Ich habe keine Ahnung, ob Josie es weiß. Du weißt ja, wie sie ist. Es grenzt schon an ein Wunder, dass Alec sie zu der großen Hochzeit überreden konnte.«
Das hatte sogar mich überrascht.
Josie war nie der Typ für Romantik oder Kitsch gewesen. Sie war witzig, etwas verrückt, stark und mutig, aber romantisch war kein Wort, mit dem ich sie beschreiben würde. Letztes Jahr an Valentinstag hatte sie sich mehr über den Kasten Bier gefreut, den Zac ins Haus getragen hatte, als über den Strauß Rosen von Alec.
»Aber Alec weiß es«, sagte Owen. »Er ist schließlich unser Alpha.«
Eine tiefverwurzelte Angst stieg in mir hoch, ließ meinen Körper zittern wie Espenlaub.
»Dann wird er mich bestimmt bald aus dem Rudel werfen.« Am liebsten hätte ich mir das zittrige Lachen selbst aus dem Gesicht geschlagen.
»Was?« Owen sah mich überrascht an. Als ich nicht antwortete, packte er mich an den Schultern und schüttelte mich leicht. »Hey, entspann dich. Er wird dich nicht rauswerfen. Was denkst du denn von ihm? Du hast Josie noch nie Avancen gemacht, noch nie versucht, mit ihr zu flirten oder geschweige denn, dich irgendwie zwischen sie gedrängt. Du bist verliebt in sie, ja. Aber so mies das für dich ist, Josie ist es nicht. Du bist keine Gefahr für ihn.«
Ich schluckte die bittere Galle herunter, aber Owen hatte recht. Josie war für mich immer schon mehr gewesen. Sie hatte mein Leben gerettet, mich in Alecs Rudel gebracht, ihr verdankte ich alles. Sie war alles für mich. Ein sicherer Hafen, ein Anker in dieser erbarmungslosen Welt voll Schrecken und wahrgewordener Albträume.
Aber Josie sah in mir nur ihren besten Freund. Jemanden, der jederzeit für sie da war, bei dem sie ihre Gedanken laut aussprechen oder sorglos herumalbern konnte. Egal, was ich tat, es würde nie mehr sein.
Ich presste die Lippen zusammen, versuchte, den kalten, schweren Stein auf meinem Herzen nicht zu beachten.
»Mach dir keine Sorgen, okay? Alec wird dich niemals einfach so aus dem Rudel werfen. Ich wette, du wirst schon bald jemanden kennenlernen, der dich genauso ansieht wie du Josie.«
Zweifelnd runzelte ich die Stirn, bevor mir Owen die Haare verwuschelte, als wäre ich ein kleiner Junge. Das steigerte mein Selbstwertgefühl ungemein.
»Vertrau mir.«
Ich schnaubte. »Wer will mich schon haben? Ich bin ganz unten im Rudel. Der Unterwürfigste von allen. Ich werde nie jemanden finden.«
»Und wenn doch?«
Genervt warf ich die Arme in die Luft. »Dann bekommst du meine Xbox, okay? Lass uns bitte das Thema wechseln.«
»Deal.« Owens wölfisches Grinsen wurde weicher, als er gegen meinen Willen fortfuhr.
»Es dreht sich nicht alles um den Rang, Dominanz und Unterwerfung. Wenn man jemanden trifft, dann entscheidet das Herz und nicht der Verstand.«
Ich verdrehte die Augen. »Ich wusste gar nicht, dass du so ein Romantiker bist.«
Owen lachte. »Komm jetzt! Es warten zwei verliebte Wölfe auf dich.«
Nachdem wir mein Fahrrad eingesammelt hatten, erreichten wir gegen elf Uhr das Haus von Alec. Es lag außerhalb von St. Cloud am Rande eines Waldgebietes. Umgeben von Bäumen führte eine schmale Zufahrtsstraße zu dem Anwesen, das Platz für das gesamte Rudel bot.
Owen parkte das Auto auf einer kiesbedeckten Parkfläche rechts vom Haus. Dort standen bereits fünf andere Autos. Warum war das halbe Rudel hier? Die letzten Hochzeitsvorbereitungen standen erst für morgen Nachmittag auf dem Programm.
Vielleicht wegen dem Zwischenfall mit den Vampiren? Dabei wollte ich mich eigentlich nur mit meinen kalten Sandwiches ins Bett verkriechen.
Müde stieg ich mit meinem Gepäck aus und schlurfte an dem kleinen, dicht bepflanzten Vorgarten vorbei. Ich öffnete die breite Eichentür, streifte meine Schuhe ab und betrat den großen, offenen Wohn- und Essbereich. Sofort richteten sich mehrere Augenpaare auf mich.
»Hey.«
Mit erhobener Hand stand ich im Türrahmen und fühlte mich nicht nur dämlich, sondern auch unwohl, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein. Zum Glück kam in dem Moment ein roter Lockenkopf auf mich zu gestürmt. Rachel umarmte mich überschwänglich und drückte mich mit solcher Kraft, dass eine meiner Rippen knirschte. Ihre eigenwilligen Haare verfingen sich in meinem Gesicht. Bei dem Versuch, sie loszuwerden, landeten immer mehr in meinem Mund.
»Geht es dir gut? Alec hat uns erzählt, dass dich Vampire angegriffen haben. Wie furchtbar! Und das so kurz vor der Hochzeit. Das kann doch kein Zufall sein, oder?«
Ihre grauen Augen waren voller Sorge. Ich hob betont gelassen die Schultern, bevor sie mich mit weiteren Fragen bombardierte. Aber das störte mich nicht. Ich mochte Rachel. Sie war wie eine kleine nervige Schwester, die ich nie hatte und auch nie wollte. Wenn wir zusammensaßen, fühlte es sich an, als wären wir ganz normale Menschen. Trotz ihrer verrückten, quirligen Art war sie genau wie ich unterwürfig und stand ganz unten in der Rangordnung. Im Gegensatz zu mir ließ sie sich jedoch nicht von dem Dominanzgehabe der anderen einschüchtern.
Owen schob sich an mir vorbei. Er gesellte sich zu Alec, Josie und Zac, die es sich links von mir auf der großen Sofalandschaft gemütlich gemacht hatten.
»Du musst bestimmt hungrig sein«, fuhr Rachel fort. Ohne eine Antwort abzuwarten, zog sie mich durch den Raum bis zu der offenen Küche, die den hinteren Bereich einnahm. »Maisie hat ein bisschen was für uns gezaubert.«
Eine zierliche Frau mit kurzen braunen Haaren lehnte an der Küchenzeile. Die vietnamesische Herkunft ihres Vaters spiegelte sich in ihren Gesichtszügen und Augen wider und verlieh ihr eine Sanftheit, die einen kaum glauben ließ, dass sie sich in einen gefährlichen Wolf mit messerscharfen Zähnen verwandeln konnte.
Leise unterhielt sie sich mit Quentin, dabei wischte ihr Gefährte ihr mit einem zärtlichen Lächeln Mehl und Tomatensoße aus dem Gesicht.
Zur Freude des gesamten Rudels liebte Maisie es, sich in der Küche auszutoben. Es war ihr persönlicher Ausgleich zu dem stressigen und belastenden Job als Ärztin im St. Cloud Hospital.
Heute standen mehrere Bleche Pizza auf der Kücheninsel.
Rachel drückte mir energisch einen vollen Teller in die Hand. Ich roch Bacon und Käse. Hin und her gerissen zwischen den kalten Sandwiches in meinem Rucksack und diesen köstlich duftenden Pizzastücken biss ich schließlich in eines hinein.
Seufzend schloss ich die Augen. Erst jetzt bemerkte ich, wie hungrig ich eigentlich war.
»Hey, Cael.«
Mit vollem Mund nickte ich Maisie zu.
»Geht’s dir gut?«
Ich nickte erneut, während ich einen weiteren Bissen nahm.
Sie musterte mich eindringlich. »Du siehst blass aus. Du solltest ins Bett gehen.«
»Lass ihn doch erst mal essen«, fuhr Rachel dazwischen und legte mir zwei weitere Pizzastücke auf den Teller.
»Ich bin Ärztin. Es ist meine Pflicht, auf so etwas hinzuweisen.«
Rachel verdrehte die Augen, während Maisie leise lachte.
Als ich das vierte Pizzastück in meinen Mund schob, beobachteten die drei mich wachsam.
»Waff?«, fragte ich.
Quentin bewegte sich als erstes. Er schüttelte schmunzelnd den Kopf und küsste Maisie zärtlich. Ohne etwas zu sagen, ging er an mir vorbei. Er gab mir jedoch noch einen kräftigen Klaps auf die Schulter, durch den ich mich beinahe verschluckte.
»Waff iff denn?«
Rachel kam erneut zu mir und quetschte mir die Rippen. »Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Vampire sind gruselige Mistkerle und ich finde es nicht gut, dass sie immer noch herumlaufen.«
»Alec hat mit Tony gesprochen«, klärte mich Maisie auf. »Er kannte die beiden nicht. Aber er hat bereits ein paar seiner Vampire darauf angesetzt. Selbst wenn sie noch hier sind, werden sie es nicht mehr lange sein.«
Irgendwie hatte das Gespräch mit Owen dazu geführt, dass mir der Vorfall mit den Vampiren gar nicht mehr so schlimm vorkam. Aber jetzt zu hören, dass diese beiden Leichen immer noch dort draußen waren, verdarb mir den Appetit. Ich stellte den Teller zurück auf den Tresen und legte mein Gepäck ab, das immer noch über meinen Schultern hing.
Mit einem Blick in das unangenehm volle Wohn- und Esszimmer fragte ich: »Warum ist eigentlich fast das gesamte Rudel hier? Schließlich sind es nur zwei Vampire. Die sind schon längst über alle Berge.«
Maisie grinste schief. »Alec hat zu einer Junggesellenjagd eingeladen.«
»Ernsthaft?« Ich schüttelte den Kopf und holte meine Sandwiches aus dem Rucksack, um sie in den Kühlschrank zu stellen.
Zur Sicherheit kramte ich in einer Schublade nach einem Stift und schrieb meinen Namen auf einen pinken Klebezettel. Eine der wichtigsten Regeln in einem Haus voller Werwölfe: Lasse dein Essen nie unbeschriftet im Kühlschrank zurück.
Rachel zuckte mit den Schultern. »Nichts geht über eine gute alte Vampirjagd.«
Statt Bier und nackten Tänzerinnen eine Vampirjagd. Wer hätte nicht gerne solch einen Junggesellenabschied?
Ich sah zu Josie, die in Alecs Armen lag. Beide lachten über etwas, das Zac erzählte, dabei sah er auf seine Fingernägel, die im Licht bunt schimmerten. Auch in seinen langen, zu einem Dutt gebundenen Haaren, glitzerten vereinzelt kleine Haarspangen. Offenbar hatte sich die Tochter seiner Freundin an ihm ausgetobt.
Josie stibitzte sich eine Haarspange und klemmte sich damit eine honigblonde Strähne nach hinten. So glücklich und entspannt, wie sie dort saß, sah sie einfach umwerfend aus. Am liebsten hätte ich Alec am Kragen gepackt, aus der Tür geworfen und mich neben sie gesetzt. Da ich jedoch nicht als Fellvorleger enden wollte, beließ ich es dabei, die beiden anzustarren.
Natürlich bemerkte Josie meinen Blick. Sie winkte mir lächelnd zu. Ich winkte zurück.
Sie zeigte auf mich und reckte fragend ihren Daumen in die Höhe.
Ja, ja mir geht’s gut.
Ich hielt meinen Daumen hoch. Josie sah nicht überzeugt aus. Mit den Zeigefingern am Mund machte sie Vampirzähne nach und fuhr sich dann über die Kehle.
Ich verzog meinen Mund zu einem Lächeln, das sie jedoch nicht überzeugte. Sie hob eine Augenbraue, aber ich wandte mich ab.
Rachel und Maisie hatten die Szene schweigend verfolgt. Sie wirkten bedrückt. Bevor ich nachfragen konnte, klatschte Rachel in die Hände.
»Also, wir Mädels bleiben hier und ziehen uns einen schönen Film rein. Machst du mit?«
»Nur wenn ich einen Becher Eiscreme bekomme und ihr mir nicht die Fußnägel lackiert.«
Die beiden sahen sich verschwörerisch an.
Na toll.
Grinsend ging ich links aus der Küche in den Flur, der unter anderem zu zwei Gästezimmern und einem Bad führte. Ich warf mein Gepäck in eines der beiden Zimmer und wollte gerade in das Bad, als die Tür aufging. Eine hochgewachsene Gestalt kam mir entgegen. Die lockere, zerrissene Jeans und das weite Oberteil täuschten eine Lässigkeit vor, die man in Scarletts harten Gesichtszügen vergeblich suchte. Sofort versteifte ich mich. Ich hatte gehofft, ihr heute nicht begegnen zu müssen.
»Hey.« Ich bemühte mich, ein freundliches Gesicht aufzusetzen, und wollte an ihr vorbei. Ihr Arm schnellte vor, versperrte mir den Weg.
»Vampire, hm?«
Mein Puls schoss in die Höhe.
Scarlett machte keinen Hehl daraus, dass sie mich nicht mochte. Je freundlicher ich mich ihr gegenüber benahm, desto mehr schien sie mich zu hassen. Warum, wusste ich nicht, aber ich wollte auch niemanden danach fragen. Je weniger ich mit ihr zu tun hatte, desto besser.
»Habe gehört, du hättest dich nicht mal gewehrt. Hast geweint wie ein Baby.« Sie lachte, warf dabei ihr langes, glattes, hellblondes Haar über die Schulter. »Wie erbärmlich.«
Ihre Dominanz, die sie bewusst gegen mich einsetzte, machte es mir unmöglich, etwas zu sagen. Ich konnte nur dastehen mit gesenktem Blick und leicht geneigtem Kopf. Wäre ich in Wolfsgestalt, hätte ich mich auf den Rücken geworfen, um ihr meinen verletzlichen Bauch zu präsentieren.
Ihr Mund schob sich an mein Ohr und ich hielt angespannt den Atem an. Ihr Flüstern war so leise, dass ich sie kaum verstand. »Vielleicht sollten wir statt der Vampire lieber dich jagen. Wäre das nicht ein Riesenspaß?«
Ich erstarrte. Verdrängte Bilder und Erinnerungen krochen wie Ungeheuer aus ihren dunklen Verstecken, begruben mich unter ihnen, bis ich zu ersticken drohte.
Kalte Luft brannte in meiner Lunge. Spitze Steine und Äste unter nackten Fußsohlen. Gefährliche Schatten, goldene Augen beobachteten mich. Das unheilvolle Heulen trieb mich voran. Schneller, immer schneller. Das Rascheln von Laub. Mein eigener keuchender Atem. Panik vernebelte meinen Verstand. Ich konnte nicht entkommen. Sie ließen es nicht zu. Fell, scharfe Zähne und Krallen. Fleisch riss, warmes Blut floss meinen Arm hinab. Der Schmerz fühlte sich vertraut an, genau wie die Angst.
»Hey, Scarlett.« Zacs Stimme riss mich zurück in die Realität. Ich blinzelte einige Male, während mein Herz so heftig schlug, als hätte ich einen Marathon hinter mir.
Ich spürte Zac Präsenz hinter mir, bemerkte, wie sich Scarlett unwohl wand. Dann knurrte sie leise, nahm ihren Arm weg und ließ mich ohne ein weiteres Wort zurück. Sie würde es nicht wagen, sich mit ihm anzulegen. Er stand deutlich höher in der Rudelhierarchie und hätte mit ihr den Boden gewischt.
Mit weichen Knien drehte ich mich zu ihm um. Die warmen braunen Augen und das breite Grinsen auf seinem Gesicht beruhigten meine Nerven ein wenig.
»Danke«, murmelte ich leise, stolz darauf, dass meine Stimme nicht zitterte.
»Kein Ding. Unsere Kratzbürste hat heute noch schlechtere Laune als sonst.«
Ich rang mir ein verkrampftes Lächeln ab. »Habe ich gemerkt.«
Zac knuffte meine Schulter. »Mach dir nichts draus, Cael. Jeder kommt mal in ihre Schusslinie. Die einen mehr, die anderen weniger. Mir wird sie heute sicherlich noch eine Handvoll Würmer in die Schuhe legen.«
Er lachte, als ich mein Gesicht verzog.
»Was noch harmlos wäre! Scarlett versteht sich darin, sich heimlich zu rächen. Niemand hat sie je erwischt, aber wir alle wissen, dass sie es ist.« Er senkte die Stimme und beugte sich verschwörerisch vor. Neben den rosafarbenen Haarspangen und bunten Nägeln entdeckte ich glitzerndes Puder auf seinen Wangen. »Einmal hat sie in Joshs Wagen einen alten Fisch versteckt. Das Auto stand volle drei Tage in der prallen Sonne. Du kannst dir vorstellen, wie es für unseren Griesgram war, als er die Tür aufgemacht hatte. Rachel schwört hoch und heilig, dass sie ihn hat kotzen gesehen. Danach ist er weiß wie Schneewittchen zu Scarlett gestampft. Aber er konnte nichts beweisen.«
Sein Grinsen war ansteckend. Typisch Zac. Er war stets zum Scherzen aufgelegt und füllte jeden Raum innerhalb von Sekunden mit guter Laune. Dabei vergaß man leicht, dass sich hinter dem fröhlichen Gesicht ein tödliches Raubtier verbarg.
»Noch Wochen später roch man eine Prise alten Fisch im Auto.« Er wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Also schließ dein Auto immer ab, versteck die Schlüssel und achte auf deine Schuhe.«
Sein Blick wurde eine Spur ernster. »Aber egal, wie sehr sie uns zur Weißglut treibt, wenn es um die Sicherheit des Rudels geht, würde ich für sie meine Hand ins Feuer legen. Bei einem Kampf hätte ich niemanden lieber an meiner Seite.«
Er zwinkerte mir zu, bevor er in dem zweiten Gästezimmer verschwand.
Mich würde sie wahrscheinlich lachend in die Arme der Feinde stoßen und dabei zusehen, wie sich mich zerfleischen.
Ein kurzer Moment des Friedens
Kaum war Zac mit seiner guten Laune und beschützenden Aura verschwunden, machte sich die Angst, die noch in meinen Knochen steckte, bemerkbar. Ich hastete ins Bad, drehte den Schlüssel um und lehnte mich mit geschlossenen Augen an die Tür. Langsam rutschte hinab auf den kalten, harten Fliesenboden. Mit geballten Fäusten versuchte ich, das Echo meiner Erinnerung niederzuringen. Scarletts Worte hatten mich augenblicklich zurück in meine Zeit bei Raffael und seinen Monstern versetzt.
Sie können mir nichts mehr tun. Sie sind weit weg.
Zwei Jahre waren seither vergangen. Vielleicht hatte ich Glück und keiner von ihnen verschwendete noch einen Gedanken an mich. Ich klammerte mich an der Vorstellung fest, wie an ein Rettungsseil, das mich davor bewahrte, in die Dunkelheit zu fallen.
Im Grunde waren Scarletts Worte nur das gewesen – Worte.
Sie würde nicht weitergehen. Denn eine von Alecs vielen Regeln, die das Zusammenleben im Rudel erst möglich machten, war, dass wir Unterwürfigen unter besonderem Schutz standen.
Schwer zu glauben, wenn man zuvor vier Jahre lang als lebender Boxsack benutzt wurde.
Alec hatte mir jedoch erklärt, dass wir für die Balance im Rudel wichtig waren.