Schenk mir nur diesen einen Kuss - Joanne Rock - E-Book

Schenk mir nur diesen einen Kuss E-Book

Joanne Rock

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Beschreibung

"Dieser Mann sieht beinahe lächerlich gut aus!" Das schießt Abigail durch den Kopf, als sie Doktor Vaughn Chambers zum ersten Mal sieht. Doch ihr Leben ist gerade kompliziert genug, sie muss sich den sexy Arzt aus dem Kopf schlagen. Leichter gesagt als getan, denn bei ihrem Auftrag für das Krankenhaus kommen sie sich bald näher. Ein Besuch auf seiner Ranch endet mit sinnlichen Stunden in seinen Armen. Abigail weiß - Vaughn ist der Mann ihrer Träume. Aber wird er sie noch lieben, wenn er ihr großes Geheimnis erfährt?

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Seitenzahl: 205

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IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2018 by Harlequin Books S. A. Originaltitel: „Expecting a Scandal“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 2086 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Simone Wolf

Abbildungen: [email protected] / Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733725266

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Abigail Stewart rückte ihre Brille zurecht. Hoffentlich lenkte das verrückte schwarz-rote Zebramuster dieses Gestells von der reinen Verzweiflung ab, die man bestimmt klar und deutlich in ihren Augen sehen konnte.

Sie wollte nicht, dass das Komitee des Royal Memorial Hospital merkte, wie dringend sie den Auftrag für die Skulptur auf der Kinderstation brauchte, die sie gerade vorgeschlagen hatte. Und sie wollte schon gar nicht, dass jemand mitbekam, wie sehr es sie durcheinanderbrachte, dass sie zum ersten Mal seit dem Tod ihrer Schwester wieder ein Krankenhaus betreten hatte.

Sie stand am Kopf eines Konferenztisches in der Vorstands­etage des Krankenhauses. Mit einer schnellen Geste strich sie den schmalen Rock glatt, der ihr in die Schwangerschaftshüften kniff. Den Babybauch hatte sie unter einem weiten roten Top versteckt. Sie war im fünften Monat, also konnte sie der Welt bald nichts mehr vormachen. Aber Abigail war nicht gerade erpicht darauf, die Fragen zu beantworten, die sich unweigerlich aus dem Skandal um den Erzeuger ihres Babys ergeben würden. Denn das war der verlogene Mistkerl, der sich als Will Sanders ausgegeben hatte, den mächtiger Geschäftsführer von Spark Energy Solutions.

Sie konnte sich noch immer nicht mit dem Gedanken anfreunden, bald als alleinerziehende Mutter dazustehen.

Wenn es ihr jetzt nicht gelang, sich diesen Auftrag zu schnappen, würde alles sogar noch schlimmer werden. Denn dann konnte sie die nächste Rate für ihr Haus nicht bezahlen. Sie hatte im letzten Jahr zu wenig gearbeitet, weil sie ihrer Mutter geholfen hatte, die nach Alannahs Unfall mit dem Kajak völlig überfordert gewesen war. Dabei war Abigails Notgroschen draufgegangen.

„Haben Sie noch Fragen zu der Installation, die ich Ihnen vorgeschlagen habe?“ Abigail rang sich trotz des nervösen Grummelns in ihrem Magen ein Lächeln ab. Zumindest hoffte sie, dass es nur die Nerven waren und keine verspätete Morgenübelkeit. In den letzten beiden Monaten hatte der „Morgen“ sie zu allen Tageszeiten wieder eingeholt.

„Ich habe eine Frage.“ Die tiefe, männliche Stimme kam vom anderen Ende des langgestreckten Raums.

Abigail sah überrascht auf.

Sie hatte gedacht, dass alle Mitglieder des Komitees am Tisch versammelt waren, wo sie die Leinwand mit der Präsentation gut sehen konnten. Aber jetzt bemerkte sie, dass ein beinahe lächerlich gut aussehender Mann im grünen OP-Kittel dicht neben der hinteren Tür auf einem Stuhl saß.

Seine ganze Erscheinung, von den Lederschuhen bis hin zu seinem teuer aussehenden Haarschnitt, strahlte einen Reichtum aus, den der OP-Kittel und seine leicht ungepflegt wirkenden Bartstoppeln nicht verbergen konnten. Sogar das Handy, das er in der Hand hielt, hatte vermutlich mehr gekostet als die monatliche Ratenzahlung für ihr Haus. Sie war so damit beschäftigt gewesen, ihr Video zum Laufen zu bringen, dass sie sein Eintreffen gar nicht bemerkt hatte.

Er hatte dichtes braunes Haar, dunkelgrüne Augen und einen Körper, um den jeder Profisportler ihn beneidet hätte – vor allem seine breite Brust und seine starken Arme waren mehr als ansprechend. Das wollte schon etwas heißen, wenn es einer im fünften Monat Schwangeren auffiel, die zusätzlich zu ihrer Morgenübelkeit auch noch gegen ihre Nervosität ankämpfte.

Die Krankenhausleiterin, die Abigail zu dieser Präsentation eingeladen hatte, winkte dem Neuankömmling, dass er sich auf den leeren Platz am Tisch setzen sollte, wo eine ungeöffnete Präsentationsmappe lag.

„Gut, dass Sie da sind, Dr. Chambers, gesellen Sie sich zu uns.“

„Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Die OP hat länger gedauert.“ Er stand auf, um sich zu den elf anderen Mitgliedern des Komitees zu setzen, die ein Urteil über ihre Arbeit fällen sollten. „Ms. Stewart, ich möchte Ihr Talent nicht in Zweifel ziehen, und Ihre bisherigen Arbeiten sind sicherlich beeindruckend, aber ich fürchte, ich sehe einfach nicht ein, wozu wir auf der Kinderstation eine Skulptur brauchen, wenn uns in erster Linie Personal und Geräte fehlen.“

Es war wie ein Schlag in die Magengrube.

In dem Stimmengewirr, das sich daraufhin am Tisch erhob, konnte Abigail zumindest erst ihre Gedanken sammeln, ehe sie antwortete. Sie hatte geglaubt, die Entscheidung stünde längst fest, und es käme nur noch darauf an, ob sie oder ein anderer Künstler den Auftrag bekam. Deswegen war sie auf seine Frage nicht vorbereitet. Aber da sich sonst niemand zu Wort meldete, musste sie sich wohl schnell etwas einfallen lassen.

„Ich glaube, das Budget ist an seinen Verwendungszweck gebunden. Das hat der Spender wohl so festgelegt.“ Sie warf der Krankenhausleiterin, Belinda McDowell, einen Seitenblick zu. Belinda war die Vorsitzende dieses Komitees und kümmerte sich um die strategische Geschäftsentwicklung im Royal Memorial. Da die Frau, die ein wenig älter war als sie, ihr nicht widersprach, preschte sie weiter vor: „Also kann das Geld nicht für einen anderen Zweck verwendet werden.“

Dr. Chambers sah sie unverwandt an, während sie sprach. Dabei biss er die Zähne aufeinander und schien seine Ungeduld kaum im Zaum halten zu können. Fand er die Kunst im Vergleich zu seinem Beruf wertlos? Bei diesem Gedanken wurde sie selbst ungeduldig.

„Angenommen es wäre so …“ Er sah fragend zu Mrs. Mc­Dowell hinüber. Da die Frau mit dem silbergrauen Bob nickte, fuhr er fort: „Wieso dann eine Skulptur? Können Kinder mit Kunst auf diesem Niveau überhaupt etwas anfangen? Wäre etwas Altersgemäßes nicht besser, sodass sie sich auch dafür interessieren?“

Abigail unterdrückte das Bedürfnis, den Ordner mit den Unterlagen an der Stelle aufzuschlagen, an der sie genau diese Frage angesprochen hatte. Wahrscheinlich reagierte sie überempfindlich, weil dieser Auftrag so wichtig für sie war. Es ging ja nicht einmal nur um das Geld. Die Publicity, die sie dadurch bekommen würde, und dass sich ihre Mappe mit den Arbeitsproben weiter füllte, konnte über ihre weitere Karriere entscheiden.

„Die Skulptur ist ja nur der Anfang. Die Krankenhausverwaltung will am Monatsende bei einem Fest auf der Kinderstation eine größere Installation enthüllen.“ Sie nahm ihren Ordner vom Tisch und schlug die Seite mit dem Zeitplan auf, den sie vorgeschlagen hatte. „Auf Seite sechs finden Sie die weiteren Einzelheiten.“

Okay. Sie hatte der Versuchung doch nicht widerstehen können. Aber der grünäugige Herr Doktor strich sich mit einer Hand über seinen kurzen Bart und machte ein skeptisches Gesicht.

„Gibt es sonst noch Fragen?“, platzte sie eilig heraus und merkte viel zu spät, wie unhöflich das von ihr war.

Verdammt. Wieso war sie so verunsichert? Wahrscheinlich lag es daran, dass das Krankenhaus schlimme Erinnerungen in ihr weckte. Vielleicht waren es auch der zu enge Rock und die unerwartete Anziehungskraft des Arztes.

Sie hatte sich nach dem schrecklichen Fehler, den sie gemacht hatte, indem sie mit ihrem ehemaligen Chef geschlafen hatte, eigentlich geschworen, eine Weile die Finger von den Männern zu lassen. Es gefiel ihr überhaupt nicht, dass sie auf etwas so Oberflächliches wie ein attraktives Gesicht mit einer so weiblichen Nervosität reagierte. Von einem gut gebauten Männer­körper ganz zu schweigen.

Seine sonore Stimme hallte schon wieder durch den Konferenzraum. „Kann man in so kurzer Zeit denn große Kunst schaffen?“, fragte Dr. Chambers, der inzwischen dabei war, den Ordner mit ihrer Präsentation durchzublättern. „Glauben Sie wirklich, dass Sie rechtzeitig fertig werden?“

Glaubte sie das? Natürlich war es nicht so einfach. Sie hatte nur zehn Tage Zeit. Aber vor allem gefiel es ihr nicht, dass es davon abhängen sollte, wie lange es gedauert hatte, ein Kunstwerk zu erschaffen, um zu beurteilen, ob es „gut“ war. Es gab wunderbare Kunst, deren Erschaffung Jahre gedauert hatte, manchmal waren es aber auch nur Stunden gewesen.

„Natürlich“, erwiderte sie kühl. „Aber es ist zugegebener­maßen leichter für den Künstler, der den Zuschlag bekommt, wenn das Komitee sich schnell entscheidet.“

Belinda McDowell, die Vorsitzende des Komitees, erhob sich. „Und wir werden Ihnen so bald wie möglich Bescheid geben, Ms. Stewart. Danke, dass Sie bei uns waren.“ Mit einem knappen Nicken entließ sie Abigail und wandte sich dann den anderen am Tisch zu. „Ich möchte Ihnen noch einen weiteren Künstler vorstellen, falls Sie noch zehn Minuten Zeit haben.“

Abigail war bestürzt, dass ihr Beitrag schon vorbei sein sollte, deswegen suchte sie so schnell wie möglich ihre Sachen zusammen. Hatte sie gerade die wichtigste Präsentation ihrer ganzen Karriere versaut?

Während sie hinausging, fiel ihr Blick unwillkürlich auf Dr. Chambers. Sie hätte seinem Stuhl gern einen Tritt verpasst, weil er ihre Kunst in Zweifel gezogen hatte.

Es war aber auch ihr Künstlerauge, das von den faszinierenden Linien seines Gesichts und den definierten Muskeln seines Körpers fasziniert war. Zumindest hoffte sie, dass es nur die Künstlerin in ihr war, die solche lächerlichen Bedürfnisse hatte. Wenn sie sich nämlich als Frau zu diesem vorlauten Chirurgen mit dem Charme einer Klapperschlange hingezogen fühlte, hatte sie größere Probleme als ein leeres Konto und ein uneheliches Baby.

Dann hätte sie einen Arzt gebraucht. Aber einen, der ihren Kopf untersuchte.

Vaughn Chambers saß an einem Tisch im Dienstzimmer der Ärzte und blätterte die Präsentationsmappen der beiden Künstler durch, die nebeneinander vor ihm auf dem Tisch lagen. Es war gerade Schichtwechsel, deswegen ging es im Dienstzimmer hektisch zu. Die Kollegen kamen eilig herein, um sich schnell noch einen Kaffee oder etwas zu essen zu holen.

Vaughn hatte zwar ein Ölimperium geerbt, aber es hatte ihn nie interessiert, den Weg einzuschlagen, der deswegen für ihn vorgesehen war. Anstatt es sich leicht zu machen und einen Posten im Familienunternehmen einzunehmen, hatte er Medizin studiert und sich nach dem Abschluss zum Militärdienst verpflichtet. Diese Entscheidung bereute er keineswegs, aber sie machte ihm auch immer noch zu schaffen.

Die Spätfolgen seines Einsatzes in Afghanistan beschäftigten ihn auch Monate danach noch so sehr, dass er kaum an etwas anderes denken konnte. Jetzt verstand er die Methoden, die eingesetzt wurden, um mit posttraumatischem Stress umzugehen. Da er jedoch Unfallchirurg war, geriet er immer wieder in schwierige Situationen.

Wie heute zum Beispiel.

Vaughn hielt mit einiger Kraft sein Knie unter dem Tisch fest, damit sein Bein nicht nervös auf und ab wippte. Er zwang sich, körperlich ruhig zu bleiben. Vormittags hatte er einen Patienten mit diversen Stichverletzungen behandelt, der mit dem Rettungshubschrauber von einer nahegelegenen Ranch kam. Die Operation war gut verlaufen, aber er hatte lange gebraucht, weil so viele Areale betroffen gewesen waren.

Vaughn konnte zwar während einer Operation alles andere ausblenden und sich ausschließlich auf die Arbeit konzentrieren, die sein Leben war. Doch hinterher wurde es schwierig, wenn er seine Gefühle nicht mehr verdrängen konnte, indem er sich ausschließlich auf die chirurgischen Details konzentrierte.

Ausgerechnet heute musste er zu dieser Komitee-Sitzung, und das auch noch direkt nachdem er den OP-Saal verlassen hatte. Vaughn hatte sich also in den Konferenzraum geschleppt, während noch das Adrenalin durch seinen Körper strömte. Ihm war klar, dass er keinen guten Eindruck hinterlassen hatte.

Er trommelte mit den Fingern auf dem Tisch herum und starrte die Präsentationsmappen an. Dabei fiel sein Blick auf ein Foto von Abigail Stewart. Ihr kaffeebraunes Haar fiel in langen Locken über ihre Schultern, und sie lächelte auf der Aufnahme, auf der sie natürlich und viel fröhlicher wirkte, als er sie heute erlebt hatte. Das Licht des Sonnenaufgangs hinter ihr verlieh ihr eine leuchtende Aura. Sie betrachtete mit ihren dunklen Augen irgendetwas hinter der Kamera und lachte darüber. Es handelte sich nicht um ein klassisches Porträtfoto, aber es passte zu einer Künstlerin.

Bei ihrer kurzen Begegnung hatte er sie heftig angegriffen, indem er sie ungefiltert mit seinen Zweifeln an diesem Kunstprojekt konfrontiert hatte.

Jemand klopfte ihm auf den Rücken.

Vaughn erschrak und drehte sich viel zu schnell und zu wütend um. Das erkannte er daran, wie Belinda McDowell die Augen aufriss und einen Schritt rückwärts machte.

„Ich …“ Die erfahrene Krankenhausleiterin war eine uneingeschränkt kompetente Frau, eine unermüdliche Streiterin für das Royal Memorial und ein absoluter Profi.

Vaughn hatte sie erschreckt, und das nur, weil er einen schlechten Tag hatte.

Verdammt.

„Tut mir leid“, sagte er und kratzte alles an Charme zusammen, was er aufbieten konnte. Er lächelte. „Ich bin wohl eingeschlafen. Ein Glück, dass ich nicht mehr Assistenzarzt bin. Das könnte ich heute nicht mehr durchstehen.“

Die Leiterin drückte ihm einen Umschlag in die Hand. „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich bin froh, dass Sie sich bereit erklärt haben, Ms. Stewart aufzusuchen, damit sie mit der Arbeit an dem Kunstprojekt anfangen kann.“

Nachdem sie beide Präsentationen gehört hatten, hatte sich das Komitee einstimmig für Abigail Stewart entschieden – und für ihre Skulptur als ersten Schritt zu einer größeren Installation. Da Vaughn bedauerte, dass er so hart gewesen war, hatte er sich bereit erklärt, ihr die Nachricht persönlich zu überbringen.

Ach verdammt, wem wollte er eigentlich etwas vormachen? Natürlich hatte er sich freiwillig gemeldet, weil sie ihn interessierte. Irgendetwas an Abigail Stewart zog ihn magisch an.

„Es macht mir nichts aus, in ihrem Atelier vorbeizufahren. Ich muss auf dem Weg nach Hause ohnehin durch die Stadt.“ Er nahm Mrs. McDowell den Umschlag ab, auf den Abigails Name gedruckt war. „Was ist das?“

„Die erste Hälfte des Honorars, darauf haben wir uns doch bei der Besprechung geeinigt“, antwortete sie spitz. „Bitte sagen Sie ihr noch einmal, dass sie gern herkommen und hier arbeiten kann, wann immer sie möchte. In dem Umschlag sind auch ein Mitarbeiterausweis und eine Parkkarte.“

Also würde er Abigail demnächst öfter sehen. Es waren nur noch zehn Tage bis zur Gala-Veranstaltung im Royal Memorial. Die Künstlerin würde sich beeilen müssen, und er bekam einen Vorwand, sie öfter wiederzusehen – im Krankenhaus. Wenn er wollte. Ihm war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, eine Frau zu treffen, die seine Barrieren so mühelos überwinden konnte und ihn so tief in seinem Innern berührte.

„Natürlich.“ Er legte den Umschlag auf den Tisch neben sein Handy. „Ich weiß, dass sie so viel Zeit wie möglich bekommen soll. Ich fahre los, sobald ich noch einmal nach meinem Patienten gesehen habe.“

„Danke. Ruhen Sie sich aus, Dr. Chambers. Sie sind wichtig für unser Krankenhaus.“ Damit drehte sich Mrs. McDowell auf dem Absatz um und verließ den Raum.

Vaughn saß einen Augenblick lang still vor dem Papierstapel, ehe er die Mappen wieder zuklappte. Sein Blick fiel noch einmal auf das Foto von Abigail. Sie war zweifellos attraktiv. Sogar sinnlich, mit ihren dunklen Augen, den schönen Locken und dem Kussmund. Aber das war es nicht. Er war seit seiner Rückkehr aus Afghanistan schon vielen Frauen begegnet, doch bisher hatte ihn noch keine aus seiner selbstgewählten Isolation herausgelockt.

Der Heilungsprozess bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung, einer sogenannten PTBS, war eben langwierig, und er hatte auf jeden Fall große Fortschritte gemacht, seitdem er seinen Golden Retriever hatte.

Ruby hatte seine Schlafstörungen gemildert. Sie weckte ihn, bevor seine Alpträume außer Kontrolle gerieten, und schützte ihn davor, dass ihm andere Menschen zu nahe kamen, wenn er das Haus verließ.

Verdammt, Ruby war der Grund dafür, dass er das Haus überhaupt verlassen konnte, und das tat ihm gut. Alles andere würde sich mit der Zeit schon finden. Was machte es schon, dass er nicht bereit für eine Beziehung war?

Aber er wollte trotzdem wissen, was passierte, wenn er Abigail wiedersah.

2. KAPITEL

Abigail lief wie eine nervöse Katze in ihrem Atelier herum. Dabei räumte sie auf, denn sie war nach der verkrampften Besprechung im Royal Memorial zu aufgekratzt, um sich aufs Zeichnen zu konzentrieren.

Als sie zurückgekommen war, hatte sie eine Kohleskizze von dem unfreundlichen Chirurgen gemacht, die jetzt halbfertig auf dem Tisch lag. Sie drehte die Folkmusik lauter, die sie in der letzten Zeit gern bei der Arbeit hörte. Hoffentlich ließen sich damit die Dämonen vertreiben, während sie ihr Atelier in Ordnung brachte. Doch dann unterbrach das Summen der Türklingel die Gitarrenklänge.

Abigail legte ihr kleines Schnitzmesser an seinen Platz und schob sich an den Stämmen unterschiedlicher Hölzer vorbei, die gerade in dem kleinen, sonnendurchfluteten Raum trockneten, den sie als Atelier benutzte. Sie rechnete eigentlich damit, dass ein Kurierfahrer vor ihr stehen würde, als sie die Seitentür öffnete, zu der die Klingel gehörte. Stattdessen stand jedoch der Mann vor ihr, um den ihre Gedanken den ganzen Nachmittag lang gekreist waren.

„Dr. Chambers.“ Der attraktive Arzt sah sie mit seinen grünen Augen aufmerksam an. Er kam ihr jetzt nicht mehr so feindselig vor wie im Krankenhaus. Den OP-Kittel hatte er abgelegt und trug stattdessen eine dunkle Anzughose und ein blaues Button-Down-Hemd, dessen oberste Knöpfe offen waren. Wahrscheinlich wegen der Sommerhitze jetzt mitten im Juli in Texas. Sein kurz geschorener Bart verbarg einen Teil seines Gesichts. Bestimmt war er deutlich attraktiver, wenn er glatt rasiert war.

„Sagen Sie Vaughn zu mir.“ Er streckte ihr die Hand entgegen, dabei glänzte die silberne teure Uhr am Handgelenk. „Und ich glaube, wir hatten vorhin einen schlechten Start.“

Seine Bemerkung brachte sie aus dem Konzept, und die Berührung seiner Hand kribbelte in ihrem Arm und dann ihre Schulter hinauf.

„Abigail“, sagte sie automatisch, obwohl er natürlich genau wusste, wie sie hieß. Sie zögerte und kam sich albern vor, als sie die Hand sinken ließ. „Ich hatte Sie nicht erwartet. Außer …“

Sie spürte Hoffnung und gleichzeitig Anspannung. Er war doch wohl nicht den ganzen Weg bis in ihr Atelier gekommen, weil er schlechte Nachrichten hatte?

„Sie haben den Auftrag.“ Er überbrachte die Nachricht mit einem knappen Nicken, als würde er einem Patienten seine CT-Ergebnisse vorlesen. Seine Worte waren knapp, aber ihre Bedeutung war überwältigend. „Ich dachte, ich überbringe Ihnen die Nachricht persönlich …“

Was er sonst noch zu sagen hatte, hörte Abigail schon gar nicht mehr. Eine Welle der Erleichterung brach so heftig über sie herein, dass sie beinahe gestolpert wäre. Sie verschränkte die Hände und presste sie zusammen, während sie sich ein kleines Lachen nicht verkneifen konnte.

„Vielen Dank!“ Sie drehte eine Pirouette und tanzte auf der Stelle. „Sie haben ja keine Ahnung, was das für mich bedeutet!“

Sie konnte ihr Haus und das Atelier behalten, in dem sie sich so wohlfühlte! Das Honorar reichte aus, um das erste Jahr lang für ihr Baby zu sorgen, und vor allem würde dabei ein wunderbares Kunstwerk entstehen, das sie dem Andenken an ihre Schwester widmen konnte. Die Baumskulptur sollte für Alannah sein. Ein Baum der Liebe und Hoffnung.

„Wollen … Sie nicht hereinkommen?“ Jetzt bemerkte sie erst den Umschlag unter seinem Arm. Wahrscheinlich war unter den ganzen Papieren auch ein Scheck. Seltsam, dass ausgerechnet der unleidliche Chirurg ihr die beste Nachricht seit Ewigkeiten überbrachte.

Er zögerte. Vielleicht hatte der reiche Doc etwas gegen einen Künstlerbungalow einzuwenden. Ihr Atelier sah für ihn sicher seltsam aus. Oder vielleicht hatte er grundsätzlich nichts für Kunst übrig. Aber sie war zu erleichtert, um sich darüber Sorgen zu machen.

„Sicher.“ Noch so ein militärisch knappes Nicken, dann stieg er in seinen teuren Lederschuhen die hölzernen Stufen zu ihr hinauf. „Vielen Dank.“

„Setzen Sie sich. Möchten Sie einen Schluck Wasser? Oder Tee?“, fragte sie und ging zu der Küchenzeile in der hinteren Ecke ihres Ateliers. Wenn sie nicht im fünften Monat schwanger gewesen wäre, hätte sie jetzt gern eine Flasche Champagner aufgemacht.

Auch wenn ihr die Ansichten des Arztes vorhin nicht gefallen hatten, jetzt war er hier und bot ihr den Job an, der sie an diesem schwierigen Wendepunkt in ihrem Leben über Wasser halten würde – finanziell, künstlerisch und vielleicht auch seelisch. Wie konnte sie ihn da nicht in einem anderen Licht sehen?

„Nein, vielen Dank.“ Er setzte sich auf einen Hocker und gab sich geschäftsmäßig. „Ich habe den Vertrag mitgebracht, den Sie unterschreiben müssen, und Ihre Anzahlung.“

Er nahm die Papiere aus dem Umschlag und legte sie vorsichtig zwischen ein Aquarell, das einen Kleiber auf einem Ast zeigte, und die Kohlezeichnung, die sie von ihm gemacht hatte.

Nein! Sie erschrak, weil sie das Blatt nicht weggeworfen hatte, und ging schnell zum Tisch hinüber, um es beiseite zu räumen, ehe er es bemerken konnte.

Oder hatte er es schon gesehen?

„Ich. Ähm. Das ist …“ Schon stand sie neben ihm. Zu nah bei ihm. Bedrängte ihn förmlich. Und brachte kein vernünftiges Wort heraus.

„Es ist alles ganz einfach.“ Er sah zu ihr auf. Runzelte die Stirn. „Stimmt etwas nicht?“

Sie konnte an seinem Gesichtsausdruck nicht erkennen, ob er die halbfertige Skizze gesehen hatte, die ihn zeigte. Also beugte sie sich vor, klaubte so schnell es ging alles Papier vom Tisch und warf dabei versehentlich den Scheck auf den Boden. Gleichzeitig stieß sie mit dem Knie an seinen Oberschenkel. Als sie seine Nähe spürte, wurde ihr ganz schwindelig.

Sie hatte extra die Schürze anbehalten, die sie beim Arbeiten trug, damit er ihren Babybauch nicht sehen konnte. Die meisten Leute in Royal wussten schließlich nichts davon, und wahrscheinlich war es mit seinem männlichen Interesse vorbei, sobald er erfuhr, dass sie bald Mutter sein würde.

Was war denn falsch daran, wenn sie seine Aufmerksamkeit noch ein wenig länger genießen wollte?

„Äh. Nein.“ Sie schüttelte den Kopf und stellte sich vor, dass sie wahrscheinlich so unschuldig aussah wie ein Kleinkind, das man mit einer Hand in der Keksdose erwischt hatte. „Aber die Unordnung hier tut mir wirklich leid.“

Ihre Wangen brannten. Ihr war überhaupt ziemlich warm, und das lag nicht nur daran, dass ihr die ganze Situation so peinlich war. Ihr Knie, womit sie sein Bein berührt hatte, kribbelte. Um sich abzulenken und ihre Gedanken zu sammeln, zog sie den Vertrag zu sich heran und fing an zu lesen.

Vaughn fand das Gespräch mit Abigail Stewart inzwischen mehr als nur interessant. Die Spannung zwischen ihnen hatte sich seit dem stressigen Meeting am Morgen verändert. Dafür gab es wahrscheinlich mehrere Gründe.

Je länger die Operation her war, die seine schlimmen Erinnerungen wieder hochkommen lassen hatte, desto entspannter wurde er in ihrer Gegenwart. Dazu kam noch, dass Abigail offensichtlich begeistert war, dass sie den Auftrag erhalten hatte.

Das Allerbeste war aber, dass er auf ihrem Tisch die halbfertige Skizze eines Mannes entdeckt hatte, der ihm verblüffend ähnlich sah. Vaughn sah ihr dabei zu, wie sie den Vertrag durchlas, den er mitgebracht hatte. Er betrachtete ihr hübsches Gesicht. Ihre dunklen Locken fielen bis auf die Tischplatte hinab und schrien geradezu danach, dass er sie mit den Fingern berührte.

Verdammt. Er durfte nicht zulassen, dass seine Gedanken in diese Richtung wanderten, ohne dass er mehr von ihr wusste. Vielleicht war sie verheiratet. Oder sie war mit jemandem zusammen. Er hatte kein anderes Auto in der Auffahrt gesehen, aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie zu haben war. Dass sie ihn gezeichnet hatte, musste allerdings irgendetwas bedeuten.

„So.“ Abigail unterschrieb schwungvoll und schob ihm die Unterlagen zu. „Soll ich Ihnen mein Atelier zeigen, bevor Sie gehen?“

Auch wenn er sich darauf freute, nach Hause zu kommen und den Tag hinter sich zu lassen, musste er zugeben, dass er Abigails Gesellschaft genoss. „Das wäre schön. Ich hatte etwas ganz anderes erwartet“, sagte er aufrichtig und hoffte, dass er mehr von Abigail erfahren würde, wenn er noch ein wenig blieb.

„Ja?“ Sie sah ihn über die Schulter hinweg an, während sie ihn an einem Regal mit halbvollen Farbdosen und Chemikalien vorbeiführte. Ihr Blick war herausfordernd. „Haben Sie gedacht, dass ich mit einem Haufen weintrinkender Pseudointellektueller in meiner Dachkammer sitze und über Kafkas Romane diskutiere?“

Zu seiner eigenen Überraschung musste er laut lachen. „Nicht ganz. Aber ich hatte mir definitiv nicht so viele Äxte vorgestellt.“ Er blieb neben einer ganzen Reihe unheimlich aussehender Beile und anderer Werkzeuge stehen.

Sie stellte sich neben ihn. Ihre Verlegenheit von vorhin war verschwunden. Sie lächelte fast ein wenig liebevoll, als sie ihre Werkzeuge betrachtete. „Holzschnitzerei kann harte Arbeit sein, aber ich liebe sie.“

„Die Baumskulptur, die Sie uns für die Kinderstation vorgeschlagen haben, soll auch aus Holz sein?“ Er hatte die Details ihres Angebots nicht so genau gelesen. Außerdem hatte sie ja alle künstlerischen Freiheiten.