6,99 €
*Ein verfluchtes Mayakönigreich. Bluterben, die nach eigenen Regeln spielen. Eine Weissagung, die den Tod bedeutet. Und eine junge Frau, die alles verändern könnte.* Die zwanzigjährige Lucy arbeitet in London als unterstützende Lehrkraft am College des Sonnenvolkes - eines der drei mächtigen Völker der unsterblichen Maya, die im Verborgenen mit Illusionen die Schicksale der Menschen leiten. In Lucy fließt lediglich ein kleiner Anteil Mayablut und dennoch besitzt sie mehr Magie, als sie haben dürfte und preisgibt. Nachdem ihr Geheimnis bei einem verheerenden Vorfall ans Licht kommt, bringt es sie in ungeahnte Schwierigkeiten. Die Völker glauben in Lucy einen längst verdrängten Schatten der Vergangenheit wiederzuerkennen, der einst einen grauenhaften Fluch über das Königreich brachte. Um diese unheilvolle Bestimmung abzuwenden, legt man ihr Schicksal in die Hände eines der drei durchtriebenen Bluterben. Inmitten verworrener Halluzinationen, gnadenloser Machtspiele, Lügen und Verrat lernt Lucy schnell: In einem Königreich der Illusionen muss man selbst zur größten Täuschung werden, um zu überleben. Der erste Band einer magischen und sagenumwobenen Reihe von ELLA C. SCHENK...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Ella C. Schenk
SCHLEIER DER WELTEN
Ewigliche Illusion
(Band 1)
SCHLEIER DER WELTEN: Ewigliche Illusion
(Band 1)
© 2023 VAJONA Verlag GmbH
Originalausgabe bei VAJONA Verlag GmbH
Lektorat: Sandy Brandt
Korrektorat: Madeleine Seifert und Susann Chemnitzer
Umschlaggestaltung: Julia Gröchel,
unter Verwendung von 123rf
Satz: VAJONA Verlag GmbH, Oelsnitz
VAJONA Verlag GmbH
Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3
08606 Oelsnitz
Für alle Träumer:innen
– gebt niemals auf!
Königreich der Maya – Vor sechs Monaten
Der Träumende ergreift die Wahrheit, verrückt die Schleier der Illusion und erkennt, wer er wirklich ist und wohin er gehört.
Mit strahlenden Augen wacht er auf, um sofort alles wieder zu vergessen.
Zu vergessen, vergessen, vergessen.
Der peitschende Wind, der über die reißenden Fluten dieser grässlich schwarzen Gewässer fegt, bringt einen säuerlichen und abgestandenen Duft mit sich. Diese widerwärtige Schwere legt sich um meinen blutroten Mantel und lässt ihn an meinem vergehenden Körper kleben.
Wie ich dieses hässliche Reich doch verachte.
»Willst du«, die grauen Augen meines Bruders blitzen gefühlskalt auf, »mir nun sagen, wo wir diesen besonderen Mischling finden können, oder weiter voller Abscheu auf meine Heimat hinabsehen, wie du es so gern zu tun pflegst, liebste Estella?«
Obwohl Sola taub ist, betont er die Wörter mit einer ungemein malerischen Perfektion.
Ich lächle knapp. »Sag bloß, du wirst in deinen letzten Jahren noch ungeduldig, mein Lieber.« Die schnelle Abfolge von Fingerbewegungen, die ich mit den Händen forme, ist eigen. Nur wir sechs Ur-Geschwister verstehen sie.
Sola zieht seine dünnen Augenbrauen schwungvoll in die Höhe und schmunzelt spitzbübisch, was sein faltenfreies Gesicht noch jugendlicher wirken lässt. Man glaubt kaum, dass er älter als diese verdammte Erde ist, um die wir uns seit Anbeginn der Zeit kümmern. Der strafende Fluch, der uns in den Knochen sitzt und sich bereits an uns labt, zerrt nicht sichtbar an ihm.
Nein.
Denn das tut er nicht an unseren Brüdern, die bereits vor so langer Zeit bestraft wurden. Sola ist seitdem taub, Lexus blind und mein Zwilling Enzo stumm. Nun zeichnet sich der Fluch auch an uns Schwestern ab. Er frisst unsere einst ewigliche Schönheit und Kraft und mit ihr unsere Unsterblichkeit. Das gilt es zu verhindern. Allein zählt, diese Katastrophe abzuwehren, die der Tzolkien mir vor zweiundzwanzig Jahren prophezeit hat.
»Bedenkt man, dass unsere reizende Schwester Sibilla kaum mehr ihre Räumlichkeiten verlässt aufgrund zunehmender Schwäche und Scham, so denke ich, ist meine Getriebenheit durchaus berechtigt«, wagt er zu sagen.
»So schnell wird sie schon nicht in die Schleier übergehen«, erwidere ich mit einem tadelnden Gesichtsausdruck und versuche meine Gereiztheit zu zügeln, die sich in meinen energischen Bewegungen dennoch widerspiegelt. Sofort neigt Sola den Kopf vor einer seiner Herrscherinnen – vor mir. Wir Schwestern standen schließlich schon immer über unseren Brüdern. Und so wird es auch bleiben.
»Das will ich hoffen, liebste Estella. Denn mit ihr werde ich als ihr Zwilling ebenso in den Schleiern vergehen und unser wunderschönes Reich hier verlassen müssen.«
Bedauern klingt aus jeder seiner fein gesprochenen Silben, was ich nicht verstehe. Diese schlangenartigen Nebelschwaden, die sich zwischen dem endlosen schwarzen Gestein und den stinkenden Flüssen erheben, sind einfach nur erbärmlich. Sibillas und sein Volk leben in grotesk hässlichen Bergen. Wie sollte man das nur vermissen?
Ganz zu schweigen von deren Aufgabe, Seelen in Talismanen zu sperren, um sie anschließend an den Totenkreis zu übergeben. Den Kreis der Unendlichkeit, welcher mit den Schleiern direkt in Verbindung steht und die folglich entscheiden, ob die dargebotene menschliche Seele rein genug ist, um zu ihnen zurückzukehren, oder ob ein weiteres Leben notwendig ist, um Makellosigkeit zu erlangen.
Es schüttelt mich vor Ekel.
»Die Zeit ist auch mir nicht hold, mein Guter. Deswegen bin ich doch hier, nicht?«, zische ich, was er aber nicht hören kann. Doch die Unrast in meiner Mimik scheint zu genügen, sodass er sich ein paar Schritte entfernt. Prompt habe ich wieder einen gestochen scharfen Blick auf diesen kleinen Felsvorsprung hinter ihm, sodass meine Missbilligung mir fast schon körperliche Schmerzen bereitet. Diese trostlose Aussicht bohrt sich wie unliebsame Splitter in meine Augen. Ich unterdrücke den Drang, sie mir zu reiben.
Sola nickt und greift nach seinem Talisman, der um seinen alabasterweißen Hals baumelt. Ich hole ebenso eine exakte Kopie des Schmuckstücks hervor. Als ich es ihm reiche, werden seine Augen groß vor lüsterner Gier.
»Ihr Körper ist gut versteckt. Achte du gut auf ihre Seele. Wir brauchen sie noch«, sage ich in unserer ureigenen Gebärdensprache.
Lust glitzert unverhohlen in seinen trüben Augen. Er begehrt sie – diese käufliche Schlange, die nun auf bestimmte Zeit unauffindbar in diesem Seelenfänger eingesperrt sein wird.
Seine Hand schnellt nach vorn und er legt die Kette sofort um seinen dürren Hals, dessen Sehnen sich sichtbar anspannen. Den anderen Seelenfänger nimmt er ab und lässt ihn in seine nachtblaue Manteltasche gleiten.
»Und nun sieh zu, dass dein Sohn sich auf die Suche nach dieser Mischlingsfrau begibt. Mein Neffe muss sie vorerst im Auge behalten – ihr Geheimnis erst verraten, wenn ich es befehle. Ist das klar? Der Zeitpunkt muss stimmen!«
»Das wird er.«
»Gut. Sie unterrichtet die Kinder am College des Sonnenvolkes. Die Zeit läuft gegen uns, aber er muss sich dennoch im Griff haben, verstanden? Es muss alles nach Plan verlaufen. Sie dürfen nichts ahnen«.
Als würde das Schicksal mich bestrafen für diesen Verrat, den ich schon unlängst geplant habe, fängt mein Rücken an zu schmerzen und ich huste gepeinigt auf.
Als wäre ich ein altes Weib!
Goldenes Licht strahlt von meinem rechten Oberarm in alle Richtungen und ich habe Mühe, mich zu kontrollieren. Doch ich nötige mich dazu. Mein leuchtendes Schimmern wird mich zwischen all den verfluchten Schatten hier noch verraten.
Sola presst seine schmalen Lippen zusammen und die Angst in seinen Augen befriedigt mich derart, dass ich mich beruhige.
»Geht so vor, wie wir es besprochen haben.« Ich schiele auf seinen Talisman und forme die Gesten diesmal so langsam und bedacht, dass mein durchtriebener Bruder glasklar versteht. Er streicht mit seinem Daumen mehrmals über seinen Talisman, als wäre er es wert, so liebkost zu werden. Doch die Seele, die in diesem wohnt – sich hierfür bereiterklärt hat –, ist es nicht. Sie spielt genauso falsch wie wir. Der Unterschied ist lediglich, sollte sie auch nur daran denken, uns zu verraten, werde ich sie mit meinen bloßen Händen zu Sternenstaub zermalmen.
Sola macht eine tiefe Verbeugung, sodass ihm seine fettigen grauen Haare an der Stirn kleben, als er wieder aufrecht steht. Ein teuflisches Lächeln ziert sein knochiges Gesicht, das noch nie auch nur ansatzweise schön war. »Mein Sohn – dein treuer Neffe – wird Erfolg haben.«
»Verschwinde«, befehle ich und er verschmilzt mit diesem Gestein, deren enge Spalten er besser kennt als sich selbst.
Ich hebe mein Kinn, der aufkeimende Wind fegt mir meine lavendelfarbenen Locken ins Gesicht.
Ob mein Zwilling Enzo meine zunehmende Erschöpfung ebenso spürt?
Wie ich es hoffe.
Wütend streiche ich mir die Haare aus den Augen, die seinen so ähnlich sind. Wenn ich diesen weichherzigen Verräter jemals wiederfinden sollte, werde ich ihn in meinen wandernden Kerker sperren und ihm die Schmerzen seines Lebens zufügen!
Fauchend gehe ich auf die scharfe Felskante zu, unter der diese übelriechenden Flüsse die Luft verpesten.
Ich stoße einen kurzen hohen Ton aus, hebe sodann die Hände und lasse mich in die jammernden Böen fallen, die um den Abgrund wirbeln. Knapp bevor ich auf den schwarzen Fluten aufschlage, fängt mich mein Flügeltier auf. Ich schlinge die Arme um seinen braunen, mit borstigem Fell besetzten Leib.
»Bring mich in meinen Palast, aber achte darauf, dass uns niemand sieht.«
Es stößt einen dumpfen Laut aus, ehe es uns nach oben in den Himmel fliegt, wo sich eine frostklirrende Kälte um uns legt wie spitze Nadeln, die ich doch kaum mehr spüre.
TEIL 1
Der Fluch der Schleier
London – Heute
Sanft lege ich meine linke Hand auf den massigen Stamm der Eiche und fühle dessen lodernde Rauheit. Die Magie der auf ihm wohnenden Mistel lehnt sich gegen ihn auf. Der Baum ist eines der ältesten Holzgewächse in diesem Zauberwald des Colleges und verströmt eine Energie der ganz und gar mächtigen Sorte. Und doch hat er Mühe, sich gegen die kleine, immergrüne Pflanze zu wehren, die ich nun mit meiner anderen Hand berühre.
Die Magie der Mistel durchströmt mich und ich schließe seufzend die Augen, lege den Kopf in den Nacken und genieße das leichte Kribbeln in meinem Körper. Es ist nur ein feines, gar hauchzartes Prickeln, welches sich hauptsächlich an den Sonnensymbolen auf meinen Handgelenken sammelt. Von Jahr zu Jahr wird es stärker.
Lächelnd murmle ich ein leises »Dankeschön« und ziehe die Hände zurück.
Die Mistel antwortet mit einer aufkommenden süßlich riechenden Böe, die mich an den Duft von Zitronenplätzchen erinnert. Mein Lächeln wird breiter, während mir die losen, dunkelbraunen Haare ins Gesicht wehen. Ich puste sie geräuschvoll von meinen Wimpern, in denen sie sich nur allzu gern verfangen.
Die zahlreichen Blätter der Eiche rascheln über mir, singen ihr Lied von Anfang und Ende, während gut ein Dutzend auf mich hinab prasselt. Ich schüttle mich durch, öffne meine Lider wieder, gehe einen Schritt zurück und spähe zu meinen Händen hinab – zu den zwei Symbolen, welche filigrane Sonnen darstellen. Sie schimmern in einem strahlenden Weiß. Dankbar greife ich in die Taschen meines grauen, luftigen Seidenmantels, beuge mich hinab und biete der Erde drei Melissenzuckerstücke dar. Sogleich verschwinden sie im saftigen Boden.
Zufrieden stehe ich auf und kehre dem Zauberwald den Rücken zu.
Schnellen Schrittes gehe ich zu dem roten Backsteingebäude, von welchem ein Turm aus bunten Glasfenstern in die Höhe ragt. Meine alten Holzsandalen knirschen auf dem Kiesweg, der zum Wintergarten führt, in dem meine Klasse mit treffsicherer Garantie Unfug treibt.
Glücklich und nervös zugleich hefte ich meine hellbraunen Augen auf die Glasfront des sonnendurchfluteten Raums, atme tief ein.
Ich kann es immer noch nicht ganz fassen, dass ich tatsächlich hier unterrichten darf. Es ist eine Ehre, die Kinder des Sonnenvolkes zweimal die Woche etwas über unsere Welt lehren zu dürfen. Ich trage nur einen Bruchteil der Magie der Maya in mir, dürfte somit lediglich auf die besonderen Kinder aufpassen oder im College die Lehrkräfte unterstützen, sowie ich es die letzten zwei Jahre hier getan habe. Doch meine Schulleiterin, Madame Le Frey, sieht das anders.
Tief durchatmend betrete ich die Holzveranda und schiebe die Glastür beiseite. Als ich ins Klassenzimmer husche, ist es mucksmäuschenstill. Eindeutig zu mucksmäuschenstill.
Mit zusammengekniffenen Augen sehe ich jedem Einzelnen meiner fünfzehn Kinder ins Gesicht. Jedes Zweite hat verräterisch gerötete Wangen und der Rest versucht krampfhaft, ein Grinsen zu unterdrücken. Es ist offensichtlich, dass sie etwas ausgeheckt haben.
Diese kleinen, niedlichen Biester.
Aber nicht mit mir. Ich lasse mich nicht von ihrer erst aufkeimenden Magie täuschen. Die Symbole an meinen Handgelenken glühen, als ich vor dem Lehrerpult stehen bleibe. Ich blicke um mich und brauche keine zwei Augenaufschläge, da sehe ich das verzerrte, weiße Funkeln. Es schwebt um einen kleinen Tafelschwamm und soll mir wohl vermitteln, dass das meine Kreide ist, die ich dort zuvor abgelegt habe.
Also doch nicht so ein schlimmer Streich.
Die Lippen aufeinandergepresst, unterdrücke ich ein Schmunzeln. Ich könnte ihre verzerrte Illusion auflösen, tue es aber nicht. Kaum jemand weiß, dass ich diese Gabe besitze und so soll es auch bleiben.
»Meine Kleinen.« Ich klatsche in die Hände, sehe wieder nach vorn. »Ich war soeben bei unserer alten Eiche und der Mistel, die sie bewohnt. Dankbarerweise durfte ich deren Kraft in mich aufnehmen. Wer kann mir sagen, wieso die Mistel so ein wertvolles Geschenk hier auf Erden ist?«
Zig Ärmchen schnellen in die Höhe.
Ich trete am Pult vorbei, lehne mich an die Kante meines Schreibtisches und zeige auf Emran. Er meldet sich immer nur dann, wenn er sich ganz sicher ist. Ich nicke ihm aufmunternd zu und sein Kopf wird knallrot.
»Die Mistel ist eine alte Mayapflanze und hilft bei Bauchweh. Ich meine, w-wenn man starke Krämpfe h-hat.« Er stottert, wenn er nervös ist, und meine Brust wird eng. Ich kann es ihm nachfühlen.
Flugs schenke ich ihm ein anerkennendes Nicken. »Sehr richtig, Emran. Und warum ist sie so wichtig in der Menschenwelt? Sie hat eine Eigenschaft, die bei einer sehr schlimmen Krankheit helfen kann. Wisst ihr noch, wie dieses böse Leiden heißt?« Ein bitterlicher Schauer läuft meinen Rücken hinab. Doch ich ignoriere ihn, so wie ich es immer tue.
Shirins linke Hand saust in die Höhe.
»Ja, meine Liebe?«
»Ich glaube, die Krankheit heißt wie das Tier, welches im Meer lebt.«
»Und das wäre?«
»Krebs, oder?«
Obwohl ich diese Antwort erwartet habe, zucke ich zusammen. Sie bringt keine schönen Erinnerungen mit sich. Absolut nicht. Aber es hilft nichts. Es ist wichtig, dass die Kleinen mit den Krankheiten der Menschen vertraut werden, auch wenn diese sie nie befallen werden.
Den Maya sei Dank.
»Das ist richtig.«
Shirin hickst auf.
Ich stoße mich von der Tischkante ab und gehe auf die erste Reihe zu, in der die Jüngsten der Klasse sitzen – fünf Mädchen, die gerade einmal sieben Jahre alt sind.
»Würdet ihr mir bitte die Salben geben, die wir gemeinsam zubereitet haben?«
Nickend öffnen sie die kleinen Döschen und schieben sie mir verhalten entgegen. Ich weiß, ihre Eltern finden es nicht gut, dass ich zwei Nachmittage ihre Kleinen unterrichte, die dieses Verhalten widerspiegeln. Egal wie sehr ich mich bemühe, zu ihnen durchzudringen, sie legen ihre Skepsis mir gegenüber nicht ab. Ginge es nach den Eltern, sollte kein Mischling eine Klasse allein betreuen, obgleich ich Kurse in Pädagogik und Kräutermedizin belegt habe. Sie wollen Lehrer reiner Abstammung. Kurz seufze ich auf.
»Danke schön.« Allesamt weichen sie meinem Blick aus. Also richte ich meinen wieder auf die restliche Klasse. »Jetzt werden wir die Heilsalbe zu Ende bringen, gut?«, frage ich gepresst fröhlich.
Die restlichen Kinder stimmen lautstark zu.
Ich schließe meine Augen und lenke all meine Konzentration in die Sonnensymbole. Sie prickeln, als ich die Kraft der Mistel in die Salben lenke, ohne dass ich sie berühren muss. Mein Wille dazu reicht aus. Erst als ein unangenehmes Brennen meine Hände erfüllt, öffne ich meine Lider wieder. Die Wirkung der immergrünen Pflanze fließt wie ein weißes, glitzerndes Band in die kleinen Döschen vor mir. Als die Magie meiner Symbole vollends verschwindet, die verschnörkelten, dünnen Strahlen und die runde Sonne verblassen, sticht es in meinen Handgelenken.
Ehrfürchtiges Raunen erfüllt den Raum.
Die Jungs in der letzten Reihe sind sogar aufgestanden, um besser sehen zu können.
»Ich will das auch jetzt schon können!« Shirins moosgrüne Augen leuchten geradezu.
»Spätestens wenn ihr einundzwanzig seid, könnt ihr es – vermutlich schon zuvor. Je nachdem, wann die Magie hier«, ich wedle mit den Handgelenken umher, »in euch vollends erwacht. Dann jedoch noch viel effektiver als ich.«
»Was heißt effektiv?« Romano, der Älteste der Klasse zieht seine hellen Augenbrauen zusammen, während er wieder auf seinem Stuhl in der letzten Reihe Platz nimmt.
»Das heißt, eure Salben werden besser wirken als meine. Wenn ihr älter werdet, werden eure Kräfte viel stärker als die eines Mischwesens sein, so wie ich es bin.«
»Echt?« Emran schürzt die Lippen. Ich gehe in die vorletzte Reihe und wuschle durch seinen schwarzen Lockenkopf.
»Ja. Ich bin größtenteils nur ein Mensch, vergesst das nicht. Das Mayablut in mir ist wesentlich schwächer als die menschlichen Erbanteile.«
»Aber dafür ist Ihre Magie sehr stark. Unser Kindermädchen ist schon vierzig, kann aber nicht, was Sie können. Und heilen kann sie schon gar nichts. Keine Pflanze überlebt in ihren Händen.« Emran zieht den Kopf ein. »Sagt Mama jedenfalls.«
Meine Mundwinkel zucken. »Nicht jedes Mischwesen besitzt die Gabe zu heilen.«
»Ja!«, ruft Shirin. »Unsere Hausdame schnappt ab und an mal einen Gedanken von mir auf – was echt doof ist.« Sie zieht eine Schnute, alle lachen. Ich erwidere es, wenn auch angespannt. Vor allem die Gaben des Geistes haben mich einige Mitschüler nur zu oft spüren lassen, nachdem …
Stopp, Lucy.
»Genug geplaudert.« Ich gehe zur ersten Reihe zurück. »Seid so gut, holt Stift und Papier hervor und malt bitte die Mistel so, wie ihr sie in Erinnerung habt.«
Begeisterungsrufe folgen. Während die Kleinen ihre Stifte zücken, nehme ich die Salben an mich und gebe sie in meinen beigefarbenen Leinensack, der auf dem Schreibtisch liegt.
Anschließend setze ich mich und betrachte meine Klasse. Sie alle tragen, abgesehen von der Gabe der Illusion, die Fähigkeit zu heilen in sich. Heiler sind unglaublich selten und wertvoll, weswegen es auch so wichtig ist, dass sie mit den Krankheiten, ihren Symptomen und Behandlungsoptionen betraut werden.
Ich beiße mir auf die Unterlippe. So richtig verstehe ich immer noch nicht, wieso man ausgerechnet mir zwei Nachmittage in der Woche gibt, um ihnen mehr über die Welt da draußen näher zu bringen. Schon klar: Kaum, dass ich dieses Gebäude verlasse, lebe ich wie ein normaler Mensch in London und bringe diesbezüglich Erfahrung mit. Aber dennoch gibt es andere, die das hier übernehmen könnten. Auch da die Eltern der Kleinen schon mehrmals Beschwerden eingereicht haben – so auch heute. Ich sollte Madame Le Frey davon erzählen. Schwermut kommt in mir hoch, der mir einen Moment den Hals einengt.
Ich sehe zu der runden Uhr über der hölzernen Tür – noch zehn Minuten Unterrichtszeit. Das heißt, in einer Viertelstunde könnte ich bereits im Büro der Schulleiterin sitzen.
Doch zuvor tue ich meinen Kleinen noch einen Gefallen, da sie heute doch recht brav waren für ihre Verhältnisse.
Räuspernd erhebe ich mich. »So, und jetzt will ich euch noch die Pflanze aufzeichnen, die wir nächste Woche durchgehen werden.« Sofort starren sie mich an und ich greife absichtlich schwungvoll zur Kreide.
Ich keuche auf, was ein lautes Gebrüll zu Tage fördert. Das Wasser tropft auf meine Sandalen. Emran findet das Ganze sogar so lustig, dass er vom Stuhl fällt.
Als Shirin auch noch kichernd vom Sessel rutscht, muss ich aufpassen, dass ich nicht selbst einem Lachanfall erliege und wische meine durchnässte Hand an meinem Seidenmantel ab.
Den strengen Lehrerzeigefinger erhoben, gehe ich anschließend die Reihen entlang, bleibe neben Romano stehen. »Ich weiß genau, dass das deine Idee war, du kleiner Schurke.«
Da er mit seinen zehn Jahren der Älteste ist, vergöttert ihn der Rest der Klasse. Dementsprechend machen sie alle Streiche mit, die er vorschlägt.
»Sind Sie jetzt böse, Madame Lucy?« Er blinzelt mich mit großen, nicht wirklich unschuldigen Augen an.
»Natürlich nicht. Jedoch solltet ihr euch nicht daran gewöhnen, eure Magie nach außen zu tragen.« Ich tippe mir auf die Stirn. »Später ist eure Magie dazu da, Illusionen im Kopf der Menschen entstehen zu lassen. So führt ihr ihre Seelen ihrer Bestimmung zu. Und um sie natürlich zu heilen. Das wisst ihr doch, nicht?«
Sie nicken zerknirscht, was mir sofort leidtut. »Und seid gewarnt, auch ich bin manchmal zu Scherzen aufgelegt.«
Shirin reibt sich freudig die Hände. »Das heißt, nächste Woche wird es wieder so lustig. Ich freue mich schon, Madame Lucy!«
Ein sattes Gefühl breitet sich in meiner Brust aus. Gerade als ich ihr antworten will, klopft jemand energisch an die Tür.
»Ja, bitte?«
Ein roter Haarschopf steckt den Kopf durch den Spalt. »Na, fertig unterrichtet für heute?«
Mel, meine beste Freundin, streckt mir die Zunge entgegen.
Die Kinder brüllen los aufgrund dieser dreisten Geste. Ich verdrehe die Augen, gehe zu ihr und bleibe ein paar Zentimeter vor ihr stehen. »Ja, bald. Aber du schwänzt mal wieder, nehme ich an?« Sie greift sich dramatisch auf die Brust. »Nein, Madame Zula hat ihre letzte Unterrichtsstunde mit uns heute früher beendet. Jetzt hat die ganze Abschlussklasse quasi eine Freistunde. Zum Glück! Sie hat ununterbrochen von Grabbeimengungen unserer menschlichen Maya-Vorfahren in Mexiko gelabert. Wen interessiert schon, dass man Kokablätter, Goldketten und Rückenschilder mit eingegraben hat? Wenn solche Fragen zur Abschlussprüfung kommen, krieg ich einen Lachkrampf.« Mel schwafelt mal wieder ohne Punkt und Komma. Nur kurz holt sie Luft. »Na ja, und da dachte ich mir, ich besuche dich mal und sehe nach, was du so im Unterricht treibst.«
»Ich fühle mich wahrlich geehrt. Und Koka … was?«
»Was weiß ich.«
Lächelnd drehe ich mich wieder um. »Ihr Lieben, ich wünsche euch noch einen wunderbaren Tag. Ihr wart wie immer sehr tüchtig und brav«, mein Blick schweift in die letzte Reihe, »auch wenn manche Flausen im Kopf haben, bringe ich euch nächste Woche eine Überraschung mit. Eure Zeichnungen beenden wir dann ebenfalls. Wir sind fertig für heute.« Meine Klasse nickt mehrmals, flitzt sogleich nach draußen.
»Du machst das wirklich sehr gut.« Mel schließt die Tür, sobald der Letzte dieser Rasselbande den Raum verlassen hat. Dieses Kompliment aus ihrem Mund macht mich verlegen. Denn Mel meint, was sie sagt, und sagt immer, was sie meint.
Ich nuschle ein verhaltenes »Dankeschön« in ihre Richtung, während ich die halbfertigen Zeichnungen einsammle.
Sie stöhnt auf. »Wieso so bescheiden?« Sie lehnt sich neben mich an einen der Kindertische. »Zwei Jahre, Lucy. Zwei verdammt lange Jahre.« Sie zieht ihre rötlichen Augenbrauen in die Höhe und verschränkt die zierlichen Oberarme über ihrem schwarzen Seidenmantel, den alle Sechstklässler anhaben. Hätte ich vor zwei Jahren nicht das College geschmissen, würde ich ihn nun ebenfalls tragen und mir über Kokablätter Gedanken machen.
Genervt atme ich aus, da ich schon weiß, was jetzt kommen wird.
»Zwei Jahre ist es her, seit dieser Hohlkopf dich hat sitzen lassen und du hier so tust, als wärst du ein schüchternes Mauerblümchen«, donnert sie wie erwartet los.
Heftiger als gewollt drücke ich die letzten eingesammelten Werke an meine Brust. »Na und?«
»Spinnst du denn?« Mel stemmt die Hände in ihre Taille und kommt mir so nahe, dass ich das wütende Funkeln in ihren azurblauen Augen deutlich erkennen kann. »Nein. Tue ich nicht.« Jetzt bin ich es, die sauer wird, weil wir in letzter Zeit ständig über dieses Thema diskutieren. »Aber ich bin es leid, immer wieder dafür kämpfen zu müssen, dass ich überhaupt existiere. Nur weil ich bin, wie ich bin. Anstatt dass deine werten Mitschüler dankbar wären, dass ich hier helfe, legen sie mir Steine in den Weg, seit ich hier vor sechs Jahren aufgetaucht bin. Und seit Kilian mich einfach fallen gelassen hat, sind sie gemeiner denn je. Auch seine verdammten Spielchen, die er so gern mit mir treibt. Und alle machen mit. Weil der tolle, schöne, talentierte Kilian das so bestimmt. Ich habe ihm nie etwas getan, außer ihn zu lieben. Habe nie etwas anderes getan, als ihm blind zu vertrauen. Für diese Liebe zu kämpfen. Und er hat mir das Herz aus der Brust gerissen. Das Einzige, was mir hilft, damit zurechtzukommen, ist diese aufgesetzte Gleichgültigkeit! Also lass mich verdammt noch mal damit leben.«
Mel hebt ihre Hände zur Kapitulation. Mir kurz auf die Innenseite meiner Wange beißend, will ich mich schon für meinen Ausbruch entschuldigen, als sie grinst.
»Heute hatte dein Vortrag eindeutig mehr Feuer als sonst. Scheint also doch nicht alle Hoffnung verloren.«
Sie nimmt mir die Zeichnungen ab, geht in Richtung Tür. Dort angekommen, blickt sie über ihre Schulter. »Komm schon, du musst ein bisschen Dampf ablassen und ich werde dir dabei helfen.«
Trotzig bleibe ich an Ort und Stelle stehen. Mein Atem geht noch immer zu hastig und das Adrenalin in meinem Körper lässt mein Herz unfassbar schnell rasen. Wie immer, wenn es um Kilian geht.
»Anscheinend versäume ich da gerade einen höchst interessanten Konflikt in deinem hübschen Köpfchen. Lässt du mich teilhaben?« Mel öffnet langsam die Tür.
Ich verneine kopfschüttelnd, atme einmal tief ein und aus. »Entschuldige für vorhin und ich muss zu Madame Le Frey.«
»Erstens musst du dich nicht für deine Gefühle entschuldigen, und zweitens ist die Schulleiterin außer Haus.«
»Und mit außer Haus meinst du, sie hat die Tarnschleier durchgangen und spaziert jetzt durch London? Ich will nur sichergehen, dass ich mich gerade nicht verhört habe.«
Mel zuckt mit den Schultern. »Na, ob sie spazieren geht, wage ich zu bezweifeln. Aber ja, sie hat das College verlassen.«
Und das kommt nur sehr selten vor.
»Dann habe ich wohl Zeit.«
Mel winkt mich zu sich. »Dann schnapp dir deinen Leinensack und hopp, hopp.«
Keuchend halte ich mich am Beckenrand fest und werfe meiner besten Freundin bitterböse Blicke zu. »Diese Illusionen waren nicht witzig.«
Stumm legt Mel den Kopf schief. Orangefarbene Sonnenstrahlen dringen durch das Glasdach der leeren Schwimmhalle, lassen die tropfenden Wasserperlen in Mels Haar schimmern wie Bernsteinsplitter.
»Du bist so eine Schummlerin«, setze ich nach.
»Sieh es als Übung. Für ein Mischwesen hast du jeden meiner Wassertornados grandios aufgelöst, die ich in dein Köpfchen gesetzt habe.« Sie tippt sich an die rechte Schläfe.
»Aber es war irre anstrengend.«
Mel grinst. »Wie machst du das nur?« Da es eine rhetorische Frage war, sage ich nichts. Es gibt keine befriedigende Antwort. Weder sie noch ich noch Madame Le Frey können sich diese Fähigkeit erklären. Obwohl auch meine Mum wie auch Grandma hier gearbeitet haben und auch sie herausragende Gaben hatten, waren sie nichts im Vergleich zu meinen. Diese ganzen Potenziale liegen schon seit dem Mittelalter in meiner Familie und werden immer an die weibliche Blutlinie vererbt. Das hat mir die Schulleiterin nach Mums Tod jedenfalls erzählt. Mum selbst hat nie ein Wort über all das verloren. Bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr dachte ich noch, sie sei eine stinknormale Lehrerin und unterrichte hier Kunst – für Menschen. Ich schlucke gegen die Enge an, die sich in meinem Hals ausbreitet. »Ich muss dringend mit Madame Le Frey sprechen. Glaubst du, ich kann sie morgen besuchen, obwohl ich keine Lehrstunde gebe?«
»Nein, du musst ihr eine Brieftaube schicken und vorher fragen.«
Wortlos funkle ich Mel an.
»Du weißt, dass sie sich immer freut, wenn du vorbeikommst.« Sie streckt mir noch die Zunge raus, dann taucht sie unter und schwimmt von mir weg.
Auch ich tauche unter das angenehm temperierte Wasser.
»Du bist hier immer willkommen, mein Kind.« Diesen Satz höre ich fast jedes Mal von Madame Le Frey. Manchmal ist sie wie eine liebevolle, uralte Ersatzmutter. Immerhin ist Madame Le Frey schon so alt wie die Zeit selbst. Ebenso ihre fünf Ur-Geschwister, ohne die Leben auf der Erde nicht existieren würde, welches sie einst mithilfe der Schleier der Welten erschufen.
Nach Luft schnappend fahre ich wieder hoch, wische mir mehrmals über das Gesicht. Verhalten schiele ich auf die verblassten Sonnensymbole meiner Handgelenke, die das Zeichen von Madame Le Frey und ihrem Bruder Lexus darstellen. Alle Schüler, die hier ausgebildet werden, haben dieses Merkmal. Ich streiche mit den Fingerkuppen über meinen rechten Oberarm, wo sich das Mal der Abkömmlinge des Feuervolkes befindet und ermöglicht, auf Emotionen Einfluss zu nehmen. Wie sich dieses Feuerzeichen wohl anfühlt? Ob diese goldene Flamme auf der Haut brennt? Ich fahre mir über den Nacken, erschaudere.
Maya, die das Blut der Ur-Geschwister Sibilla und Sola in sich tragen, gehören dem Totenvolk an. Ein schwarzer Kreis ziert ihren Nacken, der Anfang und Ende zugleich bedeutet. Abkömmlinge des Totenvolkes sammeln die Seelen von Verstorbenen in der Menschenwelt ein und bringen sie mithilfe eines verzauberten Talismans in den Totenkreis. Er soll mit den Schleiern direkt in Verbindung stehen, welche entscheiden, ob die Seele rein genug ist, um weiterzuziehen.
Sie sollen das gefühlskältste Volk sein. Ganz im Gegensatz zu den heißblütigen Maya des Feuerreiches, so munkelt man.
Was bin ich froh, dass diese beiden Völker hauptsächlich in ihrem Königreich abseits der Menschenwelt leben.
Mel taucht direkt neben mir auf, pustet mir einen Mundvoll Wasser an die Wange. »Hey! Bist du jetzt tatsächlich eingeschnappt?« Anschließend klatscht sie auch noch mit der Hand ins Nass, sodass ein Schwall zu mir schwappt. Einer, der meine abgeschweiften Gedanken etwas zerstreut. Ich schüttle mich durch.
»Nicht böse sein, Lu. Ich schwöre, dass du immer meine beste Freundin sein wirst. Auch wenn ich bald unsterblich bin.« Sie wirft mir einen Luftkuss zu. Er verfehlt seine Wirkung komplett. Ich spanne mich an. »Ja. Noch zwei Wochen, dann bist du endlich einundzwanzig, unvergänglich, wirst nie mehr krank und Verletzungen heilen unverzüglich. Herzliche Gratulation, die Schleier der Welten können es bestimmt nicht mehr erwarten, im Tausch deine Seele zu bekommen.«
Sie grinst schief, unterdessen flirrt mir ein kalter Schauer den Rücken entlang.
»Danke. Und ich kann es kaum erwarten, mich endlich zu betrinken.«
»Dann bist du letzte Woche also aus Mangel an Gleichgewicht vom Barhocker gerutscht?«
Mel lacht so laut, dass es in der Schwimmhalle um ein Vielfaches widerhallt.
»Ist deine Lehrstunde nicht schon längst vorbei, Lucy?«
Mel verstummt, ich kralle die Fingerkuppen derart heftig in den Beckenrand, dass es schmerzt. Langsam drehe ich meinen Kopf in seine Richtung. Sein aufrechter Gang bringt seine geschmeidigen Schritte zur Geltung. Die graue Hose und das schwarze Hemd passen natürlich wie gemeißelt auf seinen durchaus ansehnlichen Körper.
»Was machst du hier?«, faucht Mel ihm entgegen. »Dich suchen.« Kilian bleibt vor seiner Zwillingsschwester stehen. Das dunkle Blau in seinen Augen lodert. »Und wenig überraschend finde ich dich bei ihr. Obwohl die da hier nichts zu suchen hat.« Er streicht sich das dunkelblonde Haar aus der Stirn, das sofort wieder in seinen wilden Zustand zurückkehrt – ein Ergebnis harter Arbeit, was dieser Starrkopf nie zugeben würde.
Wütend ziehe ich mich am Beckenrand hoch, stampfe zu der kleinen Bank, auf der mein Handtuch liegt und wickle es um den schwarzen Badeanzug, welchen Mel mir geborgt hat. Dass sein Blick mir auf Schritt und Tritt folgt, spüre ich auch ohne Augen im Rücken. Erst als ich meine zittrigen Finger unter Kontrolle habe, drehe ich mich zu den beiden um. Wie erwartet hat er sich mir zugewandt und eine tobende Miene aufgesetzt, die ich erwidere.
»Die da hatte sowieso vor zu verschwinden. Also …« Ich gehe einen Schritt nach links, sodass ich Mel ins Gesicht sehen kann. »Hab dich lieb, bis bald.«
Schnell haste ich auf die Mädchenumkleide zu. Gerade als ich den Knauf drehen will, legt sich eine Hand auf meine Schulter. Ein Duftgemisch aus Zimt und frischer Seife hüllt mich ein.
Sein Duft.
Ein aberwitziges Stechen breitet sich in meinem Brustkorb aus. »Was soll das?« Barsch drehe ich mich um und fege Kilians Finger von meiner nackten Haut. Die Berührung brennt dort wie Säure. Früher konnte ich sie gar nicht oft genug auf mir spüren, aber nun ist sie die reinste Qual.
»Ich wollte dir noch einen gut gemeinten Rat geben, bevor du wieder vor mir wegläufst.« Er kommt noch einen Schritt näher, sodass ich automatisch einen zurückmache. Der Knauf der Tür bohrt sich in meinen unteren Rücken.
»Und der wäre?« Ich verenge die Augen und stiere auf seine abstehenden Ohren, weil ich weiß, es ärgert ihn.
Er schnaubt. »Dass du dich von allem fernhalten sollst, was nichts mit deinem Unterricht zu tun hat. Zum Beispiel die Schwimmhalle hier.« Ich öffne schon den Mund, um eine Beleidigung zurückzufeuern, da fährt er einfach fort: »Die ist uns Maya vorbehalten und nicht dir, Mischwesen.«
Ein Ruck zieht schmerzhaft durch mich, angestoßen von meinem wild schlagenden Herzen. Seine Worte bohren sich wie Splitter aus Verrat in meinen Körper. Obwohl er mich in den letzten zwei Jahren schon so oft beleidigt hat, schafft er es immer wieder, dass ich seinetwegen erneut leide. Ich sehe ihm wieder mitten ins Gesicht. Sein linkes Lid zittert leicht. Ein treffsicheres Zeichen, dass er mit seiner Geduld am Ende ist.
Ich richte mich auf, meine Hand zur festen Faust um das nasse Handtuch geklammert. »Das war mehr Drohung als Rat. Und nein, ich werde dorthin gehen, wo ich will. Du kannst mir nichts verbieten.«
»Ach?« Kilians rechte Braue zieht höher. »Sagt wer?«
»Ich. Du Esel.«
Seine Mundwinkel zucken. Kilian geht einen Schritt zurück und prallt direkt gegen Mel, die ihn von sich schubst. »Lass Lucy in Frieden, Hohlkopf! Sie hat dir nichts getan.«
»Ich glaube nicht, dass du das bewerten kannst, Schwesterherz. Und außerdem …«, er wirft mir erneut einen eingehenden Blick zu, »kann ich mich nicht von ihr fernhalten.« Mit diesen wirren Worten dreht er sich um und stolziert aus der Halle. Jeder Schritt ist wie ein unliebsamer Peitschenhieb. Nachdem die Tür hinter ihm ins Schloss knallt, atme ich zittrig ein. »Was war das denn gerade?«
»Ein Anflug von Idiotie vielleicht?« Mel rauscht in die Mädchenumkleide.
Ich folge ihr erst ein paar holprige Herzschläge später.
»Hast du dich wieder im Griff?« Bedachtsam streicht Mel an meinen Oberarmen auf und ab.
Ich gehe einen Schritt zurück. »Sicher doch.«
Mir ist völlig bewusst, dass ich bockig klinge, aber die Wut auf Kilian ist wie ein lodernder Sturm, den ich hier vor dem Ausgangstor garantiert nicht rauslassen möchte. Wer weiß, wie viele Augenpaare meinen Abgang von den zahlreichen mit Efeu überwucherten Erkerfenstern hinter mir beobachten. Wahrscheinlich mehr als mir lieb ist. Etwas paranoid mustere ich die rote Ziegelwand, jede Ecke des Gebäudes. Sogar das flache Dach. Seit Kilian zu so einem Dreckskerl mutiert ist, ist meine Wenigkeit hier kaum mehr erwünscht und abschätzige Blicke sind nie weit weg.
Ich sollte ihn hassen. Hassen, hassen, hassen. Kann es aber nicht. Und dafür verurteile ich mich selbst.
Mel kräuselt die Nase. »Deshalb hast du auch dein armes Handtuch zehnmal angezischt.«
»Meine Güte …« Ich balle die Hände zu Fäusten. »Was willst du denn von mir hören?«
»Dass du dich einigermaßen unter Kontrolle hast und ich dich ohne Sorgen in Londons Straßen schicken kann. Das will ich hören.«
Ich hole schon Luft, um zu antworten, da fuchtelt sie aufgeregt mit ihrem Zeigefinger vor meinem Gesicht umher. »Und ich will jetzt wissen, ob wir morgen in den neuen Club in der Downing Street gehen. Angeblich gibt es da die besten Cocktails.«
Sie setzt so ein verruchtes Grinsen auf, dass ich meine störrische Antwort hinunterschlucke.
Himmel noch mal.
Mel hat meine schlechte Laune nicht verdient. Sie kann nichts für ihren beknackten Bruder. Ich drücke entschuldigend ihre Hand. »Sagt wer?«
»Hab ich von Seth aufgeschnappt.«
»Na dann freue ich mich auf morgen.« Ich umarme sie kurz, aber innig. Die Aufgebrachtheit in mir wird sanfter. »Aber diesmal lässt du die Finger vom Whiskey, okay? Und es tut mir leid, dass ich gerade so zickig war.«
»Ja, ja, schon gut.« Zwinkernd geht sie in Richtung Schuleingang, stolpert jedoch nach dem vierten Schritt fast über ihren Mantel, sodass sie kichernd durch die ovale Tür verschwindet.
Schmunzelnd checke ich die vielen Fenster, dann sehe ich zu dem Zauber, der das Anwesen vor den Menschenaugen verborgen hält. Er funkelt weißlich und verschwimmt mit seiner Umgebung.
»Nun denn. Auf Wiedersehen, bis bald«, murmle ich und trete hindurch, obwohl es sowieso niemanden interessiert.
Es schüttelt mich, während ich durch eine glitschige Schwere trete. Jedes Mal wird alles in mir still. Schrecklich still und das ist schrecklich unheimlich.
Ich stolpere auf den Gehsteig, muss sogleich einem älteren Herrn ausweichen, der mit seinem Dackel auf mich zusteuert. Prompt knalle ich in eine Straßenlaterne – mal wieder. Es kracht, sodass der Dackel hüpft und kläfft. Sein Herrchen stiert verwirrt in meine Richtung. Ich mache mich ganz klein, obwohl er mich nicht sehen kann. Für die nächsten Minuten bin ich unsichtbar. Kopfschüttelnd runzelt er die Stirn und spaziert weiter. Sein Hund knurrt so lange, bis sie um die Ecke verschwunden sind.
Das war knapp.
Kurz schiele ich zurück zum College. Für nicht eingeweihte Augen prangt dort ein rostig schwarzer Zaun, hinter dem ein u–förmiges, verkümmertes Lagerhaus inmitten eines verwilderten Waldstückes liegt. Madame Le Frey hat es optisch so gestaltet und noch zusätzlich einen starken Zauber um das Anwesen gelegt, damit niemand auch nur zu nahekommen will.
Meine Handgelenke pochen, ich sehe hinab. Es wird Zeit. Flugs kralle ich die Hände in mein weißes, etwas zu enges Shirt und laufe über die heute wenig befahrene Straße, um in die kleine Gasse mit den Mülltonnen zu gelangen. Einstudiert positioniere ich mich zwischen Restmüll und Papiertonne.
Acht, sieben, sechs, fünf … meine Symbole verblassen immer mehr … vier, drei, zwei, eins. Weg sind sie, dafür bin ich jetzt wieder sichtbar.
Schleunigst setze ich einen festen Schritt aus dieser stinkenden Höhle und donnere gegen etwas, das sich anfühlt wie Beton. »Himmelherrmaya!« Meine Nase pocht, die Sicht verschwimmt, das Fluchen hält an.
»Himmelherrmaya?«
Blinzelnd hebe ich den Kopf, verstumme.
Im ersten Moment sehe ich zwar nur verschwommen, doch selbst da ist klar, dass ein Typ mit einem verschmitzten Grinsen vor mir steht. Nachdem ich ungewollt geplagt aufstöhne, verschwindet das Lächeln aus diesem kantigen Gesicht. Seine etwas schräg stehenden haselnussbraunen Augen richten sich nun besorgt, aber weiterhin neugierig, auf mich.
»Entschuldige. Hast du dich sehr verletzt?« Die Stimme des Fremden ist rau, zugleich charmant.
Sie gefällt mir.
Als er nach mir greift, tappe ich automatisch von ihm weg, bis ich die kalte, grobe Wand an meinem Rücken spüre. Sofort zieht er die Hand zurück und fährt sich stattdessen durch sein kinnlanges, dunkles Haar.
»N-nein. Wird schon wieder. Danke.« Vorsichtig fasse ich mir an die Nase. Nichts gebrochen, auch wenn es höllisch ziept. Auch blute ich nicht.
»Ich habe gerade meinen Müll weggeworfen und hörte etwas rascheln. Dachte, eine Ratte treibt hier einen Unfug.«
»W-war wohl nur ich. Und wie gesagt, es dürfte nicht viel passiert sein. Ich … Ich habe vorhin meinen Ring verloren, als ich den Müll weggeschmissen habe und ihn leider nicht wiedergefunden.« Unsicher beiße ich mir auf die Unterlippe.
Seine Augen heften sich auf diese und ich versteife mich. Wahrscheinlich sieht er mir die Unwahrheit an der Nasenspitze an. Ich bin eine schlechte Lügnerin.
»Soll ich dir suchen helfen?«
»Nein, danke. Er ist kaum was wert. Und vermutlich habe ich ihn sowieso mit in die Tonne befördert.«
»Schade.« Er legt den Kopf schief. »Ich bin Deanel.«
Ich spiegle seine Geste und ziehe meinen rechten Mundwinkel in die Höhe. »Und ich spät dran. Lässt du mich vorbei?« Er scheint nett zu sein, aber ich will einfach nur nach Hause.
Zwei Grübchen tauchen auf seinen Wangen auf und mein Herzschlag beschleunigt sich. O Maya, Zeit zu gehen.
»Natürlich.«
Keinen Atemzug später macht er den Weg mit einer ausholenden Armbewegung frei. Ein widersprüchlicher Duft – nach verbrannten und süßen Äpfeln zugleich – dringt in meine pochende Nase. Irgendwie kommt er mir bekannt vor. Mein Magen ziept, meine Handgelenke kribbeln. Aufgerüttelt werfe ich einen Blick darauf, doch meine Zeichen bleiben verborgen.
Beruhige dich, Lucy.
»Du solltest das schleunigst kühlen.«
Ich sehe hoch. Der Kerl starrt unbeirrt auf meine Nase.
»Da hast du recht. Also, auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen«, wiederholt er und setzt erneut dieses ungenierte Lächeln auf. Ich schmunzle, mache bereits den ersten Schritt, da knurrt er leise.
Knurrt! Verwirrt blicke ich über meine Schulter. Dieser Deanel bläht die Nasenflügel, guckt auf die Straße an mir vorbei und presst die Lippen aufeinander. Dabei weiß ich nicht, ob Wut oder Sorge in seinem Blick überwiegt. Scheiße. Was ist denn nur los? Sogleich folge ich seinem Starren, doch sehe abgesehen von Passanten und mehreren Ubers niemanden.
»Alles okay?« Verunsichert spanne ich mich an, bereit, aus dieser Gasse zu flüchten. Vielleicht stimmt etwas nicht mit ihm.
»Bei mir schon, ja«, antwortet er mit einem Mal brüsk und stiert weiterhin geradeaus. Die vorherige Lässigkeit in seinem Körper ist einer raubtierhaften Anspannung gewichen.
Ohne weitere Worte verlasse ich die kleine Gasse – so zügig, dass ich einen Herzschlag lang stolpere. Hitze schießt mir in die Wangen, doch das ist mir gerade egal. Denn mein ungutes Bauchgefühl schlägt Wellen.
Obwohl es mich alle Mühe kostet, drehe ich mich nicht mehr zu ihm um.
Weg von hier. Und zwar sofort.
Die Käsefüße meiner Schüler riechen besser als diese abgestandene Luft im alten Stiegenhaus. Aber ich habe mich bereits daran gewöhnt. Also schleppe ich mich mal wieder bis ins Dachgeschoss, wo ich die einzige Wohnung aufschließe.
Müde schlüpfe ich noch vor der Tür aus meinen Schuhen und kicke sie zu den anderen Paaren, die dort aufgetürmt herumliegen. Erst dann raste ich den Schlüssel ein und betrete mein Zuhause, in dem absolut niemand auf mich wartet.
Ich schlendere nach links, den mit bunten Teppichen ausgelegten Gang entlang, um in die Küche zu kommen. Die Lichterketten, die an der Wand befestigt sind, streife ich mit den Fingerspitzen, sodass die kleinen Glöckchen daran rasseln.
Die kleine, aber hochwertige Kochnische aus Nussholz war die letzte Anschaffung meiner Mutter vor ihrem Tod, da Kochen ihre absolute Leidenschaft war.
Als meine Sicht verschwimmt, husche ich schnell auf den freistehenden Kühlschrank zu und greife ins Tiefkühlfach. Mir die gefrorenen Erbsen vorsichtig auf die Nase legend, gehe ich zu der rotgepolsterten Eckbank. Mein Blick streift die Bilderwand, die dazwischen angebracht ist. Es sind zig Fotografien von Mum und mir – Erinnerungen an wunderbare, friedliche Zeiten.
Der Schmerz in meiner Nase konkurriert mit dem in meinem Herzen, doch ich kann den Blick einfach nicht von diesen Aufnahmen wenden.
Erst als das Gefrierwasser der Erbsenpackung sich mit meinen Tränen vermischt, stopfe ich das Gemüse wieder in den Kühlschrank.
Zeit, mich abzulenken.
Ich zweige von der Küche wieder in den Gang ein und schlüpfe durch die Milchglastür ins Wohnzimmer. Fünf eingebaute Dachfenster hüllen den Raum in ein glitzerndes Meer aus Sonnenstrahlen. Die frühsommerlichen Funken legen sich über den dunklen Holzboden, tanzen dort mit den Staubfusseln um die Wette.
Ich schnappe mir meinen von Farbspritzern übersäten weißen Mantel von der schwarzen Couch, ziehe ihn über und gehe zu den Leinwänden auf der anderen Seite des Raumes. Hier in der Ecke herrscht auf den ersten Blick reinstes Chaos – eine Verirrung aus Farbpaletten, Pinseln und halbfertigen Bildern. Aber so ist es nicht.
Gedankenverloren reibe ich mir über die noch leicht schmerzenden Kratzer meines Bauches, die ich mir gestern Nacht mal wieder unbewusst zugefügt habe. Das passiert immer, wenn ich von Mum träume und versuche, sie zu fassen, sie an mich zu drücken. Seit einem halben Jahr sind die Träume so real, sie mir so nah, dass ich im ersten Moment des Aufwachens oftmals denke, diese Realität ohne sie sei nichts anderes als eine Illusion. Maya, wie vermisse ich sie. Wie so oft frage ich mich, warum sie sich nicht von einem Heil-Maya hat helfen lassen.
Kopfschüttelnd tappe ich zu einem der Dachfenster, öffne es leicht. Es beruhigt mich, wenn die Sonnenstrahlen meine Beine leicht wärmen. Anschließend greife ich in die Tasche meines Arbeitsmantels, nehme eine Haarspange hervor, forme meine braunen Haare zu einem Dutt und überlege, welches Motiv ich für heute wählen soll.
Warum auch immer kommt mir tatsächlich dieser Deanel in den Sinn. Dieser seltsame, knurrende Typ mit den hübschen Grübchen, dem konträren Duft und den Augen wie flüssiger Honig. Ob sie in der Sonne golden schimmern?
Was für eine schräge Begegnung das war. Und trotzdem greife ich zielsicher nach der goldenen Farbe. Die Tube ist nahezu leer. Schnaubend blicke ich zu meinem Kalender.
Meine Auftraggeberin Mrs Hall hat mir für ihre Galerieeröffnung nächste Woche freie Hand gelassen. Außerdem weiß ich, dass sie eine Schwäche für hübsche, dunkelhaarige Männer hat. Also lege ich einfach los.
»Das würde ich nicht mal anziehen, wenn ich es geschenkt bekommen würde.« Mel räkelt sich auf meiner Couch, während sie mit meinem Tablet die Outfits von QBO durchsieht.
»Du bist einfach ein verwöhntes Gör, so schaut’s aus!«, murre ich und nippe an meinem Früchtetee, der bereits kalt ist.
Mel fährt hoch. »Äh, nein! Tante Sue ist die Strenge in der Person, das weiß alle Welt. Die hier und die der Maya.«
Ich schmunzle in meine Tasse, strecke die Beine aus und schiebe die Pädagogik- und Kunstwälzer zur Seite, in denen ich gerade noch gelesen habe. »Wohl eher weniger.«
Seid Kilian und sie vor zwei Jahren in das Haus ihrer Patentante hinter dem College eingezogen sind, trägt diese die beiden auf Händen. Dabei sind sie nicht mal blutsverwandt. Mel weiß im Prinzip gar nicht, was es heißt, Regeln aufgebürdet zu bekommen.
»Hör auf zu lächeln, Lu. Das ist nicht lustig! Sie wollte mich heute kaum gehen lassen, obwohl ich ihr hundertmal erzählt habe, dass ich mich so auf diesen Club freue. Fast hätte sie mich mit nach Caliemar geschleppt.«
Mein Magen krampft leicht.
Caliemar – die geheimnisvolle Stadt, welche an die Welt der Maya und der unseren grenzt. Fast alle Schüler wohnen dort mit ihren Familien. Der Zugang zu ihr soll sich sogar hier am Collegegelände befinden. Aber als Mischling hat mich das nicht zu interessieren. Also habe ich auch nie weiter bei Mel und Kilian nachgefragt – aus verletztem Stolz, versteht sich. Ich zwinge mich zu einem halben Lächeln. »Und doch bist du hier bei mir. Also ist sie nicht streng – nicht wirklich.«
Ein Augenblick vergeht, dann noch einer und noch einer.
»Alles okay?«, frage ich mit hochgezogenen Brauen.
Mels Gesichtsausdruck verfinstert sich. »In den letzten zwei Tagen sind in Londons Straßen wieder ein Dutzend Gewaltverbrechen geschehen. Ebenso verschwinden Leute einfach. Dahinter stecken garantiert die Abtrünnigen. Vermutlich ist sie deshalb so eine schreckliche Glucke.«
»W-wie kommt ihr darauf, dass diese Abtrünnigen Schuld tragen?«
Mel weicht meinem Blick aus. »Ist nur so ein Gefühl. Aber lassen wir uns dadurch nicht den Abend verderben, okay? Wie spät ist es eigentlich?«, will sie so hastig wissen, dass ich noch stutziger werde.
»Verheimlichst du mir etwas? Ihr sagt doch ständig, dass diese Abtrünnigen kaum Magie mehr hätten.«
»Nur weil ihre Zeichen von den Ur-Maya gebannt werden, sind sie dennoch in der Lage, magischen Unfug zu treiben«, erwidert sie forsch und legt das Tablet zur Seite. Ich sehe auf meine Sonnensymbole hinab. Bei uns Mischlingen ist das nicht möglich, sie zu bannen. Lediglich bei Maya reinen Blutes.
Mel murrt. »Man sollte meinen, die würden mit ihrer Verbannung aus den Königsstädten ihr restliches Leben hier in der Menschenwelt nutzen, das ihnen noch bleibt. Aber nein, die machen nur Ärger. Die Sonnenarmee sollte sie nach Tranváraz stecken. Oder sie wenigstens in der Menschenwelt im Auge behalten. Denn geläutert scheinen sie mit ihrer Ausweisung nicht wirklich. Oder wir schubsen sie durch das Tor der Schleier – und zack, wir hätten Ruhe.«
Ich reiße die Augen auf. Denn das ist barbarisch. Dass Mel sowas vorschlägt, nach allem was mit ihren Eltern passiert ist … Kopfschüttelnd presse ich die Lippen aufeinander, doch der Ausdruck meiner besten Freundin bleibst eisern. Fast schon emotionslos. Maya, die ihre Seelen gegen die Unsterblichkeit getauscht haben, kann man nur auf einem Wege töten: Wenn man sie in das Tor der Schleier drängt, welches sich in der Sonnenstadt Rívera befindet – dort wo sie einstmals ihre Seele überhaupt dargeboten haben, um Unsterblichkeit zu erlangen.
Mels Augen glitzern mit einem Mal doch verdächtig. Der Rest bleibt kalt wie Stein. Mitleid kommt in mir hoch. Vermutlich hat sie ihre letzte Äußerung nicht so gemeint. Schnell sage ich: »Na, würde man mir mit dieser Verbannung plötzlich die Unsterblichkeit nehmen … Vielleicht müssen sie sich einfach etwas eingewöhnen. Und wirklich, Tranváraz?« Die Schauergeschichten über dieses Maya-Gefängnis lässt mir die Haare zu Berge stehen. »Ihre Verbrechen sind doch nicht so schlimm, als dass man sie dort wegsperren müsste, oder? Dann dürfte man sie nämlich auch nicht in die Welt der Menschen lassen. Rose meinte …«
»Wie spät ist es denn nun?« Mel unterbricht mich, inspiziert dabei ihre Fingernägel.
Überrumpelt schiele ich auf meine schwarze Armbanduhr. »Wir wollten bereits vor fünf Minuten dort sein. War ja klar.«
»Pünktlichkeit ist sowieso altmodisch.« Sie hüpft von der Couch. »Außer es warten Cocktails auf uns. Also komm!«, trällert sie. »Und Rose soll dir gefälligst keinen Schwachsinn erzählen.«
»Weil ich als Mischling sowieso nie einen Fuß in eine der Königsstädte setzen werde, oder was? Und sprich nicht so über Rose. Sie ist unsere Freundin.«
Mel reicht mir wortlos ihre Hand, formt die Lippen zu einem Strich. Ich seufze auf. Die beiden weichen mir ständig aus. Keiner ist gewillt, mir zu erzählen, warum sie sich so oft zanken. Früher waren wir drei unzertrennlich gewesen. Jetzt streiten die beiden nur mehr.
»Können wir jetzt los?« Es ist klar, dass Mel mir erneut keine Antworten geben wird.
»Moment noch.« Lauter seufzend stelle ich den kalten Teebecher auf dem Glastisch vor mir ab, schließe das Dachschrägenfenster hinter mir und sperre die hellen Strahlen des Mondes aus.
»Jetzt komm endlich!« Nun greift sie nach mir, zieht mich Richtung Tür.
»Hey! Ich …«
Ruckartig stoppt sie, ich stolpere gegen ihren Rücken.
»Seit wann deckst du eigentlich deine Gemälde ab? Das wollte ich dich vorher schon fragen. Hast du etwa was Schmutziges gemalt?«
»Nein«, antworte ich langgezogen.
»Muss ich mir wohl ansehen.« Schon lässt sie von mir ab, schiebt das weiße Leinentuch zur Seite und erstarrt.
»Das ist noch nicht fertig!« Hitze kriecht meinen Hals empor und ich verdecke das Gemälde wieder.
Mel fixiert es trotzdem.
»Sag mal, hattest du ein Date, das du mir verheimlichst?« Grinsend sieht sie zu mir, doch das eiskalte Schimmern in ihren Augen lässt mich zweifeln. »Oder woher kennst du diesen Schönling?«
»Bin bei den Mülltonnen gegen ihn geknallt und …« Ich zucke mit den Schultern.
»Und er hat solcherlei Eindruck hinterlassen, dass du ihn gleich malen musstest.«
»Es ist nur ein Bild. Aber ja, er hatte schöne Augen.«
»Wehe, du verheimlichst mir eine heiße Liebelei.« Sanft schlägt sie mir auf den rechten Oberarm.
»Tue ich nicht.« Ich kitzle sie zurück, Mel kreischt auf. Der triste Ausdruck ist wieder der Heiterkeit gewichen, die ich kenne. Was mich beruhigt.
Schnell ziehe ich sie ins Bad. »Deine Launen sind echt anstrengend, Fräulein.«
»Dein Rock ist kein Klavier. Halt die Finger still«, ermahnt Mel mich von der Seite. Sofort höre ich auf, die Hände in die mintfarbene Seide zu krallen. Unsicher bleibe ich mitten auf dem Gehweg stehen. Ein paar nächtliche Spaziergänger weichen schimpfend zur Seite. Kleinlaut entschuldige ich mich, höre aber auf, als Mel sich mit einer steilen Falte zwischen den Brauen direkt vor mich stellt. Sie sieht an mir hinab und erfasst anschließend meine Schultern, rüttelt mich sanft durch. »Du bist wunderschön, Lucy. Du brauchst dich und deine Kurven nicht zu verstecken.«
Ich blase einen Mundvoll Luft aus. »Das weiß ich d-doch.«
Wie ich mein Stottern hasse. Es verrät mich jedes Mal aufs Neue.
»Den ganzen Weg zum Club fährst du dir entweder aufgebracht durch das Haar oder zupfst an diesem Outfit herum. Beides sieht wunderbar aus. Wir haben jetzt gerade keine Mauerblümchenphase, gut?«
Nickend sehe ich auf ihren französischen Zopf, der über ihre rechte Seite fällt und sich feurig vom schwarzen Lederkleid abhebt.
»Keine Mauerblümchenphase«, wiederhole ich. Die Augen schließend streife ich mein weißes Shirt glatt, das sehr eng sitzt. »Ich kann mich zeigen, ich bin hier nicht am College, niemand verurteilt mich.«
Das wiederhole ich im Geiste mehrmals, um diese hirnrissigen Gedanken zu verscheuchen, die mich Maya sei Dank nur selten heimsuchen.
»Natürlich nicht«, sagt Mel mit einem warmen Ton in der Stimme.
»Und wenn es jemand wagen sollte, trittst du ihm kräftig in den Arsch, nachdem ich es getan habe.«
»Da ist mein stolzes Mädchen ja wieder.«
Als ich die Lider wieder öffne, hebe ich mein Kinn.
Unsicherheitsanfall erfolgreich abgewendet, würde ich meinen.
Wir haken uns mit den Händen ein, gehen auf die kleine Menschenansammlung zu, die vor dem schwarzen, mehrstöckigen Club auf Einlass wartet, sich aber flott auflöst. Ein grummeliger Bodyguard lässt uns mit einer ausholenden Armbewegung ein, nachdem wir unsere gefälschten Ausweise vorgezeigt haben. Der Bass dröhnt laut, wummert durch meinen Körper, der sich anfühlt wie ein summender Bienenstock.
Das dubiose Lichtspiel in diesem breiten Gang führt zu einem Gerangel, als mehrere Grüppchen sich gleichzeitig vor dem Stiegenaufgang sammeln, der auf die Galerie des Clubs führt. Der Weg nach unten zur Tanzfläche ist ebenso gut gefüllt. Der rhythmische Beat hallt in meinem Brustkorb nach und mit jedem weiteren massigen Bass, fegt er auch noch den letzten Rest Unsicherheit von mir weg. Ich atme durch und schenke mir selbst ein Lächeln. Vor ein paar Monaten hätte das noch nicht so gut geklappt.
Oben angekommen, drängen wir uns am Geländer der Galerie bis zu den ersten, leider belegten Stehtischchen vor. Immer wieder bleibe ich mit meiner Umhängetasche an den bunt blinkenden Ketten hängen, die diese Abtrennung schmücken, welche uns vor einem Sturz auf die Tanzfläche unter uns bewahrt. Das rot-blaue Farbgemisch vermengt sich mit den Lasern, die wirre Muster auf die Tanzenden unter uns zeichnen.
An einer mit Strohhüten geschmückten Bar angekommen, wird gerade ein kleiner Tisch frei und ich stürme darauf zu. Gerade als ich mir die Cocktailkarte schnappe, pflückt sie mir jemand von der Seite aus der Hand.
Schimpfend wirble ich herum und gefriere innerlich zu Eis. Völlig überrumpelt bleiben mir die nächsten Wörter im Hals stecken.
»Na spuck’s schon aus.«
Diese Stimme.
Diese verdammte Stimme, die es schafft, den hämmernden Bass in den Hintergrund zu rücken und die lauernde Befangenheit in mir wieder anschwellen zu lassen. Ich rolle die Zehen ein, bis es schmerzt. Kilian lächelt knapp, öffnet dann provokativ die Karte zwischen uns. Nach ein paar sehr fassungslosen Herzschlägen werde ich wütend. So wütend, dass ich ihm am liebsten diese blauen Augen aus seinem nervtötenden Gesicht kratzen würde.
Erzürnt reiße ich ihm die Karte aus den Händen und knalle sie derart heftig auf den Tisch, dass er wackelt. »Was machst du hier?«
»Mich amüsieren.« Sein Blick schweift zu Mel, die sich soeben neben mich gedrängt hat.
»Was machst du denn hier?!«, wiederholt sie meine Worte einen Tick abfälliger.
»Muss ich euch vielleicht das nächste Mal um Erlaubnis fragen, wenn ich ausgehe? Nein«, sagt er in altbekannter, protziger Manier.
Geht es noch arroganter? Mel und ich schnauben gleichzeitig auf.
Kilian sieht sich hoheitsvoll um, schnippt kurz, und schon eilt ein Kellner zu ihm.
Himmel noch mal!
Der Herr möchte etwas, der Herr bekommt es sogleich. Er bestellt zwei Cocktails und schickt den Kellner anschließend wieder fort.
»Hey!« Mel zupft ungehalten an seinem hellblauen Jeanshemd. »Lucy und ich wollten auch etwas bestellen. Und wieso trinkst du allein zwei Cocktails? Sei gefälligst ein bisschen netter.«
Kilian legt den Kopf schief. »Erstens bist du die Alkoholikerin in der Familie, zweitens ist Seth auch hier, drittens schwafle nicht so. Ah, und viertens: Ich bin nett.«
»Seth?« Mels Gesicht wird hochrot.
»Jetzt komm mal drüber hinweg, Schwesterherz. Er hat dir einen Korb gegeben. Na und? Ist doch schon ein Jahr her.«
»Du bist so ein Arsch«, stößt Mel hervor, was ich heftig nickend bestätige. Seine tiefblauen Augen bohren sich daraufhin intensiv in meine, sodass mich Missbehagen flutet.
Verdammt sei er, ich gebe nicht klein bei. Nicht heute. Nicht hier. Unser Starrduell wird erst unterbrochen, als ich angerempelt werde. Die Luft entweicht mir pfeifend, da sich die Tischkante in meinen Oberbauch bohrt. Doch damit nicht genug. Etwas Nasses breitet sich auf meinem Rücken aus und ich keuche zusätzlich auf vor Schreck.
»Pass doch auf!«, schreit Kilian und der männliche, fremde Körper ist schlagartig weg. Hustend drehe ich mich um.
Zuerst beleidigt er mich, und jetzt hilft er mir? Fast muss ich lachen.
»Alles okay?« Mel greift nach mir.
»Geht schon wieder«, wiegle ich ab, wenngleich es in meinem Oberbauch sticht. Ich atme versuchsweise tief ein und aus, was wider Erwarten gut funktioniert. »Aber mein ganzer Rücken ist nass und klebt. Ich gehe mal schnell auf die Toilette.« Außerdem muss ich meine Gefühle ordnen. Kilian sollte nicht hier sein, verdammt.
»Ich begleite dich. Hier oben habe ich noch keine Toilette gesehen, also sind sie unten, schätze ich.« Mel will genauso schnell weg wie ich.
Wir tappen wieder an dem blinkenden Geländer zurück, bis wir am Treppenabsatz ankommen. Mehrmals werden wir angerempelt, sodass wir uns an den Händen nehmen, während wir hinabsteigen.
»Ist wirklich alles okay?« Mel drückt fest zu.
»Ja, hab mich nur erschreckt.« Ich schlucke angestrengt. »Wieso sind sie nur hier?«
»Ich weiß es nicht, Lucy. Als ich ihm gestern von unseren Plänen erzählt habe, dachte ich nicht, dass er … dass sie beide auftauchen würden. Verflucht.«
Es gleicht einer Tortur, sich durch das räkelnde Gemenge auf der Tanzfläche zu schieben. Ich werde nicht nur einmal betatscht. Meine Unterlippe muss bereits blutig sein, so oft wie ich auf ihr herumkaue.
Ich stolpere, pralle gegen einen blonden Hünen mit grauen Augen, der meinen Sturz mit seinem massigen Körper abfängt. Prompt zieht sich alles in mir zusammen. Diese Augen – sturmgrau und durchdringend, erinnern mich zu sehr an …
Ein Stich geht durch meinen rechten Oberarm. Diesen reibend sehe ich schnell weg, schüttle den Kopf. Stopp. Er ist nicht Ethan. Er ist nicht mein aufdringlicher einstiger Freund aus dem Malkurs, nein.
Als ich wieder aufblicke, lächelt er lüstern und sieht mir sogar unverschämt auf die Brust, in welcher sogleich Zorn aufkeimt und den Anflug von flackernder Angst erstickt. So schnell, als würde sich ein Schalter in mir legen. Ich ramme ihn mit der Schulter und hefte mich wieder an Mels Fersen, die davon nichts mitbekommen hat. Gleichzeitig presse ich meine schwarze Tasche enger an mich.
Als ich die blinkenden Zeichen für die Toiletten erblicke, atme ich trotz der stickigen Luft mehrmals durch, um dieses Gefühlschaos in mir zu besänftigen.
»Kaum einer konnte seine Finger bei sich belassen. Frechheit!«, blafft Mel lautstark und es schüttelt sie, als wir in den rot beleuchteten Gang zu den Toiletten abzweigen.
Behutsam fädle ich meine Finger in ihre und drücke fest zu, um ihre Aussage zu bestätigen. Zeitgleich bin ich froh, mich an sie klammern zu können.
»Die Menschen haben manchmal keinen Anstand.«
Sofort lasse ich von ihr ab.
»Aber die Maya schon, oder wie?«, fauche ich derart heftig, dass ich mich kurz selbst über mich wundere. Das ist sonst nicht meine Art.
Sie zuckt mit den Schultern und schielt zu den Lampen über uns.
»Ist das jetzt dein Ernst?«
Mel sieht mir weiterhin provokativ nicht in das Gesicht.
Sprachlos drehe ich mich um, schleudere die Tür des Damen-WCs auf und zweige in die erste freiwerdende Toilette ab, bevor ich etwas sage, das ich später bereuen werde.
Macht sie jetzt plötzlich Unterschiede zwischen Menschen und Maya? Vor allem, da sie doch genau weiß, wie ich im College behandelt werde? Von Kilian hätte ich so eine Aussage jederzeit erwartet. Aber von Mel?
Irgendetwas klafft in meiner Brust auf, lässt mich schwerer atmen. Ich beiße die Zähne derart aufeinander, dass es wehtut, ehe ich mich auf dem zugeklappten Toilettensitz niederlasse.
Der künstliche Geruch von Zitrone und Vanille zeugt eindeutig davon, dass der Club neu ist. Ich ziehe mir mein weißes Top über den Kopf und versuche, mit Klopapier den nassen Fleck zu trocknen. Diese Prozedur wiederhole ich mehrmals, doch es hat keinen Sinn. Das Papier saugt kaum Flüssigkeit auf. Schnaubend ziehe ich mir das Oberteil wieder über, dann stampfe ich nach draußen.
»Noch länger hattest du wohl nicht Zeit, was?« Eine junge, blonde Frau quetscht sich an mir vorbei in die Toilette.
»Habe ich dir denn irgendetwas getan?«, flüstere ich so leise, dass ich mich selbst kaum verstehe. Zittrig ausatmend lege ich den Kopf in den Nacken und zähle langsam bis fünf und wieder zurück. Ich muss mich beruhigen. Die anderen Frauen, die in den Raum kommen, versuche ich zu ignorieren. Mel ist nicht dabei.
Schwer schluckend begebe ich mich zu einem freien Waschtisch und kühle meine Handgelenke mit eiskaltem Wasser.
Ohne mich nach Mel umzusehen, trete ich wieder nach draußen in den engen Gang.
Wieso, verdammt noch mal, ist Kilian nur hier? Taucht einfach hier auf, obwohl er ganz genau weiß, dass wir heute in diesem Club sind. Das bringt mich völlig durcheinander.
Mit jedem Schritt, den ich wieder Richtung Tanzfläche mache, dröhnt mein Kopf lauter. Ich brauche frische Luft.
Kopflos zwänge ich mich durch die tanzende Masse. Beim Ausgang angekommen, flüchte ich förmlich nach draußen. Fahrig streiche ich mir mehrmals über die schweißbedeckten, salzigen Lippen. Der Türsteher wirft mir einen erbosten Blick zu, als ich Anstalten mache, mich auf den Gehsteig neben dem Club setzen zu wollen.