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EINLEITUNG
1796
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EINLEITUNG
V
Wenn Professoren Suzette Gontard-Borckenstein im Munde führten als Diotima hatte es zumeist den üblichen Beiklang. Er selbst hat es sicher nie getan und das im Denken Verbundene auseinander gehalten im Umgang. Deswegen hier zumeist ihr Name, wie sie ihn schrieb.
Klopstock war es übrigens (befreundet mit der verwitweten Mutter Susanna, geborene Bruguier), der die Siebzehnjährige in Altona, weinend, wie es heißt, Jacob Gontard zuführte, der real und metaphorisch nur ein Auge hat. Les affaires avant tout! sein Wahlspruch. Nein, ihr Gott war nicht der Abgott der Bankiers und Bankrotteure. Auch nicht der Gott der Kanzelprediger und religiösen Schwätzer, wie wir von ihr erfahren. Was sie zu innig vielleicht fühlt, das ist ihr Leitstern; dem folgt sie. Kennt zwar die Vorschrift, wie etwas zu sein hat, aber achtet sie nur bedingt. Darin unterscheidet sie sich von den Angelernten. Wenn etwas Höheres als Liebe ist, dann ist ihr liebendes Herz abgöttisch.
In den ersten Wochen in Frankfurt entsteht das Fragment philosophischer Briefe: Entwurf zur Befriedung des parteiischen Denkens: Und jeder hätte demnach seinen eigenen Gott, in so ferne jeder seine eigene Sphäre hat…
Sie erkennen sich schnell, doch jeder für sich. Der Krieg kommt über den Rhein. Sie fliehen mit den Kindern nach Kassel. Sie und er und Marie Rätzer aus Bern, die für die drei kleineren Mädchen da ist. Wilhelm Heinze, der Verfasser des Ardinghello, kommt in Kassel hinzu. Sie zählt, wie ein Kind an den Fingern, die Stufen zum Herkules hinauf. Beugt sich über das niedrige Geländer am Fuße des Oktogons, so weit, bis er sie halten, umfassen muß. Dies alles und mehr geht ein in den neu entworfenen, der Form nach wieder hergestellten Hyperion. Jetzt wieder weit genug entfernt von Schiller.
Der weist das ihm übersandte Lied Diotima als viel zu weitschweifig zurück. Ebenso die kühnen Strophen An die klugen Rathgeber, die offen gegen ihn und Goethe sich wenden. Fügt aber den guten Rat hinzu, sich an die schönsten Muster zu halten und es weiterhin zu versuchen.
Nach Neujahr 1797, im Brief an Ebel nach Paris, erscheint dieser Satz: Ich glaube an eine Revolution der Gesinnungen und Vorstellungsarten, die alles bisherige schaamroth machen wird. Und dazu kann Deutschland vieleicht viel beitragen… Soll das umsonst gesagt sein? O leviathanische Jugend -
Im Wechsel mit Übersetzungen aus Ovid, Vergil und Euripides entsteht Der Wanderer, Die Eichbäume und An den Aether. Schiller nimmt sie an - nicht ohne (auf Goethes Rat) den Wanderer umzudichten. Als Goethe im August nach Frankfurt kommt und Hölderlin sich ihm präsentiert, findet er diesen bedrückt. Kein Wunder! Soeben hat er in den Horen seine entstellte Elegie gelesen.
1796
1. Januar. Christian Gottfried Körner an Friedrich Schiller. Zu den Aushängebogen des Musen-Almanachs für das Jahr 1796
Die ganze Sammlung ist in der That einzig in ihrer Art. Selbst unter den Beyträgen vom zweiten Range habe ich recht hübsche Sachen gefunden z. B. von Meyer, Hölderlin, Woltmann. Letzterer versificirt besonders gut, wenn auch die Ideen nicht immer neu sind.
11. Januar. An Carl Gock. Druck Chr. Th. Schwabs und Regest Gustav Schlesiers. Frankfurt a. M. d. 11 Jan. 1796.
Ich kann dir jezt nicht schreiben wie ich wünschte, lieber Karl! Ich möcht’ es nicht gerne einen Tag länger anstehen lassen, Nachricht von meiner Lage zu geben, und habe doch eben jezt keine Stunde, wo ich unzerstreut mein Innres dir mittheilen könnte. Davon, von mir, im eigentlichen Verstande, brauchst du auch für jezt noch keine Nachricht; denn es hat sich in diesem Sinne nichts verändert, wird sich auch, der Hauptsache nach, wie ich meine, nicht leicht etwas ändern; aber um mich ist indeß manches vorgegangen, wovon das Neueste ist, daß ich nun wirklich mein Verhältniß angetreten, daß ich, nach meinem, freilich noch nicht vesten, unwiderruflichen Urtheil, die besten Menschen zu Freunden, und an den Kindern dieser Menschen Zöglinge habe, wie man sie wohl nicht leicht wieder finden dürfte, wenn man Unbefangenheit, reine Natur, ohne Rohheit, sucht, daß ich in keinem Stüke genirt bin bei meinem Verhältniß, jährlich 400 fl. und alles frei habe.
Von sehr interessanten Menschen, die ich kennen lernte, besonders während meines Aufenthalts in Homburg, bei Sinklär, der dich grüßen läßt, von mancher Freude, mancher Bemerkung, überhaupt von meinem bisherigen mannigfaltigen Leben geb’ ich dir vieleicht ein andermal Rechenschaft.
Ich denke an dich in stillen Augenbliken, ich fühle, daß wir immer mehr Freunde werden. Lieber! Freundschaft ist ein großes Wort, faßt sehr viel in sich.
Was macht die liebe Mutter? Ich freue mich über mein gutes Schiksaal, weil ich denke, daß es zu ihrer Erheiterung beitragen wird. - Gerne schrieb’ ich noch an meine theure Schwester, aber ich habe heute nicht einen Augenblik mehr übrig. Sie soll doch ja nicht glauben, als wär’ es Mangel an der brüderlichen Liebe, die sie gewiß immer in mir gefunden haben wird. Ich habe dieser Tage etliche Briefe zu schreiben, und der an meine Schwester wird der erste seyn. Sollten Briefe an mich angekommen seyn, oder ankommen, so sei so gut, sie mir so bald als möglich zuzuschiken. Paquete schickst du mir unfrankirt.
Ich wohne noch in der Stadt Mainz, einem Gasthofe, weil mein Zimmer in Gontards. Hauße noch nicht ganz zurecht gemacht ist. Adressire die Briefe dahin.
Leb wohl, lieber Bruder! Laß uns einander treu bleiben! Dein Hölderlin.
14. Januar. Franz Wilhelm Jung an Johann Gottfried Ebel.
Fragen Sie doch Herrn Wenner ob er meine Übersezung Ossians übernehmen wolle […] Auch Hölderlin kent die Übersezung. Fragen Sie ihn vorher um sein ganz unpartheiisches Urteil.
15. Januar. An Christian Ludwig Neuffer.
Frankfurt am Main. d. 15. Jan. 96.
Lieber Bruder!
Ich hätte dir nicht wohl ohne Zerstreuung schreiben können, wenn ich nicht bis jezt gewartet hätte, auch jezt noch wirst du die Folgen des Umherirrens, des unsteten getheilten Interesses, das einem so eine Lage unwillkührlich giebt, an mir finden. Ich weiß wohl, daß es einmal Zeit wäre, mich weniger durch Neuheit beunruhigen zu lassen; aber ich mußte wieder finden, daß, bei aller Vorsicht, das Unbekannte für mich sehr leicht mehr wird, als es wirklich für mich seyn kann, daß ich bei jeder neuen Bekantschaft von irgend einer Täuschung ausgehe, daß ich die Menschen nie verstehen lerne, ohne einige goldne kindische Ahndungen aufzuopfern.
Grüße alle meine Freunde von mir. Hofrath Jung läßt dich grüßen.
17. Januar. Schiller sendet Goethe seine ersten 66 Xenien. Darunter befindet sich das an Hölderlin gerichtete, jedoch nicht in den,Xenien-Almanach’ 1797 aufgenommene Epigramm. Angespielt wird auf den ein Jahrundert zuvor aufgetretenen Propheten Sabbatai Zwi, der - was zur Idee der Erlösung durch Sünde gehörte - die Demütigung einer erzwungenen Konversion zum Islam hinnahm.
Der falsche Messias zu Konstantinopel an H.
Als der Prophet nicht geriet, da ward er ein Türke zu Stambul; Freund, sei vernünftig wie er, werde du jetzt Philosoph.
18. Januar. Friedrich Schiller an Friedrich Haug.
Endlich mein lieber Freund kann ich Ihnen einen MusenAlmanach senden, auf den mein Verleger mich etwas lange warten ließ. Ich wähle ein unbeschnittenes Exemplar auf englischem Velin, welche gar nicht im Handel circulieren, und das Ihnen also wahrscheinlich lieber seyn wird als die abgeschmackten KalenderFormate mit goldnem Schnitt.
Für Ihre Beyträge, deren Fortsezung ich mir auch für das nächste Jahr erbitte, meinen beßten Dank. Wollen Sie innliegende Stücke an die H.H. Hölderlin u. Neuffer besorgen?
Im Januar. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling aus Stuttgart an Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Viele Grüße von Süskind, der hier als Hofmeister - siedet. Auch von Pfister, item Hofmeister allhier. Grüße Mögling, der den Winter recht epikureisch - auf seinem Dörfchen verleben wird. Daß Hölderlin in Frankfurt ist, wirst du wissen.
Vmtl. im Februar. Entwurf der für Niethammer bestimmten philosophischen Briefe. Das hierfür bereitgestellteFaszikel bestand aus 10 ineinandergelegten, jetzt zum Teil getrennten Doppelblättern. Mit dem 1. und 2. sowie dem 7. Blatt sind Anfang und Ende dieses immer noch uneingelösten Denkmodells verloren. Die beiden letzten Blätter werden im Spätsommer 1799 zu zwei Briefen an die Mutter genutzt. Die restlichen elf Blätter des Hefts nehmen dann - von hinten nach vorn geschrieben - die Oden-Produktion und poetologische Entwürfe des Herbsts 1799 auf.
halten muß und nichts anders meint und muß er meinen, wenn er von einer Gottheit redet und von Herzen und nicht aus einem dienstbaren Gedächtniß oder aus Profession spricht. Der Beweis liegt in wenigen Worten. Weder aus sich selbst allein, noch einzig aus den Gegenständen, die ihn umgeben, kann der Mensch erfahren, daß mehr als Maschinengang, daß ein Geist, ein Gott, ist in der Welt, aber wohl in einer lebendigeren, über die Nothdurft erhabnen Beziehung, in der er stehet mit dem was ihn umgiebt.
Und jeder hätte demnach seinen eigenen Gott, in so ferne jeder seine eigene Sphäre hat, in der er wirkt und die er erfährt, und nur in so ferne mehrere Menschen eine gemeinschaftliche Sphäre haben, in der sie menschlich, d. h. über die Nothdurft erhaben wirken und leiden, nur in so ferne haben sie eine gemeinschaftliche Gottheit; und wenn es eine Sphäre giebt, in der zugleich alle Menschen leben, und mit der sie in mehr als nothdürftiger Beziehung sich fühlen, dann, aber auch nur in so ferne, haben sie alle eine gemeinschaftliche Gottheit.
Es muß aber hiebei nicht vergessen werden, daß der Mensch sich wohl auch in die Lage des andern versezen, daß er die Sphäre des andern zu seiner eigenen Sphäre machen kann, daß es also dem einen, natürlicher weise, nicht so schwer fallen kann, die Empfindungsweise und Vorstellung zu billigen von Göttlichem, die sich aus den besondern Beziehungen bildet, in denen er mit der Welt steht - wenn anders jene Vorstellung nicht aus einem leidenschaftlichen übermüthigen oder knechtischen Leben hervorgegangen ist, woraus dann immer auch eine gleich nothdürftige, leidenschaftliche Vorstellung von dem Geiste, der in diesem Leben herrsche, sich bildet, so daß dieser Geist immer die Gestalt des Tyrannen oder des Knechts trägt. Aber auch in einem beschränkten Leben kann der Mensch unendlich leben, und auch die beschränkte Vorstellung einer Gottheit, die aus seinem Leben für ihn hervorgeht, kann eine unendliche seyn. Ausführung.
Also, wie einer die beschränkte aber reine Lebensweise des andern billigen kann, so kann er auch die beschränkte, aber reine Vorstellungsweise billigen, die der andere von Göttlichem hat. Es ist im Gegentheil Bedürfniß der Menschen, so lange sie nicht gekränkt und geärgert, nicht gedrükt und nicht empört in gerechtem oder ungerechtem Kampfe begriffen sind, ihre verschiedenen Vorstellungsarten von Göttlichem eben, wie im übrigen Interesse, sich einander zuzugesellen, und so der Beschränktheit, die jede einzelne Vorstellungsart hat und haben muß, ihre Freiheit zu geben, indem sie in einem harmonischen Ganzen von Vorstellungsarten begriffen ist, und zugleich, eben, weil in jeder besonderen Vorstellungsart auch die Bedeutung der besonderen Lebensweise liegt, die jeder hat, der nothwendigen Beschränktheit dieser Lebensweise ihre Freiheit zu geben, indem sie in einem harmonischen Ganzen von Lebensweisen begriffen ist.
Du fragst mich, wenn auch die Menschen, ihrer Natur nach, sich über die Noth erheben, und so in einer mannigfaltigern und innigeren Beziehung mit ihrer Welt sich befinden, wenn sie auch, in wie weit sie über die (physische und moralische) Notdurft sich erheben, immer ein menschlich höheres Leben leben, (in einem mehr als mechanischen Zusammenhange, daß ein höheres Geschik zwischen ihnen und ihrer Welt sei) wenn auch wirklich dieser höhere Zusammenhang ihnen ihr heiligstes sei, weil sie in ihm sich selbst und ihre Welt, und alles, was sie haben und seien, vereiniget fühlen, warum sie sich den Zusammenhang zwischen sich und ihrer Welt gerade vorstellen, warum sie sich eine Idee oder ein Bild machen müssen, von ihrem Geschik, das sich genauer betrachtet weder recht denken ließe, noch auch vor den Sinnen liege?
So fragst du mich, und ich kann dir nur so viel darauf antworten, daß der Mensch auch in so fern sich über die Noth erhebt, als er sich seines Geschiks erinnern, daß er für sein Leben dankbar seyn kann und mag, daß er in einem durchgängigern Zusammenhang mit dem Elemente, in dem er sich regt, auch durchgängiger empfindet, daß er, in dem er sich in seiner Wirksamkeit und den damit verbundenen Erfahrungen über die Noth erhebt, auch eine unendlichere, durchgängigere Befriedigung erfährt, als die Befriedigung der Nothdurft ist, wenn anders seine Thätigkeit rechter Art, nicht für ihn, für seine Kräfte und seine Geschiklichkeit zu weitaussehend, wenn sie nicht zu unruhig, zu unbestimmt, von der anderen Seite nicht zu ängstlich, zu eingeschränkt, zu mäßig ist. Greift es der Mensch nur recht an, so giebt es für ihn, in jeder ihm eigentümlichen Sphäre, ein mehr als nothdürftiges, ein höheres Leben, also eine mehr als nothdürftige, eine unendlichere Befriedigung. So wie nun jede Befriedigung ein momentaner Stillstand des wirklichen Lebens ist, so ist es auch eine solche unendlichere Befriedigung, nur mit diesem großen Unterschiede, daß auf die Befriedigung der Nothdurft eine Negative erfolgt, wie z. B. die Thiere gewöhnlich schlafen, wenn sie satt sind, auf eine unendlichere Befriedigung aber zwar auch ein Stillstand des wirklichen Lebens, aber daß dieses eine Leben im Geiste erfolgt, und daß die Kraft des Menschen das wirkliche Leben, das ihm die Befriedigung gab, im Geiste wiederhohlt. Ich sage, jener unendlichere mehr als nothdürftige Zusammenhang, jenes höhere Geschik, das der Mensch in seinem Elemente erfahre, werde auch unendlicher von ihm empfunden, befriedige ihn unendlicher, und aus dieser Befriedigung gehe das geistige Leben hervor, wo er gleichsam sein wirkliches Leben wiederhohle. In so ferne aber ein höherer unendlicherer Zusammenhang zwischen ihm und seinem Elemente ist in seinem wirklichen Leben, kann dieser weder blos in Gedanken, noch blos im Gedächtniß wiederholt werden, denn der blose Gedanke, so edel er ist, kann doch nur den nothwendigen Zusammenhang, nur die unverbrüchlichen, allgültigen, unentbehrlichen Geseze des Lebens wiederhohlen, und in eben dem Grade, in welchem er sich über dieses ihm eigentümliche Gebiet hinaus und den innigeren Zusammenhang des Lebens zu denken wagt, verläugnet er auch seinen eigentümlichen Karakter, der darin besteht, daß er ohne besondere Beispiele eingesehen und bewiesen werden kann. Jene unendlicheren mehr als nothwendigen Beziehungen des Lebens können zwar auch gedacht, als nur nichts blos gedacht werden; der Gedanke erschöpft sie nicht, und wenn es höhere Geseze giebt, die jenen unendlichern Zusammenhang des Lebens bestimmen, wenn es ungeschriebene göttliche Geseze giebt, von denen Antigonä spricht, als sie, troz des öffentlichen strengen Verbots, ihren Bruder begraben hatte, - und es muß wohl solche geben, wenn jener höhere Zusammenhang keine Schwärmerei ist - ich sage, wenn es solche giebt, so sind sie, in so ferne sie blos für sich und nicht im Leben begriffen vorgestellt werden, unzulänglich, einmal weil in eben dem Grade, in welchem der Zusammenhang des Lebens unendlicher wird, die Thätigkeit und ihr Element, die Verfahrungsart, und die Sphäre in der sie beobachtet wird, also das Gesez, und die besondere Welt in der es ausgeübt wird, unendlicher verbunden ist und eben deswegen das Gesez, wenn es auch gleich ein für gesittete Menschen allgemeines wäre, doch niemals ohne einen besondern Fall, niemals abstract gedacht werden könne, wenn man ihm nicht seine Eigentümlichkeit, seine innige Verbundenheit mit der Sphäre in der es ausgeübt wird, nehmen wollte. Und dann sind die Geseze jenes unendlichern Zusammenhangs, in dem sich der Mensch mit seiner Sphäre befinden kann, doch immer nur die Bedingungen, um jenen Zusámmenhang möglich zu machen, und nicht der Zusammenhang selbst.
Also kann dieser höhere Zusammenhang nicht blos in Gedanken wiederhohlt werden. So kann man von den Pflichten der Liebe und Freundschaft und Verwandtschaft, von den Pflichten der Hospitalität, von der Pflicht, großmüthig gegen Feinde zu seyn, man kann von dem sprechen, was sich für die oder jene Lebensweise, für den oder jenen Stand, für diß oder jenes Alter oder Geschlecht schike, und nicht schike, und wir haben wirklich aus den feinern und unendlichern Beziehungen des Lebens zum Theil eine arrogante Moral zum Theil eine eitle Eiquette oder auch eine schaale Geschmaksregel gemacht, und glauben uns mit unsern eisernen Begriffen aufgeklärter, als die Alten, die jene zarten Verhältnisse als religiose das heißt, als solche Verhältnisse betrachteten, die man nicht so wohl an und für sich, als aus dem Geiste betrachten müsse, der in der Sphäre herrsche, in der jene Verhältnisse stattfinden. In wie ferne hatten sie Recht?Und sie hatten darum recht, weil, wie wir schon gesehen haben, in eben dem Grade, in welchem die Verhältnisse sich über das physisch und moralisch nothwendige erheben, die Verfahrensart und ihr Element auch unzertennlicher verbunden sind, die einzelne Form und Art bestimmter Grundbeziehungen absolut gedacht werden können.
Und diß ist eben die höhere Aufklärung die uns größtentheils abgeht. Jene zartern und unendlichern Verhältnisse müssen also aus dem Geiste betrachtet werden, der in der Sphäre herrscht, in der sie stattfinden, d. h. solche sind, wo die Menschen, die in ihnen stehen, insofern wohl ohne einander isolirt bestehen können, und daß die Rechtsverhältnisse erst durch ihre Störung positiv werden d. h. daß diese Störung kein Unterlassen, sondern eine Gewaltthat ist, und eben so wieder durch Gewalt und Zwang gehindert und beschränkt wird, daß also auch die Geseze jener Verhältnisse an sich negativ, und nur unter Voraussetzung ihrer Übertretung positiv sind, da hingegen jene freieren Verhältnisse, so lange sie sind was sie sind und ungestört bestehen,
Winke zur Fortsezung. Unterschied religiöser Verhältnisse von intellectualen moralischen rechtlichen Verhältnissen einestheils, und von physischen mechanischen historischen Verhältnissen anderntheils, so daß die religiösen Verhältnisse einetheils in ihren Theilen die Persönlichkeit, die gegenseitige Beschränkung, das negative gleiche Nebeneinanderseyn der intellectualen Verhältnisse, anderntheils den innigen Zusammenhang, das Gegebenseyn des einen zum andern, die Unzertrennlichkeit in ihren Theilen haben, welche die Theile eines physischen Verhältnisses karakterisirt, so daß die religiösen Verhältnisse in ihrer Vorstellung weder intellectuell noch historisch, sondern intellectuell historisch, d. h. Mythisch sind, sowohl was ihren Stoff, als was ihren Vortrag betrifft, und wie er diß deutlicher oder dunkler in einemBilde auffaßt, dessen Karakter den Karakter des eigentümlichen Lebens ausdrükt, den jeder in seiner Art unendlich leben kann und lebt.
Sie werden also in Rüksicht des Stoffs weder blos Ideen oder Begriffe oder Karaktere, noch auch bloße Begebenheiten, Thatsachen, enthalten, auch nicht beedes getrennt, sondern beedes in Einem, (u. zwar so, daß wo die persönlichen Theile mehr Gewicht haben, Hauptparthien, der innere Gehalt sind, die Darstellung, der äußere Gehalt geschichtlicher seyn wird (epische Mythe), und wo die Begebenheit Hauptparthie ist, innerer Gehalt, der äußere Gehalt persönlicher seyn wird (dramatische Mythe), nur muß nicht vergessen werden, daß so wohl die persönlichen Theile als die geschichtlichen immer nur Nebentheile sind, im Verhältniß zur eigentlichen Hauptparthie, zu dem Gott der Mythe. Das lyrischmythische ist noch zu bestimmen.
So auch der Vortrag der Mythe. Ihre Theile werden einerseits so zusammengestellt, daß durch ihre durchgängige gegenseitige schikliche Beschränkung keiner zu sehr hervorspringt, und jeder einen gewissen Grad von Selbstständigkeit eben dadurch erhält, und in so fern wird der Vortrag einen intellectualen Karakter tragen, anderseits, werden sie, indem jeder Theil etwas weiter gehet, als nötig ist, eben dadurch jene Unzertrennlichkeit erhalten, die sonst nur den Theilen eines physischen mechanischen Verhältnisses eigen ist.
So wäre alle Religion ihrem Wesen nach poëtisch.
(Hier kann nun noch gesprochen werden über die Vereinigung mehrerer zu einer Religion, wo jeder seinen Gott und alle einen gemeinschaftlichen in dichterischen Vorstellungen ehren, wo jeder sein höheres Leben und alle ein gemeinschaftliches höheres Leben, die Feier des Lebens mythisch feiern. Ferner könnte noch gesprochen werden von Religionsstiftern, und von Priestern, was sie aus diesem Gesichtspuncte sind; jene die Religionsstifter (wenn es nicht Väter einer Familie sind, die das Geschäft und Geschik derselben forterbt, wenn sie einem
Chronologisch nicht einzuordnendes Stammbuchblatt Suzette Gontard Borckensteins. Dazu In lieblicher Bläue…: Die Himmlischen aber, die immer gut sind, wie Reiche, haben diese, Tugend und Freude…
Freude ohne Tugend, ist keine Freude. Tugend ohne Freude ist keine Tugend. Frankfurth den 3. Februar Suzette Gontard.
11. Februar. An Carl Gock. Druck in Chr. Th. Schwabs und Regest Schlesiers. Das Zitat Deus nobis… Ein Gott hat uns diese Ruhe geschaffen ist Vergils erster Ekloge entnommen.
Frankfurt am M., d. 11 Febr. 96.
Lieber Bruder!
Ich danke dir ganz herzlich für die brüderliche Theilnahme an meinem Schiksaale, wie auch unsrer lieben Mutter. Du hast mich in bösen Tagen gesehn und Geduld mit mir gehabt, ich wollte nun auch, du könntest die fröhlichere Periode mit mir theilen.
Es war auch Zeit, daß ich mich wieder etwas verjüngte; ich wäre in der Hälfte meiner Tage zum alten Manne geworden. Mein Wesen hat nunwenigstens ein paar überflüssige Pfunde an Schwere verloren und regt sich freier und schneller, wie ich meine.
Deus nobis haec otia fecit. Du wirst mir das gönnen, Lieber! wirst nicht gerade deßwegen denken, daß meine alte Liebe rosten werde über meinem neuen Glük. Aber Glük wirst du meine Lage auch nennen, wenn du selbst siehst und hörst, und das kann ich, wenigstens, was die Reisekosten und Logis und Kost in Frankfurt betrifft, sehr bald und sehr leicht möglich machen.
Von weiteren Planen sprech’ ich mit dir, wenn ich mehr in dieser Rüksicht mich umgesehen habe. Ich war schon wieder in Homburg auf Sinklär dringendes Bitten. Er geht wahrscheinlich an den Berliner Hof, um da als Geschäftsmann von der pique auf zu dienen, betrachtet diß aber nur als eine nicht unzwekmäßige Vorübung zu besseren Tagen. Er läßt dich herzlich grüßen.
Ich bedaure dich, Lieber! daß deine zum Theil wirklich alberne Lage dir böse Launen abnöthigt. Vergiß dich in Ideen: das ist freilich ein kurzer Rath, ein kalter Trost, aber gewiß deiner und meiner würdig. Glaube, mein Karl! daß ich Alles für dich thun werde, was ich kann, und denke, daß du doch in hiesiger Gegend Menschen hast, die dich zu schäzen wissen. Werde nur nicht müde. - Ich arbeite jezt einzig an den philosophischen Briefen, deren Plan du kennst, um sie an Prof. Niethammer zu schiken, der mich an mein Versprechen mahnte und mich um Aufsäze bat in dem Briefe, den du mir überschiktest.
Weist du nichts Neues von meinem Roman? Hat Schiller noch nichts an mich geschikt?
Sei doch so gut, mir meine Flöte, sicher gepakt, zu schiken. Sie muß noch in Nürtingen liegen.
Was macht denn unser guter Fripon? Das Thier liegt mir sonderbar am Herzen, das macht, daß er mir Freude machte in Stunden, wo ich über die Menschen trauerte. Es ist ein herzlich tröstendes Gefühl, die Verwandtschaft, in der wir stehen mit der weiten frohen Natur, zu ahnden und so viel möglich, zu verstehen. Auf den Sommer werd’ ich mich wohl auch einmal auf Botanik legen. Über meine Erziehungsgeschäffte und über ihre Freuden ein andermal.
Der lieben Mutter nochmal tausend Dank für ihre guten mütterlichen Äußerungen. Schreib’ mir auch von ihr, ihrer Gesundheit, Ihrer Gemüthsstimmung.
Dein Friz.
24. Februar. An Friedrich Immanuel Niethammer; mitgeteilt von J. L. Döderlein.
Frankfurt am Main. den 24. Februar 1796.
Mein verehrungswürdiger Freund!
Ich verschob es von einem Tag zum andern, dir von mir Nachricht zu geben. Ich würde wohl auch noch länger mit dem Brief, den ich dir schulde zuwarten, wenn ich von dir nicht an mein Versprechen gemahnt würde. Du thust diß so sanft, daß ich ordentlich beschämt bin. Du fragst mich, wie ich mich in meiner neuen Lage fühle, und ob ich mit den Aufsäzen, die ich dir noch in Jena zu schreiben versprach, bald zu Ende kommen werde.
Die neuen Verhältnisse, in denen ich jezt lebe, sind die denkbar besten. Ich habe viel Muße zu eigener Arbeit, und die Philosophie ist wieder einmal fast meine einzige Beschäftigung. Ich habe mir Kant und Reinhold vorgenommen und hoffe, in diesem Element meinen Geist wieder zu sammeln und zu kräftigen, der durch fruchtlose Bemühungen, bei denen du Zeuge warst, zerstreut und geschwächt wurde.
Aber der Nachhall aus Jena tönt noch zu mächtig in mir, und die Erinnerung hat noch zu große Gewalt, als daß die Gegenwart mir heilsam werden könnte. Verschiedene Linien verschlingen sich in meinem Kopf, und ich vermag sie noch nicht zu entwirren. Für ein continuirliches angestrengtes Arbeiten, wie es die gestellte philosophische Aufgabe erfordert, bin ich noch nicht gesammelt genug.
Ich vermisse deinen Umgang. Du bist auch heute noch mein philosophischer Mentor, und dein Rath, ich möge mich vor Abstractionen hüten, ist mir heute so theuer wie er mir früher war, als ich mich darein verstriken ließ, wenn ich mit mir uneins wurde. Die Philosophie ist eine Tyrannin, und ich dulde ihren Zwang mehr, als daß ich mich ihm freiwillig unterwerfe.
In den philosophischen Briefen will ich das Prinzip finden, das aber auch vermögend ist, den Widerstreit verschwinden zu machen, das mir die Trennungen, in denen wir denken und existiren, erklärt, das den Widerstreit zwischen dem Subject und dem Object, zwischen unserem Selbst und der Welt, ja auch zwischen Vernunft und Offenbarung, - theoretisch, in intellectualer Anschauung, ohne daß unsere praktische Vernunft zu Hilfe kommen müßte. Wir bedürfen dafür ästhetischen Sinn, und ich werde meine philosophischen Briefe „Neue Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen“nennen. Auch werde ich darin von der Philosophie auf die Poesie und Religion kommen.
Schelling, den ich vor meiner Abreise sah, ist froh, in deinem Journal mitzuarbeiten und durch dich in die gelehrte Welt eingeführt zu werden. Wir sprachen nicht immer accordierend miteinander, aber wir waren uns einig, daß neue Ideen am deutlichsten in der Briefform dargestellt werden können. Er ist mit seinen neuen Überzeugungen, wie du wissen wirst, einen besseren Weg gegangen, ehe er auf dem schlechteren ans Ziel gekommen war. Sag mir dein Urtheil über seine neuesten Sachen.
Empfiehl mich allen, bei denen ich in freundlichem Andenken bin und erhalte mir deine Freundschaft, die mir so theuer war. Es wäre der schönste Lohn für mich, wenn ich dich bald durch Früchte erfreuen könnte, von denen ich sagen werde, daß ihr Reifen durch deine Pflege und Wartung mitbefördert worden ist.
Dein Hölderlin.
Frankfurt. d. März 96.
„Mir gehts noch immer gut; ich bin gesund und habe keine Sorgen und das ist ja genug, um wenigstens sein Tagwerk ungestört auszuüben.
„Du willst, schreibst du mir, mit Aesthetik dich beschäfftigen. Glaubst du nicht, daß die Bestimmung der Begriffe ihrer Vereinigung vorausgehen müsse, und daß demnach die untergeordneten Theile der Wissenschaft, z. B. Rechtslehre (im reinen Sinn), Moralphilosophie p.p. müssen studirt werden, ehe man an die cacumina rerum geht? Glaubst du nicht, daß man, um die Bedürftigkeit der Wissenschaft kennen zu lernen, und so ein Höheres über ihr zu ahnden, müsse zuvor diese Bedürftigkeit eingesehn haben? Man kann freilich auch von oben hereinsteigen, man muß es in sofern immer, als das reine Ideal alles Denkens und Thuns, die undarstellbare, unerreichbare Schönheit uns überall gegenwärtig seyn muß, aber in seiner ganzen Vollständigkeit und Klarheit kann es doch nur dann erkannt werden, wenn man durchs Labyrinth der Wissenschaft hindurchgedrungen, und nun erst, nachdem man seine Heimath recht vermißt hat, im stillen Lande der Schönheit angekommen ist.“
Doch wolle er ihm damit nur Stoff zum Nachdenken geben. Um alle Autorität abzulehnen, gestehe er ihm offenherzig, daß er diesen Punkt wirklich noch nicht reiflich genug überdacht habe.
Hatte einen Besuch von einem Vetter Bräunlin gehabt, der nach Wezlar ging.
Vmtl. um den 20. März. An Christian Ludwig Neuffer.
Lieber Bruder!
Ich wunderte mich nicht, daß du so lange nicht schriebst. Ich weiß ja, wie das geht; man möchte gern dem Freunde etwas sagen, was man nicht gerade eine Woche später zurüknehmen muß, und doch wiegt uns die ewige Ebb’ und Fluth hin und her, und was in der einen Stunde wahr ist, können wir ehrlicher weise in der nächsten Stunde nicht mehr von uns sagen, und indeß der Brief ankommt, den wir schrieben, hat sich das Laid, das wir klagten, in Freude, oder die Freude, die wir mittheilten, in Laid verwandelt, und so ists mehr oder weniger mit den meisten Äußerungen unsers Gemüths und Geistes. Die Augenblike, wo wir Unvergängliches in uns finden, sind so bald zerstört, der Unvergängliche wird selbst zum Schatten, und kehrt nur, zu seiner Zeit, wie Frühling und Herbst, lebendig in uns zurük. Das ists, warum ich wenigstens nicht gerne schreibe.
Du willst Rath für dein Herz von mir, Lieber! Du mußtest beinahe voraussehn, daß ich dazu nicht der Mann war. Wär ich weise genug, um die mächtige Stimme der Natur nicht zu achten, so könnt ich dir wohl eine gutgemeinte altkluge Predigt schiken, wär ich thöricht genug, um dem unbedachtsamen Zuge des Herzens das Wort zu reden, so würd’ ich dir vieleicht noch einen größern Gefallen thun. Aber ich bin, laider oder gottlob! keines von beiden.
Ich kan dir nichts sagen, als was ich dir schon einmal sagte; findest du, daß das liebliche Geschöpf für dich, und nur für dich gemacht, das heißt, unter allem was lieben kan, deinem Wesen am nächsten ist, dann lache der Klugheit ins Angesicht und wags im Nahmen der heiligen Natur, vor der das Menschenwerk, die bürgerlichen Verhältnisse, so wenig gelten, als unsre Regeln von Schiklichkeit und Anstand vor den Kindern.
Ist es aber blos ein Behelf deines verlassenen Herzens, ist es blos die Armuth des Lebens, die das Schiksaal dich fühlen ließ, daß du so hohen Werth in dieses Wesen legst, ist es mehr ein Kind der Noth, mehr von zufälligen Umständen dir abgedrungen, als die reine unvermischte Äußerung deines Innersten, dann freilich würd’ ich um dich trauern, wenn du dennoch dich, die künftigen Blüthen und Früchte deines Geistes, deine ewig jugendliche ruhige Heiterkeit, die häuslichen Freuden, die dich vieleicht anderswo erwarteten, und vieleicht noch manches andre aufs Spiel seztest.
Laß dich das nicht irre machen, lieber alter Freund! denke, daß hierinn eigentlich keiner dem andern etwas sagen kann, daß ich also, im Grunde genommen, auch nichts gesagt habe.
Mir geht es so gut, wie möglich. Ich lebe sorgenlos, und so leben ja die seeligen Götter.
Daß Schiller den Phaëton nicht aufnahm, daran hat er nicht Unrecht gethan, und er hätte noch bessser gethan, wenn er mich gar nie mit dem albernen Probleme geplagt hätte; daß er aber das Gedicht an die Natur nicht aufnahm, daran hat er, meines Bedünkens nicht recht gethan. Übrigens ist es ziemlich unbedeutend, ob ein Gedicht mehr oder weniger von uns in Schillers Allmanache steht. Wir werden doch, was wir werden sollen, und so wird dein Unglük dich so wenig kümmern, wie meines.
Sei glüklich, Lieber! und nehm es gedultig an, wenn bei großer Freude großer Schmerz ist! -
Für die Nachricht von der Lebretin dank ich dir; ich hätt’ es auch nicht um sie verdient, wenn sie nicht gut von mir gedacht hätte.
Dein Hölderlin.
Vmtl. um den 20. März entsteht - noch unter dem Titel Athenäa - der erste Entwurf zum Lied Diotima. Notiz Gustav Schlesiers, der die ihm zugänglichen Entwurfsstufen und Drucke dieses Gedichts sichtet, vergleicht und Varianten verzeichnet. 1) Athenäa überschrieben. - 8 Verse à 8 Zeilen. - Anfang: „Da ich noch in Kinderträumen, “- Im Ganzen noch sehr matt, aber schon einige der spätern Hauptstellen zeigen sich.
Ergänzend. Aus Ludwig Zeerleders Reisetagebuch in Briefen an seinen Freund Hans Jacob Hirzel. Der junge Berner Bankier hielt sich auf einer Bildungsreise, die weiter nach Hamburg und London führte, vom 18. bis 25. Juli 1793 in Frankfurt auf. 25. Juli:
Das erste und gröste Haus sind ohne Zweifel die Bethmann; aber ihre Gesellschaft ist bey weitem nicht die beste, meist emigrierte Franzosen oder dütsche Glüksritter, welche um ihr Mittag und Abendessen der abgeschmakten Dame des Hauses Cour machen; - überall Ostentation und Eitelkeit, statt vernünftigen Gebrauchs des Wohlstandes; in eben dieser art ist das Haus Heinrich Gontards und Metzlers; aber sehr verschieden die Lebensart der Familien der beiden jungen Gontard;
Daß Mme Gontard Borckenstein die erste Zierde derselben ausmacht, wirst Du, mein Hirzel, nach meinen Briefen leicht rathen können; - so wie sie hat mich noch keine Frau interessiert; ihr Bild wird auf immer mir das Ideal ihres Geschlechts bleiben, - Sanftmuth, Güte, richtiger Verstand, und die über ihre ganze Person verbreitete Grazie bezaubern, aber lassen sich nicht beschreiben. - In Gesellschaft besizt sie in hohem Grade jenen einfachen aber feinen Ton, der die Vereinigung eines gebildeten Geistes und eines ruhigen Herzens anzeigt; - in ihrem haüslichen Cirkel, mitten unter ihren Kindern, an ihrem Clavier ist sie vergnügter als in großen Gesellschaften, denen sie immer auszuweichen sucht; sie hat alsdenn etwas zutrauliches, freündschaftliches in ihrem Wesen dem auch der gröste Mismuth nicht zu wiederstehen vermögen würde. - Là j’aime Sa grace et lá Sa majesté.
Ich würde vergebens diese Beschreibung fortsezen, Du würdest Dir doch kein Bild von ihr machen können; - meine Briefe werden sie durch Vergleichungen Dir zu schildern suchen, und wenn schon jede Vergleichung weit unter ihr zurükbleiben wird so ist es doch vielleicht die deutlichste Art Dir meine Empfindungen mitzuteilen.........
Lebe wohl, mein Freünd, ich kann über Frankfurt nichts mehr hinzusezen; ich werde verwöhnt hier, und es ist vielleicht gut, daß ich wegkomme; - Willst Du doch den Abschied von Mme Gontard wissen? - Vergessen sie uns nicht, sagte sie zu mir, und kommen sie einst unverändert wieder.
3. April. Schelling, der zwei Zöglinge auf einer Bildungsreise begleitet, aus Darmstadt an seine Eltern.
Wir werden hier ungefähr noch bis zum Anfang der andern Woche bleiben. In Frankfurt, will Herr Geh. Rath von Gatzert, sollen wir einige Tage uns aufhalten.Tant mieux pour moi!
Hölderlin - - - - Vermes.
15. Mai. An Johann Friedrich Cotta. Abschrift Gustav Schlesiers
Frankfurt, d. 15. Mai 1796.
Ihre gütige Zuschrift hat mich bestimmt, den Hyperion noch einmal vorzunehmen, und das Ganze in Einen Band zusammenzudrängen; es war, indeß ich Ihnen das Manuscript geschikt habe, dieser Wunsch einigemal in mir entstanden; die Verzögerung des Druks und Ihre Äußerung über die Ausdehnung des Werks waren mir also keineswegs unangemessen; natürlich muß ich nun aber auch den Anfang, den Sie schon haben, abkürzen, um ein Verhältniß in die Theile zu bringen; ich muß Sie daher bitten, mir das Manuskript so bald möglich zu schicken, weil mein Concept mir zum Theil verloren gegangen ist. Ich schike es Ihnen nach einigen Wochen sicher zurück, und in ungefähr 2 Monathen auch das Übrige. Die Bogenzahl muß nun freilich nothwendig um ein Beträchtliches sich vergrößern. Ich habe aber ja mit Ihnen überhaupt nicht nach Bogen gerechnet, und kann mich bei meinen jezigen Umständen auch so mit den ausgemachten 100 Gulden begnügen. Wollen Sie mir für die neue Mühe die Freude machen und das Buch überhaupt auf Schreibpapier und mit saubern lateinischen Lettern druken lassen, so würd’ ich Ihnen recht sehr danken. Ich habe die sichre Hoffnung, daß Ihnen die Sache nicht ganz liegen bleibt, wenn ich anders von den einzelnen Urtheilen, die mir über ein Fragment des Buchs, das noch in der Thalia eingerükt ist, zu Ohren gekommen sind, auf die Aufnahme des Publikums überhaupt schließen darf. Haben Sie die Güte, mir das, was ich Ihnen für die überschikten Theile des Plutarch schuldig bin, wie das vorigen Sommer empfangene Karolin vom Ganzen abzuziehen, und dieses unter der bekannten Adresse nach Nürtingen zu schiken. Ich bin mit aller Hochachtung
Ihr ergebenster Diener M. Hölderlin.
Vmtl. im Mai. Marie Rätzer an ihren Bruder Daniel Rätzer.
Ebel sagte lezt du wärest nicht wohl gewesen o! Lieber Lieber schone dich, ich kan dire nicht beschreiben wie mich eine peinliche Angst anwandelt, wenn mir einfält dir möchte nicht wohl seyn. Weist du was, mach dich auf den weg u komm zu uns wir wollen dich pflegen cocolieren du solst uns schon wieder gesund werden; auf unßrer schönen Pfingstweid unter den Paplen herum springen, Blumen pflücken, mit unßrem Hölderlin Duette flöten er ist sehr stark; oder willst du Grillen fangen? gut, - so hole ich sachte die Guitare stelle leise mich hinter Brüderchen, es ertönt das melodische Saytenspiel eine liebliche Stimme fällt ein u haucht ermunterende Gefühle in deine aufthauende Seele „laß die Grillen lieber Junge, sieh? die stunden fliehn“.
2. Juni. An Carl Gock. Druck in Chr. Th. Schwabs Ausgabe und Auszüge Gustav Schlesiers.
Frankfurt, d. 2. Jun. 96.
Lieber Bruder!
Dein lezter Brief hat mir unendliche Freude gemacht. Göthe sagt irgendwo: Lust und Liebe sind die Fittige zu großen Thaten. - So ists auch mit der Wahrheit; wer sie liebt, wird sie finden; wessen Herz sich über den ängstlichen, egoistischen Gesichtskreis erhebt, in dem die meisten heranwachsen und den wir laider|! auf dem Flek Erde, der uns zur Ruh und Wanderung gegeben ist, fast überall wieder finden, wessen Gemüth nicht bornirt ist, dessen Geist ist es gewiß auch nicht im eigentlichen Sinne.
© 2004 Luchterhand Literaturverlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlag: R.M.E / Roland Eschlbeck
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eISBN : 978-3-641-01117-8
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