Schlangensommer - Dorte Roholte - E-Book

Schlangensommer E-Book

Dorte Roholte

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Beschreibung

Die Geschichte spielt am Fårup Fjord, von den Hauptfiguren Fuck-up Fjord genannt, weit draußen auf dem Land, wo es im Sommer von deutschen Touristen nur so wimmelt und im Winter gar nichts los ist. Nun ist aber Sommer, und die dreizehnjährige Terne jobbt im Schlangenterrarium ihres Vaters, während sie sich über ihren uncoolen, fünfzehnjährigen Bruder Bjørn beschwert und geheime Pläne mit ihrer besten Freundin Emma schmiedet. Dann verliebt sich Terne in den süßen Kopenhagener Hugo, der über die Ferien seinen mysteriösen Vater und seine Stiefmutter besucht, die neu zugezogen sind und in der Nähe von Ternes Zuhause einen Minigolfplatz betreiben. Zusammen mit Emma spielt Terne Detektiv und versucht, eine Belohnung für das Schnappen von Ladendieben einzukassieren – und weitere zwielichtige Dinge aufzudecken. Das ist aufregend, doch plötzlich wird daraus eine heikle Angelegenheit – etwas zu spannend und auch ziemlich gefährlich ... zum Schluss sind sogar Kobra Børge und die Polizei involviert – und Ternes Verhältnis zu Hugo schwebt in großer Gefahr.-

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Dorte Roholte

Schlangensommer

Übersetzt von Rebecca Jakobi

Saga Kids

Schlangensommer

 

Übersetzt von Rebecca Jakobi

 

Titel der Originalausgabe: Slangesommer

 

Originalsprache: Dänisch

 

Copyright © 2023 Dorte Roholte und SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728259849

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung des Verlags gestattet.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Die Schmetterlingsreihe richtet sich an Mädchen zwischen neun und vierzehn Jahren. Da diese Zielgruppe recht weit gefasst ist, werden die Titel in zwei Gruppen eingeteilt. Ein Schmetterling zeigt, dass sich das Buch an den jüngeren Teil der Zielgruppe (9-11 Jahre) richtet, Bücher mit zwei Schmetterlingen richten sich an den älteren Teil (12-14 Jahre). Die Geschichten für die Reihe wurden sorgfältig nach Qualität ausgewählt; Thema, Sprache und Gefühle sind auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten.

1. Kapitel

Die Kobra hatte sich aufgestellt.

Mit gespreiztem Nackenschild fixierte sie den blonden Jungen mit ihren schwarzen, perlenartigen Augen. Wenn sie sich bedroht, gestört oder genervt fühlte, so wie jetzt, nahm ihr Kopf durch den Schild beinahe die Größe der Hand eines erwachsenen Mannes an.

Es war ein furchteinflößender Anblick.

Der Junge war wie zu Stein erstarrt. Wie hypnotisiert erwiderte er den Blick der Kobra.

Dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Mit einem Finger tippte er gegen die dicke Glasscheibe des Terrariums, und die Schlange reagierte im Bruchteil einer Sekunde. Der Kopf schoss nach vorne und schlug laut gegen das Glas, sodass der Junge einen schrillen Schrei ausstieß und zurücktaumelte.

»Bertram! Was ist los?«, rief eine Frau, die seine Mutter sein musste.

Sie stürzte herbei, gerade als Terne ihr Handy hinter dem Kassenschalter ablegte. Sie hatte den Jungen im Auge behalten und gewusst, was passieren würde.

»Äh, er hat gegen die Scheibe geklopft. Das provoziert die Schlangen«, sagte sie und nickte zu einem Schild, auf dem stand: Berühren der Glasscheiben verboten!

»Hast du dich erschreckt, mein kleiner Schatz?«, kam es von der Frau.

Sie war in die Hocke gegangen und nahm den Jungen in die Arme, während sie ihm tröstende Worte ins Ohr flüsterte. Nun tauchte auch der Vater auf. Er hielt ein etwas größeres Mädchen an der Hand.

»Sag mal, ist das Glas denn überhaupt sicher genug?«, fragte er und sah Terne anklagend an.

Sie nickte lächelnd, obwohl sie dachte, die beiden sollten lieber ihre Kinder besser im Blick behalten. Doch ihr Vater schärfte Terne und ihrem großen Bruder Bjørn oft ein, dass sie den Besuchern des Terrariums um Himmels willen freundlich und zuvorkommend begegnen sollten.

»Ja, vollkommen bruchsicher«, erklärte sie. »Da kann nichts passieren. Mein Vater hat alle Genehmigungen von den Behörden und so weiter.«

Der Mann schaute sie an. »Dein Vater? Dann ist das also nicht nur ein Ferienjob für dich? Siehst auch nicht gerade so aus, als wärst du schon alt genug zum Arbeiten.«

»Ich bin dreizehn«, antwortete Terne. »Und doch, das hier ist mein Ferienjob.«

Das war die Wahrheit, denn sie bekam Geld für ihre Arbeit. Zwar nur fünfundzwanzig Kronen die Stunde, aber das war besser als nichts.

Sie öffnete die kleine Klappe am Schrank neben dem Schalter, nahm die Dose mit den Lutschern heraus und ging damit zu dem Jungen und seiner Schwester, um ihnen einen anzubieten. Auch dazu war sie angewiesen worden, sollten Kinder Angst vor den Schlangen bekommen. Das kam relativ oft vor.

Terne lächelte, obwohl die Kobra ihrer Meinung nach mehr Mitleid verdient hatte als der blonde Junge.

»Wollt ihr einen? In einer Viertelstunde gebe ich der Schlange Futter, falls ihr Lust habt, dabei zuzuschauen?«

»Du gibst der Schlange Futter?«, fragte das Mädchen, das sich den Lutscher schon in den Mund gestopft hatte.

»Ja«, nickte Terne. »Zweimal die Woche bekommt sie eine Maus, und die verschlingt sie an einem Stück.«

»Lebendige Mäuse oder was?«

»Nein, eine tote Maus. Mein Vater … naja, er hat sie heute Morgen vorbereitet.«

Die tote Maus wartete im Kühlfach.

»Warum stinken Schlangen so?«, wollte das Mädchen wissen.

»Das sind nicht die Schlangen«, erklärte Terne. »Das ist ihr Futter, also die Mäuse und Ratten.«

»Fasst du die Schlangen auch an?«

»Mhm, die fühlen sich toll an. Manche glauben ja, dass Schlangen schleimig und kalt sind, aber das stimmt überhaupt nicht, sie sind ganz warm und glatt. Wenn ihr am Wochenende nochmal herkommt, wenn mein Vater hier ist, dürft ihr auch mal eine Schlange anfassen.«

»Okay«, nickte der Mann und schaute auf sein Handy. »Wir bleiben noch eine Weile und schauen zu, wie du die Schlange fütterst. Wir machen Urlaub in einem Ferienhaus ganz in der Nähe … wir haben da übrigens so ein Schild gesehen, irgendwas mit Minigolf. Fårup Fjord Minigolf, stand da. Gehört das auch euch? Ich meine nur, weil das Terrarium ja auch Fårup Fjord heißt.«

Terne schüttelte den Kopf und sah das Schild lebhaft vor sich. Insgesamt gab es drei Wegweiser, die zum Minigolfplatz führten. Auf einem davon hatte jemand das r mit einem schwarzen q übersprüht, sodass dort nun Fåqup stand. In der Schule in Holsted wurde die Gegend von allen nur Fuck-up-Fjord genannt.

»Nein. Mit dem Minigolfplatz haben wir nichts zu tun«, antwortete sie. »Das Ferienhausgebiet heißt so. Der Platz wurde erst vor wenigen Monaten eröffnet, aber mein Vater hat das Terrarium schon seit ein paar Jahren.«

Die Familie machte sich nun auf den Weg zu den drei Anakondaterrarien im hinteren Teil des Gebäudes, und Terne setzte sich wieder an die Kasse. Sie legte die Füße auf die Theke und griff erneut nach ihrem Handy, während sie über die Kobra nur den Kopf schütteln konnte. Die hatte den Nackenschild wieder zusammengefaltet, den Kopf aber immer noch aufgestellt.

»Børge, du Wahnsinniger«, murmelte sie mit leiser Stimme.

Børge war zehn Jahre alt und die erste Schlange, die Ternes Vater sich gekauft hatte. Recht zügig hatte er weitere angeschafft, und wo andere Kinder mit Hunden, Katzen oder Pferden aufwuchsen, waren Terne und Bjørn mit Schlangen aufgewachsen. Vor drei Jahren hatte ihr Vater, Ulf, damit angefangen, das kleine Nebengebäude ihres alten Hofes zu einem Terrarium umzubauen, und vor zwei Jahren hatte er die Erlaubnis erteilt bekommen, es für Besucher zu öffnen. Es war sein großer Traum, eines Tages davon leben zu können und das Terrarium vielleicht um Schildkröten und Krokodile zu erweitern, aber bis auf Weiteres deckten die Einnahmen laut Ternes Mutter Vibe kaum die Ausgaben, weshalb Ulf nach wie vor in der Wäscherei in Holsted arbeitete.

Ternes Handy war auf lautlos gestellt.

1 neue Nachricht, stand auf dem Display.

Sie öffnete die Nachricht. Sie war von Emma, ihrer langjährigen besten Freundin.

Was machst du?

Mich langweilen und auf die Schlangen aufpassen, schrieb Terne.

Kann ich heute Abend zu dir? Keinen Bock auf zu Hause, meine Mutter bekommt Besuch. Sie hat mir ‘nen Hunderter gegeben. Sollen wir mal die Minigolfbahn bei euch ausprobieren?

Ja, komm einfach, kannst mir auch helfen …

Terne wollte »Wursteintopf zu kochen« schreiben, denn sie hatte ihren Eltern versprochen, sich darum zu kümmern. Ihre Mutter arbeitete im Supermarkt in Holsted und kam erst um Viertel nach sieben nach Hause. Doch Terne kam nicht mehr dazu.

Sie war so von ihrem Handy eingenommen gewesen, dass sie gar nicht gehört hatte, dass jemand vollkommen lautlos durch die offenstehende Tür gekommen war. Und zwar der Junge, der nun direkt vor ihr stand und sie anglotzte.

Er hatte eine Schirmmütze tief über seine dunklen Haare gezogen, in einem seiner Ohrläppchen funkelte ein Stein.

Terne zuckte so heftig zusammen, dass es fast an ein Wunder grenzte, dass ihr das Handy nicht aus der Hand fiel.

»Hey«, lächelte er. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«

»Schön, hast du aber trotzdem«, sagte Terne mit quäkender Stimme.

Der Bürostuhl war ein Stück nach hinten gerollt, wobei ihre Beine in den abgeschnittenen Jeans vom Tisch gerutscht waren. Während sie versuchte, die Kontrolle zurückzuerlangen, hämmerten die Gedanken gegen die Innenseite ihres Schädels.

Shit, warum hab‘ ich kein sauberes Top angezogen anstatt dem gelben mit dem Joghurtfleck?

Das ist Austin Mahone!

Aber seit wann spricht der Dänisch?

Nein!

Nein, nein, das muss jemand sein, der ihm einfach nur verdammt ähnlichsieht!

Mann, wie süß ist der denn!

Er muss mich wirklich für blöd halten!

Ein Glück, dass ich mir heute Morgen die Haare geglättet habe!

Ob er wohl denkt, dass es hier stinkt?

Ob er wohl denkt, dass ICH stinke?

»Ähm … was ist jetzt, kann ich ein Ticket kaufen?«

»Ein Ticket?«, wiederholte Terne und merkte selbst, dass sie sich anhörte wie ein Idiot. Oder ein Papagei. Oder beides.

»Ja, ein Ticket, damit ich mir die Schlangen angucken kann.«

Er lächelte, und Ternes Kopf wurde so warm, dass sie fürchtete, er könnte explodieren.

»Das macht fünfzig Kronen, wenn du über zwölf Jahre alt bist«, sagte sie und knetete die Hände in ihren Hosentaschen.

»Ich bin fünfzehn. Kostet das extra?«

»Für dich nicht«, bekam sie heraus und hoffte, dass es ein bisschen cool klang. Sie hatte den Typ noch nie gesehen, aber er sprach mit Kopenhagener Dialekt, so ähnlich wie die Familie im hinteren Teil des Terrariums.

»Nice.«

Er fischte einen zerknitterten Schein aus seiner Hosentasche und legte ihn auf die Theke. Zeitgleich tauchte die Familie wieder auf.

»Wolltest du nicht die Schlange füttern?«

»Doch … doch, das hatte ich vor.«

Terne hatte einen ganz trockenen Mund, und zwar nicht wegen Børge, sondern nur, weil dieser Austin-Mahone-Klon zuschauen würde. Ohne ihn anzusehen, öffnete sie wieder den Schrank, nahm die Plastikschale mit der toten Maus aus dem Kühlfach und schloss das Terrarium auf.

»Also, das ist mir jetzt nicht so geheuer«, sagte die Frau nervös. »Ist das nicht gefährlich? Ich meine, was, wenn sie dich beißt und abhaut? Das ist doch eine Kobra, oder nicht? Soweit ich weiß, kann deren Biss tödlich sein!«

Ternes Herz hämmerte, aber sie tat alles dafür, um von außen ruhig zu wirken. Obwohl sie dem Typ mit der Mütze den Rücken zugewandt hatte, wusste sie einfach, dass er sie anschaute. Oh, hoffentlich kam Emma, während er noch hier war, damit sie ihn auch sehen konnte.

»Mhm … aber diese Schlange hier stellt keine Gefahr dar«, antwortete sie. »Sie hat nämlich keine Giftzähne, und ich kenne sie schon fast mein ganzes Leben lang.«

»Keine Giftzähne? Aber …«

Terne drehte sich um und warf der Familie einen kurzen Blick zu. »Sie hatte schon keine mehr, als mein Vater sie gekauft hat, er ist also kein Tierquäler oder so, und sie ist eigentlich ziemlich süß, wenn man sowas von einer Schlange behaupten kann.«

Sie zog einen Plastikhandschuh über die rechte Hand, hob die Maus am Schwanz hoch und ließ sie etwa einen halben Meter vor der Schlange in der Luft baumeln.

»Guck mal, Børge, lecker, lecker Maus«, lockte sie und schwang die Maus hin und her, sodass Børge mit etwas Glück in den Glauben versetzt würde, die Maus wäre noch am Leben.

Die Kobra tat so, als würde sie die Maus nicht bemerken, obwohl Terne wusste, dass das der Fall war. Es war vier Tage her, dass Børge zuletzt etwas zu fressen bekommen hatte. Er musste hungrig sein.

Schließlich setzte Børge sich langsam in Bewegung. Der Schlangenkörper wand sich um sich selbst, der Kopf blieb aufgestellt, aber diesmal wurde der Nackenschild nicht gespreizt. Dann schnellte der Kopf nach vorne, und das Maul der Schlange verwandelte sich in einen offenen Schlund. Die Kiefer schnappten sich die Hälfte der Maus, sodass der hintere Teil mit dem Schwanz noch aus Børges Mund hing, während er sich weiter nach hinten schlängelte.

Mutter, Vater, Tochter und der blonde Sohn schnappten nach Luft, und Terne war sich fast sicher, dass der Typ mit der Mütze das auch tat.

Auf jeden Fall leuchteten seine braunen Augen, als ihr Blick ihn streifte.

»Wahnsinn«, murmelte die Frau, während Terne das Terrarium wieder sorgfältig verschloss.

»Sag mal, bräuchte die Schlange nicht mehr Platz?«, fragte der Vater.

Terne schüttelte den Kopf. »Eine Schlange braucht nicht so viel Platz. Das Terrarium muss nur mindestens so lang wie ihr Körper sein. Am wichtigsten ist die Temperatur. Die muss genauso sein wie in freier Wildbahn. Außerdem ist es gut, wenn sie Wasserzugang haben, und sie brauchen auch etwas Raues, an dem sie sich reiben können, wenn sie sich häuten …«

Sie hatte all das schon so oft erzählt, dass sie es normalerweise einfach herunterleierte, ohne darüber nachzudenken. Heute aber fühlte es sich anders an.

»Cool«, sagte der Typ mit der Mütze und ging zu den Anakondas.

Terne schaute ihm nach. Er würde an ihr vorbeikommen, wenn er wieder ging, und sie konnte es kaum abwarten. Doch sie wurde enttäuscht. Denn als er eine halbe Stunde später wiederkam, verkaufte sie gerade Tickets an zwei ältere Deutsche, die ununterbrochen in der Luft herumschnupperten.

Er lächelte ihr allerdings zu und schaute sie an, als er an der Kasse vorbeiging. »Man sieht sich«, sagte er.

Terne hoffte inständig, dass er Recht hatte.

2. Kapitel

»Du hättest ihn sehen sollen. Du wärst gestorben«, flüsterte Terne Emma ein paar Stunden später zu.

Es war halb sieben, und die beiden standen dicht beieinander am Küchentisch. Aus dem Wohnzimmer konnte Terne ihren Vater zu den Nachrichten auf TV2 schnarchen hören. Er musste jeden Morgen früh aufstehen.

»Ich bin gerade am Sterben, falls es dich interessiert«, schniefte Emma und blinzelte eine Träne weg. »Warum muss immer ich die Zwiebeln schneiden?«

»Weil halt!«, grinste Terne und holte die Sahne aus dem Kühlschrank. »Mann, er war einfach so süß und sah Austin so ähnlich! Bleibst du zum Übernachten?«

»Wenn es okay ist?«, entgegnete Emma. »Ich hab‘ echt keinen Bock auf zu Hause, meine Mutter macht so einen Aufstand um diesen Trottel. Hält ihn für den Prinzen auf dem weißen Pferd. Und man sollte meinen, er hat tatsächlich eins, weil seine Kleider voll mit hellen Haaren sind. Ich habe ihn danach gefragt, als er vorgestern zum ersten Mal da war, stellt sich heraus, dass er einen Hund hat. Und anscheinend weder einen Staubsauger noch eine Waschmaschine oder so … Er hat gesagt, dass er sie heute Abend irgendwas Wichtiges fragen will. Scheiße, sie ist schon den ganzen Tag am Durchdrehen.«

Emma schnitt eine Grimasse und brachte Terne damit zum Lachen. Emmas Mutter hieß Lisbeth, und als die beiden in der Vorschule waren, hatte Terne gedacht, Lisbeth wäre eine Prinzessin, weil sie mit ihrem vielen Schmuck, ihrer perfekten Frisur und dem Make-up immer so schön aussah. In Wahrheit war sie Buchhalterin und arbeitete für verschiedene Kunden von zu Hause aus. Sie kümmerte sich auch um die Buchführung des Terrariums.

Emmas Vater war Terne nie begegnet, aber sie wusste, dass er Samuel hieß und aus den USA kam. Emma hatte ihn selbst nur sehr wenige Male gesehen, meinte aber, dass sie immer an ihn dachte, wenn sie sich im Spiegel sah, denn ihr Vater war schwarz. Emma hatte hellbraune Haut und kohlrabenschwarze, lockige Haare. Als sie zum ersten Mal nach der Schule miteinander gespielt hatten, hatte Terne Emma gefragt, ob sie einmal vorsichtig in ihren Arm beißen dürfe. Daraufhin hatte Emma erwidert, dass sie dann auch in Ternes Arm beißen wolle, und so waren sie Freundinnen geworden. Terne war genauso hell wie Emma dunkel, aber inzwischen dachten sie nur darüber nach, wie unterschiedlich sie aussahen, wenn andere es kommentierten.

»Na, was geht?«

Das war Bjørn, der in die Küche polterte, aber Terne war vorbereitet, da sie seine Schritte im Flur gehört hatte.

»Raus!«, rief sie und schubste ihn an der Schulter nach hinten. Bjørn war viel größer als sie, aber nicht auf den Stoß vorbereitet und verlor das Gleichgewicht. Er taumelte einen Schritt rückwärts, sodass Terne ihm die Tür vor der Nase zuknallen und den Schlüssel im Schloss umdrehen konnte.

Bjørn war sowas von lästig, und zwar nicht nur, weil er total daneben und nerdig war und sich nur für Traktoren und sowas interessierte, sondern auch, weil er auf Emma stand und es absolut nicht verbergen konnte. Das war so peinlich.

»Obernerd«, murmelte Terne und schnitt eine Grimasse. Emma musste grinsen. »Ach, übrigens! Wusstest du, dass dein Bruder mir seit gestern auf Insta folgt?«

»Was? Ich wusste gar nicht, dass er das hat«, sagte Terne.

»Hat er, da bin ich mir ziemlich sicher. Traktor-Bjørn, das muss er doch sein, oder?«

»Oh«, stöhnte Terne. »Traktor-Bjørn! Geht’s eigentlich noch schlimmer?«

»Dann folgt ihr euch also nicht?«, fragte Emma.

»Als ob!«

*

Der Wursteintopf war ihnen einigermaßen gelungen und nur ein kleines bisschen angebrannt, was auch schwer zu vermeiden war, wie Ternes Mutter meinte, als sie zu fünft beim Essen saßen.

Bjørn und Ternes Vater schaufelten so tief über ihre Teller gebeugt Essen in sich rein, dass Terne sich vor Scham die Zehennägel hochrollten. Natürlich hatte Emma das schon viele Male zuvor erlebt, aber warum versuchten die beiden nicht wenigstens, sich etwas zivilisierter zu verhalten?

Für einen Sekundenbruchteil sah sie plötzlich den süßen Typen von heute Nachmittag vor sich. Was, wenn ein Wunder geschah, sie ihm noch einmal über den Weg lief und sie sich verabredeten oder einander besuchten? Er könnte ja niemals zum Essen bleiben! Er … oder irgendjemand anderes.

»Ach, Oma hat heute mehrmals angerufen. Sie ist völlig durch den Wind«, erzählte Ternes Mutter und schob ihren leeren Teller von sich weg. »Bei ihr wurde wieder eingebrochen, ist das denn zu fassen?! Das war jetzt schon das dritte Mal. Wirklich schlimm, dass man das Eigentum anderer Leute nicht in Ruhe lässt.«

»Arme Oma«, sagte Terne und wurde etwas traurig.

Sie liebte ihre Oma, auch wenn sie einander selten sahen, weil sie ganz im Süden in Sønderborg wohnte.

»Den Schweinen sollte mal einer kräftig den Hintern versohlen«, kam es von Ternes Vater.

»Dreckschweine«, ergänzte Bjørn mit vollem Mund.

Terne schaute peinlich berührt weg, während Emma ihr unter dem Tisch gegen das Schienbein trat.

»Sie haben fast die gleichen Sachen mitgenommen wie beim letzten Mal, ihren Schmuck, ihren Pass und so ziemlich alles an Elektronik, was sie tragen konnten. Die Versicherung sagt, dass sie nicht mehr zahlen, wenn sie sich keine Alarmanlage besorgt«, fuhr Ternes Mutter fort. Sie wandte sich an Emma. »Das Schlimmste ist nicht, dass sie ihre Sachen verliert, weißt du, sondern dass jemand in ihr Zuhause eingedrungen ist. Und die Einzelstücke, die beim ersten Mal verschwunden sind, bekommt sie ja auch nie wieder.«

»Das kann ich gut verstehen«, nickte Emma.