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Als Cassandra im sonnenverwöhnten Andalusien den spanischen Weingutsbesitzer Joaquin Alcolar trifft, weiß sie sofort: Dieser Mann ist ihr Schicksal! Grenzenlose Tage des Glücks erlebt sie mit ihm, bis sie erfährt, dass Joaquin nie länger als ein Jahr bei seinen Geliebten bleibt ...
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Seitenzahl: 205
IMPRESSUM
Schicksalsnächte in Spanien erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2004 by Kate Walker Originaltitel: „The Twelve-Month Mistress“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRA, Band 284 Übersetzung: Gudrun Bothe
Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A., ventdusud, Cn0ra, Photo2008 / GettyImages
Veröffentlicht im ePub Format in 07/2022
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751515276
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Der Kalender hing dort an der Wand, wo Cassie ihn unmöglich übersehen konnte.
Egal, in welche Richtung sie schaute, er war immer in ihrem Blickfeld. Tatsächlich schien er sogar mit jeder Sekunde, die verstrich, größer zu werden, wobei das Foto mit der bunten, stimmungsvollen Festszene vor Lebendigkeit förmlich vibrierte.
Und mittendrin die fett gedruckten schwarzen Zahlen, die das Datum anzeigten. Besonders jenes, das sie krampfhaft zu verdrängen suchte und dem sie doch auch entgegenfieberte …
Cassie wusste selbst nicht, was sie genau empfand. Denn die Bedeutsamkeit und der Verlauf jenes Tages unterlagen ganz allein Joaquins Kontrolle. Und nur seiner. Sie hatte keinerlei Einfluss darauf.
Zumindest, wenn sie nicht riskieren wollte, die Dinge ungewollt in eine Richtung zu lenken, die ihr absolut missfiel. Aber war es das wert, in einer Situation auszuharren, die sie nur unglücklich machen konnte?
„Himmel! Hör endlich auf, dich verrückt zu machen!“, rief sie sich selbst zur Ordnung und strich gereizt eine vorwitzige goldblonde Haarsträhne hinters Ohr. „Lass dieses leidige Thema endlich ruhen, du drehst dich ja doch immer nur im Kreis!“
Und das hatte sie in den letzten drei Wochen tatsächlich getan, wie sie widerstrebend zugeben musste. Dabei entsprach das gar nicht ihrer üblichen spontanen und entschlussfreudigen Art.
Cassie schob die fein geschwungenen Brauen über den intensiv blauen Augen zusammen, verschränkte die Arme vor der Brust und nagte an der Unterlippe. Seit sie das Kalenderblatt vom Vormonat abgerissen hatte, lauerte in der Mitte der dritten Woche dieses Monats der alles entscheidende Jahrestag.
Der Tag, von dem sie hoffte, dass Joaquin sich nicht daran erinnerte – oder falls doch, dass er dann anders als in der Vergangenheit darauf reagieren würde. Jedenfalls nicht damit, dass er sie verließ …
Oder besser, dass er ihr nahelegte, ihn zu verlassen, da es schließlich sein Haus war, in dem sie zusammenlebten.
Keine Frau durfte länger als zwölf Monate bei ihm bleiben. Immer wenn ein Jahr vergangen war – manchmal exakt auf den Tag genau –, verabschiedete er sich von seiner jeweiligen Geliebten und fuhr mit seinem Leben fort, ohne auch nur ein Mal zurückzuschauen.
Und am Ende dieser Woche würde eben ihr Traum zu Ende sein … oder nicht?
„Ach, Joaquin … wenn ich nur wüsste, was du denkst und fühlst“, flüsterte Cassie voller Pein.
Ob er sie jemals als etwas anderes gesehen hatte denn als eine Geliebte auf Zeit? Würde ihr das gleiche Schicksal beschieden sein wie ihren Vorgängerinnen?
Das Geräusch eines Schlüssels, der sich im Schloss der Haustür im Erdgeschoss drehte, riss Cassie aus ihren Ängsten und sehnsüchtigen Hoffnungen und katapultierte sie unsanft in die Wirklichkeit zurück. Sie war so in sich versunken, dass sie das Motorengeräusch des Wagens gar nicht wahrgenommen hatte, und jetzt erschien Joaquin. Und das auch noch unerwartet früh, ehe sie richtig Zeit fand, sich zu fassen.
„Cassandra!“
Der Klang ihres Namens, wie nur er ihn aussprechen konnte, ließ einen wohligen Schauer über ihren Rücken rinnen – ein rauer Singsang mit einem weichen rollenden R, der ihr Herz weitete.
Inzwischen war sie darin geübt, jede noch so winzige Nuance in der warmen dunklen Stimme wahrzunehmen und sie zu interpretieren. Sie gab ihr Aufschluss über seine momentane Laune und einen Hinweis darauf, was für die nächsten Stunden zu erwarten war.
Hörte Joaquin sich an wie gewöhnlich, war alles in Ordnung. Gab es Anzeichen einer gewissen Distanz oder echter Verstimmung, hatte sie so immer noch einige Sekunden Zeit, sich die passende Reaktion zurechtzulegen.
„Cassie!“
Oh, was diesen Ton betraf, der war nicht misszuverstehen …
In dem kleinen Wort lag mehr Missbilligung und Ungeduld, als wenn Joaquin eine donnernde Schimpfkanonade abgefeuert hätte. Während andere die Kurzform ihres Namens als zärtliche und liebvolle Variante benutzten, diente sie ihm dazu, ihr zu vermitteln, dass sie aus irgendeinem Grund mal wieder in Ungnade gefallen war.
Wahrscheinlich hatte er damit gerechnet, dass sie ihn bereits an der Tür mit geöffneten Armen und einem Kuss empfing. Und an einem anderen Tag hätte Cassie auch nichts lieber getan als das. Aber heute schienen die quälenden Gedanken wegen des bevorstehenden Jahrestages ihre Reaktionsfähigkeit auf ein Zeitlupentempo zu reduzieren.
„Cassie, wo bist du?“
„Hier oben!“
Während sie sprach, war sie bereits auf dem Weg. Ein neuer Ton in seiner Stimme hatte den auf ihr lastenden Bann schlagartig gebrochen. Diesmal hörte Joaquin sich nicht so selbstsicher und überzeugt davon an, dass er nur den Mund aufmachen musste, um seinen Willen durchzusetzen.
Als ältestem Sohn von Juan Ramón Alcolar, dem spanischen Aristokraten, der gleichzeitig Besitzer und Geschäftsführer der Alcolar Corporation war, stand ihm seiner Meinung nach nicht nur Respekt und absoluter Gehorsam zu, sondern ebenso die Erfüllung jedes geäußerten oder zu erahnenden Wunsches. Wie er es von Kindesbeinen an gewohnt war.
Und heute, da er mit seinem exzellenten Weingut und – vertrieb den geschäftlichen Erfolg seines Vaters weit übertroffen hatte, erwartete er eher noch mehr.
Deshalb nannten ihn auch einige el lobo, den einsamen Wolf, der seinen eigenen Weg ging, ohne Hilfe oder Unterstützung anzunehmen – nicht einmal von seiner Familie.
Aber es gab auch jene, die einen Buchstaben in seinem Spitznamen veränderten und ihn el loco nannten – den Verrückten –, weil sie es nicht verstehen konnten, dass jemand freiwillig seinem Glück den Rücken kehrte. Anstatt die herausragende Position anzunehmen, die sein Vater ihm im Familienunternehmen bot, hatte Joaquin sich für ein eigenes Unternehmen entschieden, dessen Erfolg damals nicht abzusehen gewesen war.
„Ich komme!“
Nicht immer war Cassie in der Vergangenheit so schnell bereit gewesen, diesem speziellen Kommandoton zu folgen. Manchmal hatte sie Joaquin absichtlich herausgefordert, um aus purer Abenteuerlust sein hitziges Temperament zu reizen. Und sie war neben seiner jüngeren Schwester Mercedes eine der wenigen, die damit ungestraft davonkamen.
An einem anderen Tag hätte Cassie ihm nur allzu gerne Kontra gegeben, weil sie der Meinung war, dass Joaquin es brauchte. Jemand musste mal seinen anmaßenden Ton rügen und ihn in seiner Überzeugung erschüttern, dass er nur laut werden musste, um seinen Willen durchsetzen zu können.
Aber nicht heute. Nicht in diesem Moment. Nicht mit diesem Datum vor Augen und seiner offensichtlich schlechten Laune, die sie verunsicherte.
„Du bist heute sehr früh dran. Ich habe dich erst in einer Stunde erwartet.“
Sie schien auch nicht besonders erbaut von diesem Umstand zu sein, registrierte Joaquin für sich. Und genau das war einer der Gründe, warum er heute tatsächlich früher dran war als sonst. Cassandra hatte sich in der letzten Zeit auffällig verändert. Er verstand sie nicht mehr. Das passte ihm nicht, und deshalb hatte er sie überraschen wollen, um auf diesem Weg vielleicht herauszubekommen, was in ihrem hübschen Köpfchen vor sich ging.
„Das Meeting führte viel früher als erwartet zu dem gewünschten Ergebnis. Und da mich das anstehende Projekt in der nächsten Zeit völlig einspannen wird, dachte ich, ich nutze die Chance, einmal zeitiger nach Hause zu kommen.“
Während der Geschäftsbesprechung war er nicht richtig bei der Sache gewesen. Deshalb brach er sie auch spontan ab und machte sich, so schnell es ging, auf den Heimweg. Sicher hatte er dabei jede Geschwindigkeitsbeschränkung und noch eine Reihe weiterer Verkehrsregeln gebrochen.
„Warum überrascht dich das? Fühlst du dich vielleicht aus irgendeinem Grund ertappt oder gar schuldig?“
„Wie bitte? Nein, natürlich nicht!“, gab sie zurück.
Für ihn hörte sich ihr Protest ein wenig zu übertrieben an. Wie von jemandem, der tatsächlich etwas zu verbergen hatte.
„Ich erinnere mich nur daran, dass du sagtest, du könnest keinesfalls vor sieben hier sein.“
„Weil ich auch genau das erwartet habe. Außerdem hatte ich nicht den Eindruck, als würde es dir etwas ausmachen.“
„Ich habe mich doch auch überhaupt nicht beschwert“, gab sie fast schnippisch zurück.
So war sie jetzt schon seit einigen Wochen. Unberechenbarer und schärfer im Ton mit jedem Tag, der verstrich. Ständig überlegte Joaquin, womit er Cassie auch nur ein winziges Lächeln entlocken konnte. Früher hatte sie so gerne gelacht. Doch momentan schien ihr nichts mehr Freude zu machen.
Außer natürlich ihre Zeit im Bett. Zumindest dort hatte sie nichts von ihrer Lebhaftigkeit verloren. Wenn überhaupt möglich, schien ihr sexueller Appetit sich in der letzten Zeit noch verstärkt zu haben. Sie war leidenschaftlicher und wilder. Weniger die hingebungsvolle Cassandra, die er kannte, sondern eine entfesselte Verführerin und fordernde Geliebte, die ihn mit ihrer Intensität fast in den Wahnsinn trieb.
Trotzdem schien ihrer Beziehung plötzlich etwas Entscheidendes zu fehlen, und das machte ihn unruhig und seltsam traurig.
„Ich bin einfach nur überrascht.“
Inzwischen stand sie oben am Treppenabsatz und lächelte ihm zu. Eher freundlich als zärtlich oder gar begeistert, konstatierte Joaquin. Den dunklen Kopf stolz erhoben, stand er breitbeinig am Fuß der Treppe auf dem terrakottafarbenen Fliesenboden der weitläufigen Eingangsdiele und schaute zu ihr empor.
Ein weniger selbstbewusster Mann hätte so von oben betrachtet ungünstig und optisch verkürzt gewirkt. Joaquin hingegen sah seltsamerweise auch aus dieser Perspektive so imposant und überwältigend männlich aus, dass Cassies Herzschlag sich unwillkürlich beschleunigte.
Das dichte Haar, blauschwarz schimmernd wie das Gefieder eines Raben, trug er im Nacken etwas länger. Die ausdrucksvollen Augen waren womöglich noch dunkler und glühten in einem seltsamen Feuer. Die olivfarbene Haut hatte durch die sengende Sonne, wie sie um diese Jahreszeit in Jerez vom Himmel brannte, einen samtenen Bronzeton angenommen.
Für einen Spanier war er ungewöhnlich groß, was Joaquin in erster Linie seinen andalusischen Vorfahren verdankte. Die breite Brust ebenso wie die schmale Taille und die langen muskulösen Beine wurden durch den klassischen Schnitt des maßgefertigten grauen Designeranzugs eher unterstrichen als kaschiert. Vollendet wurde die elegante Aufmachung von einem blütenweißen Hemd und einer seidenen Krawatte.
Natürlich hing die – typisch für ihn – lässig gelockert um den kräftigen Hals. Joaquin Alcolar war zwar durchaus bereit, Zugeständnisse an eine konventionelle Businessuniform zu machen, aber dann zu seinen Bedingungen und nur solange es unbedingt notwendig war. Sobald er nach Hause kam, befreite er sich von solchen Fesseln der Zivilisation.
„Als das Meeting früher als erwartet beendet war, habe ich mir überlegt, dass ich hier wahrscheinlich noch mehr schaffen kann als im Büro.“
„Dann bist du also früher nach Hause gekommen, um noch zu arbeiten?“ Es hätte sie nicht so sehr treffen dürfen. Sie kannte ihn lange genug und wusste doch, wie er war. Trotzdem tat es jedes Mal aufs Neue weh.
„Ich dachte, du freust dich darüber.“
„So ist es auch.“
Es hört sich an, als müsse sie sich zwingen, das zu sagen, dachte Joaquin, und die nervöse Stimmung, die ihn schon den ganzen Tag über gefangen hielt, verstärkte sich von Sekunde zu Sekunde. Und warum stand sie immer noch dort oben auf der Treppe? Sie hätte längst herunterkommen sollen, um sich in seine Arme zu schmiegen.
Ja, das brauchte er jetzt, um sein gereiztes Gemüt zu besänftigen. Doch in letzter Zeit waren das, was er sich wünschte und was Cassandra wollte, offenbar ganz verschiedene Dinge. Ihre herzliche Spontaneität, mit der sie ihn im Sturm erobert hatte, war einer kühlen Indifferenz gewichen, die fast an Unhöflichkeit grenzte.
„Wenn sich Freude derart bei dir äußert, dann möchte ich dich nicht enttäuscht sehen.“ Mit Genugtuung sah er, wie sie vor Ärger errötete. Oder war das nur ein Zeichen ihres schlechten Gewissens? „Du siehst aus, als verbirgst du etwas vor mir“, fuhr er misstrauisch fort. „Was ist mit dir los, querida? Hältst du da oben etwa einen heimlichen Liebhaber versteckt?“
Er hatte es als Scherz gemeint, aber seine innere Anspannung ließ es eher wie eine Anschuldigung klingen. Prompt erhielt er die Quittung.
„Mach dich nicht lächerlich!“
Sie stand jetzt nur noch zwei Stufen über ihm und schaute ihn direkt an. Joaquin meinte ein leichtes Flackern in den Tiefen ihrer märchenhaft blauen Augen zu entdecken und versteifte sich automatisch.
„Warum sollte ich wohl einen Liebhaber brauchen?“
„In der Tat eine berechtigte Frage …“, murmelte er gedehnt. „Vielleicht reiche ich dir ja nicht mehr?“
Dies war ihr Stichwort, um sich reuig in seine Arme zu werfen, ihre samtene Wange an seine raue zu schmiegen und ihm das Gegenteil zu versichern. Für seinen Geschmack hatten sie diese ungute Szene schon viel zu lange ausgedehnt, um jetzt noch einen leichten, unverfänglichen Absprung zu schaffen.
„Cassandra?“
Da war er wieder, dieser verhangene Blick in ihren schönen Augen, der ihre Gedanken vor ihm verbarg und ihn ausschloss. Ein Zustand, der für Joaquin unerträglich war. Am liebsten hätte er sie bei den Schultern gepackt und so lange geschüttelt, bis sie ihm erklärte, warum sie sich so seltsam benahm.
Irgendetwas stimmte nicht mit ihr, und er wollte endlich wissen, was es war.
„Doch, natürlich tust du das.“
Das Lächeln, das über ihr Gesicht huschte, war so flüchtig und unverbindlich, dass er sich davon noch mehr zurückgestoßen fühlte als durch ihre Einsilbigkeit.
„Mehr als genug …“
Was sollte das denn heißen? Doch Joaquin kam nicht dazu, darüber nachzugrübeln, weil Cassie sich jetzt endlich vorbeugte und ihm einen Kuss auf die Wange gab. Es war nicht mehr als ein sanftes Streicheln ihrer weichen Lippen. Dann war es auch schon vorbei.
Bis auf dieses Lächeln! Es war ohne Wärme und so … distanziert, als wäre sie in Gedanken meilenweit von ihm entfernt. Er hasste das Gefühl, das es ihm vermittelte.
Cassie kam die letzten beiden Stufen herunter, schob Joaquin freundlich, aber bestimmt zur Seite und ging in Richtung Küche davon. Verblüfft schaute er ihr hinterher.
„Ich mache mir einen Kaffee“, rief sie über die Schulter zurück. „Möchtest du auch einen? Oder lieber einen kühlen Drink? Es war schrecklich heiß, als ich heute Nachmittag draußen auf der Terrasse saß.“
„Inzwischen hat es sich abgekühlt.“
Wie um alles in der Welt kamen sie dazu, in einer Situation wie dieser über das Wetter zu plaudern? Das war ein Thema, das man mit Leuten diskutierte, die man nicht leiden konnte oder die einen langweilten. Leute, die man sich auf eine unverfängliche Art vom Leib halten wollte. Geschäftskontakte, Angestellte … seinen Vater.
Aber nicht seine Geliebte – die Frau, mit der er zusammenlebte!
„Also lieber keinen Kaffee?“
„Nein!“
Es war nicht der Kaffee oder ein Drink, den er so vehement ablehnte, sondern die Art und Weise, wie sie sich ihm entzog. Sie schaute ihn nicht einmal an, sondern warf die Bemerkungen so nachlässig in seine Richtung, als sei es ihr egal, ob er sie überhaupt hörte.
„Nein!“
Mit wenigen schnellen Schritten war er an ihrer Seite. Jede seiner dynamischen Bewegungen drückte den Ärger aus, den er empfand. Brüsk umfasste er Cassies Unterarm und wirbelte sie zu sich herum.
„Joaquin!“
Doch er ignorierte ihren Protest. Ihm war es momentan völlig egal, ob sein harter Griff schmerzte oder Abdrücke auf dem zarten weißen Arm hinterließ. Sie tat ihm schließlich auch weh – auf eine viel tiefer gehende Weise.
Mit brennendem Blick durchforstete er ihr süßes vertrautes Gesicht … versuchte, in die Tiefe ihrer wundervollen Augen bis in ihr Innerstes, ihre Seele, vorzudringen, um zu ergründen, was sie vor ihm verbarg.
„Nein!“, stieß er noch einmal rau hervor, obwohl er selbst nicht mehr hätte sagen können, worauf sich das bezog. Joaquin wusste nur, dass ihm der Zustand, in dem er sich befand, nicht gefiel. Nie zuvor in seinem Leben hatte er sich derart hilflos und verstört gefühlt.
Er wollte sein altes Leben zurück. Rang verzweifelt um Kontrolle … über die Situation und über sich selbst, so, wie er es gewohnt war. Wie ein ruderloses Boot auf offener See zu treiben, machte ihn verrückt! Und das wegen einer Frau!
„Okay, schon verstanden … also keinen Kaffee. Was ist heute nur mit dir los?“
Was mit ihm los war?
„Nichts … jedenfalls nichts von Bedeutung.“
„Dann hör endlich auf, dich wie ein verwundeter Grizzlybär aufzuführen. Auch wenn du keinen willst, ich möchte jetzt meinen Kaffee trinken.“ Cassie senkte bedeutungsvoll ihren Blick auf seine schlanken, braun gebrannten Finger, mit denen er immer noch ihren Unterarm umklammert hielt.
„Perdón.“
„Schon okay.“
Wieder warf sie ihm dieses bedeutungslose Lächeln zu. Por Dios! Noch etwas mehr in der Art, und sie würde den verwundeten Grizzly tatsächlich zu spüren bekommen! Wenn er etwas hasste, dann war es Unaufrichtigkeit. Doch ehe er den Mund öffnen konnte, veränderte sich Cassies Gesichtsausdruck.
„Nein, es ist nicht okay!“, nahm sie ihre Worte voller Vehemenz zurück. „Was fällt dir eigentlich ein, mich derart … zu misshandeln?“
„Misshandeln …?“ Er dehnte das Wort so, dass es plötzlich in seiner ganzen Schwere im Raum zu lasten schien. „Das nennst du misshandeln? Was ist nur mit dir los, Cassie? Du bist doch sonst nicht so empfindlich, wenn ich dich berühre. Du …“
Kalte Wut über ihre ungerechtfertigte Anschuldigung trieb ihn auf sie zu. Jetzt stand er so dicht vor ihr, dass sie das Funkeln in seinen schwarzen Augen sehen konnte, das allerhöchste Erregung signalisierte. Flatternd senkte sie die Lider. Doch nicht schnell genug, dass Joaquin nicht den verletzten Ausdruck und noch etwas anderes, nicht Benennbares, hätte sehen können.
„… du hast es geliebt“, vollendete er seinen angefangenen Satz.
„Aber nicht so, wie du mich gerade festgehalten hast! Das mag ich überhaupt nicht!“, schoss sie sofort zurück. „Und lieben tue ich es noch weniger!“
„Habe ich dich verletzt? Wenn ja, dann möchte ich mich dafür …“
„Nein, du hast mich nicht verletzt … zumindest nicht so, wie du gerade denkst.“
Das unmerkliche Anheben ihres Kinns war reine Provokation, und das Blitzen in ihren Augen schürte das kaum gebändigte Feuer in den intimsten maskulinen Regionen seines kraftvollen Körpers. Sein Herz setzte einen Schlag aus, und dann rauschte das Blut wie sengende Lava durch seine Adern.
Und plötzlich wusste er, dass er sie berühren musste!
Nicht so, wie sie es ihm vorgeworfen hatte, sondern richtig. Er wollte ihren Herzschlag an seinem spüren und alle Bedenken, alles Misstrauen und Fremde zwischen ihnen wegküssen …
„Und du kannst dich entschuldigen, bis du schwarz wirst, es bedeutet mir nicht das Geringste!“, wütete Cassie weiter. „Du wirst mich nie wieder so behandeln und dann noch so tun, als sei nichts geschehen!“
Der unterschwellige Schmerz in ihren anklagenden Worten machte ihn stutzig. Hatte er bisher etwas übersehen, was sie ihm vielleicht durch ihr seltsames Verhalten vermitteln wollte? Denk nach!
Er versuchte es, und die Richtung, in die seine Gedanken dabei schweiften, gefiel ihm gar nicht. Joaquin schob die dunklen Brauen zusammen und versuchte zu differenzieren, welche der verstörenden Emotionen, die ihn gerade heimsuchten, die am schwersten wiegende war: Ungläubigkeit, Verständnislosigkeit oder Wut.
„Was genau willst du damit andeuten, querida?“, fragte er mit erzwungener Ruhe.
„Das ergibt doch alles keinen Sinn“, fuhr er fort, als er keine Antwort bekam. „Was hat dich überhaupt in diese seltsame Stimmung versetzt?“
„Du!“, entfuhr es ihr spontan.
Sie bewegte sich auf gefährlichem Grund, stellte Cassie nach einem vorsichtigen Blick in Joaquins angespanntes Gesicht fest. Solange sie innerlich nicht bereit war, ihm reinen Wein über ihre tatsächlichen Gefühle einzuschenken, musste sie höllisch aufpassen, sich nicht zu verraten. Sie hatte sich geschworen, ihn auf keinen Fall auf den bevorstehenden Jahrestag anzusprechen, doch das fiel ihr täglich schwerer.
Ihr letzter unbeherrschter Ausbruch war einem unfreiwilligen Geständnis schon viel zu nahe gekommen. Sie musste also auf der Hut sein.
„Am besten, du fasst mich überhaupt nicht mehr an.“
Langsam schüttelte er den Kopf, und seine Stimme war dunkel und samtig, als er wieder sprach. „Nein, querida! So leicht kommst du mir nicht davon. Wenn ich in deiner Nähe bin, ist es mir unmöglich, dich nicht zu berühren. Ein Blick aus deinen wunderschönen Augen macht mich schwach wie ein Baby, das weißt du auch genau. Und selbst jetzt, wo du in dieser aufgekratzten, angriffslustigen Stimmung bist, kann ich an nichts anderes denken, als dich an mich zu ziehen, zu streicheln …“
Ohne zu zögern, ließ er seinen Worten Taten folgen. Joaquin streckte die Hand aus, legte sie um Cassies Nacken und zog sie sanft, aber bestimmt an seine Brust. Zärtlich strich er ihr über die Schulter, den schlanken Hals, das Kinn …
Dabei schaute er ihr tief in die Augen. Sein Gesicht war jetzt sehr dicht vor ihrem.
„Und dich zu küssen …“, raunte er gegen ihre Lippen.
Nein! Es war ein stummer Protestschrei, den Cassie nur in ihrem Kopf widerhallen hörte. Es frustrierte sie zutiefst, mit welcher Leichtigkeit Joaquin sie manipulieren konnte. Wie oft hatte er diese unwiderstehliche, fast obsessive sexuelle Anziehungskraft zwischen ihnen ausgenutzt, um sie seinem Willen zu unterwerfen? Und zu verhindern, dass sie Themen ansprach, die ihm einfach nicht genehm waren.
Wie zum Beispiel ihre gemeinsame Zukunft … wenn ihnen überhaupt eine beschieden war!
Sie versuchte, den Kopf zu schütteln, ihn abzuwehren, aber er war zu stark und ließ es nicht zu, dass sie sich ihm verweigerte. Dennoch gab er sie für den Augenblick frei, schob sie ein Stück von sich und betrachtete sie mit einem siegesgewissen Lächeln auf den Lippen.
„Cassandra, querida, du weißt doch ganz genau, was du mit mir tust …“
Und was tat er mit ihr? Gerade passierte es wieder, ganz egal, wie sehr sie versuchte, sich dagegen zu wehren.
Sein Kuss war Joaquin pur. Reines Vergnügen … versierte Verführung … verstörende Zärtlichkeit und höchste Ekstase.
Er vertrieb ihre schweren Gedanken wie ein kraftvoller Sommerwind, besänftigte den nagenden Schmerz in ihrem Inneren und ließ sie als willenloses Strandgut zurück, das von der Flut aufs weite Meer der Emotionen hinausgespült wurde, ohne die Chance oder den Willen zur Rückkehr …
„Joaquin …“ Sein Name entrang sich ihr als sehnsüchtiger Seufzer.
„Und, mi belleza, wie siehst du mich jetzt?“
Sie konnte das Lächeln in seiner Stimme hören.
„Wie gefallen dir meine Berührungen?“
Warme, starke Arme, die sie umfangen hielten … ihr Kopf an seiner breiten Schulter, seine beschützende Hand in ihrem Nacken …
„Wie halte ich dich? Nennst du das wirklich eine Misshandlung?“
„N…nein.“
„Soll ich meine Hände wegnehmen?“
„Nein!“
Es war ein spontaner Protest, als er den Druck seiner Arme leicht lockerte und Cassie tatsächlich befürchtete, er wolle sie loslassen.
„Nein … nicht jetzt …“
Cassie fühlte sich bis ins Mark erschüttert, als sie feststellen musste, dass selbst dieser angedeutete Rückzug sich für sie wie ein kleiner Tod anfühlte. Als drohe sie, etwas Unwiederbringliches zu verlieren. Und sie wusste plötzlich mit absoluter Klarheit, dass sie alles tun würde, um das zu verhindern.
Doch zur gleichen Zeit meldete sich eine kleine, unwillkommene, aber ausgesprochen hartnäckige Stimme in ihrem Hinterkopf, die vehement gegen diese emotionale Bevormundung und Abhängigkeit protestierte.
Nein, nein, nein …
Wieder und immer wieder hallte es in ihrem Kopf. Cassie fühlte sich wie auf einem Kriegsschauplatz, wo die eine Seite sich danach sehnte, sich der nahezu unwiderstehlichen sexuellen Anziehungskraft dieses faszinierenden Mannes zu ergeben, während die andere Seite mit aller Kraft darum kämpfte, sich nicht von einer Übermacht der Gefühle zur Gefangenen machen zu lassen.
Wieder hörte Cassie sein dunkles, kehliges Lachen. Sie machte es ihm viel zu leicht, so viel stand fest. Aber sie hatte plötzlich keine Kraft und keine Lust mehr zu kämpfen … nicht gegen ihn und nicht gegen ihre eigenen Gefühle.
Mit einem leisen Seufzen schmiegte sie sich ganz fest an Joaquins Brust und schlang ihre Arme um seinen Hals.
„Mi corazón …“, raunte er in ihr Ohr.
Dann spürte sie seinen Mund auf ihrer Schläfe. Von dort aus unternahm er mit seinen sensiblen Lippen eine langsame Reise über ihre Wange, das Ohrläppchen bis hinunter zur Schulter. Nie hätte Cassie geglaubt, dass so viel Lust und Frust in einem einzigen Kuss vereint sein könnten.
Er war zärtlich, bedachtsam und fordernd zugleich, dann wieder neckend, spielerisch bis zu einer Grenze, wo aus Leidenschaft Wildheit wurde, und dann wieder sanft wie eine leichte Sommerbrise …
„Jetzt misshandle ich dich aber nicht, sondern behandle dich so, wie eine Frau es von einem Mann erwarten kann – wie ich meine Frau verwöhnen möchte.“
Meine Frau.
Die Worte waren für Cassie wie ein Schlag ins Gesicht. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich aus der lustvollen Trance zu befreien, in die sie sich von Joaquins Liebkosungen versetzt gefühlt hatte, und der brutalen Realität ins Auge zu sehen.
Meine Frau.