Schatten über Frauenchiemsee - Ina May - E-Book

Schatten über Frauenchiemsee E-Book

Ina May

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  • Herausgeber: Emons Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Cold Case Fraueninsel. Vor achtzehn Jahren wurde auf Frauenchiemsee die eigenwillige Malerin Franka Mellis ermordet, der Täter wurde nie gefasst. Nun erhalten alle, die damals in engem Kontakt mit der Künstlerin standen, anonyme Botschaften mit verstörendem Inhalt. Schwester Althea geht der Sache auf den Grund und erfährt von ausgelassenen Zusammenkünften auf der Insel, von Drogenkonsum, Liebe und Eifersucht. Jeder der damals Beteiligten scheint etwas zu verbergen – vielleicht sogar ein tödliches Geheimnis?

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Ina May wurde im Allgäu geboren und verbrachte einen Teil ihrer Jugend in San Antonio/Texas. Die studierte Fremdsprachenkorrespondentin schreibt Kriminalromane, Kurzgeschichten, Kinder- und Jugendbücher und entwirft Spiele. Die besondere Verbindung zur Fraueninsel besteht schon seit Generationen, Ina Mays Familie findet in der Klosterkirche eine namentliche Erwähnung.

www.inamay.de

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2022 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: lookphotos/Heinz Wohner

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Uta Rupprecht

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-96041-911-2

Originalausgabe

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Und die See wird ihnen neue Hoffnung bringen, so wie die Nacht die Träume bringt.

Christoph Kolumbus

Prolog

Achtzehn Jahre zuvor

In ihrer Zelle war es zu eng. Sie lief hin und her. Ihre Gedanken drehten sich irre, ihr Herz schlug viel zu schnell. Sie musste warten. Warten, bis im Kloster absolute Ruhe herrschte, die Lichter gelöscht waren, die Schwestern in den Schlaf gefunden hatten.

Dann konnte sie sich hinausschleichen. Es würde eine Sturmnacht werden, sagte der Wetterbericht. Innerlich, oh ja. Sie würde nicht auffallen, wenn sie auf dem Weg lief. Hoffentlich. Und wieder stand ihr die Situation vor Augen. Sie errötete, so sehr schämte sie sich. Schwarz war die Dunkelheit, anders und tiefer als in den vergangenen Nächten.

Gebettelt hatte sie. Franka solle ihr Vorhaben aufgeben, die Skizze von ihr in Acryl zu malen. Bitte! Nacktheit war an sich nichts Verwerfliches, sagte sich Jadwiga. Aber ihre Nacktheit, die Novizinnenhaube, die sie angelegt, während sie alles Übrige abgelegt hatte, die Hand an ihrer Scham, ihr Blick ein wenig verschwommen, lächelnd, lüstern. Sie hatte getrunken – was auch immer – und etwas geraucht – was auch immer. Es machte einen willenlos.

Es machte einen dämlich.

Jadwiga hatte die eigene Verachtung verdient. Und du willst eine Braut Christi werden! Sie presste die Lippen aufeinander, hätte am liebsten vor sich ausgespuckt.

Ein Moment, der ihre Zukunft zerbröseln ließ, wenn sie die Skizze nicht zurückbekam.

Und sie wusste genau, das hätte sie vorher bedenken müssen.

Franka Mellis erschien freundlich, aber sie war berechnend. Es hatte ihr Spaß gemacht. Und dir hat es doch anfangs auch Spaß gemacht, musste Jadwiga sich eingestehen.

Die Wirkung der Pillen, des Alkohols hatte nachgelassen. Sie war noch immer nicht klar im Kopf, aber jetzt hatte sie Angst.

Sie spitzte in den Gang, schlich leise hinaus, zog die Tür hinter sich zu, raffte ihr Gewand, hob es an, ehe sie die Treppen hinunterlief. Noch einmal schaute sich Jadwiga um. Sie wandte sich zur Küche, hoffte, da wäre niemand. Kein Laut. Sie machte kein Licht, stieß sich irgendwo, sog scharf die Luft ein. Atmete aus. Bleib ruhig, mahnte sie sich.

Sie öffnete die hintere Küchentür, die zum Garten hinausging, zum kleinen Durchgang. Der Riegel des Tors war schnell umgelegt. Sie schlüpfte hindurch. Ihr war ein wenig schwindelig. Ein verunglücktes leises Lachen. Es war trocken, doch der Wind hatte inzwischen aufgefrischt. Das könnte noch etwas geben. »Bitte, bitte, ich muss sie erwischen. Bevor sie sich daranmacht …« Den Sturm zu zeichnen?

Ein Gedanke. Zu viele. Unsinnige.

Was in der Dunkelheit nur einer sah, der Herrgott. Aber dieser Eine würde ihr vielleicht nicht vergeben.

Sie lief den Uferweg entlang zum Atelier mit dem schönen Namen »Inselsonne«. Franka hatte die Räume angemietet. Ob sie dafür wirklich etwas bezahlte? Vielleicht nicht. Womöglich malte sie für die Vermieterin eines ihrer gefragten Rätselbilder. Jadwiga wischte den Gedanken weg, der zu nichts führte. Gerade war ihr das egal.

Sie glaubte zuerst, es sei nur ein Baumschatten, da beim Atelier, doch das konnte nicht sein. Bäume bewegten sich nicht. Na ja, heute wäre auch das möglich. Eine Gestalt, die für einen Moment innehielt. Eine Kundin? Die Gestalt lief weiter, den westlichen Uferweg entlang, weg von Jadwiga. Immer eiliger. Und jetzt erkannte sie, dass die Person etwas unter dem Arm hatte.

Jadwiga nahm all ihren Mut zusammen, innen brannte Licht, leise Musik lief. Die Schiebetür stand halb offen. Es war eine milde Nacht.

Sie atmete durch. Ein letztes Zögern, dann ging Jadwiga hinein. Bevor sie noch einmal nachdenken konnte …

»Franka, ich will nicht, dass du mich malst. Ich bin nicht hübsch, und ich weiß das auch. Gib mir einfach die Skizze zurück. Ich werde der Äbtissin morgen meine Sünde beichten, also brauchst du dich nicht über mich lustig zu machen.«

Endlich war es raus. Sie hatte es gesagt. Selbst wenn Franka Mellis sie auslachte.

Es blieb ruhig, und das erstaunte Jadwiga. Eine Franka, die sich zurückhielt. Kein Lachen. Keine Erwiderung. Das war so gar nicht Frankas Stil. Wollte sie Jadwiga zappeln lassen?

Jadwiga ging zur Staffelei. Darauf stand kein Bild. Aber es hatte eines dort gestanden. Noch vorhin. Als sie alle aufgebrochen waren, als Franka verkündet hatte, für sie sei die Nacht erst im Morgengrauen zu Ende.

Auf dem langen Holztisch lagen Blöcke und Bleistifte, Farbtuben, Malmesser, Malspachtel, Kohlestifte, eine Modellpuppe mit hochgerissenen Armen. Und die Skizze, die Franka von Jadwiga angefertigt hatte. Ohne weiter nachzudenken, nahm Jadwiga das Blatt und steckte es in die Tasche ihres Ornats. Sie atmete erleichtert aus.

Und atmete im nächsten Moment nicht mehr ein, denn hinter dem Tisch lag Franka. Die Arme verdreht wie die der Gliederpuppe. In ihrem Hals steckte eines ihrer Werkzeuge.

Jadwiga sah auf den Boden hinab, der im dämmrigen Licht schwarz wirkte. Blut.

Sie sollte nachsehen, ob Franka noch lebte. Aber sie wollte gar nicht, dass sie noch lebte.

Sie sollte die Polizei verständigen. Aber sie wollte nicht diejenige sein, die das tat, denn dann wüsste die Äbtissin davon. Dann müsste sie sich erklären. Dann käme alles ans Licht. Genau das, was sie gefürchtet hatte. Jetzt hatte Jadwiga die Möglichkeit, alles im Dunkeln zu belassen.

Jadwiga tat nichts. Sie ging hinaus, zog die Schiebetür hinter sich zu und lief eilig den Weg zurück. Öffnete die Gartenpforte, öffnete die Küchentür. Drückte eine Hand an die Brust, als sie die Küche wieder verließ.

Da war diese Gestalt gewesen. Kein bewegter Baum. Könnte es sein …? Aber das ergab keinen Sinn. Sie war eine Freundin.

Jadwiga machte das Kreuzzeichen, Tränen sammelten sich in ihren Augen. Sie ahnte, eines Tages würde sie ihre Kaltherzigkeit womöglich bezahlen.

1

Kunst ist unsterblich, aber das Leben ist kurz.

J. W. von Goethe

Sie blätterte in dem verzierten Notizbuch, dem »Inseltagebuch«. Sie staunte, schauderte.

Niemals hatte sie diese Aufzeichnungen lesen wollen. Das Buch gehörte ihr nicht. Die eingeklebten Besonderheiten, Fotos, Gesichter, winzigen Zeichnungen, Sätze … Widmungen. Für die Schreiberin hatten all diese Dinge Bedeutung gehabt.

Sie wusste fast nichts über diese Vergangenheit.

Wie ein Intro lasen sich die ersten Zeilen, in denen Rita beschrieb, wie Franka und sie am Bahnhof im Chiemgau ankamen, wie sie mit der Chiemseebahn, einer Dampfstraßenbahn, zum Hafen in Prien tuckerten, um sich mit der Fähre auf die Fraueninsel übersetzen zu lassen. Herrlich nostalgisch. Das dachte nicht sie, Rita schrieb es.

Tina biss sich auf die Lippe. Komm schon, sagte sie sich, von wem sonst solltest du dir die Wahrheit erzählen lassen? Kopfschütteln.

Die Frauen, die es hätten tun können, waren beide nicht mehr am Leben.

Zwei Künstlerinnen, zwei Freundinnen, die nur einen gemeinsamen Sommer auf einer kleinen Insel im Chiemsee verbringen wollten, wegen der Inspiration. Auf den Sommer folgten der Herbst und ein Bruch.

Auf Frauenchiemsee hatte es einmal eine Künstlerkolonie gegeben. So viel hatte Tina auch herausgefunden.

Das als Einstieg. Antworten, zumindest einige, fanden sich vielleicht im Tagebuch.

Was bildet sie sich ein.

Was bilde ich mir ein, gegen sie bestehen zu wollen? Sie hat eine Gabe – alle nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen.

Ich hingegen muss das alles hier bezahlen können. Arme Künstlerinnen sind wir, Franka und ich.

Früher einmal haben die Maler auf der Insel mit ihren Bildern und mit schnell hingeworfenen Federzeichnungen für die Unterkunft bezahlt. Können wir das auch?

Fragen können wir ja. Ich lache über mich selbst. Aber ich werde fragen.

Auf jeden Fall freuen wir uns, genau dort zu sein, wo sich Mitte des 19. Jahrhunderts viele Künstler trafen und unter freiem Himmel zeichneten. Wo schließlich einer von ihnen die Tochter des Gastwirts heiratete – und so war plötzlich eine Künstlerkolonie geboren. Zwischen Krieg und Frieden ging es weiter. Die Maltradition am Chiemsee wurde erneuert. Es fanden dort erste Ausstellungen statt.

So etwas schwebt uns auch vor. Gemeinsamkeiten finden, eine Künstlervereinigung. Motive suchen, malen, sich austauschen, philosophieren, Pläne schmieden, Träume wahr werden lassen.

Von einer Ausstellung träume ich. Na ja, ein wenig.

Franka kennt jemanden in Prien. Vom Nordsteg auf der Fraueninsel links über den See. Ich weiß nicht einmal, ob links wirklich links ist. So viel zu meiner Orientierung. Prien. Der Ort, von dem aus wir auf die Insel gefahren sind.

Meine Idee – wie gemacht für eine Ausstellung. Wenn ich noch einige Leute dazu überreden kann, sich porträtieren zu lassen. – Wie sehen Sie sich? Sind Sie der Adler, der Löwe, vielleicht ein Falke?

Eine Leinwandseite zeigt den Menschen, auf der anderen Seite wird ebenjener Gefährte zu sehen sein. Die Indianer würden es vielleicht ein »Totem« nennen, wie sagen die Bayern zur mythisch-verwandtschaftlichen Verbindung zwischen einem Menschen, einer Naturerscheinung oder einem Tier? Das werde ich noch herausfinden. Ich will in jedem Fall genau das machen. Das erste Bild ist gerade fertig, ich zeige es meiner Freundin.

Sie findet es einmalig. Sie hat die Augen aufgerissen, es war ein bisschen, als könnte ich ihre Gedanken lesen. Echt ein absolutes Einzelstück, lobt mich Franka und kaut auf der Lippe.

Ein lieber Gruß ist immer der an mein Herz.

Mein Liebes, ich komme nach Hause und kaufe dir etwas Schönes. Das Schönste, was du dir wünschst! Du weißt, ich denke an dich. Immer.

Scheiße, Mama!

Tina schaute auf ein Foto, eines, auf dem Rita noch gelacht hatte.

Frauenchiemsee. Denn im Herbst nach dem Sommer war Ritas Leben durcheinandergewirbelt worden. Wenn Tina das Buch bis zum letzten Satz gelesen hätte, würde sie »auseinandergerissen« sagen.

Rita war als anderer Mensch zurückgekommen. Etwas hatte sie krank gemacht. Nicht der Mord an der Freundin, aber was dazu geführt hatte. Franka hatte sich umbringen lassen. Mit ihrem eigenen Malerspatel.

Rita hatte den Tod der Freundin überlebt. Hatte sie das wirklich? Es gab einige Fragen, die Tina stellte. Sich. Nicht ihrer Mutter. Es war zu spät. Der Arzt hatte eine natürliche Todesursache bescheinigt. Ihr angegriffenes Herz hatte aufgehört zu schlagen.

Frage eins: Hast du vielleicht zu viele von den Pillen geschluckt? Vielleicht unabsichtlich?

Frage zwei: Hast du Franka getötet? Aus Zorn oder aus Versehen? Oder mit Vorsatz, geplant?

Mama, ich habe solche Angst. Das dachte Tina. Laut aussprechen konnte sie es nicht.

Angst, die auch Rita empfunden hatte. Aber da war sie schon traurig und verwirrt gewesen. »Es hat wieder angefangen. Ein junger Mann ist gestorben.« Rita hatte mit sich selbst geflüstert. Es klang nach Verzweiflung. Als wäre sie selbst schuld daran. »Verdammte Ecstasy-Pillen.«

Ecstasy. MDMA. Der Wirkstoff. Wurde der noch verwendet? Dass Tina sich das gefragt hatte, wusste sie noch gut. Dann sah sie den Zeitungsartikel, den Rita dazu ausgeschnitten hatte.

Sie erinnerte sich nur noch an die Überschrift: »Sohn von Fernsehmoderator Harlan F. stirbt an Ecstasy«. Und an den Kommentar des Chefs vom Drogendezernat: »Man weiß nie, welche Zusammenstellung und welchen Stoff man bekommt.«

Und noch etwas anderes … Seltsames. Es fiel ihr gerade nicht ein.

Durch den Körper ihrer Mutter lief ein Schütteln. Das hatte Tina noch vor Augen. »Das Miststück greift noch mit seinen blutigen Fingern aus dem Grab.«

Aus dem Grab. Wo war Franka beerdigt? Tina könnte es herausfinden. Wollte sie das?

Damals noch nicht, der Gedanke verschwand, bis etwas anderes auftauchte.

Tina hatte das Kunststipendium Frauenchiemsee zufällig entdeckt, wie man etwas eben zufällig ausfindig machte. Sie hatte sich beworben.

Zwei Monate später hatte sie sich voller Erstaunen das Schreiben dicht vor die Augen gehalten. Nicht weil sie schlecht sah, sondern weil sie erst nach dreimaligem Lesen glauben konnte, dass sie gewonnen hatte.

Gewonnen. Ein Aufenthaltsstipendium. Sie würde im Gästehaus des Klosters Frauenwörth ein Zimmer beziehen, beim Klosterwirt essen, sie würde im Atelier Inselsonne malen, sie würde mit den Menschen sprechen, sie würde Unterricht geben – Malerei am Chiemsee –, sie würde für zwei Wochen eine Insulanerin sein.

Und würde ein wenig im Mord-Wespennest stochern. Böser Gedankenblitz.

Gegenwart. Zukunft. Die Vergangenheit hatte Tina nicht um einen Besuch gebeten. Doch sie warf einen dunklen Schatten. Sie musste endlich da hinein- und schließlich wieder heraustreten.

Auch wenn es bedeutete, dass sie Dinge herausfand, die schmerzhaft waren. Keine Schatten mehr!, versprach sie sich. Und Rita. Mit dem Tod ihrer Mutter, dem Papierkram, den Bildern und Aufzeichnungen, ihren Notizbüchern, hatte genau das begonnen. Tina konnte sich nicht mehr raushalten.

Im Gegensatz zu Rita konnte sie von ihrer Kunst beinahe leben. In der Bäckerei verkaufte sie Brot und Kuchen und online Bilder und Zeichnungen. Ungerahmt. Bleistift, Acryl, Öl oder Aquarell. Auftragsarbeiten. Auch Porträts.

Hin und wieder bekam sie einen Artikel in einer Zeitung. Hin und wieder bekam sie einen Antrag. So dumm und unglaublich die zweite Sache war, Ersteres war super. Sich Papier, Leinwand und Farben kaufen zu können, sich nicht sorgen zu müssen, woher sie das Geld dafür nehmen sollte. Sie hatte es sich verdient. Sie lebte schön und für sich. Klein, aber fein am Rande eines Parks, in einer alten Villa mit hohen Räumen, Flair und Geschichte. In Hamburg.

Ritas Verstand war im Vergleich zuletzt so etwas wie eine Bruchbude gewesen, mit eingeworfenen Fenstern. Eine zerstörte Frau.

Gestern hatte Tina eines ihrer eigenen Bilder gerahmt und aufgehängt. Sich daran gefreut, stolz. »Vielleicht wärst du es auch«, flüsterte sie ihrer Mutter zu.

Mit dem ersten Wort in diesem verdammten Buch … Sie wollte wissen, was Rita passiert war. Rita hatte sie nicht allein gelassen und sie doch alleingelassen. Tina hatte bei den Großeltern gelebt. Gut aufgehoben.

Aber ohne Mutter.

Mit Mutter war es schwierig gewesen. Die Depressionen, die Trauer, die sie nicht verstand. Den anderen Nachnamen, den sie nicht verstand. Nicht Tina Donner. Tina Jensen. Und jetzt wollten ihre Großeltern, dass sie ihre Mutter kennenlernte. Sie hatte sich gewehrt, Oma und Opa hatten etwas von ihrem Erbe gesagt. Dieses Erbe war aber keines, bei dem einem der Notar etwas von einer monetären Zuwendung erzählte.

Wo kam das Kennenlernen erst am Ende? In so mancher Geschichte. Aber diese hier war Tinas.

Du liest ihre Notizen trotzdem.

Ich versuche, sie kennenzulernen, rechtfertigte sich Tina. Vor wem? So ein Unsinn.

Du bist gerade einmal bei der Hälfte der Notizen angekommen, du hast gelesen, was sich die beiden Künstlerinnen auf der Insel geleistet haben, weißt von den »Mitternachtsspitzen«, obwohl Rita das erst einmal erwähnt hat. Aber du kannst dir die Leiche noch nicht denken.

Kälte war ihr in die Glieder gekrochen. Sie fürchtete sich vor den Worten. Weil es dunkel wurde vor den Fenstern.

Manchmal hat die Frau den Teufel im Leib. Aber sie hat das gewisse Etwas.

Die Armen – sie würden ihr Leben für Franka aufgeben. Bis er oder sie endlich bemerkte, dass Franka sie aussaugt.

Der Klosterwirt, der bemerkt es nicht. Noch nicht.

Der Kommissar, der ist ihr mit Haut und Haaren verfallen. Wollte er nicht etwas herausfinden, hat er überhaupt Zeit dafür?

Der kleine Bernhard Hauser, der ist durchtrieben. Gefährlich ist vielleicht seine Gier. Ich habe ihn noch nicht durchschaut. Er hat sich mit Franka unterhalten, und das hätte ich nicht hören sollen. Er wittert ein Geschäft – den Deal. Und ich sollte über den so furchtbar passenden Vergleich nicht lachen.

Der Bürgermeister von Frauenchiemsee, so hat er sich vorgestellt. Er sei bodenständig, nicht groß in der Welt herumgekommen, sagte Patrick Gräfe. Und ich erwiderte nicht, dass man das wirklich bemerkt.

Ein Gedichte- und Geschichtenschreiber hat sich uns angeschlossen. Philip Kunz kennt schöne Worte. Viele davon.

Und Teddy Pischetsrieder zupft die Saiten seiner Gitarre in einer Geschwindigkeit, die staunen lässt.

Die Nonne, die wird spinnengleich als Beute eingesponnen. Vielleicht muss jemand kommen und Birgit Anselm retten. Und manches Mal ist die Vermieterin des Ateliers zugegen. Sie singt ein wenig, sie wollte Schauspielerin werden, es hat nicht ganz geklappt. Sie heiratete, darum der schöne Besitz auf Frauenchiemsee, darum die Stadtvilla in München. All das, aber ein Mann, der selten zu Hause ist.

Wir scheinen einander gefunden zu haben. Wir sind Suchende. Wir haben alle eine Gabe. Und die wird nicht bemerkt?

Franka hat mir vorgeschlagen, dass sie mit meinem tollen Bild losziehen wird. Einen Galeristen anspricht. Das muss gezeigt werden. Wir werden etwas Großes draus machen.

Ihr Lächeln war ein wenig eigenartig. Sie hat vielleicht gar nicht mich gemeint.

Erst einmal kommt sie mit einer Absage zurück. Viel zu eigenwillig, die Idee.

Wirklich? Wenn ich mich so sehe – meine Idee ist nicht eigenwillig, eigenwillig bin ich als Person.

Meine Eltern kümmern sich um mein Allerliebstes. Und du wirst einst denken: Warum, Mama? Warum warst du nicht da?

Weil ich dich liebe.

Sollte ich die Antwort schwach finden? Sie ist verdammt schwach. Ich habe nämlich keine richtige Antwort. Ich will reich und berühmt werden. Und das ist vielleicht schon der falsche Ansatz.

Meine Freundin vorzuschicken ist jedenfalls nicht mutig.

2

Ich denke sowieso nur mit dem Knie.

Joseph Beuys

Es war noch ziemlich früh, aber Schwester Althea wünschte sich sehnlich, sie könnte jetzt ganz allein und für sich einen Kaffee am See genießen und dabei ihr Ordensgewand über die Knie hinaufschieben.

Irgendjemand hatte einmal gesagt, die Knie verrieten das Alter eines Menschen. Althea begutachtete die ihren. Sie sahen gut aus, sogar annähernd hübsch, sie hatte keine rätselhaften Knöchelchen im Knie. Althea hoffte, sie bekäme es nie mit einem solch gemeinen Rätsel zu tun.

»Hm«, machte sie, und das betraf den Kaffee am See, denn dafür musste sie früher aufstehen. Und es war schon so früh genug, fand sie.

Jemand wirbelte gerade kleine Rätsel herum, wie bei der rhythmischen Sportgymnastik, nur ohne das Band. Althea hörte gern den Heimatsender, wenn dafür noch Zeit war.

Sie war heute zeitig aufgewacht, hatte sich frisch gemacht, war dabei, sich anzuziehen, und staunte mit offenen Ohren. Wie ein Platzregen, der stark genug war, Löcher in die Blätter der Bäume zu reißen, brachen Neuigkeiten über die Insel herein. Der Moderator behauptete, die Bergung des abgestürzten Flugzeugs in den düsteren Tiefen des Chiemsees stehe kurz bevor.

Wie? Kurz? Jetzt? Althea schaute die kleine Herrgottsfigur am Kreuz ein wenig ratlos an. »Es hieß doch, der See sei unberechenbar in diesen Tiefen und schon mal wild im April und im Mai.« Eine Bergung sei zu gefährlich. Zumindest hatte das eine andere Firma als Grund angegeben, weshalb die Piper Cherokee erst einmal dort unten bleiben musste.

Düster sei dort unten am Seegrund gewissermaßen ein Dauerzustand, hieß es nun. Althea zupfte etwas ratlos an ihrer Haube. Aber dieses Düster meinte er nicht. Althea hatte im Gespür, gleich würde der Herr etwas aus dem Ärmel schütteln.

»Das hat was Makabres«, wurde angefügt. »Und ich habe natürlich auch etwas aktuell Makabres.«

Der. Am liebsten würde er sich alles aus der Nase ziehen lassen. Wie gern möchte Althea … Sie machte eine Handbewegung.

»Natürlich hab ich noch mehr zu berichten über die Toten vom Chiemsee. Ja, ich mache euch gscheit neugierig. Aber ich brauche noch ein Detail. Also erst ein paar Songs – schaltet nicht aus. Das düstere, schon in die Jahre gekommene Geheimnis solltet ihr euch nicht entgehen lassen.«

Der Moderator warf wie ein Fischer seine Angel aus, köderte die Hörer, streifte Themen, bohrte herum. Er wollte den Finger auf eine alte Wunde legen.

Althea ahnte, was gleich folgen würde, denn so viel Makabres hatte ihre Insel nicht zu bieten. Sie setzte sich auf ihr Bett.

»Frauenchiemsee hatte eine Künstlerkolonie, das liegt in etwa hundert Jahre zurück. In einigen Häusern hängen noch Gemälde und Zeichnungen aus jener Zeit.« So harmlos begann er. »Die Gemeinde Frauenchiemsee hat nach einer halben Ewigkeit das Kunststipendium wieder ausgeschrieben. Hurra. Und die Gewinnerin ist auf unserer schönen Insel im Chiemsee eingetroffen.«

Allerdings. Und Althea hatte Schwester Dalmetia zum Fähranleger begleitet. Eine fürchterliche Fotografin vor dem Herrn, aber die Schwester wollte unbedingt sehen, wer da ankam, und den Moment festhalten. Eine Hörerin der Morgensendung war Dalmetia wohl nicht. Die unsterbliche Kunst, so hatte die Schwester es genannt, und Althea hätte sich gern den Mund zugeknöpft, um nicht zu lachen.

An jenem Vormittag wurde geredet, nicht bloß getuschelt, die Leute drängten sich regelrecht am Anleger, um einen Blick auf die junge Frau zu werfen.

Von den Sätzen, die Althea dort gehört hatte, waren ihr nur wenige im Gedächtnis geblieben. Weil es das übliche Hin und Her war. Empfindlichkeiten, Eifersüchteleien, Spott, Aufschneiderei, Haarspaltereien und nicht zuletzt sorgenvolle Bedenken und eine Vorhersage.

»Das hätte die Gemeinde Chiemsee nicht machen dürfen – uns so vorzuführen.« Die entrüstet verschränkten Arme stellte sich Althea bloß vor.

»Hübsch ist sie.« Ein Lächeln in den Worten.

»Darum hast du auch einen Kurs gebucht, oder?« Argwöhnisch.

»Muss der Künstlerin komisch vorkommen. In einem Leichenhaus zu arbeiten«, sagte jemand.

»Ach was – das kommt nur uns komisch vor«, antwortete jemand anders.

»Mir gehört so eine Zeichnung – ob die was wert ist, nachdem die Malerin gemeuchelt wurde?«

»Des könnt echt sei – machst an Mordspreis.« Gelächter.

»Damit ist sofort Schluss, ich will nichts mehr hören, wir hören uns ja an wie die letzten Deppen. Die Sonne scheint wieder im Atelier Inselsonne. Wir sind stolz.« Der ehrenamtliche Erste Bürgermeister kämpfte um Gehör und die richtigen Vokabeln. Umsonst.

Beim Blick in Tina Jensens Gesicht glaubte Althea zu erkennen, dass die junge Frau wusste, welches Erbe sie antrat. Dalmetia hatte wissen wollen, was nun so ein Stipendium beinhaltete, und Althea hatte wiederholt, was der Moderator der Morgensendung schon verkündet hatte. »Es besteht Residenzpflicht, Zeichenunterricht für interessierte Bürger und ›Künstlergespräche‹ stehen auf dem Plan. Ein gemütliches Zimmer im Gästehaus des Klosters wird zur Verfügung gestellt, Frühstück und Abendessen gibt es beim Klosterwirt.«

Und beim Empfang der Stipendiatin behielt Valentin Zeiser, der Klosterwirt, auch das letzte Wort. Damit keiner vergaß, dass er die Warnung ausgesprochen hatte. »Mit der Kunst haben wir uns etwas angetan. Vor achtzehn Jahren schon und jetzt wieder. Denn der Mörder von damals, der kommt vielleicht zurück. Oder er war nie weg.«

Althea musste an die alte Kath denken – Katharina Venzl, die das Zweite Gesicht hatte. Was würde sie zu diesem »Inselfluch« sagen?

Was sagst du selbst, Althea?

Die besten Fragen waren die, die man sich selbst stellte – und für die man die Antwort schuldig blieb.

»Und von mir werdet ihr alles erfahren«, reichte der gute Moderator der Morgensendung gleich darauf nach. »Kunst ist, was nicht begreift. Ein Sprichwort. Was mir auch oftmals so erscheint.« Althea wartete an so manchem Tag, wie auch an diesem, bis er zum Punkt kam. »So, und jetzt erfahrt ihr von dem Detail; ich musste mich erst vergewissern. Das Archiv kennt die Fakten. Es geschah einmal ein Mord. Im Künstleratelier auf Frauenchiemsee wurde vor achtzehn Jahren die Malerin Franka Mellis grausam ermordet. Täter konnte keiner ermittelt werden.«

Althea war nicht sicher, wie viel er über das grausige »Detail« wusste. Sie war nur sicher, dass sie nicht genug darüber wusste. Sie mochte diese Position nicht.

Althea hatte den ungesühnten Mord nicht vergessen, aber sie hatte lange nicht mehr daran gedacht. Was gar nicht ihre Art war, schon wegen ihrer investigativen Neugier.

Damals hatte sie Verstecken gespielt. Sie wollte sich heraushalten, sie musste sich heraushalten – Althea hatte selbst einen Mord im Gepäck. Sie war im Gefängnis gewesen, hatte dafür bezahlt.

Zu jener Zeit hatte die Äbtissin sie im Auge behalten und Althea dennoch ihr Vertrauen ausgesprochen. Sie hatte sie herausgefordert und ihr eine einmalige Möglichkeit, zu lernen, gegeben. Diejenige, die zu der Zeit längst noch nicht das Vertrauen der Mitschwestern hatte, durfte für viele Wochen nach Italien reisen. Denn die Äbtissin vertraute. Im Monastero di San Daniele, einem hübschen italienischen Kloster, ein wenig abgelegen auf einem Hügel, wurde Althea in Kräuter- und Heilkunde ausgebildet; für sie gewiss nicht schwer, wo sie doch fließend Italienisch sprach und weltgewandt war. Schwester Althea würde zurückkehren, Pflanzen- und Heilwissen mitbringen und dieses zu medizinischen Zwecken nutzbar machen. Dazu käme Rüstzeug und anderes Wissenswertes, um im Klosterladen einige sensationelle Angebote machen zu können. Sie müsste sich natürlich damit vertraut machen, wie Liköre und Weine angesetzt wurden …

Als die wissende Althea zurückkehrte, waren auf der Insel seltsame Dinge passiert. Doch sie war bei ihrer Rückkehr nicht in ein Durcheinander geplatzt, das folgte erst nach dem Mord. Und so gab es für sie kein Vorher / Nachher. In den Monaten der Lehre in Italien hatte Althea wieder mehr Zutrauen zu sich selbst gefasst, und sie hatte eine Aufgabe. Sie konzentrierte sich auf ihre Pflichten.

Den Frauen, Franka und Rita, war sie begegnet. Ganz sicher. Nur hatte sie sich anders, als sie es heute tun würde, von ihnen ferngehalten. Sich nicht dafür interessiert, was gesprochen wurde, was sich zutrug. Musste sie jetzt wirklich durch den Wirbel der Zeit schauen, zurückgehen in diese Vergangenheit, die sie doch nur am Rande mitbekommen hatte?

Wenn du etwas sehen willst, wirst du hinschauen müssen. Ja.

Und als hätte der Moderator sie gehört, sagte er jetzt: »Ich vertraue darauf, dass schlafende Hunde geweckt werden. Schwester Althea – die Klosterermittlerin – ist dafür bekannt, dass sie sich interessiert. Und falls es nicht allgemein bekannt ist, eine Richterin außer Dienst hat ihren Lebensmittelpunkt ebenfalls auf Frauenchiemsee gefunden. Auf jeden Fall … so viel dazu von mir. Ich schätze, auf die Schwester und auf Friederike Villbrock ist Verlass. Den Rest und ein Ende samt Auflösung können wir abwarten. Bleibt dran.«

Oh weh, dachte sich Schwester Althea. In einem Atemzug mit der Richterin a. D. genannt zu werden, das war ihr doch ein bisschen zu viel. Sie hätte Friederike gern in einer kälteren Umgebung gesehen, sie in die Arktis gewünscht, um genau zu sein. Friederike war noch immer hier. Nun, wäre sie nicht hier gewesen, dann hätte sie dich nicht gesehen, und du hättest das Zeitliche gesegnet, oben am Berg.

Na ja, ich hätte es wohl auch allein schaffen können. Wem widersprach sie da gerade? Althea wollte Friederike einfach nichts schuldig sein. Lebensretterinnen. Ausgerechnet Althea und sie – und sie und Althea.

Althea hob die Hände, zog ein Gesicht. »Und solche Nachrichten schon am frühen Morgen.«

Ein Leben für das andere, sie waren eigentlich quitt.

Wenn du meinst, sagte das leise Stimmchen.

Es ging munter weiter. Der ungekünstelte Mord war abgehakt, die Stimme erklärte, es müsse noch etwas gesagt werden …

Wo Althea doch gar keine Zeit mehr hatte.

Sie blieb am folgenden Kommentar hängen. »Wegen später … der Nacht zum 1. Mai. Leute, seid anständig und macht nur Unfug, der niemanden verstört und keinen den Kopf kostet. Wie ihr wisst, folgt auf eine kleine Verfehlung auf der Stelle ein größeres Missgeschick. Wenn mir jetzt jemand sagt, was die Schwestern unserer schönen Abtei Frauenchiemsee sagen, anstelle dessen, was die Bibel darüber weiß, dann hat der- oder diejenige eine Flasche vom berühmten Klosterlikör gewonnen.«

Althea hatte zu ihrem Mitbewohner geschaut, bei sich geflüstert: »Ich weiß ja, was er meint, aber …« Sie erkundigte sich. »Kleine Sünden straft der liebe Gott sofort. Das steht in der Bibel?«

Hatte sie ihn mit der Schulter zucken sehen? Von den Schwestern wüsste es sicher mehr als eine. Alle? Bis auf Althea, die ihre liebe Mühe mit der Bibel hatte und zwar die Antwort kannte, aber keinen Schimmer hatte, dass diese im Buch der Bücher zu finden war. Die Bibel war unterhaltsam, an manchen Stellen einschüchternd, an anderen unbegreiflich. Was niemand aussprechen würde, eine Nonne schon gar nicht.

Althea könnte jetzt telefonieren, dem Moderator die Lösung anbieten, eine Flasche Klosterlikör gewinnen. Wie lange hatte sie keinen Klosterlikör mehr getrunken?

»Ich, einfach unverbesserlich.« Althea, du vergleichst dich mit einem ordinären Dieb und Betrüger aus einem Film. Selbstgespräche hatten zwar immer ein Fundament, doch Althea verzichtete gerade darauf, sich die Meinung zu sagen.

Althea bat Jadwiga kurz vor der Morgenmesse flüsternd um ein paar Minuten ihrer Zeit – vielleicht nach dem Frühstück?

Aber Jadwiga sagte: »Schneide das Thema kurz an.«

Damit man es schnell aus dem Weg bekam?

»Es geht um die heutige Nacht und um die Streiche«, begann Althea. Anschneiden, das war etwas, worauf sie sich nicht so gut verstand. Es hörte sich nach Geheimniskrämerei an.

Um die Walpurgisnacht rankten sich schlimm-schöne Geschichten. Und eine davon, dass sich der Name »Walpurgis« von der heiligen Walburga ableitete, die gefiel ihr. Eine gelehrte Äbtissin, wohltätig und bekannt als Beschützerin der Zauberkünste. Mit einer Heiligen im Rücken … was sollte da passieren?

Althea wollte vorschlagen, diesmal den Spieß umzudrehen. Zuerst musste sie natürlich Jadwiga überzeugen. Dann passierte etwas Sonderbares.

»Das wird ein Frühstücksgespräch«, sagte die Priorin. Hatte Althea das wirklich gehört?

Es war kein Thema fürs Frühstück. Die Schwestern würden sie zerstampfen wie Kartoffelbrei. Eine Beilage zum Mittagessen.

Und Althea wollte während der Morgenmesse an etwas anderes denken. Nicht an die gelbe Masse im Topf.

Im letzten Jahr hing nach der Freinacht das Schild am Nordsteg der Fraueninsel ein wenig schief, und jemand hatte eine Ordensschwester gezeichnet – mit schwarzer Haube – und, damit auch kein Missverständnis aufkam, einen Slip mit roter Spitze befestigt. Einigen war der Artikel in einer der heimischen Zeitungen offenbar in Erinnerung geblieben: Schwester Althea – eine Schwester, die Spitzenunterwäsche trug. Als wäre das sündhaft.

Priorin Jadwiga nannte es ein »Höschen«, als hätte sich die Unterwäsche geradewegs zu einem biederen Kleidungsstück gewandelt. Jadwiga war anders gestrickt, hätte Althea dazu gesagt.

»Ich bitte dich nur darum, dir anzuhören, woran ich denke, und dann am Tisch gleich die Einleitung zu übernehmen.« Althea erklärte, was sie dachte, dass sie tun könnten. Den Jugendlichen zuvorkommen.

Jadwiga nickte. Genickt hatte sie schon öfter, aber dieses Mal reckte sie nicht das Kinn, fuhr sich nicht über ihre lange Nase. Sie nickte bloß. »Schwester Althea, wie gelingen dir nur diese Gedanken?«

War das eine ernst gemeinte Frage? Althea sprach es leise nach: »… gelingen«, und wagte ein Lächeln. Jetzt hatte sie es so nett einstudiert, und der kleine Herrgott am Kreuz ihrer Zelle, der war, wie es aussah, einmal nicht ganz dagegen.

»Erinnerst du dich an das Öl, das gegen allerlei Beschwerden eingesetzt wird? Das Rezept stammt von …« Sie kam nicht dazu, es zu sagen, es war die Rezeptur einer Heiligen. Jadwiga schüttelte den Kopf. Warum?

»Das Öl machte die Schwester übermütig. Schwester Althea, mit dem Öl wird gerade heute nichts angestellt.« Jetzt reckte Jadwiga das Kinn.

Althea hatte es gehört, fühlte sich, als wäre sie zwanzig und hätte etwas zusammengemixt, um mit Freundinnen ein wenig Spaß zu haben. Halleluja! Sie war die Kräuterexpertin in der Abtei, stellte Heilsalben her. Diese Rezeptur war nicht so leicht zu bekommen gewesen. Über vier Ecken und von jemandem, der von sich behauptete, er schulde ihr etwas.

»Gegen die Schwermut ist es wirklich nicht gedacht. Es wird nicht getrunken«, stellte Althea richtig.

»Offenbar wurde es getrunken«, hielt Jadwiga dagegen.

Egal, darum ging es nicht, der Hinweis war als Überleitung gedacht, die heilige Walburga hatte das Rezept gehütet.

Und so saß Althea mit all ihren eigenwilligen Gedanken in der Morgenmesse.

Frühstücksgespräch. Eine Stunde später war es dann so weit. Ein Rezept, wenn auch ein anderes, brauchten sie jetzt auch.

Die fragenden Gesichter hatte sich Althea ansehen müssen, als die Priorin um Aufmerksamkeit bat. Beim gemeinsamen Frühstück. Jadwiga verkaufte Schwester Altheas Idee, aber nicht als solche. Sie würden heute Nacht tun, was Klosterschwestern eben taten. So lautete Jadwigas Vorbemerkung.

»Die Gedanken sind der Anfang der Tat. Schwester Althea – was genau schwebt dir heute Nacht vor, wofür der Herrgott nicht missgelaunt unsere Ringe einfordert?«

Priorin Jadwiga hatte Witz. Auch wenn sie es wohl nicht so sehen würde.

»Wir drehen den Spieß um. Am heutigen Abend werden wir losziehen.«

»Ach, Althea – manches Mal wünsche ich mir auch ein wenig mehr von diesem Übermut. Aber nennen wir es nicht ›den Spieß umdrehen‹, Spieß klingt, als würde daran etwas gebraten. Geröstet. Es hört sich nach Rache an.«

Woher nimmst du das?, hätte Althea Jadwiga gern gefragt, aber dafür reichte die Zeit nicht. Die Schwestern mussten, welche Idee auch immer, dafür begeistert werden.

Erst einmal stieß die Priorin auf Widerstand. Bevor Althea gerügt wurde.

Schwester Anna kniff die Augen zusammen. »Du brockst uns nicht wieder so etwas ein wie bei diesem Interview für den kirchlichen Radiosender? Junge Frauen, die Novizin werden wollen, um Kriminalfälle aufzuklären.«

Ja, da hatte sich etwas entwickelt, was anders gedacht gewesen war.

Das begann gerade nicht gut mit dem Frühstücksgespräch.

»Es ist die Nacht, in der die Übergänge von dieser zur Anderswelt besonders durchlässig sein sollen«, kam es von Schwester Ignatia.

»Kein Hexenimbiss«, sagte Schwester Anna.

Also wirklich, einen Hexenimbiss im Kloster, das würden sie nicht durchkriegen. Althea musste auch lachen. Daran hatte sie nicht gedacht.

Althea machte den Vorschlag, die Schwestern sollten nichts Komisches anstellen. Etwas hinterlassen, nichts fortnehmen. Den Leuten eine Freude machen und vielleicht … Friederike Villbrock liebenswürdigerweise einen Reisigbesen an die Tür lehnen.

»Eine Unternehmung an einem solchen Tag verlangt, dass wir alle in Zivil sind. Keine der Schwestern wird Ordenskleidung tragen.« Die Priorin hatte es heute mit dem Nicken. Zivil. Wie sich das anhörte. Zivil. Selbst Jadwiga wollte mitgehen.

Althea schluckte überrascht und setzte nach: »Wir helfen, geben Ratschläge, es ist kein Schabernack. Eine jede bekommt zwei Anschriften von Inselbewohnern und überlegt sich etwas Hilfreiches. Ein Zettel, geschrieben, laminiert, an die Tür gelegt. Natürlich mit unserer Anschrift. Ob vielleicht die Läuse auf den Rosen zu bekämpfen sind, wie jemand sich das Rauchen abgewöhnen kann, eine Flasche Klosterlikör vor die Tür stellen mit einem Gruß. So was brauchen wir. Eine Anstrengung. Es kann etwas Lustiges sein. Aber wirklich lustig und keine Peinlichkeit.«

»Ja, doch. Das kann man sich vorstellen. Es ist ja bloß für eine Nacht.« Unterstützung von Schwester Fidelis. Ganz ungewohnt, fand Althea.

Das Frühstück hatte sie überstanden. Und ihre Idee auch.

Im Besprechungsraum wurde anschließend beratschlagt.

Diese Nacht sollte keine sein, um schon beim Frühstück Befürchtungen zur Sprache zu bringen. Die würden vielleicht gleich folgen. Ein anderer Tisch, einige Zettel, in der Mitte ein Krug mit selbst gemachter Limonade und an jedem Platz ein Glas.

Althea dachte wehmütig an den angedachten Kaffee am See. Den könnte sie auf den Abend verschieben, wenn alles getan war. Wenn die Schwestern in ihren Betten lagen. Sie trank einen Schluck Limonade.

Es waren noch haufenweise Dinge zu erledigen. Althea würde die ehemalige Richterin und Valentin, den Klosterwirt, überraschen.

Martha, eine der älteren Schwestern, gluckste gerade, trommelte mit den Fingerspitzen auf den Tisch und warf Althea ein Zwinkern über die Tafelrunde hinweg zu. Walpurgisnacht. Schwester Martha und Althea teilten eine Erinnerung. Wie sie gemeinsam kleine Reisigbesen für ihren Scherz angefertigt hatten.

Martha konnte Vogelstimmen imitieren, ein Waldkauz war gefragt. Sie hatten vereinbart, Martha sollte die Jugendlichen ankündigen, mit denen zu rechnen war. Wenn der lang gezogene Balzruf des Kauzes erklang, war es an Althea.

Und so geschah es. Sie hatte sich auf die Klostermauer gestellt, den Besen zwischen den Beinen, ohne Haube, ein lautstarkes »Wuuuiii« auf den Lippen, und war verschwunden.

Althea war von der Mauer gesprungen und hatte den Besen anschließend in einen Baum geworfen, wo ihre dunkle Jacke hing. Ein bemerkenswertes Arrangement.

Die Jugendlichen hatten ihnen das Schauspiel abgenommen, es Freunden, vielleicht auch den Eltern erzählt. Und ein Journalist hatte daraus »Hexensichtung im Kloster« gemacht.

Martha und sie hatten sich gebogen vor Lachen. Die Äbtissin nicht unbedingt, aber sie hatte den Reporter eingeladen – »Kommen Sie näher« – mit einem lockenden Finger, einer schmeichelnden Stimme und einem anzüglichen Grinsen. Brillant, ihre Mimik.

Das Lächeln des Armen, der um den Termin gebeten hatte, verunglückte, er schüttelte den Kopf, entschuldigte sich, wandte sich um und beeilte sich, aus dem Schatten der Abtei zu gelangen.

»Das wäre aus der Welt«, hatte die Äbtissin anschließend gesagt. »Wer Sorge hat, ihm könnte gerade eine unfassliche Wahrheit begegnet sein, wird den Mund halten, um nicht als Dummkopf dazustehen.« Sie klatschte in die Hände.

Althea musste zustimmen, der arme Kerl würde nichts mehr sagen, aber Alpträume haben. Der Besucher hatte jedenfalls kein Wort geschrieben.

Es war ein toller Spaß gewesen. Heute Nacht würde es ein wenig anders sein. Sie wurden auch nicht jünger. Wie lebensklug.

Wenn jemand heute Nacht ausflog, dann Friederike Villbrock.

Althea, du bist schuftig.

Sie dachte an die ehemalige Richterin, und gleichzeitig kam ihr Maximilian in den Sinn. Friederikes Enkel. Den sie oft vermisste.

Althea sah ihn vor sich, wie er Steinchen geworfen hatte und sie auf der Leiter zu ihm hinuntergeklettert war. Es war um etwas Ernstes gegangen. Maximilian war schlau, und mit seiner Hilfe hatten sie eine Erpressung aufgeklärt.

Althea atmete geräuschvoll aus. Sie musste sich wieder auf hier und jetzt konzentrieren. Schwester Anna warf gerade ein: »Kein Ordensgewand. Da erkennt uns niemand. Ich habe eine ganz doll alte Jogginghose. Adidas.«

»Trägt man wieder«, versicherte ihr Althea.

»Wir sind unsichtbar. Ich fühle mich nicht so gut, wenn man mich nicht sieht.« Schwester Ignatia zog einen Schmollmund.

Himmel, hilf!, dachte Althea und verdrehte die Augen.

Es war alles vorbereitet. Sie erzählten sich beim Abendessen, was sie anziehen würden, als wäre es eine Großveranstaltung.

Das war es nicht, aber jede freute sich, Gutes zu tun, und so war es großartig.

Eine Schwester hatte ein Ghostbusters-T-Shirt.

»Das ist perfekt«, verkündete Althea. Sie löffelte die Kartoffelsuppe und würzte ein wenig mit Salz nach. Vielleicht die Hälfte eines klein geschnittenen Wiener Würstchens hatte sich in ihren Suppenteller verirrt. Althea stand auf, um einen Blick in die Runde zu werfen und in die Teller der übrigen Schwestern. Hm, da sah es auch nicht viel besser aus. Sie angelte nach einem Stück Weißbrot. Besser noch eines. Es wurde womöglich eine lange Nacht.

Auf jeden Fall eine aufregende. Althea hatte selten so viele vergnügte Mitschwestern gesehen.

Das Öl, das die Schwestern übermütig machte, war nicht zum Einsatz gekommen. Man tat Gutes. Das genügte.

Mitternacht war nicht mehr fern. Jede hatte eine Tasche, einen Korb oder Ähnliches dabei. Und Althea einen Reisigbesen, der ihr ausnehmend gut gelungen war, wie sie feststellte. Sie hatte am Stiel eine Schleife befestigt. Mit herzlichen Grüßen, eine Schwester.

Für Valentin hatte sich diese eine Schwester eine Flasche vom feinsten Likör aus dem Klosterladen geholt, sie umgefüllt, ausgespült und für den Klosterwirt selbst gemachten Baldriantee in die Likörflasche gefüllt. Mit besorgten Grüßen, eine Schwester.

Einige Jugendliche waren ausgerückt, um ein paar Gartenmöbel aus diversen Vorgärten zu verziehen und sie anderswo zu arrangieren. Und denen kamen jetzt die Schwestern in Zivil in die Quere.

»Nee jetzt!«, hörte Althea jemanden verwundert sagen, und einige mussten lachen.

»Die sind bewaffnet, die Kreuzträgerinnen, wir verziehen uns woandershin«, lautete eine helle Empfehlung.

Und eine der Schwestern, es klang nach Martha, sagte mit Grabesstimme: »Hinfort mit euch.«

»Ja, besser schon – die Schwestern machen mobil«, verkündete einer.

Jetzt wurde erst richtig losgelacht.

Althea hatte die Flasche mit ihrer Mixtur bei Valentin Zeiser an die Seitentür gestellt. Er würde wissen, wer an ihn gedacht hatte in dieser Nacht.

Für einen Augenblick meinte Althea, in den Augenwinkeln etwas Dunkles, Huschendes wahrzunehmen. Eine große Gestalt. Natürlich, sie schlichen nicht allein umher.

Althea öffnete Friederikes Gartentor einige Häuser weiter, versuchte, leise zu sein, und schlich auf das Grundstück der ehemaligen Richterin. Sie trug Schwarz, sie war wirklich unsichtbar – dachte sie. Schnell den Besen abstellen, wieder verschwinden. Es brannte Licht. Friederike war zu Hause.

»Buh«, machte jemand.

Althea nahm den Besen und sprang auf die Gestalt zu.

Ihr fiel ein, sie war die ungebetene Besucherin.

»Der steht Ihnen nicht so gut, Schwester Althea. Alter, dachte ich, da will einer bei der ehemaligen Richterin etwas anstellen. Und die, die was anstellt, ist eine Nonne. Freue mich aber echt, Sie zu sehen.«

»Maximilian, ha, hu – ich freue mich auch, habe ich doch vorhin noch an dich gedacht.« Althea flüsterte, denn Friederike musste sie nicht unbedingt hier auflesen. »Wenn deine Oma den kleinen Scherz missversteht« – tat sie aller Wahrscheinlichkeit nach – »und mich erwischt …« Althea brachte den Satz nicht zu Ende und stellte den Besen wieder auf.

»Also, die Tarnung ist nicht gut überlegt, Schwester Althea.« Maximilian deutete auf den Zettel an der Schleife.

»Morgen darf Friederike den Hexenbesen finden. Das ist der Plan«, weihte Althea ihn ein. »Die Heimlichkeit ist nicht wirklich eine, sie kennt die Absenderin.«

»Okay …« Eine lang gezogene Zustimmung.

»Was bringt dich auf die Insel?«, wollte Althea wissen.

»Zeichnen für Anfänger. Meine Oma hat mich angemeldet. Ich bin im Landschulheim in Marquartstein und kann nach den Hausaufgaben übersetzen und mal über Nacht bleiben – na ja, meine Oma ist eine ehemalige Richterin.«

Hatte er gerade gezwinkert?

»Dich hat’s aber schlimm erwischt!« Althea nickte. Landschulheim. Internat. Jetzt hatte sie mit der Nickerei die Priorin nachgemacht. Zeichnen für Anfänger. »Maximilian, deine Reihenfolge passt aber nicht. Die nächtliche Teufelsmalerei, wäre die nicht heute angeraten?« Jetzt lachte sie.

»Ach, Schwester Althea. Ich wollte grade einen Besuch machen, aber Sie sind ja schwer beschäftigt. Ich hab Steinchen an Ihr Fenster geworfen. Ich male echt nicht teuflisch.«

»Weil diese Nacht eine besondere ist. Hör zu, ich mache uns Kakao, und wir treffen uns am Hintereingang vom Kloster.«

»Den gibt’s doch gar nicht. Oder haben Sie dafür gesorgt?«

»Zur Küche hinaus und durch den Garten bis zum Zaun. Dort ist ein kleines Tor.«

»Gut. Zehn Minuten. Ich bringe Verpflegung mit. Bleiben Sie so, oder müssen Sie in die Tracht schlüpfen, weil wir sonst auffallen? Wir spielen ja keine Streiche, gell?«

Maximilian und Althea tauschten die Positionen. Er steckte den Schlüssel ins Schloss der Haustür, ließ aber den Besen stehen, während Althea den Weg zurück nahm.

Zehn Minuten später saß Althea mit dem Enkel der ehemaligen Richterin auf einer Decke im Gras, trank Kakao, verspeiste eine Süßigkeit und fühlte sich glücklich im Mondenschein. Sie konnten auf das Gästehaus des Klosters sehen. Ein Fenster ging auf, und jemand rief ihnen eine »gute Nacht« zu.

»War sie das, diese Künstlerin?«, fragte Maximilian.

Althea bejahte, was Maximilian gleich darauf brachte, dass er sich nicht so freute, wenn seine Oma dachte, er habe Talent zum Zeichnen.

»Hab ich garantiert nicht. Aber wer weiß, wofür es gut ist. Ich gebe mir halt ein wenig Mühe und kann nebenbei verfolgen, wie die Piper aus dem See gehoben wird. Oder wer jetzt auftaucht, um den alten Mordfall in dem Atelier aufzuklären.«

Althea hatte gehört, was er gesagt hatte, aber wie war das gemeint? Bislang war keine Bergungsfirma angerückt. Althea hatte keine gesehen. Und den Mordfall aufklären? Für den interessierte sich auch niemand. »Das ist sehr lange her. Eiskalt, diese Spur.«

»Schwester Althea? Interessiert Sie denn gar nicht, wer gemordet hat?« Er drehte sich zu ihr um, als könnte er nicht begreifen, dass sie so uninteressiert war.

»Vor achtzehn Jahren, da habe ich eine zweite Chance bekommen«, sagte sie. »Die wollte ich nicht aufs Spiel setzen.« Althea dachte nach, Maximilian wartete.

Dann erklärte sie: »Du weißt sicher, um den Fall wieder aufzunehmen, müsste es neue Erkenntnisse ergeben. Frische Impulse, hat es einmal jemand genannt.«

»Ja«, sagte er.

Natürlich, Althea. Friederike Villbrock, die ehemalige Richterin. Die vielleicht auch die Morgensendung hörte? Selbst wenn. Sauer sein half nicht. Die Polizei deswegen zu verständigen, auch nicht. Althea, denk nach! Ein Cold Case.

Friederike wusste etwas. Und Maximilians Ohren spitzten sich, wenn er etwas von wegen »geheim« vernahm.