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Das bunt zusammengesetzte Volk will endlich von einem König geeint und angeführt werden. Widerwillig erfüllt Gott ihm den Wunsch und lässt den jungen Saul zum Herrscher ausrufen, der anfangs umjubelte Erfolge feiert: Er gewinnt Kriege und gründet einen fest gefügten Staat, dessen Macht er stetig ausbaut. Doch immer mehr wird Saul von Selbstzweifeln geplagt, immer fataler bestimmen Misstrauen, Schwermut und Jähzorn sein Handeln. Er, der der Ursprung der neuen Ordnung ist – dem Wechsel von der Theokratie zur Monarchie –, wird zunehmend zu ihrer größten Gefahr. Gott muss erkennen, dass er die falsche Wahl getroffen hat, und nicht nur ihn reut seine Entscheidung, die zur Folge hatte, dass die alte Einheit zwischen ihm und den Menschen endgültig entzweit wurde. Botho Strauß verdichtet die biblische Erzählung aus dem 1. Buch Samuel zum eindringlichen Porträt eines Menschen, der zerrissen wird von der ihm schicksalhaft zugeteilten Aufgabe, den in ihn gesetzten Erwartungen und den Grenzen seiner Fähigkeiten. In einer beeindruckend klaren und gleichzeitig hoch poetischen Sprache zeigt "Saul" die Geburt der Tragödie aus dem Geist des Alten Testaments.
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Seitenzahl: 57
Botho Strauß
Saul
Das bunt zusammengesetzte Volk will endlich von einem König geeint und angeführt werden. Widerwillig erfüllt Gott ihm den Wunsch und lässt den jungen Saul zum Herrscher ausrufen, der anfangs umjubelte Erfolge feiert: Er gewinnt Kriege und gründet einen fest gefügten Staat, dessen Macht er stetig ausbaut. Doch immer mehr wird Saul von Selbstzweifeln geplagt, immer fataler bestimmen Misstrauen, Schwermut und Jähzorn sein Handeln. Er, der der Ursprung der neuen Ordnung ist – dem Wechsel von der Theokratie zur Monarchie –, wird zunehmend zu ihrer größten Gefahr. Gott muss erkennen, dass er die falsche Wahl getroffen hat, und nicht nur ihn reut seine Entscheidung, die zur Folge hatte, dass die alte Einheit zwischen ihm und den Menschen endgültig entzweit wurde.
Botho Strauß verdichtet die biblische Erzählung aus dem 1. Buch Samuel zum eindringlichen Porträt eines Menschen, der zerrissen wird von der ihm schicksalhaft zugeteilten Aufgabe, den in ihn gesetzten Erwartungen und den Grenzen seiner Fähigkeiten. In einer beeindruckend klaren und gleichzeitig hoch poetischen Sprache zeigt Saul die Geburt der Tragödie aus dem Geist des Alten Testaments.
Botho Strauß, geboren 1944 in Naumburg/Saale, zählt zu den bedeutendsten Dramatikern und Essayisten unserer Zeit. Sein Werk wurde mit vielen Preisen gewürdigt, darunter auch mit dem Büchner-Preis. Er lebt in der Uckermark und in Berlin.
SAMUEL
SAUL
JONATHAN
DAVID
DER BOTE
DIE HEXE VON ENDOR
DAS VOLK (Stimmen)
DAS LICHT (Stimme)
Zeltartig überdachte Bühne mit einer Öffnung im mittleren Hintergrund und einem Eingang auf der linken Seite. Der Richter Samuel vor einem länglichen Glaskasten zur rechten Seite, darin das Volk, Puppen, Kostüme, holzgeschnitzte Figuren («Teraphim»), alle etwas unterlebensgroß.
Das Volk Du, Samuel, bist alt, deine Söhne sind Schurken.
Setze einen König über uns, der uns richte und anführe in der Schlacht.
Samuel Ich bin vor euch hergegangen von Jugend an bis auf den heutigen Tag.
Antwortet mir: Habe ich jemandes Esel oder Ochsen genommen?
Habe ich einem von euch Gewalt oder Unrecht getan?
Habe ich von jemandem Geschenke genommen und mich bestechen lassen?
Habe ich jemals gefehlt in meinem Amt?
Das Volk Du hast keine Gewalt und kein Unrecht getan.
Samuel Ich habe euch ausgetrieben die Baalim und die Astaroth, fremde Götter, auf daß ihr dient und gefallt dem Gott allein, der eure Väter aus Ägypten führte – versteht ihr mich?
Das Volk Ja.
Samuel Wißt ihr, welche Rechte ein König über euch haben wird?
Was alles er verlangen wird von euch?
Eure Söhne wird er fortnehmen und zu seinen Heerscharen tun.
Andere wird er zu seinen Knechten geben, die seinen Acker bestellen, und zu den Schnittern seiner Ernte.
Eure Töchter wird er euch nehmen und sie zu Salbenmischerinnen, Köchinnen und Bäckerinnen machen.
Eure besten Äcker, Weinberge und Ölgärten wird er besitzen und unter den Seinen verteilen.
Von euren Herden wird er den Zehnten fordern und seine Waffengeschäfte damit begleichen.
Und wenn ihr schreien werdet über die furchtbare Macht des Königs, so wird euch der Herr euer Gott nicht erhören.
Das Volk So wird es nicht kommen.
Es soll ein König über uns sein.
Samuel Ist nicht jetzt Weizenernte? Ich will den Herrn anrufen, daß er soll donnern und regnen lassen. Damit ihr einseht, welch ein Übel über euch kommt, wenn ihr um einen König bittet.
Das Licht Was wollt ihr einen König haben?
Ich allein bin euer König.
Samuel Sie wollen einen, der sie sammelt und anführt, wie ihn die Heidenstämme haben.
Einen Herrscher, der ihnen voranschreitet in der Schlacht.
Niemals hat ein Prophet den Stämmen Israels einen König verheißen.
Kein Herrscher kann bestehen neben dem Herrscher über Himmel und Erde.
Darin kehrt sich die Zeit um und brechen die alten Gebote.
Das Licht Gehorche der Stimme des Volks in allem, was sie dir gesagt haben.
Sie haben nicht dich, sondern mich verworfen.
Gehorche ihrer Stimme und mach ihnen einen König.
Ich will dir zeigen den Künftigen, den ich bestimmt habe.
Saul erscheint im Hintergrund der Bühne.
Saul Sag mir – wo finde ich des Sehers Haus?
Samuel Ich bin der Seher. Ich bin es, den du suchst, und ich suche dich.
Saul Mein Vater, ein Mann vom Stamme Benjamin mit Namen Kis, ein Sohn Abiëls, welcher ein Sohn Zerors, welcher ein Sohn Bechoraths, welcher ein Sohn Aphiahs … ist ein wohlhabender Mann. Doch achtet er wenig auf seine Güter und Bestände. Daher sind ihm drei Eselinnen entlaufen. Und ich bin geschickt, sie zu suchen und heimzuführen. Drei Tage schon streife ich vergebens durch das Gebirg und kann sie nirgends finden. Seher, siehst du sie nicht?
Samuel Nun sehe ich vor mir den gesegneten Mann, der ausging, seine Eselinnen zu suchen, und ein Königreich fand.
Saul Warum spottest du über mein Mißgeschick? Es ist meine Pflicht, die Tiere zu finden und dem Vater zurückzubringen.
Samuel Geh jetzt vor mir hinauf in die Höhe. Kümmere dich nicht um deine Eselinnen.
Sie sind ja gefunden.
Saul Gefunden? Wo? Ich glaube es nicht.
Samuel Sie sind gefunden, wie du gefunden bist.
Was, glaubst du, kommt noch alles hinzu?
Wem wird gehören das Beste aus dem Land Israel, wenn nicht dir und deines Vaters Haus?
Saul Bist du wirklich der Seher, oder bin ich einem Narren begegnet?
Samuel Sagt nicht unter den Weisen der gläubigste sogar: Eines tue ich lieber als glauben, und das ist zweifeln.
Saul Zwar bin ich groß von Wuchs, doch komme ich vom kleinsten Stamm Israels.
Mein Geschlecht ist das geringste unter den Geschlechtern vom Stamm Benjamin.
Wie kann es sein, daß du so unkundig weissagst?
Samuel Genug. Schweig und steh jetzt still. Damit ich dir verkünde, was Gott gesagt hat.
Du gehst vor mir zum Hügel hinauf. Dort werde ich das Ölhorn nehmen und über dein Haupt gießen. Dann werde ich dich küssen und fragen: Weißt du nun, daß dich der Herr zum Fürsten über dein Volk gewählt hat?
Saul Mich? Mich nicht.
Zwar bin ich aus einem wohlhabenden Haus. Doch ein Königreich kann man sich nicht kaufen mit all seinen Reichtümern. Du hast dich geirrt in mir.
Samuel Geirrt mag sich wohl einer haben. Vielleicht war es das Volk Israels, als es nach einem Fürsten verlangte. Nun aber bist du der Erwählte des Herrn. Höre jetzt auf die Zeichen, die geschehen, nachdem du von mir gehst. Zwei Männer werden dir begegnen, die sagen: Die Eselinnen sind gefunden, die du suchst. Darauf geben sie dir zwei Brote, die du in deine Hände nimmst. Wenn du dann hinuntergehst in die Stadt, wird dir eine Schar Propheten entgegenkommen, und vor ihr schreiten Psalter, Pauke, Flöte und Harfe.