Running Lean - Ash Maurya - E-Book

Running Lean E-Book

Ash Maurya

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Beschreibung

Mit einem erprobten System schrittweise zum erfolgreichen Geschäftsmodell - kondensiertes und erprobtes Praxis-Know-how für Gründer und alle, die innovative Produkte entwickeln wollen - bringt Ansätze wie Lean Startup, Business Model Design, Design Thinking und Jobs-to-be-done in einen systematischen Prozess für die Produktentwicklung zusammen - Band der anerkannten Lean-Serie, mit einem Vorwort von Eric RiesWir entwickeln heute mehr Produkte als je zuvor, aber die meisten scheitern - nicht, weil wir das Produkt nicht fertigstellen, sondern weil wir Zeit, Geld und Mühe damit verschwenden, das falsche Produkt zu entwickeln. Was wir brauchen, ist ein systematischer Prozess, um Produktideen schnell zu prüfen und unsere Erfolgsaussichten deutlich zu verbessern. Das ist das Versprechen von "Running Lean". Ash Maurya beschreibt in seinem Praxisleitfaden eine erprobte Strategie, die Unternehmen dabei unterstützt, den Product-Market-Fit zu erreichen – also mit einem neuen Produkt eine relevante Nachfrage zu befriedigen. Sie lernen die Ideen und Konzepte verschiedener Innovationsmethoden wie beispielsweise Lean Startup, Business Model Design, Design Thinking und Jobs-to-be-done kennen. Ash bietet innovationsgetriebenen Unternehmen das "Continuous Innovation Framework": einen konkreten Handlungsrahmen, um stetige Innovation in der Produktentwicklung zu gewährleisten. In seinem Buch zeichnet er den Weg von der anfänglichen Vision bis zum funktionierenden Geschäftsmodell nach.

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Leserstimmen zu Running Lean

Nachdem ich an der Entwicklung von Tausenden von Produkten beteiligt und Seite an Seite mit Hunderten von Gründern gearbeitet habe, ist Running Lean eines der wenigen Bücher, die ich kenne, die wirklich die Erfahrungen meiner 40-jährigen Karriere in den Bereichen Unternehmertum, Innovation und Produktentwicklung widerspiegeln. Die meisten Autoren erzählen zwar von einem Prozess und einigen Werkzeugen, aber bereits die simple Aussage »Liebe das Problem, nicht die Lösung« zeugt von wirklicher Erfahrung und Expertise. Dieses Buch ist ein großartiger Ausgangspunkt für Erst- und ein fokussierender Leitfaden für erfahrene Gründer. Ich empfehle dieses Buch nicht nur anderen, sondern lese es selbst einmal im Jahr, um mich auf Kurs zu halten. Danke, Ash, dass du in Worte fasst, was ich nicht kann.

Bob Moesta, Autor von Demand-side Sales 101 und Präsident und CEO der Re-Wired Group

Running Lean ist ein Meisterwerk an Tiefe und Einfachheit.

Zach Nies, Managing Director bei Techstars

Wenn Sie einen Leitfaden für Unternehmer suchen, die neue Produkte auf den Markt bringen wollen, dann sind Sie hier genau richtig.

Mike Belsito, Mitbegründer von product collective und Organisator von INDUSTRY: The Product Conference

Die neue und aktualisierte Version von Running Lean ist noch praktikabler und wertvoller für Serien- und Erstgründer als die Erstauflage.

Sean Ellis, Autor von Hacking Growth

Die Ausgabe zum 10. Jubiläum enthält großartige neue Erkenntnisse und Aktualisierungen des Originalmaterials und mindestens ebenso viel an brandneuem Wissen, Erkenntnissen und Techniken.

George Watt, Executive Vice President of Product and Delivery bei Portage CyberTech und Autor von Lean Entrepreneurship

Bei der Weiterentwicklung eines mit Leidenschaft betriebenen Nebenprojekts (DIY-Flugsimulator) hin zu einem wachsenden Unternehmen für Hubschraubersimulatoren hat uns Running Lean geholfen, uns auf den systematischen Aufbau unseres Geschäftsmodells zu konzentrieren.

Fabi Riesen, CEO bei VRM-Switzerland (VRMotion Ltd.)

Wir haben Running Lean genutzt, um in unserem Unternehmen eine Basis von Intrapreneuren aufzubauen, die sich darauf konzentrieren, die Wertschöpfung für unsere Kunden durch erkenntnisgestützte, evidenzbasierte Entscheidungsfindung zu beschleunigen.

Marco De Polo, Global Head of Growth Acceleration & Open Innovation bei Roche

Die Lektüre dieses Buchs hat mir Jahre meines Lebens geschenkt, weil ich mich darauf konzentrieren konnte, das richtige Produkt zu entwickeln, anstatt das Produkt richtig zu entwickeln.

Thomas Botton, Leiter Geschäftsentwicklung bei Liip

Running Lean ist eines der besten Bücher für Unternehmer.

Ryan Martens, Vorstandsmitglied bei Scaled Agile und ehemaliger CTO bei Rally Software

Die Stärke von Ashs großartiger Arbeit liegt in seiner persönlichen Erfahrung als Unternehmer, seiner umfassenden Forschung und der Anpassung von Lean-Startup-Konzepten, die von unterschiedlichen Vordenkern im Bereich von Innovation und Unternehmertum entwickelt wurden.

Barry G. Bisson, emeritierter Professor an der University of New Brunswick und pensionierter CEO von Propel ICT

Es ist kaum zu glauben, dass Running Lean bereits sein zehnjähriges Jubiläum feiert. Für Produktentwicklerinnen und -entwickler ist es heute noch genauso relevant wie damals.

Jin Zhang, Leiter der technischen Abteilung bei Meta

In diesem Buch geht es darum, wie man seine Chancen verbessert, Produkte herzustellen, die von den Menschen angenommen werden, indem man seine Ideen schnell und effizient auf den geschäftlichen Erfolg hin testet.

David Romero, Professor für fortgeschrittene Fertigung und außerordentlicher Professor für technologiebasiertes Unternehmertum am Tecnológico de Monterrey

Running Lean ist voll gepackt mit bewährten Techniken für Gründer, die ein funktionierendes Geschäftsmodell suchen.

Chris Curran, Entrepreneurship Professor of Practice an der Texas A&M University und ehemaliger CTO des Inkubators bei PwC

Allzu oft sind Unternehmer, die sich nach der Fertigstellung ihres Geschäftsplans beraten lassen, emotional so stark an diesen Plan gebunden, dass sie Ratschlägen nicht wirklich folgen wollen. Running Lean trägt dazu bei, diese Mentalität zu ändern.

Craig Elias, Entrepreneur-in-Residence an der Chiu School of Business

Running Lean ist zweifellos das Buch, das ich Gründern am häufigsten empfohlen habe. Die aktuelle Ausgabe wurde von Ash durch jahrelanges kontinuierliches Testen und Optimieren noch einmal verbessert.

Anuj Adhiya, Autor von Growth Hacking for Dummies

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2. AUFLAGE

Running Lean

Geschäftsmodelle schnell und iterativ entwickeln

Ash Maurya

Deutsche Übersetzung vonJens Olaf Koch

Ash Maurya

Lektorat: Ariane Hesse

Übersetzung: Jens Olaf Koch

Fachliche Unterstützung: Dr. Lorenz Gräf, STARTPLATZ Köln/Düsseldorf

Korrektorat: Sibylle Feldmann, www.richtiger-text.de

Satz: Jörg Liedtke, www.liedtke.me

Herstellung: Stefanie Weidner

Umschlaggestaltung: Michael Oréal, www.oreal.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN:

Print

978-3-96009-208-7

PDF

978-3-96010-756-9

ePub

978-3-96010-757-6

mobi

978-3-96010-758-3

2. Auflage 2023

Translation Copyright für die deutschsprachige Ausgabe © 2023 dpunkt.verlag GmbH

Wieblinger Weg 17

69123 Heidelberg

Authorized German translation of the English edition of Running Lean, 3E

ISBN 9781098108779 © 2022 Ash Maurya.

This translation is published and sold by permission of O’Reilly Media, Inc., which owns or controls all rights to publish and sell the same.

Dieses Buch erscheint in Kooperation mit O’Reilly Media, Inc. unter dem Imprint »O’REILLY«. O’REILLY ist ein Markenzeichen und eine eingetragene Marke von O’Reilly Media, Inc. und wird mit Einwilligung des Eigentümers verwendet.

Hinweis:

Dieses Buch wurde mit mineralölfreien Farben auf PEFC-zertifiziertem Papier aus nachhaltiger Waldwirtschaft gedruckt. Der Umwelt zuliebe verzichten wir zusätzlich auf die Einschweißfolie. Hergestellt in Deutschland.

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Alle Angaben und Programme in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt kontrolliert. Weder Autor noch Verlag noch Übersetzer können jedoch für Schäden haftbar gemacht werden, die in Zusammenhang mit der Verwendung dieses Buches stehen.

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Für Natalia und Ian,die mich unsere knappste Ressource neu haben wertschätzen lassen: Zeit.

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort

Vorwort

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Einführung

Teil IDesign

Visionen und der richtige Zeitpunkt

Alles beginnt mit einer zündenden Idee

Schreiben Sie keinen Geschäftsplan, sondern ein Lean Canvas

Das Business-Model-Design-Playbook

1|Dekonstruieren Sie Ihre Idee auf einem Lean Canvas

Erstellen Sie Ihr erstes Lean Canvas

Optimierung Ihres Lean Canvas

Wie geht es weiter?

2|Testen Sie Ihre Idee auf Wünschbarkeit

Was bedeutet »besser«?

Unser Innovator’s Bias steht uns im Weg

Die Gabe des Innovators

Unterziehen Sie Ihre Idee einem Stresstest auf Wünschbarkkeit

Steve merkt, dass er ein Hammer-und-Nagel-Problem hat

3|Testen Sie Ihre Idee auf Wirtschaftlichkeit

Erstellen Sie keine Finanzprognose, sondern eine Fermi-Schätzung

Testen Sie die Wirtschaftlichkeit Ihrer Idee mithilfe einer Fermi-Schätzung

Wie Sie eine Fermi-Schätzung für Ihre Idee vornehmen

Steve bespricht seine Geschäftsmodelle mit Mary

4|Testen Sie Ihre Idee auf Machbarkeit

Eine Traction Ramp skizzieren

Formulierung eines Now-Next-Later-Roll-out-Plans

Steve erhält eine Lektion im richtigen Handeln zur richtigen Zeit

Steve erfährt mehr über Wizard-of-Oz-MVPs

Steve formuliert seinen Now-Next-Later-Roll-out-Plan

5|Kommunizieren Sie Ihre Idee klar und prägnant

Wie sieht Ihr Elevator Pitch aus?

Wie eine Idee betrachtet wird

Präsentieren Sie Ihren Geschäftsmodell-Pitch

Das Zehn-Folien-Pitch-Deck

Steve präsentiert sein Geschäftsmodell-Pitch

Teil IIValidierung

Konzentrieren Sie sich auf das schwächste Glied

Testen, Testen, Testen

Legen Sie die nächsten Maßnahmen fest

6|Validieren Sie Ihre Idee in 90-Tage-Zyklen

Der 90-Tage-Zyklus

Vorbereitung auf Ihren ersten 90-Tage-Zyklus

Sieben Regeln für hocheffektive Experimente

Steve richtet eine externe Verantwortungsstruktur ein

7|Starten Sie Ihren ersten 90-Tage-Zyklus

Steve setzt ein 90-Tage-Zyklus-Kick-off-Meeting an

Das Problem-Solution-Fit-Playbook

Steve setzt ein 90-Tage-Zyklus-Planungstreffen an

Die Mafia-Angebotskampagne

Steve versucht, eine Abkürzung zu nehmen

Keine Umfragen oder Fokusgruppen bitte

8|Verstehen Sie Ihre Kunden besser, als sie es selbst tun

Das Problem mit den Problemen

Konzentrieren Sie sich auf den Gesamtkontext: den Job-to-be-done

Durchführung eines Problem Discovery Sprint

Steve bespricht die Ergebnisse des weit gefassten Problem Discovery Sprint

Wann ist die Problemfindung abgeschlossen?

Das Altverse-Team entdeckt mehrere zusätzliche zu erledigende Aufgaben

9|Entwerfen Sie eine Lösung, die einen Wechsel auslöst

Steve lernt das Concierge-MVP kennen

Durchführung eines Solution Design Sprint

Die 5 Ps eines MVP

Steve versucht sich an den 5 Ps

10|Machen Sie Ihren Kunden ein Mafia-Angebot, das sie nicht ablehnen können

Fallstudie: Das iPad-Mafia-Angebot

Durchführung eines Offer Delivery Sprint

Zusammenstellung Ihres Angebots

Präsentation Ihres Angebots

Optimierung Ihres Angebots

Steve bespricht mit dem Team die Ergebnisse des ersten Offer Delivery Sprint

Wann ist die Angebotserstellung beendet?

11|Der 90-Tage-Zyklus-Review

Steve trifft sich vorab separat mit Mary

Vorbereitung des Meetings

Durchführung des Meetings

Steve setzt ein 90-Tage-Zyklus-Review-Meeting an

Teil IIIWachstum

Der weitere Weg

12|Den Launch vorbereiten

Das Altverse-Team bereitet sich auf den Launch vor

Sorgen Sie dafür, dass Ihre Customer Factory läuft

Wettlauf zur Wertschöpfung

Erweitern Sie Ihr Dashboard für die Customer-Factory-Metriken

Organisieren Sie das MVP-Roll-out stapelweise

Das Altverse-Team launcht das Concierge-MVP

13|Zufriedene Kunden schaffen

Das Altverse-Team lernt etwas über Verhaltensdesign

Der Happy Customer Loop

Das Altverse-Team setzt ein 90-Tage-Zyklus-Review-Meeting an

14|Die Wachstumsrakete finden

Das Altverse-Team erfährt etwas über Wachstumsraketen

Das Raketenwachstumsmodell

Die drei Arten von Wachstumsschleifen

Finden Sie Ihre primäre Wachstumsrakete

Steve macht Mary ein Angebot, das sie nicht ablehnen kann

15|Epilog

Das BOOTSTART-Manifest

Referenzen und weiterführende Literatur

Index

Geleitwort

»Practice trumps theory.« – Praxis schlägt Theorie. Als ich diese Worte vor mehr als zehn Jahren zum ersten Mal im Blog von Ash Maurya las, wusste ich, dass er ein wertvoller Zuwachs für die damals noch junge Lean-Startup-Bewegung sein würde. In jenen frühen Tagen waren vor allem Menschen gefragt, die die Prinzipien von Lean Startup in die Praxis umsetzen und diese Praxis mit anderen teilen konnten. Ash war bei dieser Mission eine Schlüsselfigur – und hat seither sein Wissen an Teams, Trainer und unterschiedlichste Stakeholder auf der ganzen Welt weitergegeben. Nicht zuletzt dank Menschen wie ihm ist die Lean-Startup-Bewegung gewachsen und hat sich in einer Weise entwickelt, wie ich es mir nie hätte vorstellen können. Als allererstes Buch der »Lean«-Buchreihe ist Running Lean seit Langem ein wichtiges Element dieses Wachstums. Nun hat es sich auch selbst weiterentwickelt.

Die vorliegende überarbeitete und erweiterte Neuauflage spiegelt Ashs vertieftes und umfassenderes Denken darüber wider, was Lean Startup sein kann und geworden ist. Sie ist auch Beweis seines anhaltenden Engagements, Entrepreneuren dabei zu helfen, ihre Leidenschaft in ein tragfähiges Unternehmen zu verwandeln. Anstatt nur hier und da ein paar kleine Änderungen vorzunehmen, hat er die Informationen der vorhergehenden Auflagen getestet, verfeinert und in Reaktion auf erhaltenes Feedback ergänzt. Er nennt diesen neuen Ansatz, der davon zeugt, wo die Lean-Startup-Bewegung heute aktuell steht, Continuous Innovation Framework. Der von ihm gewählte Name deutet die Erkenntnis an, dass, um in einer zunehmend unsicheren Welt zu überleben und zu gedeihen, für den unternehmerischen Erfolg Innovation kein einmaliges Ereignis bleiben darf. Es ist ein Seinszustand. Darüber hinaus gilt Continuous Innovation, einst nur als Methode der Softwareentwicklung betrachtet, heute allgemein als bester Ansatz, um, wie Ash es ausdrückt, »alles herzustellen, was dem Kunden einen Wert bietet.«

Alles steht und fällt jedoch noch immer mit der Grundidee, von der ich vor Jahren auf Ashs Blog gelesen habe: Praxis. Und nach einem Jahrzehnt der Erfahrung hat er uns Lesern eine Menge darüber mitzuteilen, wie man schneller zu einem marktfähigen Produkt gelangt. Die dritte Auflage von Running Lean ist ein wichtiges Handbuch für Unternehmer aller Art, das auf den neuesten Stand gebracht wurde und damit den Weiterentwicklungen gerecht wird, die die Methode seit ihrer breiten Einführung in der Praxis erfahren hat. Nach wie vor gilt, dass wir in einem Zeitalter des Unternehmertums leben. Viele der Firmen, die heute unser Leben prägen, waren einst kleine Start-ups, und ihr Erfolg liegt darin begründet, dass sie ihren unternehmerischen Wurzeln während ihres fortgesetzten Wachstums treu geblieben sind. Andere Unternehmen haben gezeigt, dass sie es verstanden haben, die hergebrachten Praktiken, die ihnen im letzten Jahrhundert gute Dienste geleistet haben, an die Bedürfnisse des neuen Jahrhunderts anzupassen. Um unseren künftigen Wohlstand zu sichern, brauchen wir viel mehr von beiden Arten von Unternehmen. Und ihre Existenz hängt davon ab, dass sie über das Wissen und die Mittel verfügen, um sich weiterhin zu entwickeln und zu gedeihen.

Erfolgreiche Unternehmen erfordern – wie neue Produkte – ein ständiges, diszipliniertes, wissenschaftlich geprägtes Experimentieren, um neue Quellen profitablen Wachstums zu entdecken. Das gilt für kleine Start-ups genauso wie für etablierte Unternehmen. Running Lean bietet eine Blaupause für die drei Phasen, die die Gründung und Skalierung eines Unternehmens bestimmen: Design, Validierung und Wachstum. Die einfachen, handlungsorientierten Vorlagen bieten Werkzeuge, um Start-ups in all ihren Entwicklungsstadien dabei zu helfen, bahnbrechende neue Produkte und sich selbst zu disruptiven Unternehmen zu entwickeln.

Es ist fast 15 Jahre her, dass ich den Begriff »Lean Startup« zum ersten Mal verwendet habe – in einem Blogbeitrag, den damals gerade mal ein paar Dutzend Menschen lasen. Seitdem hat sich aus diesen Ideen eine Bewegung entwickelt, die von Tausenden von Entrepreneuren auf der ganzen Welt, die sich der Aufgabe widmen, neue Produkte und Unternehmen zum Erfolg zu führen, mitgetragen wird. Ich hoffe, dass Ihnen die Lektüre von Running Lean dabei hilft, die Ideen in die Praxis umzusetzen, und Sie sich unserer Community anschließen. Vielen Dank, dass Sie sich an unserem großen, fortdauernden Experiment beteiligen.

Eric Ries20. Februar 2022

Vorwort

Die Zeit rast. Seit der letzten Ausgabe von Running Lean sind bereits zehn Jahre vergangen. Seitdem habe ich Tausende von Stunden damit verbracht, Hunderte von Produktteams, Trainern und Stakeholdern auf der ganzen Welt zu schulen und zu coachen. Mein Ziel war es, den systematischen Schritt-für-Schritt-Prozess, den ich in meinem Buch beschrieben habe, mit und in einer Vielzahl von Produkten und Branchen zu testen und zu verfeinern.

Auf dem Weg dorthin entwickelte ich zusätzliche Tools für die Geschäftsmodellierung (Customer Factory Blueprint, Customer Forces Canvas und Traction Roadmap), bessere Validierungsstrategien und praktischere Techniken, in denen ich Konzepte aus einer Vielzahl von Methoden und Frameworks zusammengefasst habe, darunter Lean Startup, Design Thinking, Business Model Design, Jobs-to-be-done, Systems Thinking, Behavior Design und viele andere.

Ich habe festgestellt, dass – um unter Bedingungen extremer Unsicherheit bahnbrechende Innovationen zu entwickeln – man sich nicht auf eines dieser Frameworks beschränken, sondern sie alle nutzen sollte. Obwohl sie sich in vielem überschneiden, ist doch jedem eine ganz spezifische Superkraft zu eigen, die es von den anderen unterscheidet. Diese Superkräfte habe ich in einem neuen Framework (dem Continuous Innovation Framework) zusammengefasst, das ich in diesem Buch vorstelle.

In dieser Ausgabe zum zehnjährigen Jubiläum von Running Lean finden Sie:

Effektivere Stresstesttechniken für die Gestaltgebung Ihres frühen Geschäftsmodells.

Ein vollständig überarbeitetes Skript für Interviews zur Problemfindung, mit denen reale Kundenprobleme entdeckt werden können, die es wert sind, gelöst zu werden.

Ein realitätserprobter und gestählter Prozess zur Entwicklung von Produkten, bei denen Sie sicher sein können (und nicht nur darauf hoffen müssen), dass Ihre Kunden sie auch wirklich haben wollen.

Dieses Buch ist das Ergebnis von zehn Jahren voller rigoroser Tests, Hunderter Produktfallstudien und Tausender Iterationen. Ich freue mich, all das jetzt mit Ihnen teilen zu können.

Das Leben ist zu kurz, um etwas zu entwickeln, das niemand haben möchte.

Ash21. Dezember 2021

Danksagungen

Die Markteinführung eines Buchs unterscheidet sich nicht von der Markteinführung anderer Produkte. Beim Schreiben von Running Lean habe ich denselben Prozess der Continuous Innovation verwendet, den ich inhaltlich darstelle.

Dieses Buch wäre nicht möglich gewesen ohne die Praktikerinnen und Coaches, die mir genug Vertrauen geschenkt haben, um ihre einzigartigen Herausforderungen bei der Entwicklung eines Start-ups bzw. Produkts offen mit mir zu teilen. Ihr unermüdliches Engagement, mit dem sie die ersten Iterationen des Continuous Innovation Framework Stresstests unterzogen, war entscheidend, um diesen Prozess in systematischer Form festschreiben zu können.

Ihr seid alle Mitschöpfer.

Vorwort zur deutschen Ausgabe

von Dr. Lorenz Gräf, Gründer und Geschäftsführer des STARTPLATZ

Ash Maurya legt zehn Jahre nach der Erstausgabe eine überarbeitete Version seines Standardwerks »Running Lean: Geschäftsmodelle schnell und iterativ entwickeln« vor. Als Gründer und Geschäftsführer von STARTPLATZ, einem erfolgreichen Startup-Inkubator und Accelerator in Köln und Düsseldorf, weiß ich aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, die Methoden des Lean Startup zu kennen und anzuwenden, um erfolgreich ein Startup aufzubauen.

Ash Maurya hat 2013 am STARTPLATZ einen zweitägigen Workshop zu »Running Lean« gegeben. Wir schätzen seine Arbeit und sein Engagement für das Lean Startup-Konzept sehr, und insbesondere seine auf Startups und Innovationen zugeschnittene Version des Lean Canvas hat sich bewährt. Das Lean Canvas möchte ich allen angehenden Gründerinnen und Gründern als Kerntool an die Hand geben. Auch für bereits länger bestehende Startups ist die Dekonstruktion ihres Geschäftsmodells in ein Lean Canvas eine sehr lohnende Aufgabe. Seit der ersten Auflage von »Running Lean« hat Ash Maurya kontinuierlich sein Framework weiterentwickelt, und ich freue mich, dass sein Buch in der dritten Auflage jetzt auch für ein deutschsprachiges Publikum zugänglich ist.

Ich bin überzeugt, dass »Running Lean« ein unentbehrlicher Leitfaden für alle ist, die ein erfolgreiches Startup gründen oder entwickeln möchten. Es bietet eine praktische Anleitung für die Anwendung von Lean-Methoden, die dabei helfen können, ein produktives Geschäft aufzubauen und zu entwickeln, indem man schnell und systematisch lernt und anpasst. Ash Maurya bringt vieles auf den Punkt, was in der Startup-Szene als Best Practice gilt, und gibt ihm eine systematische Grundlage.

Neben seinen fachlichen Beiträgen hat Ash Maurya auch eine unterhaltsame und lehrreiche Methode eingeführt, um seine Methoden des Lean Startup zu vermitteln. Durch die Einführung der Figuren Steve und Mary, die in einer Art Dialog die Gründungsidee von Steve voranbringen, wird das Framework anschaulich und verständlich dargestellt.

Ich bin überzeugt, dass die Verfügbarkeit dieses Buchs in deutscher Sprache einen wertvollen Beitrag für die deutsche Startup-Szene darstellt und Gründern und Unternehmerinnen hilft, ihre Geschäftsideen zu validieren und zu einem erfolgreichen Geschäftsmodell weiterzuentwickeln.

Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre von »Running Lean: Geschäftsmodelle schnell und iterativ entwickeln«.

Einführung

Die Geschichte zweier Gründer

Ich möchte Ihnen zunächst eine Geschichte über zwei Unternehmensgründer erzählen, nennen wir sie Steve und Larry. Beide studierten an derselben Universität und erzielten gute Noten. Nach ihrem Abschluss arbeiteten beide bei einem Hightech-Start-up, wo sie schnell in Schlüsselpositionen aufstiegen.

Nach ein paar Jahren kamen ihnen unabhängig voneinander Ideen für ein eigenes Start-up, und sie beschlossen jeweils, ihre Jobs zu kündigen und sich selbstständig zu machen. Ihre Ähnlichkeit besteht nicht in ihrem Alter, ihrem Geschlecht oder geografischen Gemeinsamkeiten, sondern darin, dass beide von ihren jeweiligen »großen Ideen« beseelt waren und beschlossen hatten, diese in die Tat umzusetzen.

Worin sich Steve und Larry unterscheiden, zeigt sich ein Jahr später (siehe Abbildung E.1):

Abbildung E.1: Bei Steve und Larry sieht es nach einem Jahr völlig unterschiedlich aus.

Steve ist immer noch dabei, sein Produkt zu entwickeln. Es generiert noch keine Umsätze und er ist darauf angewiesen, nebenbei freiberuflich zu arbeiten, um seine Produktentwicklung zu finanzieren. Und er arbeitet allein. Larry hingegen hat einen wachsenden Kundenstamm, steigende Umsätze und ein wachsendes Team. Wie konnte es zu dieser Diskrepanz kommen?

Um die Frage zu beantworten, müssen wir einen Blick in die Vergangenheit werfen.

Vor einem Jahr …

Steve sitzt gedankenversunken an seinem Schreibtisch. Gerade eben hatte ihm seine Managerin mitgeteilt, dass ihre Muttergesellschaft (infolge einer kürzlich stattgefundenen Übernahme) die Büros, in denen sie arbeiteten, in einigen Monaten schließen würde. Und Steve wurde vor die Wahl gestellt, entweder künftig in der Zentrale zu arbeiten oder eine Abfindung zu akzeptieren.

Steve deutet dies als Zeichen.

Sein Plan war schon immer gewesen, zu einem passenden Zeitpunkt seine eigene Firma zu gründen. Nach seinem Studium entschied er sich ganz bewusst dazu, für ein vielversprechendes Start-up zu arbeiten, um erste Erfahrungen zu sammeln, bevor er sich später selbstständig machen würde. Auch wenn dieses Start-up einige schlechte Produkte auf den Markt gebracht hatte, war es dem Unternehmen schließlich gelungen, übernommen zu werden. Steve war sehr stolz darauf, Teil des Kernteams gewesen zu sein.

»Das könnte jetzt vielleicht ein guter Zeitpunkt sein«, sagt er sich und will den Abend zum weiteren Nachdenken nutzen.

Steve schätzt, dass er – behielte er seine Ausgaben im Griff – mit der Abfindung und seinen Ersparnissen ein Jahr Zeit hätte, um etwas auf die Beine zu stellen. Schon seit ein paar Monaten spukt da diese ganz bestimmte Idee zu Augmented und Virtual Reality (AR/VR) in seinem Kopf herum.

Am nächsten Tag beschließt er, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen, und nimmt das Abfindungspaket an.

Auf zu neuen Ufern

Steve verschwendet keine Zeit und macht sich sofort an die Arbeit. Er geht davon aus, dass er die erste Version seines Produkts in drei Monaten auf den Markt bringen kann, wenn er konzentriert und ohne Ablenkung Vollzeit daran arbeitet (siehe Abbildung E.2).

Abbildung E.2: Steve in der vielbeschworenen Garage

Er möchte die Dinge »richtig« angehen, also beginnt er wie ein Handwerker akribisch mit Entwurf und Bau seines Produkts.

Aber immer wieder gibt es Kleinigkeiten, die länger dauern als erwartet, und die Verzögerungen summieren sich – aus Wochen werden Monate.

Sechs Monate später

Steve wird langsam nervös. Das Produkt entspricht nicht seinen Vorstellungen, und nach seinen jüngsten Schätzungen dauert es noch mindestens drei, vielleicht sogar sechs Monate bis zur Markteinführung.

Bis dahin wird ihm das Geld ausgegangen sein.

Er erkennt, dass er Hilfe braucht.

Steve wendet sich an einige seiner engsten Freunde und versucht, sie anzuwerben, indem er ihnen im Gegenzug eine großzügige Beteiligung anbietet. Aber sie sehen in diesem Projekt nicht die gleichen Chancen wie er und können sich nicht dazu entschließen, ihre sicheren, gut bezahlten Jobs aufzugeben (siehe Abbildung E.3).

Abbildung E.3: Niemand sieht, was Steve sieht.

Steve führt diesen Rückschlag darauf zurück, dass es seinen Freunden an »Vision« mangelt, und ist umso entschlossener, einen Weg zu finden, sein Produkt fertigzustellen.

Er beschließt, ins Pitching-Business einzusteigen und Geld einzuwerben.

Zunächst nimmt er mit der Gründerin seines früheren Unternehmens, Susan, Kontakt auf, die sich sofort bereit erklärt, sich mit ihm zu treffen. Susan gefällt seine Idee, und sie bietet an, ihn einer Reihe von Investoren vorzustellen.

Sie gibt ihm diesen Rat mit auf den Weg: »Stell zuerst einen bombensicheren Businessplan auf.«

Steve hat noch niemals einen Businessplan geschrieben. Also lädt er sich ein paar Vorlagen herunter und wählt eine aus, die ihm gefällt. Als er mit dem Schreiben beginnt, stellt er fest, dass er auf viele der gestellten Fragen keine Antworten hat, aber er tut trotzdem sein Bestes, um den Plan fertigzustellen.

Besonders ermutigt fühlt er sich durch die Tabelle mit den Finanzprognosen. Je mehr er mit den Zahlen spielt, desto mehr ist er davon überzeugt, dass er etwas wirklich Großem auf der Spur ist. Er beschließt jedoch, ein paar Zahlen abzuschwächen, um die fantastische Vorhersage etwas zu relativieren – das Ganze sieht so gut aus, dass ihm sonst vielleicht niemand glaubt!

Da er weiß, wie viel auf dem Spiel steht, verbringt er viele weitere Tage damit, seinen Elevator Pitch zu entwickeln, seine Produkt-Roadmap zu skizzieren und an seiner zehnseitigen Präsentation zu feilen.

Einige Wochen später wendet er sich erneut an Susan, die ihm hilft, ein halbes Dutzend Treffen mit Investoren zu vereinbaren. Bei den ersten Treffen ist er unendlich nervös, findet aber, dass sie gut laufen. Mit zunehmender Übung fühlt er sich bei jedem Meeting ein bisschen wohler.

Er erhält nicht sofort eine Zusage. Aber auch keine direkte Ablehnung. Später bespricht er sich mit Susan, die ihm schweren Herzens seine Illusionen nimmt: »Tut mir leid, Steve, aber ›Das ist ein bisschen zu früh für uns‹ und ›Wir sollten uns in sechs Monaten noch einmal kurzschließen‹ sind nichts weiter als Codes für ›Wir sind nicht interessiert, aber wir sind zu höflich, Nein zu sagen!‹« (siehe Abbildung E.4).

Abbildung E.4: Investoren beherrschen die Kunst, höflich »Nein« zu sagen.

Zwickmühle

Steve befindet sich in einer klassischen Zwickmühle. Er kann anderen Menschen seine Vision erst nahebringen, wenn er sein Produkt vollendet hat, aber leider geben ihm die Investoren nicht die Mittel, um dieses Ziel zu erreichen (siehe Abbildung E.5).

Was soll er tun?

Steve glaubt immer noch an sein Produkt und ist fest entschlossen, es zu entwickeln.

Er zieht sich in die vielbeschworene Garage zurück und beschließt, seine Idee durch freiberufliche Teilzeitarbeit zu finanzieren.

Abbildung E.5: Steve befindet sich in einer Zwickmühle.

Es geht nur langsam voran, aber zumindest arbeitet er nachts und an den Wochenenden weiter an seinem Produkt.

Wenden wir uns nun Larry zu. Auch er hatte vor einem Jahr eine geniale Idee, aber im Gegensatz zu Steve folgt er keinem Build-first- oder Investor-first-Ansatz. Denn Ansätze, bei denen die Produktentwicklung oder die Suche nach Investoren im Vordergrund steht, sind nicht mehr zeitgemäß.

Ein zeitgemäßer Traction-first-Ansatz

Larry hat erkannt, dass ein Build-first- oder Investor-first-Ansatz in einer Zeit funktioniert haben mag, in der die Entwicklung von Produkten noch sehr kompliziert und teuer war. Doch die Welt hat sich verändert.

Früher legten Investoren Wert auf geistiges Eigentum und finanzierten Teams, die bereits bewiesen hatten, dass sie etwas entwickeln und herstellen können. Das ist heutzutage nicht mehr so.

Da die Entwicklung von Produkten früher oft unerschwinglich teuer war, hatten Teams, denen es gelang, ausreichende Finanzmittel zu beschaffen, einen ziemlich unfairen Vorteil gegenüber anderen, da sie schneller auf den Markt kommen und schneller lernen konnten als ihre Konkurrenten. Selbst wenn sie mit einem Produkt beim ersten Mal völlig danebenlagen, konnten sie immer noch die Richtung korrigieren und zurück in die Spur finden, weil es nur sehr wenige Konkurrenten gab, die ihnen auf den Fersen waren.

Aber die Welt sieht heute ganz anders aus … (siehe Abbildung E.6)

Wir erleben derzeit eine globale unternehmerische Renaissance. Heutzutage ist die Produktentwicklung billiger und einfacher als je zuvor, was bedeutet, dass es weltweit viel mehr Menschen gibt, die ein Unternehmen gründen. Diese explosionsartige Zunahme der Start-up-Aktivitäten stellt zwar eine unglaubliche Chance für uns alle dar, hat aber auch ihre Schattenseiten: Mehr Produkte bedeuten eine größere Auswahl für Investoren und Kunden, was es schwieriger macht, sich von anderen abzuheben.

Abbildung E.6: Wir leben in einer neuen Welt.

Investoren legen heutzutage nicht mehr Wert auf geistiges Eigentum, sondern auf Traktion. Bei der Traktion – im weitesten Sinne der Zugkraft eines Produkts oder einer Dienstleistung – geht es nicht darum, als Erster auf dem Markt zu sein, sondern als Erster die Marktadoption zu erreichen.

Traktion ist der Beweis dafür, dass nicht nur Sie selbst, Ihr Team oder Ihre Mutter sich für Ihre Idee interessieren, sondern auch andere Menschen: die Kunden. Noch wichtiger ist aber, dass Traktion der Nachweis für ein funktionierendes Geschäftsmodell ist.

Hinweis

Investoren finanzieren heute keine funktionierenden Lösungen mehr, sondern funktionierende Geschäftsmodelle.

Aber wie kann man Traktion nachweisen, solange man noch kein fertiges Produkt hat? Gerät man da nicht schon wieder in eine Zwickmühle? Nicht wirklich: Larry weiß, dass Kunden heutzutage ständig mit einer Vielzahl von Produktangeboten bombardiert werden. Werden Kunden aber mit einem unausgereiften Produkt konfrontiert, sind sie nicht bereit, zum Beta-Tester zu werden und Feedback zu geben, stattdessen wenden sie sich einfach ab.

Ohne das Feedback der Kunden aber tappt man allzu leicht in die »Konstruktionsfalle«, die »Build Trap«, bei der der Durchbruch in der Produktentwicklung immer noch ein kleines nächstes Feature entfernt zu sein scheint, ohne dass dieser Durchbruch aber letztlich je erreicht wird. Am Ende verschwendet man unnötig Zeit, Geld und Energie damit, etwas zu entwerfen, das niemand will – bis einem die Ressourcen ausgehen.

Larry ist mit früheren Produkten des Start-ups, in dem er beschäftigt war, schon oft in diese Falle getappt und beschließt, sich besser aufzustellen und seinem Produkt eine bessere Grundlage zu geben. Ein grundlegender Wandel der eigenen Denkweise – des unternehmerischen Mindsets – besteht darin, anstatt bei den Lösungen bei den Problemen anzusetzen.

Hinweis

Kunden interessieren sich nicht für Ihre Lösung, sondern für die eigenen Probleme.

Larry hat erkannt, dass weder Technologie oder Patente noch Werbegeschenke sein Geschäftsmodell retten können, wenn sein Produkt kein ausreichend großes Problem für seine Kunden löst.

Das führt bei ihm zu einer Reihe weiterer Einsichten:

Mindset #1

Das Geschäftsmodell ist das eigentliche Produkt.

Mindset #2

Liebe das Problem, nicht deine Lösung.

Mindset #3

Traktion heißt das Ziel.

Larry verbringt einen halben Nachmittag damit, ein Geschäftsmodell für seine Idee zu entwerfen, und benutzt dabei eine Vorlage (Lean Canvas), die nur eine einzige Seite umfasst und die ihm von einem seiner vertrauenswürdigen Mentoren empfohlen wurde.

Anschließend testet er die Tragfähigkeit seines Geschäftsmodells anhand einer kurzen Überschlagsrechnung und erstellt eine Traction Roadmap, die seine wichtigsten Meilensteine beschreibt. Dies hilft ihm, eine Bottom-up-Validierungsstrategie für die Markteinführung zu entwerfen (siehe Abbildung E.7).

Abbildung E.7: Larry skizziert auf der Basis seiner Idee ein Geschäftsmodell.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen seiner Validierungsstrategie und derjenigen von Steve besteht darin, dass er in seinem Geschäftsmodell zuerst die riskantesten und nicht die einfachsten Elemente testen will.

Larry hat zu Recht erkannt, dass sich in der neuen Welt die Risikobalance für die meisten Produkte verschoben hat: Die Kunden- und Marktrisiken überwiegen die technischen Risiken.

Die Frage, die sich heute stellt, lautet nicht mehr: »Können wir es entwickeln?«, sondern: »Sollen wir es entwickeln?«

Das ist der Grund, warum er sich für einen Traction-first- und gegen einen Build-first- oder Investor-first-Ansatz entscheidet.

Mindset #4

Richtiges Handeln zur richtigen Zeit.

Und jetzt kommt ein Punkt, der unserer Intuition zu widersprechen scheint: Sie brauchen kein funktionierendes Produkt, um lösenswerte Probleme zu entdecken oder um eine erste Gruppe zahlender Kunden zu gewinnen.

Im Gegensatz zu Steve, der sein Produkt noch immer perfektioniert und poliert, schafft es Larry, sein Minimum Viable Product (MVP) in weniger als acht Wochen zu definieren bei einer bereits wachsenden Kundenpipeline.

Hinweis

Ein Minimum Viable Product (MVP) ist die kleinste Lösung, die für Kunden einen Nutzen oder Wert schafft, liefert und ihn monetarisiert.

Mithilfe dieses Ansatzes vermeidet es Larry, unnötig Zeit, Geld und Energie in die Entwicklung eines Produkts zu investieren, von dem er lediglich hofft, dass es von Kunden auch gekauft wird, und entwickelt stattdessen zunächst ein Produkt, von dem er genau weiß, dass die Kunden es kaufen werden.

Hinweis

Steve folgt einem Build-Demo-Sell-Playbook, während Larry einem Demo-Sell-Build-Playbook folgt.

Damit gibt Larry seiner Idee eine solide Grundlage, und er verbringt die nächsten vier Wochen damit, eine erste Version seiner Lösung zu entwickeln, die noch nicht für alle denkbaren Kunden, sondern erst mal speziell für seine idealen Early Adopters gedacht ist. Als sein MVP fertig ist, verzichtet er auf eine groß angelegte Markteinführung und platziert sein Produkt stattdessen nur bei zehn Early Adopters, denen er die Nutzung vom ersten Tag an berechnet.

Hinter seiner Überlegung, klein anzufangen, aber gleichzeitig ein kühnes Versprechen zu machen, steht seine Absicht, zu zeigen, dass seinen Worten auch Taten folgen. Er denkt sich: »Wenn ich meinen ersten zehn handverlesenen Kunden keinen Mehrwert bieten kann, wieso sollte ich daran glauben, das bei Tausenden von Kunden zu schaffen, die das Produkt später auf eigene Faust ausprobieren werden?«

Mindset #5

Nimm die riskantesten Annahmen schrittweise in Angriff.

Ein angenehmer Nebeneffekt der begrenzten Markteinführung ist, dass Larry es sich leisten kann, seine Kunden intensiv zu betreuen. Auf diese Weise kann er einige Unzulänglichkeiten seines MVP kompensieren und trotzdem einen hohen Mehrwert bieten, während er gleichzeitig in bestmöglicher Weise von seinen Kunden lernt.

Seine anfängliche Kundengruppe ist begeistert von Larrys Liebe zum Detail und davon, wie sehr er auf ihre Bedürfnisse eingeht. Er schafft es, sie alle zu echten Fans zu machen und gleichzeitig sein MVP immer weiter zu verbessern.

Mindset #6

Sachzwänge sind ein Geschenk.

Obwohl Larry ein Tausendsassa ist, erkennt er, dass er sein Geschäft nicht allein skalieren kann. Deshalb investiert er ein Drittel seiner Zeit, um seine Vision potenziellen Mitgründern vorzustellen. Dabei sucht er nicht nach Menschen, die so sind wie er, sondern nach Personen, deren Fähigkeiten seine eigenen ergänzen. Er weiß:

Gute Ideen sind selten und nur schwer zu finden.

Gute Ideen können aus allen Richtungen kommen.

Um gute Ideen zu entdecken, braucht es vor allem

viele

Ideen.

Die Tatsache, dass Larry bereits zufriedene und zahlende Kunden und damit eine frühe Traktion sowie eine wachsende Kundenpipeline aufzuweisen hat, ermöglicht ihm, sein Traumteam anzuwerben und einzustellen.

Zu viele Teams folgen einem »Teile-und-herrsche-Ansatz«, um ihr Geschäftsmodell zu testen, bei dem sich der individuelle Fokus aufgrund der Stärken der einzelnen Teammitglieder ergibt. So konzentrieren sich beispielsweise Personen, die man vom Typus her eher als Hacker einordnen würde, in der Regel auf das Produkt, während sich Verkäufertypen mehr auf die Kunden fokussieren. Dadurch widmet sich das Team in suboptimaler Weise mit jeweils geringerer Aufmerksamkeit vielen unterschiedlichen Prioritäten.

Larry nutzt stattdessen das volle Potenzial seines Teams, indem er es dazu bringt, sich immer gemeinsam und damit mit voller Stärke auf das zu konzentrieren, was im Geschäftsmodell am riskantesten erscheint. Da sich die Risiken eines Geschäftsmodells ständig ändern, gibt er einen festen 90-Tage-Zyklus vor, um ein Gefühl der Dringlichkeit aufrechtzuerhalten und sein Team extern verantwortlich zu halten.

Mindset #7

Nimm dich selbst in die Pflicht.

Jeder 90-Tage-Zyklus unterteilt sich in drei Schlüsselaktivitäten:

Modellieren

Larrys Team beginnt jeden Zyklus mit der Aktualisierung und Überprüfung der Geschäftsmodelle (mithilfe eines Lean Canvas und einer Traction Roadmap). Das hilft dem Team, sich ständig neu auf gemeinsame Ziele, Annahmen und Einschränkungen auszurichten.

Priorisieren

Das Team priorisiert dann gemeinsam die riskantesten Annahmen und schlägt eine Reihe möglicher Validierungsstrategien (Kampagnen) zur Überwindung dieser Risiken vor.

Testen

Da sich nur schwer vorhersagen lässt, welche Kampagnen erfolgreich sein werden, macht das Team anstelle weniger großer viele kleine Wetten auf die vielversprechendsten Kampagnen mittels schneller iterativer Experimente. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse helfen Larrys Team, die besten Kampagnen zu identifizieren und zu intensivieren (siehe Abbildung E.8).

Abbildung E.8: Der Modellieren-Priorisieren-Testen-Zyklus

Mindset #8

Schließ viele kleine Wetten ab.

Mindset #9

Triff evidenzbasierte Entscheidungen.

Jeder 90-Tage-Zyklus endet mit einem Evaluierungsmeeting, bei dem das Team seine Arbeit und die gewonnenen Erkenntnisse bespricht und das weitere Vorgehen plant.

Dieser Modellieren-Priorisieren-Testen-Zyklus ermöglicht dem Team, systematisch nach einem reproduzier- und skalierbaren Geschäftsmodell zu suchen. Der Weg zum Erfolg ist kein Selbstläufer. Es gibt Irrwege, Sackgassen und Kehrtwenden. Da Larrys Team aber reaktionsschnell arbeitet und ständig dazulernt, kann es, indem es auf dem Weg viele kleine Kurskorrekturen vornimmt, große Fehlschläge vermeiden.

Mindset #10

Durchbrüche erfordern unerwartete Ergebnisse.

Gegen Ende des Jahres wachsen sowohl Larrys Kundenstamm als auch sein Umsatz – genau wie sein Team. Sein Geschäftsmodell ist auf dem besten Weg, Marktreife zu erlangen.

Nicht unterschiedliche Skills, sondern unterschiedliche Mindsets entscheiden über den Erfolg

Steve und Larry unterscheiden sich nicht in ihren Fähigkeiten, sondern in ihren Denkweisen.

Steve arbeitet wie ein Künstler und wird in erster Linie von seiner Liebe zu seinem Produkt bzw. seiner Lösung angetrieben.

Sie können den Begriff »Künstler« leicht durch Softwareentwickler, Designerin, Kreativmensch, Macher, Schriftsteller, Autorin, Hacker, Erfinderin usw. ersetzen.

Er verfolgt einen Build-first-Ansatz, der in der heutigen Welt äußerst riskant ist.

Larry hingegen agiert wie ein Innovator.

Hinweis

Innovatoren verwandeln Erfindungen in funktionierende Geschäftsmodelle.

Er hat erkannt, dass wir in einer neuen Welt mit geänderten Spielregeln leben. Heutzutage reicht es nicht mehr aus, einfach etwas zu entwickeln, von dem Kunden behaupten, dass sie es wollen, denn wenn Sie das scheinbar gewünschte Produkt endlich fertiggestellt haben, werden Sie erkennen, dass das, was die Kunden eigentlich wollten, etwas ganz anderes war.

Hinweis

In dieser neuen Welt können Sie nur sichergehen, die wirklichen Wünsche Ihrer Kunden zu adressieren, indem Sie sie kontinuierlich einbinden.

Diesmal steht viel mehr auf dem Spiel

Die bisherige Art, Produkte zu entwickeln, war einer Zeit angemessen, in der es große Einstiegsbarrieren und nur wenige Wettbewerber gab. Selbst wenn man mit einem Produkt ganz und gar danebenlag, war Zeit genug, die Richtung zu korrigieren und zurück in die Spur zu finden.

Heutzutage aber lassen sich neue Produkte billiger und schneller denn je auf den Markt bringen mit der Folge, dass es viel mehr Wettbewerb gibt als früher – sowohl seitens etablierter Unternehmen als auch seitens neuer Firmen, die überall auf der Welt entstehen.

Wurden in der alten Welt die Kundenwünsche nicht erfüllt, führte das zum Scheitern eines einzelnen Projekts. In der neuen Welt aber führt es zum völligen Scheitern des Geschäftsmodells, weil Kunden heute viel mehr Auswahl haben als früher. Wenn Ihr Produkt ihnen nicht das liefert, was sie wollen, wechseln sie einfach zu etwas anderem.

Deshalb erkennen die heute erfolgreichsten Unternehmen, dass gute Ideen selten und schwer zu finden sind und der beste Weg, die nächste große Idee zu entdecken, darin besteht, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Ideen zu testen.

Die Ersten, die dieser neuen Arbeitsweise folgten, waren Start-ups aus dem Hightechbereich, wie Airbnb und Dropbox, aber im Laufe der Jahre wurde die Methode der kontinuierlichen Innovation zunehmend in vielen verschiedenen Bereichen eingesetzt, und sie funktioniert auch in großem Maßstab. Einige der wertvollsten Unternehmen der Welt, wie Google, Netflix, Amazon und Facebook, praktizieren allesamt eine Kultur der Continuous Innovation.

In der Lerngeschwindigkeit liegt der neue unfaire Vorteil

Unternehmen, die kontinuierlich und schnell lernen, überflügeln ihre Konkurrenten und schaffen es, Dinge zu entwickeln, die ihre Kunden wirklich wollen. Das ist die Essenz der Continuous Innovation – und der Ansatz, den Larry verfolgt. Wenn Sie sich unter extrem unsicheren Bedingungen sehr schnell bewegen müssen, können Sie es sich nicht leisten, zu viel Zeit mit der Analyse, Planung und Ausführung Ihrer Idee zu verbringen. Sie benötigen einen iterativen Ansatz, der eine kontinuierliche Modellierung, Priorisierung und Prüfung beinhaltet.

Um in der neuen Welt erfolgreich zu sein, braucht es neue Denkweisen

Zu viele Menschen scheitern an Continuous Innovation, weil sie an der falschen Stelle ansetzen und sich einzelne Taktiken herauspicken, ohne zunächst die zugrunde liegenden Denkweisen zu verinnerlichen.

Hinweis

Unsere Mindsets bestimmen, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen.

Wenn Sie der Meinung sind, dass wir tatsächlich in einer neuen Welt leben, dann sollte daraus selbstverständlich folgen, dass auch neue Denkweisen erforderlich sind. Hier sind die zehn Mindsets, die die drei entscheidenden Aktivitäten kontinuierlicher Innovation antreiben:

Modellieren

Mindset #1: Das Geschäftsmodell ist das eigentliche Produkt.

Mindset #2: Liebe das Problem, nicht deine Lösung.

Mindset #3: Traktion heißt das Ziel.

Priorisieren

Mindset #4: Richtiges Handeln zur richtigen Zeit.

Mindset #5: Nimm die riskantesten Annahmen schrittweise in Angriff.

Mindset #6: Sachzwänge sind ein Geschenk.

Mindset #7: Nimm dich selbst in die Pflicht.

Testen

Mindset #8: Schließ viele kleine Wetten ab.

Mindset #9: Triff evidenzbasierte Entscheidungen.

Mindset #10: Durchbrüche erfordern unerwartete Ergebnisse.

Wir werden im Laufe des Buchs auf jedes dieser Mindsets eingehen.

Sie können es sich nicht leisten, auf eine Idee zu warten, bis deren Zeit gekommen ist

Es ist jetzt etwas mehr als 18 Monate her, dass Steve seinen Job gekündigt und den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt hat. Obwohl seine Ersparnisse bereits vor sechs Monaten aufgebraucht waren, konnte er aufgrund seiner freiberuflichen Beratertätigkeiten einen recht komfortablen Groove entwickeln und parallel seine Produktentwicklung vorantreiben.

Er hat sich damit abgefunden, dass es etwas Zeit brauchen wird, seine Vision zu verwirklichen, aber er hat es nicht eilig. Rom wurde schließlich auch nicht an einem Tag erbaut.

Es ist ein Dienstagmorgen, und Steve steht in der Schlange, um Kaffee zu bestellen, bevor es zu einer Besprechung bei einem Kunden geht. Da erhält er eine Textnachricht von einem alten Kumpel: »Hast du gesehen, was Virtuoso X gerade herausgebracht hat? Genau deine Idee, Steve!!!«

Steve klickt auf den Link, überfliegt die Seite und wird blass.

Das Produkt von Virtuoso X sieht dem, woran er in den letzten anderthalb Jahren gearbeitet hat, ziemlich ähnlich. Das Onlineportal TechCrunch hat gerade über das Unternehmen und dessen großes Fundraising berichtet.

Ihm wird übel, und er verlässt fluchtartig das Café. Er verschiebt sofort sein Treffen mit dem Kunden und fährt stattdessen zurück in sein Büro.

Dort verbringt er den Rest des Tages damit, die Website von Virtuoso X zu studieren, deren Anwendung auszuprobieren und im Internet nach allem zu suchen, was er über sie finden kann. Nach mehreren Stunden kommt er zu dem Schluss, dass sich die Ideen zwar sehr ähneln, die Umsetzung des Produkts durch Virtuoso X sich aber deutlich von seiner unterscheidet.

Steve fühlt sich ein wenig erleichtert, weil er glaubt, dass er letztlich über die elegantere Lösung verfügt. Doch die Erleichterung ist nur von kurzer Dauer, da ihn neue Ängste überkommen: »Was nützt mir die bessere Lösung, wenn ich damit zu spät oder nie auf den Markt komme?«

Er muss die Dinge wieder in Schwung bringen.

Vielleicht kann er jetzt die Unterstützung seiner Entwicklerfreunde gewinnen, die von seiner Vision bisher nicht besonders begeistert waren? Oder wird es jetzt vielleicht leichter, Geld von Investoren einzuwerben?

Eine Million Gedanken schießen ihm durch den Kopf. Wo soll er anfangen?

Er beschließt, Mary um Rat zu fragen.

Sie war in dem Start-up, in dem er zuvor gearbeitet hatte, seine Managerin. Genau wie er selbst hatte sie, nachdem ihr gemeinsamer Arbeitgeber aufgekauft worden war (und später abgewickelt werden sollte), das angebotene Abfindungspaket angenommen. Er hatte sie vor ein paar Monaten auf einer Veranstaltung getroffen und erfahren, dass sie mit ein paar anderen ehemaligen Mitarbeitenden ein neues Unternehmen gegründet hatte. Und nach allem, was man hörte, schien es ihnen recht gut zu gehen. Sie hatten bereits über 30 Mitarbeiter, zahlende Kunden und Risikokapital.

Er schickt ihr eine E-Mail, in der er kurz seine Situation schildert, und bittet sie, sich zu einem gemeinsamen Mittagessen zu treffen.

Er erhält fast sofort eine Antwort: »Lass uns morgen Tacos essen gehen – an bekannter Stelle.«

Steve lernt etwas über Minimum Viable Products

Steve kommt ein paar Minuten vor zwölf an und wählt einen ruhigen Tisch im hinteren Teil des Restaurants. Gerade als er sich niedergelassen hat, bemerkt er eine Textnachricht: »Tut mir leid, ich komme zehn Minuten später – wir haben heute ein Deployment. Bitte bestell mir das Übliche, beim nächsten Mal bin ich dran.«

Er nutzt die zusätzliche Zeit, um seine Gedanken zu ordnen, und kritzelt einen grundlegenden Plan in sein Notizbuch:

Startfinanzierung sichern.

Drei Entwickler einstellen.

Plattform innerhalb von drei Monaten beenden und launchen!

Kaum ist er damit fertig, trifft Mary ein.

»Tut mir leid, dass ich zu spät komme, Steve. Wir haben diese Woche ein großes Roll-out und kämpfen schon den ganzen Vormittag über mit verschiedensten Problemen. Normalerweise hätte ich den Termin verschoben, aber deine E-Mail klang ziemlich dringend. Was steht an?«

Steve holt sein Handy heraus, hält es für ein paar Sekunden über die Tischplatte und bittet Mary dann, einen Blick darauf zu werfen. Mary schaut verwundert und streckt ihre Hand aus, als wolle sie nach etwas auf dem Tisch greifen, aber ihre Hand bekommt nur Luft zu packen. Sie bricht in Gelächter aus.

»Dies ist die realistischste AR-App, die ich je gesehen habe. Die Cola-Dose und daneben das Glas mit Eis – das wirkt richtig einladend. Es macht mich durstig.«

»Ich bin froh, dass du es so empfindest. Ich habe eine Möglichkeit entwickelt, jedes reale Objekt als 3-D-Modell in einer AR- oder VR-Anwendung zu rendern, ohne Code schreiben oder komplexe Modellierungssoftware verwenden zu müssen. Man muss mit dem Handy nur ein paar Bilder des Objekts machen, und die Rendering-Engine erstellt in wenigen Minuten das 3-D-Modell. Die eben verwendeten Modelle habe ich gerade erst generieren lassen, während ich auf dich gewartet habe.«

»Nicht übel. Wie nennst du das Projekt?«

»Altverse – denn meine ultimative Vision ist es, ein alternatives virtuelles Universum zu schaffen, das letztlich genauso reichhaltig ist wie das, was wir derzeit bewohnen.«

Mary bittet Steve, mehr zu erzählen.

In den nächsten fünf Minuten fasst Steve zusammen, was er im letzten Jahr getan hat, und berichtet vom Launch von Virtuoso X und dem Plan für sein weiteres Vorgehen.

Mary hört ihm geduldig zu und stellt ihm dann eine einfache Frage. »Würdest du die nächsten sechs Monate lieber damit verbringen, Investoren zu überzeugen oder Kunden?«

Als sie Steves Verblüffung bemerkt, erklärt sie ihm, dass die Einwerbung von Geld ohne nachgewiesene Traktion des Projekts selbst im besten Fall ein sechsmonatiger Prozess in Vollzeit ist. »Und in dieser Zeit wirst du keine großen Fortschritte bei deinem Produkt machen. Nach deinen Schätzungen wird es also wahrscheinlich neun Monate bis zum Launch dauern.«

»Ich kann es mir nicht leisten, neun Monate zu warten«, platzt es aus Steve heraus. »Virtuoso X hat als First Mover einen Vorsprung. Bis dahin werden sie den gesamten Markt beherrschen!«

Mary fügt hinzu: »Ich weiß, das klingt wie ein Klischee, aber Wettbewerb ist gut. Er trägt dazu bei, nachzuweisen, dass ein Markt für etwas vorhanden ist. Und die meisten Erstanbieter haben eher einen Nach- als einen Vorteil. Facebook, Apple, Microsoft, Toyota – die Liste ließe sich fortsetzen – waren keine First Mover. Sie waren allesamt schnelle Nachzügler.«

Steve ist nicht überzeugt, nickt aber trotzdem.

»Okay … aber ich muss trotzdem irgendetwas in weniger als neun Monaten herausbringen.«

»Da hast du absolut recht. Musst du.«

»Dafür brauche ich aber mehr Entwickler, und ohne Geld kann ich keine einstellen …«

Mary unterbricht ihn. »Du musst ein MVP entwickeln, das die Kunden haben wollen.«

»Ein MVP?«

»Ein Minimum Viable Product – ein minimal tragfähiges Produkt.«

»So etwas wie eine Beta-Version?«

»In gewisser Weise schon … aber nicht ganz. Ein MVP ist die kleinste Lösung, die du entwickeln kannst und die dabei deinen Kunden einen monetarisierbaren Wert liefert. Ich weiß, dass du die Vision einer großen Plattform im Kopf hast, aber Kunden interessieren sich nicht für Plattformen. Zumindest nicht zu Beginn. Sie interessieren sich für Lösungen, die ihre unmittelbaren Probleme bewältigen. Du musst die kleinste Lösung finden, die ein ausreichend großes Kundenproblem löst, und diese bereitstellen. Um das zu erreichen, musst du zunächst deine idealen Early Adopters genau eingrenzen und darfst die Lösung nicht zu breit konzipieren. Wenn du versuchst, es allen recht zu machen, erreicht du am Ende niemanden.«

In diesem Moment klingelt Marys Telefon, und sie schaut auf das Display. »Tut mir leid, ich muss zurück ins Büro. Der beste Rat, den ich dir im Moment geben kann: Lies alles, was du über MVPs finden kannst. Investoren finanzieren heutzutage keine Ideen oder Produktentwicklungen, sondern Traktion. Und du braucht Kunden, um zu zeigen, dass dein Produkt tatsächlich Zugkraft hat.«

Steve wirft ein: »Wie viel Traktion braucht es denn?«

»Wenn du überhaupt Traktion vorweisen kannst, hebst du dich bereits von der Masse ab. Das haben wir so gemacht, bevor wir mit irgendwelchen Investoren gesprochen haben. Obwohl wir gerade einmal fünf zahlende Kunden hatten, hat das die Dynamik unseres Fundraisings völlig verändert. Heute haben wir die zehnfache Anzahl an Kunden, aber ohne diese ersten fünf hätte unser Pitch nur aus einem Haufen Versprechen bestanden. Lass uns noch einmal treffen, wenn du dein MVP definiert hast.«

Steve bedankt sich bei Mary für ihre Unterstützung, während sie einen letzten Bissen zu sich nimmt und dann eilig verschwindet.

Beginnen Sie nicht mit einem MVP

Es sind auf den Tag genau drei Wochen seit ihrer letzten Begegnung vergangen. Steve trifft sich erneut mit Mary, um sie auf den neuesten Stand zu bringen.

»Ich habe deinen Rat befolgt. Ich habe mich über MVPs informiert, und da ich bereits einen gewissen Anteil des Produkts entwickelt hatte, konnte ich mein MVP innerhalb einer Woche auf den Markt bringen … aber ich glaube nicht, dass es funktioniert.«

Er hält einen Moment inne und fährt dann fort. »Zwar melden sich Tag für Tag eine Menge neuer Nutzer an, was hervorragend ist, aber bisher hat noch niemand ein Upgrade durchgeführt, und die Kundenbindung ist ziemlich gering – die meisten Nutzer kommen nach dem ersten Tag nicht mehr zurück. Ich habe alle Arten von A/B-Tests durchgeführt und diese sogar ein paar Mal grundlegend variiert. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass mein MVP nicht gut genug ist. Dem Produkt fehlen noch einige Kernfunktionen. Aber ich glaube, endlich das Killer-Feature gefunden zu haben, und will es als Nächstes einbauen …«

Mary unterbricht ihn. »Lass uns noch mal einen Schritt zurückgehen. Wer sind diese Anwender? Und woher kommen sie?«

»Ich habe mein Produkt in einigen Onlinecommunitys wie Product Hunt und Hacker News angekündigt. Diese Ankündigung hat eine gewisse Begeisterung ausgelöst. Ein Teil des Traffics stammt immer noch von dort. Der Rest stammt aus Onlineanzeigen. Ich habe dafür ein kleines Budget von 25 Dollar pro Tag festgelegt.«

»Okay. Aber wer genau sind diese Anwender? Hast du mit ihnen gesprochen?«

Steve sieht etwas überrascht aus. »Mit ihnen geredet? Nein. Aber ich analysiere alles, was sie tun. Daher weiß ich, dass die Verweildauer wirklich niedrig ist.«

»Ich verstehe. Wir haben nach der Einführung unseres MVP einen ähnlichen Fehler gemacht. Wir haben aufgehört, mit unseren Kunden zu sprechen, und uns nur noch auf Metriken verlassen. Das Schwierige an solchen Kennzahlen ist, dass sie dir nur sagen können, was schiefläuft, aber nicht, warum. Wir haben lange herumgerätselt, wo genau unser Problem lag, aber nichts davon, was wir unternahmen, half. Erst als wir wieder mit unseren Kunden zu reden begannen, verstanden wir wirklich, wo der Hase im Pfeffer lag, und konnten gegensteuern. Du musst mit deinen Anwendern reden, Steve.«

Steve räuspert sich. »Mit meinen Anwendern reden? Ich habe noch nie mit irgendeinem von ihnen gesprochen.«

Jetzt ist Mary an der Reihe, verwirrt auszusehen. »Was? Wie hast du denn dann dein MVP definiert?«

»Ich hatte bereits so viel von der Plattform aufgebaut, dass ich schnell eine kleine Referenzanwendung starten konnte, die deren Leistungsfähigkeit demonstriert. Du hast gesagt, ich bräuchte etwas, das ich herausbringen kann. Geht es beim MVP nicht darum, möglichst schnell eine erste Version auszuliefern, die den eigenen Lernzyklus in Gang setzt … und dann durch schnelle Experimente das Produkt schrittweise zu verfeinern?«

Mary seufzt. »Tut mir leid, Steve, ich hätte dich warnen sollen, dass MVP ein ziemlich überladener Begriff ist, für den es viele verschiedene Definitionen und Ansätze gibt. Ja, viele Menschen interpretieren es auf die Art, wie du es beschrieben hast. Und es ist immerhin besser, als ein Jahr lang ein kompletteres Produkt zu entwickeln, nur um dann festzustellen, dass man zu viel hineingepackt hat – oder schlimmer noch: etwas entwickelt hat, das niemand will.«

Mary bemerkt, dass Steve bei ihrer letzten Bemerkung ein wenig rot wird. Sie entscheidet sich, es zu ignorieren, und spricht weiter. »Aber einfach nur seiner eigenen erstbesten Vermutung zu trauen und mit irgendeiner Lösung – und sei sie noch so klein – daherzukommen und diese als MVP zu bezeichnen, garantiert keine besseren Ergebnisse.«

»Hilft einem die Build-Measure-Learn-Feedbackschleife des Lean-Startup-Prozesses nicht dabei, das MVP schrittweise zu verbessern?«, fragt Steve.

»Theoretisch ja, aber viele Teams bleiben einfach stecken. Betrachte die Build-Measure-Learn-Schleife als ein Werkzeug zur schnellen Validierung von Ideen. Wenn du eine einigermaßen gute Idee einbringst und es schaffst, Early Adopters zu gewinnen, ist es möglich, dein MVP Schritt für Schritt zu verfeinern, so wie du es beschreibst. Aber wenn du mit einer schlechten Idee beginnst, findest du nur heraus, dass es eben eine schlechte ist. Und dann hängst du fest.«

»Wieso das?«, fragt Steve.

»Weil die Kunden von heute eine Menge Auswahl haben. Wenn dein MVP bei ihnen nicht ankommt, werden sie auch nicht zu Testern und geben dir kein geduldiges Feedback dazu, wie du dein Produkt verbessern kannst. Sie gehen einfach wieder – im Prinzip so wie deine Anwender mit ihrer geringen Produktbindung. Man rätselt dann herum, warum etwas nicht funktioniert, und macht sich auf die Suche nach dem mythischen Killer-Feature, das sich immer gleich hinter der nächsten Ecke zu verbergen scheint. Manchmal hat man damit Glück, aber meistens dreht man sich bloß im Kreis, probiert eine Idee nach der anderen aus und schafft es nie, einen wirklichen Durchbruch zu erzielen. Man landet in der Konstruktionsfalle.«

Steve macht große Augen, denn Mary hat damit seine Situation exakt auf den Punkt gebracht.

Dann stellt er ihr die offensichtliche Frage. »Wenn der Erfolg von der Qualität der Ausgangsidee abhängt, wie kann man dann sichergehen, dass man mit einer wenigstens einigermaßen guten Idee beginnt?«

»Genau das ist die entscheidende Frage, Steve. Dazu muss man sich zuallererst auf Probleme konzentrieren, nicht auf Lösungen. Die Herausforderung besteht heute nicht darin, mehr Features zu entwickeln, sondern genau herauszufinden, was man eigentlich entwickeln sollte.«

Steve schaut verwirrt, und Mary fügt hinzu: »Sieh es doch mal so: Mit einer Lösung zu beginnen, ist ungefähr so, als würde man einen Schlüssel herstellen, obwohl es dazu noch gar keine Tür gibt. Natürlich kannst du schnell einen schicken Schlüssel anfertigen, aber dann verbringst du viel Zeit mit der Suche nach der richtigen Tür, die sich damit öffnen lässt. Du kannst dabei Glück haben oder dir deinen Weg mit schierer Gewalt bahnen, aber in der Regel landet man dann nicht dort, wo man hinwill.«

Sie wartet auf ein Nicken von Steve, dann fährt sie fort. »Wenn man das Ganze einfach umdreht und mit Türen oder Problemen beginnt, die es wert sind, geöffnet bzw. gelöst zu werden, wird die Herstellung von Schlüsseln viel einfacher. Man fängt an, Schlüssel für Türen zu machen, die einen tatsächlich irgendwo hinführen.«

»Und dafür gibt es ein Verfahren?«, erkundigt sich Steve.

»Ja. Ich hatte gehofft, dass du bei deinen Nachforschungen zu MVPs darauf stoßen würdest. Wir haben in unserem Start-up nicht mit dem Aufbau eines MVP begonnen, sondern mit einem Angebot. Wir skizzierten zunächst mehrere Varianten unserer Idee auf einem Lean Canvas, einem Werkzeug zur schnellen Ideenmodellierung. Das half uns, mehrere vielversprechende Möglichkeiten zur Lösung von Kundenproblemen zu identifizieren und uns darauf auszurichten. Anschließend führten wir etwa zwei Dutzend Interviews mit Kunden, um unsere Annahmen über sie und ihre Problemstellungen zu überprüfen. Danach war die Definition der Lösung ein Kinderspiel. Aber selbst dann hatten wir es nicht eilig, ein MVP zu entwickeln. Stattdessen erstellten wir eine Demo und formulierten ein Angebot, das wir potenziellen Kunden in vielen weiteren Interviews unterbreiteten. Erst als wir genügend Kunden für unser Angebot gewonnen hatten, begannen wir mit der Entwicklung des MVP. Das Ergebnis sah schließlich ganz anders aus, als wir es uns ursprünglich vorgestellt hatten.

Mary zückt ihr Handy und sucht nach einer Illustration des Konzepts des Problem-Solution-Fits, die sie Steve zeigt (siehe Abbildung E.9).

»Okay, das meintest du also beim letzten Mal mit der ›Definition‹ eines MVP?«

»Genau. Du erhöhst deine Erfolgschancen ganz beträchtlich, wenn du dir die nötige Zeit nimmst, zunächst das MVP zu definieren und es dann anhand eines Angebots zu validieren, bevor du es wirklich entwickelst. Betrachte es als Demo-Sell-Build-Ansatz im Gegensatz zum traditionelleren Build-Demo-Sell-Ansatz.«

Abbildung E.9: Der Problem-Solution-Fit

»Und wie lange habt ihr für all das gebraucht? Das scheint eine Menge an Schritten zu sein.«

»Wir haben etwa 90 Tage gebraucht, um von einer Skizze auf der sprichwörtlichen Serviette zu einem Problem-Solution-Fit zu kommen, mit dem wir unsere ersten fünf zahlenden Kunden gewinnen konnten. Und ja, es erfordert mehr Schritte, als einfach nur schnell ein MVP zu entwickeln, aber wenn man dem Prozess diszipliniert folgt, gelangt man zum Schluss zu einem wirklich mafiösen Angebot.«

»Einem mafiösen Angebot?«

»Ja – einem Angebot, das deine Kunden nicht ablehnen können. Du weißt schon, aus dem Film Der Pate. Anders als im Film erpresst du deine Kunden nicht, sondern zeigst ihnen etwas, das so verlockend ist, dass sie einfach nicht widerstehen können. Am Ende der acht Wochen hatten wir fünf zahlende Kunden, die uns drängten, ihnen das MVP möglichst schnell zu liefern.«

»Das ist eine ganz andere Herangehensweise an die Produktentwicklung, als ich es gewohnt bin, ich fange jedoch an, die Logik dahinter zu verstehen. Aber ich habe mein Produkt bereits auf den Markt gebracht und habe bereits Anwender. Kann ich dieses Verfahren auch jetzt noch auf mein Produkt anwenden – oder muss ich wieder ganz von vorne beginnen?«

»Man kann dieses Verfahren durchaus auf ein bestehendes Produkt anwenden, vorausgesetzt, man ist bereit und offen für diesen neuen Weg. Wie du gerade zu Recht festgestellt hast, ist dieser Ansatz ungewohnt, und Ungewohntes fühlt sich oft unangenehm an. Die größte Hürde bestand für uns darin, in der Produktentwicklung von alten Gewohnheiten Abschied zu nehmen und dem gesamten Team eine neue Denkweise zu vermitteln. Die gute Nachricht ist aber, dass sich der Lernerfolg und die Ergebnisse schnell einstellen, sodass man sich nicht allein auf seinen Glauben verlassen muss.«

»Ich habe immer noch 100 taktische Fragen dazu, wie ich das alles machen soll. Wie bringt man Nutzer dazu, mit einem zu sprechen? Mit wie vielen Personen redet man? Was sagt man ihnen? Du hast mir großzügigerweise schon viel Zeit geopfert, aber könntest du mir noch ein wenig weiterhelfen?«

»Auf jeden Fall, Steve. Wie bei jedem anderen Prozess gibt es auch hier einige Fallstricke. Der größte davon ist unsere Voreingenommenheit hinsichtlich unserer eigenen Lösung – unser Innovator’s Bias. Selektiv und sogar unbewusst beachten wir nur das, was den Bau der Lösung in der Form rechtfertigt, die wir uns von Anfang an vorgestellt haben. Die Umstellung auf eine problemorientierte Denkweise klingt einfach, ist aber gar nicht so leicht.«

»Gibt es irgendwelche Hilfsmittel oder Ressourcen, die du mir empfehlen kannst?«, fragt Steve.

Mary lächelt. »Oh ja. Ich schicke dir eine Liste mit Ressourcen, Tools und Skripten für Kundeninterviews, die wir für die Schulung unseres Teams verwendet haben und weiterhin verwenden. Das Aufdecken von Problemen, die es wert sind, gelöst zu werden, ist nicht nur in der MVP-Phase wichtig … es ist auch der Schlüssel für alles, was danach kommt. Aber ich warne dich noch einmal: Das alles wird sich anfangs etwas seltsam und sogar unangenehm anfühlen. Das Wichtigste ist, geduldig zu sein und dem Prozess zu folgen, dann werden sich auch die entsprechenden Ergebnisse einstellen.«

»Bis jetzt habe ich bereits anderthalb Jahre damit verbracht, die Dinge auf meine Art zu machen, und es hat nicht funktioniert. Ich bin offen dafür, alles auszuprobieren – nein, zu testen.«

Mary lächelt wieder. »Prima! Lass uns bald wieder miteinander reden.«

Ein systematischer Ansatz für Entrepreneure

Auf seinem Weg zurück ins Büro lässt Steve sein Gespräch mit Mary noch einmal Revue passieren.

Ist es wirklich möglich, etwas zu entwickeln, was sich die Kunden wirklich wünschen und was Mary als »mafiöses Angebot« beschrieben hat, allein indem man die Kunden immer wieder befragt?

Als er in sein Büro zurückkehrt, findet er eine E-Mail von Mary in seinem Posteingang vor. Wie versprochen hat sie ihm eine umfangreiche Liste mit Ressourcen und eine umfassende Roadmap (siehe Abbildung E.10) geschickt.

Steve entdeckt in der Roadmap schnell den Product-Solution-Fit, aber viele der anderen Begriffe sind ihm fremd.

Abbildung E.10: Die Continuous Innovation Roadmap

Dann liest er die E-Mail von Mary:

Hi Steve,

wie versprochen findest du hier Links zum Continuous Innovation Framework und zu den Schritt-für-Schritt-Anleitungen, die wir verwenden.

Dabei musst du viele Punkte miteinander verbinden, also brauchst du etwas Geduld.

Das Continuous Innovation Framework arbeitet mit 90-tägigen Zyklen, die dem Modellieren-Priorisieren-Testen-Muster folgen, daher solltest du mit der Modellierung beginnen. Von dort aus arbeitest du dich durch die weiteren Phasen.

Und vergiss bitte nicht, dass man beim Lernen neuer Dinge oft alte Gewohnheiten verlernen muss. Wende das Framework rigoros an und teste es auch so.

Wenn du nicht weiterkommst, melde dich.

Mary

Steve macht sich an die Arbeit, und im Laufe mehrerer Wochen lernt er:

seine Idee in ein Geschäftsmodell zu verwandeln,

zu prüfen, ob es eine Idee wert ist, weiterverfolgt zu werden,

die riskantesten Annahmen in einem Geschäftsmodell zu identifizieren und zu priorisieren,

seine riskantesten Annahmen durch kleine und schnelle Experimente einem Stresstest zu unterziehen,

Interviews einzusetzen, um von Kunden zu lernen,

Traktion zu erzielen, noch bevor es ein Produkt gibt,

seine Idee so zu pitchen, dass Kunden sie kaufen, sowie

unter Bedingungen extremer Unsicherheit zu agieren und Entscheidungen zu treffen.

In den folgenden Monaten schafft Steve es, sein Produkt durch zahlende Kunden, wachsende Einnahmen und mit einem wachsenden Team wieder auf Kurs zu bringen.

Dieses Buch zeigt, wie.

Über mich

Hallo, mein Name ist Ash Maurya. Ich bin Gründer von LEANSTACK und Schöpfer von Lean Canvas, dem beliebten Werkzeug zur Geschäftsmodellierung. Auch ich war einmal ein Steve. Auch ich hatte eine fantastische Idee. Eine Idee, die so gut war, dass ich sie ausschließlich engen Freunden unter dem Siegel absoluter Geheimhaltung erzählte.

Ich arbeitete ein Jahr lang im Verborgenen an dieser »großen Idee«. Und wie Steve kämpfte auch ich darum, anderen Menschen zu vermitteln, was ich in dieser Idee sah.

Ich brauchte ungefähr sieben Jahre, um mich von Steve in Larry zu verwandeln – und seitdem gibt es kein Zurück mehr. Mein persönliches Mantra lautet: »Das Leben ist zu kurz, um etwas zu entwickeln, das niemand haben will.«

Ich schreibe den Erfolg und die gesamte Aufmerksamkeit, die ich im Laufe der Jahre mit meinen Büchern und Tools hatte und bekam, diesem neuen Ansatz zu, über Produkte nachzudenken und ihre Entwicklung anzugehen.

Ich habe LEANSTACK gegründet, um der nächsten Generation von Entrepreneuren zu helfen, nicht die gleichen Fehler zu machen wie ich.