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Drei packende, sexy Romane ... hier ist nicht nur der Preis verführerisch!
Die Familie Felix besitzt seit Generationen ein riesiges, tropisches Anwesen in Florida. Was keiner wissen darf: Es handelt bei der Familie um Jaguar-Gestaltwandler! In jedem Roman steht einer der Söhne im Mittelpunkt. Und wenn diese erst einmal die Fährte aufgenommen haben, lassen sie so schnell nicht mehr locker ...
Dynasty of Jaguars - prickelnde und spannende Gestaltwandler-Romantik vor der heißen Kulisse Floridas!
Rome - Verführerische Fährte:
Es scheint wie der perfekte Job: Gwen Coultier ist Ranger in dem privaten Waldreservat der Familie Felix in Florida. Vor allem ist es weit weg von Gwens betrügerischen Exfreund. Doch dann entdeckt sie Jaguar-Spuren im Wald - dabei gibt es diese Tiere dort eigentlich nicht!
Rome Felix ist Kampfflieger - und Gestaltwandler. Der einzige schwarze Jaguar seiner Familie hat genug von seinem Job. Im Reservat sucht er Ruhe und Freiraum. Doch als ihm der betörende Geruch von Gwen in die Nase steigt, ändern sich seine Pläne ...
Santos - Unstillbares Verlangen:
Mythen und Legenden auf den Grund zu gehen ist Ria Montgomerys Job. Und sie ist gut darin - schließlich ist sie als Halbvampirin selbst so etwas wie ein Fabelwesen. Im Reservat der Familie Felix in Florida untersucht sie die Geschichte einer Ruine und findet eine schockierende Wahrheit.
Santos Felix riecht sofort, dass etwas mit Ria nicht stimmt. Sie ist schön, sexy und smart, doch sie verbirgt etwa vor ihm. Das macht ihn verrückt, und die Wildkatze in ihm will sie besitzen.
Porter - Geheimnisvolle Leidenschaft:
Als Schriftstellerin liebt Rachel Laversse es, ihre Figuren mit Schicksalsschlägen zu beuteln. Doch als die Leoparden-Gestaltwandlerin selbst das Ziel eines geheimnisvollen Stalkers wird, muss sie sich auf dem Anwesen der Familie Felix in Florida verstecken.
Porter Felix ist sofort fasziniert von ihr. Rachel hat eigentlich anderes im Sinn, doch wenn dieser Jaguar sich etwas in den Kopf setzt, ist Widerstand zwecklos. Wie weit wird er gehen, um sie zu seiner Gefährtin zu machen? Und was wird er tun, wenn ihr Stalker sie findet?
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Die Familie Felix besitzt seit Generationen ein riesiges, tropisches Anwesen in Florida. Was keiner wissen darf: Es handelt bei der Familie um Jaguar-Gestaltwandler! In jedem Roman steht einer der Söhne im Mittelpunkt. Und wenn diese erst einmal die Fährte aufgenommen haben, lassen sie so schnell nicht mehr locker … Dynasty of Jaguars – prickelnde und spannende Romantik mit übernatürlichem Touch!
Rome – Verführerische Fährte
Es scheint wie der perfekte Job: Gwen Coultier ist Ranger in dem privaten Waldreservat der Familie Felix in Florida. Vor allem ist es weit weg von Gwens betrügerischen Exfreund. Doch dann entdeckt sie Jaguar-Spuren im Wald – dabei gibt es diese Tiere dort eigentlich nicht!
Rome Felix ist Kampfflieger – und Gestaltwandler. Der einzige schwarze Jaguar seiner Familie hat genug von seinem Job. Im Reservat sucht er Ruhe und Freiraum. Doch als ihm der betörende Geruch von Gwen in die Nase steigt, ändern sich seine Pläne …
Santos – Unstillbares Verlangen
Mythen und Legenden auf den Grund zu gehen ist Ria Montgomerys Job. Und sie ist gut darin – schließlich ist sie als Halbvampirin selbst so etwas wie ein Fabelwesen. Im Reservat der Familie Felix in Florida untersucht sie die Geschichte einer Ruine und findet eine schockierende Wahrheit.
Santos Felix riecht sofort, dass etwas mit Ria nicht stimmt. Sie ist schön, sexy und smart, doch sie verbirgt etwa vor ihm. Das macht ihn verrückt, und die Wildkatze in ihm will sie besitzen.
Porter – Geheimnisvolle Leidenschaft
Als Schriftstellerin liebt Rachel Laversse es, ihre Figuren mit Schicksalsschlägen zu beuteln. Doch als die Leoparden-Gestaltwandlerin selbst das Ziel eines geheimnisvollen Stalkers wird, muss sie sich auf dem Anwesen der Familie Felix in Florida verstecken.
Porter Felix ist sofort fasziniert von ihr. Rachel hat eigentlich anderes im Sinn, doch wenn dieser Jaguar sich etwas in den Kopf setzt, ist Widerstand zwecklos. Wie weit wird er gehen, um sie zu seiner Gefährtin zu machen? Und was wird er tun, wenn ihr Stalker sie findet?
Jennifer Dellerman hat bereits viele Bücher veröffentlicht. Am liebsten schreibt sie erotische und spannende Romane mit paranormalem Einschlag. Jennifer Dellerman lebt in den USA.
Jennifer Dellerman
Dynasty of Jaguars
Rome – Verführerische Fährte
Santos – Unstillbares Verlangen
Porter – Geheimnisvolle Leidenschaft
Drei Romane in einer verführerischen eBox
beHEARTBEAT
Digitale Neuausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2016–2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Die englischsprachigen Originalausgaben erschienen unter den Titeln »Hot Licks«, »Drawing Deep« und »Haze of Heat« bei Ravenous Romance ©
© 2012–2013 by Jennifer Dellerman
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Koordination und Bearbeitung der deutschen Ausgabe: usb bücherbüro, Friedberg (Bay.)
Übertragung ins Deutsche: Yasmin Tesch / Charlene Stein
Projektmanagement: Lukas Weidenbach
Covergestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von Motiven © thinkstock: Sarah_Cheriton | jfk_image | Matt_Gibson; © iStock: Art-Of-Photo | Geber86
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-7316-5
Dieses eBook enthält eine Leseprobe des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes »Del – Ungezähmtes Begehren« von Jennifer Dellerman.
Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
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Jennifer Dellerman
Aus dem amerikanischen Englisch von Yasmin Tesch
In der weichen Erde zeichnete sich eine Fußspur ab, beinahe doppelt so groß wie die eines Menschen. Mit zusammengekniffenen, fast schwarzen Augen starrte die Frau auf den Abdruck.
»Du gehörst nicht hierher.« Gwen Coltier hob den Kopf und blickte sich langsam um. Die Lichtung war so groß wie zwei Fußballfelder und von Wald umgeben. In der Mitte stand eine alte Hütte aus Holz und Stein. Nördlich der Lichtung begann einer der Nationalparks von Florida. Einige Kilometer weiter im Süden stand das Haus ihrer Arbeitgeber, Melinda und Andreas Felix, und Gwen befand sich auf deren Grund und Boden. Sie neigte den Kopf zur Seite, lauschte dem Gezwitscher der Vögel und blickte angestrengt in den Wald.
Was war mit dieser Hütte los? Sie war irgendwann bewohnt gewesen, aber inzwischen waren die Fenster mit Brettern vernagelt, und es gab eine neue Tür aus Metall mit Vorhängeschloss. So versuchte man zu verhindern, dass Hausbesetzer und Wilderer sie als Unterschlupf nutzten. Beides war im vergangenen Jahr ein paar Mal vorgekommen. Seitdem wurde das Waldgrundstück bewacht, auch um die Feriengäste zu schützen. Zu den ungebetenen Besuchern zählten natürlich auch Vierbeiner, die hier in allen möglichen Gestalten und Größen auftauchten.
Gwen begann ihren Arbeitstag meist mit einer Fahrt entlang der Ostgrenze des Anwesens. Dort prüfte sie den Metallzaun, der die Alligatoren von den Menschen trennte. Dann fuhr sie weiter und ließ den Jeep am Eingangstor stehen. Die Ranger boten den Gästen geführte Wanderungen an; niemand durfte allein im Wald umherwandern. Trotz der markierten Wege war die Gefahr einfach zu groß, dass man sich verlief. Und für Fremde war es wegen der Schlangen, des Giftefeus und der wilden Tiere definitiv zu gefährlich.
Die Überprüfung der Hütte gehörte ebenfalls zu Gwens routinemäßigen Aufgaben. Nachdem sie einmal fest am Vorhängeschloss gezogen hatte, umrundete sie das drei Meter hohe Gebäude und hielt nach Beschädigungen Ausschau. Der untere Teil bestand aus einem festen Fundament aus Steinen. Die Hälfte des Dachs war eingesunken, einige Dachsparren hatten sich gelöst, hingen herab oder waren durchgebrochen, aber das Haus stand noch.
Gwen war der Meinung, dass die Hütte abgerissen werden sollte. Sie wurde überhaupt nicht mehr genutzt und stellte eigentlich nur noch eine Gefahr dar. Aber die Eigentümer hingen daran, aus welchen Gründen auch immer. Und deshalb musste das alte Gemäuer jedes Mal überprüft werden, wenn einer der Ranger – Gwen oder ihre Kollegen Dennis Bonet und James Eden – in den Wald kam.
Gwen und James waren ausgebildete Ranger und hatten früher beim Staat gearbeitet. Als dort die Gehälter immer mieser wurden, hatten sie sich eine Stelle bei privaten Arbeitgebern gesucht. Zu Sommerbeginn war Dennis als Vollzeitkraft eingestellt worden, im Moment machte er aber eine Fortbildung und arbeitete nur an den Wochenenden. James hatte den Dienst an den Wochentagen übernommen.
Wie immer in den vergangenen fünf Monaten schien mit der Hütte alles in Ordnung. Genau wie bei ihrem ersten Besuch zusammen mit Porter, dem jüngsten Sohn der Familie Felix. Bis sie sich die Rückseite der Hütte ansah.
Irgendetwas Seltsames war hier im Gange. Vor einigen Monaten hatte Gwen im Wald einen Jaguar entdeckt, doch das Blattwerk war so dicht gewesen, dass sein orange-gelb-schwarzes Fell eher grau erschien. Auch er gehörte eigentlich nicht hierher. In Florida gab es kleine Panther mit braunem Fell, aber keine Jaguare. Diese viel größeren Raubkatzen zogen die Regenwälder Südamerikas vor. Der Anblick des schönen, fremden Tieres hatte ihr den Atem verschlagen, doch der Jaguar war verschwunden, bevor sie ein Foto machen konnte.
Sie hatte Porter und den anderen Rangern von dem Raubtier berichtet, aber die Männer hatten sie nur ausgelacht. Und nachdem das Tier in den nächsten Wochen nicht wieder aufgetaucht war, zweifelte sie inzwischen selbst an ihrer Beobachtung.
Das hier war etwas anderes. Die Spur war ein echter Beweis. Nur leider stammte sie nicht von einer Raubkatze.
Gwen griff nach dem Riemen ihres Gewehrs und suchte erneut das Gelände ab. Sie vergewisserte sich, dass weder ein Tier noch ein Mensch auf der Lauer lag und sie anspringen würde, sobald sie ihm den Rücken zukehrte. Dann nahm sie das Handy von ihrem Gürtel, aktivierte die Fotofunktion und machte ein paar Aufnahmen. Zum Vergleich stellte sie ihren Fuß im Stiefel der Größe 40 daneben. Dann folgte sie der Spur, ging langsam weiter und suchte den Boden nach weiteren Abdrücken ab. In etwa zwei Metern Entfernung wurde sie fündig. Ein nackter Fuß. Die fünf Zehen waren im feuchten Boden tief eingegraben und leicht auszumachen.
Offenbar war hier jemand sehr schnell über die Lichtung gelaufen, und zwar innerhalb der letzten achtundvierzig Stunden, während oder unmittelbar nach dem Regen. Der trocknende Schlamm hatte die Abdrücke erhalten.
Gwen unterdrückte ein Schaudern und ging weiter, den Blick auf die Spur geheftet. Sie versuchte, nicht daran zu denken, dass sie allein war. Hier am nördlichsten Ende der ehemaligen Plantage, die inzwischen unter dem Namen Olivias Orchards oder kurz The Orchard bekannt war, befand sich außer ihr kein Mensch.
Das Anwesen, benannt nach der Großmutter des Eigentümers, befand sich seit Generationen im Besitz der Familie Felix und gehörte inzwischen Melinda und Andreas, einem netten Ehepaar Mitte fünfzig. Das riesige Grundstück grenzte im Süden an den Golf von Mexiko, im Norden gab es Wald und im Osten ein Sumpfgelände. Und natürlich war da der Nationalpark, ein riesiges menschenleeres Waldgebiet.
Olivias Obstgarten also. Tatsächlich wuchsen hier viele Orangen-, Avocado- und Olivenbäume. Die Früchte wurden verkauft, ebenso wie Orangensaft und Olivenöl. Und im Haupthaus gab es einige Gästezimmer, sodass auf dem Gelände immer relativ viele Menschen herumliefen.
Das dreistöckige Haus war aus Steinen erbaut und hellbraun gestrichen. Es hatte dunkelgrüne Fensterläden, mehr als elfhundert Quadratmeter Wohnfläche und war so gebaut, dass es dem Wind vom Meer gut trotzen konnte. Ein unterteilter umlaufender Balkon im ersten Stock bot Privatsphäre für die Gäste. Im Erdgeschoss gab es einen Innen-Außen-Swimmingpool, eine Bibliothek sowie einen Fernseh- und Gemeinschaftsraum. Alle diese Einrichtungen standen den Gästen jederzeit zur Verfügung. Die Küche, das Speisezimmer, die Waschküche und der separate Wohnbereich des Hausmeisterpaares lagen ebenfalls im Erdgeschoss. Ganz oben wohnten die Eigentümer.
Im ersten Stock gab es insgesamt neun Gästezimmer, vier davon mit eigenem Bad. Gwen hatte noch kein einziges Wochenende erlebt, an dem keine Übernachtungsgäste da gewesen waren. Kein Wunder: Das Haus hatte einen Privatstrand, man konnte reiten und im Meer fischen – alles sehr reizvoll.
Auch Gwen hatte ein Zimmer im Haupthaus. Ihre Bewerbung war eine Art Flucht gewesen. Bei ihrem früheren Job war ihr Chef gleichzeitig ihr Liebhaber gewesen. Und da er sie ständig betrogen hatte, konnte sie ihm irgendwann einfach nicht mehr vertrauen. Die Stelle in The Orchard war die perfekte Lösung gewesen. Und sie hatte die Möglichkeit gehabt, eine Lohnkürzung zu akzeptieren und in einem der größeren Gästezimmer unterzukommen.
Eine gute Möglichkeit, entschied sie, nachdem sie das Zimmer gesehen hatte. Etwas Vergleichbares würde sie auf eigene Faust sicher nicht finden. Die Möbel waren schön und unaufdringlich, sie hatte eine Kochnische, einen herrlichen Meerblick und keinen Stress mit den Energiekosten und dem Weg zur Arbeit. Perfekt.
Ihr ganzes Leben war nahezu perfekt, fand sie, seitdem sie sich an den hektischen Tagesablauf in dem belebten Haus gewöhnt hatte. Abgesehen von den Alligatoren. Und mysteriösen Jaguaren. Und neuerdings seltsamen Fußabdrücken.
Gwen zählte vom einen Ende der Lichtung bis zum anderen sieben Fußspuren im Abstand von jeweils etwa einem Meter achtzig. Ein Abstand, der etwa doppelt so groß war wie ihre Laufschritte. Und dabei war sie mit ihren ein Meter siebzig nicht gerade klein. Wer auch immer diese Spuren hinterlassen hatte, musste mindestens zwei Meter groß sein. Oder wirklich lange Beine haben.
»Oder …«, murmelte sie vor sich hin. »Oder mir will irgendjemand einen Streich spielen.«
Irritiert runzelte sie die Stirn. Wahrscheinlich hatte Porter damit zu tun. Porter Felix war mit seinen neunundzwanzig Jahren nur ein Jahr jünger als sie, strahlte aber das gelassene Selbstvertrauen eines deutlich älteren Mannes aus. Dabei besaß er genügend jungenhaften Charme, um die Frauen scharenweise anzulocken. Dass er umwerfend aussah und unverschämt gut gebaut war, war natürlich auch kein Schaden.
Porter war das jüngste der vier Felix-Kinder, wenn auch nur zwei Minuten jünger als sein Zwillingsbruder Delany. Er war fast einen Meter neunzig groß, und seine Haare waren fast schwarz. Seine glatte Haut, die die sinnliche Farbe von Honig hatte, glänzte in der Sonne wie Bronze, während die Gwens Haut dank ihrer indianischen Großmutter wie Kupfer mit einem Hauch Sahne schimmerte. Dichte Wimpern, eine lächerliche Vergeudung bei einem Mann, lenkten den Blick auf Porters dunkelbraune Augen, die er eindeutig von seinem Vater geerbt hatte.
Genau genommen hatten alle vier Söhne diese faszinierenden Augen, die Größe, die männliche Ausstrahlung und das umwerfend gute Aussehen von Andreas geerbt. Zwar hatte Gwen bislang erst Porter und den ältesten Sohn, Santos, kennengelernt, doch im Haus hingen genug Fotos an den Wänden. Und auf allen Bildern sah man, wie die Gene des Vaters in jedem seiner Söhne zum Vorschein kamen.
Doch so unverschämt gut sie alle aussahen – keiner konnte Rome, dem Zweitgeborenen, das Wasser reichen. Zumindest war Gwen dieser Meinung. Als sie zum ersten Mal ein Foto von ihm im Kreise seiner umwerfenden Brüder gesehen hatte, war es ihr schwergefallen, den Blick loszureißen. Und sie kehrte immer wieder zu diesem Bild zurück. Daran hatte sich in den Monaten seit ihrer Ankunft nichts geändert. Das war ihr echt peinlich. Und was die Sache noch schlimmer machte: Sie hatte sich vor Aufregung fast übergeben müssen, als Melinda ihr freudestrahlend erzählte, dass Rome seinen Job als Kampfflieger aufgeben würde. Ja, Rome würde nach Hause zurückkehren. Und Gwen fühlte sich, als wäre sie ein Teenager und würde irgendeinen Hollywoodstar bald treffen, in den sie verknallt war. Es wurde jeden Tag schlimmer.
Ein langer, lauter Vogelruf riss sie aus ihren Gedanken. Sie schüttelte über sich selbst den Kopf. Hier stand sie und schwärmte für einen Mann, den sie nie getroffen hatte. Dabei wartete die Gefahr oder wahrscheinlich eher ein Witzbold hinter der nächsten Ecke auf sie.
In Gedanken verpasste sie sich eine saftige Ohrfeige, dann schickte sie Porter die Fotos, die sie gemacht hatte. Wenn er ihr keinen Streich gespielt hatte, dann gab es hier ein echtes Problem, schrieb sie ihm dazu.
Es dauerte keine zwei Minuten, dann läutete ihr Handy. »Und?«
»Wo steckst du?«, schnauzte Porter, was so gar nicht zu seiner typischen schleppenden Sprechweise passen wollte. Gwen blickte sich um, bevor sie antwortete: »Auf der Lichtung bei der Hütte.«
»Und du spielst mir keinen Streich?«
Verzweifelt hob Gwen die Hand. »Wie in aller Welt hätte ich diese Abdrücke machen sollen?« Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen, dann folgten ein paar Worte, die zu leise gesprochen waren, um sie verstehen zu können, so als würde Porter mit jemand anderem reden. »Hallo? Porter?«, fragte sie nach ein paar Sekunden.
»Ja, ich bin noch dran. In welche Richtung führen diese Spuren?«
Die Richtung? Sie sah sich um und versuchte sich zu orientieren. »Nach Nordwesten, und sie sind nur auf der Westseite der Hütte.«
»Ist James bei dir?«
»Nein. Er wollte die andere Seite checken. Morgen findet ja eine geführte Wanderung statt, die wollte er vorbereiten.« Schweiß sammelte sich zwischen ihren Brüsten, die Spätsommersonne war heiß. Während sie auf Porters Antwort wartete, nahm sie den Saum ihres T-Shirts und fächelte sich mit dem Stoff etwas Luft zu.
»Ist bei der Hütte alles in Ordnung?«
Sie ließ den Blick über die Steine und das Holz schweifen und fragte sich plötzlich, ob jemand die Wand hochklettern konnte. Offenbar stammten die Spuren nicht von Porter. Es war also durchaus möglich, dass sie hier draußen mit einem Verrückten allein war, der durch den Regen lief. Höchstwahrscheinlich nackt oder doch mit nackten Füßen. Sie wurde blass, als ihr das Bild von Bigfoot in den Sinn kam. »Das Vorhängeschloss ist noch da, und es hat nicht den Anschein, als hätte sich jemand an der Hütte zu schaffen gemacht.«
Ein Rascheln und das Schlagen zweier Türen begleiteten seine nächsten Worte. »Du hast einen Schlüssel, oder?« Dann war das Starten eines Motors zu hören.
Gwen runzelte die Stirn. »Ja. Was ist bei dir los, Porter?«
Erneutes Murmeln. »Ich wollte dir gerade raten, in die Hütte zu gehen, aber Rome meint, der Vorschlag ist idiotisch, weil sich das Schloss an der Außen-, und nicht an der Innenseite befindet. War so was wie ein geistiger Aussetzer.«
Gwen spürte, wie ihr auf einmal schwindelig wurde. »Rome?«
»Ja. Er ist die ganze Strecke in einem Rutsch durchgefahren und heute früh angekommen. Vor nicht mal einer Stunde. Wir sind gerade auf dem Weg zu dir.«
»Zu mir?« Du meine Güte! Gehörte diese hohe und piepsige Stimme wirklich zu ihr? Sie räusperte sich. »Warum?«
»Sieht so aus, als hätten wir es mit Landbesetzern zu tun.«
»Barfüßige Landbesetzer? Mitten im Wald ist das nicht gerade schlau«, erwiderte sie, während sie mit der freien Hand überprüfte, ob ihr Zopf auch ordentlich war. Als ihr klar wurde, was sie da tat, steckte sie die Hand in die Tasche ihrer Jeans und steuerte auf die Hütte zu.
»Es sei denn, sie haben keine Schuhe«, erwiderte Porter.
»Es gibt mit Sicherheit bessere Orte, die man besetzen kann, wenn man keine Schuhe hat. Dann sucht man sich doch nicht ein Stück Land mitten im Wald aus!«
»Vielleicht haben sie ihre Schuhe ja verloren.«
»Porter, ist das dein Ernst? Überleg doch mal, was du da redest.«
»Und du? Zuerst war da der mysteriöse Jaguar und jetzt was? Bigfoot?«
Gwen zuckte zusammen, weil ihr dieser Gedanke auch schon in den Sinn gekommen war. »Und was soll ich jetzt tun?«
»Wir sind schon am Tor. Ruf James an und kommt beide zurück. Wir treffen uns in fünf Minuten.«
Fünf Minuten? Es war unmöglich, dass sie die Strecke zwischen Tor und Lichtung in fünf Minuten rennend, geschweige denn gehend zurücklegen konnten. Man brauchte zwanzig Minuten, wenn man ging, vielleicht zehn, wenn man joggte, und das auch nur, wenn man ein wirklich guter Jogger war. Jeder Versuch, den unebenen Weg schneller entlangzulaufen, konnte nur in einer Katastrophe enden.
»Ich rufe ihn an«, versprach Gwen, während sie das Vorhängeschloss noch einmal überprüfte. »Aber ich will zuerst in die Hütte schauen.«
»Nein. Komm gleich zurück.«
Gwen verdrehte die Augen. »Porter, ich bin keine Anfängerin, und Wilderer und Landbesetzer sind für mich nichts Neues. Ich hatte während meiner acht Jahre als Ranger schon mit ganz anderen Dingen zu tun. Du hättest mich nicht eingestellt, wenn ich nicht selbst auf mich und auf dein Land aufpassen könnte.«
»Ja, aber …«
Es knisterte in der Leitung, sodass sie Porters Worte kaum verstand. Gwen rief noch ein paar Mal seinen Namen, dann unterbrach sie die Verbindung und rief James an.
»Wo bist du?«, fragte sie, als er sich meldete.
»Auf dem Weg zur Lichtung, um dich abzuholen. Ich möchte nicht zu spät zu Matts Geburtstagsfeier kommen.«
O ja. Gwen sah die Freude auf James’ breitem, gerötetem Gesicht förmlich vor sich. James war verheiratet und hatte drei Kinder, und die Geburtstagsgäste seines Ältesten würden bei ihnen übernachten. Acht vierzehnjährige Jungs, das klang ein wenig beängstigend, auch wenn sie Kinder mochte und gern selbst welche haben wollte. Aber sie wusste, dass James ganz begeistert war. Matt war sein einziger Sohn, und James hatte einen Narren an ihm gefressen.
»Na, dann beeil dich. Ich hab ein paar Fußspuren entdeckt, und Porter ist auf dem Weg hierher.«
Ein leises Kichern war zu vernehmen. »Ich gehe nicht davon aus, dass sie von einem Jaguar stammen.«
Hörte das denn nie auf? »Nein, du Schlaumeier. Menschliche Spuren. Barfuß.«
James verstummte, dann fragte er mit ernster Stimme: »Landbesetzer?«
»Das meint Porter jedenfalls.«
»Aber barfuß? Seltsam.«
»Meine Rede.«
Das kurze Schweigen wurde von Vogelrufen unterbrochen. »Ich verlasse gerade den Felsengarten und sollte in zehn Minuten da sein.«
Der Felsengarten war eine seltsame Ansammlung massiver Felsbrocken in Größen zwischen sechzig Zentimetern und zweieinhalb Metern, die sich auf einer deutlich kleineren Lichtung befand. Einige der Felsblöcke waren oben schön flach, und Gwen dachte nicht zum ersten Mal daran, dass sie ein idealer Platz wären, um sich darauf auszustrecken und ein Nickerchen zu halten. Allerdings nur, wenn es nicht so drückend heiß war wie heute.
»Porter will, dass wir …«
Schon wieder dieses Geknister. Gwen warf einen verzweifelten Blick auf ihr Handy. Bisher hatte sie nur selten Probleme gehabt, und jetzt waren innerhalb von wenigen Minuten zwei Gespräche unterbrochen worden. Während sie überlegte, ob sie womöglich wieder die alten Walkie-Talkies benutzen mussten, klemmte sie das Handy wieder an ihren Gürtel und griff nach den Schlüsseln. Weil sie James den Befehl von Porter nicht hatte übermitteln können, beschloss sie, auf ihren Kollegen zu warten und schon mal in der Hütte zu schauen, ob alles in Ordnung war.
Sie steckte den Schlüssel ins Schloss. Oder besser gesagt, sie versuchte es. Sie drehte den Schlüssel um, aber auch das führte zu nichts. Sie zog die schwarzen Augenbrauen zusammen und probierte es mit jedem Schlüssel an ihrem Bund. Keiner passte.
»Komisch.« Hatte die Familie das Schloss ausgetauscht? Oder irgendein Fremder?
Ein Schauer lief ihr über den verschwitzten Rücken. Das dunkelblaue T-Shirt mit dem Logo von Olivias Orchards, das alle Ranger als eine Art Uniform zu Jeans oder Khakishorts und Bergstiefeln trugen, klebte unangenehm an ihrem Rücken. Sie nahm den Gewehrgurt von ihrer Schulter, die Waffe immer nach unten gerichtet. Sie wollte bereit sein, falls etwas passierte.
In diesem Moment nahm sie aus dem Augenwinkel ein Aufblitzen wahr. Einen gelb-schwarzen Fleck, der ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Der Jaguar war wieder da! Sie rannte über die Lichtung, versuchte mit der einen Hand, ihr Handy aus der Befestigung zu lösen, und hielt das Gewehr mit der anderen fest. Sie wollte nicht, dass es versehentlich losging.
Doch weil sie sich ganz auf das Raubtier konzentrierte, ließ sie ihre Rückseite ungeschützt. Ein schweres, hartes, großes und heißes Gewicht warf sich auf ihren Rücken, und sie knallte mit dem Gesicht voraus auf die Erde.
Rome Felix, der den einen Arm fest um die Taille seiner Beute geschlungen hatte, griff mit der anderen Hand nach dem Handgelenk der Frau, entwand ihr das Gewehr, drehte sich in der Luft und landete auf dem Rücken. Er ließ der schönen Frau keine Zeit, sich zu bewegen, sondern rollte sich auf sie, sodass der größte Teil seines Gewichts auf ihrem Rücken zu liegen kam. Blitzschnell fesselte er ihre Handgelenke über ihrem Kopf und drückte sein Gesicht in die warme Biegung ihres Halses.
Und dann verdrehte er buchstäblich die Augen angesichts der berauschenden Düfte von Himmel, Sex, Sünde und Anmut, deren Mischung den logischen Teil seines Gehirns vernebelte. Sein spontaner Angriff widersprach ganz und gar seiner ansonsten eher langsamen, berechnenden und analytischen Vorgehensweise. Aber in diesem Augenblick war er kein klar denkender Mensch, sondern ein selbstsicheres männliches Raubtier, erfüllt vom immer stärker werdenden Drang, das in die Tat umzusetzen, was ihn seit seiner Rückkehr und dem ersten Schritt in sein Elternhaus beinahe in den Wahnsinn trieb.
Die Entscheidung, bei der Einheit für taktische Kampfjets zu kündigen und in sein Elternhaus zurückzukehren, war ihm erstaunlich leichtgefallen. Rome war von den vielen Reisen und all den Dingen, die er gesehen hatte, erschöpft. Deshalb war er nach Hause zurückgekommen: Er wollte körperlich und geistig zur Ruhe kommen. Doch ein einziger tiefer Atemzug im Haus, und ein Hauch von Zimt und Zitrone hatte den Jaguar in ihm auf unerwartete und absolut verlockende Weise wachsam werden lassen. Der starke Drang, Jagd auf den Ursprung dieses bezaubernden Dufts zu machen, hatte ihn sogar von den freudigen Umarmungen seiner Mutter, der überschwänglichen Begrüßung seines Vaters und dem herzlichen Empfang durch seine beiden Brüder.
Rome hatte jedes Zimmer abgesucht, durch das er kam, während er in die große Küche ging. Er war herumgestreunt wie ein vernachlässigtes Jungtier. Und jede Ecke des Hauses hatte diesen Duft verströmt, der ihn lockt und in einen regelrechten Rausch versetzte. Dann hatte Porter über sein Handy eine Nachricht erhalten und Rome sofort mit in den Wald genommen. Draußen im Freien war der Duft fast nicht mehr wahrnehmbar, und die Wildkatze in ihm hatte sich nach Freiheit gesehnt. Hätte Rome seine andere Hälfte nicht so strikt unter Kontrolle gehabt, dann hätte er sich in diesem Augenblick durchaus verwandeln und in Gestalt von 130 Kilo Fell und Muskeln durch das Haupthaus streifen können.
Was dazu geführt hätte, dass sämtliche unwissenden Menschen sich wie Ratten verkrochen hätten. Und das wäre vielleicht amüsant, aber nicht besonders klug gewesen.
Als Gestaltwandler war Romes Leben geprägt von einem ständigen Kampf zwischen Kontrolle und Instinkt. Zwischen menschlichem Intellekt und tierischen Trieben. Vernunft und Sinnlichkeit waren bei ihm eins. Normalerweise gefiel ihm das Leben als Wandler. Seine Sinne waren schärfer als die eines Menschen und waren ihm beim Militär und vor allem bei den Kampffliegern sehr nützlich gewesen. Beide, Mensch und Tier, waren konsequent, geduldig und berechnend, doch sie brauchten die sanfte Berührung und die herzliche Wärme der Vertrautheit. Und beides hatte ihnen da draußen in der weiten Welt gefehlt.
Während er und Porter den Pfad hinunterrannten, war der verführerische Duft unter dem dichten Blätterdach wieder tief in ihn eingedrungen, hatte sein Gehirn außer Funktion gesetzt und ihm eine übernatürliche Schnelligkeit verliehen. Am Rande der Lichtung angekommen, hatte er eine einsame Frau erblickt, die ihm den Rücken zukehrte, und zu seiner Rechten tief im Wald hatte sich etwas bewegt. Vielleicht hätte er an sich halten können, wenn sie nicht angefangen hätte, vor ihm davonzulaufen. Der Raubtierinstinkt und sein Bedürfnis, sie zu berühren und zu schmecken, hatten die Oberhand gewonnen. Na ja, und dann war er losgesprungen.
Als er jetzt ihren weichen Körper unter sich spürte, konnte er der Verlockung nicht widerstehen, mit seinen Lippen über die anmutige Biegung ihres Halses zu streichen. Seine Zunge war ihrem Duft so nah. Und weil Katzen das, was sie für verlockend halten, lecken, öffnete Rome den Mund.
»Was zum Teufel machst du da?« Das war die empörte Frage der hitzigen Frau, die er festhielt.
Rome zögerte, der Nebel der Lust lichtete sich wieder.
Ja, was zum Teufel tat er da?
»Ich würde sagen, mein Bruder hat den Verstand verloren.« Porters trockene Feststellung kam von irgendwo oberhalb von Romes Kopf.
»Porter?« Gwen konnte ihn nicht sehen, solange Romes massige Gestalt auf ihr lag.
»Ja. Und der Mann, der dich gerade in den Schmutz drückt, ist mein Bruder Rome. Der Verrückte«, fügte Porter hinzu und kicherte ungläubig. »Du bist wirklich umwerfend, Rome.«
»Könntest du ihm sagen, dass er von mir herunter soll? Ich kriege keine Luft.«
Rome kniff die Augen zusammen. Sein kleiner Bruder hatte recht, er hatte wohl wirklich den Verstand verloren. Vorsichtig rollte Rome sich von der Frau herunter, wobei er versuchte, sich nicht mehr an ihr zu reiben und sie seine Erektion nicht spüren zu lassen. Dann stand er mit einer flinken Bewegung auf. Porter schaute ihm in die Augen, doch die belustigte Frage in seinem Blick wollte Rome nicht beantworten. Stattdessen wandte er den Blick Gwen zu, die sich nach Luft japsend umdrehte und aufsetzte. Wachsame dunkle, leicht schräg gestellte Augen starrten ihn an.
Auch Rome starrte. Innerhalb eines Sekundenbruchteils hatte sich ihr Aussehen in sein Gehirn eingebrannt. Die langen Haare, schwärzer als die Nacht, waren zu einem dicken Zopf geflochten, sodass ihr eckiges Gesicht mit Ausnahme einiger weniger Strähnen frei lag. Eine ihrer Wangen war mit Erde beschmutzt, ebenso die Vorderseite ihres Shirts. Doch anstatt sich Vorwürfe zu machen, streckte er ihr die Hand hin.
»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er, und die Heiserkeit in seiner Stimme erinnerte daran, dass seine Katze unter der Oberfläche lauerte, noch immer bereit, zuzubeißen. »Ich leide noch unter dem Jetlag, und na ja, als ich das Gewehr in deiner Hand gesehen habe, da habe ich instinktiv reagiert.«
Er erklärte nicht, dass sein Instinkt darauf ausgelegt war, sich das, was er haben wollte, zu schnappen, bevor es entkam oder ein anderer es ihm wegnahm. Auch jetzt behielt er Porter im Auge. Er würde sich ohne zu zögern auf ihn stürzen, sollte sein Bruder der Frau zu nahe kommen. »Bitte.« Er wackelte mit den Fingern, damit sie seine ausgestreckte Hand ergriff und seine Entschuldigung annahm.
Während Gwen sich seine Worte durch den Kopf gehen ließ, reckte sie störrisch das Kinn mit dem hinreißenden Grübchen, über das er liebend gern geleckt hätte. Sie blickte zu Porter hinüber, der allem Anschein nach nur mühsam ein lautes Lachen unterdrückte.
Nach kurzem Zögern reichte Gwen dem seltsamen Mann ihre kleine Hand. Doch sobald sie auf den Beinen stand, riss sie sich los und trat ein paar Schritte zurück. Rome konnte es ihr nicht übelnehmen. So wenig es ihm gefiel, verstand er doch das Bedürfnis einer Frau, einem Mann gegenüber vorsichtig zu sein, der buchstäblich über sie hergefallen war.
Fantastischer erster Eindruck, beschimpfte er die Katze in seinem Kopf. Wie soll ich das bloß wiedergutmachen?
Lecke. Schmecke. Nimm, antwortete der Jaguar.
Ja, vielen Dank, sehr hilfreich.
»Hier.« Porter reichte Gwen ihr Gewehr. »Du hast meine Erlaubnis, ihn zu erschießen, wenn er sich noch einmal wie ein kompletter Idiot aufführen sollte.«
Rome warf seinem jüngeren Bruder einen wütenden Blick zu; das dumme Grinsen auf Porters Gesicht verärgerte ihn noch mehr.
»Ich hoffe, das wird nicht nötig sein«, stellte Gwen gelassen fest und runzelte die Stirn über den Schmutz auf ihrem T-Shirt. Sie versuchte, ihn wegzuwischen, und Rome musste ein Aufstöhnen unterdrücken, als ihre Hand über ihre Brüste strich.
Rome machte auf dem Absatz kehrt und wandte ihr den Rücken zu, während er sich bemühte, seinen Kopf und seinen Körper wieder unter Kontrolle zu bringen. Nie zuvor hatte er auf eine Frau derart aus dem Bauch heraus reagiert. Aus heiterem Himmel und Wumm. Als wäre er von einem Riesenlaster gerammt worden. Oder von einem Blitz getroffen. In einer Sekunde noch vernünftig, in der nächsten von allen guten Geistern verlassen.
Während Rome der Unterhaltung hinter ihm mit halbem Ohr zuhörte, stemmte er die Hände in die Hüften, atmete ein paar Mal tief durch und bemühte sich, sich auf die Gerüche des Waldes zu konzentrieren statt auf den verführerischen Duft, den Gwen verströmte.
Ein kaum hörbares Knurren, so leise, dass nur ein sehr feines Gehör es wahrnehmen konnte, drang an ihre Ohren. Das Geräusch ließ Rome aufblicken und nach rechts schauen, in die Richtung, in die Gwen gelaufen war. Dort, hoch oben in einem der Ahornbäume, lag ein großes Jaguarmännchen im Schatten des Blattwerks, so gut getarnt, dass es kaum zu sehen war. Ein Jaguar, den die Mätzchen der zweibeinigen Wesen unter ihm sehr zu amüsieren schienen.
Santos. Nicht zu fassen. Rome biss die Zähne zusammen, als ihm klar wurde, wohin sein älterer Bruder verschwunden war, nachdem er ihn zu Hause begrüßt hatte. Einen Ausflug hatte er unternommen. Einen Ausflug zu Gwen.
Rome ballte die Hände zu Fäusten, als ihm ein unangenehmer Gedanke in den Sinn kam. Welche Beziehung hatte sein Bruder wohl zu Gwen? Es war gefährlich genug, einfach loszulaufen, während sich Menschen im Wald aufhielten. Und weil Katzen das verfolgten, was sie fangen wollten, hieß das vermutlich, dass Santos es auf Gwen abgesehen hatte.
Mit einem Mal war Rome von einem beherrschenden und leidenschaftlichen Besitzerinstinkt erfüllt. Er spürte, dass sich seine Krallen durch die Fingerspitzen bohrten, dass sein Zahnfleisch anschwoll und brannte, weil die Fangzähne herauswollten. Ein Knurren stieg in seiner Kehle auf, eine aggressive Reaktion auf die Vorstellung, ein anderes Männchen könnte Interesse an der dunkelhaarigen Schönheit haben.
Whoa! Was war denn mit ihm los?
Die Heftigkeit seiner Reaktion führte dazu, dass er sich wieder beherrschte. Er brauchte noch eine Minute, bis er sich wieder gefangen und das ungezähmte Verlangen des Tieres unter gelassener Professionalität verborgen hatte. Dann wandte er sich den beiden Streithähnen hinter ihm zu.
»Ich habe dir gesagt, du sollst zum Tor zurückgehen.« Porter warf Gwen einen missbilligenden Blick zu.
Gwen verdrehte die Augen, bevor sie antwortete. »Du hast mir auch gesagt, dass ich James anrufen soll, der bereits auf dem Weg zu mir war. Aber bevor ich ihm etwas sagen konnte, war die Leitung unterbrochen. Ich habe beschlossen, auf ihn zu warten, weil er sich sonst vielleicht fragen würde, was mir zugestoßen ist, und sich auf die Suche machen würde.« Sie blickte zur Hütte hinüber, und ihre Augen weiteten sich, als erinnerte sie sich an etwas. Ihr Blick verweilte kurz auf Rome, dann wandte sie ihn wieder Porter zu. Es war jene Art von Blick, der einem Mann nicht gerade das Gefühlt vermittelte, über einen Meter achtzig groß und ein Held zu sein. »Ach, übrigens, habt ihr das Schloss ausgewechselt?«
Porter wies mit dem Daumen auf die Tür der Hütte. »Dieses Schloss? Nein. Warum?«
Gwen zuckte mit den Achseln. »Mein Schlüssel passt nicht.«
»Bist du sicher, dass du es mit dem richtigen versucht hast?«, warf Rome ein.
Ihr Blick verriet eine Mischung aus Verärgerung und Abscheu; er wünschte sich, er hätte den Mund gehalten. »Ich habe es mit allen Schlüsseln probiert.«
Porter streckte die Hand aus und wackelte mit den Fingern.
»Ist das dein Ernst?«, fragte Gwen.
»Was soll ich sagen? Ich bin ein Mann.« Porter grinste von einem Ohr zum anderen, und Gwen reichte ihm mit einem wütenden Schnauben den Schlüsselbund.
Porter und Gwen steuerten auf die Tür der Hütte zu, doch Rome zögerte, weil der Geruch eines sich nähernden Mannes die Luft erfüllte. Als James auf dem Pfad vom Felsgarten auftauchte, grinste er.
»Rome, alter Junge.« James lächelte, und seine haselnussbraunen Augen strahlten vor Freude. »Ich habe schon gehört, dass du zurückkommst. Es ist schön, dich zu sehen.«
Auf den Begrüßungshändedruck folgte eine kurze Umarmung. »Ich freue mich auch, dich zu sehen.«
»Darf ich fragen, ob du dieses Mal bleibst?«, fragte James und klopfte Rome auf die Schulter.
»Sieht so aus«, antwortete Rome mit einem gequälten Lächeln auf den Lippen.
»Es ist das Beste so. Wir haben uns alle Sorgen um dich gemacht.«
Rome zog verwirrt die Stirn in Falten. »Und wieso in aller Welt?«
»Ach, all diese Reisen, diese Einsätze. All das Schlimme, mit dem du es Tag für Tag zu tun hattest.« James zuckte mit den breiten Schultern. Er hätte Profi-Footballspieler werden sollen, aber dann hatte er sich während seines ersten Jahrs auf dem College eine schwere Knieverletzung zugezogen.
»Na ja.« Rome strich sich über das Kinn. Die dichten Bartstoppeln erinnerten ihn daran, dass er sich seit seiner Abreise aus Texas am Vortag nicht mehr rasiert hatte. Einer der Vorzüge, wenn man keinen festen Job mehr hatte. »Ich muss zugeben, man gewöhnt sich daran, dass auf einen geschossen wird.«
»Auf dich ist geschossen worden?«, ertönte Gwens Frage, die Rome klar machte, dass sie ihre Unterhaltung belauscht hatte.
Er drehte den Kopf und sah, dass sie ihn mit großen Augen anstarrte. Der neben ihr stehende Porter versuchte gerade, einen anderen Schlüssel ins Schloss zu stecken. »Ein paar Mal«, sagte Porter leichthin. »Manchmal ist er schwer von Begriff.«
Rome biss die Zähne zusammen, während Gwen die Augen immer weiter aufriss. Fantastisch. Ihre Meinung von ihm erreichte wohl gerade einen neuen Tiefstand.
»Was ist denn mit dir passiert?«, wollte James wissen und starrte auf den Schmutz auf Gwens Jeans und Shirt.
»Ach.« Gwen verstummte, ihr Blick wanderte zu Rome und dann wieder zu James zurück. »Ich bin gestolpert.«
»Du musst vorsichtiger sein, Süße.« James ging zur Gwen hinüber und wischte mit dem Finger über den Schmutz auf ihrer Wange. »Du hättest dir wehtun können.«
»Das erledigt schon mein Bruder«, hörte Rome Porter vor sich hin murmeln, bevor er sich an James wandte und ihn um seine Schlüssel bat.
»Klar. Was ist denn eigentlich los? Gwen hat von Fußspuren gesprochen.«
»Ja. Die schaue ich mir an, sobald ich diese Tür aufgekriegt habe. Verdammt, das ist wirklich seltsam. Wann hat einer von euch diese Tür zum letzten Mal aufgeschlossen?«
Gwens Blick wanderte von James zu Porter. »Vor etwa zwei Wochen. Normalerweise rüttele ich nur am Vorhängeschloss. Es ist ja nicht so, als ob jemand die Wand hinaufklettern könnte.«
Porter brummte unverbindlich, bevor er sich an James wandte. »Und du?«
James überlegte. »Bei mir ist es schon ein bisschen länger her, und aus dem gleichen Grund. Wir sind nicht jeden Tag hier in diesem Bereich, und wenn wir hier sind, überprüfen wir einfach, ob das Schloss in Ordnung ist und nicht aufgebrochen wurde.«
Porter warf Rome einen entschlossenen Blick zu. »Wir müssen einen Bolzenschneider holen.« Weder Porter noch Rome konnte so fest an dem Vorhängeschloss ziehen, dass es aufzubekommen war. Jedenfalls nicht in Anwesenheit von Gwen und James.
Zum Glück war Rome auf solche Dinge vorbereitet. Er griff nach dem kleinen Werkzeughalter an seinem Gürtel und sagte: »Ich krieg das auf.«
Gwen zog eine ihrer dunklen Augenbrauen hoch. »Eine Fähigkeit, die du als Kampfflieger erworben hast?«
Immerhin, dachte Rome. Sie wusste also mehr über ihn als nur, dass er ein tobsüchtiger Irrer war. Allerdings konnte das Aufbrechen von Schlössern eher als Laster betrachtet werden. Er besaß eine Reihe dieser zweischneidigen Fähigkeiten. Rome blickte zu Gwen hinüber, und seine Lippen zuckten. »Davor, bei den Marines. Aber sie hat sich schon in vielerlei Hinsicht als nützlich erwiesen.«
Gwen schien diese Bemerkung noch zu verdauen, als Porter neben ihr sagte: »Zeig mir mal diese Fußspuren, während sich Rome um das Schloss kümmert.«
Gwen, die sich allem Anschein nach nur widerwillig vom Fleck rührte, riss ihren Blick von Rome los und führte Porter und James auf die andere Seite des Gebäudes.
Rome ertappte sich dabei, wie er dem sanften Wiegen ihrer Hüften fasziniert nachblickte, während sie sich entfernte. Verdammt. Mal ehrlich. Alles an Gwen wirbelte alle möglichen Gefühle sowohl im Mann als auch in der Katze durcheinander. Es handelte sich um eine Anziehung der urtümlichsten Art. Und während der Mann ein bisschen verwirrt war, wurde die Katze von keiner Unsicherheit geplagt.
Er würde den Gründen für diese eigenartig starke Anziehung nachzugehen. Eine ausgezeichnete Möglichkeit, wieder richtig zu Hause anzukommen.
In dem Wissen, dass sein Grinsen finster und böse war, voll ungehöriger Freude, legte Rome die Finger um das Vorhängeschloss und zog daran. Mit einem metallischen Knacken sprang das Schloss auf. Dann zählte er bis zehn.
Eine Eigenschaft besaßen Katzenwandler im Überfluss: Geduld. Und jetzt, nachdem der erste Schock überwunden war, konnte er den Plan und die Jagd neu abschätzen.
Rome bekam immer, was er wollte.
»Die Tür ist offen.«
Weil Gwen ihn nicht hatte kommen hören, fuhr sie bei dem Klang von Romes Stimme direkt hinter ihr heftig zusammen. Sie drückte die Hand auf ihr rasendes Herz. »Tu das nie wieder!«, warnte sie ihn.
»Tut mir leid«, antwortete er. Aber er sah alles andere als reumütig aus, und das Vorhängeschloss, das er mit einem selbstzufriedenen Grinsen um einen Finger kreisen ließ, unterstrich dies noch zusätzlich. Aus dieser Nähe konnte sie eine schwach sichtbare Narbe ausmachen, die von seiner rechten Augenbraue bis zum Haaransatz führte. Seine Haare waren ein wenig länger als auf den Fotos, allerdings nicht so lang wie die seiner Brüder, und sie wirkten gesund und glänzten in einem dunklen Braun, beinahe ein Schwarz. Plötzlich verspürte Gwen das Verlangen, mit den Fingern durch diese Strähnen zu fahren und herauszufinden, ob sie tatsächlich so weich waren wie das Fell einer Katze, an das sie sie erinnerten.
Und sein Geruch! Sie versuchte, so unauffällig wie möglich tief einzuatmen. Wie frische Luft, Gewürz und Eichenmoos. In ihrem Bauch spürte sie feuchtes Verlangen, und die sofortige Erregung verwirrte sie. Sie wusste nicht, ob sie nur ihre Fantasien nach dem Betrachten des Fotos auf Rome übertrug, oder ob der Mann aus Fleisch und Blut tatsächlich eine solche Anziehung ausübte. Sie hoffte, Ersteres wäre der Fall, nicht nur, weil der Mann der Sohn ihres Chefs war, sondern auch, weil eine Fantasieschwärmerei leichter zu unterdrücken war als eine tatsächliche.
Vor allem, wenn sie das körperliche Gefühl dieser harten und dicken Stange berücksichtigte, die gegen ihren Po gedrückt hatte, als er auf sie gesprungen war, denn dabei hatte es sich mit Sicherheit nicht um Werkzeugetui gehandelt, das er an seinem Gürtel befestigt hatte. Als sie daran zurückdachte, flutete Hitze durch ihre Adern, und auf ihrer Stirn bildeten sich Schweißperlen. Jetzt bloß keine Schwierigkeiten!
Sie wusste, dass sie ihn anstarrte, weil sie sah, dass sich seine Nasenflügel blähten, während er selbst ein wenig schnüffelte. Dann wirkten seine dunklen Augen auf einmal sanft, als könnte er ihre Erregung wahrnehmen und reagierte sofort darauf, als wäre sie eine läufige Hündin und er auf Paarungsjagd. Sie riss ihren Blick von der Begierde in seinen Augen los, schluckte und ging mit Bedacht auf die andere Seite von Porter und James, die neben einer der Fußspuren hockten.
»Und?«, fragte sie Porter und tat ihr Bestes, sowohl Rome als auch die Reaktion ihres Körpers auf seine Anwesenheit zu ignorieren. »Was meinst du?«
Porter zuckte mit den Schultern. »Irgendjemand ist entweder im Regen oder kurz danach über diese Lichtung gerannt.« Er sah zu seinem Bruder hinüber. »Rome?«
Rome kam näher und warf Gwen, bevor er sich auf die Fußspuren konzentrierte, einen Blick zu, der sie innerlich erzittern ließ. Er hob den Kopf und suchte das Gelände vor und hinter sich ab, dann ging er an den Rand der Lichtung. Er bewegte sich langsam, methodisch, ein Jäger auf Beutefang, während er der Spur über die Lichtung folgte und schließlich zu der kleinen Gruppe zurückkehrte.
»Sehe ich auch so. Er hat die Zehen in den Boden gekrallt, um auf dem Schlamm nicht auszurutschen, deshalb die tiefen Abdrücke.« Rome stellte seinen Fuß daneben. »Sie kommen einem riesig vor, weil es trotzdem gerutscht ist. Es gibt auch kleinere, leichtere Abdrücke, wahrscheinlich von einer Frau, die zumeist von denen des Mannes überdeckt sind. Die Schrittlängen sagen mir, dass sie nicht zusammen gerannt sind, dass der Mann also aus irgendeinem Grund hinter der Frau hergerannt sein …«
Rome verstummte mitten im Satz und richtete sich plötzlich mit einem Ausdruck im Gesicht auf, der Verwirrung und Entsetzen widerspiegelte. »Porter, ich brauche dein Telefon.«
Porter reichte ihm sein Handy. »Was ist los?«
»Rufst du die Polizei?«, wollte James wissen.
Gwen sagte nichts. Sie war nicht nur von seinen Gedankengängen fasziniert, sondern auch von diesem sonderbaren Ausdruck in seinem Gesicht. Als wäre er hin und her gerissen zwischen Lachen und Erbrechen. Sie hatte keine Ahnung, was bei einem Mann, der zwei Einsätze im Nahen Osten durchgemacht und während seiner Zeit bei der Luftwaffe die schlimmste Seite der Menschheit kennengelernt hatte, eine solche Reaktion hervorrufen konnte.
»Seht doch schon mal in der Hütte nach. Ich komme gleich.« Rome blickte nicht vom Display auf, während seine Finger darübersausten.
»Komm«, sagte Porter, als James den Mund öffnete, um Einwände zu erheben. »Rome wird kein Wort sagen, bis er alle Fakten parat hat. Da ist er absolut stur.«
Während sie davongingen, warf Gwen noch einen letzten Blick über die Schulter auf Rome. Er hob er den Kopf und zwinkerte ihr zu, als hätte er es gespürt. Weil Gwen sich weigern wollte, sich von diesem Mann amüsieren, verzaubern oder faszinieren zu lassen, presste sie die Lippen zusammen und ging um die Ecke der Hütte.
Porter und James standen in der nun offenen Tür und starrten auf den Boden. Gwen blieb auf der Schwelle stehen und folgte der Richtung ihrer Blicke. Durch die offene Tür und das Loch im Dach fiel genügend Licht in die Hütte, sodass Gwenn erkennen konnte, was hier nicht stimmte. »Wo sind denn die Bodenbretter hin? Und warum ist da dieses riesige Loch in der Erde?« Große Erdhügel waren entlang der Wände aufgehäuft, und in der Mitte klaffte ein Loch von gut einem Meter Durchmesser und zweieinhalb Metern Tiefe.
Porter hatte die Hände in die Hüfte gestemmt und die Stirn in Falten gezogen. »Das wüsste ich auch gern.«
James fuhr mit der Stiefelspitze über die Erde und stellte fest, was offensichtlich war: »Hier hat jemand gegraben.«
Verwirrt verschränkte Gwen die Arme vor der Brust. »Wofür denn in aller Welt?«
Porter stieß einen Seufzer aus und schüttelte spöttisch den Kopf. »Die blöde alte Schatzsuche.«
Ungläubig zog Gwen die Augenbrauen hoch. Sie hatte von der Geschichte gehört und erzählte sie bei den geführten Wanderungen. Nichts faszinierte die Gäste mehr als eine Piratengeschichte, zu der selbstverständlich auch ein vergrabener Schatz gehörte.
Vor über dreihundert Jahren war ein französischer Eroberer namens Claude Morgan, der sich zum Piraten gewandelt hatte, vor den Florida Keys gekreuzt und hatte Handelsschiffe aus Frankreich, Kuba und anderen Ländern ausgeplündert, wenn sie das Pech hatten, seinem Piratenschiff in die Quere zu kommen. Man ging davon aus, dass Morgan sich irgendwann während des englisch-spanischen Krieges mit einem Berg von Gold und einer jungen Braut von hoher Geburt aus dem Stamm der Calusa niedergelassen hatte. Der genaue Standort von Morgans Wohnsitz blieb reine Spekulation. Doch in schriftlichen Dokumenten war zu lesen, die ursprünglichen Besitzer des Felix-Anwesens – damals eine Paprikaplantage – seien ein älterer Franzose und seine junge indianische Frau gewesen. Das war weiter nicht ungewöhnlich, es sei denn, man zog das Erscheinungsbild des Mannes in Betracht: ein massiger und doch leichtfüßiger Kerl mit zotteligen nachtschwarzen Haaren und unheimlichen grünlich-gelben Augen. Diese Beschreibung traf auch auf den französischen Piraten zu.
Aufgrund der körperlichen Merkmale, der Herkunft von Ehemann und Frau und der Geldsumme, die nötig gewesen war, um ein so großes Anwesen zu errichten, begannen die Leute zu mutmaßen, dass der ursprüngliche Besitzer, Cort Flynt, in Wahrheit Claude Morgan gewesen war. Das waren natürlich alles nur Vermutungen, aber daraus ließ sich eine schöne Geschichte zusammenbasteln.
Bis irgendjemand sie ein wenig zu ernst nahm, so wie jetzt.
»Ihr wollt mich wohl auf den Arm nehmen«, sagte Gwen. »Falls die Geschichte wahr wäre, wieso sollte jemand ausgerechnet hier graben? Das Grundstück eurer Familie ist fast dreizehn Quadratkilometer groß.«
»Keine Ahnung«, erwiderte Porter gereizt. Er trat mit der Stiefelspitze gegen einen der Erdhaufen und stieß auf etwas Hartes. Die Bodendielen.
»Tja«, gab James zu bedenken, während Porter weiter in der kleinen Hütte hin und her ging. »Euer Großvater hat die Hütte vor langer Zeit ausgebaut, und das Steinfundament könnte Leute auf den Gedanken bringen, dass dieses Gebäude auf einem älteren errichtet worden ist. Irgendjemand könnte aufgrund des Vorhängeschlosses und der Stahltür auf den Gedanken gekommen sein, dass ihr hier drin etwas versteckt habt.«
»Genau. Verrottetes Holz. Wir wollten nicht, dass sich jemand einen Splitter einzieht und uns vor Gericht zerrt.«
Ein Schatten fiel auf Gwen, und dieses Mal wusste sie, dass Rome hinter ihr stand, bevor er einen Ton von sich gab. »Ich weiß jetzt, wer diese Spuren hinterlassen hat.«
Porter kniff die Augen zusammen. »Wer?«
»Dad.«
»Warum sollte Dad hier draußen barfuß herumlaufen?«, wollte James wissen.
Rome zog eine Grimasse. »Er ist hinter Mom hergerannt.«
»Er ist … was?« Porter neigte den Kopf zur Seite. »Warum sollte er … Oh. O nein.« Porter presste sich die Finger auf die Augen. »Puh. Scheiße. Jetzt brauche ich eine Gehirnwäsche, um das Bild wieder aus meinem Kopf zu kriegen.«
»Ihr meint, die beiden hatten hier draußen Sex?«, fragte James entsetzt. »Im Regen?«
»Halt den Mund, Mann«, knurrte Porter. »Deine Fragen sind nicht gerade hilfreich.«
Gwen seufzte und lehnte sich gegen den Türpfosten. »Ich finde das wunderbar.«
»Wunderbar?« Porter blickte sie zwischen seinen Fingern hindurch an.
»Dass sie nach dieser langen Zeit einander noch immer Spaß miteinander haben. Das ist doch wunderbar«, sagte sie achselzuckend.
»Aber es geht um unsere Eltern!«, jammerte Porter. »Normalerweise denkt man nicht darüber nach, dass die Eltern so was machen.«
Gwen schnaubte. »Komm schon, Porter. Du bist erwachsen. Du weißt, dass diese Dinge passieren. Du hast es wahrscheinlich selbst schon das eine oder andere Mal getan.«
»Ich stimme dir zwar zu, dass es irgendwie toll ist«, warf Rome ein, bevor sein Bruder antworten konnte. Sein Atem war ein warmer Hauch an Gwens Wange. »Aber ich muss mich auf Porters Seite schlagen. An so was will man lieber nicht denken. Vor allem nicht bei diesen Beteiligten. Also Themenwechsel. Was ist mit dem Loch da?«
»Porter glaubt, da ist jemand hinter Morgans Schatz her«, erklärte ihm Gwen.
Romes Arm streifte den ihren, als er sich mit der Hand über das Gesicht fuhr. »Hausbesetzer, Wilderer und jetzt Schatzsucher?«
»Es sei denn, unsere Eltern machen noch ganz andere abartige Sachen«, jammerte Porter.
James’ Armbanduhr gab einen Klingelton von sich. »Sorry, aber ich muss los«, sagte er.
»Richtig, Matts Geburtstagsfest.« Porters Blick wanderte von James zu Rome. »Was willst du unternehmen?«
Nachdenklich spitzte Rome die Lippen, doch bevor Gwens Kopf wieder in den Fantasiemodus umschalten konnte, antwortete er, und ihr Gehirn konzentrierte sich wieder auf die Realität. »Wenn wir zurück sind, rufen wir die Polizei und machen eine Anzeige wegen unerlaubten Betretens des Grundstücks und Vandalismus. Fingerabdrücke waren mit Sicherheit nur auf dem Schloss, die haben wir drei inzwischen gründlich verwischt. Und ein neues Schloss wird die Schatzsucher mit Sicherheit nicht abhalten.«
»Und wie wäre es, Wachen aufzustellen oder so?«, fragte Gwen.
»Das würde die Suche nur hinauszögern«, entgegnete Rome, der so überzeugt klang, dass sie ihm zustimmte. »Wir können hier definitiv keine Wache aufstellen. Ich würde sagen, lass sie bis nach China graben. Wenn sie nichts finden, werden sie weiterziehen.«
Obwohl es Gwen logisch erschien, konnte sie sich nicht damit abfinden, Kriminelle einfach laufen zu lassen. Während alle ins Freie hinausgingen und Porter die Tür schloss, weigerte sie sich, die Sache auf sich beruhen zu lassen. »Wie wäre es mit einer Kamera? Einem Bewegungsmelder?«
Die Idee interessierte Rome offenbar, weil er sie nicht sofort zurückwies. »Die müssten drahtlos sein und mehrere Kilometer weit senden können. Vielleicht über Satellit?« Dann sagte er mehr zu sich selbst: »Ich muss ein paar Telefonate führen.«
Gwen vermutete, dass er Kontakte hatte, die ihn mit allem versorgen konnten, was er brauchte. Zufrieden mit seiner Bereitschaft, ihren Vorschlag zumindest in Erwägung zu ziehen, hastete sie den Pfad hinunter hinter James her, der es wirklich sehr eilig hatte.
Gwen kletterte auf den Beifahrersitz des Jeeps und überließ Rome und Porter ihrer Diskussion über denkbare Möglichkeiten, die Lichtung zu sichern, und den Anrufen bei ihren Eltern, Santos und der Polizei.
Zum Glück lief sie niemandem über den Weg, als sie die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufging. Gut so, dann musste sie nicht erklären, warum ihr T-Shirt so schmutzig war. In ihrem Zimmer angekommen, zog sie sich aus und ging unter die Dusche. Nachdem sie ihre feuchten langen Haare wie immer zu einem Zopf geflochten hatte, nahm sie ihre Sachen und machte sich auf den Weg hinunter ins Erdgeschoss und in den großen Raum neben der Küche, der als Waschküche diente. Der Anblick der vielen Waschmaschinen und Trockner, die zwei Wände des Raums säumten, amüsierte sie jedes Mal. Das wäre für ihre Mutter das Paradies gewesen. Weil sie fünf Kinder großgezogen hatte, waren ihre eigene Waschmaschine und der Trockner fast unentwegt in Betrieb gewesen.
Nachdem Gwen ihre Sachen in die Waschmaschine gesteckt und diese eingeschaltet hatte, ging sie wieder hinauf in ihr Zimmer, verbrachte einige Zeit im Internet und suchte nach Informationen über den Piraten Claude Morgan. Weil sie nichts Neues entdecken konnte und einen Anflug von Heimweh verspürte, rief sie ihre Mutter an. Sie wusste, dass ihre Mutter sich Sorgen um sie machte, vor allem, weil sie nach der Trennung von Steven so gar kein Interesse mehr am anderen Geschlecht zeigte. Und weil sie wusste, dass es ihre Mutter zum Lachen bringen würde, erzählte ihr Gwen von ihrer ersten Begegnung mit Rome.
»Ist er Single?«, fragte Kathleen, nachdem ihr Kichern verstummt war.
Gwen schloss die Augen. »Er ist nicht verheiratet, falls du das meinst.«
»Und sieht er gut aus?«
Gwen zögerte mit zusammengepressten Lippen, dann antwortete sie. »Ja. Aber«, fügte sie hastig hinzu, »ich weiß nicht, ob er ganz da ist. Im Kopf, meine ich. Mal im Ernst, wer fällt denn so über eine Frau her?«
Ein verdächtiges Geräusch, fast wie ein Schnauben, drang durch die Leitung. »Schätzchen, jede Frau hat es hin und wieder gern, wenn einer über sie herfällt. Dann fühlen wir uns schrecklich begehrenswert.«
»Mom, das will ich gar nicht wissen! Außerdem rede ich nicht von einem Ehemann, sondern von einem Wildfremden.«
»Der eine Weile Kampfflieger gewesen ist, wie du mir erzählt hast. Das ist ein gefährlicher Job. Du weißt nicht, was er alles gesehen hat.«
»Und das macht ihn zu einem gefährlichen Mann.«
»Nein. Ich würde sagen, zu einem Beschützer, wenn er wirklich dachte, dass du in Gefahr warst, wie er gesagt hat«, argumentierte Kathleen wohlüberlegt. »Single, gut aussehend und beschützend. Ich finde, den solltest du dir schnappen.«
»Ich werde mich nicht mit dem Sohn meines Arbeitgebers einlassen. Keine Techtelmechtel bei der Arbeit. Du weißt genau, wozu so was führt«, erklärte Gwen.
Ihre Mutter schwieg einen Augenblick. »Steven war ein Esel, Baby. Nicht alle Männer sind so wie er. Ich fürchte, seine Dummheit hat deine Meinung über das männliche Geschlecht nachhaltig beeinflusst.«
Gwen starrte auf ihre Finger hinab, die träge über die Platte ihres kleinen Holztisches strichen. »Das weiß ich, Mom. Trotzdem will ich nicht noch mal so einen Fehler machen.«
Kathleens Mutterinstinkt griff das auf, was Gwen gar nicht gesagt hatte. »Und du magst diesen Rome.«
Gwen kniff die Augen zusammen. Woher wusste ihre Mutter das bloß? »Ich kenne ihn kaum, deshalb kann ich mir keine Meinung über ihn bilden.«
»Was bedeutet, dass du ihn magst.«
Gwen stieß gereizt den Atem aus. »Mom, ich gehe jetzt. Es ist Zeit fürs Abendessen.«
Kathleen lachte erfreut auf. »Du weichst aus. Jetzt weiß ich, dass du ihn magst.«
Gwen schüttelte den Kopf, und ihre Lippen verzogen sich zu einem reumütigen Lächeln. Inzwischen sollte ihr klar sein, dass ihre Mutter alles wusste. »Ich hab dich lieb. Ich melde mich später wieder.«
»Ich hab dich auch lieb, Baby.«
Gwen klappte ihr Handy zu, dann tapste sie ins Badezimmer und überlegte, ob sie Make-up auflegen sollte. Normalerweise trug sie nicht viel Schminke. Feuchtigkeitscreme, Sonnenschutz, Lippenbalsam. Bei ihrem Beruf lohnte sich der Rest nicht, da draußen verlief das alles viel zu schnell. Wenn sie frei hatte, trug sie ein bisschen Puder auf, damit die Haut nicht glänzte, aber weil sie sich nicht sicher war, wer heute Abend am Tisch Platz nehmen würde, musterte sie ihr Gesicht im Spiegel über dem Waschbecken.
Weil sie die Haare aus dem Gesicht zurückgekämmt hatte, war jeder Makel deutlich zu sehen. Sie war nicht so eitel, sich als umwerfend zu bezeichnen, aber sie war realistisch genug, um zu wissen, dass sie keineswegs hässlich war.
Ihre Haut war allerdings nicht samtig und makellos, sie war fettig. Während der Pubertät hatte sie fürchterlich unter Akne gelitten, die noch immer hin und wieder auftrat und sie nervte. Das Positive war, dass sich auf ihrem Gesicht keine einzige Falte abzeichnete, die sich bei vielen ihrer Kolleginnen schon in frühen Jahren zu bilden schienen, trotz der vielen Sonnencreme. Zwei kleine, fast runde Narben, eine über ihrer linken Augenbraue und eine weitere an ihrer rechten Schläfe, waren die Überbleibsel der schlimmen Windpockenerkrankung in der Kindheit.
Und bildete sich da etwa ein Pickel auf ihrem Kinn?
Die Frage, warum ihr Aussehen auf einmal wichtig war, irritierte sie. Sie brummte unwillig, tupfte Abdeckcreme auf den Pickel und beschloss, das müsse reichen. Schließlich wollte sie weder das Interesse von Rome noch von sonst irgendjemandem wecken. Bloß nie wieder Arbeit und Liebe vermischen! Doch die Nervosität, die sie verspürte, kaum dass sie ihr Zimmer verließ und zur Küche hinunterging, strafte ihren Verstand Lügen.
Das Abendessen wurde im Gästehaus um halb sieben serviert, eine lockere Angelegenheit, weil die Gäste und die Familienmitglieder gemeinsam aßen und Gwen daher nie wusste, mit wem zu rechnen war. Melinda Felix war im Vergleich zu ihrem ruhigen, starken Ehemann ein richtiges Partygirl. Darüber hinaus besaß sie die Gabe, Menschen dazu zu bringen, dass sie aus sich herausgingen und sich wohlfühlten. Sie sorgte am Esstisch für eine herzliche und lebhafte Atmosphäre.
Fragen über die Ausritte wurden an Porter gerichtet, weil die Pferde sein Hobby waren. Anfragen in Sachen Tiefseefischen gingen an Santos. Das war zwar nicht seine große Leidenschaft, aber wenn nötig organisierte er diesen Bereich der Firma, die er zusammen mit seinem Vater führte. Santos hatte das Glück, dass die Angelausflüge gegenüber den Ausritten nur eine untergeordnete Rolle spielten und er diese Aufgabe häufig an seinen jüngeren Bruder delegieren konnte. Das hatte aber auch zur Folge, dass Porter im Gästehaus sehr häufig im Vordergrund stand.
Gwen war aus mehreren Gründen bei diesen Abendessen anwesend. Hauptsächlich, um die Fragen der Gäste über die Wanderausflüge zu beantworten und die Leute zu treffen, die bereits Wanderungen gebucht hatten. Es war immer sinnvoll, die Gäste im Voraus kennenzulernen, mit denen man mehrere lange, heiße und körperlich anstrengende Stunden verbringen würde. Der Hauptgrund, wieso sie sich zu den anderen an den Tisch setzte, war jedoch, dass sie überhaupt nicht kochen konnte.
In diesem Haus zu wohnen, hatte eindeutig seine Vorzüge, sowohl persönlich als auch beruflich. Weil sie die Wanderungen an den Werktagen führte, übernahm Dennis die Wochenenden. Die Abendessen zum Kennenlernen boten ihr die Gelegenheit, die Gäste einzuschätzen und im Voraus mögliche körperliche oder sonstige Schwierigkeiten zu erkennen. Heute Abend sollte sie eine junge Familie mit zwei Söhnen kennenlernen, außerdem die Merchins, ein älteres Ehepaar auf Hochzeitsreise, und eine Gruppe aus drei Freundinnen. Die drei Frauen waren nur wenig jünger als Gwen und schon einmal hier zu Gast gewesen.
Zu Gwens Überraschung saß nur Melinda am Tisch, die Männer glänzten alle durch Abwesenheit. Beth, eine der jungen Frauen, äußerte sich zu Porters Abwesenheit – weil er bei ihrem letzten Besuch hier so unglaublich hilfreich gewesen war –, und Melinda erklärte lächelnd, ihr Sohn würde anderweitig gebraucht. So herzlich die Familie auch war, in manchen Dingen war sie doch auch sehr zurückhaltend und schützte ihr Privatleben vor den Gästen, die das Haus bevölkerten.
Gwen wusste, dass Porter genauso kontaktfreudig war wie seine Mutter und dass sein gutes Aussehen und sein natürlicher Charme die Frauen anlockte wie der Honig die Fliegen. Aber sie wusste auch, dass er sich nie mit weiblichen Gästen einließ. Zumindest nicht, solange sie sich im Haus seiner Mutter aufhielten. Sobald sie abgereist waren, war alles möglich, und falls Porter eine flüchtige Affäre mit Beth gehabt und Schluss gemacht hatte, dann war es keine Überraschung, dass er hier fehlte. Aber das war keine Erklärung für die Abwesenheit der anderen Männer.
Als Beth den Mund zum hundertsten Mal innerhalb von zehn Minuten öffnete, warf Melinda Gwen einen vielsagenden Blick zu. Das war das Einsatzzeichen, mit ihrer Litanei in Sachen Wanderungen zu beginnen und die Aufmerksamkeit der Anwesenden von dem Thema abzulenken, das Melinda für zu persönlich oder zu aufdringlich hielt.
Sie mussten diese Taktik ziemlich häufig einsetzen.
»Also«, hob Gwen an, »da ihr alle hier versammelt seid, möchte ich euch eine interessante Geschichte von einem Piraten namens Claude Morgan erzählen.«
Und so wandte sich die Aufmerksamkeit von der Gegenwart ab und der Vergangenheit zu. Wie erwartet, wurden die zwei kleinen Jungen, die am Beginn des Abendessens allzu ruhig gewirkt hatten, auf einmal ganz lebhaft und aufgeregt, als von Piraten und einem verlorenen Schatz die Rede war. Doch Gwen fragte sich nach den Ereignissen an diesem Tag, ob man die Geschichte von Morgan überhaupt noch erzählen sollte. Irgendjemand, höchstwahrscheinlich ein ehemaliger Gast, hatte die Geschichte viel zu ernst genommen.
Später, nachdem das Abendessen längst vorüber war, schlich Gwen aus ihrem Zimmer und ging in den großen Garten hinter dem Haus. Millionen Sterne funkelten hell und klar am Himmel, und der Vollmond hüllte die üppige Landschaft in einen warmen Schein. Die weichen Sohlen ihrer Segeltuchschuhe machten kaum ein Geräusch, als sie über den Weg ging, der um eine weiße Gartenlaube herum und an mehreren einladenden Bänken vorbeiführte. Bei ihrem Ziel angekommen, setzte sie sich in die Hollywoodschaukel, zog ein Bein hoch und ließ das andere baumeln, um sich damit abzustoßen und die Schaukel in Bewegung zu setzen.
Es war beruhigend, im Dunkeln zu sitzen und den Zauber der Stille, den Duft der hohen Rosenbüsche und die Schaukelbewegung auf sich wirken zu lassen. Sie kam oft an diesen Platz, um nachzudenken, ihren Träumen nachzuhängen und zur Ruhe zu finden, wenn sie den ganzen Tag über mit so vielen Leuten zu tun gehabt hatte. Sie hatte nichts gegen Menschen, jedenfalls meistens nicht, aber so richtig wohl fühlte sie sich eindeutig nur in der Natur.