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Erzählung mit autobiographischen Elementen über den Start in ein neues Leben, in und mit der Natur, Erfahrungen und Erlebnisse mit den Menschen und der Kultur auf Sardinien, mit unvergesslichen Exkursionen ins Landesinnere, wo es nicht nur zahlreiche archäologische Sehenswürdigkeiten zu bestaunen gibt sondern auch eine Vielfalt an kulinarischen Genüssen auf den Besucher wartet. Es ist ein Buch, das spannend und unterhaltsam zugleich ist und den Leser mitnimmt und für diese Insel begeistert, auch wenn es nicht ohne Hürden und Probleme geht.
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Seitenzahl: 550
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Carlotta Renzo . Sardinien - Licht und Schatten im Paradies
SARDINIEN – Licht und Schatten im Paradies
Carlotta Renzo
© 2016 Carlotta Renzo
erste Auflage Umschlaggestaltung, Lektorat, Korrektorat: Carlotta Renzo
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN Taschenbuch: 978-3-7345-5466-7 ISBN Hardcover: 978-3-7345-5467-4 ISBN e-Book: 978-3-7345-5468-1
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Nicht der Beginn wird belohnt, sondern einzig und allein das Durchhalten
Katharina von Siena
Dieses Buch beruht auf wahren Begebenheiten und die genannten Personen haben reale Vorbilder, auch wenn sie namentlich nicht mit diesen identisch sind und auch nicht in den hier erwähnten Orten leben.
Vielmehr soll mit diesem Buch eine hoffentlich interessante Geschichte erzählt und Wissenswertes über Sardinien vermittelt werden - zusammen mit positiven wie negativen Erfahrungen.
Den Traum vom Leben im Süden haben viele! Zu oft bleibt es leider nur beim Träumen, denn einen solchen Traum wahr zu machen, bedeutet auch, Veränderungen zu akzeptieren, loslassen zu können, vielleicht sogar auf Familie und Freunde zu verzichten, vermeintliche Sicherheit gegen Unwägbarkeiten oder gar Risiken einzutauschen und vor allem, alte und liebgewonnene Gewohnheiten aufzugeben. Leider ist aber gerade die Macht der Gewohnheit wie ein schleichendes, unsichtbares Gift, das jede Sehnsucht nach neuen Horizonten ausbremst und damit oft auch der möglichen Verwirklichung von Träumen im Wege steht …
Stets offen und neugierig zu bleiben, eine positive Lebenseinstellung und keine Angst vor Unbekanntem zu haben, kleine und auch große Veränderungen nicht zu fürchten oder gar abzulehnen und vor allem der Wille zu lebenslangem Lernen - das sind die richtigen Voraussetzungen für ein ‚neues, anderes Leben’…
Wir haben es geschafft und unseren Traum von einem anderen Leben tatsächlich realisiert – nach dem Motto: was immer Du tun willst oder glaubst tun zu können – beginne es… (das vorangegangene Buch mit dem Titel: ‚Sardinien – ein Traum wird wahr’ erzählt ausführlich davon).
Allerdings waren dabei viele Hürden zu überwinden, vorhandene Pläne an die Gegebenheiten anzupassen, in die Tat umzusetzen und auftretende Probleme zu lösen. Enttäuschungen und Rückschläge blieben auch uns dabei nicht erspart und manche Ideen und Vorstellungen mussten wir wieder fallen lassen, weil sie sich letztendlich nicht realisieren ließen.
Rückwirkend betrachtet, passierte für uns alles in einem überraschend kurzen Zeitraum: vom ersten Blick auf unser Paradies im Südosten Sardiniens im November 2002 bis zum Zeitpunkt, als wir endlich auch vertraglich alles unter Dach und Fach gebracht hatten, war knapp ein Jahr vergangen.
Wenn man bedenkt, dass es Monate dauern kann, überhaupt das geeignete Grundstück oder Haus zu finden, das allen Anforderungen hinsichtlich Preis und Lage sowie anderen persönlichen Erwartungen entspricht, war es bei uns doch recht schnell gegangen.
Aber ohne den unglaublichen Zufall, der unserem Leben so überraschend eine andere Wendung gab, zusammen mit einer guten Portion Glück, wären wir ganz sicher nicht in der Kürze der Zeit so weit gekommen.
Jetzt waren wir aber mehr als glücklich, dass sich unser Traum schneller verwirklichen ließ als gedacht – auch wenn dies zuerst einige zusätzliche Probleme mit sich brachte! Wir waren noch nicht im Pensionsalter, und unsere Arbeit verlangte nach wie vor ihren Tribut, was sich verständlicherweise auf die verfügbare Zeit auswirkte, in der wir unseren Traum wirklich genießen konnten.
Dazu kam noch, dass wir nur ein unkultiviertes, von olivastri (wilden Olivenbäumen), einigen lentischio-Büschen und mediterraner macchia bewachsenes Grundstück erworben hatten, das uns enorm viel körperliche Arbeit abverlangte.
Unmengen an Steinen in allen Größen, mit denen das Gelände übersät war, mussten beseitigt werden. Von manchen Steinen oder gar Felsbrocken ragten nur die Spitzen aus dem Boden. Sie mussten also mehr oder weniger ausgegraben werden, um das Gelände für die Bepflanzung und danach zum leichteren Mähen mit unserem trattorino frei zu kriegen. Es war im wahrsten Sinne zuerst ein sehr steiniges Paradies!
Aber wir waren sehr stolz darauf, nach vielen Mühen, harter Arbeit und diversen bürokratischen Abenteuern unser ganz spezielles Paradies daraus gemacht zu haben. Der Spruch: ‚Stolz kann man nur auf etwas sein, das Mühe gemacht hat’, passt in unserem Fall sicher ganz besonders… Denn es hat uns wirklich sehr viel Mühe gekostet! Aber es hat sich gelohnt!
Die 270 Olivenbäume, die wir gepflanzt hatten, belohnten uns erstaunlich schnell mit einer kleinen Ernte, sodass wir schon nach wenigen Jahren unser eigenes Olivenöl produzieren konnten – anfangs waren es nur ein paar Liter, aber von Jahr zu Jahr und zunehmendem Alter der Bäume konnten wir den Ertrag steigern.
Die Zeit, die wir anfangs auf unserem Gelände verbringen konnten, war ziemlich limitiert: Im ersten Jahr waren uns nur 4 Aufenthalte auf der Insel möglich gewesen, im zweiten Jahr mit geschickter Planung und unter Einbeziehung aller möglichen Feiertage waren wir immerhin fünfmal in unserem Paradies; im dritten Jahr steigerten wir uns sogar auf 6 Aufenthalte, d.h. wir waren etwa alle zwei Monate in der Lage‚ nach dem Rechten zu sehen und mit Kultivierung, Gestaltung und Bepflanzung des Geländes wieder ein paar Schritte weiterzukommen.
Für 2006 waren die Aussichten für uns dann sogar noch um ein Vielfaches besser geworden, denn HLX, eine neue ‚low cost Airline’, war mit dem Slogan ‚zum Taxipreis nach Italien und Sardinien’ angetreten und hatte damit einen neuen Service, genau passend für uns, gestartet: ab April 2006 sollte zusätzlich zu Olbia nun auch die Hauptstadt Cagliari 3 x wöchentlich angeflogen werden. Das verkürzte unsere Anreise nach Sardinien ab dem Flughafen München bis zu unserem Domizil auf eine gute Stunde. Absolut ideal! Vorher konnten wir im Bedarfsfalle nur auf die teureren Linienflüge via Rom oder Mailand zurückgreifen.
Zwar hatte es ab Mitte 2005 schon jede Woche 3 Direktflüge von München nach Olbia gegeben, aber das bedeutete für uns auf Sardinien immer noch eine fast dreistündige Anfahrt mit dem Mietwagen, bis wir unser Grundstück im Süden erreichten.
Trotzdem waren wir aber immerhin schon in der glücklichen Lage, pro Jahr zusätzlich zu unseren 2 – 3 längeren Aufenthalten über jeweils zwei Wochen noch einige Kurzurlaube über verlängerte Wochenenden unterzubringen.
Bei solchen Reisen wollten wir zwar die wenigen verfügbaren und damit kostbaren Stunden nicht mit Arbeit verbringen, aber wir konnten dann wenigstens nachsehen, ob alles in Ordnung war, die Bewässerungsanlage oder den Zaun überprüfen und andere Kleinigkeiten kontrollieren. Es blieb uns jedes Mal genügend Zeit, in der wir unser Paradies schon richtig genießen konnten. Langsam hatte ich das Gefühl, bei jeder dieser Reisen irgendwie verändert von der Insel zurückzukehren… Als wäre ich ein anderer Mensch, als der, der ich vorher war! Es vollzog sich eine Art innerer Verwandlung; ich wurde viel gelassener, regte mich über bestimmte Dinge weniger auf und konnte auch anderen Menschen mehr Geduld entgegen bringen.
Dazu kam, dass wir Jahr für Jahr erfreulicherweise mehr Zeit im Süden verbringen, die wohnliche Situation im Haus verbessern, unseren Garten Stück für Stück erweitern und mit vielen Oleanderbüschen und anderen Blütenstauden bepflanzen, immer wieder neue Bäume setzen und sogar einen kleinen Orangenhain anlegen konnten. Und auch den lang gehegten Traum vom eigenen Feigenbaum konnten wir uns jetzt erfüllen. Vom Frühjahr bis in den späten Herbst hinein blühte es in allen Schattierungen von Gelb, Orange und Rottönen, nur unterbrochen von den cremefarbenen Blüten der Oleanderbüsche und einigen lantana. Immer wieder wurden wir von Nachbarn und Bekannten darauf angesprochen – einen solchen Garten würde es weit und breit nicht geben…
Im Herbst 2007 konnte erst ich selbst und dann ein halbes Jahr später mein Mann in die zweite Phase der Altersteilzeit starten, und so hatten wir die Möglichkeit, mehrmonatige Aufenthalte zu planen und auch gewisse bauliche Veränderungen in Angriff zu nehmen.
Sicher war es ziemlich gewagt, ohne genehmigtes progetto größere Konstruktionen wie einen Carport für zwei Autos, eine neue, gemauerte Einfahrt oder eine komplette Verglasung der Veranda auf der Nordwestseite des Hauses in Angriff zu nehmen. Unser geometra (Vermessungs- und Bauingenieur) wäre ganz bestimmt von Panik erfasst worden – wenn er es denn zu diesem Zeitpunkt gewusst hätte.
Nachdem aber während und auch nach Beendigung der ganzen Bauarbeiten monatelang nichts passiert war, gingen wir davon aus, dass sich niemand daran gestört hatte. Weder unsere Nachbarn noch die vorbeifahrenden Hirten oder andere Passanten hatten in negativer Weise reagiert, und wir waren daher beruhigt, dass alles so gut ausgegangen war. Leider mussten wir einige Zeit später feststellen: es war nur die berühmte Ruhe vor dem Sturm!
Nachdem die Weihnachtsfeiertage in diesem Jahr sehr günstig fielen, waren 5 Tage auf der Hütte in den Alpen eingeplant worden. Mit den üblichen drei Familien und deren gesamtem Anhang waren es 18 Personen, und da würde es ganz sicher nicht langweilig werden, egal welches Wetter uns erwartet.
Erfreulicherweise war bei unserer Ankunft am späten Nachmittag des Heiligen Abend der Kachelofen in der Hütte schon ordentlich angeheizt und die Stube bereits kuschelig warm. Trotzdem gab es erst draußen eine urige Begrüßung: Auf dem kleinen Platz vor der Haustüre hatten die Jungs mit dem vielen Schnee, der vom Eingang weggeschaufelt werden musste, eine eisige Bar aufgebaut, und die Mädels hatten in der Zwischenzeit in der Hütte einen starken Punsch zubereitet. So konnte man es auch vor der Türe in der Kälte eine Weile aushalten, bis es Zeit wurde, drinnen ans Auspacken der Reisetaschen und an die Vorbereitungen fürs gemeinsame Abendessen zu gehen.
Was die Arbeitsteilung bei der Verpflegung anging, gab es eine gute Vereinbarung: eine der drei anwesenden Familien war jeweils einen bestimmten Tag für sämtliche Arbeiten zuständig, ob Vorbereiten, Kochen oder Spülen. Dafür konnten die anderen den ganzen Tag voll genießen. Freiwillige Helfer waren trotzdem immer gerne gesehen…
Die Schneeverhältnisse waren dieses Mal ausgezeichnet, und so konnten wir uns an 3 Tagen mit den Skiern richtig austoben. Eigentlich hätten wir uns dies aufgrund der Organisation für den Hüttenaufenthalt nur an zwei Tagen ‚leisten’ können, aber Christina und ihr Mann übernahmen teilweise allein unseren gemeinsamen Part, damit wir wirklich volle drei Tage nutzen konnten. Sie hatten sehr gut verstanden, dass wir ‚Nachhol-Bedarf’ an Wintersport hatten, was wir nicht nur positiv und voller Freude darüber vermerkten, sondern uns auch entsprechend dafür revanchierten.
Die Tage waren durchwegs klar und sonnig, die Temperatur perfekt, nicht zu kalt und nicht zu warm, um den Pulverschnee zu erhalten, und wir konnten das Skifahren genauso genießen wie die herrliche Aussicht auf die verschneiten Gipfel ringsum. Es waren wunderschöne und sehr erholsame Tage für uns.
Wir nahmen uns vor, in den kommenden Jahren, sobald wir beide endgültig in Pension sein und Zeit genug haben würden, öfter solche Wochen oder auch nur Wochenenden zu nützen, um kurze Skiferien zu machen. Schließlich würden wir dann ja nicht mehr gezwungen sein, in den Perioden zu gehen, in denen alle unterwegs sind, sondern konnten uns die Werktage und die Nebensaison aussuchen.
Als wir am 29.12. wieder auf der Insel eingetroffen waren, fiel uns zuerst auf, wie viel Wasser die Flüsschen und Bäche auf unserem Weg nach Süden jetzt führten – es hatte anscheinend sehr viel geregnet in den letzten Tagen. Mittlerweile kam zwar die Sonne immer wieder für kurze Augenblicke hervor, aber gleichzeitig fegte ein heftiger Sturm große, graue Wolkenfetzen von Westen her über den Himmel und peitschte das Meer in schäumenden Wellen vor sich her. Besonders heftige Böen erzeugten ganze Streifen von aufwirbelnder Gischt. Selbst mit unserem schweren Geländewagen machte uns der Sturm und vor allem die Böen auf der Fahrt ziemlich zu schaffen. Wir hofften, dass wir nicht allzu viele Schäden auf unserem Gelände haben würden! Irgendwie schien mir das Wetter kein gutes Omen für unsere Ankunft!
Am Grundstück angekommen, mussten wir zuerst feststellen, dass die Verkleidung mit Natursteinen an den Mauern zur Einfahrt doch nicht fertig geworden war – die Handwerker hatten nur den Teil an der Westseite der Veranda und am Haus hinten gemacht. An der Einfahrt hatten unsere ‚Steinkünstler’ unverständlicherweise mit dem Teil der Mauer, die den Büschen zugewandt und damit eigentlich nicht wirklich sichtbar ist, zuerst angefangen. Diese Einteilung der Arbeit konnte meiner Einschätzung nach nur männlicher Logik entspringen – ich hätte ganz sicher zuerst den Teil fertig gestellt, den man von allen Seiten gut sehen kann… Eine Sache der Ästhetik eben!
Aber immerhin konnten wir uns darüber freuen, dass die erst vor 3 Jahren gepflanzte nesbolla (Mispelbaum) offensichtlich einen sehr guten Platz gefunden hatte, denn die Zweige waren über und über mit cremeweißen Blüten oder eher ganzen Blütentrauben bedeckt. Also würden wir vielleicht schon in diesem Frühjahr wirklich Früchte ernten können.
Auf dem Grundstück konnten wir nach einem ersten Rundgang glücklicherweise keine größeren Sturmschäden ausmachen; auch die großen und kleinen Blumentöpfe auf der Terrasse standen noch alle an ihrem Platz. Anscheinend hatte der maestrale in den letzten Wochen nicht so extrem gewütet wie sonst.
Wir hatten, wie schon in den letzten Jahren, wieder geräucherte Lachsseiten aus Irland mitgebracht, wohl wissend, wie geschätzt gerade der Lachs hier im Süden ist, nicht nur von Giovanni und Gisella. Dieses Mal verabredeten wir uns zum gemeinsamen Lachsessen nicht nur mit ihnen, sondern auch mit unseren Freunden Pia und Gianni. Leider ging es Giovanni an diesem Abend gar nicht gut; er hatte sich eine influenza eingefangen und konnte das Essen daher gar nicht wirklich genießen.
Übrigens war Anka, das Mädel von Claudio, tatsächlich nicht mehr aus London zurückgekommen, und man konnte sehen, dass er immer noch darunter leidet wie ein Hund – sie wehrte offenbar auch alle weiteren Besuche seinerseits ab! Also, das war’s dann wohl mit der großen Liebe…
Kurz darauf wurde Gisella krank; sie hatte sich wohl von Giovanni anstecken lassen, und Pia und Gianni folgten einen Tag später mit den gleichen Symptomen. Zuletzt kam es soweit, dass wir am Silvesterabend nur zu zweit zum AgriturismoMarongiu fuhren.
Das Virus hatte sich aber in der ganzen Region massiv ausgebreitet, denn auch bei Marongiu trafen wir weitaus weniger Leute an als die Jahre zuvor. Viele Reservierungen waren kurzfristig abgesagt worden. Wie wir hörten, lagen wohl mehr als die Hälfte der Leute aus dieser Gegend mit Grippe im Bett. Leider schafften auch wir es letztendlich nicht, resistent dagegen zu bleiben und das Virus hatte uns zwei Wochen lang fest im Griff – zuerst, wie üblich, fing es bei Roberto an und danach war ich selbst dran. So gingen die ersten 3 Wochen im neuen Jahr vorbei, ohne dass wir wirklich etwas im Haus oder auf dem Gelände machen konnten!
Dafür arbeiteten wenigstens unsere ‚Steinkünstler’ an der Verkleidung der Veranda und der Einfahrt weiter (das Virus war anscheinend in der Gegend um Castiadas, wo die beiden zu Hause sind, bereits einige Zeit vorher ‚durchgezogen’). Inzwischen waren sie schon ein großes Stück weitergekommen, sodass in einigen Tagen eigentlich alles fertig sein könnte. Wir hatten uns mittlerweile ziemlich gut angefreundet. Zwar wollten sie nichts davon wissen, mit uns zu essen – sie hatten immer ihre Kühlbox mit einer Mahlzeit dabei - waren aber sehr glücklich, anschließend noch einen guten espresso zu bekommen.
An dem Tag, als sie endgültig fertig waren mit ihrer Arbeit, überbrachten sie uns eine Einladung zum Fest Sant’ Antonio in Annunziata am 19.1. abends. Es würde an diesem Tag zu Ehren des Schutzpatrons ein großes Feuer im Freien entzündet, und danach eine Bewirtung mit gegrillter salsiccia sarda sowie dem traditionellen Eintopf aus dicken, weißen Bohnen mit gekochten Schweine-Speckschwarten geben.
Wir machten uns also am Samstagabend rechtzeitig auf den Weg, gut eingepackt gegen die doch kühle Nachttemperatur. Den Sportplatz, wo das Fest steigen sollte, hatten wir rasch gefunden. Nebenan wurde im Sportheim noch fleißig gearbeitet: die meterlangen Bratwürste mussten in Abschnitte unterteilt und aufgerollt werden, damit man sie dann mit zwei Holzspießen über Kreuz zum Grillen fixieren konnte. Ich wurde ohne viel Aufhebens gleich zur Mithilfe eingeteilt. Mit dem Feuer im Freien war schon rechtzeitig begonnen worden, sodass nun die Glut unter dem großen Eisengrill bereit war, die salsiccia aufzulegen.
Als alle Arbeiten erledigt waren, ging das Fest los: alle, die mit Vornamen Antonio heißen, wurden angewiesen, die riesige, viele Meter hoch aufgetürmte Holzkonstruktion, deren Spitze mit einem Baumwipfel gekrönt und innen mit unterschiedlich großen Wurzelstöcken stabilisiert war, an verschiedenen Stellen gleichzeitig anzünden. Die Feuerwehr hatte sich ebenfalls in der Nähe postiert, was absolut richtig war angesichts der nach kurzer Zeit hoch aufschießenden Flammen.
Die Zuschauer, die sich gleich ganz vorne an der Absperrung aufgestellt hatten, mussten aufgrund der entstehenden Hitze immer weiter zurückweichen. Es war wirklich ein grandioses Schauspiel, zuzusehen, wie sich die Flammen immer weiter nach oben fraßen – ein gigantisches Feuer! Uns und auch allen anderen Anwesenden wurde es ziemlich warm dabei, und von der kühlen Temperatur war an diesem Abend kaum noch etwas zu spüren!
Später stand oder saß man dann, soweit die Sitzgelegenheiten ausreichten, in losen Gruppen beieinander und aß mit großem Appetit die gerollte Bratwurst oder den Bohnen-Speck-Eintopf. Natürlich fehlte weder Bier noch Wein. Sogar einige Flaschen selbstgebrannter Alkohol machten die Runde.
Zu guter Letzt gab es noch Schafskäse, den man über der Glut erhitzte, bis er schön weich war und dann auf dicken Brotstücken servierte - eine sardische Variante des Schweizer Raclette. Es wurde ein lustiger, sehr unterhaltsamer Abend, der uns auch viele neue Bekanntschaften bescherte… Erst gegen 4.00 h morgens machten wir uns endlich auf den Heimweg und hofften sehr, dass uns keine Polizeistreife erwischen würde, denn wirklich nüchtern war keiner mehr …
Ab Mitte Januar wurde es auch hier im Süden um einiges kälter - es fühlte sich so ähnlich an wie ‚Winter’… Bei Temperaturen von nur 12 – 15 Grad am Tage und 6 – 10 Grad nachts haben wir tatsächlich gefroren – offensichtlich waren wir schon zu angepasst an das normalerweise warme Klima hier. Immerhin dauert der ‚Winter’ hier im Süden nur 2 Monate.
Die Feigen und der Granatapfelbaum verlieren ihre Blätter je nach Temperatur und Wind normalerweise erst Mitte/Ende November, oft auch erst Mitte Dezember und treiben dann schon Mitte/Ende Februar wieder aus. Alle anderen Büsche und Bäume, die wir hier auf dem Grundstück haben, wie Oliven, Oleander, nesbolla, die Büsche des lentischio und die wilden Olivenbäume (olivastri) behalten ihr Laub und sind im Winter sogar noch schöner und satter in der Farbe, weil sie genügend Feuchtigkeit haben und nicht nur von der vergleichsweise ‚mageren’ automatischen Bewässerung leben müssen.
Was uns noch fehlte, waren ein paar Mandelbäume – diese verlieren zwar im Winter ihre Blätter, aber bereits Ende Januar fängt hier die Mandelblüte an und die Bäume strahlen dann mit ihrem üppigen Weiß weithin in der Landschaft.
Um diese Zeit war also die Mandelblüte hier bereits in vollem Gange, und ich konnte mich daran kaum satt sehen. Auf einem der Nachbar-Grundstücke gab es zwar einige Mandelbäume; die meisten davon ziemlich ungepflegt und dadurch ziemlich dürr und mit wenigen Blüten, aber einer davon unterschied sich auffallend von den anderen: er könnte es mit jedem Brautkleid aufnehmen. Und diesen Baum konnten wir von unserer Terrasse aus sehr gut sehen und bewundern!
Ich wollte unbedingt ein paar Fotos von dieser Blütenpracht machen, und so fuhr ich an ein paar Grundstücke in der Umgebung, wo mir ganze Mandelplantagen mit 50 und mehr Bäumen aufgefallen waren. Hier konnte ich nahe genug herankommen und Bilder von den schönsten Exemplaren und auch eine Nahaufnahme von einem Zweig mit wunderschönen Blüten machen. Mit solchen Fotos konnte ich meine Freundin in München, meine Tochter oder die Kolleginnen in der Firma ziemlich neidisch machen, und alle konnten sie sehen, wie schön es jetzt um diese Jahreszeit hier schon ist ….
Immer wieder wurden wir in diesen Wochen von Freunden zum Essen eingeladen, und es war an der Zeit, endlich angemessene Gegen-Einladungen unsererseits auszusprechen. Ich versuchte mich an verschiedenen Rezepten, sowohl aus der einheimischen Küche, als auch anderen leckeren Gerichten, die sie weniger kannten, um beim Besuch entsprechend Eindruck zu schinden und bella figura zu machen. Schließlich waren viele unserer Freunde nicht nur neugierig auf unser Haus und die Einrichtung, sondern auch auf meine Kochkünste…
So wurde nun in unserer gemütlichen, großen Wohnküche mit den Schränken aus Naturholz, einem großen runden Tisch und einladenden, breiten Korbsesseln unter einer warm anmutenden, rustikalen Holzdecke oft stundenlang gegessen und diskutiert. Dies waren Abende völliger Entspannung, und es wurde dabei ziemlich viel gelacht, manchmal auch aufgrund sprachlicher Unzulänglichkeit. Aber für weitere Fortschritte in der italienischen Sprache war es immer ein Gewinn, und sogar einige sardische Ausdrücke konnte ich dabei lernen.
Der Winter, obwohl ziemlich mild, hatte uns Anfang Februar immer noch im Griff. Trotzdem war es langsam aber auch an der Zeit, nochmals eine Ladung Kies kommen zu lassen, um den Bereich um unser Haus herum fertig stellen zu können. Wir warteten damit, bis es für einige Tage sonnig und trocken war. Dann arbeiteten wir gemeinsam schnell und zügig, damit innerhalb eines Tages in der Einfahrt alles verteilt werden konnte – mit Schaufel und Rechen haben wir uns jeweils abgewechselt, damit keiner von uns stundenlang die gleiche Belastung für Rücken oder Arme hatte. Farblich war der Kies trotz Absprache anders ausgefallen, aber letztendlich passte er eigentlich besser zu den Natursteinen.
Zusätzlich benötigten wir noch eine ordentliche Ladung Erde sowie Sand, um damit den Platz vor dem geplanten Barbecue entsprechend aufzufüllen. Oberhalb davon mussten wegen des Gefälles noch Stufen eingebaut werden, was aufgrund der Proportionen und der glatten Fläche auf mindestens einer Seite ganz bestimmte Steine erforderte. Von dieser Sorte hatte ich allerdings zu wenige bei uns gefunden, sodass ich nur einen Teil fertig machen konnte. Mittlerweile gab es auf unserem Grundstück einfach zu wenig passende Steine für die
verschiedenen Vorhaben. Aber immerhin konnte ich dafür mit dem Gehweg weitermachen, da dort kleinere, flachere Steine genügen. Außerdem musste im Garten oben weitere Erde aufgefüllt werden, um das Gelände anzugleichen.
Der von mir in ‚Trockenbauweise’ errichtete Brunnen aus Natursteinen war eines Tages plötzlich an einer Seite eingefallen; es sah ziemlich merkwürdig, aber irgendwie fast ‚künstlerisch’ aus und erinnerte an einen zeitlosen Zustand des Zerfließens, ähnlich wie bei den Bildern von Dali mit seinen ‚zerflossenen’ Uhren. Anscheinend war meine Kunstfertigkeit im Bauen von Trockenmauern doch noch nicht ausgereift - aber der Nixe und dem Frosch am Brunnenrand gefiel es trotzdem…
Irgendwann würde ich es eben nochmals versuchen, vielleicht brauchte ich einfach idealere Steine dazu!
In den Wintermonaten mussten wir das Frühstück leider meistens im Haus einnehmen und die Sicht auf die Landschaft und das Meer von drinnen genießen. Aber an diesem Morgen gab es eine ungewöhnliche Überraschung: direkt vor dem bodentiefen Küchenfenster stolzierte auf dem Pflaster ein großer hellbrauner Vogel mit schwarzen Streifen an beiden Seiten und einem ‚Häubchen’ aus Federn auf dem Kopf umher. Es war ein Wiedehopf! Nachdem wir nicht zu nahe ans Fenster gingen, lief er unbefangen hin und her, und wir konnten durch die Scheiben sogar Fotos machen. So nahe hatte ich diesen Vogel noch nie gesehen! Wir konnten ihn während des ganzen Frühstücks beobachten, bevor er dann auf einmal doch wegflog. Später konnte ich aber sehen, dass er immer noch auf dem Gelände war und zwischen den Olivenbäumen hin und her lief, um nach weiterem Futter zu suchen.
Seit einiger Zeit hatte sich zu meinem großen Leidwesen eine ganz bestimmte Unkrautart massiv ausgebreitet; eine Art Gras, das aber sehr hart ist und unter- sowie oberirdisch waagrecht viele Ausläufer ausbildet, wie ein großes Geflecht. Es ist mit normalen Methoden oder manuell kaum auszumerzen - allein, um es etwas einzudämmen, braucht es viel Geduld. Um die Olivenbäume herum hatte ich soviel wie möglich entfernt, auch anderes hartnäckige Unkraut mit den Wurzeln ausgerissen und die wilden Triebe abgeschnitten.
Die potatura, also das Ausschneiden der Olivenbäume, damit der richtige Wuchs und die gewünschte Form erreicht wird, überließen wir dem ‚Olivenfriseur’ (natürlich nannten wir ihn nur unter uns so zum Spaß), einem älteren Mann, den wir über Gianni kennen gelernt hatten und der über entsprechende Erfahrung verfügte.
Zwar kann man durch Zuschauen auch einiges darüber lernen, aber Übung und Erfahrung wird noch geraume Zeit in Anspruch nehmen. Jedenfalls habe ich ihm jeden Tag ‚Löcher in den Bauch’ gefragt, vor allem auch über die Behandlung von Krankheiten oder Schädlingen und über das richtige Düngen. Soweit möglich, wollte ich auch beim Ausschneiden etwas lernen. So versuchte er immer wieder, mein Interesse zu nutzen und mich bei jedem Baum vorher zu fragen, wo ich hier die Schere ansetzen würden – manchmal war’s tatsächlich richtig, aber ebenso oft lag ich natürlich total daneben. Wie er mir erklärte, wachsen die meisten Oliven an den ganz außen liegenden, neuen Trieben, wobei man dabei nicht außer acht lassen darf, dass es sogenannte ‚Wassertriebe’ gibt, die unbedingt abgeschnitten werden müssen – das sind meist diejenigen, die im inneren Bereich des Baums von den dickeren Zweigen aus gerade in die Höhe wachsen. Das konnte ich mir noch am ehesten merken…
Bei unseren 270 Bäumen dauerte die ganze Prozedur drei volle Tage, wobei wir das Sammeln und Wegräumen der frasca noch gar nicht mit eingerechnet hatten. Und nach der potatura waren wir auf den Rat des Experten hin zwei weitere Tage damit beschäftigt, concime (Dünger) für die Olivenbäume auszubringen. Als wir am Abend des zweiten Tages mit den letzten Bäumen fertig waren, schafften wir es gerade noch, alles aufzuräumen, bevor es heftig zu regnen anfing. Idealer konnte es allerdings gar nicht sein, um den Dünger gut in die Erde einzuschwemmen, denn es regnete auch noch am Tag danach wie aus Eimern…
Durch den Regen waren wir nun aber mit weiteren Arbeiten blockiert, und ich konnte erst nach einigen Tagen weitermachen. Die Orangenbäumchen mussten vom Unkraut befreit werden, und ich stellte erfreut fest, dass schon 4 Mandarinen und 5 Zitronen an den noch mageren Zweigen hingen – fast schon reif!
Zwei Orangenbäume waren allerdings ziemlich mickrig geworden – sie waren von einer Krankheit befallen, die dazu führt, dass die Blätter sich aufrollen und einen weißlichen Belag bekommen - offensichtlich war es uns trotz Behandlung nach wie vor nicht gelungen, die Krankheit einzudämmen. Ich hoffte sehr, dass sie nicht auch noch ganz eingehen würden.
In diesen trüben Tagen hatte ich wiederholt die kleine grau-braun getigerte Katze nahe der Veranda gesehen – meistens saß sie unter dem Oleanderbusch. Sie schaute ständig zu uns herüber, wenn wir draußen saßen, wagte sich von Zeit zu Zeit sogar immer wieder ein Stück hervor, ließ sich aber nicht streicheln. Wenn wir näher kamen, wich sie sofort einige Meter zurück oder verschwand ganz aus unserem Blickfeld.
Eigentlich wollten wir ja auch keine Haustiere, und so machte ich keine weiteren Versuche, sie anzulocken. Nach einer Weile, in der sie uns genau zu beobachten schien, war sie meist immer wieder verschwunden. Allerdings wurden die Intervalle, in denen sie sich nahe an die Veranda wagte, immer kürzer…
In den letzten Monaten hatten wir mehr oder weniger fast alle Steine vom Grundstück aufgesammelt, sodass ich mir von Andrea zweimal einen camioncino (kleiner Lkw) mit Steinen aus seinem ‚Vorrat’ bringen lassen musste. Durch seine Erdbewegungsarbeiten hat er nicht nur Sand und Erde sondern auch entsprechend viel Steine auf seinem Hof gelagert. Ich wollte auf das noch sichtbare, betonierte Fundament des Carports ringsum eine Reihe Steine als kleine Mauer setzen; außerdem brauchte ich noch zusätzliche Steine zur Fortsetzung der Einfassung vom Carport bis zum Haus.
Dieses Mal waren ganz schön schwere Brocken dabei, und es kostete viel Arbeit und Schweiß, sie passend zu setzen. Hätte Roberto nicht die gute Idee gehabt, irgendwann eine Sackkarre zu kaufen, wäre das Ganze noch viel mühsamer gewesen. Auf diese Art war es wesentlich leichter, die Steine zu bewegen anstatt sie in die umgelegte Schubkarre zu hieven und diese danach in aufrechte Position zu kriegen. Trotzdem konnten wir die größten Steine nicht einmal mit dem Sackkarren bewegen – wir mussten sie mit der Hebelwirkung einer schweren Eisenstange Zentimeter um Zentimeter auf den richtigen Platz bugsieren.
Als wir mit diesen Arbeiten fertig waren, hatten wir endlich auch Zeit, wie versprochen, sowohl Antenne als auch Schüssel bei Luigi und Ottavio, den beiden Hirten zu reparieren. Durch den starken maestrale (Westwind) hatte sich alles verschoben und verdreht; teilweise waren Kabel sogar ganz abgerissen, und sie konnten ihre Programme nicht mehr gut und manche gar nicht empfangen. Und ein Italiener oder auch Sarde kann ohne Fernsehen ja nicht leben.
Wie sich herausstellte, nahmen die Reparaturarbeiten wesentlich mehr Zeit in Anspruch als vorhergesehen. Letztlich waren wir insgesamt an 3 Tagen einige Stunden damit beschäftigt, bis alles neu befestigt, die Satelliten gefunden und die Programme wieder entsprechend eingestellt waren. Wenn ich dabei nicht helfen konnte und es mir langweilig wurde, beschäftigte ich mit damit, das Gelände weiter oben näher in Augenschein zu nehmen und nach passenden Steinen zu suchen. Dabei fiel mir eine Stelle auf, wo offensichtlich einmal ein tomba di gigante (Gigantengrab aus der Nuraghenzeit) gewesen war – die Reste zeugten eindeutig noch davon.
Einige schöne Steine mit der begehrten muffa (Schimmelpilz) hatte ich ebenfalls nicht weit davon entfernt gefunden und gleich danach auf den Pickup geladen. Der Versuch, auf dem Rückweg zu unserem Grundstück einmal den anderen Weg von den Hirten aus zu benutzen, wäre fast zu einem Fiasko geworden, denn er war teilweise derart schlecht, dass es selbst mit dem zugeschalteten Allrad-Antrieb problematisch war.
Zwangsläufig führte nach den Reparaturarbeiten als kleines Dankeschön kein Weg an einer Einladung zum Essen bei den beiden Ziegenhirten vorbei. Wir fuhren also am Sonntag gegen Mittag nach oben und trafen dort auf zwei mit Luigi befreundete Fischer, die aus den mitgebrachten Zutaten eine Suppe nach Art der französischen Bouillabaisse zauberten. Für uns war es überraschend, denn bisher hatten die Hirten immer gesagt, dass sie nichts aus dem Meer essen würden…Die Fischsuppe war sehr lecker – allerdings etwas mühsam zu essen, da man ständig Gräten aussortieren musste.
Aber schon der nächste Gang lief wieder auf das bei den Hirten Gewohnte hinaus: ein maialetto (Spanferkel) kam auf den Tisch, und auch der selbst gemachte Käse im Ziegenmagen durfte nicht fehlen (den sardischen Namen konnte ich mir nie merken). Er ist etwas ‚streng’, sehr würzig, schmeckt aber gut.
Wie üblich wurde zu diesem ausgiebigen Essen ein einfacher, aber guter und ehrlicher, roter Bauernwein konsumiert, und das auch nicht zu knapp. Als ob das alles noch nicht genug gewesen wäre, kamen auch noch dolci auf den Tisch. Wir verbrachten tatsächlich 7 Stunden bei den Hirten mit Essen und Trinken und waren anschließend richtig müde, sodass wir an diesem Tag relativ früh zu Bett gingen.
Wieder einmal verfolgte mich nachts mein Traum, in dem ich mich in einem alten, fast verfallenen Haus mit einem Turm befand. Es war überall in den Räumen ziemlich dunkel, und als ich durch ein offenes Fenster nach draußen sah, flog gerade ein Nachtvogel, vielleicht eine Eule, krächzend auf. Die ganze Situation erschien mir mehr als unheimlich. Den alten Mann, der sogar schon einmal zu mir gesprochen hatte, konnte ich auch dieses Mal in dem großen Garten mit den vielen alten Olivenbäumen nicht finden. Dafür entdeckte ich hinter einer niedrigen Mauer plötzlich eine kleine, graubraun getigerte Katze, die mich mit glühenden Augen ansah, zuerst noch etwas abwartete, dann aber schnell hinter großen Büschen verschwand. Wie immer, wenn ich nach diesem merkwürdigen Traum aufwachte, hatte ich ein seltsames Gefühl…
Als ich am nächsten Vormittag auf der Veranda war, sah ich wieder die kleine Katze, die der im Traum ziemlich ähnlich war.
Sie wagte sich dieses Mal schon näher heran und maunzte mich sogar an. Kaum versuchte ich aber, zu ihr zu gehen, wich sie wieder zurück und versteckte sich unter dem Oleanderbusch hinter den Steinen. So ging das Spielchen mehrmals hin und her, bis sie wieder hinter dem Haus in den Büschen des lentischio verschwand. Aber am Nachmittag war sie schon wieder da, und so ging es dann ein paar Tage lang.
Bei meinem nächsten Einkauf besorgte ich doch tatsächlich ein bisschen Katzenfutter und einen kleinen Napf aus glasierter Terracotta. Ich stellte ihn danach gefüllt auf die Veranda. Es dauerte nicht lange, und die kleine Katze machte sich über das Futter her – zwischendurch allerdings immer noch etwas misstrauisch in meine Richtung blickend… Und nun kam sie jeden Tag, um sich ihr Futter abzuholen. Nach ungefähr einer Woche lief sie auch nicht mehr davon, wenn ich vorsichtig versuchte, mich ihr zu nähern und einmal ließ sie sich sogar streicheln. Offenbar hatte sie in den vorangegangenen Wochen schon etwas Vertrauen in uns gewonnen und keine so große Angst mehr.
Wir wollten nun aber endlich mit unseren angefangenen Arbeiten fertig werden und die noch wenigen hinter dem Haus herum liegenden Steine platzieren, damit der restliche Kies im Carport und neben dem Haus verteilt werden konnte. Wie ich schon befürchtet hatte, reichte er allerdings nicht aus, sodass ich eine weitere Ladung bestellen musste – hoffentlich würden sie mir dieses Mal wieder die gleiche Farbe bringen, sonst wird’s einen Flickenteppich geben…
Auf der Rückseite des Hauses im Nordwesten wollte ich eigentlich noch einen Oleander oder andere blühende Pflanzen vor das Verandafenster setzen, aber ich war mir nicht sicher, ob der schattige Standort ideal ist. Die Sonne gelangt erst im Sommer, wenn sie hoch steht, an diese Stelle. Vielleicht wäre es besser, diese Pflanzen und Blumen in den Töpfen zu belassen, dann wäre ich flexibler, was den Standort angeht. Allerdings bräuchte ich dafür dann jemand zum regelmäßigen Giessen, wenn wir nicht vor Ort sind.
Aber inzwischen hatten wir ja auch noch eine Katze zu füttern, die schon so daran gewöhnt war, bei uns immer etwas zu fressen zu finden. Es dauerte übrigens keine zwei Wochen, dann wagte sich eine zweite Katze an den Futternapf. Die Fellfärbung war ähnlich wie bei ‚Bommerle’ (so hatte sie Roberto genannt, weil sie im Garten und auf der Terrasse ständig hinter mir drein lief), aber die Musterung war schöner und die Flecken im Fell größer, fast wie bei einem Leoparden. Auch von der Statur her war die Katze wesentlich größer und stärker. Eines Tages konnten wir feststellen, dass es ein Kater war – wahrscheinlich der Bruder, denn bestimmte Stellen in der Fellmusterung waren komplett identisch. Sie vertrugen sich auch gut, aber ‚Moritz’, wie wir ihn tauften, war lange Zeit viel scheuer gegenüber uns.
Am 19.2. mussten wir aber erst einmal wieder zurück nach Deutschland, obwohl ich eigentlich 3 Monate hier im Süden bleiben wollte. Sowohl ein Besuch aus Moskau zwang mich zu dieser Reise als auch wichtige zu erledigende Post zuhause und einige dringende Besorgungen und Einkäufe für den Süden. Außerdem war bei uns beiden wieder einmal ein Friseurbesuch fällig, und weder ich noch Roberto hatten uns bisher einem lokalen Haarkünstler hier am Ort anvertraut.
Giovanni hatte sich freundlicherweise bereit erklärt, morgens den Katzen ihr Futter zu geben und auch, falls nötig, die Blumentöpfe mit Wasser zu versorgen. Damit hatten wir ein Problem weniger. Immerhin war es ja nur für eine knappe Woche. Wir wollten nämlich keinesfalls länger bleiben, um rechtzeitig wieder im Süden zu sein und mit allen Vorbereitungen fertig zu werden für den wohl bisher wichtigsten Besuch in unserem südlichen Zuhause: die ‚Kinder’ – also unsere Tochter mit ihrem Mann! Auf diesen Besuch hatten wir lange warten müssen – es war immer etwas dazwischen gekommen oder passte nicht mit unseren oder ihren eigenen Urlaubsplänen zusammen. Aber nun hatte es endlich zeitlich geklappt.
Für ihren ersten Aufenthalt bei uns hatten wir die beiden Aprilwochen vorgeschlagen, innerhalb derer auch die Sagra degli Agrumi, stattfindet; somit können sie das wichtigste Fest in Muravera, das Erntedankfest der Zitrusfrüchte, miterleben. Der Zeitpunkt war außerdem auch so gewählt worden, weil im April schon alles blüht und das Gelände noch grün ist.
Zwar waren es bis zu ihrer Ankunft noch fast 4 Wochen, aber es gab eine Menge zu tun, denn wir wollten ja den bestmöglichen ‚ersten Eindruck’ vermitteln. Auch die Dusche im oberen Stock sollte dann endlich bereit sein, damit die Gäste unten ungestört bleiben können.
Inzwischen blühte es im Garten bereits wieder überall verschwenderisch, weißer Ginster, die ‚Feuerteppiche’ des Hornklee und die sonnengelben, strahlenden Blüten einer Sukkulentenart, die man auch weit außerhalb des Grundstücks noch leuchten sieht. Schon oft wurde ich darauf angesprochen. Diese Blumenpracht im Frühling wird sicher auf unsere Besucher auch einen großen Eindruck machen…
Unsere Katzen Bommerle und Moritz hatten sich nun schon sehr gut eingewöhnt und inzwischen sogar einen Sitz- und Schlafplatz auf der überdachten Veranda bekommen - ganz hinten in der Ecke, wo sie von Wind und Wetter bestens geschützt sind. Beide nutzten diesen Platz nun immer öfter, vor allem, wenn es kühl und regnerisch war. Mittlerweile waren sie schon richtige ‚Hauskatzen’ geworden, auch wenn sie nicht ins Innere unseres Hauses durften. Und fleißige Mäusejäger waren sie auch, vor allem Bommerle – sie schleppte immer wieder eine Maus oder gar Ratte an; schließlich musste sie uns ja zeigen, wie gut und erfolgreich sie jagen konnte… Dafür wurde sie dann immer mit einem Leckerle belohnt! Sie liebte es auch, sich auf dem Boden zu wälzen, drehte sich immer wieder von einer Seite auf die andere und ‚erlaubte’ uns großzügigerweise, sie dann am Bauch ausgiebig zu kraulen.
In diesen Tagen gab es eine ungewöhnliche Überraschung:
Als ich am Morgen aus der Haustür trat, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen: hinter der Veranda auf der Nordostseite entdeckte ich einen Flecken mit nassem Schnee auf dem Kies; er war zwar höchstens einen halben Quadratmeter groß und genau betrachtet maximal 1 bis 2 cm hoch, aber äußerst verwunderlich – wir hatten hier bei uns in der Region noch nie Schnee gesehen…
Mitte März hatte ich mich endlich entschlossen, die Telefon- Nummer, die ich schon länger auf einem Zettel an der Türe des Blumengeschäfts gefunden hatte, anzurufen. Eine junge Frau suchte auf diesem Wege eine Arbeit, und zwar ausdrücklich im Haus und im Garten. Letzteres wäre sehr wichtig für mich, vor allem auch, wenn wir verreisen müssen.
Sie kam noch am gleichen Tag mit ihrem Freund in einem alten, klapprigen 500er Fiat, bei dessen Zustand ich Angst hatte, er würde auf dem schlechten Weg zu uns sicher gleich zusammenbrechen.
Aber offensichtlich war er trotzdem noch gut in Schuss – er gehörte ihrer Mama!
Mein erster Eindruck von den beiden war sehr gut, sie waren mir und auch meinem Mann absolut sympathisch, und wir einigten uns auf einen Start in der darauf folgenden Woche. Ideal war, dass bei Bedarf auch ihr Freund kommen konnte, um schwerere Arbeit zu erledigen, vor allem auf dem Gelände.
Die Katzen allerdings reagierten zuerst mit Flucht – denn Franca hatte einen Schäferhund namens Garibaldi mitgebracht… Aber da er immer irgendwo in ihrer Nähe blieb und sie ihn notfalls auch für einige Zeit an einem Baum anbinden konnte, erledigte sich das Problem für die Katzen nach einiger Zeit von allein.
Am Tag vor Ankunft unserer ‚Kinder’ schickte ich die Handwerker, die für den Sockel am Haus noch weitere Natursteinplatten verlegen sollten, nach Hause, weil ich keine Baustelle hier haben wollte während dieses ersten Besuchs – schließlich gibt es bekanntermaßen für den ersten Eindruck keine zweite Chance…
Außerdem besorgte ich noch zwei Töpfe mit Hibiskus sowie einen kleinen Orangenbaum mit Früchten und Blüten, die ich alle am Eingang zum Carport und vor dem Haus platzierte. Das würde gleich beim Eingang schon das richtige südliche Ambiente vermitteln.
Meine neue Putzhilfe Franca brachte Haus und Veranda auf Hochglanz und unsere sardischen Freunde feixten mittlerweile schon, ob wir wohl das Präsidenten-Ehepaar erwarten…
Aber ich war richtig aufgeregt, denn es war schließlich der erste Besuch von Christina und ihrem Mann, und wir wollten beiden mit allem zeigen, wie schön es hier ist und warum wir uns hier so wohl fühlen, dass wir sogar unserer alten Heimat ‚ade’ sagen wollen.
Nachdem ich die beiden mittags vom Flughafen abgeholt hatte, beschloss ich, auf der Küstenstrasse entlang zurückzufahren, um den beiden gleich eine der schönsten Seiten Sardiniens zu zeigen. Sie waren absolut begeistert und konnten sich kaum satt sehen an den unterschiedlichen Farben des Meeres, von Hellblau über Dunkelblau und Türkis, an den weißen Stränden und an der malerischen Küste, wo die Häuser geradezu eingebettet waren in die blühende macchia. Als Kakteenfan konnte sich Christinas Mann kaum noch einkriegen, als er die Unmengen an Kaktusfeigen entlang der Strasse und auf den Hügeln sah.
Zuhause angekommen in unserem eigenen Paradies war die Überraschung bei den beiden ziemlich groß, denn sie hatten sich sowohl das Gelände als auch das Haus viel kleiner vorgestellt. Beeindruckt waren sie auch von der Blütenpracht um diese Zeit, wo in der alten Heimat aufgrund des langen Winters kaum etwas grünt und blüht.
Sie erkundeten sofort das ganze Gelände und stellten Fragen über Fragen zu den gepflanzten Blumen und Büschen, zu den Sträuchern der mediterranen macchia und den wilden Olivenbäumen, zu unseren Nachbarn, zu den Hirten, den Ziegen, etc.
Unsere Katzen waren anfangs wie üblich nicht besonders begeistert von neuen Besuchern und ließen sich daher für eine Weile gar nicht mehr blicken. Aber Bommerle war dann doch zu neugierig, und es dauerte nicht lange, bis sie wieder auftauchte – kurz darauf erschien auch Moritz auf der Bildfläche. Anfassen ließen sie sich aber von den beiden Besuchern noch nicht…
Am späten Nachmittag machten wir es uns dann auf unserer Terrasse gemütlich, und wir saßen bis in den späten Abend hinein bei sardischen Köstlichkeiten, die sie zum großen Teil noch gar nicht kannten, obwohl sie vor Jahren schon einmal auf Sardinien waren. Und selbstverständlich wurde zu den aufgetischten Spezialitäten zuerst ein würzig-fruchtiger Vermentino und später ein guter sardischer Rotwein, ein Cannonau aus der Cantina Santadi serviert. Die fregola allo scoglio (mit Garnelen, Tintenfisch und Muscheln) fand nach diversen Vorspeisen aus dem Meer besonderen Anklang, derkurz gegrillte pesce spada alla carlofortina (Schwertfisch mit Tomaten und Zwiebeln) war wirklich ein Gedicht und zerging auf der Zunge (da muss ich Roberto loben, der ihn immer auf den Punkt hinbekommt, damit er zart und saftig bleibt). Anschließend gab es eine Käseplatte mit frischem Ziegenkäse sowie einem mittelreifen caprino und einem guten pecorino aus unserem Gebiet. Süßes konnten wir dann leider nicht mehr unterbringen – nur noch je einen espresso (außer mir, weil ich den so spät nicht mehr vertrage), und danach verkosteten wir einen Pirastru zur Verdauung (dieses Destillat aus wilden, sardischen Birnen hatte ich erst kürzlich in einem Laden entdeckt).
Trotz verschiedener Vorschläge zum Programm der nächsten Tage und möglichen Besichtigungen wollten sie bei ihrem ersten Besuch gar nicht weiter wegfahren, sondern zogen es vor, nur Ausflüge in die nähere Umgebung zu machen, am liebsten zu Fuß. Es interessierte sie einfach, wo und wie wir hier leben und in welcher Umgebung wir uns überwiegend bewegen.
Selbstverständlich war der Besuch bei den Hirten am nächsten Tag ein absolutes ‚Muss’, nachdem ich ihnen vom Besuch unserer Tochter erzählt hatte. Als wir oben eintrafen, war Ottavio noch im Stall und Christina konnte gleich die neugeborenen Zicklein anschauen. Luigi hatte das Fleisch fürs Essen zwar schon auf dem Spieß, und auch das Feuer im Kamin brannte, doch die Glut war noch nicht ausreichend, und wir mussten erst noch Holz nachlegen. Deshalb schlug ich unseren beiden Jungen vor, am besten in der Zwischenzeit noch einen Spaziergang zu machen und den Weg, der hinter dem Haus der Hirten weiter nach oben bis fast zum Gipfel des Hügels führt, auszukundschaften.
Denn wie es aussah, waren wir fast 2 Stunden zu früh dran - Christina hatte angesichts des Zustands der Fleischstücke auf dem Spieß schon Bedenken, dass sie es halbroh würden essen müssen. Ich konnte sie aber beruhigen, denn auch die Hirten wollen ihr Fleisch gut durchgebraten essen…
Als sie nach 1 ½ Stunden wieder zurückkamen, meinte unsere Tochter, dass man von oben eine sehr gute Rundum-Sicht gehabt habe, besonders natürlich auch auf die darunter liegenden Grundstücke. Unser Gelände hätten sie sofort unter all den anderen erkannt, weil die ganze Anlage so ordentlich und gepflegt wirke und die Bäume und Büsche alle ‚in Reih und Glied’ stünden.
Mittlerweile konnten wir auch mit dem Essen anfangen, und die beiden waren von Geschmack und Qualität des arrosto von Zicklein und Spanferkel vom Spieß sehr angetan. Mit frischen Gurken und Tomaten sowie Brot und Wein und dem typischen Käse der Hirten, der in einem Ziegenmagen heranreift und ziemlich kräftig bis pikant ist, war es schon ein ordentliches Festmahl. Die Hirten waren sehr zufrieden, zu sehen, wie es unseren ‚Kindern’ schmeckte – nur mit der Verständigung war es mangels entsprechender Italienischkenntnisse etwas schwierig. Trotzdem waren wir erst gegen 18.30h wieder zu Hause. Zu essen brauchten wir selbstverständlich nichts mehr an diesem Abend.
Am darauf folgenden Tag fuhren wir rechtzeitig nach Muravera, um uns einen guten Parkplatz zu sichern. Zur Sagra degli Agrumi kommen viele Besucher aus nah und fern und die Parkplätze werden dann rar. Zum Umzug der Festwagen konnten wir wieder auf den Balkon von Marco’s Haus in der Hauptstraße gehen. Giovanni hatte sogar ein paar Klappstühle organisiert für diejenigen, die vielleicht müde wurden und nicht mehr stehen konnten, speziell aber für seine Frau. Auch Pia, Gianni und Carlo, der Bruder von Pia waren dabei. Carlo hatte seine Profi-Kamera dabei und wollte entsprechende Bilder machen, u.a. auch für die lokale Zeitung ‚Voce Sarrabus’ und die regionale ‚Unione Sarda’ (er ist selbständiger Fotograf).
Die Sagra degli Agrumi war wieder genauso ein interessantes Erlebnis wie in den Jahren zuvor; ich hatte sogar den Eindruck, dass dieses Mal noch mehr Folklore-Gruppen und Wagen dabei waren als beim letzten Mal. Die Reiter auf ihren geschmückten Pferden, die vielen verschiedenen, traditionellen Trachten aus allen RegionenSardiniens, die Launedda-Spieler und die mammuthones mit ihren wilden Masken, den dicken Fellwesten und den schweren Schellen auf dem Rücken waren schon beeindruckend. Das Spektakel dauerte fast zwei Stunden. Nach Beendigung des Umzugs versuchten wir, schnell zu unserem Auto zu kommen und wieder zurück zu fahren, denn Lydia und Enrico hatten uns zu deren großem Familienfest für ein Mittagessen eingeladen. Nach und nach trafen etwa 80 Personen ein, darunter nicht nur die Familienangehörigen und sämtliche Verwandten und Freunde aus der Umgebung, sondern auch die Mitarbeiter vom Supermarkt und vom Campingplatz, soweit sie schon für den Saisonbeginn anwesend waren. Das Essen wurde im Restaurant des Campingplatzes Quattro Mori gegeben, und wir fanden uns bei der Sitzordnung plötzlich an der Stirnseite der U-förmig aufgebauten Tafel wieder, wo Enrico und seine Familie nebst ihren Söhnen und der Tochter Platz genommen hatte. Es wurden antipasti mare e terra in einer Vielfalt aufgetragen, dass wir aus dem Staunen gar nicht herauskamen, danach zweierlei pasta sowie diverse Fischund Fleischgerichte. Das Dessert konnten wir nur noch mit Mühe schaffen. Wir trafen hier auch Cecilia, die Schwester von Enrico und Errante, ihren Mann, die sich freuten, uns wieder einmal zu sehen. Sie haben ein großes Grundstück mit Bungalow an der Costa Rei auf den Hügeln mit atemberaubender Aussicht aufs Meer und die felsigen Inseln. Zusammen mit Lydia hatten wir die beiden dort einmal besucht und waren sehr beeindruckt gewesen.
Nach dem mehrstündigen Essen hatten wir alle das Bedürfnis, uns wenigstens ein bisschen zu bewegen, und so beschlossen wir, zusammen mit unserer Tochter und deren Mann noch auf ‚unseren’ Nuraghen hinaufzuwandern. Den Schotterweg bis zum Forstamtsposten hatten wir schnell hinter uns gebracht.
Durch ein Tor gelangt man dann auf einen relativ steilen Weg, der noch fahrbar ist, bis zu einem kleinen, hübsch angelegten Plateau mit Steinbänken, von dem aus man eine herrliche Aussicht genießen kann. Danach geht es nur noch auf einem schmalen Ziegenpfad weiter, der zuletzt auch ein wenig Klettern erfordert, bis man ganz oben am Nuraghen ankommt.
Die Aussicht ist dort natürlich noch gigantischer; man kann praktisch einerseits bis weit hinter Porto Corallo und andererseits bis Feraxi und Capo Ferrato alles überblicken.
Für den letzten Tag des Besuchs hatten wir uns einen Ausflug vorgenommen, der uns über Capo Ferrato hinaus an der Küste entlang bis Porto Pirastu führte, wo wir auf den flachen, glatten Felsen ein ganzes Stück weit ins Wasser gehen bzw. von Fels zu Fels springen konnten. Die Stimmung war ausgelassen, und es wurden eine Menge Fotos zur Erinnerung gemacht sowie unterschiedlichstes Strandgut aufgesammelt.
Abends hatten wir einen Tisch im Restaurant Elisabeth in San Priamo gebucht, das für seine gute Küche, besonders Fische und Krustentiere, bekannt war. Als obligatorische Vorspeise gab es dort wie immer eine riesengroße Platte mit cozze und arselle (Mies- und Herzmuscheln) in einem pikanten Sud aus frischen Tomaten, Petersilie, Chilischoten und Unmengen Knoblauch. Das verlangte natürlich nach entsprechend viel Vermentino dazu. Danach wurde eine Platte mit gegrillten orate, spigole, calamari und gamberi (Brassen, Wolfsbarsche, Tintenfische und Garnelen) gebracht und dazu noch ein großer Teller mit gegrilltem Gemüse. Unsere Kinder waren ganz hingerissen von der Menge der leckeren Sachen auf dem Tisch, aber letztendlich wurde alles aufgegessen, und es blieb sogar noch Platz für ein typisch sardisches Dessert: sebadas, ein in Fett ausgebackener Riesenraviolo, gefüllt mit ricotta dolce und überzogen mit flüssigem Honig (leider hatten sie keinen corbezzolo, den berühmten, dunklen Bitter-Honig, der aus den Pollen des Erdbeerbaums entsteht - damit hätte das Ganze noch leckerer geschmeckt).
Am darauf folgenden Tag kochten und grillten wir gemeinsam bei uns zuhause – mittags gab es parasangue (Zwerchfell/Muskelfleisch) vom Kalb mit viel frischem Gemüse, und abends brutzelten wir unsere Fische: frische spigole oder auch branzini genannt (zwei verschiedene Namen für den Seewolf oder Wolfsbarsch), mariniert und gefüllt mit frischem Thymian und Rosmarin aus dem Gartenund unserem speziellen sale di pescatore (Meersalz, gewürzt mit diversen Kräutern und ein wenig peperoncino). Dazu reichten wir einen spritzigen Vermentino. Sardischer Ziegen- und Schafskäse rundete das Essen ab.
Der Duft von Fleisch und Fisch hatte natürlich auch unsere Katzen angelockt, aber da sie nie etwas direkt vom Tisch bekommen, betteln sie nicht und bleiben auch auf Distanz. Sie haben ihren eigenen Futterplatz – weit weg vom Tisch auf der Veranda … Christina war beeindruckt, wie gut das funktionierte – kennt sie doch andere Gewohnheiten von Katzen in ihrer Umgebung zuhause…
Die Tage vergingen leider viel zu schnell, und schon musste die Abreise vorbereitet werden. Die beiden waren richtig traurig, als sie am letzten Tag wieder zum Flughafen gebracht wurden. Auf der Fahrt am Meer entlang konnte sich Christinas Mann gar nicht satt sehen und jammerte den vergangenen, schönen Tagen hinterher.
Endlich war es so weit, und wir begannen unsere Pläne, was die Erweiterung des Hauses anging, in die Tat umzusetzen und den neben unserem Haus auf dem abschüssigen Gelände geplanten Keller zu bauen. Allerdings hatten wir nur eine Genehmigung für die Sanierung der Innenwände bzw. der Risse in der Mauer des Hauses bekommen, denn aufgrund der geltenden rigiden Gesetze innerhalb der 2 km-Zone zum Strand war fast alles an Bauvorhaben total blockiert worden.
Auch unser Versuch, wenigstens zwei Stützmauern außen am Haus von der Kommune genehmigt zu bekommen, war gescheitert. Der geometra sagte uns, dass wir diese Mauern besser dann in einem nächsten Schritt – also nach einer gewissen Frist - offiziell beantragen sollten. Mit weiteren Bauaktivitäten müssten wir aber auf alle Fälle noch warten.
Wir hatten wirklich lange Zeit hin und her überlegt, was wir machen sollten. Letztendlich beschlossen wir dann aber gemeinsam, zusätzlich zu den Stützmauern gleich auch eine Bodenplatte und die vordere Mauer sowie die Decke mitzumachen, wenn schon schwere Maschinen anrücken würden. Zwar wurden wir von mehreren Seiten gewarnt, aber wir hatten gehört, dass die einzigen Denunzianten in den uns erzählten bisherigen Fällen hier in der Nähe angeblich immer nur die Hirten waren. Wir waren uns 100 %ig sicher, dass die uns ganz bestimmt nichts anhaben wollen!
Bei einem unserer Mittagessen bei den Hirten oben hatten wir vor Wochen Gigi, einen Maurer kennengelernt. Er besitzt ein kleines Baugeschäft, das er zusammen mit einem Bruder und seinem Sohn betreibt, und ich hatte ihn darum gebeten, uns demnächst ein Angebot für unseren geplanten Keller hinter dem Haus zu machen. Er war uns sehr sympathisch, sprach einigermaßen gut deutsch (was durchaus auch für uns von Vorteil war für einen Bauauftrag) und er hatte, was den Ausschlag gab, in Deutschland seinen Meister im Maurerhandwerk gemacht. Das Projekt schien für uns so eher auf soliden Füßen zu stehen, und er war zudem nicht ängstlich, was die nicht vorhandene Baugenehmigung anging…
Das Angebot war kostenmäßig in Ordnung gewesen, der Zeitplan ebenso, und nun war es also endlich soweit – es konnte losgehen. Ein Verwandter von Gigi war von ihm beauftragt worden, den Aushub vornehmen, und schon nach kurzer Zeit türmten sich mehrere Erdhaufen auf der Westseite in unserem Garten. Die dort gepflanzten Olivenbäumchen hatten wir schon zuvor großteils versetzt.
Roberto hatte bei dieser Gelegenheit die alte, verrostete Beton-Mischmaschine, die wir vor einiger Zeit zwischen zwei großen Büschen des lentischio versteckt hatten, wieder entdeckt, und Gigi half ihm, sie herauszuziehen. Ein echt antikes Stück! Keine Ahnung, wie lange sie eigentlich schon in unserem Gelände war, aber dem Zustand nach war sie bestimmt mehr als 30 Jahre alt… Wir fragten Gigi, ob er sie nicht für uns entsorgen könnte. Er überlegte dann, dass er sie vielleicht an den Eingang seines Grundstücks auf dem Land stellt – schließlich weist das alte Stück ja auf seine Zunft hin…
Am Tag darauf wurden die Eisenarmierungen in der Baugrube verlegt und danach gleich die Betonmischer organisiert. Aufgrund der nötigen Menge an Beton mussten sie mehrmals, teilweise sogar zu zweit, anrücken. Die Lage der Baustelle machte es erforderlich, dass sie nur beim unteren Tor einfahren konnten. Außerdem benötigten die Fahrzeuge einen extra langen ‚Rüssel’, um überhaupt den Beton bis zu der ausgehobenen Baugrube zu bringen. Leider war es auch unumgänglich, so nah wie irgend möglich in meinen vorderen schon angelegten Garten zu fahren. Als die Vorderreifen des Betonmischers schon die Zweige des Rosmarinstrauches touchierten, hätte ich fast die Krise gekriegt!
Die Arbeit ging mit Gigi und seinen Männern gut voran. Nach unseren Vorgaben wurde der Bau, was die Statik anging, so konstruiert, dass wir gegebenenfalls auch noch ein Stockwerk draufsetzen könnten – falls die bestehenden Gesetze wieder einmal gelockert würden…
Der Keller hatte laut Plan ganze 32 qm und war in zwei Räume aufgeteilt. Nach Westen hin hatten wir den Eingang vorgesehen, der dann um einiges tiefer liegen würde als das seitliche Gelände. Das bedeutete, dass wir beidseitig den Abhang mit großen Steinstufen würden stützen müssen. Wenn man diese Idee weiterführte, hieß das, den tiefer liegenden Weg bis zu der Stelle, wo er ebenerdig mit dem übrigen Gelände sein würde, auch mit Steinterrassen, die dann immer flacher auslaufen, zu versehen und entsprechend zu bepflanzen. Da der sardische Rosmarin sehr robust, schnell wachsend und zugleich ‚hängend’ ist, entschloss ich mich, größere Mengen davon bei der Gärtnerei zu besorgen und sowohl an den beiden Abhängen zwischen die Stufen als auch für den Weg aus dem Keller ins Gelände zu pflanzen. Ich fand sowieso, dass eine viel bessere Wirkung erzielt wird, wenn Büsche und Blumen von nur einer Sorte, aber dafür in größeren Mengen angepflanzt werden.
Aber damit musste ich noch warten, bis alles fertig gebaut und die großen Erdhaufen verteilt sein würden. Unsere Idee war, mit dem miniscavatore von Gigi die Erde Teil für Teil abzutragen und weiter nach unten schieben zu lassen, denn dort war das Gelände sehr uneben und teils sogar unzugänglich.
Wir ließen auch einige der Büsche des lentischio ganz herausreißen und konnten dadurch einen breiten Weg bis hinunter zum untersten Teil des Geländes schaffen – die Mengen an Erde reichten auch, dort noch die letzten, tieferen Stellen aufzufüllen. An der Oberfläche gab es allerdings nun wieder überall größere und kleinere Steine, die wir aufsammeln mussten. Wir waren froh, dass wir damit die beiden jungen Leute, Franca und ihren Freund, beschäftigen konnten…
Mitte Juni war dann endlich auch die Betondecke auf dem Keller fertig und gegen Nässe von oben abgedichtet. Wir legten meterlange, grüne Bahnen aus wasserfestem und UV-resistentem Kunststoffgewebe darüber, damit man nicht auf dem Bitumen laufen musste, und mit den übrigen Natursteinplatten legte ich einen kleinen ’Weg’ darauf aus. Dann wurden die beiden Sonnenliegen platziert und fertig war unsere neue Dachterrasse! Annegret würde bei ihrem Besuch im Juli sicher Augen machen, wenn sie zum Bräunen ihre Alu-Liege nun nicht immer wieder aus dem Schatten in die Sonne tragen muss, sondern den ganzen Tag die sonnige, hintere Terrasse mit den Teakliegen nutzen kann – einen großen Sonnenschirm hatten wir trotzdem bereit gestellt.
In diesem Jahr überraschte uns Annegret schon vor ihrem Eintreffen mit der Ankündigung, dass sie nach Jahren einen alten Freund wieder getroffen habe und fragte uns, ob wir einverstanden wären, wenn er sie hier ein paar Tage besuchen kommen würde. Es war schon einige Zeit her, dass er seine Frau verloren hatte und offensichtlich wollte er ein bisschen Abwechslung bei Freunden und Bekannten finden, was Annegret anscheinend ganz gut verstehen konnte.
Die erste Woche waren wir aber erst einmal zu dritt – da war die Welt noch absolut in Ordnung, obwohl es schon etwas anders war, als in den Jahren, in denen wir beide immer allein für uns waren. Man musste in manchen Situationen doch mehr Rücksicht aufeinander nehmen und sowohl sie als auch wir konnten uns im Haus nicht ganz so ‚frei’ bewegen wie sonst immer.
In der zweiten Woche ihres Aufenthalts rückte dann Annegrets ‚alter’ Freund an, was von Anfang an vollkommen aus dem Ruder lief… Das Desaster ging schon an dem Tag seiner Ankunft los, weil er sich nicht an unsere Instruktionen hielt, um uns zu finden. Wir standen beide 40 Minuten wartend in der brütenden Hitze auf der Straße in San Priamo, weil er besserwisserisch und entgegen unseren klaren Beschreibungen weiter auf der Schnellstrasse oberhalb der alten SS 125 bis zur Ausfahrt Muravera/Villaputzu gefahren war, anstatt in San Priamo von der Schnellstrasse abzufahren. Das bedeutete, dass er letztendlich nicht aus der vorgesehenen Richtung kam und dann irgendwann anhalten musste, weil er uns natürlich auf dieser Strecke gar nicht finden konnte. Wir mussten ihn dann telefonisch von dort aus lotsen, damit er die Einfahrt in den kleinen, ungeteerten Weg finden konnte, von wo es in die Hügel und damit zu unserem Haus geht.
Gleich als Nächstes durften wir feststellen, dass er sich aufführte, als ob er hier in einem von ihm gemieteten Ferienhaus oder einem Hotel mit ‚Rundum-Service’ sei. Annegret war total ‚von der Rolle’ und hatte nur noch Augen für ihn - Ronny vorn und Ronny hinten - keine Rede von Mithilfe im Haus (das wäre allerdings noch das Wenigste gewesen). Aber sie kamen und gingen, wie es ihnen gerade passte, meldeten sich nicht von unterwegs, und meistens mussten wir mit Frühstück oder Abendessen auf die beiden ‚Herrschaften’ mehr als eine Stunde warten. Offensichtlich waren wir nur für den Service zuständig - bis uns dann der Kragen endgültig platzte, ich alle Höflichkeit und Rücksichtnahme vergaß und Klartext redete. Danach war Ronny zwar etwas verschnupft (Annegret verstand mich durchaus), aber es ging dann einigermaßen mit den beiden. In den letzten Tagen ihres Aufenthalts wollte uns Ronny unbedingt noch zum Essen einladen, auch als Kompensation dafür, dass die beiden meinen Sonnenschirm, den sie am Strand dabei hatten, vom Wind hatten ‚zerlegen’ lassen (anstatt ihn zuzumachen) und gleich auch noch dort entsorgten… Der als Ersatz in einem Geschäft hier gekaufte Schirm hatte nicht einmal annähernd die Qualität meines alten Schirms.
Und als ob das alles noch nicht genug an Unannehmlichkeiten gewesen wäre, versagte in dieser Zeit auch noch unsere Pumpe.
An einem Morgen gab der Brunnen kaum noch Wasser - und das bei der Hitze jetzt im Juli! Weder Dusche noch WC funktionierten, und als dann gar kein Wasser mehr kam, mussten wir uns mit dem Restwasser aus den Gießkannen notdürftig behelfen. Unser Hydraulikmann war Gott sei Dank gleich zur Stelle: er vermutete Lochfraß an dem Verzehr-Rohr im Brunnenschacht!
Unsere Gäste hatten wir an diesem Tag gleich morgens, nachdem sich der erste Schock über das aufgetretene Problem gelegt hatte, zum Strand San Giovanni geschickt – sie konnten dort bei einem kleinen Restaurant nicht nur essen gehen, sondern auch die für Besucher vorhandenen Duschkabinen nutzen…
Nach der Fehlerdiagnose des Hydraulik-Spezialisten war nun klar, was auf uns zukam: richtig harte Arbeit, denn der gesamte Schlauch mit einer Länge von fast 70 m musste aus dem Brunnen hochgezogen werden, um auch die Pumpe herausnehmen zu können und danach ein neues verzinktes Rohr einzusetzen. Zum Schluss wurde sowohl die Pumpe mit den beiden an dünnen Kabeln hängenden Sensoren als auch der dicke Schlauch mit 32mm Durchmesser wieder hinuntergelassen. Aber nach einem Tag ohne Wasser waren wir mehr als glücklich, dass unser Brunnen so schnell wieder funktionierte…