Schloß und Fabrik - Louise Otto - E-Book

Schloß und Fabrik E-Book

Louise Otto

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Beschreibung

In "Schloß und Fabrik" taucht Louise Otto tief in die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen des 19. Jahrhunderts ein. Mit einem klar strukturierten Stil, der sowohl informativ als auch fesselnd ist, analysiert sie die Auswirkungen der Industrialisierung auf die Gesellschaft. Otto betont die Konflikte zwischen Adel und Arbeitern sowie die Herausforderungen, die sich aus den Veränderungen des Arbeitsmarktes ergeben. Ihr Werk zeigt deutlich die sozialen Ungleichheiten und die Auswirkungen der Industrialisierung auf die Lebensbedingungen der Menschen. Louise Otto, als eine bedeutende feministische Schriftstellerin und Aktivistin des 19. Jahrhunderts, bringt durch ihre persönlichen Erfahrungen und Überzeugungen eine einzigartige Perspektive in das Buch ein. Als Mitbegründerin der deutschen Frauenbewegung und Herausgeberin verschiedener feministischer Zeitschriften, bringt sie ein tiefes Verständnis für soziale Gerechtigkeit und die Rechte der Frauen in ihre Arbeit ein. "Schloß und Fabrik" ist nicht nur ein historisches Werk, sondern auch ein Aufruf zur sozialen Veränderung. Es ist ein Buch, das historische Zusammenhänge und soziale Themen auf fesselnde Weise aufzeichnet und die Leser dazu ermutigt, über die Auswirkungen der Industrialisierung und die Bedeutung sozialer Gerechtigkeit nachzudenken.

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Louise Otto

Schloß und Fabrik

Ein gesellschaftskritischer Roman
            Books

Inhaltsverzeichnis

Erster Band
Vorwort
I. Die Erziehungsanstalt
II. Ein Geständniß
III. Jaromir
IV. Nr. 18 in der Klosterstraße
V. Eine Genesende
VI. Trennungen
VII. Ein Empfang
VIII. Ein Fabrikarbeiter
IX. Sonntag-Abend
X. Der Rittmeister
XI. Wiedersehen
XII. Folgen eines Besuches
Zweiter Band
I. Zwei Freunde
II. Haussuchung
III. Wiedersehen
IV. Erklärungen
V. Ein Schreiben
VI. In der Fabrik
VII. Die Zwei
VIII. In der Schweiz
IX. Gesellschaft auf Schloß Hohenthal
X. Versuchungen
XI. Berathungen
Dritter Band
I. Ueberraschung
II. Die Brüder
III. Mutter und Tochter
IV. Zwei Werber
V. Ein Blick hinter die Coulissen
VI. Auf dem Schlosse
VII. Zwei Gesellschaften
VIII. Der Aufstand
IX. Ein Plan
X. Vereinigung
XI. Schluß

Erster Band

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

An dem Tage, wo ein Autor zu seinem Buche die Vorrede schreiben kann, sagt Jean Paul irgend wo, ist er glücklich.

Jean Paul hat mit diesem Wort so Recht, wie mit manch' anderm – ich fühle das jetzt und heute. Aber wenn ein Mensch eine glückliche Stunde hat, wie sie ihm selten kommt, so macht sie ihn öfter stumm, als beredt, so daß er zu all' denen, welche ihm begegnen, oder zu ihm kommen, nicht anders zu reden weiß, als durch einen herzlichen Druck der Hand.

Und so denn auch Euch, meine Leser, jetzt kein Wort weiter, aber Gruß und Handschlag von

der Verfasserin.

Meißen, im Januar 1846.

I. Die Erziehungsanstalt

Inhaltsverzeichnis

»Was er mir ist? O, frage Blumenkelche,Was ihnen wohl der Thau, der sie besprengt?«

Betty Paoli.

Zehn Uhr Abends. Um diese Stunde mußten in dem großen Hause des Herrn Doctor Nollin alle Lichter verlöscht und sollten alle Augen geschlossen sein. Und es waren viel schöne Augensterne, die da mit den Lichtern um die Wette zu leuchten aufhören mußten, statt daß manche von ihnen gewiß noch so gern abendlich geschwärmt und geblinkt hätten. Denn mehr als zwanzig junge Mädchen bewohnten dieses Haus auf der breiten, aber etwas einsamen Königsstraße einer Deutschen Residenz zweiter Größe. Herr und Madame Nollin leiteten nämlich ein Institut zur Erziehung und Ausbildung junger Mädchen aus den höheren Ständen. Das Institut war eben so vornehm, als kostspielig eingerichtet und daher auch nur von den Töchtern solcher Familien besucht, welchen Rang und Reichthum einen großen Aufwand gestattete. Dasselbe das erste der Residenz nennen zu können, war der Stolz von Madame Nollin.

Zehn Uhr Abends. Auch die junge Gräfin Elisabeth von Hohenthal hatte ihr Licht verlöscht und, der Hausregel folgend, das Lager gesucht. Aber sie richtete sich bald wieder unruhig auf, zog mit der kleinen Hand die Vorhänge ihres Himmelbettes auseinander, streckte das Köpfchen hervor und vom matten Mondlicht unterstützt, blickte und lauschte sie nach der nebenan offen stehenden Thüre, dann rief sie halblaut:

»Aurelie!«

Kichernd sprang auf diesen Ruf ein junges, leichtfüßiges Mädchen, in den leichten Schlafrock gehüllt, die niedlichen Pantoffeln, um Geräusch zu vermeiden, in den Händen, herein und warf sich in den Sessel neben Elisabeths Lager.

»Nun, gestrenge Herrin,« lachte sie, »da bin ich zu Dero Befehl – ich brenne nämlich vor Neugier, zu wissen, warum Du heute den ganzen Tag so blaß und schmachtend ausgesehen hast, und mit welchen großartigen Plänen Du umgingst, als Du heute Deine Stickerei drei Mal auftrennen mußtest, ehe sie sich vor kritischen Augen sehen lassen konnte – nun beichte –«

»Kann man nicht ernsthaft mit Dir reden, Aurelie?« fegte Elisabeth mit etwas vorwurfsvoller Betonung.

»Nun, warum denn nicht? Wer weiß denn, daß Deine Geständnisse so gewaltig wichtig sind? Aber wirklich, was hast Du denn?« und Aurelie, indem sie die letzten Worte mit liebreich theilnehmender Stimme sprach, nahm die Rechte der Freundin zwischen ihre beiden kleinen Hände.

»Thalheim,« begann diese, »ist heute abermals außen geblieben –«

»Nun, und was weiter?«

»Was weiter? Wäre nicht dies allein schon genug, um –«

»Um Dich zu ärgern? Möglich!« sagte Aurelie, indem sie zu gähnen begann, »es thut mir zwar sehr leid, daß du dadurch verhindert worden bist, Deinen letzten geistreichen Aufsatz vortragen zu können, daß Du heute sein Lob nicht eingeärntet hast – allein hat Deine heutige Sentimentalität keinen andern Grund, als diesen etwas lächerlich ehrgeizigen, so thut es mir wirklich leid um den Schlaf, den ich jetzt versäume.«

»Es sollte mir leid thun, hielte ich Dich von irgend einem Vergnügen zurück; ist Dir der Schlaf ein solches, dann, gute Nacht!« versetzte Elisabeth kalt und lehnte sich in die Kissen zurück.

Aurelie stand stumm auf, öffnete leise das Fenster und sah hinaus. Sie that dies nur, um ein wenig Luft zu schöpfen oder vielmehr um Zeit zu gewinnen, sich mit der Freundin wieder auszusöhnen; zu schnell wollte sie dieselbe aber nicht versöhnen, um sich selbst Nichts von ihrer eignen Würde zu vergeben. Bald jedoch ward ihre Aufmerksamkeit durch Stimmen, welche sich auf der Straße hören ließen, gefesselt.

Zwei männliche Gestalten gingen unten vorüber und die Lauschende hörte die Worte:

»So viel ist gewiß, dies ist das Institut, welchem sie angehören, aber wie aus einer so scharfbewachten Heerde gerade die Eine herausfinden, die man im Sinne hat und von der man nicht einmal weiß, ob sie Pauline oder Aurelie heißt –«

Das Wort »Heerde« klang Aurelien zwar etwas anstößig, sie konnte es nicht ohne Nasenrümpfen hören, doch als sie ihren eignen Namen verstanden hatte, strengte sie ihr Gehör auf's Aeußerste an, um vielleicht noch ein die erregte Neugierde befriedigendes Wort zu vernehmen, und so hörte sie noch eine zweite Stimme sagen:

»O, ich habe mir das Engelsgesicht zu deutlich gemerkt, um es je wieder vergessen zu können, wer sie auch sei, wie tyrannisch sie vielleicht auch bewacht sein mag, ich werde Mittel finden, mich ihr zu nähern.«

Die erste Stimme ließ darauf ein wieherndes Gelächter vernehmen – darüber schien die vorher friedliche Unterhaltung in ein Gezänk überzugehen, von dem Aurelie, da die Sprechenden sich immer weiter entfernten, kein Wort mehr verstehen konnte. Ueber diesem kleinen Vorfalle vergaß Aurelie ganz und gar, daß sie noch vor ein paar Minuten mit Elisabeth nicht im besten Vernehmen gewesen war – sie trat zu dieser und berichtete, mit einem »Denke Dir« beginnend, umständlich und pathetisch das Erlauschte und stellte in einem langen Wortschwall Tausend Vermuthungen auf, die sich daran knüpfen ließen.

Elisabeth hörte geduldig zu und sagte dann lächelnd: »Nun Du ein solches Abenteuer erlebt, bereust Du wohl nicht mehr die wenigen Minuten des verlornen Schlafes?«

Da besann sich Aurelie erst wieder, daß jene ihr vorhin gezürnt und sie sagte weich: »Vorhin wurdest Du mir böse – ich will Dir zugeben, daß mir mit Deinen Worten Recht geschah, und so soll es wieder gehen wie immer – ich bin vorlaut, Du bist stolz – wir gestehen uns dies ein, und ich selbst bin die Erste, welche nachgiebt. So ist denn wieder Alles bei'm Alten und fiel ich Dir vorhin in's Wort, so hast Du nun die Güte, es zu vollenden.«

Elisabeth drückte die dargebotne Hand und begann nach einer Weile mit niedergeschlagenen Augen: »Ihr nennt mich eitel und ehrgeizig und die Meisten der Gefährtinnen witzeln über mich. Ich bin es nicht, ich will nur den großen Vortheil nicht unbenutzt lassen, der mir zu Theil geworden, indem ein Thalheim unser Lehrer ist. Ich würde mich dieses Gefühlsunwerth fühlen, wenn ich nicht danach streben wollte, dies auch zu verdienen – – Aber wie kannst Du denken, nur Eitelkeit sei im Spiel, wenn ich darüber klage, daß Thalheim nicht gekommen?«

»Nun wirklich,« lachte Aurelie pfiffig, »da machst Du ein naives Geständniß, so bist Du wohl gar in Thalheim verliebt?«

»Welch' einfältiges Wort und welcher noch einfältigerer Gedanke! Siehst Du dort«, und Elisabeth legte sich mit dem Oberkörper ein wenig vor und deutete mit der Hand nach dem geöffneten Fenster, »siehst Da da oben den kleinen Stern am Himmel, der gerade unter dem Orion steht? Er ist verschwindend klein gegen dies glänzende Sternbild und Niemand, der jenes nennt, nennt und zählt ihn mit – aber deshalb ist er doch des Orion steter Begleiter. Was wär' es denn weiter, wenn ich jener kleine Stern wäre und Thalheim mein Orion? Wenn ich in seiner Bahn ihm nachwandelte, unzertrennlich von ihm und doch immer in derselben Ferne wie ein Stern neben dem andern?«

»Was schwärmst Du wieder?«

»Ja, so seid ihr,« seufzte Elisabeth und wieder den gewöhnlichen Gesprächston annehmend, sagte sie kurz: »Thalheim's Gattin ist dem Tode nahe, er will nicht von ihrem Schmerzenslager weichen und deshalb hat er sich bei uns entschuldigen lassen. Aber das ist nicht Alles. Erst gestern, als ich bei meiner Tante zum Besuch war, habe ich dort zufällig gehört, was mich in's Innerste bewegt hat.«

»Nun, das wäre? –«

»Thalheim soll so arm sein, daß er sich seiner Frau wegen die größten Entbehrungen auferlegt und jetzt durch ihre Krankheit in die größte Noth gestürzt Tag und Nacht allein an ihrem Lager wacht, jeden Dienst ihr leistet und unter den quälendsten Sorgen ringt. Ach, Aurelie, in diesem Augenblick, wo wir friedlich zusammen sprechen, kniet er vielleicht in Verzweiflung, daß er der sterbenden Gattin irgend einen Wunsch nicht erfüllen kann, an ihrem Schmerzenslager, und eine Hand voll elenden Goldes könnte sie zwar nicht dem Leben erhalten, aber es ihr doch leichter machen, zu sterben, und er wäre doch der niedrigsten aller Sorgen enthoben.«

»Das thut mir wirklich leid, wenn er so unglücklich ist – Armuth muß doch sehr schlimm zu ertragen sein – Aber wie können wir es ändern? Einem Bettler könnte man schon helfen – ihm aber nicht.«

»Es ist freilich hier nicht so leicht, aber doch nicht unmöglich. – Das ist es, worüber ich heute den ganzen Tag nachgedacht habe. Ich muß aber vor allen Dingen wissen, ob jenes Gerücht von Thalheim's Armuth wirklich wahr ist. Ich habe mich heute bei unserm Laufmädchen nach seiner Wohnung erkundigt und erfahren, daß eine Blumenmacherin mit ihm in einer Etage wohnt, zu ihr will ich morgen gehen und hoffentlich erhalte ich da genaue Auskunft, vielleicht wird es mir auch gar durch diese möglich, ihm helfen zu können, oder der Zufall giebt mir irgend ein andres Mittel an die Hand. Willst Du mich nun morgen zu der Blumenmacherin begleiten? Wir sagen, daß wir zu Deinem Verwandten Obrist Treffurth gehen, schicken an der Hausthüre den Bedienten heim, thun dann erst unsern Gang und begeben uns dann zu Treffurth's, wo der Bediente uns wieder abholen mag. Du kannst sie ja morgens von unserm Besuch benachrichtigen, den wir längst versprochen.«

Aurelie war mit Allem zufrieden, hatte vermuthlich aber heute weiter keine Lust, noch mehr von Thalheim zu hören, und sagte deshalb der Freundin herzlich, aber schnell gute Nacht und legte sich zur Ruhe. Sie überließ sich den Gedanken über die am heutigen Abend gehörten Worte, die ihr anmuthige heitre Bilder vor die Seele zauberten, bis der Schlaf dieselben in wirrer gaukelnder Weise fortsetzte. Aber aus Elisabeth's Augen schlich leise eine Thräne nach der andern und bis zum Morgengrauen entwarf sie sinnend einen Plan nach dem andern, wie sie ihren Zweck, Thalheim zu helfen, erreichen könne, und doch ward jeder dieser Pläne wieder von ihr verworfen. –

Elisabeth war das einzige Kind eines Grafen von Hohenthal. Schön, begabt mit einem glänzenden Verstande und mannichfachen Talenten war sie der Eltern Stolz; all ihr Streben, ihr Ehrgeiz war auf diese gerichtet. Schon frühe war es dahin gekommen, daß fast jeder von Elisabeth's Wünschen als Befehl galt, daß Alles im väterlichen Hause sich ihr unterordnete. Es konnte nicht anders kommen, als daß sie, dadurch irre geleitet, schon in früher Jugend etwas Herrisches und Gebieterisches annahm, das besonders die schwache, aber engelmilde Mutter zuweilen erschreckte und für das künftige Glück der theuern Tochter besorgt machte. Ein Hauslehrer und eine Gouvernante hatten Elisabeths Erziehung bis zu ihrer Confirmation geleitet; so war sie einsam, ohne Jugendgespielinnen, ohne Lerngefährtinnen aufgewachsen auf dem einsamen Stammschloß ihres Vaters. Den alten Grafen hielt auf denselben mittelalterliche Grille fest. Er konnte sich nicht mit dem neuen Zeitgeist befreunden, welcher allen alten Vorurtheilen, mithin auch der Würde des alten Adels den Krieg erklärt hat und seinen Feldzug gegen denselben allmälig immer siegreicher fortsetzt. Deshalb lebte er zurückgezogen auf seiner Herrschaft Hohenthal, wo er die ihn Umgebenden noch als seine Unterthanen betrachten und in ehrfurchtsvoller Ferne von sich halten konnte, wo man ihn trotz seines Stolzes, da er gerecht, freigebig und wohlthätig war, wie einen Vater und Fürsten verehrte und aus ehrfurchtsvoller Ferne mit Hochachtung zu ihm aufsah. Er hatte sich besonders, seit der Regent seines Vaterlandes diesem die mehr abgenöthigte als freiwillig verliehene Constitution gegeben hatte, nicht wieder entschließen können, in der Residenz zu erscheinen, welche durch die veränderte Zeitrichtung auch ein ganz verändertes Ansehen und Leben gewonnen hatte. Die Gräfin Hohenthal, die von fürstlicher Herkunft war, theilte die stolzen aristokratischen Ansichten ihres Gatten, doch in ihr hatten sie eine mehr poetische Grundlage und prägten sich auch poetisch und deshalb minder verletzend als bei dem prosaischen Grafen in ihrem sanften Charakter aus. Wenn der Graf mit allen neuen Zeitbestrebungen grollte, welche auf eine Ausgleichung der Verhältnisse, auf das Zunichtwerden veralteter Vorurtheile hinarbeiten, welche der Aristokratie die Uebermacht entreißen und bald jede frühere Willkühr und Ungebühr ihr unmöglich machen, war die Gräfin vorzüglich deshalb mit der Gegenwart zerfallen, weil alle jene äußern Lebensverherrlichungen, welche früher nur bei den höchsten Ständen zu finden gewesen, jetzt auch Eigenthum der bürgerlichen Stände wurden, welche, wie die Gräfin meinte, dieselben misbrauchten. Die Geldaristokratie, diese Geburt der neuen Zeit, die Macht in den Händen der Industriellen war es, welche ihr vornämlich die neue Zeit verhaßt machte, so daß auch sie, halb mit dem Leben zerfallen, es wünschenswerth fand, von seinen weitern Kreisen sich zurückzuziehen. Der nächste Nachbar ihrer Besitzungen trug jedoch noch unausgesetzt nicht wenig dazu bei, sie in der Trauer über die Sitten und aristokratischen Vorrechte entschwundener Zeiten zu bestärken. Es war dies Herr Christian Felchner, welcher vom Vater des jetzigen Grafen Hohenthal, als dieser durch einen Prozeß, den erst der Sohn gewann, seine Vermögensumstände sehr zerrüttet sah, ein ansehnliches Stück der zu den Hohenthal'schen Gütern gehörigen Ländereien gekauft und sie zur Anlegung einer großen Wollfabrik benutzt hatte. Graf Hohenthal, besonders durch seine Gattin dazu aufgemuntert, hatte dem Fabrikbesitzer enorme Summen geboten, um wenigstens theilweise und so viel, als irgend möglich, wieder den früher zu seinen Gütern gehörigen Grund und Boden in seinen Besitz zu bekommen – allein Christian Felchner war nicht der Mann, der, wo er einmal sich angesiedelt, sich wieder vertreiben ließ, nicht der Mann, der je seine Ansprüche vor den Forderungen einer Aristokratie der Geburt gemäßigt hätte. Auf die Anträge des Grafen gab Christian Felchner nur kurz zur Antwort: er könne durchaus nicht darauf eingehen; und als jener seine Anerbietungen noch steigerte und nachdrücklicher zu machen suchte, traf er eines Tages an einer Stelle, die seinen Park begränzte und in Felchner's Besitz war, eine Menge Arbeiter daselbst beschäftigt. Bald erhob sich an diesem Platz eine neue Spinnerei und bald schallte das Getöse der arbeitenden Dampfmaschinen weit hinüber in die stillsten Plätze des gräflichen Parkes, und die Fabrikarbeiter verzehrten an seinen mit prachtvollen Blumen und majestätischen Baumgruppen verschöntem Ausgang ihr Frühstück unter derben Scherzen oder rohem Gezänke. Der nächste Umgang des Grafen Hohenthal war ein Herr von Waldow, Rittmeister außer Dienst, dessen Rittergut auf der andern Seite das Eigenthum des Fabrikanten begrenzte. Herr von Waldow hatte während eines flotten Militärlebens ungleich mehr ausgegeben, als eingenommen, und um sich seinen guten Namen zu bewahren und zugleich sein glänzendes Leben fortsetzen zu können, ließ er willig von seinem Besitzthum ein Stück nach dem andern an Felchner gelangen, so daß dessen Besitzthum sich immer weiter ausbreitete, und was Hohenthal ihm an seiner Westgrenze gern wieder streitig gemacht hätte, das trat im Osten Waldow mit Vergnügen an Terrain ihm ab. –

So verging Elisabeth's Kindheit einsam im Schloß des Vaters, ohne daß eine Gespielin dieselbe erheitert hätte. Lehrer und Gouvernanten, welche man ihr hielt, betrachtete sie nicht als Personen, denen sie Gehorsam schuldig sei, sondern als solche, welche ihrem Willen sich zu fügen hätten. Bei ihren bedeutenden Geistesgaben und Talenten, verbunden mit einem angebornen Triebe nach Wissen, und einem früh erwachten Ernste und geistigen Stolz entwickelte sie sich früh und schnell, so daß die, welche ihre Erziehung leiteten, dies Geschäft dennoch belohnend fanden, obwohl Elisabeth immer eigenwillig, oft herrisch sich gegen sie zeigte und zeigen durfte. So war sie siebzehn Jahr alt geworden, als eine Verwandte ihrer Mutter, Baronin von Treffurth, mit ihrer Tochter Aurelie auf einige Zeit nach Hohenthal zu Besuch kam. Aurelie war zwei Jahr jünger als Elisabeth, weniger schön, weniger talentvoll und lernbegierig als diese – aber lebendiger, kindlicher, heitrer. Frau von Treffurth bewohnte ebenfalls ein einsames Landgut und hatte deshalb beschlossen, die Erziehung ihrer ältesten Tochter in dem ersten Institut der Residenz vollenden zu lassen. Aureliens Abgang dahin war bereits bestimmt, und da sie und Elisabeth einander liebgewonnen hatten, so gab die Letztere bald den Wunsch zu erkennen, das elterliche Schloß auf einige Zeit mit jenem Institut zu vertauschen. Gräfin Hohenthal vernahm dies mit Freuden, denn sie hoffte auf diese Weise vielleicht den stolzen Eigenwillen ihrer Tochter brechen und im Kreise gleichfühlender Gespielinnen sie sanfter und zufriedener werden zu sehen, wie sie bis jetzt war.

So kam es, daß Elisabeth und Aurelie in Nollins Institut zusammen waren.

Als Elisabeth bei ihrer Ankunft sich die Namen ihrer Gefährtinnen hatte nennen lassen, ward bei jedem derselben ein »Comtesse« – »Baronesse« u.s.w. vorgesetzt, nur eines dieser Mädchen nannte man ihr kurzweg als Pauline Felchner.

Als Elisabeth die Genannte befremdet mit kaltem Blicke maß, sagte ein schnippisches Fräulein bitter: »Sie werden einander wohl nicht kennen, obwohl Sie eigentlich Nachbarinnen sind, denn Fabrikant Felchner's Dampfmaschinen hört man ja wohl bis in das Schloß des Grafen Hohenthal lärmen.«

»Nein, wir kennen uns nicht,« versetzte Elisabeth kalt.

»Es wäre auch anders nicht möglich,« nahm Pauline erröthend und mit bebender Stimme das Wort, »denn seit meiner frühesten Kindheit, wo ich mutterlos ward, bin ich vom Vaterhaus entfernt gewesen. Desto mehr,« fügte sie hinzu, indem ihre sanften blauen Augen unwillkührlich naß wurden, »sehne ich mich nun dahin zurück.«

Ward Pauline als das einzige bürgerliche Mädchen unter so vielen hochgeborenen zurückgesetzt und von diesen selbst geringschätzig behandelt, oder doch wenigstens allen Andern nachgesetzt, so hegte Elisabeth noch ein anderes Vorurtheil gegen sie; ihre Kameradin sollte die Tochter desselben Fabrikherrn sein, dessen Nachbarschaft mit dem Hohenthal'schen Schloß für dessen Besitzer schon so unbequem, als widerwärtig war. Zwar verschmähte es Elisabeth, die sanfte, bescheidne Pauline gleich den andern Mädchen absichtlich zu kränken und sich fühlbar über sie zu erheben, allein sie hielt sich immer fern von ihr, eine Annäherung schien zwischen Beiden unmöglich und sie waren gegenseitig nicht da für einander. Dies konnte Paulinen von Elisabeth aber weniger verletzen, als von jeder Anderen, denn für Elisabeth schienen überhaupt nur die Wenigsten da zu sein, nur an Aurelie schloß sie sich mit Wärme an, aber doch immer nur so, daß diese die geistige Ueberlegenheit Jener fühlte, sich ihr freiwillig unterordnete und ihr auch sonst in Allem zu Willen war.

II. Ein Geständniß

Inhaltsverzeichnis

»Herz ward vom Herzen blutend losgerissen,Und jetzt auf meinem Sterbelager mußIch Deines Anblicks süßen Trost vermissen.«

Betty Paoli.

In derselben Nacht, in welcher Elisabeth und Aurelie den Namen Thalheim flüsterten, wachte der, von dem sie sprachen, einsam und sorgenvoll am Krankenlager der Gattin.

Eine düster brennende Lampe beleuchtete matt das kleine Gemach. Die Fenster waren dicht verhangen. In der Nische des einen hing ein hölzerner Vogelbauer, dessen kleiner Inwohner zuweilen das bunte Köpfchen aus der dichten Federhülle hervorsteckte, als wolle er sehen, ob es noch nicht bald tage. Hie und da sang er auch leise unruhige Töne im Schlafe. Eine große Stutzuhr, deren prachtvolles Gehäus von Silber und Alabaster auffallend von der einfachen, ja armseligen Meublirung der Stube abstach, folgte mit hellem, forttönendem Klange den fliehenden Minuten. Außer ihr und den einzelnen Lauten des Vögelchens vernahm man Nichts, als die langen, unruhigen Athemzüge der Kranken.

In der dunkelsten Ecke des Gemaches saß der Gatte der Kranken in einem schwarzen Lehnstuhl. Sein Arm stützte sich auf eine Seitenlehne des Sessels, so daß die emporgehaltene Hand das müde herabgesenkte Haupt trug.

Thalheim mogte einige dreißig Jahre zählen. Die Züge seines Antlitzes waren von männlicher Schönheit und antiker Regelmäßigkeit; aber aus den leichten Furchen seiner hohen, breiten Stirn, Furchen, welche nur der Schmerz gezogen haben konnte, war bald zu lesen, daß manch hartes Geschick den Mann getroffen haben mogte, und die Blässe seines Antlitzes, das dunkle Feuer, das in seinen tiefblauen Augen brannte, das schmerzliche Zucken um den Mund, das die Oberlippe emporzog und ihn halb öffnete, so daß man eine Reihe großer mormorweißer Zähne gewahrte, deutete auch jetzt auf ein schmerzlichbewegtes Innere. Bei All' dem aber konnte Thalheim's Anblick auch in seiner jetzigen niedergebeugten Stellung weniger Mitleid, als Ehrfurcht erwecken. Etwas Unaussprechliches, Unnennbares prägte sich in seiner Gestalt, auf seinem Gesichte aus, etwas Heiliges, Unüberwindliches.

Er stand jetzt auf, denn die Kranke, welche er im Schlummer glaubte, hatte sich jetzt plötzlich rasch aufgerichtet und rief ungeduldig:

»Johannes!«

Im Augenblick stand er geräuschlos neben dem Bett und legte sanft seine Hand auf die fieberheiße seines Weibes, indem er flüsterte:

»Willst Du etwas, gute Amalie?«

»Sterben!« ächzte sie, indem sie beide Hände vor ihre Stirn schlug und das Haupt auf ihre Kniee legte. So zusammengebeugt seufzte sie laut und ungeduldig unter ihren Schmerzen. Er legte ihr die in einander gewühlten Kissen wieder zurecht, schlang den Arm sanft um ihre Schultern und wollte sie zärtlich aufrichten. Aber sie zuckte zusammen, als mache seine Berührung ihr Schmerz, verzog den Mund bitter und flüsterte ein zurückweisendes: »Geh!« und: »Laß!«

Thalheim nahm seinen Arm zurück und blieb eine Weile schweigsam stehen, seine Augen weilten unverändert mit zärtlicher Theilnahme auf der Kranken, die jetzt ihren Kopf aufrichtete, und hastig flehend sprach: »Nur einen Wunsch erfülle mir noch, damit ich sterben kann –« auch mit bitter'm Tone hinzufügte: »Du kannst es – er kostet kein Geld.«

Thalheim warf einen Blick an die Decke des Zimmers, einen Blick, der den Himmel suchte – aber es schien kein Himmel über ihm zu sein, sein Blick traf nur die graue Decke. Amalie war schon lange krank, und er war arm – diese Armuth wagte er Niemand einzugestehen, denn in der Stadt, in der er jetzt lebte, hatte er keine Freunde, die er um Hülfe hätte angehen können, und Bekannte in Anspruch zu nehmen, war er zu stolz. Sein Gehalt reichte nur gerade hin, ihn mit Weib und Kind zu ernähren, weiter nicht – die lange Krankheit hatte ihn bereits in Schulden und Verbindlichkeiten verwickelt, die ihm unerträglich waren, und um sie nicht noch zu mehren, um nicht sich und seine Familie noch immer tiefer in eines jener Labyrinthe des Elends zu führen, aus welchen der Rückweg so schwer zu finden ist, hatte er der Kranken hie und da einen jener grilligen Wünsche unerfüllt lassen müssen, an denen Kranke gewöhnlich so reich sind, und deren Erfüllung ihnen weder Erleichterung noch Freude giebt, deren Verweigerung sie aber unmuthig macht. Thalheim hatte das Bewußtsein, daß er mit Aufopferung aller seiner Kräfte Alles für seine Frau that, was ihm irgend möglich war. Er hatte nie ein Wort des Dankes, der Anerkennung von ihr verlangt, denn er sagte sich, daß er nur seine Pflicht thue, – aber statt eines milden Liebesblickes, nach dem er sich sehnte, gab sie ihm Vorwürfe. – Aber jener einzige Blick aufwärts und ein schnell wieder unterdrücktes Zucken um den Mund war Alles, wodurch er einen Moment seiner heftigen innern Bewegung einen Ausdruck geben mußte, er sagte mit unveränderter Freundlichkeit: »Und welchen Wunsch hast Du? Gewiß, ich werde Alles aufbieten, ihn Dir zu erfüllen!«

»Du weißt, daß ich sterben muß,« begann sie milder, als sie vorhin sprach, und er fiel ihr in's Wort und rief:

»O, sprich nicht so!«

Aber sie bat weiter: »Unterbrich mich nicht, um mich zu schonen, es ist mir ja Erleichterung, wenn ich einmal frei sprechen darf. Suche mir das nicht zu verheimlichen, was ich ja doch wünschen muß. Laß mich reden. Höre mir zu. Du hast es selbst mit angesehen, wie oft der Tod zu mir gekommen ist – er packte mich, warf mich hin und her, daß ich vor unsäglichen Schmerzen stöhnen und wimmern mußte, wie ein Kind – aber die Stunde ging vorüber, und der Tod mit ihr – ich blieb immer noch sein zuckendes Opfer – und nun ist es mir klar geworden, warum ich nicht sterben kann – ich soll nicht unversöhnt aus dem Leben gehen. Ich bedarf der Verzeihung zweier Menschen, an denen ich mich schwer vergangen habe – Deiner und seiner – – –«

Sie hielt inne – er sah sie fragend an und sprach kein Wort. Nach einer Pause fuhr sie fort:

»Johannes! – Auf dem Sterbebette lass' mich nicht mehr heucheln. Nicht aus Liebe ward ich Dein Weib – in diesem Herzen hat ewig nur das Bild eines Andern gelebt!« sie sprach die letzten Worte kaum hörbar und mit niedergeschlagenen Augen, dann aber heftete sie dieselben weitgeöffnet ängstlich auf ihren Gatten, um zu erforschen, welchen Eindruck dieses Geständniß auf ihn mache.

Ueber seine ganze Gestalt rießelte es wie ein eisiger Schauer – seine Hände ließen die Bettpfoste los, auf die sie sich vorhin gestützt hatten – er sah auf sie, eben so starr, eben so fest, wie sie auf ihn – doch lag ein ungläubiges Forschen in diesem Blick und eine innige Zärtlichkeit, welche flehte: nimm das Wort zurück – ich verstehe Dich nicht.

Sie hielt diesen vertrauenden Liebesblick nicht aus, und indem sie ihr Gesicht abwendete, schrie sie auf: »Fluch mir lieber! Ich kann das eher ertragen, als Deine Engelmilde, als Deine blindvertrauende Liebe – – ich habe Dich geachtet, ich habe Ehrfurcht vor Dir gehabt – ich habe mir tausend Mal gesagt, daß Du edler, besser seiest, als all' die andern Männer – auch als er – mein Geist hat es mir gesagt, nicht mein Herz – mein Verstand, aber nicht mein Gefühl – und so habe ich Dich niemals lieben können, wie Du Dich geliebt glaubtest – niemals wie ihn – – und so habe ich doppelt gefehlt, an ihm, dem ich die Treue brach, und an Dir, dem ich Liebe heuchelte – ich habe Euch Beide unglücklich gemacht, Ihr müßt mir Beide vergeben, damit ich versöhnt aus dem Leben gehen kann.«

Johannes trat noch ein paar Schritte zurück und lehnte sich an den Ecktisch, auf dem die Nachtlampe stand – durch den kleinen Stoß an den Tisch tauchte das Lämpchen unter das Oel, auf dem es schwamm, und verlöschte. Amalie schrie auf – ihm gab der kleine Umstand die Fassung wieder – er erinnerte ihn daran, daß er ja der Wärter einer Kranken sei, welche Schonung bedürfe. Er nahm das Feuerzeug zur Hand, und gab der Lampe ihre Flamme wieder, sie brannte aber jetzt unruhiger, flackernder als zuvor. Johannes sah, wie Amalie im Fieber glühte – er warf einen besorgten Blick auf sie und setzte sich stumm neben ihr Bett.

»Bin ich keines Wortes mehr werth?« fragte Amalie seufzend.

»Du wolltest mir einen Wunsch nennen, den ich Dir erfüllen könnte,« sagte er ruhig und bezwang sogar das Beben seiner Stimme – »Warum nennst Du ihn nicht? Ich bin zu Allem bereit, was Du verlangst, wenn es in meiner Macht ist.«

»Versöhne mich mit ihm!« rief sie.

»Mit wem?« fragte er tonlos.

»Mit Jaromir von Szariny!« flüsterte sie und drückte ihr erglühendes Antlitz in die Kissen. »Ich kann nicht sterben, wenn er mir nicht vergeben! – Ach, lass' Dich beschwören,« fuhr sie fort, »der Tod lös't ja alle Bande der Convenienz, macht Alles gleich – im Angesicht seiner dürfen alle Schranken fallen und Seele zur Seele reden, wirf mit mir alle Vorurtheile bei Seite und erfülle meine Bitte, ich muß ihn sehen!«

»Wie wäre das möglich?« sagte Johannes bestürzt. »Ist der Graf denn hier? Und dann – und –« er war zu betroffen von dem nun eben Gehörten, in dem er ja noch gar keinen Zusammenhang fand, um darüber ruhig denken und sprechen zu können, und dabei sagte er sich selbst unaufhörlich, daß er die Tod ranke schonen, jede Aufregung vermeiden müsse – und doch war sein Herz so voll von eben darin erweckten Qualen, daß es Tausend verzweiflungsvolle Fragen, welche der Mund nimmer auszusprechen wagte, an die Gattin that.

»Ach, Johannes,« begann sie wieder, »ich habe Dir Alles sorgfältig verborgen, was mich gemartert hat bis zu dieser Stunde. Darüber bin ich oft launenhaft und hart gegen Dich gewesen, denn es ist nicht leicht, sein Herz zu einem Gefühl überreden zu wollen, zu dem es ewig nein sagt.«

»Aber Amalie, ich beschwöre Dich! –« sagte er mit gepreßter Stimme.

»Still, Johannes,« fiel sie ihm in's Wort, »ich weiß, was Du sagen willst, schone mich nicht – doch Du willst dies, und so will ich denn selbst für Dich reden. Du willst mich fragen, warum ich Dein Weib ward, da ich doch einen Andern liebte. – – – Ach, ich war ein thörigtes, eitles Mädchen. Jaromir studirte in meiner Vaterstadt – wir hatten uns gesehen, erst nur aus der Ferne, als wir uns schon liebten – der schöne, stolze Graf, der liebenswürdige Pole, um dessen Zuneigung sich die vornehmsten Frauen und Fräuleins der Stadt vergebens bemühten – er lag zu meinen Füßen, zu den Füßen des armen Mädchens, das Niemand kannte, Niemand beachtete, das um Lohn manche Stickerei für jene reichen Damen liefern mußte, die ihn in ihre Netze ziehen wollten. O, ich war selig! Meine Mutter machte erst Einwendungen gegen unser Liebesverhältniß, der Abstand der Verhältnisse machte sie mißtrauisch – aber Jaromir besiegte ihre Einwendungen – er wechselte den Ring mit mir, er erklärte uns, daß er selbst ziemlich so arm sei, wie wir, daß er ein Geächteter sei, dessen Güter der Russischen Krone verfallen, daß er keine Familie habe, die seine Wahl misbilligen werde, daß er, wenn er selbst ein andres Mädchen als mich lieben könne, doch zu stolz sei, als Bettler und Geächteter um die Hand einer Reichen und Hochgestellten zu werben – und Allem fügte er hinzu, daß er mich über Alles liebe und daß dies ja der beste Grund sei, ihn nicht abzuweisen. – Ach, wie beredt er immer sprach, und welch' selige Stunden wir verlebten, als meine Mutter selbst unsere Liebe beschützte! –« Und Amalie lächelte, als sie so sprach, und blickte vor sich nieder, in selige Erinnerungen versunken, Erinnerungen, welche eine solche Gewalt über sie hatten, daß sie jetzt ihrer Sprache einen lebhafteren Ausdruck gaben, daß vor ihnen die Schwäche des kranken Körpers zu weichen, seine Schmerzen aufzuhören schienen. Unter entsetzlichen Qualen rang Johannes während dieses Geständnisses, er vermogte nicht mehr, die begeistert Sprechende anzusehen, er blickte vor sich nieder, und blieb stumm.

Nach einer Weile begann sie wieder: »Niemand ahnte unser verborgenes Glück – Jaromir galt in der Gesellschaft als ein Sonderling, den nur die Einsamkeit reize – o, es war die Einsamkeit meines kleinen Zimmers, das für uns ein Paradies war. Aber so schön, so geistreich, wie er war, so unbedeutend kam ich mir neben ihm vor, und je leidenschaftlicher ich ihn liebte, desto häufiger quälten mich auch eifersüchtige Befürchtungen! – Ein halbes Jahr, nachdem wir uns kennen gelernt, ward er auf der Universität in Händel verwickelt, welche ihn zwangen, diese und die Stadt zu verlassen. Wir nahmen traurig Abschied, und gelobten uns ewige Treue. – Mein Leben ward furchtbar öde, da er fort war – wir schrieben uns oft, wenn auch die Mutter darüber schalt, daß ich Tage lang schrieb, ohne zu nähen, und über das viele Postgeld. Aber nun ward die Eifersucht zu meinem Dämon – ich hatte keine ruhige Minute mehr. Schrieb er mir einmal länger nicht, als gewöhnlich, so sprach ich im nächsten Brief meine Unruhe darüber aus, machte ihm Vorwürfe, nannte ihn untreu –« die Kranke unterbrach sich hier, sie fing an zu schluchzen, nach einer Weile sammelte sie sich wieder und fuhr fort: »So war in stiller Pein ein halbes Jahr verstrichen, da wurdest Du der Lebensretter meiner Mutter – sie war auf den vom Eise glatten Stufen gefallen, hatte den Arm gebrochen, Du hobst sie auf, brachtest sie zu dem Chirurgen, dann in unsre Wohnung – Du sahst, wie arm wir waren, wie wir noch ärmer werden mußten, da die Mutter nun nicht mehr arbeiten konnte, Du bezahltest den Arzt, Du halfst überall, und doch warest Du selbst arm. So war ich Dir gleich, als ich Dich kennen lernte, zu Dank und Lohn verpflichtet.«

»Verpflichtet? O, mein Gott!« rief jetzt Thalheim, sich vergessend, außer sich. »Pflicht – wo ich ein Herz bot für ein Herz, Dank und Lohn, diese Kinder des Hochmuthes und des Egoismus, wo ich nach wahrer Liebe mich sehnte! O, Amalie, wie jämmerlich klein mußt Du von mir gedacht haben!« Und er sprang mit diesen Worten auf, ging an's Fenster und drückte die brennende Stirn an die kühlen Glasscheiben.

»Bleibe hier, Johannes,« bat sie, »ich gestehe Dir jetzt meine Schuld, damit ich versöhnt sterben kann. Warum klagst Du in schmerzlicher Ueberraschung? Ich habe es Dir zuvor gesagt, daß ich Deiner Vergebung ja so sehr bedarf! Komm, komm!«

»Vergieb mir,« sagte er, »diese Aufwallung, ich will still anhören.« Und er setzte sich wieder auf seinen vorigen Platz, drückte schmerzlich-lächelnd Amaliens Hand, die sie ihm entgegen streckte, und sah dann aufmerksam lauschend vor sich nieder. Niemand konnte es ihm mehr ansehen, welche widerstreitenden Gefühle in seiner Seele tobten.

Die Kranke begann wieder: »Lass' mich kurz sein. Du gingest oft bei uns aus und ein, meine Mutter hing mit der wärmsten Hochachtung und zugleich zärtlichsten Mutterliebe an Dir – ich bewunderte Deine Großmuth, Deine Aufopferungen, Deine stete Milde – aber mir war ewig, als stündest Du auf einer kalten, klaren Höhe, die ich nimmer erklimmen könnte, die mich auch nimmer lockte. Da war es wieder einmal, daß mir Jaromir lange nicht geschrieben, ein Gerücht nannte ihn als den Liebhaber einer schönen verwittweten Gräfin – ich machte ihm eifersüchtige Vorwürfe, die er stolz ignorirte, endlich antwortete er aufgebracht, ich möge ihn nicht so unzart quälen, er thue es ja auch mir nie, denn er vertraue mir – – In diesen edlen Worten sah ich nur die Sprache der Gleichgültigkeit, mein Stolz überredete mich, daß er mich so sehr in seiner Gewalt zu haben glaube, daß neben ihm für mich jeder andere Mann verschwinden müsse – dafür wollt' ich ihn demüthigen, ich schrieb ihm begeistert von Dir, war auch freundlicher als zuvor gegen Dich, um ihm zu zeigen, daß noch andere edle Männer um meine Gunst sich bewerben könnten. O, er kannte mich nur zu gut! Er machte einen Scherz aus meinem Bestreben, seine Eifersucht zu erregen, wie er es durchschaute, und schrieb mir, daß er trotz dem meiner unveränderten Liebe gewiß sei – – ich hatte kaum diesen Brief, der meinen Stolz empörte, durchflogen, und ihn zürnend weggeworfen, als Du kamst, mir Deine Liebe gestandest, mir Deine Hand botest – und wenn ich nun Ja! sagte, rief eine teuflische Stimme in mir, so wäre Jaromir doch gedemüthigt, und ich sagte Ja in derselben Stunde, und meine Mutter kam und segnete uns.«

Amalie hielt erschöpft inne, und Johannes flüsterte zwischen den Lippen: »Unüberlegte, kindische Rache eines eitlen Mädchens, und meine wahre, riesenstarke Liebe!«

Sie fuhr nach einer Weile fort: »Du warst so gütig, so edel, ich sah mich so unendlich geliebt, Du übtest einen mächtigen Zauber über mich – meine Mutter dankte Dir ihr Leben und mehr, sie hatte längst gehofft, mit der Zeit werde mein Verhältniß zu diesem Jaromir enden, denn sie sah nicht ab, was daraus werden sollte – sie war glücklich über meine Handlung, ich war wie eine Träumerin – erst nach Wochen, als ein Brief Jaromir's anlangte, worde er sein Befremden über mein längeres Schweigen ausdruckte, und ängstlich zärtlich fragte: ob ich krank, oder was sonst geschehen sei? – da kam ich erst eigentlich zum klaren Bewußtsein dessen, was ich gethan hatte. Ich war in Verzweiflung – meine Mutter schrieb für mich an Jaromir, besinnungslos unterschrieb ich den Brief – ich ward krank, dadurch entging Dir mein tiefes Herzeleid. Ich hoffte immer noch, er würde wieder schreiben, mich beschwören, zu widerrufen – dann wollte ich mein Wort von Dir zurückverlangen, es möchte daraus entstehen, was da wolle. Aber er schickte mir meinen Ring wieder und schrieb kein Wort dazu. Da wollte ich glücklich sein – ihm zum Trotz. In solchen Momenten war ich dann so zärtlich gegen Dich, wie ich es nur immer gegen ihn gewesen – und es war doch nur eigentlich er, den ich in Dir liebkoste. Ach, ich habe untreu gegen ihn gehandelt, mein Gefühl konnte ihm nie untreu werden!«

Sie hielt wieder inne, von Erinnerungen überwältigt. – Das Nachtlicht flackerte unruhig, die Uhr im Zimmer schlug helltönend Mitternacht. –

Nach einer langen Pause begann Amalie auf's Neue: »Meine gute Mutter starb, ich wäre verlassen und hilflos gewesen, wenn Du Dich meiner nicht angenommen. Du führtest mich zum Altar. Ich mußte das Schicksal segnen, das mir in Dir diese Stütze gab – aber doch war ich nicht ruhig, nicht glücklich, ich konnte Jaromir nicht vergessen! – Ach, Johannes, kannst Du mir das Alles vergeben? Kannst Du mir es vergeben, damit ich ruhig sterben kann?«

»Vergeben ist eine heilige Pflicht,« sagte Johannes aufstehend und feierlich, aber mit gepreßter Stimme. »Ich vergebe Dir Alles!«

»Du vergiebst mir – nur aus kalter strenger Pflicht, nicht aus zärtlichem Herzen, Du vergiebst mir, weil es Deine strenge Tugend Dir so befiehlt –« flüsterte sie vorwurfsvoll, »doch ja, ich verdiene das – Du vergiebst doch – ich danke Dir! Aber vollende, kröne Dein Werk, wenn ich, mit Dir versöhnt, sterben darf, so versöhne mich auch mit Jaromir, ich habe an ihm unrecht gehandelt, wie an Dir, ich habe ihn unglücklich gemacht, wie Dich – –!«

Johannes sah sie fragend an und schwieg.

Nach einer Pause begann Amalie wieder hastig: »Du willst mich nicht verstehen – Jaromir ist hier, ich habe ihn wiedergesehen!«

»Auch noch das!« sagte Johannes tonlos.

»Einige Tage vorher, eh' ich krank ward, sah ich ihn unter meinen Fenstern vorübergehen – die fünf Jahre unsrer Trennung hatten ihn sehr verändert, er sah blaß und abgezehrt aus, und ein tiefer Gram wohnte in seinen früher so fröhlich glänzenden Augen, Mehrmals des Tages ging er vorüber, immer sah er herauf – aber ich bezwang mich, und verbarg mich immer hinter den Blumen am Fenster – nur ein Mal in der Abenddämmerung warf ich ihm eine geknickte Rose zu, an die ich einen Zettel mit den Worten gebunden hatte: ›Wir dürfen uns einander nicht nähern, aber mein Herz bewahrte für Jaromir immer dasselbe Gefühl.‹ Er drückte die Rose an seine Brust, bedeckte sie mit Küssen, und obwohl es schon dunkelte, sah ich doch an allen seinen Bewegungen die eines Glücklichen. Am andern Tag ward ich so krank, daß ich das Bett nicht wieder verlassen konnte. – Weiter habe ich ihn nicht gesehen und Nichts von ihm gehört, denn ich wagte nicht, Jemanden nach ihm zu fragen. Nun geht es mit mir zu Ende – ich kann nicht sterben, bis ich ihn nicht noch ein Mal gesehen, bis er mir nicht vergeben. Der Sterbenden darfst Du es nicht verweigern, den letzten Abschied von dem zu nehmen, der dem Herzen, das bald nicht mehr schlägt, Alles war.«

»Thue, was Dir Dein Herz gebietet,« sagte er, »Du bist mir für keinen Deiner Wünsche, Deiner Gefühle mehr verantwortlich, seitdem ich weiß, daß ich Deine Liebe nie besessen. – Du betrachtest Dich als eine aus dem Leben Scheidende – aber Du kannst Dich irren; Du betrachtest den Mann Deiner Liebe als einen durch fünf lange Jahre sich gleich Gebliebenen – und Du kannst Dich auch irren. Bedenke, daß es Dich dann reuen könnte, durch ein Wiedersehen, wie Du es ersehnst, dem Herkömmlichen, dem man Achtung schuldig ist, zuwider gehandelt zu haben.«

»Bemühe Dich nicht, mich von meinem Wunsch abzubringen –« fiel sie ihm bitter in's Wort, »seiner bin ich gewiß! Ich habe mich bezwungen, so lang' ich lebte, dem Tod gegenüber hört dies elende Spiel auf, wie bald das elende Leben. Ich bin eine hilflose Kranke, es steht in Deiner Macht, mir meinen letzten Wunsch nicht zu erfüllen, und mich unversöhnt und qualvoll sterben zu lassen – thu' es – und mein verzweifelnder, brechender Blick wird ewig vor Deiner Seele stehen – Du wirst –!«

»Spare Deine Worte,« sagte er mild zu der Heftigen, »gönne nun endlich Deinem Körper Ruhe, das viele Sprechen macht Dich matt. Ich will dem Grafen schreiben, daß er zu seiner sterbenden Amalie kommen soll – und er wird kommen.«

Aber länger konnte sich Johannes nicht beherrschen, er eilte zur Thüre hinaus in den finstern Vorsaal, riß draußen das Fenster auf und starrte in die Nacht hinaus.

Es wäre vergebens, schildern zu wollen, was ihn jetzt so heftig bewegte. Er liebte seine Gattin – und all' die Stunden, in denen er früher an ihrer Seite glücklich gewesen, sanken vor ihm in Nacht – er war auch um seine Erinnerungen betrogen – ein Betrug waren diese vier Jahre – sie hatte ihn nie geliebt.

III. Jaromir

Inhaltsverzeichnis

»Zu lieben mit dem reinsten, wärmsten Triebe,Bis Dir das Herz im Rausch der Weihe bricht –Und grüßt Dich dennoch keine Gegenliebe,Das ist der Leiden bitterstes noch nicht.«

Karl Beck.

In einer geschmackvoll meublirten Stube lag im modischen Schlafrock ein junger Mann auf dem weichen Sopha bequem und schief ausgestreckt. In der einen feinen, weißen Hand hielt er eine glimmende Cigarre, mit der andern, an der ein kostbarer Siegelring blitzte, hielt er die Blätter eines Romanes, der vor ihm aufgeschlagen auf dem Tisch lag und in dem er eifrig las. Der junge Mann hatte eines jener Gesichter, deren ganzer Ausdruck in den Augen ruht; wenn sie mit diesen vor sich nieder sehen, so ist das ganze Gesicht höchst unbedeutend, sind dieselben aber gerad aus oder aufwärts auf irgend einen Gegenstand gerichtet, so genügen sie allein, den, dem sie gehören, schön und interessant zu machen. Die Augen des Lesenden waren von einem dunklen Braun, aber so glänzend und hell bei dieser tiefen Dunkelheit, daß man oft nicht wußte, ob man sie licht oder dunkel nennen sollte. Lange Wimpern beschatteten sie, und gaben ihnen einen schwärmerischen Ausdruck. Die braunen Haare fielen zu beiden Seiten des blassen Gesichtes in leichten Wellenlinien, ringsum in gleicher Länge die Halsbinde berührend, herunter, ein kleiner Bart umgab den Mund, um welchen ein verächtliches Lächeln spielte.

Eine malerische Unordnung herrschte in der Stube. Bücher lagen auf den Stühlen, ja hie und da auch darunter. Leere Cigarrenkistchen standen auf einem Bücherbreie, und mancher gelbe Glacehandschuh steckte seine fünf Finger aus einem Winkel des Schreibtisches, wie bedenklich drohend, hervor. Ein feiner schwarzer Filzhut saß verwegen genug auf einer weißen Büste Göthes, und eine gefüllte Geldbörse lag zu den Füßen einer niedlichen Statuette der Taglioni. Auf einem Seitentisch lagen Briefe, Visitenkarten, Journale u.s.w. wirr genug durcheinander. An den Fenstern hingen mehrere zierliche Diophonieen von Porzellan, an den buntgemalten Wänden hingen einige werthvolle Stahlstiche in goldenen Nahmen und manche niedliche Stickerei, die als irgend ein brauchbares Meubel diente. Luxus und Nachlässigkeit, die doch immer noch geschmackvoll und, wenn man will, ästhetisch blieb, reichten einander in diesem Zimmer die Hand. Sein Bewohner war Graf Jaromir von Szariny. –

Die Thüre ward geöffnet, und ein junger Mann trat herein. Er war ziemlich lang und blond, hatte sehr lichte Augen, und sah überhaupt sehr farblos und sehr langweilig aus. Es war Baron von Füßli.

Die Herren begrüßten einander heiter und freundschaftlich, und Szariny entschuldigte sich leichthin, daß er noch nicht zum Ausgehen fertig sei, indem er die Zeit unbeachtet habe verstreichen lassen. Er schritt darauf zur Vollendung seiner Toilette, während sich Füßli in den Lehnsessel am Fenster warf und gähnend sagte:

»Aber, mein Bester, wissen denn auch Sie gar nichts Neues?«

»O, ich sage Ihnen, diese Residenz ist eines der langweiligsten Nester, die ich kenne, selbst auf dem Gute meines Oheims war es nicht langweiliger, und Berlin würde ich im Leben nicht verlassen haben, wenn nicht Bella auf den wahnsinnigen Einfall gekommen wäre, sich hier engagiren zu lassen – und ganz aufrichtig gestanden, auch sie fängt jetzt an mich zu langweilen. – Wäre sie nur noch einige Monate in Berlin geblieben, so war meine Leidenschaft ruhig abgekühlt, und ich hätte sie ruhig reisen lassen, statt daß ich den dummen Streich machte, ihr zu folgen. Sechs Wochen bin ich nun schon hier! Und warum? Um mich so zu langweilen, daß mir diese sechs Wochen wie eben so viel Monate, – ach, was sage ich, eben so viel Jahre erscheinen.«

»Nun,« versetzte Jener, »ich fange seit Kurzem an, mir einiges Amüsement zu versprechen. Neulich im Theater hab' ich ein bildhübsches, muntres Mädchen gesehen, von dem ich jetzt weiß, daß es eine Pensionärin des Nollin'schen Instituts ist. Sie war jugendfrisch, wie eine Obstbaumblüthe, hatte blitzende Augen, die sich munter und keck nach allen Seiten drehten, lebendige Beweglichkeit – kurz, ich glaube ein muntres Fischlein, das leicht zu fangen – und wenn es dann an meiner Angel hängt – wer weiß, im Nollin'schen Institut sind nur reiche Mädchen – –«

»Wahrhaftig, Sie amüsiren mich – ein hübsches Kind gefällt Ihnen auf dem ersten Anblick, und Sie knüpfen sofort weitläufige Combinationen daran, welche bis zum Traualtar gehen. – Alle Liebesverhältnisse arten in Langeweile aus – aber bis zur Langeweile des ehelichen Lebens nein, dahin soll es mit mir nicht kommen, daran können auch Sie nicht ernsthaft denken!«

Der Baron sagte achselzuckend: »Je nun, eine reiche Partie ist oft das einzige Mittel, einige finanzielle Lücken auszufüllen – man spielt eine neue Rolle in der Welt, wenn man das eigne Haus zum Mittelpunkt glänzender Feste machen kann. – Und was wollen Sie? Eine fashionable Ehe lös't doch nur ein Liebesverhältniß auf – das, welches wir mit unsrer Gattin hatten, bevor sie solche war – jedes andere wird dann nur um so pikanter.«

Jaromir lachte und sagte dann kopfschüttelnd: »Dann wählen Sie nur kein harmloses, unschuldiges Mädchen, sondern eine Kokette, die mit Ihren Grundsätzen übereinstimmt – sonst sollte mir das arme Wesen leid thun. Zu einer solchen Scheinehe bin ich zu stolz, zu stolz, einem Wesen meinen Namen zu geben, dem ich nicht für immer mein Herz zu geben gedenke – und da mich dieser Jugendwahn nicht mehr befallen kann – so bleibt es denn bei meinem Entschlusse.«

»Aber es ist göttlich!« rief der Baron mit lautem Lachen. »Wie wir hier über Sein und Nichtsein der Heirath philosophiren, während wir uns doch anders amüsiren könnten – wir machen eine Runde um die Stadt, und dann begleite ich sie zu Bella, sie war gestern göttlich als Lukrezia.«

»Gut, so wollen wir zu ihr gehen – nach einer großen Opernpartie ist sie immer angegriffen, schmachtend, sanft und macht weniger ihre eigenwilligen Launen geltend, als an Tagen, wo sie sich heiser melden läßt, und in ihrem Muthwillen ausgelassen lustig darüber ist, ihren Mitsängern und der Direction einen ärgerlichen Streich gespielt zu haben.«

Als sie zur Vorhausthüre heraustraten, kam der Briefträger die Treppe herauf. »Von der Stadtpost,« sagte er, und gab Jaromir einen Brief.

»Eine unbekannte Hand und ein T im Siegel –« bemerkte der Empfänger. –

»Eine unbekannte Hand – das ist in den meisten Fällen interessant, wenn es nicht von einem unsrer Handwerksleute und Lieferanten kommt – doch die Mahnbriefe sind immer unfrankirt. Es scheint eine niedliche Damenhand zu sein – so öffnen Sie doch nur, ich bin ungeheuer neugierig.«

»Nein, das ist eine Theologenhand,« sagte Jaromir, der in Folge eines unerklärlichen Gefühls sich beinahe scheute, den Brief zu öffnen und ihn sinnend in der Hand hielt. Endlich war das Siegel gelös't. Er las:

»Klingt Ihnen der Name Amalie noch bekannt? Amalie, die Sie einst liebten, ist eine Sterbende, und hat auf dieser Welt nur noch den einen Wunsch, sich sterbend mit Ihnen zu versöhnen, Ihre Vergebung zu erlangen. Wenn Ihnen je der letzte Wunsch einer Sterbenden heilig war, so kommen Sie heut' Nachmittag zwischen 4 und 6 Uhr in die Klosterstraße Nr. 18, zwei Treppen, links, wo Sie an der Thüre den Namen finden: Doctor Thalheim.«

Eine ganze Vergangenheit wachte plötzlich vor Jaromir auf – er starrte regungslos auf das Papier, und stand wie angewurzelt fest – – »Amalie, Thalheim – ganz recht, das war der Name ihres Gatten – –«

»Nun,« fragte der Baron, »wollen Sie ewig hier stehen bleiben? Worüber sind Sie so außer sich gerathen? Kommen Sie – Bella wird Sie wieder beruhigen.«

»Bella? Gehen Sie allein zu ihr, ich kann nicht mitgehen. – Aber was ist denn das?« fuhr er fort, auf das Papier starrend. – »Klosterstraße Nr. 18 – da wohnt ja Bella auch! –«

»Aber was haben Sie denn? So kommen Sie doch nur! – Was ist denn das für ein verhängnißvolles Billet, das Sie so gedankenlos, so verdreht macht – so lassen Sie doch sehen! – Oder ist es ein zu zartes Geheimniß, das einen Vertrauten nicht duldet?«

»Ja,« rief Jaromir, indem er den Brief einsteckte, »es ist ein Geheimniß, das einer frühern Zeit und einem frühern Menschen angehört, als der Szariny ist, der Ihr Freund ward!« und ruhiger fügte er in seinem gewöhnlichen Ton hinzu: »Rechnen Sie es mir nicht als Unart an, wenn ich Sie heute nicht zu Bella begleiten kann. –«

»Was, und Sie versprachen mir noch gestern, mich sobald als möglich bei ihr einzuführen?«

»Sie werden ihr auch ohne Einführung von meiner Seite willkommen sein – oder kommen Sie noch eine Augenblick in mein Zimmer, ich gebe Ihnen ein Billet von mir an sie mit, das ist der sicherste Weg zu ihr.«

Jaromir kehrte eilig wieder in sein Zimmer zurück, und schrieb, während der Baron langsam und kopfschüttelnd nachkam, hastig an seinem Schreibtisch:

»Leider ist es mir heute unmöglich, selbst nachzufragen, wie meiner schönen Freundin die gestrige Anstrengung bekommen ist. Ich lasse mich durch meinen vertrauten Freund, Baron von Füßli, bei Ihnen vertreten, der schon längst nach dem Glück Ihrer Bekanntschaft strebte. – Sie werden in ihm einen geistreicheren und liebenswürdigeren Gesellschafter finden, als in ihrem ergebenen

Szariny.«

Er las diese Zeilen hastig vor, siegelte sie dann rasch ein, und trieb damit den Baron zum Fortgehen, indem er ihm nochmals zurief: »Sie werden Bella sehr schön finden, und ich bin es gern zufrieden, wenn sie alle Rechte, die mir ihre Freundschaft gewährt, auch auf Sie überträgt.«

Der Baron fand Jaromir heute so sehr in seiner von ihm so genannten Sonderlingslaune, daß er es wirklich für das Beste hielt, nicht neugierig in ihn zu dringen, und so ging er.

Als er fort war, warf sich Jaromir in das Sopha, nachdem er die Thüre verriegelt hatte, und sagte: »Endlich bin ich ihn los!«

Er lehnte sein Haupt mit der Stirn auf das Sophakissen, drückte noch beide Hände vor, als wolle er gar Nichts sehen von der Außenwelt, und versank in ein tiefes Sinnen.

Polen war gefallen, und Jaromir war in den ersten Jünglingsjahren mit seiner deutschen Mutter nach Deutschland geflüchtet. Der Vater war im Kampf geblieben – ein Bruder der Mutter nahm die armen Flüchtlinge auf seinem Gute auf. Die Gräfin Szariny, die in der letzten Zeit so viel erlebt hatte, alle Schrecknisse des Kriegs, alle Gefahren und blutigen Scenen der Revolution, den blutigen Tod des Gatten, den Verlust ihrer großen Standesherrschaft und all' ihres Reichthums, so daß sie zuletzt in rascher Flucht Nichts retten konnte, als das Leben des einzigen, theuern Sohnes und ihr eigenes – erlag bald so vielfachen Lebensstürmen und starb. Ihr Bruder, Graf Galzenau, versprach der Sterbenden, sich ihres Sohnes anzunehmen. Der Graf war verheirathet, und hatte selbst eine zahlreiche Familie, und ein im Verhältniß zu dieser und seinem Stand nicht eben beträchtliches Vermögen. Er selbst that für den Schwestersohn, was er thun konnte, aber die Seinigen sahen immer ein Wenig scheel auf den. Polenflüchtling, und behandelten ihn nie mit verwandtschaftlicher Herzlichkeit, sondern oft mit kaltem Stolz, mit verächtlicher Zurücksetzung. So lernte Jaromir früh das Leben von der ernstesten Seite kennen; er bezog ein Gymnasium, und dann die Universität. In den Ferien kam er nur auf den ausdrücklichen Wunsch seines Oheims in dessen Haus, wo er sich gedrückt fühlte. Jaromir war fest entschlossen, sobald als möglich die Wohlthaten seines Oheims nicht mehr anzunehmen, deshalb studirte er. – Aber was konnte es ihm nützen? Konnte ein vertriebener Pole auf eine Anstellung in Deutschen Staaten rechnen? – Er griff zu dem einzigen Mittel, welches ihm übrig blieb, um wenigstens im Augenblick eine kleine Quelle des Erwerbes sich zu öffnen – er ward Schriftsteller! Er hatte Genie – und er schrieb mit Begeisterung – er wählte den neuen Beruf nicht allein aus Noth, und weil keine Wahl ihm blieb, er war ihm zugethan mit Lust und Liebe. Aber trauriges Schicksal des Armen, der in Deutschland der Muse leben will, und zugleich auch gezwungen ist, von ihr zu leben! Jaromir entging ihm nicht – – – oft, wenn er sich gedrungen fühlte, die Feder zur Hand zu nehmen, und ein Lied niederschreiben wollte, wie er es tief im Herzen fühlte – oft warf er das kleine Blatt Papier wieder weg, auf das er die erste Zeile geschrieben, und griff nach einem großen Bogen, denn noch heute mußte der Journalartikel fertig sein, den er zu liefern versprochen hatte, und den man ihm gut bezahlte; das Lied aber bezahlte ihm Niemand, kaum daß es im Winkel irgend einer Zeitschrift überhaupt auf einen Platz rechnen konnte, und so wurde es in der Geburt erstickt, der bestellte Artikel hingeschrieben ohne Lust und Behagen, und dann mit einem: »Gott sei Dank, daß ich fertig bin!« die Feder ärgerlich weggeworfen. Oder wenn er irgend eine Skizze, die ihm just durch den Sinn fuhr, für die er aber nicht gleich einen Verleger wußte, niederschreiben wollte, so sandte man ihm Polnische und Englische Blätter, und verhieß für die schnelle Uebersetzung ein gutes Honorar – und er übersetzte – – – dann warf er die Feder mit Ekel weg, und konnte sich oft lange nicht überwinden, sie wieder anzurühren, aus Verachtung vor ihr und sich selbst, daß er sie so oft halb gezwungen führen mußte. – Er hatte es seinem Oheim gesagt, daß er allein für sich selbst sorgen könne, und nur mit Mühe hatte dieser ihn vermogt, wenigstens so lange, als die Zeit seiner Studien bestimmt sei