9,99 €
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €
Sie ist eine Heilerin. Er ist ein Kämpfer. Haben sie eine Zukunft?
Das Heilen ist die Berufung von Dr. Jacklyn Chavez. Sie kümmert sich um die Werwölfe von Woodcliff. Als ein verletzter Wolf ihre Hilfe benötigt, denkt sie sich nichts dabei - bis er sich verwandelt.
Es ist Alexander "Zan" Sutton, ein Elitesoldat auf Abwegen. Ein Foto führte ihn nach Woodcliff, wo er seinen lange vermissten Bruder sucht. Doch er findet viel mehr als das. Und er dachte, das Leben als Zivilist sei langweilig ...
Jacklyn versucht, Zan auf Abstand zuhalten, doch eine animalische Anziehungskraft bringt sie einander gefährlich nah. Zans militärische Ausbildung wird ebenso auf die Probe gestellt wie seine Geduld, als er Jacklyn umwirbt, sich um seinen Bruder kümmert und einer Gefahr aus seiner Vergangenheit entgehen muss.
Alle Romane um das Werwolf-Rudel von Woodcliff: Verhängnisvolles Erwachen - Brennende Versuchung - Dunkle Bestimmung - Bedrohliche Verlockung
Jedes eBook enthält eine abgeschlossene, prickelnde Geschichte! EBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 331
Das Heilen ist die Berufung von Dr. Jacklyn Chavez. Sie kümmert sich um die Werwölfe von Woodcliff. Als ein verletzter Wolf ihre Hilfe benötigt, denkt sie sich nichts dabei – bis er sich verwandelt.
Es ist Alexander »Zan« Sutton, ein Elitesoldat auf Abwegen. Ein Foto führte ihn nach Woodcliff, wo er seinen lange vermissten Bruder sucht. Doch er findet viel mehr als das. Und er dachte, das Leben als Zivilist sei langweilig …
Jacklyn versucht, Zan auf Abstand zuhalten, doch eine animalische Anziehungskraft bringt sie einander gefährlich nah. Zans militärische Ausbildung wird ebenso auf die Probe gestellt wie seine Geduld, als er Jacklyn umwirbt, sich um seinen Bruder kümmert und einer Gefahr aus seiner Vergangenheit entgehen muss.
Jennifer Dellerman hat bereits viele Bücher veröffentlicht. Am liebsten schreibt sie erotische und spannende Romane mit paranormalem Einschlag. Jennifer Dellerman lebt in den USA.
Jennifer Dellerman
Aus dem amerikanischen Englisch von Ralph Sander
beHEARTBEAT
Deutsche Erstausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Die englischsprachige Originalausgabe erschien unter dem Titel »What This Wolf Wants« bei Ravenous Romance®
© 2011 by Jennifer Dellerman
Koordination und Bearbeitung der deutschen Ausgabe: usb bücherbüro, Friedberg (Bay.)
Übertragung ins Deutsche: Ralph Sander
Projektmanagement: Lukas Weidenbach
Covergestaltung: © Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von istockphoto/gilaxia und shutterstock/Chris Alcock
E-Book-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-2801-1
Dieses E-Book enthält eine Leseprobe des in der Bastei Lübbe AG erscheinenden Werkes »Bedrohliche Verlockung« von Jennifer Dellerman
Die englischsprachige Originalausgabe erschien unter dem Titel »Seduced by a Shifter« bei Ravenous Romance©
© 2012 by Jennifer Dellerman
Für die deutsche Ausgabe
Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Koordination und Bearbeitung der deutschen Ausgabe: usb bücherbüro, Friedberg (Bay.)
Übertragung ins Deutsche: Ralph Sander
Projektmanagement: Lukas Weidenbach
Covergestaltung: © Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von istock-Motiven: istockphoto/Art-Of-Photo, istockphoto/DarioEgidi
E-Book-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Alexander »Zan« Sutton trottete in dem stillen Haus die Treppe runter. Wenn er so darüber nachdachte, war das Gebäude mehr ein Herrenhaus als ein normales Haus. Drei Schlafzimmer hatten die Größe von Suiten, dazu gab es vier kleinere, vollwertige Schlafzimmer, drei Badezimmer, zwei Toiletten, einen komplett ausgerüsteten Fitnessraum, einen schönen Gemeinschaftsraum und eine Küche, die groß genug war, um eine kleine Armee durchzufüttern. Und das war eigentlich eine sehr präzise Beschreibung für die Bewohner dieses Hauses, auch wenn sie sich üblicherweise nicht alle zur gleichen Zeit hier aufhielten. »Sie« waren eine Spezial-Elitegruppe aus Soldaten. Das Besondere an den acht Männern war nicht nur die Tatsache, dass sie raue, schroffe Typen waren, die militärisch geschult waren, gefährliche Aufträge ausführten und entgegen allen Chancen lebendig und gesund zurückkehrten. Das Besondere an ihnen war auch die Gemeinsamkeit, dass sie alle eine seltene Fähigkeit besaßen, die sie zu hervorragenden Kämpfern machte: Sie vereinten übermenschliche Schnelligkeit mit übermenschlicher Kraft, extrem geschärften Sinnen, einem besonderen Talent, eine Beute zu jagen, und einem untrüglichen Überlebensinstinkt. Mit anderen Worten: Jeder dieser Männer war ein Wandler. Ein Wolfswandler, um genau zu sein.
Zan gähnte und strich mit seiner schwieligen Hand über sein kurz geschnittenes dunkelbraunes Haar, während er kurz überlegte, ob er wieder ins Bett gehen sollte. Er kam an einem Fenster vorbei und blinzelte in die Nachmittagssonne. Da er sich erst um vier Uhr morgens ins Bett geschleppt hatte, musste er fast zwölf Stunden geschlafen haben. Normalerweise konnte er nie viel länger als sechs Stunden am Stück schlafen, aber er wusste, diese ungewöhnliche Schlafphase verdankte er der brutalen letzten Woche, in der er fast kein Auge zugetan hatte. Selbst ein Wandler, der von Adrenalin, Stress und Koffein angetrieben wurde, hatte seine Grenzen, und nachdem die Mission abgeschlossen und er wohlbehalten hierher zurückgekehrt war, hatte er sich ins Bett gelegt und geschlafen wie tot.
Wieder gähnte Zan, wobei er den Mund so weit aufriss, dass er sich fast den Kiefer ausrenkte. Der Mann in ihm wünschte sich mehr Schlaf, da Körper und Geist erschöpft waren. Doch die andere Hälfte, die Bestie, hatte gleichzeitig begonnen, sich in seiner Seele zu strecken und zu dehnen, und wurde immer wacher – diese Hälfte wollte wieder auf die Jagd gehen. Das Tier in ihm schien nie zufrieden zu sein, es wollte immer noch mehr. Es wollte mehr kalkuliertes Risiko, eine größere Beute. An manchen Tagen wusste Zan nicht, wer in ihm stärker war – der Mann oder der Wolf. An solchen Tagen hatte er das Gefühl, vorzeitig um Jahre gealtert zu sein. Und dann fragte er sich, ob er sich für den richtigen Weg entschieden hatte.
Mit dreiunddreißig war er noch lange nicht alt. Sein eins fünfundachtzig großer Körper war muskulös, aber schlank, die Schultern waren breit, die Hüften schmal. Sein Bizeps schwoll an, als er den Arm hinter den Kopf nahm, um sich das Genick zu reiben und um sich von den Verspannungen zu befreien. Er hatte einfach zu lange in einer Position gelegen. Er dachte daran, in den Fitnessraum zu gehen, wenn er erst mal seine acht oder neun Tassen Kaffee gekippt und ein Dutzend Eier gegessen hatte. Oder gleich ein ganzes Schwein. Er fühlte sich ausgehungert, allerdings hatte er auch etliche Mahlzeiten verpasst, seit ihn sein jüngster Auftrag nach Russland geführt hatte. Und dort war er vom ersten Tag bis zur seiner Rückkehr ständig in Bewegung gewesen, um nicht bemerkt zu werden. Er musste dringend auftanken.
Obwohl die Klimaanlage auf Hochtouren lief und Mühe hatte, die weiten Räume mit den hohen Decken zu kühlen, konnte er über ihr Summen hinweg zwei Männerstimmen hören. Die beiden waren dort, wo er auch hinwollte: in der Küche. Noch bevor er den Raum betrat, wusste er bereits, wer sich dort aufhielt. Scott Boeing und Joe Feider. Selbst wenn er ihr Gerede nicht hätte hören können, war er immer noch in der Lage, sie zu riechen. Nicht etwa, weil sie gestunken hätten. Es lag einfach daran, dass der Geruchssinn eines Wandlers sehr stark ausgeprägt war. Das machte es für jeden Wandler leichter, Artgenossen aufzuspüren, die sich verirrt hatten oder nicht gefunden werden wollten. Solange sie noch ihren Geruch an sich hatten.
Eine Meute verdammte Killer-Bluthunde, dachte Zan in einem Anflug von Ironie. Genau das war LunaWatch, jenes Team, das in diesem goldenen Käfig hier in Virginia saß. Natürlich konnten sie diesen Käfig jederzeit verlassen, was sie ja auch bei jeder Mission taten. Bei vielen Gelegenheiten ließen die Männer den Bedürfnissen ihres Wolfs freien Lauf und gingen in dem riesigen Wald rund um das Anwesen auf die Jagd. Aber manchmal fühlte Zan sich trotzdem eingesperrt. Sobald dieses flüchtige Verlangen nach mehr erwachte, neigte er dazu, seinen Boss zu ignorieren, der ihm einen ausgedehnten Freigang anbot.
Wie lange er noch verbergen konnte, wonach der Wolf süchtig war, wusste Zan nicht.
Seine Mutter hatte einmal gesagt, Zans Verlangen nach mehr bedeute, dass seine biologische Uhr tickte und ihm die Zeit davonlief. Was für ein Blödsinn. Männer besaßen keine biologische Uhr. Und auch wenn der Gedanke an ein eigenes Zuhause und eine Familie verlockend war, wäre das doch ein unvollkommenes Glück, solange er seine wahre Gefährtin nicht fand. Zwar konnte er mit jeder Frau menschliche Kinder zeugen, aber sein Wolf würde nicht zwangsläufig bei dieser Frau bleiben wollen. Letztlich wäre er dann nur in einem anderen Käfig gefangen.
»Yo, Sutton.« Mit einer knappen Kopfbewegung rief Joe ihm die beiläufige Begrüßung zu. Der deutlich jüngere Wandler saß mit dem ungefähr gleichaltrigen Scott am Küchentisch. Beide Männer waren Anfang zwanzig, sie waren stark und intelligent und gingen in ihrem Dienst als Soldaten auf. Aber manchmal führten sie sich sehr zum Ärger der älteren LunaWatch-Mitglieder wie Fünfzehnjährige auf. Im Augenblick starrten sie beide sehr konzentriert auf etwas, was der Technikfreak Scott in der Hand hielt.
»Selber yo«, murmelte Zan und ging zur Kaffeemaschine. Nach dem Geruch zu urteilen, war der Kaffee erst kurz zuvor aufgebrüht worden, also schenkte er sich eine Tasse ein. »Irgendwas Neues?«
Joe lachte. »Nö, Mann. Du weißt ja, wie’s läuft. Du stürmst rein, schaltest die bösen Jungs aus und bekommst das Mädchen. Ich liebe diesen Job.«
Zan schloss die Augen, um den Kaffee genießen zu können. Ja, für ihn war es fast immer das Gleiche, auch wenn die Sache mit dem Mädchen nicht so ernst zu nehmen war. Er wusste, dass das für Joe und Scott genauso galt. Als die Jüngsten im Team hielten sie es noch für nötig, mit ihren Eroberungen zu prahlen. Mit der Zeit würden sie es schon noch lernen. Für den Augenblick veranlasste der Kommentar Zan aber zu einem flüchtigen Lächeln.
Er lehnte sich gegen die Arbeitsplatte aus Granit. »Was habt ihre beide jetzt vor?«
»Offenbar überhaupt nichts«, knurrte Scott. »Thomas ist gestern mit Cooper nach Australien abgereist, und Russell hat gesagt, dass Joe und ich eine Woche freinehmen müssen.«
Zan nickte bestätigend. Abhängig vom jeweiligen Auftrag ging das Team mal als geschlossene Einheit ans Werk, mal paarweise, und manchmal kam auch nur ein Einzelner zum Einsatz. Als die neuesten Rekruten wurden Scott und Joe nur dann gefährlicheren Missionen zugeteilt, wenn sie dabei ein erfahreneres Mitglied begleiteten. Ansonsten dienten sie als Reserve oder Verstärkung. Wenn Russell wollte, dass sie sich freinahmen, lag es daran, dass ihr Anführer die Rastlosigkeit der jüngeren Wandler bemerkt hatte. Wenn sie nicht gut beaufsichtigt wurden, konnte sich ihr Job zur Sucht entwickeln. Genau mit diesem Risiko flirtete Zan selbst allzu oft.
Zwar hatte Zan seine Bestie immer noch völlig im Griff, wenn er sich bei Russell meldete, dennoch sagte ihm sein Gefühl, dass der ältere Wandler keineswegs so ahnungslos war, wie er tat. Nicht umsonst schlug sein Anführer ihm immer wieder vor, etwas Freizeit einzulegen – was er ihm ebenso gut auch hätte befehlen können –, oder ließ zwischen Zans Einsätzen einfach mehr Zeit als üblich verstreichen. Obwohl Russell kein echter Alpha war, handelte es sich bei ihm um einen vorgesetzten Offizier, dessen Befehle Zans menschliche Hälfte verstand und befolgte, während die Bestie fauchte und schnappte, um die Oberhand zu erlangen. Mit Russell um die Führungsposition zu kämpfen, war so ziemlich das Letzte, was Zan tun wollte. Nicht nur, dass er den Mann respektierte, der Boss hatte auch eine Gefährtin, die einen Welpen erwartete.
Zans eigene Lebensverhältnisse machten ihn ratlos. Wenn er beim Team blieb, konnte das unerwünschte Folgen nach sich ziehen. Andererseits hatte Zan keine Ahnung, was er mit sich anfangen sollte, wenn er den anderen Weg wählte und aus dem Team ausstieg. Unter Menschen zu leben, konnte eine heikle Angelegenheit sein. Zan mochte einer der wenigen Wandler sein, die stark genug waren, um die Bestie bei Vollmond unter Kontrolle zu halten. Doch sein Tier brauchte die Umgebung einer Rotte, sonst würde die Bestie entweder verkümmern und schließlich absterben oder aber von Wahnsinn heimgesucht werden, der den Mann mit sich riss.
Natürlich gab es noch eine dritte Möglichkeit: Er konnte sich einer anderen Rotte anschließen. Aber wo? Und welche Rotte sollte es sein? Vielleicht sollte Zan tatsächlich eine Weile freinehmen und in dieser Richtung Nachforschungen anstellen.
»Was war das mit dem Mädchen?« Joes grüblerischer Tonfall holte Zan aus seinen Gedanken. »Ich meine, sie ist ja süß und so, aber überhaupt nicht mein Typ.«
Mit anderen Worten: Sie hatte keine Dreifach-D-Oberweite.
»Welches Mädchen?«, fragte Zan, den das alles eigentlich gar nicht interessierte, der aber auch nicht in die finsteren Ecken in seinem Kopf zurückkehren wollte.
»Sie war läufig und nicht beansprucht, du Idiot. Das genügt, um jeden Wandler genauer hinsehen zu lassen«, brummte Scott und bewegte den Daumen über das Display seines Handys.
Und um ein paar Fotos zu machen, dachte Zan, der davon ausging, dass die zwei genau das getan hatten. Welcher Trottel würde keinen Anspruch auf seine Gefährtin erheben? Seine Gefährtin zu finden war vergleichbar mit einem Erfolg bei der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Wenn erst einmal die Paarungshitze eingesetzt hatte, würden nur die abscheulichsten Wölfe ihre Gefährtin anderen Wölfen überlassen.
Joe gab einen kehligen, polternden Laut von sich. »Ich kann mich an den Wandler gleich neben ihr erinnern. Er war der Alpha der Rotte, richtig? Vielleicht wollte sie nicht, dass er Anspruch auf sie erhob. Könnte ich ihr nicht mal verübeln. Mit seinen Augen hat er uns ja praktisch bei lebendigem Leib gehäutet. Hey«, sagte Joe, hielt kurz inne, sah Zan und dann wieder das Bild auf dem Handy an. »Kannst du den Teil vergrößern?«
»Neuestes Modell, mein Junge. Natürlich kann ich das.« Scott nahm irgendwelche Veränderungen vor, während Zan überlegte, was er als Nächstes tun würde. Sollte er Russell aufsuchen und ihn um einen neuen Auftrag bitten? Oder sollte er nach einem neuen Zuhause suchen? »Hey!«
Zan hatte sich soeben weggedreht, um sich noch eine Tasse Kaffee zu holen, da begann seine Wirbelsäule zu kribbeln. Er konnte förmlich spüren, wie sich die Blicke der beiden in seinen Hinterkopf bohrten. Er wandte sich den jüngeren Wandlern zu und zog fragend eine Augenbraue hoch, während die beiden abwechselnd ihn und Scotts Handy ansehen. Ihm gefror das Blut in den Adern.
»Was ist?«
Joe beendete als Erster das Schweigen. »Alter, ich dachte immer, du hast seltsame Augen, aber der Mann hier schlägt dich um Längen.«
Zans Augen waren von einem intensiven Grün, einem Smaragdgrün ohne Streifen oder Schattierungen, einem unendlich tiefen, unvergesslichen Grün. Auch wenn es auf der Welt mehr als eine Person mit solchen Augen gab, suchte Zan seit Jahren nach einem bestimmten Individuum, von dem er wusste, dass es die gleichen Augen hatte.
Nach einem Mann.
Nach seinem Bruder.
Blitzschnell griff Zan über den Tisch und riss Scott das Handy aus den Fingern. Sein Herz raste, als er das Farbfoto betrachtete. Das lange schwarze Haar war streng nach hinten gekämmt, die Augenbrauen zu einem finsteren Ausdruck zusammengezogen, der dem Fotografen galt. Der Unbekannte hatte die gleiche olivfarbene Haut wie Zan, doch die Wangenknochen waren markanter, das Kinn war kantiger.
Aber die Augen …
Die schwarze Kunststoffhülle begann unter Zans Griff zu splittern. Wie in Zeitlupe hob er den Kopf und sah Scott an. Zans Augen glühten, sie waren so durchdringend und von dem gleichen erschreckenden Smaragdgrün wie die Augen des Mannes auf dem Foto. Das Handy zerbrach unter seinem Klammergriff.
»Wo?«, knurrte Zan, der sich fast nicht bändigen konnte. »Wann?«
»Ach, verdammt.« Dr. Jacklyn Chavez steckte ihr Handy zurück in die Handtasche, die sie eben erst neben dem blau und weiß karierten Pizzakarton auf den Küchentresen gestellt hatte. Das verlockende Aroma von geschmolzenem Käse, von Pizzateig mit Knoblauch und von dampfender Peperoniwurst war so verführerisch, dass es einen erwachsenen Mann zum Weinen gebracht hätte. Zwar war Jackie glücklicherweise kein Mann, trotzdem stieß sie einen matten Seufzer aus, dem gleich darauf ein lautes Magenknurren folgte.
»So viel zu meiner Pizza mit drei Lagen Peperoniwurst.« Dummerweise konnte sie den eben beendeten Anruf nicht ignorieren. Und dummerweise brauchte sie sämtliche gerade noch verbleibenden Minuten, in denen sie eigentlich die Pizza hätte runterschlingen können, um das Gästezimmer für den unerwarteten Besucher herzurichten.
Jackie wusste nicht, um wen es ging und wie ernst die Lage war, aber als Ärztin in Woodcliff, einer Kleinstadt in den Bergen von Colorado, war ihr eines klar: Wenn jemand Hilfe brauchte, zählte jede Sekunde. Und wenn der Anruf vom Alpha der Rotte kam, gab es sowieso keine Diskussion und keinen Widerspruch.
Andererseits konnte sie wohl kaum für jemanden da sein, der ihre Hilfe benötigte, wenn sie sich vor Hunger nicht auf ihre Arbeit konzentrieren konnte. Ein Blick auf ihre Armbanduhr ergab, dass ihr Frühstück zwölf Stunden zurücklag. Bei ihrem rasanten Stoffwechsel brauchte sie dringend etwas zu essen, wenn sie weiter funktionieren wollte. Eine Ärztin war für niemanden von Nutzen, wenn sie wegen eines leeren Magens in Ohnmacht fiel.
Sie machte den Karton auf, nahm ein Stück heraus und biss davon ab, wobei sie sich den Gaumen verbrannte. Eine Minute später wusch sie Fett und Käse von ihren Fingern ab, während der zweite Bissen ihre Wange ausbeulte. Dann ging sie durch den Flur zu dem kleinen zweiten Schlafzimmer und machte das Licht an.
Die Wände waren in beruhigendem Blaugrün gestrichen, gerahmte Aquarelle zeigten friedliche Waldlandschaften. Die weißen Fliesen waren in einen schlichten Muster auf dem Boden verlegt worden, die Fugen mehrfach versiegelt, um das Einsickern von Blut und anderen Körperflüssigkeiten zu verhindern. Ein stabiles Krankenbett stand mitten im Raum, eine Wand wurde von einer ausladenden Kommode aus dunkler Eiche beherrscht. An einer anderen Wand stand ein nicht ganz so breiter Metallschrank, in dem sich medizinische Ausrüstung aller Art befand. Gleich neben dem Kopfende des Betts stand ein bequemer Stuhl, auf der anderen Seite wartete ein Rollstuhl auf seinen Einsatz.
Den Raum als vollgestopft zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung gewesen. Aber auf absehbare Zeit konnte sie sich kein größeres Haus leisten – nicht zur Miete, wie es jetzt der Fall war, und erst recht kein Eigentum –, also musste sie mit dem zurechtkommen, was ihr zur Verfügung stand. Und darin war sie wirklich sehr gut.
Jackie nahm weiße Handtücher aus der Kommode und legte sie auf den Metallschrank gleich neben die Box mit den latexfreien Einweghandschuhen und neben die Glasbehälter mit den Wattebäuschen und den einzeln verpackten Alkoholtupfern.
So erschöpft sie auch war, erledigte sie das alles automatisch, um den Raum für das vorzubereiten, was ihr Alpha Dean Kinigos als ein ernstes Problem bezeichnet hatte. Zwar kannte sie keinerlei Einzelheiten zu diesem ernsten Problem, aber sie wollte auf alles gefasst sein.
Als eine von mehreren Ärzten am Ort empfing sie Patienten während der ganz normalen Sprechzeiten in ihrer Praxis, wo noch ein Arzt und eine Krankenschwester arbeiteten. Der Großteil ihrer Patienten bestand aber aus Wolfswandlern. Und obwohl sich eine deutliche Mehrheit dieser Gruppe an die menschliche Umgebung gewöhnt hatte, galt das für einige von ihnen bis heute nicht. Also hatte Jackie diesen Raum eingerichtet, der dieser speziellen Wandlergruppe eine gewisse Sicherheit vermitteln sollte. Außerdem ergab sich immer wieder Nachfrage nach sofortiger medizinischer Versorgung, wenn sie mitten in der Nacht unangekündigt bei ihr zu Hause auftauchten, damit sie sich um Schnittwunden und Knochenbrüche kümmerte. Schließlich waren Wölfe nachtaktive Kreaturen, da war eine Mini-Notaufnahme – mit Betonung auf »Mini« – einfach unverzichtbar.
Wieder sah sie auf ihre Armbanduhr und sputete sich noch etwas mehr. In ihrem Schlafzimmer zog sie dunkelblaue Arztkleidung an und versuchte, keinen sehnsüchtigen Blick auf ihr großes, weiches, warmes und bequemes Bett zu werfen. Sie liebte ihr Bett über alles. Es war eines von diesen Betten, bei denen man die Festigkeit der Matratze variieren konnte. Im Moment liebte sie aber ihr Bett nicht nur, sondern sie sehnte sich aus tiefstem Herzen danach, zumal sie in den letzten vierundzwanzig oder noch mehr Stunden nicht mal eine Minute dort hatte verbringen können.
Gestern hatten bei einer ihrer Patientinnen die Wehen verfrüht eingesetzt. Da sie so wie die meisten Wandlerinnen ihr Kind daheim zur Welt hatte bringen wollen und nicht in einem Krankenhaus, wo ihr »Anderssein« Argwohn hätte wecken können, hatte Jackie alles stehen und liegen lassen und sich auf den Weg zu den Sorensons gemacht.
Es war eine schwierige Geburt gewesen, die Nabelschnur hatte sich um den Hals des Kindes gewickelt. Panik hatte die Eltern, Freunde und auch sie selbst erfasst. Jeder Nachkomme war kostbar. Jedes Kind war nicht nur ein Wunder, sondern auch eine Bestätigung, dass ihre Art fortbestehen würde. Es war eine Chance, die Wandlerbevölkerung wieder wachsen zu lassen, nachdem sie sich im Verlauf des Rottenkriegs vor rund vierzig Jahren beinahe selbst ausgelöscht hatte. In jener Zeit hatten die meisten Rotten großen Abstand zur menschlichen Bevölkerung gehalten. Deshalb konnten die jetzt lebenden Wandler kaum sagen, wie viele ihrer Art in diesem Krieg umgekommen waren. Nach den Geschichten der Überlebenden zu urteilen, musste es Zehntausende von ihnen gegeben haben, von denen nur ein paar Tausend verschont geblieben waren.
Während der ganzen Dauer der zermürbenden Geburt hatte Jackie unermüdlich gearbeitet. Und sie hatte dabei eine Ruhe zur Schau gestellt, von der sie innerlich weit entfernt war. Nach einer Ewigkeit hielt Jackie schließlich ein ruhiges Welpenweibchen in den Armen. Beim Blick in die blauen Augen hatte sie sich einmal mehr verliebt.
Obwohl sie erst einunddreißig war, hörte sie tagtäglich das laute Ticken ihrer biologischen Uhr. Doch solange sie ihren Gefährten nicht gefunden hatte, war es unmöglich, eigenen Nachwuchs zu haben. Rein biologisch betrachtet, konnte sie mit jedem zeugungsfähigen Mann Kinder bekommen, aber die würden keine Wandler sein. Jeder männliche Nachkomme würde ein Mensch sein, nur bei einem Mädchen bestand eine winzige Chance auf Wandler-DNS. Da es äußerst schwierig war, auf seinen Gefährten zu stoßen, war die Geburt jedes einzelnen Wandlerkinds ein großer Segen.
Nun gut, das Baby war da und im Kreise seiner strahlenden Familie gut aufgehoben. Jackie hatte alle notwendigen Vorkehrungen getroffen und alle erforderlichen Tests durchgeführt. Dann war sie nach Hause gefahren, um sich zu duschen, umzuziehen und ihr langes kastanienbraunes Haar zu einem straffen Pferdeschwanz zusammenzubinden. Und danach hatte sie sich auf den Weg zur Praxis gemacht. Sie hätte zwar auch Bescheid sagen können, dass sie an diesem Tag nicht mehr zur Arbeit kommen würde. Doch das empfand sie als unfair ihren Patienten gegenüber. Außerdem war sie zu der Zeit noch voll einsatzfähig gewesen. Aber was dann folgte, war ein langer, ein viel zu langer Tag. Anstatt um fünf ihre Schicht zu beenden, hatte sie sich um zwei junge, vor Energie überschäumende Welpen kümmern müssen, die beide mit mehreren Stichen genäht werden mussten und jeder einen Gipsverband benötigten, einmal für ein Bein, einmal für einen Arm. Auch wenn Verletzungen bei Wandlern schneller verheilten als bei Menschen, gab es keine Sofortheilungen. Ein Knochenbruch war nach ein bis zwei Wochen verheilt, dennoch musste er ruhiggestellt werden. Anschließend hatte sie einige mahnende Worte an die Jungs und deren Eltern gerichtet und sie dann nach Hause geschickt.
Sie seufzte leise und dachte an die äußerst konzentrierten Mienen der beiden Jungs bei der Behandlung. Wandlerkinder wurden Welpen genannt, bis die Pubertät einsetzte. Dann stellte sich bei Jungen eine vermehrte Aggressivität ein, ihre Sinne steigerten sich auf ein Niveau, das deutlich über dem von Menschen lag, und mit einem Mal wurde das andere Geschlecht für sie interessant. Schließlich kam bei Vollmond erstmals die Bestie zum Vorschein. Von da an wurden sie als Jugendliche bezeichnet.
So erging es aber nur den Männern. Aus irgendwelchen Gründen nahmen Wandlerinnen bei Vollmond nie Wolfsgestalt an. Zur Erklärung hieß es, die Frau trage die Welpen aus, und eine Verwandlung würde dazu führen, dass sie ihr Baby verlor. Aber warum wuchsen ihnen nicht wenigstens Krallen? Gesteigerte Sinneswahrnehmungen und übermenschliche Kräfte waren eine tolle Sache, aber manchmal hätte sie paar scharfe Krallen gut gebrauchen können.
Beim Gedanken an den Vollmond, bis zu dem es nur noch eine Woche war, kehrte Jackie in die Küche zurück, da sie hoffte, noch ein Stück Pizza runterschlingen zu können, bevor Dean eintraf. Sie fand es immer amüsant, dass die Polizisten und Mitarbeiter in Notaufnahmen den Vollmond mit einem Anstieg bei Verbrechen und Unfällen in Verbindung brachten. Für Jackie galt das vielmehr in der Woche vor dem Vollmond. Die männlichen Wölfe neigten dann zu Rastlosigkeit und Gereiztheit, manche wurden regelrecht wütend, und alle waren sie eines: geil ohne Ende.
Mit vollem Mund musste Jackie grinsen. Sie bezeichnete die Woche vor dem Vollmond als das PMS der Wandler, das Prä-Mond-Syndrom, und sie wusste, sie war mit dieser Meinung nicht allein. Sogar ihre künftige Lupa, Deans Verlobte Kaylie Gentry, machte darüber oft Witze. Diese Frau war ein Hitzkopf, verdammt intelligent, sehr umgänglich und zudem eine fantastische Tierärztin. Auch wenn sie rein menschlich war, konnte sich Jackie keine bessere Gefährtin für ihren Alpha vorstellen. Der Mann war kurz davor gewesen, die Kontrolle über seinen Wolf zu verlieren. Er war immer zu ernst gewesen, zu verschlossen und dazu von einer kaum beherrschbaren Wut getrieben. Manchmal hatte sie an seiner geistigen Gesundheit gezweifelt. Aber Kaylie hatte ihn geerdet, ihm Ruhe gegeben, und vor allem war es ihr gelungen, ihn um Lachen zu bringen.
Allein deswegen hatte sich die menschliche Frau Jackies Freundschaft und Treue mehr als verdient.
Ein Motorengeräusch ließ sie aufhorchen. Sie stellte den Pizzakarton weg und wusch sich noch einmal schnell die Hände. Als sie die Haustür öffnete, kam Ben Anderson auf sie zu, einer von Deans Rottenführern.
»’n Abend, DocCha.« Auch wenn sie sich längst an die Abkürzung aus Doctor und Chavez gewöhnt hatte, die als ihr Spitzname verwendet wurde, sah sie den Mann ein wenig überrascht an.
»Alles in Ordnung, Ben?«
»Mir geht es gut.« Auch wenn sein Grinsen einer besorgten Miene wich, änderte das nichts an seinem rauen, guten Aussehen. Jackie konnte Ben gut leiden, so wie es die meisten Frauen taten, und sie bedauerte fast, dass sie beide keine Gefährten waren. Wenn man einen Blick hinter das blendende Aussehen und hinter seine umgängliche Art warf, konnte man dort einen hochintelligenten Mann vorfinden. Dass er so breite Schultern hatte und dass seine Bauchmuskeln so straff waren, hatte nicht nur damit zu tun, dass er ein Wandler war. Im Winter arbeitete Ben oben bei der Skihütte, üblicherweise im Such- und Rettungsdienst. In den Sommermonaten arbeitete er für die Woodcliff Lumber Company, das Sägewerk, das inzwischen Dean Kinigos gehörte. Über die Jahre hinweg hatte sie ihn in vielen Jobs erlebt, bei denen nicht nur körperliche Kraft gefragt war, sondern auch die Fähigkeit, mit Menschen umzugehen.
Es kam nur selten vor, dass ein Rottenführer keine feste Anstellung hatte, aber der Mann strahlte Kraft, Stabilität und Mitgefühl aus. Wenn Jackie raten sollte – was sie oft auf purer Neugier tat –, dann war Ben für Dean so etwas wie ein Sensor, der ihm half, auf formlose Weise etwas über das Leben und die Sorgen der Rottenmitglieder zu erfahren. Nicht, dass Dean kein Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten hatte, aber die Rotte war einfach so groß, dass manche Probleme selbst den einzelnen Anführern gegenüber unausgesprochen blieben.
Nachdem Dean Alpha geworden war, hatte er einen Rat aus acht Individuen geschaffen, die seine Rotte repräsentierten. Jeder dieser Acht hatte seinen eigenen kleineren Stamm, über den er wachte, den er beschützte und führte. Gemeinsam mit Dean stimmten diese Acht über Themen ab, die die ganze Rotte betrafen. Zwar wurden grundsätzlich Mehrheitsentscheidungen getroffen, doch als Alpha der Rotte hatte er das letzte Wort, und das war Gesetz. Wenn es einem Mitglied der Rotte nicht gefiel, konnte es die Rotte und die Stadt verlassen oder aber Dean herausfordern und mit ihm um den Posten des Alphas kämpfen. Doch in den fast vier Jahren, die Dean jetzt bereits Alpha war, hatte ihn noch niemand herausgefordert. Es war auch nicht anzunehmen, dass irgendjemand es versuchen würde. Der Mann war beliebt, Wandler und Menschen respektierten ihn, und er strahlte solche Kraft und Macht aus, dass seine bloße Anwesenheit genügte, um einen Saal voll Menschen vor Ehrfurcht erstarren zu lassen.
Dean hatte Woodcliff zu einer Zuflucht für Wölfe gemacht, und er war damit zu einem Vorbild geworden, dem die Alphas anderer Rotten nacheiferten. Denn auch wenn es nur eine Handvoll Wölfe gab, die stark genug waren, um Alpha zu sein, konnten sie eine solche Position nicht halten, wenn ihnen die Rotte weglief.
»Irgendwas Seltsames geht da vor sich.« Bens Stimme riss Jackie aus ihren Gedanken, und als sie dem Blick des Mannes folgte, war sie auf einmal bei Dean angelangt. Der hielt etwas sehr Großes, Schlaffes in seinen Armen, so in eine Decke gewickelt, dass Jackie nur fellbewachsene Beine ausmachen konnte. Außerdem roch sie Blut.
»Ein Wolf?«, flüsterte sie Ben zu.
»Ein Wandler.«
»Der muss aber stark sein, wenn er sich ohne Vollmond wandeln kann.« Ihre Gedanken überschlugen sich, als sie im Geiste eine Liste der Wandler zusammenstellte, von denen sie wusste, dass sie dazu fähig waren. »Wer ist es?«
»Keine Ahnung.« Ben schüttelte den Kopf, das grelle Licht auf der Veranda ließ seine blonden Haare wie gesponnenes Gold leuchten.
Jackie zog eine ernste Miene. Ein unbekannter Wandler, der sich ohne die Wirkung des Vollmonds vom Mann zur Bestie verwandelte, konnte unter Umständen Ärger bedeuten.
»Was ist passiert?«, wollte sie wissen, gerade als Dean die Türschwelle überschritt. »Durch den Flur, dann rechts.«
Ben antwortete ihr. »Dean und ich waren im Haven«, sagte er. Der Haven war ein Anwesen außerhalb der Stadt, dessen Sinn und Zweck es war, jeden Monat bei Vollmond die Wandler unter Kontrolle zu halten und zu beschützen. »Wir gingen das Inventar durch, als wir auf einmal Schüsse hörten.«
Erschrocken riss Jackie die Augen auf, während sie hinter Dean hereilte. »Schüsse?« So etwas war in Woodcliff nicht an der Tagesordnung.
»Mhm. Und als wir nachgesehen haben, sind wir auf ihn gestoßen.«
»Idioten.« Während sie Handschuhe anzog, warf sie den beiden Männern einen wütenden Blick über ihre Schulter zu. »Und wenn jemand auf euch geschossen hätte?« Vorsichtig schlug sie die Decke zur Seite, während sie Abstand zur Schnauze des verletzten Tiers hielt. Wenn diese Kiefer zuschnappten und diese Zähne sich in ihr Fleisch bohrten, würde das ihren miesen Tag vollständig ruinieren.
»Er ist bewusstlos.«
Jackie schaute Dean gar nicht erst an. »Das wäre ich wohl auch, wenn man mich angeschossen hätte. Trotzdem werde ich kein Risiko bei jemandem eingehen, der mir so nebenbei mal eben die Hand abbeißen kann.« Behutsam strich sie über das dichte dunkelbraune Fell. »Er hat eine tiefe Wunde an der linken Hinterbacke und eine kleinere quer über die Schultern. Diese runde Wunde an der Seite sieht wie ein Einschussloch aus, aber ich muss die Stelle erst rasieren, bevor ich das mit Gewissheit sagen kann.«
Sie zog die blutverschmierten Handschuhe aus und ging zum Metallschrank, um Schere, Rasierer und Kamm herauszuholen. »Einen Wolf hatte ich nicht erwartet, Dean. Beim Großteil meiner Patienten handelt es sich zwar um Wandler, aber ich bin keine Tierärztin. Ihr braucht Kaylie.«
»Die ist schon unterwegs.«
Über die Schulter warf sie dem Wolf einen Blick zu. »Und das ist sicher ein Wandler? Ich meine, er riecht zwar wie einer, aber meine Nase könnte auch dich wahrgenommen haben.«
Deans tiefgrüne Augen erfassten ihre braunen Augen und verharrten dort. »Ganz sicher.«
Sie musste schlucken. »Und du hast keine Ahnung, wer das ist?«
Dean schüttelte den Kopf, doch dann schien es, als würden sich seine verkrampften Muskeln noch mehr anspannen. Jackie sah zu Ben, der sich mit der Schulter gegen den Türrahmen lehnte. Als sich ihre Blicke trafen, tippte er mit einem Finger an seine Nase, dabei sah er zu Dean. Ben wollte ihr etwas sagen, irgendetwas, das mit dem Geruch des Unbekannten zu tun hatte. Und mit Dean.
»Hm. Normalerweise würde ich dich bitten, ihn wieder menschliche Gestalt annehmen zu lassen, damit ich ihn besser untersuchen kann.« Jackie zog neue Handschuhe an. »Aber wenn die Kugel noch drinsteckt, wird sich die Wunde um die Kugel herum zusammenziehen, sobald er wieder Mensch wird. Dann müsste ich ihn aufschneiden, um an die Kugel heranzukommen. Und das wollen wir nicht.«
»Nein, das wollen wir nicht«, murmelte ihr Alpha. Als sie ihn kurz ansah, kam ihr sein Gesicht blasser vor. Er wich sogar einen Schritt zurück.
Jackie verkniff sich ein Kichern, stattdessen fuhr sie mit den Fingern wieder durch das blutverklebte Fell. »Ich muss ihm ein Beruhigungsmittel und ein Schmerzmittel geben. Dann muss sämtliches Blut weggewischt werden.« Als keiner der Männer etwas sagte, schaute Jackie von ihrem unerwarteten Patienten auf. »Was ist? Keine Freiwilligen?«
»Ben«, rief Dean.
Ben richtete sich auf. »Was? Ich?« Er zog vor Erstaunen die Augenbrauen so hoch, dass sie unter den Stirnfransen verschwanden.
»Lieber Gott«, ertönte eine sehr weibliche Stimme hinter Ben. »Ihr seid beide verdammte Wandler. Wölfe! Ihr jagt und tötet, ihr esst Dinge, bei denen ich schon kotzen könnte, wenn ich nur daran denke. Und ihr fallt fast in Ohnmacht wegen ein bisschen Blut auf einem Krankenbett?«
Beim Anblick seiner Gefährtin wich der neugierige, aber nichtssagende Ausdruck in Deans Augen einer so intensiven Liebe, dass Jackie wieder ein Kribbeln über den ganzen Körper lief.
»Hey.« Deans Stimme klang rau, als er Kaylie begrüßte, ihre Hand nahm und sie an sich zog, um ihr einen stürmischen, feuchten Kuss zu geben.
Jackie schaute zur Seite, weil ihr dieser Kontakt zu intim war und fast schon ins Schlafzimmer gehörte. Sie wagte jedoch einen erneuten Blick, als sie Dean gereizt knurren hörte.
»Ganz ruhig, mein Lieber. Ich bin hier, um zu arbeiten.« Kaylie verließ Deans Reichweite und ging zum Waschbecken. »Hey, Jackie, sieht ganz so aus, als würden wir heute Nacht zusammenarbeiten.«
»Ich bin froh, dass du hier bist«, antwortete Jackie. »Erstens ist das dein Fachgebiet, zweitens kann ich von den beiden Testosteron-Zwillingen da drüben sowieso keine Hilfe erwarten.«
»Kann ich mir vorstellen«, meinte Kaylie Gentry und zwinkerte Jackie zu, trocknete ihre Hände ab und betrachtete dabei den Wolf. »Was wissen wir?«
»Nur, dass auf ihn geschossen wurde. Ich habe ihn erst mal nur grob begutachtet. Ich wollte ihm als Nächstes etwas zum Ruhigstellen geben, aber ich habe die Dosierungen für Tiere nicht im Kopf.«
»Ich mach das schon.« Kaylie griff nach ihrer schwarzen Tasche und stellte sich zu Jackie ans Bett. »Ich musste erst ein paar Vorräte aus der Klinik holen, deshalb ist es etwas später geworden.«
Schnell ging Jackie auf die andere Seite des Betts, da sie wusste, wenn der Wolf aufwachte, war sie dort besser als ein Mensch in der Lage, die gefährlichen Krallen und Zähne unter Kontrolle zu bringen. Außerdem hätte Jackie niemals zugelassen, dass Kaylie als ihre Lupa irgendeinem Risiko ausgesetzt würde.
»Und?«, fragte Kaylie im Plauderton, während sie sich zusammen mit Jackie dem pelzigen Patienten widmete. »Wo habt ihr ihn gefunden?«
»Ungefähr zwei Meilen nordwestlich des Anwesens«, ließ Dean sie wissen, lauter als üblich, weil er das Summen des Rasierapparats übertönen musste.
»Habt ihr den Arsch geschnappt, der auf ihn geschossen hat?«
»Es hatte Vorrang, ihn zu retten.«
Keine der Frauen reagierte darauf, bis sie einen Blick auf die nackte Haut der Kreatur werfen konnten. »Gib mir mal die da … danke.« Kaylie drang mit der Pinzette, die Jackie ihr gegeben hatte, in die seitliche Wunde vor. »Ach, verdammt, das Fleisch hat schon angefangen, um die Kugel herum zu verheilen. Tut mir leid, mein Freund.« Nach minutenlanger angespannter Stille stieß sie schließlich einen triumphierenden Laut aus. »Hab dich, du Mistkerl.« Als sie die Kugel in die Metallschale fallen ließ, die Jackie ihr hinhielt, starrten sie beide auf das Objekt, sahen sich kurz an und schauten dann wieder auf das Projektil.
»Was ist?«, fragte Ben.
»Das ist eine Silberkugel«, flüsterte Jackie. »Eine echte Silberkugel. Was soll denn das?« Sie bemerkte das leichte Zucken einer Pfote. »Er kommt zu sich.«
»Unmöglich«, erwiderte Kaylie ungläubig. »Mit der Dosis, die ich ihm gegeben habe, müsste er stundenlang schlafen.«
Während Kaylie eine weitere Injektion vorbereitete, drehte sich Jackie halb um, damit sie die Schale mit der Kugel auf dem Hocker abstellen konnte. Dann erstarrte sie mitten in der Bewegung.
So wie auch jeder andere im Raum abrupt innehielt.
Angst wanderte an Jackies Rückgrat entlang nach oben. Sie wusste es. Sie wusste, dass man niemals Arme oder Beine aus einem Auto streckte. Und dass man sie nicht in die Nähe von zuschnappenden Zähnen hielt. Und trotzdem waren im Bruchteil einer Sekunde ihr Handgelenk und fast die gesamte linke Hand in das gefährliche Maul des braunen Wolfs geraten. Zwar zermalmte das Tier nicht ihre Knochen, doch die rasiermesserscharfen Zähne hatten den Handschuh durchdrungen und sanken in das Fleisch ein. Aber er biss nicht zu. Nein, das hier bedeutete so viel wie: »Sag mir, was hier los ist, bevor ich dir die Hand abreiße.«
Jackie sah in bernsteinfarbene Augen, die Intelligenz, Entschlossenheit und Schmerz ausstrahlten. Dann erklärte sie hastig: »Ich bin Ärztin. Du bist verletzt, jemand hat auf dich geschossen. Außerdem hast du noch andere Verletzungen davongetragen, die wir versorgen. Wir versuchen dir zu helfen, wir wollen dir keine Schmerzen zufügen. Wir wissen, dass du ein Wandler bist.«
Obwohl sie gehofft hatte, ihre letzten Worte würden ihn beruhigen, drückte er die Kiefer noch ein bisschen mehr zusammen. Noch kam kein Blut, aber der Druck genügte, um ihr Herz rasen zu lassen.
Sie strich mit der Zunge über ihre trockenen Lippen. Die Augen des Tieres folgten der nervösen Geste mit einer fast menschlichen Eindringlichkeit. »Wir sind zu viert hier. Mein Alpha, noch ein Wandler und eine menschliche Ärztin. Eine Tierärztin, um genau zu sein.« Sie atmete tief durch. »Die Kugel haben wir herausholen können. Wir müssen dich jetzt auf die Seite drehen, damit wir die Wunde vernähen können.«
Eine scheinbare Ewigkeit verging, während der Wolf sie einfach weiter anstarrte. Sein Atem ging tief, aber unregelmäßig. Links von ihr, also auf der Seite, die der Wolf nicht im Blick hatte, raschelte etwas. »Nicht bewegen«, sagte sie in der Sekunde, in der die Kreatur den Kopf herumriss. Durch diese instinktive Reaktion auf eine unsichtbare Bedrohung bohrte sich einer der Zähne durch ihre Haut und riss den dünnen Handschuh auf. Jackie zuckte zusammen. Es war zwar nicht der schlimmste Schmerz, den sie jemals verspürt hatte, aber schlimm genug.
Plötzlich bahnte sich eine Energiewelle ihren Weg durch den Raum, Jackies Haare richteten sich auf, und zwei Sekunden später lag ein Mann dort auf dem Bett, wo sich eben noch der Wolf befunden hatte.
Und was für ein Mann!
Kurz geschnittene dunkelbraune Haare, ein schroffes, kantiges Gesicht. Sein olivfarbener Teint war durch die Schmerzen und den Blutverlust etwas blasser, aber das konnte nicht von seinem makellosen Körper ablenken. Sein Oberkörper wies eine perfekte V-Form auf, von den breiten Schultern verjüngte er sich zu schmalen Hüften, und wohin das Auge auch blickte, sah es überall nur feste, durchtrainierte Muskelpakete.
Das spärliche Brusthaar setzte sich als schmaler Streifen über dem verlockenden Sixpack fort, ehe sich die Behaarung zu den Lenden hin wieder ausdehnte. Ein nackter Mann war für Jackie zwar kein völlig neuer Anblick, allerdings stockte ihr der Atem, als sie die Größe seiner Erektion bemerkte.
Ihre Augen zuckten wieder nach oben. Dabei fiel ihr Blick auf ein schwarz-blaues Tattoo an seinem Oberarm. Es zeigte das Gesicht eines Timberwolf vor einem sechseckigen Schild. Ein Emblem. Eines, das sie auf Anhieb erkannte und das alle weibliche Begeisterung für ein exquisites männliches Exemplar schnell erlöschen ließ. Sie bekam nicht mal mit, wie der Mann ihre Hand aus seinem Mund nahm und sie zärtlich mit seinen Fingern umschloss.
»O mein Gott.« Das raue Flüstern holte sie aus ihrer Starre, ihre Aufmerksamkeit wechselte vom Tattoo zu Kaylies Gesicht. Da sie nicht verstand, was diesen Ausruf ausgelöst hatte, folgte sie dem erschrockenen Blick der Tierärztin zurück zu dem Mann auf dem Bett. Diesmal sah sie nicht wieder weg, sondern musterte das Gesicht des Mannes.
Der spreizte einmal die Hand, dann schob er seine Finger zwischen ihre, so als wären sie seit langer Zeit Freunde oder ein Liebespaar … oder als wollte er Trost spenden oder empfangen. Dabei war sein Blick unablässig auf Dean gerichtet. Seine Augen wiesen den gleichen markanten Smaragdton auf wie die des Alphas.
Jackie atmete tief ein, um den Geruch des Mannes in sich aufzunehmen … und wäre beinahe zu Boden gesunken. Das also hatte Ben ihr zu sagen versucht. Und deshalb hatte sie den Mann zunächst auch für einen Wolf gehalten, nicht für einen Wandler. Der Verletzte roch so wie Dean. Nicht exakt so, aber ähnlich genug, um ein Verwandter zu sein. Ein sehr enger Verwandter.
Sie drehte sich zu ihrem Alpha um, der so schockiert dreinschaute, dass sich ihr Magen verkrampfte. Noch bevor einer der beiden einen Ton sagte, war ihr alles klar.
»Deanato?«, flüsterte der fremde Wandler mit einer Mischung aus Angst und Hoffnung.
»Alexander?« Dean schien vor ihren Augen in sich zusammenzusinken, weshalb Kaylie zu ihm lief und die Arme um seine Taille schlang.
Es war so still im Zimmer, dass Jackie nur das Atmen aller Anwesenden hörte, während sie wieder und wieder von Dean zu dem Mann im Bett und von ihm weiter zu Kaylie und Ben schaute. Dann endlich setzte Ben dem beharrlichen Schweigen ein Ende. »Was ist jetzt, Dean? Willst du uns nicht deinem Bruder vorstellen?«
Ben lag auf der Couch und tat so, als würde er schlafen, Kaylie war auf ihrem Bett in einen tiefen Schlaf gefallen. Dean und Alexander befanden sich immer noch im Behandlungszimmer und brachten sich gegenseitig seit nunmehr zwei Stunden auf den aktuellen Stand. Jackies Pizza war längst aufgegessen, ebenso wie die drei, die Ben zwischendurch besorgt hatte. Sie war im Begriff, sich schlafen zu legen, trotzdem kam ihr Patient auch jetzt noch an erster Stelle.
Seit sie das Behandlungszimmer verlassen hatte, nutzte Jackie die Zeit, um nachzudenken, sich Sorgen zu machen und die Dinge neu zu bewerten. Das Nachdenken bestand eigentlich mehr in einem nochmaligen Durchspielen der Ereignisse ab dem Augenblick, als Zan ihre Hand in seinem Mund gehabt und anschließend festgehalten hatte, wobei er gedankenverloren mit dem Daumen ihre Handfläche gestreichelt hatte. Die Sorgen hingen nicht mit der Angst zusammen, die sie zu der Zeit empfunden hatte, sondern sie betrafen den elektrischen Schlag, der mit der Berührung durch ihren Arm gejagt war. Dieser Schock hatte mit der Reaktion ihres Wolfs auf diesen Kontakt zu tun. Ihre Bestie war zwar in ihrer menschlichen Gestalt eingeschlossen, doch das änderte nichts daran, dass sie von dieser Berührung sehr deutlich Notiz genommen hatte. Das Neubewerten betraf die Frage, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte, wenn der Fremde, der Bruder ihres Alphas, sich als ihr Gefährte entpuppte.
Sie stieß den Atem so energisch aus, dass ihr die Haare aus der Stirn gewirbelt wurden. Sie goss den Rest Orangensaft in ein Glas, dann stand sie da, straffte die Schultern und zwang sich zur Ruhe.
Er ist nur ein Patient. Er ist nur ein Patient.