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Geheimnisse bestimmen ihr Leben ...
Mythen und Legenden auf den Grund zu gehen ist Ria Montgomerys Job. Und sie ist gut darin - schließlich ist sie als Halbvampirin selbst so etwas wie ein Fabelwesen. Im Reservat der Familie Felix in Florida untersucht sie die Geschichte einer Ruine und findet eine schockierende Wahrheit.
Santos Felix riecht sofort, dass etwas mit Ria nicht stimmt. Sie ist schön, sexy und smart, doch sie verbirgt etwas vor ihm. Das macht ihn verrückt, und die Wildkatze in ihm will sie besitzen.
Gefangen zwischen dem Erbe einer schwierigen Kindheit und dem unstillbaren Verlangen nach Santos muss Ria sich entscheiden: Wird sie in einer trügerischen Vergangenheit leben oder sich in eine verführerische Zukunft mit sexy Jaguar-Gestaltwandler stürzen?
Alle Romane der Dynasty of Jaguars: Rome - Verführerische Fährte / Santos - Unstillbares Verlangen / Porter - Geheimnisvolle Leidenschaft / Del - Ungezähmtes Begehren
Jedes eBook enthält eine abgeschlossene, prickelnde Geschichte! EBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
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Seitenzahl: 332
Die Familie Felix besitzt seit Generationen ein riesiges, tropisches Anwesen in Florida. Was keiner wissen darf: Es handelt bei der Familie um Jaguar-Gestaltwandler! In jedem Roman steht einer der Söhne im Mittelpunkt. Dynasty of Jaguars – prickelnde und spannende Romantik mit übernatürlichem Touch!
Alle Romane der Dynasty of Jaguars:
Rome – Verführerische Fährte
Santos – Unstillbares Verlangen
Porter – Geheimnisvolle Leidenschaft
Del – Ungezähmtes Begehren
Jedes eBook enthält eine abgeschlossene, prickelnde Geschichte.
Mythen und Legenden auf den Grund zu gehen ist Ria Montgomerys Job. Und sie ist gut darin – schließlich ist sie als Halbvampirin selbst so etwas wie ein Fabelwesen. Im Reservat der Familie Felix in Florida untersucht sie die Geschichte einer Ruine und findet eine schockierende Wahrheit.
Santos Felix riecht sofort, dass etwas mit Ria nicht stimmt. Sie ist schön, sexy und smart, doch sie verbirgt etwas vor ihm. Das macht ihn verrückt, und die Wildkatze in ihm will sie besitzen.
Gefangen zwischen dem Erbe einer schwierigen Kindheit und dem unstillbaren Verlangen nach Santos muss Ria sich entscheiden: Wird sie in einer trügerischen Vergangenheit leben oder sich in eine verführerische Zukunft mit sexy Jaguar-Gestaltwandler stürzen?
Jennifer Dellerman hat bereits viele Bücher veröffentlicht. Am liebsten schreibt sie erotische und spannende Romane mit paranormalem Einschlag. Jennifer Dellerman lebt in den USA.
Jennifer Dellerman
Aus dem amerikanischen Englisch von Charlene Stein
beHEARTBEAT
Deutsche Erstausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Die englischsprachige Originalausgabe erschien unter dem Titel »Drawing Deep« bei Ravenous Romance©
© 2013 by Jennifer Dellerman
Koordination und Bearbeitung der deutschen Ausgabe: usb bücherbüro, Friedberg (Bay.)
Übertragung ins Deutsche: Charlene Stein
Projektmanagement: Lukas Weidenbach
Covergestaltung: © Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von thinkstock/jfk_image
Datenkonvertierung E-Book:
hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-2799-1
Dieses eBook enthält eine Leseprobe des in der Bastei Lübbe AG erscheinenden Werkes »Porter – Geheimnisvolle Leidenschaft« von Jennifer Dellerman.
Die englischsprachige Originalausgabe erschien unter dem Titel »Haze of Heat« bei Ravenous Romance®
© 2013 by Jennifer Dellerman
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Koordination und Bearbeitung der deutschen Ausgabe: usb bücherbüro, Friedberg (Bay.)
Übertragung ins Deutsche: Charlene Stein
Projektmanagement: Lukas Weidenbach
Covergestaltung: © Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von istockphoto/Geber86 und thinkstock/Matt_Gibson
Datenkonvertierung E-Book:
hanseatenSatz-bremen, Bremen
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Ria Montgomery glaubte fest daran, dass alle bekannten Mythen einen wahren Kern hatten. Diese Wahrheit lag unter irgendwelchen Details vergraben und wurde häufig übertrieben, verändert oder romantisiert. Aufgedeckt wurde sie selten, weil der Mythos entweder unterhaltsamer oder tröstlicher war.
Genau wie in ihrer jetzigen Situation, in der sie hoffte, ein gewisser Mythos würde nicht über den Couchtisch greifen und es ihr heimzahlen. Buchstäblich.
»Die Originale sind zu empfindlich, um sie aus der Abteilung zu holen, deshalb haben wir hier Kopien.« Rias Kollege Lance Coultier breitete mehrere Baupläne eines Hauses auf dem niedrigen Couchtisch aus. Ihnen gegenüber saßen Andreas und Melinda Felix, die Besitzer des Hauses.
Andreas beugte sich vor, und seine braunen Augen leuchteten erstaunt auf. »Wie in aller Welt haben Sie das nur geschafft?«
Links neben Andreas saß Gwen, die Schwester von Lance, auf einem dick gepolsterten braunen Sessel. »Bestechung?«, fragte sie mit einem breiten Grinsen.
Lance lächelte spöttisch zurück. »Nein, das war schlicht ein Handel.«
»Was für eine Art von Handel?«, fragte Rome Felix, der zweite Sohn von Melinda und Andreas, der auf der Armlehne neben Gwen saß. Gwen schmiegte sich an die besitzergreifende Hand, mit der Rome ihren Nacken umfasst hielt und mit dem Daumen über ihre Halsschlagader streichelte. Allem Anschein nach waren die beiden ein Paar. Gwen wusste offenbar, was für gefährlichen Wesen die Leute hier waren, und trotzdem war sie völlig gelassen. Ria zog die Augenbrauen ein wenig zusammen, ihre Verwunderung überlagerte kurz das starke, geradezu lähmende Unbehagen, das sie bereits beim Betreten des Hauses erfasst hatte.
»Sagen wir einfach, dass ich im Besitz einer Sache war, die eine mächtige Person gern haben wollte.«
»Oh«, stieß Melinda aus, die neben ihrem Mann auf dem Sofa saß. »Ich hoffe, es hat sich nicht um etwas schrecklich Wichtiges gehandelt.«
Lance warf Ria einen Blick zu, bevor er in die Runde sagte: »Wichtigkeit ist eine Frage der Perspektive. In diesem Fall hat sich der Handel gelohnt, um die Pläne ausfindig zu machen und diese Kopien anzufertigen.«
Ria wusste, dass es bei dem Handel um eine echte alte Pistole aus dem Bürgerkrieg gegangen war. Nicht unbedingt eine Rarität, aber in ordentlichem Zustand und für einen leidenschaftlichen Sammler annähernd tausend Dollar wert. Lance, Ria und die anderen Mitglieder ihres Teams hatten im Laufe der Jahre zahllose historische, ungewöhnliche und für Sammler interessante Gegenstände angehäuft, die sie häufig im Tausch gegen Informationen oder andere Kunstgegenstände nutzten. Die Pistole war ein teures Stück, aber der Verlust war für Chris Gregor, ihren Chef, nicht allzu bedeutsam. Er besaß schließlich noch zwei weitere, die sogar in besserem Zustand waren.
»Sagen Sie uns, worum es sich gehandelt hat?«, wollte Porter, der jüngste Sohn der Familie Felix, wissen.
»Porter!«, ermahnte Melinda ihn.
»Was ist?« Porter hob die Hände, als würde er sich ergeben. Aber er hatte ein ansteckendes Grinsen im Gesicht. »Fragen kostet nichts, oder?«
»Dem kann ich nur zustimmen«, meldete sich Scott Boeing, ein Freund der Familie, von seinem Platz vor dem großen offenen Kamin zu Wort. Es war spätsommerlich warm, im Kamin brannte kein Feuer.
Während die Gruppe sich in freundlich-scherzhaftem Ton unterhielt, beäugte Ria die Anwesenden argwöhnisch. Die Ähnlichkeit zwischen den Felix-Söhnen und ihrem kräftigen, attraktiven Vater war unmöglich zu übersehen. Sie hatten alle dunkelbraune Augen, dunkle Haare und einen bronzefarbenen Teint. Es war, als blickte man in eine Dose mit köstlichen Karamellbonbons, die einem das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen.
Nach außen hin schien alles ganz harmlos. Sie und Lance saßen im Sonnenstaat Florida im einladenden Aufenthaltsraum eines Gästehauses auf einem dick gepolsterten, äußerst bequemen Sofa aus butterweichem dunkelbraunem Leder. Der Grundriss des Hauses war auf den vor ihnen liegenden Bauplänen zu sehen. Melinda und Andreas saßen auf einem dunkelbraunen Zweisitzer. Gwen und Rome teilten sich den Sessel zur Linken von Andreas, während Porter, der Jüngste, neben seiner Mutter auf einem Hocker saß. Scott hatte sich auf dem Boden niedergelassen. Der älteste Sohn Santos stand an der Tür, und dann gab es offenbar noch einen weiteren Sohn, Porters Zwillingsbruder Del, der im Moment nicht bei seinen Eltern lebte.
Melinda hatte Ria und Lance mit herzlicher Wärme willkommen geheißen, Gwen mit Lachen und Umarmungen und die Männer mit Interesse.
Na ja. Die meisten jedenfalls.
Ria ließ den Blick zur Tür wandern. Der älteste Sohn, Santos, hatte weder Platz genommen, noch machte er den Eindruck, freundlich, interessiert oder glücklich zu sein. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen den Türrahmen und blockierte so zum Teil den Ausgang. Die maskuline Demonstration seiner raubtierhaften Stärke und Sinnlichkeit versetzte sämtliche weiblichen Instinkte in ihr in Alarmbereitschaft. Er trug weite, verwaschene Jeans, die die muskulösen Oberschenkel nicht kaschierten. Das dunkelblaue T-Shirt mit dem Logo von The Orchards auf der linken Brustseite spannte über seinen breiten Schultern. Auch seine Unterarme, die er vor der Brust verschränkt hatte, waren muskulös. Seine Hautfarbe, eine Mischung aus Honig und Bronze, strahlte Gesundheit und Vitalität aus. Dieser Eindruck wurde noch durch das Sonnenlicht verstärkt, das durch die großen Fenster hinter Ria in den Raum fiel. Die Fenster befanden sich an der Seite des Hauses mit Blick auf einen Strand, der vor dem Anwesen eine Art Bucht bildete, bevor er in Sumpfland überging. Dort lebten Alligatoren, hatte sie erfahren.
Sie schluckte nervös. Dieser Mann faszinierte und alarmierte sie zugleich. Sehr schnell war ihr klargeworden, mit welchen Wesen sie es hier zu tun hatte, und sie hatte ihr Herz gezwungen, wieder in gleichmäßigem Rhythmus zu schlagen. Doch jetzt beschleunigte sich ihr Puls erneut. Weil sie wusste, dass die Anwesenden das möglicherweise hören oder spüren konnten, konzentrierte sie sich darauf, wieder ruhiger zu werden, doch dadurch entging ihr ein Teil der Unterhaltung.
Bei ihrer Begegnung war für einen kurzen Moment Verwirrung in seinen dunkelbraunen Augen aufgeflackert. Augen wie geschmolzene Schokolade. Hinzu kam das Blähen seiner Nasenflügel, als müsste er ihren Duft tiefer aufnehmen, um herauszufinden, was sie war.
Ria kannte das. Seit Jahren veränderte sie ihren Duft genau aus diesem Grund absichtlich. Und jetzt saß sie in diesem Zimmer und kämpfte darum, die zunehmende Anspannung in ihrem Inneren zu unterdrücken. Lance hatte bemerkt, dass sie ungewöhnlich still war, und warf ihr mehr als einmal einen sorgenvollen Blick zu. Dabei hatte das alles im Wesentlichen mit ihm zu tun. Beziehungsweise mit seiner Schwester. Gwen arbeitete als Rangerin in dem Naturschutzgebiet, das der Familie Felix gehörte und sich am äußersten Nordende ihres riesigen Anwesens erstreckte. Der Plantage, wie sie es nannten. Tatsächlich handelte es sich um eine Obstplantage mit endlosen Reihen Orangen-, Oliven- und Avocadobäumen. Das dreistöckige Haus hier diente auch als Gästehaus, in dem Wander- und Reittouren sowie verschiedene Wassersportmöglichkeiten angeboten wurden.
Chaotisch, verrückt und clever. Ria hätte die Familie einfach nur bewundert, wenn es ihr gelungen wäre, die Angst zu überwinden, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Ihr Chef und Lance hatten einen kurzen Blick auf die faszinierenden Geschichten von einem vergrabenen Schatz, von Piraten und unterirdischen Tunnel werfen wollen, die sich um The Orchards rankten. Die Tunnel waren entdeckt worden, als einer davon unter Gwens Füßen eingestürzt war. Nach Bohrarbeiten im Golf hatte es ein lokales Erdbeben gegeben.
Genau genommen handelte es sich eher um ein Rechteck als um einen Tunnel. Es war von allen Seiten von Erde umgeben, etwa sechs Meter breit und gut zwanzig Meter lang. Und es gab dort breite, tiefe, offenbar noch immer intakte Steinstufen. Gerade diese Stufen schrien förmlich nach einer genaueren Untersuchung.
Die Stufen hatten Ria fasziniert. Es hatte ihr in den Fingern gejuckt, sie zu berühren, über jede Vertiefung zu streichen und ihre Geheimnisse zu lüften. Zum Glück interessierte sich ihr Chef für so gut wie alles, was mit verborgenen Schätzen zu tun hatte, und er bezahlte ihnen diese Reise mit Übernachtung, um sämtliche Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen. Natürlich würde alles Wertvolle der Familie Felix gehören, schließlich befand sich der Tunnel – oder die Grube – auf ihrem Grund und Boden. Aber der Ruhm der Entdeckung, ob es nun sich tatsächlich um einen Schatz oder um etwas von historischer Bedeutung handelte, wäre Sache ihres Chefs. Und das würde ihrer Gruppe in den wissenschaftlichen Kreisen, in denen sie als Schatzsucher und Pseudoarchäologen galten, zu großem Ansehen verhelfen. Diese Bezeichnung hatte in Rias Augen nie Sinn ergeben. Schließlich war jeder, der sich mit der Vergangenheit befasste, auf seine Art ein Schatzsucher. Jeder, der nach Wahrheit suchte. Wenn diese Wahrheit ein Vermögen einbrachte, umso besser. Sie kannte niemanden, der von Anerkennung allein leben konnte. Finanzielle Mittel waren ein notwendiges Übel, und obwohl ihre letzte Entdeckung dem Team eine sehr erfreuliche Summe eingebracht hatte, würde dieses Geld nicht ewig reichen.
Der Gedanke an Geld und die Notwendigkeit, ein Dach über dem Kopf zu haben, führte sie in die Gegenwart zurück. Sie hatte zwar ihren Gedanken freien Lauf gelassen, aber durch die ständige instinktive Kampf- und Fluchtbereitschaft begannen ihre Muskeln allmählich zu schmerzen. Nicht etwa, weil es hier mehr Männer als Frauen gab, das hätte sie nicht gestört. Nein, das Problem bei dieser Gruppe von Männern bestand darin, dass es sich ihnen allen, mit Ausnahme von Lance, hundertprozentig um heißblütige, tödliche Gestaltwandler handelte. Um die richtig krassen Typen.
Ria wusste das genau. Es lag nicht nur an der Art, wie sie ihre großen, maskulinen Körper bewegten, nämlich fließend und sehr bewusst, oder wie sie wachsam blieben und jedes Detail in der Umgebung wahrnahmen. Es lag auch an der schieren Kraft, die sie aus jeder Pore ausstrahlten. Ein schwaches elektrisches Summen, das dazu führte, dass sich Rias winzige Körperhärchen aufstellten, und das ihren Fluchtreflex aktivierte.
Diese Männer, die die Eigenschaften von Mensch und Tier in sich vereinten, erfüllten Ria mit dem Wunsch, all ihre Emotionen in eine Kiste zu packen, sie zu verschließen und die Kanten mit Klebeband abzudichten. Die Männer waren Raubtierwandler und in der Lage, sich von ihrer Menschengestalt in das Tier zu verwandeln, das sie in sich trugen. Wenn Rias Instinkte sie nicht täuschten, dann saß sie hier mit einem Rudel Raubkatzen zusammen. Und sie hatte bis jetzt nur deshalb überlebt, weil sie auf ihre Instinkte hörte. Scott bildete allerdings eine Ausnahme. Er hatte etwas an sich, was nicht zu den anderen passte. Ria hätte diesen Unterschied beim besten Willen nicht beschreiben können, aber sie vermutete, er könnte ein Wolf-Wandler sein, ein Werwolf. Was an sich schon eine seltsame Sache war. Ihr war jedenfalls beigebracht worden, dass Gestaltwandler verschiedener Spezies sich niemals paarten.
Niemals.
Damit war schon wieder eine Lektion aus ihrer Kindheit widerlegt. Das hätte sie eigentlich nicht überraschen dürfen. Schließlich war ihre Jugend geprägt gewesen von Vorurteilen, Lügen und Schmerz. Dieses Wissen konnte ihr Unbehagen jedoch nicht lindern, weil jede Spezies von Wandlern die charakteristischen Wesenszüge ihrer wilden Verwandten besaß. Und Katzen – Löwen, Leoparden und Jaguare – verhielten sich unvorhersehbar und waren tödlich. Sie besaßen die Geduld, stundenlang reglos, still und berechnend zu warten. Dann schlugen sie zu, und um ihre Beute war es geschehen.
Rias Handflächen wurden warm. Sie ballte die Hände zu lockeren Fäusten. Ihr Körper war verspannt vor lauter Unsicherheit und Angst; vor allem aber wollte sie ihr wahres Gesicht nicht zeigen, bevor sie dazu bereit war. Und sie war nicht bereit. Noch nicht. Bis jetzt war es noch zu keiner offenen Bedrohung gekommen, sie spürte lediglich das unterschwellige Bedrohungspotenzial. Aber dieses Potenzial war beängstigend genug.
Es mochte sich ja hier um die toleranteste Wandler-Gruppe auf Erden handeln, doch wenn die Leute in diesem Zimmer je herausfinden sollten, was Ria tatsächlich war, konnte es durchaus passieren, dass sie sie in Stücke rissen und erst danach Fragen stellten.
»Denk nicht einmal daran, Porter!« Melindas Stimme riss Ria aus ihren Gedanken. »Ich erlaube nicht, dass der Bodenbelag wegen irgendeiner Theorie über einen verborgenen Schatz herausgerissen wird. Wieder einmal.« Sie sprach die letzten beiden Wörter nicht nur langsam und sehr betont aus, sondern unterstrich sie dadurch, dass sie jedem ihrer Söhne einen strengen Blick zuwarf.
Das hatte eine verblüffende Wirkung. Mit einem Mal sahen die drei todbringenden Raubtiere wie kleine Jungs aus, die bei einem Streich ertappt wurden. In dieser Familie herrschte offenbar eine interessante Hierarchie. Sogar der starke, schweigsame Santos, der aus unerfindlichen Gründen Rias Aufmerksamkeit weckte und ein sehr irritierendes Bauchflattern auslöste, zuckte unter Melindas Blick zusammen. Er schaute in die Eingangshalle hinaus, als gäbe es dort irgendetwas furchtbar Wichtiges.
Das war alles so normal, dass ihre Lippen beinahe amüsiert gezuckt hätten. Die Angst verschwand für einen Moment, und sie machte den Mund auf, bevor ihr Gehirn sie davor warnen konnte, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Wieder einmal?«
»Genau.« Melinda sah Ria an, und ihre Augen funkelten amüsiert. »Meine Söhne haben in der unendlichen Weisheit ihrer Jugend und befeuert vom Gedanken an Piraten und verborgene Schätze beschlossen, nach besagtem Schatz zu suchen. Überall. Und sie haben einige Dielenbretter, einen Teil des Teppichbodens und sogar Teile des Linoleums in der Küche herausgerissen, um zu sehen, ob sich darunter etwas finden lässt. Zum Beispiel eine Falltür.« Sie wandte sich an Lance. »Es gab aber keine. Selbst als wir beim Umbau sämtliche Bodenbeläge herausgerissen haben, war nichts zu finden. Tut mir leid, Lance.«
Lance ließ sich wieder gegen die Sofalehne sinken. »Das war sowieso nur eine Theorie. Der Kriechgang unter dem Haus ist ungewöhnlich angelegt. Diese vielen rechteckigen Bauelemente haben mich zu dem Gedanken verleitet, einer davon könnte eine ideale Ausstiegsluke sein.«
Auf diese Feststellung folgte ein kurzer, scharfer Summton aus der Richtung von Scott, der abrupt aufstand. »Ich muss gehen. Die Pflicht ruft.«
Auch Rome und Gwen erhoben sich. »Und wir sollten zur Einsturzstelle hinausfahren, bevor es noch später wird«, sagte Gwen. »Vielleicht könnt ihr dank eurer Erfahrung dort etwas anderes erkennen als bloß eine Grube.«
Ria war das recht. Mehr als recht. Draußen war man frei, auch wenn das nur eine Illusion war, weil es ihr unmöglich sein würde, schneller zu rennen als eine Raubkatze.
Während Scott sich verabschiedete, machte Ria noch eine weitere verwirrende Beobachtung. Melinda streckte die Arme aus, umfasste Scotts Gesicht mit beiden Händen und drückte ihm einen herzlichen, mütterlichen Kuss auf die Wange. »Du bist hier jederzeit willkommen.«
Hier herrschte nicht nur Toleranz über verschiedene Spezies hinweg, sondern offenbar so etwas wie echte Zuneigung. Jedenfalls konnte man das aus der Art schließen, wie die Felix-Männer diese Verabschiedung hinnahmen, ohne Anzeichen von Aggression zu zeigen.
Diese Beobachtungen machte ihrem Gehirn allmählich zu schaffen.
Zehn Minuten später saß Ria hinten in einem der Jeeps und hörte zu, während Gwen ihr und Lance eine kurze Beschreibung von Olivias Orchard gab, auf die verschiedenen Gebäude deutete und von den Aktivitäten auf dem Anwesen hinwies. Die Familie Felix besaß sogar einen Pferdestall und ein Bootshaus.
Es handelte sich also um ein vielseitiges Unternehmen.
Rome hielt am Rand des dichten Waldes an, der von einem hohen Metallzaun umgeben war. Während sie aus dem Fahrzeug kletterten, kam ein zweiter Jeep an, aus dem Porter und Santos ausstiegen. Melinda und Andreas waren im Haus geblieben.
Als sie das Tor hinter sich gelassen hatten und einen der Pfade entlanggingen, erlebte Ria erneut einen nervenaufreibenden Augenblick, bevor es ihr gelang, sich wieder zu fassen. Nach allem, was sie bis dahin gesehen und gehört hatte, ging sie nicht davon aus, dass die Männer im Begriff standen, sie wie eine Beute anzuspringen. Lance ging neben ihr, und weil er Gwens Bruder war, dachte Ria, sie sei bei ihm sicher. So lange ihr eigenes Geheimnis gewahrt blieb, hatte sie keine andere Wahl, als dieser Theorie zu vertrauen.
Doch leider waren Kindheitserfahrungen nicht leicht zu überwinden. Und deshalb konzentrierte sie ihre Aufmerksamkeit nur teilweise auf Lance, Rome und Gwen, die nicht nur über die Grube sprachen, sondern auch über den Piraten Claude Morgan, der das Haus erbaut hatte und ein Vorfahr der Familie Felix war. Außerdem unterhielten sie sich über die Gefahr, in der sich Gwen und Rome befunden hatten. Die beiden waren von bewaffneten illegalen Schatzsuchern verfolgt worden, bevor der Tunnel einstürzte.
Rias Aufmerksamkeit war jedoch mindestens zur Hälfte auf die zwei Männer hinter ihr gerichtet. Deshalb vernahm sie auch das Geräusch. Es klang wie ein gedämpfter Klaps, und gleich darauf wurde so leise gesprochen, dass sie wusste, die Worte waren nicht für ihre Ohren bestimmt.
»Was ist los mit dir?«
Ria wollte sich bei Porters kaum hörbarer Frage umdrehen, aber sie wusste, dass sie sich damit verraten könnte. Sie besaß zwar keineswegs die scharfen Sinne eines Wandlers, aber sie hatte ihre eigenen Tricks, sowohl offensiver als auch defensiver Art. Und jetzt wollte sie wissen, was zum Teufel hinter ihr los war und was den jüngeren Bruder Porter dazu brachte, dem älteren, schweigsamen Santos eine solche Frage zu stellen.
Scheinbar sorglos drehte sie den Kopf ein wenig, als wollte sie bloß die Umgebung betrachten. Der Wald säumte den Weg auf beiden Seiten, er war dicht und gesund und voller Leben. Um sie herum zwitscherten Vögel, und kleine Tiere huschten über den Waldboden. Ria blickte nach unten und bemerkte die schwachen Spuren auf dem Pfad. Sie hielt inne, um die Reifenabdrücke zu inspizieren, und dachte sich, dass es mit ihrer Konzentration nicht weit her sein konnte, wenn ihr die Spuren erst jetzt auffielen. »Woher stammen die?«
»Wir mussten Quads einsetzen, um die Trümmer des Gebäudes herauszuziehen«, erklärte Gwen, als die ganze Gruppe mit Ria stehen geblieben war. »Es ist mit dem Tunnel eingestürzt.«
Ria blickte entsetzt auf. »Ihr habt die Trümmer abtransportiert?«
Gwen warf ihr einen fragenden Blick zu. Dann wandte sie sich an Lance. »Angesichts der Tatsache, dass ich die Schwester des pingeligsten Mannes im ganzen Universum bin, habe ich das natürlich verhindert. Wir mussten die Trümmer aus Sicherheitsgründen entfernen, aber alles, was wir herausgezogen haben, liegt in getrennten Haufen aufgestapelt hinter dem Haus von Santos.«
Ria warf einen Blick über die Schulter. »Deinem Haus?«, fragte sie Santos.
Sein schönes Gesicht verriet absolut nicht, was in seinem Kopf vorging. »Ja.«
Er war eindeutig kein besonders gesprächiger Mann.
Porter lieferte die Informationen, nachdem er seinem ältesten Bruder einen kurzen Blick zugeworfen hatte. »Das zweistöckige Haus etwa einen halben Kilometer vom Haupthaus entfernt. Du hast es vielleicht gesehen. Langweilig braun gestrichen.«
Santos sah seinen Bruder schief an. »Immerhin wohne ich nicht in einer Scheune.«
»Über der Scheune, du Depp. Über der Scheune.« Mit gespielter Empörung schnipste Porter gegen Santos’ Ohr, und sein älterer Bruder grinste.
Der Anblick hätte Ria, als sie weitergingen, beinahe zum Stolpern gebracht. Falten, die zu tief waren, um Grübchen genannt zu werden, tauchten auf beiden Seiten seines Mundes auf. Die tiefbraunen Augen strahlten vor lauter Lebensfreude und Belustigung und verwandelten seine ausdruckslose Miene. Ria spürte wieder das Bauchflattern und merkte, dass ihre Augen beinahe glasig wurden.
Erschrocken reckte sie den Kopf, doch schon nach wenigen Metern blieb sie abrupt stehen, weil sie auf eine große Lichtung kamen.
Das Erste, was Ria sah, war das tiefe Loch. Es war kaum zu übersehen, weil es nur wenige Zentimeter von dem Trampelpfad entfernt klaffte. Es erregte zwar ihre Aufmerksamkeit, aber es war nicht das Einzige, was sie sah. Gwen hatte ihr erzählt, dass ein altes Haus aus Backsteinen und Holz an der Stelle gestanden hatte, aber nicht nur dieses Haus fehlte. Die ganze Lichtung war leer. Nicht im logischen Sinne, weil fehlender Waldbestand schließlich die Definition einer Lichtung war, sondern im Sinne von »entleert«. Etwas, was früher diese Lichtung erfüllt hatte, war jetzt verschwunden.
Warme Finger umfassten ihre Oberarme, die nackt waren, weil sie an diesem Morgen das kurzärmelige beigefarbene T-Shirt angezogen hatte. Dazu trug sie ihre khakifarbene Lieblingshose mit den vielen Taschen.
Wärme durchflutete ihre Adern bei dieser scheinbar harmlosen Berührung, jagte von jedem Kontaktpunkt elektrische Ströme an jeden Nerv in ihrem Körper und stürzte sie in völlige Verwirrung. Dann schlossen sich die Finger um ihren Arm, als erginge es dem anderen ebenso. Innerhalb einer Sekunde beschleunigte sich ihr Herzschlag auf Höchstgeschwindigkeit, ihre Gehirnzellen schienen zu erstarren, und ihr Körper wurde eigenartig schlaff. Das hier war zu viel für ihre Sinne! Sie hatte den Eindruck, gleich in Ohnmacht zu fallen.
»Bist du okay?«
Weil sie unfähig war, ihre Reaktion auf die Berührung von Santos zu verstehen, wich sich zurück und schüttelte den Kopf.
Santos ließ die Arme sinken und schaute sie verdutzt an. »Du bist nicht okay?«
Ria starrte in seine unglaublich braunen Augen, die so tief waren, dass sie sich darin verlieren wollte. Im Bemühen, das Zittern zu unterdrücken, das sie erfasste, schlang sie die Arme um sich und antwortete: »Nein, mir geht es gut. Ich mache mich nur gerade mit der Beschaffenheit des Geländes vertraut.« Sie drehte sich hastig um und eilte zu der Stelle an den Stufen hinüber, an der Lance und die anderen bereits auf sie warteten.
»Beschaffenheit des Geländes?«, fragte Santos und passte seine Schrittlänge der ihren an.
Bevor sie antworten konnte, erklärte Lance mit einem Lächeln, das brüderlichen Stolz verriet: »Ria kann Muster besser lesen als die meisten anderen. Sie kann anhand von Form, Textur, Krümmung oder Bewuchs erkennen, ob und manchmal sogar was darunter etwas verborgen ist. Nur dank ihres Gesichts- und Tastsinns wussten wir damals in Montana, wo wir überhaupt nach dem Schiff suchen sollten, von dem ich dir erzählt habe, Gwen.«
»Diese Fähigkeit ist bei deinem Job ja fantastisch«, stellte Gwen beeindruckt fest, während Rome, Porter und Santos eher besorgt dreinblickten.
Dank der Aussage von Lance spürte Ria mit einem Mal so etwas wie Machtgefühl. Zu spät. Ich weiß längst, was sich hinter eurer Fassade verbirgt, wollte sie ihnen fröhlich zurufen. Doch stattdessen hielt sie klugerweise den Mund, behielt ihr Wissen für sich und freute sich im Stillen darüber, dass sie drei gefährliche Raubtiere verunsichert hatte, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Dann folgte sie Gwen in die Grube hinab.
Die Grube war natürlich leer. Vier Wände aus Erde, Erdboden, nach oben hin offen. Faszinierend. Aber nicht das, was sie interessierte. Ria, die alles in sich aufnahm, während sie hinunterstieg, beschrieb einen Bogen, stellte sich an die Treppe und strich mit den Fingern über die Steinstufen, die sie fasziniert hatten, seit sie das erste Foto zu Gesicht bekommen hatte. Die breiten, flachen Steine waren unterschiedlich groß und systematisch zusammengefügt, sodass die Erde darunter nicht zu sehen war. Jetzt waren sie warm vom Sonnenschein.
Ria ging in die Hocke und nutzte diese Sonnenstrahlen, um sich die glatte Oberfläche der Stufen aus verschiedenen Blickwinkeln anzusehen. Ihr entging die leichte Vertiefung nicht, die durch jahrelange Benutzung entstanden war. Sie untersuchte die erdige Wand dahinter und kniff die Augen zusammen, als die Erde Form anzunehmen schien. Mit geneigtem Kopf beschrieb sie langsam einen Kreis, ließ stumm die graublauen Augen über jede erdige Wand der Grube schweifen, bis sie wieder bei den Stufen angelangt waren.
»Wir haben die Grube bereits ausgemessen«, erklärte Rome gerade Lance, als Rias Mitarbeiter nach seinem Maßband griff. »Gwen besteht zwar darauf, das hier als Grube zu bezeichnen, aber wir glauben immer noch, dass es sich um einen Teil eines Tunnelsystems handelt, das durch das Erdbeben eingestürzt ist.«
Ria, die nur mit halbem Ohr verfolgte, was gesprochen wurde, trat zu der nahen Wand und schob sich näher, bis die Seite ihres Gesichts nur ein, zwei Zentimeter von der Erde entfernt war und sie die lange Grubenseite entlangsehen konnte.
Schau dir diese Verrückte an, wie sie sich an die Erde schmiegt, dachte sie, weil sie wusste, dass sie wahrscheinlich sehr seltsam aussah. Sie kniff die Augen zusammen, die Unterhaltung um sie herum schien zu verstummen, Bilder und Muster schimmerten auf. Sie legte die Hand an die Wand und strich leicht darüber. Dann strich sie stärker und kratzte die Erde von einem etwa einen halben Meter großen Abschnitt ab.
Vor lauter Aufregung krampfte sich ihre Brust zusammen, und sie hörte nichts anderes mehr als ihren schnellen Herzschlag. Als sie sich von der Wand abwandte, erblickte sie Porter, der gerade eine Wasserflasche öffnete. Ohne nachzudenken, machte sie einen Satz und riss ihm die Flasche aus der Hand, bevor er auch nur einen Tropfen getrunken hatte. »He!«
Wieder an der Wand angelangt, neigte sie die Flasche und ließ das Wasser über den Abschnitt rinnen, den sie gerade mit der Hand bearbeitet hatte.
»Was soll das?«, protestierte Rome.
»Ria, was ist los?«, fragte Lance. Sein Mund befand sich praktisch an ihrem Ohr. Auch die anderen waren nähergekommen, um zu sehen, was sie da machte.
Grinsend sah Ria die Leute um sie herum an, die ihren Blick verwirrt erwiderten, als die cremefarbenen Steine zum Vorschein kamen. Freudige Erregung überlagerte das Unbehagen, das sie seit Stunden nervös gemacht hatte. »Es ist weder ein Tunnel noch eine Grube. Es ist eine Ruine.«
Nach zwei Monaten, in denen sie zunehmend frustriert und rastlos gewesen war, kehrte Ria zusammen mit Lance und ihrem Chef wieder nach The Orchards zurück, um mit der Freilegung und der Untersuchung der unterirdischen Ruine zu beginnen. Eigentlich hätte sie aufgeregt sein müssen. Ganz wild darauf, sich die Hände schmutzig zu machen und Schicht um Schicht das freizulegen, was sich dort im Wald verbarg. Stattdessen war sie von einer komplizierten Mischung aus Vorfreude, Skepsis und Angst erfüllt.
Weil sie wusste, was sie auf dem Anwesen erwartete, hatte sie sich auf den einwöchigen Aufenthalt vorbereitet und gegen die übernatürlichen Sinne der Gestaltwandler gewappnet, die dort lebten. Sie hatte sogar einen Ausweichplan ausgeheckt.
Zu schade, dass der Ausweichplan jetzt gerade mit dem Flugzeug auf dem Weg nach Deutschland war.
»Diese verdammten Fluggesellschaften! Es ist doch nicht zu fassen! Kann das denn so schwer sein, die Anhänger zu lesen?«, hatte ihr Boss, Chris Gregor, quasi unentwegt geklagt, seit sie vom Flughafen in Panama City vor knapp einer Stunde losgefahren waren. Chris war einer der Gründe für ihre Skepsis.
Ria, die hinten im Auto saß und sich wünschte, sie könnte seine Stimme per Knopfdruck ausschalten, lehnte den Kopf gegen das Fenster und blickte hinaus. Keine Straßenlaternen erhellten die Nacht, aber der Schein vieler tausend Sterne am wolkenlosen Himmel tauchte das üppig grüne Gras und den Wald in ein fast unheimliches Relief silberner Farbtöne.
»Außerdem brauche ich eine Kühlbox und einen Wasserzugang. Eine Leiter, Schaufeln …«
Fünf Minuten. Würde Chris nur fünf Minuten lang seine Klappe halten, dann könnte es ihr gelingen, sich zu entspannen. Sie wusste, dass sie zum Teil für seinen Ärger verantwortlich war, und konnte sich eine gewisse Selbstgefälligkeit nicht verkneifen, auch wenn sie wusste, dass sie später dafür bezahlen würde. Sie hatte es geschafft, auf dem Flug von New Mexico nach Florida nicht neben ihm zu sitzen, ebenso wie auf der Hin- und Rückreise nach Oregon im vergangenen Monat. Damals hatte sie ein Teammitglied mit mehreren Flaschen Crown Royal Whisky bestochen. Dieses Mal hatte sie einfach Glück gehabt.
Chris war Mitte vierzig, klug, charmant, ansehnlich, sportlich und reich. Leider hatte ihn diese Mischung zu der Überzeugung gebracht, er sei ein Geschenk Gottes. Er konnte manipulativ sein und jeden Anstand vergessen. Und wenn er sich über jemanden ärgerte oder nicht bekam, was er wollte, dann ließ er seiner Verärgerung mit kleinen Kniffen und Sticheleien freien Lauf.
Zu Rias Leidwesen hatte Chris beschlossen, dass er sie haben wollte. Kurzzeitig fühlte sich das schmeichelhaft an. Aber nachdem sie drei Jahre seine unerwünschten Annäherungsversuche und sein Benehmen als verhätschelter Pascha ertragen hatte, war sie zu der festen Überzeugung gelangt, irgendjemand müsste ihn wie eine hässliche Kakerlake zertreten.
Ihre Lippen zuckten bei dem Gedanken daran. Sie sah ihren Fuß mit dem Stiefel förmlich vor sich, wie sie ihn anhob und entschlossen auf den Boden stampfte. Ihr Blick ruhte noch immer auf der vorbeiziehenden Landschaft, während sie hörte, wie Robby Martin auf einem Block all die von Chris aufgezählten Gerätschaften notierte, die sie brauchten, bis ihr verloren gegangenes Gepäck seinen Weg nach Florida schließlich finden würde. Lance telefonierte, gab diese Informationen an seine Schwester weiter und erkundigte sich, ob in The Orchards das, was sie brauchten, möglicherweise vorhanden war, sodass sie keine Zeit verlieren würden.
Es war spät am Donnerstagabend, und ihre Ankunft verzögerte sich wegen des Wutanfalls, den Chris auf dem Flughafen bekommen hatte. Außerdem hatte er darauf bestanden, sich selbst ans Steuer des von ihm gemieteten Geländewagens zu setzen. Und er hatte sich verfahren. Drei Mal sogar. Ria war inzwischen mehr als bereit, sich lieber einer Familie von Raubtier-Wandlern zu stellen, als Chris auch nur eine Minute länger zuzuhören. Sie bezweifelte ohnehin, dass sie die seltsamen Katzen häufig zu Gesicht bekommen würde. Sie waren damit beschäftig, ihr eigenes Leben zu führen. Wahrscheinlich konnte sie ihr Geheimnis ohne große Probleme wahren. Was ihr jedoch Sorgen bereitete, war er.
»Ja, sie haben einen Metalldetektor.« Ria schaute Lance an, der sie angesprochen hatte. Als sich ihre Blicke begegneten, sah sie im schwachen Licht, dass er die Augen verdrehte, und sie verstand ihn sofort. Nur zwei ihrer neun Gepäckstücke fehlten, und darin befand sich kein Metalldetektor. Ein Koffer von Chris, der wahrscheinlich nur überflüssige Kleidungsstücke enthielt, und Rias zweites Gepäckstück: ein schwerer Rollkoffer, der an eine Kühlbox erinnerte und in dem sich zahlreiche Fläschchen, Beutel, Bürsten, Spitzhacken und so weiter befanden.
Doch außer Ria wusste niemand, wie wichtig, ja, lebenswichtig die Sachen waren, die unter den archäologischen Werkzeugen lagen. Mehrere kleine Beutel, sorgfältig verpackt und in dem temperierten doppelten Boden versteckt. Ihr Verlust, wenn auch nur für ein paar Tage, war der Grund für ihre große Angst. Sie würde sie angesichts der Zufuhr, die sie vor zwei Tagen bekommen hatte, zwar höchstwahrscheinlich gar nicht brauchen, aber sie ging trotzdem lieber auf Nummer sicher.
Das Fahrzeug begann sich bereits zu verlangsamen, als Lance zu seiner Schwester sagte: »Wir kommen gerade an.«
Ria richtete den Blick nach vorn, als das fantastische Haus vor der Windschutzscheibe auftauchte. Es war groß und einladend, mit dunkelgrünen Verkleidungen, die sich vom hellbraunen Backstein abhoben, und den clever entworfenen abgerundeten Ecken, damit den gelegentlich von der Meerseite blasenden Hurrikanwinden möglichst wenig Angriffsfläche geboten wurde. Ria wusste, dass die Gästezimmer sich im ersten Stock mit dem umlaufenden Balkon befanden. Auch im zweiten Stock gab es einen umlaufenden Balkon, der sogar ein Stück über den unteren hinausragte. Melinda, Andreas, Rome und inzwischen auch Gwen bewohnten das oberste Stockwerk.
Dank ihres Aufenthalts vor zwei Monaten wusste Ria, dass das Haus auch mit einem Innen-Außen-Swimmingpool, einer Bibliothek und einem Fernsehraum zur Unterhaltung der Gäste ausgestattet war. Im Gästehaus sowohl das Frühstück als auch das Abendessen im Speisezimmer eingenommen, und Ria wusste, dass Annie, die Köchin und Haushälterin der Familie Felix, eine begnadete Köchin war. Zwar bekam man nur auf Anfrage ein Mittagessen, doch es herrschte niemals Mangel an Snacks, um bis zum Abendessen durchhalten zu können.
»Huh, das ist ja größer, als ich gedacht habe«, sagte Chris, während er auf einen der Parkplätze fuhr. Die Haustür ging auf, und Gwen und Melinda, dahinter Rome und Andreas kamen zum Vorschein.
Rias Herz tat bei diesem Anblick einen Sprung. Nicht etwa wegen den Personen, die in der Tür erschienen, sondern wegen dem, der noch auftauchen konnte.
Ihr Innerstes war von so vielen Emotionen erfüllt, dass sie Schmetterlinge im Bauch spürte. Aber weil sie schon vor langer Zeit gelernt hatte, ihre Emotionen im Zaum zu halten, war das ein eher unangenehmes Gefühl. Und das alles wegen eines Mannes, den sie kaum kannte. Eines Mannes, dessen attraktiv markantes Gesicht immer wieder in ihren Gedanken aufgetaucht war und begonnen hatte, sich in ihre Träume zu schleichen. Erregende Träume, aus denen sie mit einem starken Verlangen aufgewacht war. Und dann folgten Träume mit solch schwerem Verlust und solcher Verwirrung, dass sie noch immer Tränen auf den Wangen hatte, wenn sie die Augen aufschlug. Ein Teil von ihr wollte den ältesten Felix-Sohn am liebsten sofort sehen, damit sie wieder wusste, dass er nichts Besonderes war und dass die Realität weit hinter der Phantasie zurückblieb.
Ein anderer Teil von ihr fürchtete jedoch, dass es genau umgekehrt sein könnte, und diese Unsicherheit machte sie ganz verrückt.
Ria holte tief Luft, stieg aus dem Geländewagen und folgte den anderen, die von den Hausherren bereits willkommen geheißen wurden.
»Diesmal habe ich dich also für eine ganze Woche!« Gwen hatte ein strahlendes Lächeln auf dem Gesicht und schloss ihren Bruder in die Arme.
»Na, ich muss ja arbeiten«, antwortete Lance lachend. Dann machte er sich daran, die Neuankömmlinge vorzustellen.
»Schön, dich wiederzusehen«, sagte Melinda und überraschte Ria damit, dass sie ihre Hand mit beiden Händen umfasste. »Ich hoffe, wir haben dieses Mal Gelegenheit, uns wirklich kennenzulernen.«
Ria hatte keine Ahnung, was sie darauf antworten sollte. Doch bevor sie etwas sagen konnte, legte Chris die Hand auf ihre Schulter und drückte sie fest. »Ach, unsere Ria ist ein Buch mit sieben Siegeln. Ich weiß kaum mehr über sie als vor drei Jahren. Ist es nicht so?«
Die Worte hätten eine Neckerei sein können, aber der höhnische Unterton machte Ria zu schaffen. Wenn es nach ihr ging, war das Einzige, was Chris je von ihr erfahren würde, der Name ihres neuen Arbeitgebers. Sobald sie einen gefunden hatte.
Da sie aber noch nicht bereit war, ihre Einkommensquelle aufs Spiel zu setzen, verzichtete sie darauf, ihm ins Gesicht zu schlagen, verschränkte rasch die Arme vor der Brust und erklärte unbekümmert: »Chris, das liegt daran, dass du ein Mann bist. Du möchtest doch gar nichts von meinen Gefühlen, Krämpfen und Vorlieben in Sachen Mode hören.«
»Dem kann ich nur zustimmen«, pflichtete ihr Rome feierlich bei, aber Ria sah, dass sein Blick hart wurde und erst wieder amüsiert aufflackerte, als Gwen protestierte und ihm den Ellbogen sanft in die Magengrube stieß.
»Kommt rein und seid herzlich willkommen in The Orchards«, sagte Melinda und winkte fröhlich. »Wir holen eure Zimmerschlüssel, damit ihr es euch gemütlich machen könnt. Ihr müsst doch nach der langen Reise erschöpft sein. Braucht ihr Hilfe mit eurem Gepäck?«
»Danke, aber wir schaffen das schon«, antwortete Lance und nahm Chris die Autoschlüssel aus der Hand. Während ihr Chef, der sich jetzt nett und freundlich gab, im Haus verschwand, um die Zimmer zu verteilen, gingen Lance, Robby und Ria zum Wagen und holten ihr Gepäck heraus.
»Herrje«, zischte Robby, während er eine der Taschen herauszog. »Was ist dem denn über die Leber gelaufen?«
Ria seufzte, nahm von Lance einen Koffer entgegen und stellte ihn zur Seite. »Er verhält sich immer wie ein Idiot, wenn es nicht nach seinem Willen geht. Ich wusste, dass es so kommen würde.«
»Aber es wird schlimmer, Ree«, flüsterte Lance. Er sprach sie mit dem Spitznamen an, den er ihr gleich zu Beginn ihrer Freundschaft gegeben hatte. »Ich werde mal mit ihm reden.«
»Nein, bitte lass das.« Obwohl sie mit leiser Stimme sprach, war ihr Tonfall eindringlich. Sie ließ den Blick hastig um den Geländewagen schweifen, um sich zu vergewissern, dass sie allein waren. »Damit machst du es nur noch schlimmer. Er beruhigt sich bestimmt bald wieder. Er verhält sich sowie nur wegen der verlorenen Gepäckstücke wie ein Arschloch.«
Die beiden Männer warfen sich einen Blick zu, während sie die große Baumwolltasche mit dem Zelt, der Campingdusche und der faltbaren Duschkabine zur Seite schoben. Die Tasche sollte im Geländewagen bleiben, es gab keinen Grund, sie mehr als nötig herumzuschleppen. »Ich glaube, dem jüngeren Typen – heißt er nicht Rome? – hat die Bemerkung vom Chef nicht gefallen«, sagte Robby.
Lance grinste. »Das hast du tatsächlich bemerkt?«
Ria trat ein paar Schritte zurück, um erneut zur Haustür zu spähen. Ihre Nackenhaare stellten sich auf, und das Blut raste durch ihre Adern. Sie fühlte sich beobachtet.
»Der erste Eindruck trifft nur selten zu, und man sollte sich vor voreiligen Urteilen hüten.« Diese Feststellung war ebenso an sie selbst wie an die anderen gerichtet.
Robby hängte sich seine Reisetasche quer über die Brust und nahm den Griff eines großen rechteckigen Koffers. »Und manchmal ist das Bauchgefühl das einzig Richtige.«
Ria schob sich den Riemen ihrer eigenen großen Reisetasche über den Kopf, bevor ihr einfiel, dass ihr zweites Gepäckstück fehlte. In ihr stieg die Sorge wieder hoch. Außerdem hatte sie die ganze Zeit das Gefühl, eine Zielscheibe auf dem Rücken zu haben. Langsam drehte sie sich im Kreis herum und spähte in die verschiedenen Fahrzeuge, die auf dem Parkplatz vor dem Haus abgestellt waren. Obwohl es keineswegs stockfinster war, konnte sie jenseits des gut beleuchteten Bereichs kaum etwas sehen. Formen und Schatten, aber nichts Bestimmtes.
Das Geräusch der Heckklappe ließ sie zusammenzucken.
»Alles okay, Ree?« Mit besorgter Miene trat Lance einen Schritt auf sie zu.
Ria, die die Hand auf ihr wild klopfendes Herz gelegt hatte, warf ihm ein schiefes Lächeln zu. »Alles in Ordnung. Ich habe mich nur gerade gefragt, warum wir alle noch immer für diesen Mann arbeiten.«
»Des Geldes wegen«, stellte Robby ohne zu zögern fest und hob und senkte die Augenbrauen auf übertriebene Weise. »Er bezahlt nicht nur gut, er übernimmt auch die Reisekosten. Außerdem schaut er uns nicht den ganzen Tag über die Schulter.«
Lance nickte zustimmend. »Meistens macht die Arbeit Spaß, und Robby hat recht: Beruflich vertraut uns Chris. Wenn bloß das Persönliche nicht so irritierend wäre.«
Ja, weiß Gott!
Lance, der sich den Gurt seiner eigenen Reisetasche über die Schulter gehängt hatte, griff nach einer schweren Plastikbox. »Ria, holst du unsere Laptops?«
Ria nahm die vier Laptop-Taschen und ihre Handtasche vom Rücksitz. Sie schob den beiden Männern jeweils einen Gurt über den Kopf und tat das Gleiche mit ihrer eigenen Tasche. Chris’ Laptop nahm sie über die Schulter. Dann verschloss sie das Fahrzeug.
Während sie auf die Haustür zusteuerten, blickte Ria zufällig nach oben, stolperte, blieb stehen und schnappte nach Luft. Sie blinzelte, spähte noch einmal hinauf und blinzelte wieder. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie gemeint, ein Paar grünlich-gelbe Augen von hoch oben herabblicken zu sehen. Vom Dach herunter. Aber jetzt war nichts mehr zu sehen.
Sie schluckte, beschleunigte ihren Schritt und gesellte sich im Rezeptionsbereich, zu ihren Kollegen.
»Ach, Ria«, sagte Melinda. Neben ihr stand Rome hinter der Mahagonitheke und starrte auf einen Computerbildschirm, während er etwas eintippte. Auf der Theke lagen mehrere Notizblöcke, daneben standen eine zylinderförmige Kugelschreiberbox und ein Drehgestell mit Informationsbroschüren über The Orchards und die verschiedenen Ausflugsziele, die man während des Aufenthalts ansteuern konnte. Andreas und Gwen waren verschwunden. »Ich hatte vor, dich im gleichen Zimmer unterzubringen wie das letzte Mal, weil es dir allem Anschein nach gefallen hat. Ist dir das recht?«
Ria gab Chris seine Laptoptasche. »Das ist gut. Genau genommen perfekt. Vielen Dank.« Das Zimmer befand sich direkt neben dem gemeinsamen Frauenbadezimmer, und das war ihr sehr recht. Das Bad mit den drei Duschen, Toiletten und Waschbecken erinnerte an die Bäder in Studentenwohnheimen und sorgte für einen relativ reibungslosen Ablauf. Die unmittelbare Nachbarschaft hatte zur Folge, dass sie, ohne ihr Zimmer verlassen zu müssen, hören konnte, wenn das Bad nicht besetzt oder eine Dusche frei war. Außerdem erleichterte es den Gang zur Toilette mitten in der Nacht.
»Nur zu deiner Information: Über das Wochenende wirst du das Bad mit vier anderen jungen Frauen teilen müssen.«
Ria griff nach ihrer Schlüsselkarte. »Danke für die Warnung.«
Als Antwort verzog Melinda den Mund. »Zwar müssen diese beiden Herren das Bad nur mit zwei anderen teilen, aber sie müssen sich auch ein Zimmer teilen. Zwei Doppelzimmer.«
»Das bin ich gewöhnt«, sagte Lance. Er nahm eine Schlüsselkarte an sich und gab die zweite Robby, der hinzufügte: »Ich bin schon froh, ein eigenes Bett zu haben. Wenn man immer auf dem harten Boden schläft, kommt man sich schnell alt vor.«
»Und Chris, du hast eine unsere Suiten gebucht. Ich habe dich untergebracht in … in Zimmer zweihundertacht?« Melinda blickte von der Schlüsselkarte, die Rome ihr reichte, auf den Bildschirm. »Ja, zweihundertacht. Eine wunderschöne Suite mit einem spektakulären Blick auf die Bucht.« Sie gab Chris die Karte. »Gwen holt gerade ein paar Snacks als Überbrückung bis zum Frühstück. Rome zeigt euch die Zimmer.«
»Ach, bitte«, fragte Robby hastig, »wann gibt es denn Frühstück?«