Schatz, ich bin ein Ferkel - Arne Hoffmann - E-Book

Schatz, ich bin ein Ferkel E-Book

Arne Hoffmann

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Beschreibung

Spätestens seit SM auch in Blockbustern eine Rolle spielt, möchte auch im wahren Leben ein Partner dem anderen seine ungewöhnlichen sexuellen Gelüste und Bedürfnisse mitteilen. Aber: Wie mache ich das, wenn ich Angst habe, dass ich deswegen von einem Menschen abgelehnt werde, den ich liebe? Arne Hoffmann spürt diesem Problem sensibel nach und gibt jedem Ratschläge, Taktiken und Gesprächsleitfäden, der sich vom Sex mehr ersehnt als bisher.

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Seitenzahl: 307

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Schatz, ich bin ein Ferkel

Arne Hoffmann

1. Auflage August 2019

Titelbild: David Redon

©opyright by Arne Hoffmann & Salax

Lektorat: Diana Glöckner

eBook-Gestaltung: Nicole Laka

ISBN: 978-3-944154-25-1

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder

eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher

Genehmigung des Verlags gestattet.

Salax-Verlag

Postfach 1313 | 64703 Erbach

www.salax-verlag.de

5 Vorwort

13 Der erste Schritt: Akzeptiere deine Vorlieben

39 Darf ich meinen Partner mit meinen versauten Fantasien belästigen?

59 Wie früh sollte ich meine sexuellen Vorlieben zur Sprache bringen?

67 Muss ich unbedingt viele Worte um diese Sache machen?

73 Welche Tricks kann ich einsetzen, um von meinem Partner den Sex zu bekommen, den ich möchte?

77 Wie bereitest du ein Gespräch mit deinem Partner am besten vor?

99 Worauf solltest du bei dem Gespräch mit deinem Partner achten?

168 Sei offen für neue Arten, Sex zu genießen

175 Etabliert ein gemeinsames Spiel

202 Was tun, wenn dein Partner deine sexuellen Wünsche ablehnt?

209 «So war das bei uns» – Menschen mit ungewöhnlichen erotischen Vorlieben erzählen

261 Anhang: Ein Brief an deinen Partner

273 Verwendete Literatur

Vorwort

Nicht jeder mag die Bestsellerreihe «50 Shades of Grey» und die auf ihrer Grundlage entstandenen Kinofilme. Stattdessen gab es aus den unterschiedlichsten Gründen Kritik daran. Allerdings ändert diese Kritik an einem nichts: Das allgemeine Interesse an ungewöhnlichen sexuellen Praktiken und damit auch die Toleranz gegenüber solchen Praktiken ist in den letzten Jahren so stark gewachsen wie nie zuvor. Auch das Internet hat seinen Teil getan, um an dieser Veränderung mitzuwirken: Mit ein paar Mausklicks stößt man heute auf Filme über sehr ungewöhnliche erotische Spielarten, von denen man vor einigen Jahren noch nicht einmal wusste, dass sie existieren.

Zugleich gibt es eine wachsende Zahl von Erfahrungsberichten und Ratgebern über solche Spielarten der Sexualität im Buchhandel, wobei in den letzten Jahren, nachdem sich das SM-Thema etwas erschöpft hatte, vor allem Polyamorie (offene Beziehungen zwischen mehr als zwei Partnern) ein starker Trend wurde. SM-Spiele, ungewöhnliche Fetische und Polyamorie werden auch Schwerpunkte in dem hier vorliegenden Buch sein.

Man könnte aus gutem Grund denken, dass die Zeit noch niemals so günstig war wie heute, seinem Partner seine eigenen ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben zu gestehen. Gleichzeitig aber machen schon Wörter wie «gestehen» oder «beichten» deutlich, wie unwohl sich viele bei einem solchen Gespräch fühlen und wie stark ihre Hemmungen sind, es zu führen.

Schließlich gibt es auch für die mit einem solchen Gespräch verbundenen Ängste gute Gründe. Man öffnet sich einem geliebten Menschen gegenüber, was ganz intime Träume und Bedürfnisse angeht, während man zugleich weiß, dass die Zeit nicht allzu lange her ist, als solche Dinge schlicht als «pervers» bezeichnet wurden und als Zeichen für eine grundlegende psychische Störung galten. Zugleich ahnt man, dass viele Menschen, wenn es ernst wird, nicht so aufgeschlossen sind, wie es oft den Anschein erweckt, sondern dass sie noch immer die alten Vorurteile mit sich herumtragen. Vielleicht hat man sogar schon entsprechende Erfahrungen machen müssen. Je ungewöhnlicher die eigene sexuelle Vorliebe ist, desto verletzlicher fühlt man sich und desto größer ist die Befürchtung, von dem geliebten und begehrten Menschen dafür verurteilt, wenn nicht sogar allein gelassen zu werden.

Uns erschien es deshalb sinnvoll und vielleicht sogar notwendig, dieses Buch herauszugeben: einen praktischen Ratgeber mit zahlreichen Tipps, die viele Fragen beantworten und auf viele Ängste eingehen, die mit einer solchen Offenbarung verbunden sind. Dazu gehören die folgenden:

•Wie sinnvoll ist ein solches Gespräch überhaupt? Kann es vernünftig sein, besser darauf zu verzichten?

•Was ist der beste Zeitpunkt dafür?

•Wie kann ich mich am besten darauf vorbereiten?

•Worauf muss ich dabei achten? Welche Techniken gibt es, damit ich meinen Partner nicht verschrecke, sondern wir zu einer glücklichen Lösung gelangen?

•Mit welchen Techniken kann ich meinen Partner auch ohne viele Worte für ungewöhnliche sexuelle Spiele ­gewinnen?

•Wie führe ich meinen Partner langfristig in meine sexuelle Welt, ohne dass er selbst dabei zu kurz kommt?

•Wie gehe ich am sinnvollsten damit um, wenn er meine sexuellen Vorlieben trotz all meiner Mühen ablehnt?

Egal ob du eine neue Bekanntschaft nur einmal dazu bringen möchtest, mit dir Fesselspiele auszuprobieren, oder ob du deiner langjährigen Partnerin endlich mitteilen möchtest, was dich in Wirklichkeit ganz besonders in Wallung bringt: In diesem Buch findest du für all diese Fälle gute Ratschläge.

Dabei darf man sich das nicht so vorstellen, als ob ein Autor einen solchen Ratgeber allein auf Grundlage seiner eigenen Lebensweisheit zustande bringen könnte. Die ausgesprochen umfangreiche Literaturliste am Ende des Buches zeigt, wie gründlich und intensiv ich mir alles angeschaut habe, was irgendwie dabei hilfreich sein könnte, brauchbare Ratschläge zu entwickeln. Viele Bücher, die ich zu Rate gezogen habe, tauchen auf dieser Liste nicht einmal auf, weil sich diese Bücher trotz verheißungsvollen Titels als Enttäuschung herausstellten. Dafür zeigte sich, dass Internetblogger mit so putzigen Namen wie «Ted Subby» aufgrund ihrer Erfahrung besser lebensnahe Ratschläge geben konnten als so mancher professionelle Buchautor.

Darüber hinaus habe ich mich natürlich auch mit einer Reihe von Freunden und Bekannten darüber unterhalten, wie man einen solchen Ratgeber am besten angeht. Einer von ihnen machte dabei den Vorschlag, diesen Ratgeber anhand der verschiedenen Neigungen und Vorlieben aufzuschlüsseln, die ein Mensch haben kann. Die Logik meines Freundes ging in folgende Richtung: Jemand, der sich beim Sex gerne mit Buttercremetorte einreiben lassen möchte, müsse in einem Gespräch doch sicher ganz anders vorgehen als jemand, der gerne eine dritte oder vierte Person in die bestehende Partnerschaft mit aufnehmen will.

Diese Logik lag nahe und hatte mich im ersten Moment auch überzeugt, aber bei der Recherche für dieses Buch ­stellte sie sich als falsch heraus. Stattdessen zeigte sich immer mehr, dass in den allermeisten Fällen sehr ähnliche Gesprächstechniken weiterhelfen, selbst wenn die erotischen Vorlieben komplett unterschiedlich sind. Natürlich ist es einfacher, seinen Partner dazu zu bringen, sich beim Sex die Augen verbinden zu lassen, als sich von ihm anpinkeln zu lassen oder noch ungewöhnlichere Praktiken zu wagen. Diesem Unterschied im «Härtegrad» der eigenen Neigung wird der vorliegende Ratgeber selbstverständlich gerecht. Trotzdem aber zeigt sich, dass es sehr häufig dieselben ­Dinge sind, die man in solchen Gesprächen richtig oder falsch machen kann.

Um die Probleme eines solchen Gesprächs besonders deutlich zu machen, findest du auf den nächsten Seiten eine Szene, in der so eine Unterhaltung stattfindet. Diese Szene ist wie so oft in solchen Ratgebern konstruiert und hier sogar gezielt grotesk und überzogen gestaltet. Denn vor dem Hintergrund dieser kleinen Katastrophe lässt sich im weiteren Verlauf des Buches besonders gut verdeutlichen, was man alles sehr viel besser hätte machen können.

Wie es eher nicht laufen sollte …

Eva stieß mit dem Fuß die Tür zur Küche auf und schleppte die beiden vollen Einkaufstüten zur Anrichte, um sie dort abzustellen.

Auf halbem Weg fiel ihr Blick auf ihren Partner Adam, der in einem schwarzen Latexanzug am Fenster stand, eine Peitsche in der Hand hielt und Eva mit einem Ausdruck im Gesicht anblickte, der überdeutlich machte, wie aufgewühlt er war.

Eva schnappte nach Luft und schaffte es gerade noch, die Tüten abzustellen. «Was um alles in der Welt ...?!», entfuhr es ihr.

Adam seufzte auf. «Na, das war ja klar», sagte er. «Warum starrst du mich so an? Mein Gott, ich wusste es!»

«Du ... du wusstest was?»

«Na, dass du genau so reagieren würdest! Eigentlich war mir das vollkommen klar.»

Eva versuchte immer noch, aus dieser Situation schlau zu werden. «Dass ich ...? Sorry, wie soll ich denn reagieren? Ich meine, guck dich doch mal an!» Sie lachte verstört auf. «Was um Gottes Willen soll das hier?»

Adam seufzte noch einmal und unternahm einen neuen Anlauf. «Wir müssen reden», erklärte er bedeutungsschwer.

Eva stellte die Tüten so gegeneinander, dass nichts herausfallen konnte. Ihre Hände zitterten ein wenig. «Ich höre», sagte sie dann mit tonloser Stimme.

«Schau», sagte Adam, «ich habe bestimmte sexuelle Bedürfnisse, über die wir niemals miteinander gesprochen haben.»

«Du hast was?»

«Ich möchte gerne, dass du mich ab und zu herumkommandierst, demütigst und als deinen Sklaven behandelst.»

Eva starrte ihn an. Ihr war anzusehen, welche Schwierigkeiten sie hatte, mit dieser Situation zurechtzukommen. Endlich fiel ihr nichts anderes ein, als zu sagen: «Du machst doch schon einen Aufstand, wenn ich dir sage, dass du endlich mal wieder die Dachrinne saubermachen musst.»

Adam atmete tief ein und aus. «Jetzt ziehst du das Ganze schon ins Lächerliche, obwohl unser Gespräch kaum begonnen hat ...»

Eva hob abwehrend die Hände. «Sorry!», rief sie aus. «Aber das kommt nun wirklich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Wir haben seit Jahren miteinander Sex, ohne dass du jemals ...» Sie machte eine unbestimmte Geste und brach ab.

«Ja», erwiderte Adam mit Bitterkeit in der Stimme. «Und zwar genau deswegen. Ich wusste, dass du mich nicht verstehen ­würdest.»

Eva hatte immer noch Probleme, die richtigen Worte zu finden. «Na, komm schon, das ist ja auch wirklich ... Ich bin keine ­Domina, das ist dir doch klar? Ich wüsste nicht mal, wie ich ... Hör zu, das ist doch komplett irre.»

Adam begann, nervös mit der Peitsche herumzuwedeln. «Das ist genau die Reaktion, die ich befürchtet hatte!», sagte er. «Du verstehst mich einfach nicht. Du willst deinen Sex einzig und allein auf die eine spießige Weise haben, die du kennst.»

«Das ist nicht wahr!», verteidigte sich Eva. «Nur das ... Das ist wirklich ein bisschen extrem! Musst du doch zugeben? Lieber Gott, soll das wirklich heißen, immer wenn wir Sex hatten, hast du davon geträumt, dass ich dich irgendwie misshandele?» Wieder entfuhr ihr ein verstörtes Lachen.

«Und was wäre so schlimm daran?», brauste Adam auf. «Es gibt viele Menschen, die auf so was stehen!»

Eva starrte ihn mehrere Sekunden lang wortlos an. «Adam, wer bist du?», flüsterte sie dann. «Ich kriege das, was du mir da erzählst, einfach nicht mit dem Mann zusammen, den ich all die Jahre kenne. Mir kommt das immer noch wie ein absurder Scherz vor.»

«Das ist kein Witz!», herrschte Adam sie an. «Können wir bitte darüber reden, ohne dass du die Sache ständig ins Lächer­liche zu ziehen versuchst?» Eva trat einen Schritt zurück. «Tut mir wirklich leid», sagte sie. «Aber ich ahne nichts Böses, und du überfällst mich hier mit irgendwelchen Fantasien, die du dir fest in den Kopf gesetzt haben musst, ohne jemals mit mir darüber gesprochen zu haben ...»

«Das versuche ich ja gerade! Und du machst es mir nicht gerade leicht! Es ist ja auch nicht so, als ob es Ratgeber darüber gäbe, wie man so was richtig macht.»

«Okay», räumte Eva ein, nur um ihn ein wenig zu beruhigen. «Da hast du natürlich recht.»

Adam ließ die Peitsche sinken. Seine Schultern sackten nach vorne, und er stützte sich auf die Anrichte. «Verdammte Scheiße», murmelte er.

Sanft legte ihm Eva die Hand auf die Schulter. «Hey», sagte sie begütigend. «Ich muss selbst erst mal mit all dem klarkommen. Schließlich hatte ich keine Ahnung, dass du dich mit so etwas herumquälst. Du hast wirklich sexuelle Fantasien davon, dass ich dich schikaniere und missbrauche?»

Adam nickte mit fest zusammengepressten Lippen.

«Ich habe keine Ahnung, wo du das herhast», redete Eva weiter. «Aber ich kenne mich bei so was wirklich nicht aus. Vielleicht solltest du mal mit einem Experten darüber sprechen, wie du solche Fantasien am besten in den Griff bekommst?»

Adam sah sie an. «Was meinst du?»

«Na ja, mit einem Therapeuten oder so? Vielleicht kannst du mit seiner Hilfe die Probleme aufarbeiten, die dich zu solchen ... zu solchen Dingen drängen?»

Adam überlegte einen langen Moment. Endlich nickte er. «Ja», murmelte er. «Vielleicht ist das wirklich die beste Idee. Ich weiß selbst nicht, warum ich ständig solche Fantasien habe. Keine Ahnung.» Er sah zu ihr auf, und in seinen Augen schimmerten Tränen. «Es tut mir sehr leid, dass ich dich mit so etwas belastet habe! Ich muss dich zu Tode erschreckt haben.»

«Schon okay», sagte Eva und streichelte über seinen Rücken. «Du tust mir leid. Jetzt ist erst einmal wichtig, dass du die Hilfe bekommst, die du brauchst.»

Der erste Schritt: Akzeptiere deine Vorlieben

Tja. So endet also das Gespräch, mit dem Adam seine Partnerin für seine sexuellen Neigungen gewinnen wollte, damit, dass sie ihn deswegen zum Therapeuten schickt. Ein ganz schönes Fiasko. Abgesehen von der Gefahr, von seinem Partner verlassen zu werden, ist das sicher eine der übelsten Möglichkeiten, wie ein solches Gespräch verlaufen kann.

Ich schrieb ja schon, dass ich mich hier bewusst für eine überspitzte Darstellung entschieden habe. Immerhin können wir vor diesem Hintergrund auf ein ganz reales Problem zu sprechen kommen, nämlich dass sich jemand mit ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben tatsächlich oft für «nicht ganz normal» und insofern für nicht vollwertig hält. Jemand in dieser Situation ist häufig selbst nicht der Ansicht, dass seine Form der Sexualität gleichberechtigt mit jener Form von Sex ist, die man bei glücklichen Paaren in zahllosen Fernsehserien und Kinofilmen zu sehen bekommt.

Warum ist das eigentlich so? Warum haben viele Menschen fast schon Schuldgefühle, wenn sie einer ungewöhnlichen sexuellen Neigung nachgehen? Wie kommt es, dass es so ein Riesending für viele ist, ihren Partner diese Neigung «gestehen» zu wollen?

Um das zu erklären, muss ich in diesem Kapitel ein wenig akademisch werden, bevor wir zu den praktischen Ratschlägen gelangen. Denn es ist wichtig, zu verstehen, woher die eigenen Ängste und Unsicherheiten bei diesem Thema eigentlich stammen. Viele Menschen spüren diese Unsicherheiten zwar, aber es ist ihnen selbst nicht klar, wie sie entstanden sind.

Wenn du deinen Partner allerdings dafür gewinnen möchtest, beim Sex bestimmte Dinge mit dir zu tun, die dir gefallen, ist es wichtig, dass du dir bei diesem Wunsch nicht selbst wie ein «Perverser» vorkommst, der etwas fast schon Unzumutbares verlangt und dessen Partner eine besondere Toleranz aufbringen muss, damit er sich überhaupt mit so jemandem abgibt.

Wenn deine bevorzugte sexuelle Spielart für dich überhaupt kein Problem ist und du auch nicht die geringsten Schamgefühle dabei empfindest, anderen Menschen davon zu berichten, dann wird dir dieses Kapitel nur ein wenig mehr Wissen bringen. Derart mit sich im Reinen sind aber längst nicht alle, die ausgefallene erotische Finessen schätzen, und für diejenigen, die hier schließlich Selbstsicherheit gewonnen haben, war es oft ein langer und steiniger Weg dorthin. Ich selbst zum Beispiel habe inzwischen Dutzende von Büchern zu diesem Thema geschrieben, aber als ich noch Anfang zwanzig war und das alles für mich eine unbekannte Welt darstellte, gab es auch Phasen, in denen ich mir einredete, dass das alles doch nicht «gesund» sein könne. Der eine oder andere in meinem Freundeskreis bestärkte mich in dieser Sicht.

Bevor du deine Partnerin davon überzeugen kannst, dich auch mit ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben zu akzeptieren, ist es ausgesprochen hilfreich, wenn du selbst dich damit erst einmal ganz und gar akzeptieren kannst. Solange in dir selbst widerstrebende Gefühle toben, ist dein Risiko deutlich höher, von deinem Partner abgelehnt zu werden.

Bei Homosexuellen spricht man bekanntlich von einem «Coming-out». Schauen wir einmal, was Wikipedia hierzu zu sagen hat. Das ist zwar keine akzeptable wissenschaftliche Quelle, aber der dortige Eintrag zu diesem Thema ist ganz ausgezeichnet:

«Im Coming-out unterscheidet man zwei Phasen, das innere ­Coming-out und das äußere Coming-out. Das innere Coming-out umfasst den Teil des Prozesses bis zur Bewusstwerdung über eine bei der eigenen Person vorhandene homosexuelle Orientierung. Die Feststellung ‹Ich bin homosexuell!› erfolgt zunächst für sich selbst. Diese Phase kann individuell unterschiedlich lange dauern, beginnt meist erst mit der Pubertät und kann sich teilweise über viele Jahre hinziehen. Es gibt kein definiertes Ergebnis für einen Coming-out-Prozess. Die Schattierungen reichen vom völlig offenen bis zum weitgehend zurückgezogenen Leben. Kriterium ist, ob der Betroffene innerlich seine sexuelle Orientierung akzeptiert hat und sich selbst nicht verleugnet. Jemand kann sich seiner homosexuellen Veranlagung bewusst sein oder sogar sexuelle Beziehungen zum selben Geschlecht haben und trotzdem Schuldgefühle oder Selbsthass empfinden.»

Dasselbe trifft auch auf zahllose Menschen mit anderen «ungewöhnlichen» Vorlieben zu.

Vor allem in vergangenen Jahrzehnten lebten viele Homosexuelle sogar in einer Familie mit einem Partner des anderen Geschlechts und hatten mit diesem Menschen Kinder. Im Extremfall gestanden sie selbst sich ihre homosexuelle Neigung nicht ein und versuchten, sie zu ­unterdrücken. Das dürfte heute längst nicht mehr so oft der Fall sein, weil Homosexualität inzwischen allgemein viel eher akzeptiert ist als früher. Für viele andere sexuelle Spielarten gilt das nicht, weshalb viele Menschen im Bett lieber darauf verzichten.

In Wikipedia heißt es weiter:

«Aufgrund der normativen Erziehung entstehen bei homosexuellen Menschen zum Teil erhebliche Spannungen zwischen den Erwartungen der Umgebung an ihre Gefühle und den tatsächlich vorhandenen Gefühlen. Während zum Beispiel andere Jungen eine sexuelle Erregung beim Anblick von Mädchen verspüren, empfinden schwule Jungen in derselben Situation ganz anders. Dieser objektiv vorhandene Unterschied führt oft auch zu einem subjektiven Gefühl des Andersseins und auch des Alleinseins. Viele Homosexuelle glauben zunächst, ganz alleine und einzigartig zu sein mit ihren Gefühlen. Vorausgesetzt, dass keine Verfolgung von Homosexuellen droht, können Lesben und Schwule dieses emotionale Dilemma dadurch auflösen, dass sie verstehen und akzeptieren, tatsächlich anders zu sein und darüber hinaus zu erkennen, dass die an sie von anderen herangetragenen Erwartungen für sie nicht bindend sind. Die Betreffenden lösen sich von den Rollenerwartungen ihrer Umgebung, sie emanzipieren sich von der Rolle als Hetero­sexueller. Das erfordert ein erhebliches Maß an Mut und Selbstvertrauen, da es auch das Eingeständnis der Zugehörigkeit zu einer Minderheit bedeutet, die zum Teil noch immer mit erheblichen Widerständen in Staat und Gesellschaft zu kämpfen hat.»

Genau davon spreche ich, wenn es darum geht, wie wichtig es ist, zu lernen, dass die eigene Sexualität grundsätzlich nichts «Böses» oder Minderwertiges ist, solange man niemandem damit schadet.

«Viele Homosexuelle akzeptieren zumindest in ihrer Jugend, teilweise auch lebenslang, das von der Gesellschaft vorgegebene Bild des ‹Unnatürlichen›, ‹Unnormalen› oder gar ‹abartig Veranlagten› und können sich nie ganz von diesen Vorurteilen freimachen. Dies kann bis hin zur jahrelangen Verleugnung der eigenen Sexualität und zum Eingehen von heterosexuellen Partnerschaften führen, um nach außen und vor sich selbst das Bild des gesellschaftlich Akzeptierten und ‹Normalen› aufrechtzuerhalten – das bedeutet, wegen des fehlenden inneren Coming-out kommt es auch nicht zum äußeren Coming-out. Diese Verdrängungsstrategie führt jedoch regelmäßig nicht zum gewünschten ‹Erfolg›, sondern eher zu instabilen Paarbeziehungen, dauerhaftem Unglück, psychischen Krisen oder einem Doppelleben. Menschen, die solch einen Konflikt in sich tragen und nicht auflösen, haben zudem oft Schuldgefühle oder Selbsthass aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, die sie als etwas Unerwünschtes, Ungewolltes und Belastendes einstufen.»1

Und da haben wir es: Es ist schwierig, den zweiten Schritt ohne den ersten zu machen. Für viele von uns ist der erste Mensch, den sie davon überzeugen müssen, dass ihre Neigungen nichts Schlimmes sind, nicht ihr Partner, sondern sie selbst.

Nun haben Homosexuelle heute trotz allen Problemen das Glück, dass inzwischen nicht nur eine große Subkultur entstanden ist, in der sie sich angenommen fühlen können, sondern dass auch im Mainstream Homosexualität kaum noch als besonders verwerflich gilt. In den Medien kommen Klischees wie die schrille Tunte wesentlich seltener vor als früher. Stattdessen erscheinen Homosexuelle häufig genauso vielschichtig wie andere Menschen auch. Für viele andere sexuelle Minderheiten gilt das noch nicht. In genau diesem Kampf, den Homosexuelle weitgehend hinter sich gelassen haben, stecken zum Beispiel SMer noch mittendrin. Oft hat man mehr damit zu tun, bestimmte Klischeevorstellungen aus seinem Kopf zu bekommen, als sich darauf zu konzentrieren, was man selbst möchte und was einem am besten gefällt.

Es gibt bei vielen sicherlich eine Tendenz, alles abzuwerten, was nicht einer bestimmten Vorstellung von Normalität entspricht. Eine Frau zum Beispiel, die gern innerhalb kurzer Zeit mit mehreren Männern nacheinander Sex hat, gilt als «Schlampe». Ein Mann, der sich beim Sex schwer tut oder wenig Lust dazu hat, gilt als «kein richtiger Mann». In höherem Alter noch gar keine erotischen Erfahrungen aufweisen zu können, geht offenbar auch nicht: Ich erinnere mich daran, dass eine solche Frau vor ein paar Jahren in einer Fernsehsendung über ihre Situation sprach, woraufhin eine große deutsche Boulevardzeitung am nächsten Tag ihr Foto unter der Überschrift «DIESE FRAU HATTE NOCH NIE SEX!» zeigte. Wie man sich denken kann, war das für die Betreffende keine erfreuliche Erfahrung.

Wenn man darauf steht, seinen Partner auszupeitschen oder sich von ihm als Mann in Frauenkleidung demütigen zu lassen, ist der Stress im eigenen Kopf oft besonders groß. Eine Studie, die zwanzig Erwachsene befragte, für die SM-Spiele im Zentrum ihres Sexlebens standen, fand heraus, dass es für diese Menschen mit Stress und Angst verbunden war, Partnern, Familienangehörigen, Freunden und Kollegen davon zu berichten. «Junge Menschen, deren Sexualität mit SM-Interessen zusammenhängt, erhalten nicht dieselben Selbstbestätigungen und dieselbe Unterstützung, die wir anderen sexuellen Minderheiten gewähren», erklärte Tanya Bezreh, deren Studie in der Fachzeitschrift «American Journal of Sexuality Education» veröffentlicht wurde. «Wenn diese Menschen in einer Umgebung, in der SM gebrandmarkt wird, von dieser Neigung erfahren, riskieren sie, Schamgefühle und Isolation zu entwickeln. Sobald sie sich mit SM identifizieren, haben sie mit unzähligen Entscheidungen zu schaffen, wem gegenüber sie sich offenbaren können, jedes Mal mit der Möglichkeit einer stärkeren Verbindung und jedes Mal mit der Möglichkeit, für ihre Vorliebe verurteilt zu werden.» Von vielen möglichen Partnern wurden die Betreffenden auch abgelehnt, weshalb sie oft nur noch in der SM-Szene nach Partnern suchen.2

Warum aber ist das so? Wie kommt es, dass SM und vergleichbare Spielarten derart negativ beurteilt werden? Warum kann man hier und bei anderen ungewöhnlichen Vorlieben seinem Partner nicht einfach sagen «Ich stehe total auf Fesseln und Auspeitschen», worauf man mit einer Antwort rechnen darf wie «Ehrlich? Hab ich noch nie gemacht. Das macht dir Spaß, sagst du? Dann sollten wir das mal zusammen ausprobieren.» Oder wenigstens: «Och nö, das ist nichts für mich. Kannst du dir für so was nicht eine Domina suchen, und wir tun weiter die Dinge, die uns beiden Spaß machen?» Warum muss man statt mit so unkompliziertem Verhalten mit einer derart heftigen Reaktion rechnen, dass man schon selbst neurotisch wird?

Diese Situation ist vor allem einem Menschen zu verschulden. Er kam aus der deutschen Stadt Mannheim und war Neurologe: Baron Richard von Krafft-Ebing. Er lebte von 1840 bis 1902 und veröffentlichte im Jahr 1886 eine Zusammenstellung sexueller Seitenzweige, die er unter dem Titel «Psychopathia Sexualis» herausgab. Die zwölfte Auflage (die letzte, an der Krafft-Ebing selbst mitgearbeitet hatte) erschien 1903 mit 437 Seiten und 238 Fallbeispielen.

Dieses Buch war einerseits ein Meilenstein der Sexual­wissenschaft, weil darin zum ersten Mal eine Vielzahl ­sexueller Orientierungen ausführlich dargestellt wurden. Die Bezeichnungen «Sadismus» und «Masochismus» zum Beispiel stammen von Krafft-Ebing. Andererseits war Krafft-Ebing geprägt vom viktorianischen Zeitalter, in dem er lebte und in dem schon jene Sexualität, die wir heute als völlig normal betrachten, verderblich und gefährlich erschien. Krafft-Ebing zufolge ist zum Beispiel auch die Frau, die Spaß am Sex hat («das Weib, welches dem Geschlechtsgenuss nachgeht»), eine «abnorme Erscheinung».3 Mit solchen Worten hob er all die von ihm beschriebenen Formen ungewöhnlicher Sexualität auf die Ebene des Krankhaften, das behandelt werden sollte: Die sogenannten «Perversionen» waren erfunden. Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, folgte ein paar Jahre später dieser Tradition. (Der Philosoph Michel Foucault vertrat die Auffassung, nachdem in diesem Zeitalter die Religion zunehmend an Macht verloren hatte, würde jetzt die Wissenschaft benötigt, um die menschliche Sexualität unter Kontrolle zu behalten).4

Dabei ist durchaus bemerkenswert, wie gut Krafft-Ebing & Co. darin waren, sich selbst etwas vorzumachen. ­Beispielsweise galt für diese Leute auch Selbstbefriedigung als ein Zeichen für Geistesgestörtheit. Warum? Weil die Forscher herausfanden, dass die psychisch Kranken in den damaligen Heilanstalten («Irrenhäusern») sich öfter mal einen runterholten. Natürlich taten sie das: Selbstbefriedigung stillt ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, macht Spaß, und in den Heilanstalten damals gab es kaum etwas, was man als alternatives Freizeitangebot hätte nutzen können. Man lag in seinem Bett und musste sich eben irgendwie beschäftigen ...

Die Logik Sigmund Freuds war kaum anders gestrickt: Er untersuchte Menschen mit emotionalen Störungen und fand bei ihnen nach tiefgründigen Gesprächen sexuelle Neigungen, die von denen abwichen, die in Freuds Zeit als normal erwartet und vorausgesetzt wurden. Dadurch erschienen ihm diese Neigungen als Bestandteil der emotionalen Störung, als Erscheinungsform einer Krankheit.5

Jetzt kannst du natürlich zu Recht fragen, was die vorletzte Jahrhundertwende mit dir und deinen Hemmungen zu tun hat, deinem Partner von deinen ungewöhnlichen Vorlieben zu erzählen. Das Problem ist, dass sich dieser ganze Mist bis zur letzten Jahrhundertwende gehalten hat, und die ist noch nicht so lange her. Ein paar Beispiele:

•Im Jahr 1997 riet die deutsche Teenie-Zeitschrift «Pop/Rocky» Jugendlichen als Antwort auf Leserbriefe, wegen SM-Neigungen zum Psychiater zu gehen, um sich heilen zu lassen. «Ansonsten kann es Dir passieren, dass Du im Dschungel der Sado-Maso-Szene landest, wo schon mancher seine Würde verloren hat und untergegangen ist.» In zwei Fotostorys im selben Jahr werden Sadomasochisten als Drogensüchtige dargestellt, die ihre Neigung gegen den Willen ihrer Partner ausleben.

•Im Jahr 1998 erschien im Sonderheft «Die Welt der Gefühle» des populärwissenschaftlichen Magazins «P.M.» der Beitrag «Was ist denn hier pervers?», in dem verschiedene psychoanalytische Theorien zur Entstehung des Sadomasochismus stark verkürzt wiedergegeben wurden. Perversionen seien «verquere Selbstheilungsversuche der Psyche», mit denen ein Defizit aus der Kindheit («entsetzliche Ereignisse») gemeistert werden solle. Denselben Quatsch finden wir fünfzehn Jahre später in der Lebensgeschichte der männlichen Hauptfigur in «50 Shades of Grey».

•Im Jahr 2000 gab der Heyne Verlag die achte Auflage des Sex-Ratgebers «Happy Sex für Ihn» von Maurice Yaffe und Elizabeth Fenwick heraus, dessen US-amerikanisches Original aus dem Jahr 1986 stammt. Darin raten die Autoren einem Leser, der die Neigung verspürt, seinen Partner erotisch zu fesseln oder zu misshandeln, «sofort» einen Sexualtherapeuten aufzusuchen. Sadomasochisten seien grundsätzlich Männer. Die wenigen Frauen, die sich an diesen Praktiken beteiligten, täten dies allein, um den sexuellen Wünschen ihres Partners entgegenzukommen.

•Ebenfalls im Jahr 2000 veröffentlichte die deutsche Tageszeitung «Frankfurter Rundschau» unter dem Titel «Leben mit einer Bombe – Der Perverse verwandelt die als Kind erlittenen Misshandlungen zu feindseligen Sexual-Ritualen» einen Artikel zum Thema Sadomasochismus. Diesem Artikel des Aachener Psychoanalytikers Micha Hilgers zufolge beinhalten Perversionen «zumeist drei wesentliche Faktoren: ein zwanghaftes Ritual, von dem nicht abgewichen werden darf, um psychische oder sexuelle Erregung zu erzielen; ein reales oder fantasiertes Risiko, zum Beispiel erwischt, bestraft oder körperlich beschädigt zu werden; und Feindseligkeit gegenüber dem Sexualpartner». Die sexuelle Befriedigung spiele dabei nur eine untergeordnete Rolle. Der Hass des Perversen äußere sich in einem weiteren typischen Merkmal: «Alle sogenannten ‹normalen› sexuellen Verhaltensweisen werden als minderwertig, spießig und jenseits des wahren Genusses dargestellt. Der Perverse kehrt damit sein Wissen um die eigene Unterlegenheit und sexuelle Unsicherheit in einen scheinbar triumphalen Sieg um.» Eines der «besonders tragischen Schicksale» sei der Masochismus, der «durch schwere körperlich-psychosexuelle Misshandlungen in der Kindheit oder Jugend»entstehe.

Das viktorianische Zeitalter ist offenbar nur schwer totzukriegen. Es steckt nicht allen, aber vielen von uns noch immer tief in den Knochen.

Die neuere Sexualforschung hingegen sieht keinerlei Verbindung zwischen ungewöhnlichen Sexpraktiken und geistiger Störung. (Dasselbe gilt für sämtliche Ausbrüche aus der monogamen Beziehung, also die Entscheidung, sich nicht mehr auf einen einzelnen Partner zu begrenzen.)6 Insofern findet man den Begriff «Perversion» vielleicht noch in der Boulevardpresse, aber ganz sicher nicht mehr in der Sexualwissenschaft. Es erscheint heute als falsch, sexuelle Verhaltensweisen, die man selbst als fremdartig empfindet oder die vergleichsweise selten vorkommen, mit solchen Wertungen herabzusetzen. Die Sexualforscher ­haben im Laufe der letzten Jahrzehnte gemerkt, dass solche ­Wertungen nicht wissenschaftlich objektiv sind, sondern von den jeweils gängigen Ansichten und Einstellungen der Gesellschaft beziehungsweise der Person abhängig sind, die festlegt, was ihrem Maßstab nach als «normal» zu gelten hat. Und es hat sich gezeigt, dass gerade die Unterdrückung der eigenen sexuellen Bedürfnisse zu psychischen Folgeproblemen wie Depressionen, Angst, Sucht, Selbsthass, Aggression und Essstörungen führen kann.

Heute werden in der Sexualwissenschaft sämtliche sexuellen Aktivitäten, die mündige Beteiligte freiwillig miteinander ausführen und bei denen sie sich selbst oder einander keine bleibenden Schäden zufügen, als gleichberechtigte Spielarten betrachtet. Der entsprechende Slogan lautet: «Es gibt keinen politisch korrekten Orgasmus», also auch kein «von Natur aus richtiges» Sexualverhalten. Beispielsweise erklärt Dr. Chris Donaghue: Doktor der Klinischen Sexualforschung und Sexualität des Menschen und zertifizierter Sexualtherapeut:

«Zu dem, was Menschen als ‹normalen› Sex bezeichnen, gehören folgende Kriterien: heterosexuell, monogam, in einer festen Beziehung, nichtkommerziell, zu zweit, innerhalb derselben Generation, privat, nicht pornografisch, nur mit dem Körper und ohne Elemente von SM-Spielen. ‹Normal› ist ein Begriff, der dazu dient, viele Formen von Sexualität abzuwerten, weshalb er unbedingt vermieden werden sollte. Das Konzept der ‹Normalität› ist entworfen worden, um Menschen mit den falschen sexuellen Interessen auszugrenzen und zu unterdrücken. Das Wort ‹normal› ist der Todesstoß für Sex, der großes Vergnügen bereitet.»7

Donaghue führt weiter aus:

«Ein Erkennungszeichen für gute Gesundheit sollte es niemals sein, ‹normalen› Sex zu haben. ‹Normalität› ist nicht das Ziel. ‹Normalität› ist ein statistischer Durchschnitt, der die Unterschiede im Leben und bei der Sexualität ignoriert und versucht, alles Außergewöhnliche und Kreative auszuschalten. Normen sind der Status quo. Sie trüben die erregendsten Elemente unseres sexuellen Verhaltens und unserer Lust. Menschen sind regelmäßig davon überzeugt, dass sie aufgrund ihrer Sexualität emotional aus dem Gleichgewicht geraten sind, während in Wahrheit alle Teile unserer Sexualität und unserer Erregungsmuster akzeptabel und unbelastet von Scham sind. Je mehr wir uns selbst erlauben, uns mit allem zu beschäftigen, das uns erregt, desto mehr verringert sich unser Gefühl der Beschämung und die damit verbundene Isolation. (...) Elitäres Denken im Bereich der Sexualität – also der Glaube daran, dass die eigene Sexualität die einzige richtige ist, während man die Sexualität anderer unterdrückt – ist einfach ein verkleidetes Vorurteil. (...) Sexpositiv zu sein bedeutet, die sexuellen Entscheidungen, Interessen und Ausdrucksformen anderer Menschen nicht abzuwerten oder als krankhaft abzustempeln.»8

Donaghue gehört mit dieser Auffassung zum Mainstream der Sexualwissenschaft unserer Zeit. Auch die allermeisten Psychiater, also im weitesten Sinne die Nachfahren Sigmund Freuds, haben das im Laufe der Jahre eingesehen. Eines ihrer Standardwerke ist das von der US-amerikanischen American Psychiatric Association (APA) herausgegebene, international gültige «Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM)». Schon mit seiner vierten Überarbeitung im Jahr 1994 betrachtet es den ­Sadomasochismus grundsätzlich nicht mehr als seelische Störung. Die derzeit aktuelle fünfte Überarbeitung, veröffentlicht im Juni 2013, unterscheidet unproblematische «Paraphilien» und «paraphile Störungen»: Störungen sind nicht einvernehmlich und bereiten dem Betroffenen ein Unbehagen, das nichts mit sozialer Ausgrenzung zu tun hat: Jemand, der sich zwanghaft vor fremden Frauen im Park entblößt, leidet unter einer Störung, jemand, der das zum Beispiel nur in einem Swinger-Club tut, nicht.9

Chris Donaghue nennt ganz ähnliche Kriterien: Sex sollte einvernehmlich, ohne Schäden und vergnüglich stattfinden. Damit übernimmt er als Sexualwissenschaftler das Motto «Safe, Sane, Consensual and Fun» der SM-Szene. Und nach diesem Motto kannst auch du dich richten, wenn du herausfinden möchtest, ob deine sexuelle Neigung okay ist: Das ist sie, solange ...

•du niemanden zwingst, dabei mitzumachen, der das freiwillig nicht tun würde (Kinder sind zu jung, um sich freiwillig für oder gegen Sex zu entscheiden).

•du dir selbst oder jemand anderem keine bleibenden körperlichen oder seelischen Schäden zufügst (Peitschenstriemen sind also zum Beispiel okay, solange du und deine Partner damit keine Probleme haben).

•der Sex Spaß macht.

Auch im «Gesundheits-Brockhaus» hieß es im Jahr 2002 unter dem Eintrag «Masochismus»: «Werden die masochistischen Bedürfnisse in gegenseitigem Einvernehmen mit entsprechend veranlagten Sexualpartnern ausgelebt, wird Masochismus weder für den Betroffenen noch für andere zum Problem. Innerseelische und partnerschaftliche Komplikationen drohen meist nur dann, wenn die masochistischen Bedürfnisse verschwiegen, verdrängt oder nur unter großen Schuldgefühlen ausgelebt werden.» Die abwertende freudianische Sichtweise wird als «überholt» erklärt.

Wenn du besonders skeptisch bist, kannst du jetzt natürlich argumentieren: Woher weiß ich, dass diese geänderte Meinung nicht nur dem Zeitgeist zu verdanken ist? Vielleicht liegt es einfach nur gerade im Trend, nett zu sexuellen Minderheiten zu sein, weil diese Leute sonst auf die Barrikaden gehen?

Ich finde, das ist ein sinnvoller Einwand. Schauen wir uns also mal an, was verschiedene Studien über seltenere Formen sexuellen Verhaltens herausgefunden haben, also über das, was man früher als «pervers» bezeichnet hat:

•In der von Dr. Pamela Connolly und ihrem Forscherteam im Jahr 2003 vorgelegten Studie «Psychological Health in BDSM Communities» zeigt sich kein Hinweis darauf, dass ernste psychische Störungen wie Depressionen, Angstneurosen und Zwangsverhalten unter den Mitgliedern der SM-Gemeinschaft häufiger sind als in der Allgemeinbevölkerung. Tatsächlich scheinen diese Störungen unter SMern sogar etwas weniger verbreitet zu sein.

•Die kanadischen Psychologinnen Patricia Cross und Kim Matheson sahen 2006 in einer Studie, die in dem Buch «Sadomasochism: Powerful Pleasures» veröffentlicht wird, keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Masochisten an irgendeiner Form von seelischer Störung leiden oder Sadisten antisoziale Impulse hegen. Es fanden sich auch keinerlei Hinweise darauf, dass Sadomasochisten ein patriarchales Weltbild und traditionelle Geschlechterrollen stärker bevorzugten als eine nicht sadomasochistische Kontrollgruppe. Zudem fanden sich die Sadomasochisten häufiger in stabilen Langzeitbeziehungen als die Mitglieder der Vergleichsgruppe.

•Die Fachzeitschrift «Journal of Sexual Medicine» berichtete 2008 über eine Untersuchung der Universität von North South Wales (Sydney), an der zwanzigtausend Personen teilnahmen. Die Studie gelangte zu dem Ergebnis, dass SM-Anhänger keineswegs psychisch gestört oder gar gefährlich, sondern vielmehr glücklicher als andere Menschen sind. Die an der Studie beteiligte Professorin Juliet Richters kann über den Grund nur spekulieren: «Möglicherweise befinden sich diese Menschen mehr im Einklang mit sich selbst, weil sie etwas Ungewöhnliches mögen und sich gut dabei fühlen. Es ist einiges wert, sich selbst als das zu akzeptieren, was man ist.» Sexualforschern zufolge hilft diese Untersuchung dabei, das Vorurteil zu überwinden, Menschen, die auf Bondage und Disziplin stehen, seien als Kinder geschädigt worden und daher dysfunktional und therapiebedürftig.

•Im Rahmen der «Hamburger Forschungsberichte zur Sozialpsychologie» erschien ebenfalls 2008 die Studie «Konsensueller Sadomasochismus. Eine empirische Prüfung von Bindungsstil und Sozialisationseinfluss» von Erich Witte, Bettina Poser und Charlotte Strohmeier. Ziel dieser Studie war es, bisherige Annahmen über den Sadomasochismus als Folge einer seelischen Störung zu hinterfragen, die insofern zweifelhaft erschienen, als sie fast ausschließlich auf klinischen Stichproben beruhten. (Mit anderen Worten: Wenn man Sadomasochismus ausschließlich bei psychisch geschädigten Menschen untersucht, braucht man sich nicht über das Ergebnis zu wundern, dass Sadomasochismus grundsätzlich verbunden mit seelischen Schädigungen auftritt.) Die Ergebnisse dieser neuen Studie stützten die Hypothese, dass sich klinisch unauffällige, konsensuelle Sadomasochisten von Nicht-Sadomasochisten in den theoretisch hergeleiteten Bereichen nicht unterscheiden, was die Merkmale «elterlicher Erziehungsstil», «traumatische Erfahrungen», «Bindungsstil» und «Beziehungszufriedenheit» angeht.

•Im Jahr 2017 veröffentlichte die Fachzeitschrift Journal of Sex Research Christian C. Joyals Studie «The Prevalence of Paraphilic Interests and Behaviors in the General Population». Darin zeigte sich, dass fast die Hälfte der repräsentativ für die Allgemeinbevölkerung ausgewählten Befragten Interesse an mindestens einer sexuellen Spielart zeigten, die man früher als «pervers» bezeichnet hatte (darunter Voyeurismus, Fetischismus und Masochismus), und etwa ein Drittel der Befragten mindestens einmal mit einer solchen Praktik Erfahrungen gemacht hat. Das Interesse für Fetischismus und Masochismus unterschied sich bei Männern und Frauen nicht. Masochismus stand in einer statistisch signifikanten Verbindung zu einer höheren Befriedigung mit dem eigenen Sexleben. Die Forscher urteilten: «Diese Ergebnisse stellen die bisherigen Definitionen für normales und nicht-normales Sexualverhalten in Frage.»10

Natürlich. Wenn fast die Hälfte der Bevölkerung etwas scharf oder zumindest reizvoll findet, kann man es nur schlecht als «unnormal» oder gar «abartig» verkaufen. Auch eine deutsche Untersuchung, eine Hamburger Studie aus dem Jahr 2012, fand heraus, dass angeblich «unkonventionelle» Sexpraktiken inzwischen so beliebt sind, dass dies die Frage aufwirft, ob die Bezeichnung «unkonventionell» überhaupt noch Sinn ergibt. Auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind kaum noch vorhanden, während man früher vermeintlich schräge Vorlieben vor allem auf männlicher Seite sah.11

Jedenfalls lässt diese Häufigkeit eine berechtigte Hoffnung zu: Vielleicht sind deine Chancen, dass auch dein Partner solche heimlichen Gelüste hat, größer, als du denkst.

Ähnlich gut sieht es im Bereich Polyamorie aus. Hier fand zum Beispiel die Psychologin Elisabeth Sheff heraus, dass Kinder von Eltern in Poly-Beziehungen genauso gesund aufwuchsen wie Kinder monogamer Eltern. Und ihr Fachkollege Warwick Hosking ermittelte, dass die Qualität der Beziehung von Menschen in einer offenen Partnerschaft sogar höher ist: Es gibt dort mehr Vertrauen und Kommunikation und weniger Eifersucht.12

Ist dann also alles in Butter? Leider nicht. Das Grundproblem für Menschen mit sexuellen Vorlieben, die nicht eindeutig von der überwältigenden Mehrheit unserer Gesellschaft genossen werden, bleibt: All diese Studien der Sexualwissenschaft sind der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. In dieser Gesellschaft besteht trotz aller scheinbarer Offenheit noch immer eine bizarre Sexualfeindschaft zwischen Radikalfeminismus und Katholizismus. Im Jahr 2005 etwa – und das ist nicht so furchtbar lange her – veröffentlichte das Wissenschaftsmagazin GEO in seinem Sonderheft «Sünde und Moral» eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach zur Sexualmoral der Deutschen. Ihr zufolge hielt über die Hälfte der Befragten «Sadomaso-Praktiken» (die nicht näher definiert wurden) für verwerflich. Am meisten Ablehnung erfuhr SM in der Gruppe der 16- bis 29-Jährigen (56 %) und bei den über 60-Jährigen (59 %) sowie in den neuen Bundesländern (65 % gegenüber 50 % im Westen). Als weniger unmoralisch bewerteten die Deutschen Seitensprünge (36 %), Prostitution (24 %) sowie Homosexualität (18 %).

Wie viele unter all den Menschen, die SM-Aktionen als «verwerflich» etikettierten, selbst entsprechende Fantasien und Neigungen haben, ist nicht bekannt. Ungewöhnlich wäre das keineswegs. Wir wissen inzwischen aus der Sexualforschung, dass männliche Versuchspersonen, die Schwule stark ablehnen, von erotischen Filmen mit homosexuellen Inhalten besonders leicht erregt werden, auch wenn sie sich das selbst nicht eingestehen. Deshalb vermuten viele Sexualforscher, dass sich hinter einer besonders starken Abneigung gegenüber Homosexualität entsprechende eigene Bedürfnisse verbergen, die der Betreffende bei sich nicht akzeptieren kann und deshalb so vehement ablehnt, wie es ihm nur möglich ist. Wer weiß, ob das bei anderen sexuellen Vorlieben nicht ebenso ist?