Schluss mit der Ökomoral! - Michael Kopatz - kostenlos E-Book

Schluss mit der Ökomoral! E-Book

Michael Kopatz

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Beschreibung

»Michael Kopatz hat mich begeistert mit der Idee: Menschen ändern sich nicht durch Einsicht, sondern durch neue äußere Umstände, wenn die richtige Entscheidung die leichtere wird. Mehr gute Politik – weniger schlechtes Gewissen!« Eckart Von Hirschhausen »Politisches Engagement ist wichtiger als privater Konsumverzicht«, meint Michael Kopatz. Moralische Appelle machen nur schlechte Stimmung, ändern aber nicht unsere Routine. Wie erfolgreich Protest sein kann, zeigt aktuell die Fridays for Future-Bewegung, die für neue, der Situation angemessene Strukturen kämpft, statt für persönliche Verhaltensänderungen. Kopatz fordert die Politik auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und intelligente Standards und Limits zu setzen – damit ›Öko‹ zur Routine wird und die erhobenen Zeigefinger verschwinden.

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Michael Kopatz
Schluss mit derÖkomoral!
Wie wir die Welt retten,ohne ständig daran zu denken
Mit freundlicher Unterstützung der »Stiftung Forum für Verantwortung« und Klaus Wiegandt
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
2. Auflage© 2019 oekom, Münchenoekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbHWaltherstraße 29, 80337 München
Umschlaggestaltung: www.buero-jorge-schmidt.deLayout: Tobias Wantzen, BremenLektorat: Verena Kern
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-96238-601-6
istock: Abb. 1, Abb. 5, Abb. 8, Abb. 51, Abb. 79; wir-haben-es-satt.de: Abb. 2; M. Kopatz: Abb. 3, Abb. 10, Abb. 12, Abb. 13, Abb. 15, Abb. 17, Abb. 22, Abb. 30, Abb. 32, Abb. 35, Abb. 37, Abb. 41, Abb. 43, Abb. 48, Abb. 49, Abb. 52, Abb. 70, Abb. 71, Abb. 73, Abb. 82; Neue OZ: Abb. 4; Greenpeace: Abb. 6, Abb. 42, Abb. 80; Wikipedia: Abb. 7, Abb. 16, Abb. 28, Abb. 34, Abb. 74, Abb. 76, Abb. 77; alamy: Abb. 9, Abb. 27, Abb. 31, Abb. 40, Abb. 53, Abb. 59, Abb. 61, Abb. 62, Abb. 63, Abb. 65, Abb. 81, Abb. 83; withberlinlove.com: Abb. 14; shutterstock: Abb. 18; Daniel @SecretCoAuthor: Abb. 19; Daniel Doerk: Abb. 20, Abb. 21; ich-ersetze-ein-uto.de: Abb. 29; fotolia: Abb. 36; mimikama.at: Abb. 38; unverpackt Kiel: Abb. 39; pinterest: Abb. 50; fischvomkutter.de: Abb. 54; AbL: Abb. 60; Thomas Klein: Abb. 63; Greenprophet: Abb. 64; Campect: Abb. 72; Die Grünen Tirol: Abb. 78
Tobias Wantzen (eigene Darstellung; Hintergrundgrafiken von freepik.com): Abb. 11, Abb. 23, Abb. 24, Abb. 25, Abb. 26, Abb. 44, Abb. 45, Abb. 46, Abb. 47, Abb. 55, Abb. 56, Abb. 57, Abb. 58, Abb. 66, Abb. 67, Abb. 68, Abb. 69; Datenquellen: LK Argus; Greenpeace; Fahrradmonitor; UBA; ADAC, Uni Duisburg-Essen; Eurostat; wikipedia; infratest dimap; yougov; Greenpeace; Ewaste monitor; consultic, gvm; AMI, BLE; land.schafft.werte; Stat. BA; IFH Köln; Ökoinstitut, Global 2000; UBA; lifestrom; Stromspiegel; UBA; wikipedia; interhyp
Für meine Eltern

Inhaltsverzeichnis

Zehn Gebote zur Ökoerlösung
Vorwort: Ökomoral kann nerven
Einführung: Luisa scheitert
Warum dauert alles so lange?
Unterwegs
Konsum
Essen
Wohnen, Wärme, Strom
Arsch hoch, liebe Demokraten!
Anmerkungen
Ich habe eine seltsame Erfahrung gemacht: Es gibt unpolitische Ökos. Damit meine ich Menschen, denen Umweltschutz wichtig ist, die stundenlang über Plastikstrohhalme und Bienensterben diskutieren können und regelmäßig im Bioladen einkaufen. Menschen, die vorgeben, das Richtige zu tun. Die aber vollkommen unpolitisch sind und sich allenfalls bei den Wahlen an der Demokratie beteiligen.
Solche Ökos werden die Welt nicht retten. Um die Klimaerhitzung zu bekämpfen, sind Menschen gefragt, die den Arsch hochkriegen, die sich einmischen. Ökos, die über mehr nachdenken als die Verwendung ihres Einkommens.
Das politische Konzept der Ökoroutine, das uns von der Verantwortung erlöst, bei jeder Entscheidung das ökologisch Richtige tun zu müssen, wird sich nicht durch moralische Appelle ins Werk setzen lassen. »Öko« wird erst dann zum Normalfall, zur »Routine«, wenn sich die Strukturen ändern und sich nachhaltiges Verhalten besser anfühlt, cleverer (vgl. dazu mein 2016 veröffentlichtes Buch Ökoroutine. Damit wir tun, was wir für richtig halten, in dem das gleichnamige Konzept ausführlich vorgestellt wird). Daher kommt es auf Menschen an, die nicht nur an sich denken. Die Werbeindustrie hat aus Bürgern Konsumenten gemacht. Wir dürfen unser Einkaufsverhalten nicht mit Politikgestaltung verwechseln.
Zehn Gebote zur Ökoerlösung
1
Die Natur ist deine Lebensgrundlage. Leiste Widerstand gegen ihre Zerstörung durch noch mehr Straßen, Gewerbeflächen, Gifte. Arsch hoch! Du bist das Volk.
2
Kämpfe nicht für deinen Garten, kämpfe für alle Gärten! Du bist für den Klimaschutz und handelst nicht danach? Das geht allen so. Deswegen musst du die Verhältnisse ändern!
3
Du sollst Politiker ehren. Sie wollen das Richtige tun, aber sind sich oft nicht einig, was das Richtige ist. Viele haben Angst vor den mächtigen Konzernen. Unterstütze den Verein LobbyControl.
4
Du sollst respektvoll mit Tieren umgehen, auch wenn sie auf dem Teller liegen. Setz dich dafür ein, ihr Leid zu lindern. Protestiere an geeigneter Stelle gegen den Bau einer weiteren Agrarfabrik.
5
Du rettest die Welt nicht durch den Kauf von Bioprodukten oder persönlichen Verzicht. Du musst das System verändern. Geh im Januar eines jeden Jahres zur Demo in Berlin »Wir haben es satt!«, und mach Druck von der Straße.
6
Du sollst die Stadt nicht mit deinem Auto verstopfen. Nimm den Bus, die Bahn oder ein Rad. Nimm jeden Monat an der Fahrraddemo »Critical Mass« teil.
7
Du sollst nicht den Klimawandel leugnen. Unterstütze Klimaschutzorganisationen wie Greenpeace oder den BUND durch Spenden, Mitgliedschaft und Engagement.
8
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus, Auto, Handy noch sonst alles, was dein Nächster hat. Sei deinem Nachbarn ein Vorbild für Bescheidenheit. Zeig, dass man auch mit einem leichten Auto oder ohne Auto glücklich leben kann. Und sorg dafür, dass die Stadt in deiner Straße einen Parkplatz für Carsharing einrichtet.
9
Du sollst nicht zu viel Wohnraum begehren. Wenn dein Haus oder deine Wohnung zu groß geworden ist, optimiere deinen Wohnflächenbedarf. Zieh mit Freunden oder anderen netten Menschen zusammen. Oder hol dir freundliche Untermieter ins Haus.
10
Du sollst nicht shoppen am Tage des Herrn. Schick immer wieder einen Brief an den Einzelhandelsverband in deinem Ort, und mach deutlich: Am siebten Tage soll’n wir ruh’n!1
Vorwort
Ökomoral kann nerven
Thomas trifft sich mit seinen alten Kommilitonen Jörn und Ulrich zweimal im Jahr zum Wandern. Mit kleinen Unterbrechungen machen sie das schon seit 20 Jahren. Klar, alle haben sich verändert, nicht nur äußerlich. Doch Jörn ist inzwischen etwas anstrengend. Jörn ist ein richtiger »Öko« geworden.
Früher hat ihn die Klimakrise nicht sonderlich bewegt. Doch inzwischen kann er von nichts anderem mehr reden. Fliegen ist jetzt nicht mehr erlaubt. Und wenn Thomas und Ulrich Fleisch bestellen, gibt es gleich eine Predigt über das Leid der Tiere, mit Nitrat verseuchte Böden und abgeholzte Regenwälder in Brasilien.
All das wäre ja gar nicht so schlimm, aber Jörn ist dabei so verbissen. So ernst. Und das nervt. Man hat das Gefühl, ihm fällt es schwer, einfach unbeschwert zu genießen. Und nicht selten macht er mit seinen ökomoralischen Sprüchen die Stimmung kaputt.
Geändert haben Thomas und Ulrich ihre Gewohnheiten und Routinen nicht. Geändert hat sich eigentlich nur, dass sie nicht mehr so viel Lust haben, mit Jörn wandern zu gehen.
Wie könnte Jörn sich von seinem Miesepeter-Image befreien? Zunächst einmal wäre es gut, wenn Jörn klar würde, dass die Freunde sich durch sein Genörgel nicht ändern werden. Es genügt völlig, wenn er selbst mit gutem Beispiel vorangeht. Das wird am ehesten bewirken, dass Thomas und Ulrich ihre Routinen etwas ändern.
Gut wäre auch, wenn Jörn manchmal fünfe einfach g’rade sein ließe. Man muss nicht immer alles richtig machen, nicht bei jedem in Plastik verpackten Käse die Müllkippe in den Weltmeeren beklagen. Das Lamentieren ändert sowieso nichts.
Stattdessen sollte Jörn seine Energie in Engagement fließen lassen. Etwa für bessere Radwege und weniger Parkplätze in seiner Stadt, für bessere Bahnverbindungen oder in die Eröffnung oder Unterstützung eines »Unverpacktladens«. Für alle Facetten des Umweltschutzes gibt es Vereine oder Verbände. Dort finden sich Mitstreiter. Zusammen können die Menschen etwas bewegen.
Gut sind konkrete Projekte, die Spuren hinterlassen. Dadurch bekommt Jörn ein Gefühl von Selbstwirksamkeit. Das fühlt sich gut an und bewegt mehr als verdrießliche Klagen.
Einführung
Luisa scheitert
Kürzlich traf ich eine gute Freundin im Café des Bioladens bei mir um die Ecke. Wir plauderten angeregt, auch über die kommunale Verkehrs- und Klimapolitik. Genau wie ich interessiert Luisa sich sehr dafür. Sie fährt viel Fahrrad, auch bei schlechtem Wetter. Sie wählt die Grünen. Nach einer Stunde stand Luisa auf und sagte: »So, ich gehe jetzt noch rasch rüber zu Lidl, ich will da noch Nüsse kaufen.« Ich erwiderte: »Die gibt es doch auch hier im Bioladen.«
Luisa: »Ja, aber die sind so teuer.«
Ihre Antwort hat mich irritiert. Luisa arbeitet in einer Werbeagentur und hat ein überdurchschnittliches Gehalt, ihr Mann ist Manager und Spitzenverdiener. Die beiden müssen nicht auf jeden Euro schauen. »Du hast doch genug Geld«, sagte ich. »Was kümmern dich ein paar Euro mehr oder weniger? Eigentlich könntest du für die ganze Familie im Bioladen einkaufen, und in eurem Haushaltsbudget würden die Extrakosten kaum auffallen.«
»Das stimmt schon«, sagte Luisa, »aber ich habe das halt so drin. Ich bin wohl so erzogen worden.«
Luisa ist in guter Gesellschaft: Viele Menschen tun nicht das, was sie für richtig halten. Jeder von uns, mich eingeschlossen, verhält sich an der einen oder anderen Stelle widersprüchlich. Mehr als 90 Prozent der Deutschen können sich vorstellen, deutlich mehr Geld für gutes Fleisch auszugeben, doch nur vier Prozent tun es wirklich.
Befragungen zeigen auch, dass die Mehrheit der Menschen viel weniger Autos in den Städten haben möchte. Neun von zehn begrüßen eine ambitionierte Klimaschutzpolitik. Allein, bei sich selbst anfangen, das möchten nur wenige.
Daran haben die Kampagnen und Bildungsinitiativen der vergangenen 30 Jahre für mehr und besseren Umwelt- und Klimaschutz wenig geändert. Okay, wir fliegen mit schlechtem Gewissen, und manche fahren auch mit schlechtem Gewissen Auto.
Doch letztlich ist das Gegenteil von dem passiert, was eigentlich alle für richtig hielten: Wohnungen, Fernseher und Kühlschränke wurden zusehends größer und heizen weiter den Ressourcenverbrauch an. Autos sind heute doppelt so schwer und zahlreich wie in den 1980er-Jahren. Geflogen wird so viel wie nie zuvor.
All das war nicht Ihre oder meine bewusste Entscheidung. Und es gibt wohl nur wenige, die sagen: »Scheiß drauf, das geht mich nix an!« Es werden wohl auch nicht allzu viele Menschen feststellen: »Ups, das habe ich gar nicht gewusst, das mit der Ökokatastrophe!«
Wenn wir uns nichts vormachen, stehen wir vor dieser Situation:
Wir sind offenbar sehr gut darin, mit extremen Widersprüchen zu leben. Wir lieben unseren Haushund und legen gleichzeitig Billigwürstchen aus martialischer Tierhaltung auf den 800-Euro-Grill. Diese Form der gelebten Schizophrenie beherrschen auch viele Politiker. Sie fordern vehement Klimaschutz und lassen trotzdem Jahr für Jahr neue Straßen und Fluglandebahnen bauen. Sie beschließen Lärmschutzpläne, um gleich darauf Tempo-30-Zonen abzulehnen. Manche beklagen die Nitratbelastung des Grundwassers und fördern parallel Massentierhaltung und Fleischexport.
Die Konzerne wiederum verweisen bei jeder Gelegenheit auf die Verantwortung der Konsumenten. Produziert werde doch nur, was der Verbraucher wolle und was auch gekauft wird. Doch so einfach ist das nicht. Die Industrie gibt schließlich pro Jahr mehr als 30 Milliarden Euro für Werbung aus, damit die Menschen Dinge kaufen, die sie eigentlich nicht brauchen. Wir schuften, um zu shoppen. All der materielle Konsum macht uns dabei nicht glücklicher. Glück ist nicht beliebig steigerungsfähig.
Der Verbraucher hat die Macht, heißt es gerne. Oder: Die Verkehrswende muss zuerst in den Köpfen stattfinden! Wäre ich ein Lobbyist für Volkswagen, dann würde ich mir genau solche Sprüche einfallen lassen. Etwas Besseres kann den Autobauern gar nicht passieren, als die Verantwortung an die Verbraucher weiterzureichen. Die Konsumenten sind dann eben schuld an der globalen Erwärmung, sie kaufen die vielen SUVs. Sie kaufen auch das Billigfleisch. Die Landwirte liefern ja nur, was alle wollen. Das ist für die Produzenten sehr bequem. Sie können an ihren umweltschädlichen Geschäftsmodellen festhalten und müssen sich um nichts anderes kümmern als um ihre Profite.

Standards und Limits

Bio für alle! Das ist möglich, wenn wir die Standards in der Landwirtschaft schrittweise anheben. Dafür müsste die Europäische Kommission nur die Verwendung von Pestiziden und Düngemitteln weiter beschränken. Das Regelwerk ist vorhanden. Schon heute gibt es detaillierte Vorgaben für Landwirte, welche Grenzwerte einzuhalten sind.
Ein Fahrplan für die Agrarwende müsste nur noch festlegen, in welchem Ausmaß und Zeitraum der Einsatz von Chemie und Dünger zu reduzieren ist. Das kann eine großzügige Zeitspanne sein, etwa bis zum Jahr 2030. Die Zulassung des Ackergifts Glyphosat wird wohl nicht erneut verlängert werden. Das ist ein Anfang.
Da der Ökolandbau teurer ist als die konventionelle Landwirtschaft, werden die Preise für Lebensmittel langfristig etwas steigen. Das geschieht jedoch nicht von heute auf morgen. Es geschieht allmählich, sodass der Preisanstieg für Kartoffeln, Gurken oder Äpfel leichter zu verkraften ist und kein Politiker Angst haben muss, dass die Entscheidung für den Ökolandbau zu massiven Protesten führen wird. Bei 100 Prozent Biolandwirtschaft sinken zudem die Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebskosten. Der Preisanstieg wäre somit auf ein moderates Maß beschränkt.
Bio für alle würde im Übrigen auch das Ende der Zweiklassengesellschaft am Mittagstisch einläuten. Viel zu klaglos nehmen wir bis heute hin, dass es zu sehr am Geldbeutel hängt, ob jemand sich gesund und umweltfreundlich ernähren kann. Auch mit der verrückten Situation, dass die Deutschen extrem wenig Geld für etwas so Wichtiges wie Lebensmittel ausgeben, würde dann Schluss sein.
Sie denken vielleicht: Schön, wenn es so einfach wäre! Doch das Konzept der Ökoroutine ist in der Praxis bereits erprobt. Weitgehend unbemerkt haben Politiker im Jahr 2003 den Auslauf für Legehühner in der EU verdoppelt, mit Übergangsfristen für die Landwirte. Und siehe da: Die Landwirtschaft hat mit steigenden Standards kein Problem, solange sie für alle Mitbewerber in der Union gelten. 2017 erklärte Philipp Skorning, Chefeinkäufer von Aldi Süd, dass er höhere Standards begrüßen würde – am besten EU-weit.
Auch Elektrogeräte, Häuser und Autos wurden effizienter, nachdem die gesetzlichen Standards schrittweise erhöht wurden. Beispielsweise hatten unsere Geräte in Wohnzimmer, Küche und Bad einen Stromverbrauch von bis zu 30 Watt, selbst wenn sie nur im Standby-Zustand oder sogar ganz ausgeschaltet waren. Die Stand-by-Verordnung der EU hat den Maximalverbrauch auf 0,5 Watt im Aus-Zustand und 1 Watt im Bereitschaftszustand begrenzt. Allerdings gibt es für vernetzte Geräte Ausnahmen. Von den eingesparten Stromkosten profitieren 500 Millionen Konsumenten in der Europäischen Union. Und auch Gebäude müssen heute viel energieeffizienter sein.
Durch die gleiche Methode könnten alle Autos emissionsfrei sein, die ab dem Jahr 2028 zugelassen werden, sodass der gesamte Fahrzeugbestand Schritt für Schritt klimafreundlich wird. Wie die Automobilindustrie dieses Ziel erreicht, darüber muss sich die Politik nicht den Kopf zerbrechen. Darum werden sich die Ingenieure kümmern. Statt mit moralischen Appellen von den Konsumenten das »richtige« Verhalten einzufordern, ist es viel effektiver, die Produktion zu verbessern.
Neben steigenden Standards braucht es Limits und Obergrenzen, beispielsweise für den Flugverkehr. Wenn wir unsere eigenen Worte zum Klimaschutz ernst nehmen, müssen wir die weitere Expansion begrenzen. Die Deutschen fliegen zu viel. Es darf nicht noch mehr werden.
Der schlichte Vorschlag: Wir limitieren die Starts und Landungen auf dem gegenwärtigen Niveau. Ganz einfach.
Was müsste die Bundesregierung dafür tun? Nichts! Wenn die Regierung keine weiteren Lizenzen für Starts und Landungen vergibt, wenn Städte wie München und Hamburg ihre Flughäfen nicht erweitern, dann wird das Limit automatisch erreicht und der weitere Anstieg von Lärm und Treibhausgasemissionen verhindert. Oft geht es darum, etwas besser zu lassen, als es besser zu machen.
Außerdem sollten wir den Ausbau der Straßen beenden. Nur so lässt sich vermeiden, dass der Lkw-Verkehr weiter zunimmt. Das eingesparte Geld könnte der Verkehrsminister in die Bahn investieren. In der Folge würden Spediteure ihre Routinen ändern.
Das Konzept der Ökoroutine beginnt nicht in den Köpfen, sondern bei der Infrastruktur. Es beginnt mit Radschnellwegen, Busspuren und dem Rückbau von Parkplätzen. Es muss einfacher und cleverer werden, mit dem Nahverkehr oder dem Fahrrad in die Stadt zu fahren. Wenn die Planer eine Pkw-Spur in einen Busstreifen verwandeln, steigen Autofahrer – das ist erwiesen – genau dann in den Bus um, wenn sie ihr Ziel damit schneller erreichen.
Für breite und sichere Radschnellwege werden die Planer auch Parkstreifen opfern müssen. Das heißt, der Verkehrsraum ist neu aufzuteilen. Die Transformation von der autogerechten zur menschengerechten Stadt wird nicht durch Absichtserklärungen und moralische Appelle erreicht, sondern durch gute Strukturen.
Utopisch? Nein! Es gibt Vorbilder, wie sich Verhaltensnormen durch ordnungspolitische Maßnahmen in kurzer Zeit radikal ändern können. Dass in Zügen, Restaurants und öffentlichen Gebäuden heute nicht mehr geraucht werden darf, ist innerhalb weniger Jahre eine Selbstverständlichkeit geworden.

Arsch hoch!

Bei meiner Freundin Luisa im Bioladen-Café habe ich keine Grundsatzdiskussion angefangen und es auf sich beruhen lassen. Ich nehme ihr ihr widersprüchliches Verhalten nicht übel. So ist das halt. Immerhin weiß ich, dass Luisa voll und ganz das Konzept der Ökoroutine unterstützt. Wenn die Produkte beim Discounter eines Tages genauso öko sind wie die beim Superbiomarkt, könnte sie damit sehr gut leben. Das fände Luisa total praktisch, ja regelrecht befreiend, um nicht zu sagen: erlösend. Und ich auch. Denn meine Einkäufe sind auch nicht zu 100 Prozent Bio.
Statt sich dem persönlichen Ohnmachtsgefühl hinzugeben, nimmt Luisa jetzt an Demonstrationen teil. Denn die beschriebenen Strukturen und Limits kommen nicht von allein. Dafür müssen sich Menschen engagieren. Zum Beispiel Sie!
Eine schlichte Form von Engagement ist Protest, etwa bei der Demo »Wir haben es satt!«. Gleich zu Jahresbeginn können Sie nach Berlin fahren und mitmarschieren. Parallel zur Grünen Woche, der wichtigsten Messe der weltweiten Agrarindustrie, fordern dort Zehntausende Menschen bessere Standards in der Landwirtschaft. Ohne dieses Engagement von Verbänden und Bürgern wüsste heute niemand, was Glyphosat überhaupt ist.
Oder Sie besetzen ein Braunkohlerevier. Wem das zu riskant ist, der kann an der Critical Mass teilnehmen, einer internationalen Fahrraddemo, an jedem letzten Freitag im Monat. Das stärkt das Gemeinschaftsgefühl, und man erfährt: Ich bin nicht allein. Es gibt noch viele andere, die sich einmischen. Außerdem machen es solche Proteste den Reformern in der Politik schon etwas leichter, strukturelle Veränderungen ins Werk zu setzen. Ihren Enkeln können Sie dann erzählen: Ich habe Widerstand geleistet und Veränderungen durch lauten Protest eingefordert. Das fühlt sich eigentlich ganz gut an.
Ob Sie im Hambacher Forst gegen Abholzung und die Energielobby kämpfen (oben) oder im Rahmen von »Wir haben es satt!« für eine ökologische Landwirtschaft auf die Straße gehen, ist egal – protestieren ist nicht nur sinnvoll, es macht auch Spaß.

Lasst den Verstand nicht schrumpfen!

»Wer über nichts mehr nachdenkt als die Verwendung des Gehalts, dessen Verstand schrumpft auf die Dimension seiner Geldbörse.«
Die Verhältnisse ändern sich nur, wenn wir eine enkeltaugliche Politik einfordern. Wir sind nicht nur Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern vor allem Bürgerinnen und Bürger. Wir sind das Volk, hieß es mal.
Das sollten sich auch unsere Eliten klarmachen. Da gibt es tatsächlich viele, die sich nur noch um die Verwendung ihres Einkommens kümmern und über Politik und Politiker lästern. Das ist ja so bequem. Doch gerade diejenigen, die durch ihre Ausbildung Top-Qualifikationen mitbringen, gerade die sind prädestiniert, sich einzumischen und Druck zu machen.
Ein Anfang ist die Teilnahme an einer Demonstration. Zugegeben, ich habe mir vor einigen Jahren auch noch gedacht, ist doch egal, einer mehr oder weniger bei einer Demo, da kommt es dann auch nicht drauf an. Da war mein Verstand wohl schon ziemlich geschrumpft.
Warum dauert alles so lange?
Kein Jahr war in Deutschland jemals so heiß wie das Jahr 2019. Schon im Frühling ging es los mit Trockenheit und Hitze, und dann folgte, wie bereits 2003 und 2006, erneut ein Jahrhundertsommer, der scheinbar gar nicht mehr enden wollte. Alle redeten vom Klimawandel, der »Spiegel« titelte: »Der Sommer, der nie endet. Wie der Klimawandel unser Leben verändert«. Doch beim Klimaschutz geht es dennoch kaum voran.
Offiziell begrüßen fast alle Bürgerinnen und Bürger den Klimaschutz. Die Politiker in den Städten, Ländern und im Bund haben Strategiepapiere, Konzepte und Masterpläne beschlossen. Ministerien und Behörden arbeiten an der Umsetzung. Warum dauert alles trotzdem so unglaublich lange? Warum erzielen wir kaum Fortschritte beim Klimaschutz?
Und warum fällt uns der achtsame Umgang mit der Natur so unfassbar schwer? Die Plastikmüllberge wachsen und wachsen, und allein in den letzten zehn Jahren kamen fünf Millionen zusätzliche Autos auf die Straße.
Dafür gibt es viele Gründe. Einige sind innerlich, also psycholo-gischer Natur, etwa Routinen und Gewohnheiten. Diese könnten wir zumindest theoretisch recht kurzfristig ändern. Andere sind äußerlich, man könnte auch sagen: systemisch oder strukturell bedingt. Solche Faktoren, gemeint sind etwa Gesetze oder die Macht der Werbung, lassen sich nicht direkt durch persönliches Handeln verändern. Eine ausführliche Beschreibung der innerlichen und äußerlichen Faktoren findet sich in »Ökoroutine«. Die folgenden Kapitel sprechen eher in Form von Anekdoten über das Thema.

Umweltbewusstsein

Alle zwei Jahre lässt das Umweltbundesamt im Auftrag der Bundesregierung eine Befragung über das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung durchführen. Rund 2.000 Bürgerinnen und Bürger ab 14 Jahren wurden gefragt, wie sie zu Natur und Umwelt stehen. Fast 100 Prozent stimmten der Aussage zu, dass für sie eine intakte natürliche Umwelt unbedingt zum Leben dazugehört. Für 67 Prozent ist der Umweltschutz eine grundlegende Bedingung, um Zukunftsaufgaben wie etwa die Globalisierung zu bewältigen. 2010 sagten das nur 34 Prozent.
Die Studie zeigt auch: Autofahren ist nach wie vor Routine. 70 Prozent aller Befragten fahren täglich oder mehrmals die Woche mit dem Wagen. Doch offenbar hegen die Menschen grundsätzlich den Wunsch, ihre Routinen und Gewohnheiten zu ändern. 91 Prozent erklärten, das Leben wäre besser, wenn sie nicht aufs Auto angewiesen wären. Und 61 Prozent der Autofahrer in Großstädten gaben an, zu einem Umstieg auf andere Verkehrsmittel bereit zu sein.
Ist das paradox? Nur scheinbar, denn jeder für sich genommen kann nicht die Strukturen verändern, die das gewünschte Verhalten ermöglichen. Niemand ändert seine Autoroutine, wenn der Nahverkehr teurer und langsamer ist. Die Voraussetzungen für einen Umstieg können nur Stadt- und Verkehrsplaner schaffen. Sie können schrittweise die Busse und Bahnen zur Innenstadt beschleunigen und durch gute Takte komfortabel machen. Wenn man mit dem Bus schneller die Kernstadt erreicht als mit dem Wagen, dann ändern die Bürgerinnen und Bürger ihre Routinen.

Auf der Suche nach Anerkennung

Warum ist es so wichtig, so viele Sachen zu besitzen? Die tolle Armbanduhr, die schicke Markenhose, das stylische Auto, all das kostet ein Heidengeld. Warum schuften wir, um zu shoppen?
Was geht wohl in dem Besitzer dieses Autos vor? Die Antwort ist einfach: Er möchte geliebt werden. Er sucht nach Anerkennung. Wie wir alle. Leider funktioniert das mit Angeberei nicht wirklich gut.
Eine Antwort auf diese Frage kam mir, als ich dieses Foto von einem festlich beleuchteten SUV machte. Das Bild entstand zur Weihnachtszeit, der Lichtkünstler hatte seinen Carport aufwendig mit LED-Leuchtketten ausgestattet. Mich hat der Anblick ziemlich irritiert. »Was will er uns damit sagen?«, habe ich mich gefragt.
Ganz einfach: Dieser Mensch ist auf der Suche nach Anerkennung und Liebe, wie wir alle. Es ist banal. Jeder von uns möchte geliebt werden. Das Bedürfnis nach Liebe und Zuwendung steckt in uns schon von klein auf. Nur Kinder, die bedingungslos geliebt werden, können sich voll entfalten.
Babys sind einfach nur da, sie werden geknuddelt und gestreichelt und geliebt, einfach so. Doch später, mit zunehmendem Alter, meinen viele, dass man sich Anerkennung nur durch materielle Dinge erarbeiten kann.
Im Ergebnis arbeiten wir hart für Dinge, die wir nicht brauchen, um Leute zu beeindrucken, die wir eigentlich gar nicht mögen.

Der Verbraucher hat die Macht?

Bei meinen letzten Vorträgen habe ich manchmal diesen Aufmacher der »Neuen Osnabrücker Zeitung« auf die Leinwand gebracht. »Der Verbraucher hat Macht«, titelt das Blatt zu einem Bericht über einen zweistündigen Workshop über Essgewohnheiten, Kaufverhalten und Tierwohl. So ein Fazit wird oft nach solchen Veranstaltungen gezogen, egal, ob es dabei um Klimaschutz im Allgemeinen oder Bauen und Verkehr im Besonderen geht.
Wie praktisch und wie bequem ist das für die Unternehmen und Konzerne, die auf Kosten zukünftiger Generationen spitzenmäßige Gewinne erwirtschaften. Was können sie schon dagegen machen, wenn die Menschen so viel fliegen wollen und immer mehr SUVs kaufen? Machtlose Konzerne. Mächtige Konsumenten.
Machtlose Konzerne, mächtige Konsumenten. Eine Erzählung, der wir so nicht glauben sollten.
Es wird wohl noch lange dauern, bis die politischen Eliten und die breite Öffentlichkeit verstehen: Das Konzept vom mächtigen Konsumenten funktioniert nur in Krisensituationen. Wenn sie akut um ihre Gesundheit fürchten, beispielsweise weil ein Lebensmittel verseucht ist, kaufen sie etwas anderes. Insgesamt sind Verbraucher jedoch gegenüber den ethischen Notwendigkeiten erstaunlich renitent. Die permanenten Berichte über Tierqualen in den Ställen haben die Menschen eher abstumpfen lassen.
Es ist zum Heulen. Das denke ich mir manchmal. Nicht aufgeben, daran denke ich dann als Nächstes.

Fake News oder Konfusionswissenschaft

In ihrem Buch »Die Machiavellis der Wissenschaft« beschreibt die US-amerikanische Professorin für Wissenschaftsgeschichte Naomi Oreskes, wie ein Zirkel konservativer Forscher systematisch Zweifel an Klimawandel, Umweltgefahren oder Gesundheitsschäden durch Tabak sät. Bezahlt von bestimmten Branchen, geht es ihnen darum, gezielt Dissens vorzutäuschen und so die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft insgesamt in Zweifel zu ziehen. Offene Fragen in der Klimaforschung werden so dargestellt, als sei die gesamte Grundaussage vom menschengemachten Klimawandel hochgradig umstritten oder sogar komplett falsch.
Für den Zeitraum von 1993 bis 2003 hat Naomi Oreskes über 900 Publikationen in Fachzeitschriften zum Schlüsselwort »globale Klimaveränderung« ausgewertet. Nicht eine einzige Veröffentlichung wandte sich gegen die Erkenntnis, dass der Mensch der Hauptverantwortliche ist für die gegenwärtige Erderwärmung. Doch in den Zeitungen und im Fernsehen wurde ein komplett anderes Bild entworfen. In jedem zweiten Beitrag tauchten klimaskeptische Meinungen auf, die die Verantwortung des Menschen anzweifeln.2
In den USA haben die Konzerne mehrere Institute aufgebaut, die – scheinbar unabhängig – Wissenschaft mimen, aber nichts anderes als Lobbyismus betreiben. Mit ihren interessengeleiteten »Studien« und »Gutachten« bedrängen sie Journalisten und pochen auf Veröffentlichung. Mit dem Argument, die Journalisten würden ihre Pflicht zu einer objektiven Berichterstattung verletzen, üben sie Druck aus. Wie Oreskes in ihren Recherchen herausfand, erhielten Klimaskeptiker selbst in renommierten Zeitungen wie der »New York Times« oder der »Washington Post« im untersuchten Zeitraum 40 Prozent der Zeilen. Angemessen wären drei Prozent gewesen.3

Klimatalk und MedienMachtMeinung

11. Oktober 2017: Frau Maischberger möchte über Wetter und Klima diskutieren. Sie fragt: Sind Wetterextreme wie das Sturmtief Xavier, das damals gerade schwere Schäden angerichtet hatte, eine Folge des Klimawandels? Muss der Staat bei unserem Konsum radikaler eingreifen, beispielsweise SUVs und Flugreisen mit drastischen Steuererhöhungen belegen? Eingeladen sind der Wettermoderator Jörg Kachelmann, der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber und die Politikerinnen Dorothee Bär (CSU) und Bärbel Höhn (Grüne).
Eingeladen ist aber auch Alex Reichmuth, ein Schweizer Journalist und Klimaskeptiker. Mit seinen Thesen dominiert Reichmuth die Sendung über weite Strecken. Er stellt den Klimawandel genauso in Frage wie die Forschungsergebnisse der Klimawissenschaft. Den von den Vereinten Nationen eingesetzten Weltklimarat vergleicht er mit den Zeugen Jehovas und warnt vor dem Pariser Klimaabkommen. Würde die internationale Übereinkunft zur Eindämmung der Erderhitzung umgesetzt, behauptet er, hätte das katastrophale Folgen für die Menschheit. Hunger und der Zusammenbruch der Energieversorgung wären die Konsequenz.
Ist es wirklich angemessen, dass der öffentlich-rechtliche Sender ARD solche Leute einlädt? Hat ernsthaft jemand erwartet, dass ein Klimaleugner die Debatte mit substanziellen Argumenten bereichert? Wohl eher wollte man etwas mehr »Würze« in die Debatte bringen. Dabei sind die Konflikte über die Frage, mit welchen politischen Maßnahmen der Klimakrise am besten zu begegnen ist, schon groß genug.
Bärbel Höhn, eine ausgewiesene Umweltexpertin, weist darauf hin, dass die Kritiker sich ja gerne in den wissenschaftlichen Diskussionsprozess einbringen könnten. Aber genau das verweigern sie, da sie sich dann an Regeln und Standards halten müssten und nicht einfach nur krude Meinungen verbreiten könnten.
Verschwörungstheoretiker in populäre Talkshows einzuladen und ihnen dort eine Bühne für ihre wirren Thesen zu geben ist keine objektive Berichterstattung. Es ist Zeitverschwendung. Kostbare Zeit, die man für die Diskussion über Lösungskonzepte bräuchte.

Lobbyismus: Mit der IGBCE zur Selbstverbrennung

Es wird heiß auf dem Planeten. Um deutlich zu machen, wie dramatisch die Erhitzung unseres Klimasystems ist, spricht der international renommierte Klimaforscher Schellnhuber von »Selbstverbrennung«. Kann ja sein, meint die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE), aber deswegen müsse man doch nicht die Kohle verteufeln. Die IGBCE betätigt sich in professioneller Verharmlosung. In ihren Augen wie in den Augen vieler Kohlelobbyisten sind die Klimaschützer nur eine Spinnerbande.
Die IGBCE saß natürlich auch in der Kohlekommission, um den dort avisierten Kohleausstiegsfahrplan nach Kräften auszubremsen. Dazu erreichte mich die Mail eines Kollegen. Er berichtet, wie raffiniert der Verband argumentiert. Dessen Positionspapier sei ein »rhetorisches Schmuckstück«. Es weckt den Anschein, man sei für die Energiewende, meint aber das Gegenteil.
Unter anderem heißt es da:
»Schon heute zeigt sich, dass viele industriell gefertigte Produkte eine positive CO2-Bilanz besitzen. Die durch ihren Einsatz vermiedenen CO2-Mengen sind größer als die bei ihrer Herstellung verursachten. Diese Betrachtung ist zielführender als die isolierte Betrachtung des Ressourcenverbrauchs industrieller Produktionsprozesse.«
Das ist ja spitze: Shoppen für den Klimaschutz! Ich kaufe eine Waschmaschine und ziehe damit Kohlenstoff aus der Luft. Nein, das geht natürlich nicht. Aber mit Windkraft und Solaranlagen geht das durchaus. Nur, davon spricht die IGBCE natürlich nicht.
Solche Positionspapiere zu lesen kann frustrierend sein. Aus meiner Sicht hat der Kollege völlig recht. Wer sich für eine enkeltaugliche Energieversorgung starkmacht, sollte die perfiden Argumente der Gegner gut kennen – um die eigenen Argumente zu schärfen. Nicht komplexe, akademische Statements werden gehört, sondern brillant auf den Punkt gebrachte Aussagen.
Deswegen spricht Schellnhuber auch von Selbstverbrennung statt von »Erwärmung«. Das klingt viel zu harmlos, ja eher gemütlich und angenehm.
Es stimmt verdrießlich, dass jährlich viele Millionen Euro investiert werden, um den Klimawandel zu leugnen und den Klimaschutz auszubremsen. Da ist es wichtig, sich einmal klarzumachen, wo wir herkommen. Im Jahr 1992 gab es in Deutschland nur vier Prozent umweltfreundlichen Strom. Heute sind es 40 Prozent. Noch vor gut zehn Jahren sahen Pläne vor, an die 25 neue Kohlekraftwerke zu bauen, die angeblich unverzichtbar sein sollten. Nun hat die Kohlekommission empfohlen, auf den Neubau von Kohleblöcken komplett zu verzichten.
Wir haben uns vom Atomstrom verabschiedet. Und jetzt diskutieren wir über einen systematischen Kohleausstieg. Das ist doch schon mal was. Wir können etwas bewirken. Sie können etwas bewirken. Der Kampf gegen die Kohle, er lohnt sich. Tun Sie was!

Gelebte Schizophrenie

Jeder Hundeliebhaber wird sofort bekennen: »Mein Hund, der hat eine Seele!« Haustiere werden wie ein Teil der Familie behandelt. Ihre Fotos hängen schön gerahmt zusammen mit den Fotografien der Familienmitglieder an der Wand. Auch Todesanzeigen und gemeinsame Begräbnisstätten verweisen auf das enge Band zwischen Mensch und Tier.4
Hundebesitzer lieben ihre Tiere. Da werden Milliarden investiert. Den wenigsten ist bewusst, dass ihre Tierliebe im krassen Widerspruch zu ihrem Billigfleisch steht. Auf der Packung steht zwar »Bauernglück« drauf. Drin ist aber das Resultat martialischer Tierhaltung.
Hunde und Katzen teilen sich das Sofa und das Bett mit ihrem Herrchen, sind allgegenwärtiger Begleiter, Spielkamerad und nicht selten Gesprächspartner. Tiere empfinden Schmerzen, träumen, streiten, kuscheln, ängstigen sich.
Dasselbe gilt auch für Schweine. Da macht der Deutsche aber einen Unterschied. Da haut er das Schnitzel für einen Euro in die Pfanne. Das ist gelebte Schizophrenie. Keine auch noch so gut gemachte Broschüre oder Kampagne wird den deutschen Schnäppchenjäger dazu bringen, solche Widersprüche aufzulösen. Wir sind perfekte Verdrängungskünstler.
Fragen Sie Raucher! Da sagen viele: »Wieso, Helmut Schmidt ist doch 96 geworden!«
Unzählige Filme und Fotos dokumentieren die grauenvollen Umstände in den Massenställen und beweisen, wie die Tiere leiden. Niemand wird ernsthaft behaupten: »Davon habe ich nichts gewusst.« Fernsehen, Radio und Internet liefern einen permanenten Nachrichtenstrom über die skandalösen Zustände in puncto Tierhaltung, Fütterung, Transport und Schlachtung.
Und dennoch liegt das Biohack bei den Discountern wie Blei im Kühlregal. Nur zwei von hundert Kunden greifen zur ethisch anspruchsvollen Ware. Im Jahr 2017 lagen die Ausgaben für Biofleisch bei etwa 260 Millionen Euro,5 drei Milliarden verwenden die Deutschen für Tierfutter.