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Das Leben als Zeitwächterin ist nicht einfach – das muss Keyra immer wieder feststellen. Während sie gleichzeitig versucht, ihrer Aufgabe gerecht zu werden und ihr Doppelleben vor ihrem Vater und ihren Freunden zu verbergen, reist sie erneut in die Vergangenheit – und wird auf Schloss Birstein im Jahr 1820 Zeugin einer romantischen Liaison zwischen Ludwig Emil Grimm und der schönen Gräfin von Wächtersbach. Doch schon wieder scheinen ihre geheimnisvollen Gegenspieler alles daran zu setzen, Keyras Einsatz zu boykottieren – wer steckt dieses Mal dahinter? Und ist Keyra tatsächlich auf der richtigen Spur? Band 1 "Der Ruf der Schlösser", Band 2 "Der Hexer von Bergheim", Band 3 "Das Geheimnis der Kommende", Band 4 "Der Fuchs und der Räuber", Band 5 "Antoniusfeuer" und Band 6 "Der Besuch des Präsidenten" der Serie "Schlüssel der Zeit" liegen ebenfalls als E-Books bei mainbook vor sowie die Taschenbuch-Sammelbände mit den E-Book Bänden 1-3 (ISBN9783947612482) und 4-6 (ISBN 9783948987039). Die Serie wird fortgesetzt.
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Seitenzahl: 174
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Das Leben als Zeitwächterin ist nicht einfach – das muss Keyra immer wieder feststellen. Während sie gleichzeitig versucht, ihrer Aufgabe gerecht zu werden und ihr Doppelleben vor ihrem Vater und ihren Freunden zu verbergen, reist sie erneut in die Vergangenheit – und wird auf Schloss Birstein im Jahr 1820 Zeugin einer romantischen Liaison zwischen Ludwig Emil Grimm und der schönen Gräfin von Wächtersbach. Doch schon wieder scheinen ihre geheimnisvollen Gegenspieler alles daran zu setzen, Keyras Einsatz zu boykottieren – wer steckt dieses Mal dahinter? Und ist Keyra tatsächlich auf der richtigen Spur?
Band 1 „Der Ruf der Schlösser“, Band 2 „Der Hexer von Bergheim“, Band 3 „Das Geheimnis der Kommende“, Band 4 „Der Fuchs und der Räuber“, Band 5 „Antoniusfeuer“ und Band 6 „Der Besuch des Präsidenten“ der Serie „Schlüssel der Zeit“ liegen ebenfalls als E-Books bei mainbook vor sowie die Bände 1 bis 3 und 4 bis 6 jeweils in einem Taschenbuch-Sammelband.
Die Serie wird fortgesetzt.
2007 legt Tanja Bruske ihren ersten Fantasy-Roman »Das ewige Lied« (neu aufgelegt bei mainbook) vor, mit dem sie den Wettbewerb des Radiosenders FFH »Hessens verheißungsvollstes Manuskript« gewinnt. Ab Juni 2013 erscheint ihre Kinzigtal-Trilogie bei mainbook: »Leuchte«, »Tod am Teufelsloch« und der Abschlussband 2017 »Fratzenstein«.
Im September 2018 gewinnt Tanja Bruske mit ihrer Novelle »Der Henker und die Hexe« in Österreich den Titel »Stadtschreiberin von Eggenburg 2018«. Die Novelle wird Ende 2021 in einer Geschichtensammlung veröffentlicht.
Seit 2014 schreibt Tanja Bruske zudem unter dem Pseudonym Lucy Guth für verschiedene Serien des Bastei-Verlages, zB »Maddrax«, seit 2019 auch für »Perry Rhodan Neo«.
Tanja Bruske studierte Germanistik sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt und arbeitet heute als Redakteurin bei der GNZ. Sie wohnt im hessischen Hammersbach mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern.
Mit »Schlüssel der Zeit« legt sie bei mainbook eine Histo-Fantasy-Serie vor. Zudem ist bei mainbook der Kurzgeschichten-Band „Raben-Stephan & Co. – Geschichte(n) aus dem Kinzigtal“ (2021) erschienen.
Aktuelles und Lese-Termine finden Sie auf www.tanjabruske.de
Tanja Bruske
Histo-Fantasy-Serie
mainbook Verlag Frankfurt
eISBN 978-3-911008-02-0
Copyright © 2024 mainbook Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Gerd Fischer
Layout: Olaf Tischer
Covermotive: © fotolia, milosluz + Reiner Erdt
Besuchen Sie uns im Internet: www.mainbook.de
Die Autorin
1. Bestimmung
2. Erfahrungen
3. An einem Frühlingsmorgen im Jahr …?
4. Die Gräfin
5. Klatsch und Tratsch
6. Der Unbekannte
7. Grimm zu Besuch
8. Bauchgefühl
9. Im Treibhaus
10. Gewitterstimmung
11. Die Anschuldigung
12. Kunstgespräche
13. Liebelei
14. Durch die Blume
15. Stimmungswechsel
16. Baumschlinge
17. Der Glasschrank
18. Das Bildnis
19. Abschied
20. Die Rose
21. Das verschwundene Bild
Dichtung und Wahrheit und Danke
Mit klopfendem Herzen öffnete Keyra die Wohnungstür. Sie lauschte kurz, ehe sie eintrat. Es war still – ihr Vater war, wie so oft in letzter Zeit, wohl nicht zu Hause. Rory Kelly hatte ein neues Projekt übernommen, irgendwo im Vogelsberg, das ihn völlig in Anspruch nahm. Das war Keyras Glück, denn so hatte er nicht mitbekommen, dass auch Keyra in den vergangenen Wochen wenig Zeit zu Hause verbrachte.
Das Klingeln ihres Handys ließ sie zusammenzucken. Ein Blick aufs Display verriet ihr, wer sie so erschreckt hatte.
„Mensch, Lou – ich wollte mich in die Wohnung schleichen, weißt du noch? So ein Klingeln kann etwas hinderlich sein, wenn man unentdeckt bleiben will“, meldete sie sich.
„Ach sorry, ich dachte, dass du schon längst zu Hause bist. Und, ist dein Vater da?“
„Nein. Ich hab noch etwas Schonfrist, bis ich es ihm beichten muss.“
„Glück gehabt – aber du wirst nicht drum herumkommen.“
„Ich weiß.“ Schlecht gelaunt ging Keyra in ihr Zimmer und warf ihren Rucksack aufs Bett und sich selbst auf ihren Kuschelsessel am Fenster. „Was mich am meisten nervt, ist, dass ich selbst schuld bin. Ich hätte mehr lernen müssen.“
„Hey, du hattest doch genug Stress wegen der Sache mit deiner Oma und deiner Taekwondo-Prüfung.“
Keyras schlechtes Gewissen meldete sich bei Lous mitfühlenden Worten. Die Krankheit ihrer Großmutter Clara war eine Sache, aber sie hatte ihre Freundin, was diese Taekwondo-Prüfungen anging, gnadenlos angeschwindelt. Immerhin: Stress hatte sie wirklich. Der hing jedoch eher damit zusammen, dass Leo sie ziemlich hart für ihre anstehende Wächterprüfung trainieren ließ. Das konnte sie Lou jedoch schlecht erzählen. Schließlich wusste niemand außer Leo und dem Orden der Zeitwächter von ihrer „geheimen Identität“ als Zeitwächterin.
Auch ihr Vater nicht, was ein ziemlich großes Problem darstellte.
„Tja, Dad wird dazu seine eigene Meinung haben. Du weißt doch, wie versessen er darauf ist, dass ich gute Noten bekomme, damit ich mich für ein Restauratorenstudium qualifiziere.“
„Du wolltest das doch auch die ganze Zeit …?“
„Will ich ja auch noch … glaube ich …“ Keyra seufzte. Schon wieder konnte sie nicht offen mit Lou reden. Wie sollte sie ihr begreiflich machen, dass sie vielleicht gar kein Studium beginnen konnte, wenn ihre Pflicht als Zeitwächterin sie zu sehr beanspruchte? Leo und auch Christoph Custos, der Schlüssel-Hüter des Ordens der Zeitwächter, hatten entsprechende Andeutungen gemacht. „Ich weiß es noch nicht.“
„Hast du dich denn zumindest für eine Fachrichtung entschieden? Oder wird die auch von deinem Vater bestimmt?“, fragte Lou sarkastisch.
„Meinem Vater wäre es am liebsten, wenn ich Kunsttechnologie, Konservierung und Restaurierung von Kunst- und Kulturgut in Dresden studieren würde. Damit könnte ich seine Firma später problemlos übernehmen. Die Uni Stuttgart wäre auch eine Option. Ich persönlich finde Grabungstechnik und Archäologie aber auch interessant.“ Keyra zuckte mit den Schultern, was Lou natürlich nicht sehen konnte. „Aber egal, gute Noten brauche ich auf jeden Fall.“ „Du tust gerade so, als hättest du dein ganzes Abitur versaut, dabei geht es hier um eine einzige Note, und die …“
„… stellt für meinen Vater wahrscheinlich schon eine Katastrophe dar.“ Keyra seufzte. „Du weißt doch, wie er ist.“
„Er wird sich schon abregen. Nun mal zu etwas Interessantem: Was wollte Ben von dir, vorhin auf dem Parkplatz?“
Keyra spürte Hitze in ihren Wangen. Zum Glück telefonierte sie mit Lou, sonst hätte die Freundin gesehen, wie sie rot anlief. „Er hat mich gefragt, ob wir uns morgen Nachmittag am Badesee in Großkrotzenburg treffen wollen.“
„Uhhhhh, ein Date! Wann trefft ihr euch?“
„Gar nicht. Ich habe keine Zeit.“
„Spinnst du? Seit Monaten schmachtest du ihn an und jetzt …“
„Ich schmachte gar nicht.“
„Natürlich tust du das. Das sieht doch jeder.“
Keyra erschrak. „Echt?“
„Naja, jeder, der dich so gut kennt wie ich“, schränkte Lou ein. „Warum hast du ihm einen Korb gegeben?“
„Ich muss trainieren – wenn mich mein Vater überhaupt noch aus dem Haus lässt, nachdem er von Mathe erfahren hat.“
„Übertreibst du es mit dem Training nicht etwas?“
Sag das nicht mir, sondern Leo, dachte Keyra. Zwar hatte sie in den vergangenen beiden Wochen keine singenden Schlösser gehört und war auch nicht erneut durch die Zeit gereist, doch Leo schien das nicht zum Anlass zu nehmen, um das Tempo etwas herunter zu fahren. Im Gegenteil. Wenn er sie nicht im Kampftraining unterwies, ließ er sie Geschichte büffeln. Immerhin hatte das ihre Noten in ihrem Leistungsfach verbessert, obwohl sie schon immer gut in Geschichte gewesen war.
Ein Schlüssel klapperte im Schloss, und Keyra wurde es flau im Magen.
„Ich muss Schluss machen, er kommt“, sagte sie hastig und drückte den Anruf weg.
Rory Kelly hatte gute Laune, was Keyra daran merkte, dass er vor sich hin pfiff. Seit dem Verschwinden ihrer Mutter vor vielen Jahren pfiff und sang Rory Kelly eher selten.
Sie stand auf und verließ ihr Zimmer. Sie fand ihren Vater in der Küche, wo er eine Tüte mit Einkäufen ausräumte. Es sah ganz so aus, als würde es am Abend mal wieder auf Spaghetti mit Tomatensoße hinauslaufen.
„Hi Paps. Woher die gute Laune?“ Keyra zwang sich zu einem unbekümmerten Tonfall.
„Hallo Schatz. Ach, es gibt keinen besonderen Grund. Die Arbeit im Birsteiner Schloss macht mir einfach Spaß.“ Rory redete gerne über seine Arbeit, und in den nächsten Minuten erfuhr Keyra alle Details über den Saal, in dem er Gemälde und Kunstobjekte restaurieren sollte. Er würde monatelang dort beschäftigt sein, das stand fest.
„Eine wirklich interessante Aufgabe“, sagte Rory und ließ Wasser in einen Kochtopf laufen.
Tut mir leid, dass ich dir die Laune verderben muss, dachte Keyra zerknirscht. Sie wollte jedoch die unangenehme Nachricht nicht länger aufschieben.
„Ich muss dir etwas sagen, Dad …“ Sie benutzte absichtlich die Anrede, die ihr irischer Vater lieber hörte. „Wir haben heute die Zeugnisnoten in Mathe gesagt bekommen. Bei mir werden es acht Punkte …“
Rory, der sich nach wie vor nicht mit dem Punktesystem der Oberstufe anfreunden konnte, runzelte die Stirn. „Das ist schlecht, oder?“
„Es ist eine drei, Dad. Befriedigend.“
Rorys gute Laune verpuffte. „Wie konnte das passieren? Im letzten Zeugnis hattest du doch noch eine bessere Note!“
„Acht Punkte sind doch nicht schlecht …“
„Aber du kannst es besser. Das weiß ich.“
Keyra wurde sauer. „Ach ja, woher? Du bist doch nie hier.“
Getroffen stellte Rory den Topf auf dem Herd ab. „Ich habe viel zu tun … Aber du hast recht. Vielleicht muss ich das ändern.“
„Dad …“
„Ich werde künftig besser darauf achten, dass du ausreichend für die Schule lernst. Ich kann mir denken, woran es liegt – es ist dieser Junge, oder?“
Keyra schloss die Augen. Sie wünschte, sie hätte ihrem Vater Ben nicht vor einigen Tagen vorgestellt, als ihr Vater sie von der Schule abgeholt hatte. Aber es hatte sich einfach so ergeben.
„Es hat nichts mit Ben zu tun.“
„Das denkst du. Wahrscheinlich verbringst du viel zu viel Zeit mit ihm, statt dich auf dein Abitur vorzubereiten.“
„Wir haben uns bisher nur einmal im Kino getroffen.“
„Damit ist jetzt Schluss! Du bist ohnehin zu jung für so etwas.“
„Für was genau bin ich mit 17 zu jung? Um ein Leben außerhalb der Schule zu haben? Das ist doch Quatsch.“
„Werde bloß nicht frech!“
Keyra schnappte sich ihre Jacke und stürmte zur Tür. „Ich hab die Nase voll. Ich gehe trainieren.“
Rory war perplex. „Und was ist mit den Nudels?“
Normalerweise sprach ihr Vater perfekt Deutsch – dass er Grammatikfehler machte, zeigte, wie aufgewühlt er war.
Kurz zögerte Keyra, dann siegte ihre Wut. „Mir egal, ich hab keinen Hunger.“ Sie knallte die Tür hinter sich zu.
Eine halbe Stunde später prügelte sie auf den Boxsack ein, den Leo hielt. Natürlich war sie nicht zum Taekwondo-Training gefahren, wie ihr Vater sicher angenommen hatte, sondern nach Langenbergheim zum Haus ihrer Großmutter. Allerdings lebte Clara Schlosser derzeit nicht dort, sondern bewohnte ein Zimmer in der Seniorendependance in Marköbel. Dass sie nicht ansprechbar war, war Keyras größter Kummer. Zu gerne hätte sie sich mit ihrer Oma über all das unterhalten, was seit ihrem 17. Geburtstag geschehen war.
Statt Clara wohnte nun Leo in dem Haus, das sich zu Keyras Verwunderung als deutlich größer erwies, als sie all die Jahre angenommen hatte. Von dem Trainingsraum im Keller und der kleinen, aber feinen Bibliothek hatte sie keine Ahnung gehabt. Genau wie ihr Vater, der zum Glück immer noch nicht den Braten roch.
Keyra knirschte mit den Zähnen. „Mein Vater hat von nichts eine Ahnung!“ Sie verpasste dem Boxsack zwei weitere kräftige Schläge.
„Wenn du es sagst.“ Leo klang gleichmütig, doch Keyra bemerkte die Schweißperlen auf seiner Stirn und den besorgten Ausdruck in seinem Blick.
Er hielt tapfer den Sack, während sie weiter darauf eindrosch, doch ein paar Minuten später hielt er sie zurück. „Es reicht jetzt. Wenn dich Wut antreibt statt Verstand, wirst du dich verletzen.“
„Wer sagt, dass ich wütend bin?“
„Och, nur so eine Vermutung.“ Leo nahm eines der bereitliegenden Handtücher und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Du musst deine Gefühle in den Griff bekommen und deine Kräfte besser einteilen. Wir müssen deshalb das Training intensivieren, und auch was deine Kenntnisse …“
Keyra, die gerade die Bandagen abgestreift hatte, hob abwehrend die Hände. „Moment mal, ganz langsam. Ich kann das Training nicht intensivieren, im Gegenteil. Ich muss etwas langsamer machen.“
Leo kniff die Augen zusammen. „Wie meinst du das? Deine erste Prüfung steht bevor.“
„Ich weiß. Aber ich kann so nicht weitermachen. Spätestens nach den Sommerferien muss ich mich wieder stärker auf die Schule konzentrieren.“
Leo verschränkte die Arme vor der Brust und nahm die typische Strenger-Mentor-Haltung an. „Ich fürchte, du hast immer noch nicht verstanden, wie wichtig deine Aufgabe ist. Dabei dachte ich, dass deine jüngsten Abenteuer dir eine Lehre seien.“
Keyras Zorn, der sich durch die körperliche Anstrengung gerade erst gelegt hatte, loderte wieder hoch. „Ich habe sehr wohl verstanden, was die Aufgaben einer Wächterin sind. Aber du scheinst nicht zu begreifen, dass ich auch noch ein anderes Leben habe – und dass ich weder meiner Familie noch meinen Freunden von meiner Aufgabe erzählen darf.“
„Das ist mir durchaus bewusst …“
„Das glaube ich nicht. Sonst müsste dir doch klar sein, dass ich nicht nur die Erwartungen des Rates, sondern auch die meines Vaters erfüllen muss. Ich komme in die 13. Klasse, nächstes Jahr mache ich Abitur – allerdings nur, wenn ich mich ein bisschen mehr für die Schule engagieren kann.“
Leo seufzte und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. „Der Rat befürwortet es durchaus, wenn Wächterinnen und Wächter eine fundierte Ausbildung haben, schon allein, um ihre Tarnung zu wahren. Doch das kann nicht zu Lasten deiner Bestimmung gehen.“
Keyra lachte trocken auf. „Meiner Bestimmung? Das ist gut. Jeder scheint über mich bestimmen zu wollen. Habe ich denn gar nichts in meinem eigenen Leben zu entscheiden?“
Verständnislos ließ Leo die Hand sinken. „Was sollte es da zu entscheiden geben?“
„Meinst du das ernst?“ Keyra schrie fast. „Hat mich irgendjemand gefragt, ob ich diesen Job überhaupt haben will?“
„Es ist dir vom Schicksal bestimmt.“
„Jetzt werde nicht dramatisch!“
„Aber so ist es. Die Fähigkeit, in der Zeit zu reisen, liegt in deinem Blut.“
„Und ich habe den Eindruck, der Orden der Zeitwächter hat so etwas wie ein kleines Zuchtprogramm entwickelt, um die Gabe stets im Blick zu behalten, oder?“
Leo wurde blass. „So ist es nicht. Natürlich behalten wir die Nachkommen im Auge. Aber so wie du es ausdrückst … klingt es fast inzestuös.“
„So kommt es mir auch vor.“
„Das ist Unsinn. Ein solches Risiko würde der Orden nicht eingehen. Natürlich werden Verbindungen zwischen Blutsträgern gerne gesehen, aber du bist selbst das beste Beispiel für das Gegenteil.“
„Weil sich meine Mutter nicht vorschreiben ließ, was sie zu tun hatte.“ Wütend griff Keyra nach ihren Schuhen und zog sie an.
„Ich erkenne diesen Dickschädel auch in dir.“ Leo fuhr sich durch die kurzen, schwarzen Locken. „Und gerade das ist ihr zum Verhängnis geworden.“
Keyra erstarrte. „Was meinst du damit?“
Leo zögerte. „Du weißt, dass die Vaganten deine Mutter getötet haben. Das konnte nur geschehen, weil sie nicht auf ihren Mentor gehört hat.“
„Was hat sie getan?“
„Ich bin nicht befugt …“
„Ach komm schon, Leo!“ Frustriert schlug sie mit der flachen Hand auf den Boden. „Ich kann diese Ausflüchte nicht mehr hören.“
„Aber ich darf dir nichts Näheres sagen. Frag Christopher, wenn du ihn das nächste Mal siehst.“
Wann immer sich der feine Herr Custos wieder mal hier blicken lässt oder geruht, mich nach Frankfurt zu bitten … Keyra schnaubte. Der sogenannte Schlüssel-Hüter des Ordens der Zeitwächter machte sich rar.
„Wichtig ist nur eins.“ Leo sah seine Wächterin ernst an.
„Du darfst nicht vergessen, dass die Vaganten alles daran setzen, ihre Ziele zu erreichen. Und die bestehen darin, Tempusobjekte an sich zu bringen und unseren Orden zu boykottieren. Es kommt also auf keinen Fall in Frage, dass du dein Training einschränkst. Du bist derzeit die einzige Zeitwächterin. Du musst jederzeit einsatzbereit sein!“
Das Läuten der Schulglocke riss Keyra aus ihren Gedanken. Seit dem Vorabend grübelte sie über Leos Worte nach. Während sie ihre Notizen und Bücher in den Rucksack schob – sie hatte wieder einmal nicht richtig aufgepasst, was ihre Mathenote sicher nicht verbessern würde – musste sie sich eingestehen, dass sie auf diese Weise zu keinem Ergebnis kommen würde. Leo, der Orden, ihr Vater, die Lehrer – jeder wollte etwas anderes von ihr, und sie konnte es unmöglich allen recht machen. Bald waren Sommerferien, vielleicht würde ihr in dieser Zeit etwas einfallen. Doch noch waren es zwei Wochen bis zum Ferienbeginn, und während die meisten Lehrer in dieser Zeit nur noch halbherzig Unterricht machten, sah es in der Oberstufe anders aus. Hier wurde bereits Stoff für das kommende Schuljahr vermittelt.
„Träumst du?“, fragte Lou, die neben ihr auftauchte.
„Ein bisschen“, gab Keyra zu. Von einem einfacheren Leben.
„Dann wach mal besser auf. Du weißt doch, dass der Sozen-Seppl es nicht mag, wenn wir zu spät kommen.“
Keyra seufzte und nickte. Noch einer, der Ansprüche stellte. Sebastian Geiger, der ihren Geschichtsleistungskurs leitete, war eigentlich ein netter Kerl, aber er verschenkte keine Punkte. Und wie Lou zu Recht festgestellt hatte, legte er Wert auf Disziplin.
Umso seltsamer, dass er noch nicht im Kursraum war, als Keyra und Lou eintrafen. Alle Schüler waren bereits da. Ben winkte Keyra lässig zu, als sie sich setzte. Doch ihr Tutor, in der Oberstufe so etwas wie ihr Klassenlehrer, ließ sich nicht blicken. Untypisch für den Sozen-Seppl.
Gerade, als der Kurs unruhig wurde und Keyra und Lou bereits darüber diskutierten, ob jemand zum Lehrerzimmer gehen sollte, öffnete sich die Tür.
Doch herein kam nicht ihr Lehrer, sondern eine Frau, die Keyra eher auf einem Laufsteg oder in einem Fernsehstudio erwartet hätte. Sie war groß und schlank, was durch ein weißes, enganliegendes Kleid betont wurde. Sie hatte kinnlange schwarze Haare und bronzefarbene Haut, deren Ton zu perfekt war, um aus einem Sonnenstudio zu kommen.
Ohne sich um die verdutzten Blicke der Schüler zu kümmern, ging sie zum Pult. „Hallo, mein Name ist Celia Magsamen. Ich bin Referendarin und soll Herrn Geiger ein paar Tage lang vertreten.“ Ihre Stimme klang melodisch und angenehm, wie die einer Radiosprecherin. Ihre auffallend dunklen Augen wanderten über die Klasse und verharrten bei jedem Schüler einige Sekunden. „Ich lese kurz die Klassenliste vor und ihr meldet euch bitte, damit ich eure Gesichter den Namen zuordnen kann.“
Während die neue Lehrkraft die Namen durchging, neigte sich Lou zu Keyra. „Eine neue Referendarin kurz vor Schuljahresende? Was soll das denn?“
„Vielleicht ist sie ja schon länger hier und wir haben sie bislang nur nicht gesehen?“
„Pfff …“ Mehr als das abfällige Geräusch brauchte es nicht. Keyra wusste, was Lou meinte: Die Otto-Hahn-Schule in Hanau war groß, und hier gingen mehrere tausend Schüler in den Unterricht. Gleichzeitig war die Schule ein Dorf. Man kannte sich, gerade in der Oberstufe. Eine neue Referendarin hätten sie eigentlich mitbekommen müssen, wenn sie schon länger da war.
„Und dieses Top-Model hätten wir doch bestimmt bemerkt“, raunte Lou. „Hast du diese Nase gesehen? Wie eine griechische Göttin …“
„Keyra Kelly?“, rief die Neue in diesem Moment ihren Namen auf. Keyra meldete sich und hatte das Gefühl, dass Celia Magsamen sie etwas länger als die anderen musterte. Sofort bekam sie ein schlechtes Gewissen. Sie hat bestimmt gemerkt, dass ich geschwätzt habe …
Die Referendarin sagte jedoch nichts, sondern rief den nächsten Schüler auf.
Der Unterricht der neuen Lehrerin erwies sich als interessant. Sie hatte einen seltsamen Gegenstand mitgebracht: einen Stiel, der durch ein Lederstück mit einem Holzschlägel verbunden war.
„Weiß jemand von euch, was das ist?“ Sie hielt den armlangen Gegenstand hoch, damit alle im Kursraum ihn betrachten konnten.
Keyra hatte so etwas schon einmal gesehen, ihr fiel nur nicht ein, wo.
Ben meldete sich. „Das ist ein Dreschflegel – ein mittelalterliches Erntegerät.“
„Richtig – Ben war der Name, ja?“ Frau Magsamen nahm den Dreschflegel in beide Hände. „Mit so einem Gerät wurden die Ähren gedroschen, um an das Korn zu kommen. Gleichzeitig war es eine Waffe, die bei den Bauernkriegen zum Einsatz kam …“
Es folgte ein Vortrag über die Bauernkriege im 16. Jahrhundert, den Keyra mit Interesse verfolgte. Sie schrieb eifrig mit, denn Leo hatte ihr eingebläut, dass jede Art von Geschichtswissen lebensrettend für sie sein konnte.
Nach Ende der Stunde erhoben sich die Schüler unruhig. Während Keyra ihre Sachen zusammenpackte, ging Ben nach vorne und bat Frau Magsamen, sich den Dreschflegel näher anschauen zu dürfen. Keyra schloss ihren Rucksack, als die Referendarin sie ansprach: „Keyra Kelly, kann ich dich kurz sprechen?“
Keyra zuckte zusammen – gab es jetzt Ärger wegen des Schwätzens?
Lou sah zu, dass sie schnell den Raum verließ, aber Celia Magsamens Aufmerksamkeit galt ohnehin nur Keyra.
Mit dem unguten Gefühl, irgendetwas angestellt zu haben, aber nicht zu wissen, was, ging Keyra nach vorne. Ben machte keine Anstalten, zu verschwinden, sondern beschäftigte sich mit dem Dreschflegel.
„Ich habe den Aufzeichnungen von Herrn Geiger entnommen, dass du großes Interesse an Geschichte hast“, sagte Frau Magsamen und blätterte in einem kleinen, blauen Notizbuch. „Er meint aber, dass du in letzter Zeit etwas abgelenkt seist.“
Keyra wurde rot. „Kann sein. Ich hatte viel um die Ohren.“
„Falls du vorhast, deine Noten wieder zu verbessern und etwas außerschulisches Engagement zu zeigen, könnte ich dir anbieten, bei einem Ferienprojekt mitzuwirken, das ich anbiete.“
Na toll, noch mehr Arbeit