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Diese Tricks finden Sie garantiert in keinem anderen Buch! Johannes Hayers und Felix Achterwinter haben die besten Erziehungstricks von ganz normalen Eltern gesammelt. Obwohl: Ist Angelika normal, wenn sie bei sich selbst einbricht, um ihrem Sohn das Abschließen der Haustür einzutrichtern? Ist Maria normal, wenn sie ihre Tochter dazu bringt, den Sicherheitsgurt anzulegen, indem sie droht: «Schnall dich an, sonst stirbt ein Einhorn!»? Ob normal oder nicht, ob legal oder nicht, diese listigen und lustigen Erziehungstricks haben tatsächlich funktioniert. Denn Kinder lieben nicht nur Einhörner, sie lieben auch Bären. Warum sollte man ihnen also nicht hin und wieder einen aufbinden?
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Seitenzahl: 266
Johannes Hayers • Felix Achterwinter
Schnall dich an, sonst stirbt ein Einhorn!
100 nicht ganz legale Erziehungstricks
Ihr Verlagsname
Felix Achterwinter,42, schrieb früher Kolumnen für verschiedene Zeitungen in England und Deutschland und arbeitet heute im Bereich Medienforschung. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt in Bonn.
Liebe Leserin, lieber Leser,
bitte lesen Sie dieses Buch nicht, sonst weint ein Pädagoge. Aber Sie werden lachen! Denn in diesem Buch kommen keine Pädagogen zu Wort, sondern Eltern und Kinder. Das ist erstaunlich genug in einer Welt, in der uns die vielen Ratgeber so verunsichert haben, dass niemand mehr unbefangen über die Erziehung der eigenen Kinder redet. Wie weit verbreitet die Sorge vor Pädagogikfehlern ist, haben wir selbst erlebt, als in einer Runde von Freunden und Bekannten das Thema Erziehung aufkam. Erst nachdem der Alkohol die Zungen löste, erzählten die anwesenden Eltern komische Erlebnisse mit ihren Kindern. Das waren Geschichten, die sie nicht immer als strahlende Pädagogikhelden erscheinen ließen. Als sie nach dieser wirklich lustigen Erzählrunde in einem konspirativen Ton flüsterten, so etwas könne man heutzutage öffentlich ja nicht mehr sagen, beschlossen wir, darüber ein Buch zu schreiben.
Wir haben für Sie überall die besten Erziehungstricks gesammelt. Und «die besten» meint nicht die pädagogisch wertvollen. Es sind die ungewöhnlichen, teilweise unglaublichen, hinterhältigen, kreativen, originellen, unmoralischen, listigen, aber vor allem lustigen Tricks, die wir auswählten. Dieses Buch ist kein seriöser Ratgeber, dieses Buch ist eine liebevolle Bitte: «Nehmen Sie Ihr Kind mal wieder auf den Arm!»
Wir wünschen Ihnen verboten viel Vergnügen bei 100 nicht ganz legalen Erziehungstricks.
Erziehungstricks No. 1–25
Unsere tollen Anschnallgurte und Kindersitze mit Isofix-System genügen immer höheren Sicherheitsansprüchen, sind aber aus einem einfachen Grund nicht kindgerecht: Sie nützen überhaupt nichts, wenn man sich nicht anschnallt. Diesen schwerwiegenden «Konstruktionsfehler» muss Maria mit viel Überredungskunst bei ihrer fünfjährigen Tochter ausbügeln. Schon drei Mal hat sie Pia mit wachsender Anspannung angeschnallt. Und drei Mal hat sich Pia mit wachsender Gelassenheit wieder abgeschnallt. Das darauf folgende pädagogische Gespräch hörte sich ungefähr so an:
Maria: «Pia, du musst dich anschnallen!»
Pia: «Warum?»
Maria: «Weil du dann sicher bist.»
Pia: «Warum?»
Maria: «Weil du dann auf deinem Platz bleibst und nicht nach vorn geschleudert wirst.»
Pia: «Warum?»
Maria: «Weil dich die Gurte halten.»
Pia: «Warum?»
Maria: «Weil die aus gutem Material sind.»
Pia: «Warum?»
Maria: «Weil die TÜV-geprüft sind.»
Pia: «Warum?»
Maria: «Weil wir hier in Deutschland sind.»
Pia: «Warum?»
Maria: «Weil wir hier geboren und nicht weggezogen sind.»
Pia: «Warum?»
Maria: «Weil meine Mutti damals nicht mit dem italienischen Eisverkäufer durchgebrannt ist.»
Pia: «Warum?»
Maria: «Weil es manchmal sinnvoll ist, die sichere Alternative zu wählen und nicht die hübschere.»
Pia: «Warum?»
Maria: «Weil Schönheit vergänglich ist, auch deine, wenn du dich nicht anschnallst und mit dem Gesicht auf den Vordersitz knallst. Dann bleibst du Single. Aber das kann ein großer Vorteil sein, weil du dann keine Tochter bekommst, die sich nicht anschnallen will!»
Pia: «Warum?»
Maria: «Weil das der Lauf der Dinge ist und nur DU ihn aufhalten kannst, wenn DU dich anschnallst! ANSCHNALLEN!»
Pia: «Ich will aber nicht!»
Maria: «Was hab ich nur getan, warum dieses Kind? Warum ich? WARUM?! WARUM?!»
Von Maria (41), Selbständige, für ihre Tochter Pia (5)
Maria: «Pia, schnall dich an!»
Pia: «Warum?»
Maria: «Schnall dich an, sonst stirbt ein Einhorn.»
Pia: «Was? Na gut.»
Pia war so verblüfft, sie hat noch nicht einmal gefragt, warum ein Einhorn stirbt. Die Verknüpfung von eventuell sterbenden Fabelwesen und der deutschen Straßenverkehrsordnung scheint für sie logisch zu sein. «Ich wollte ja auch noch fragen: Warum fragst du nicht, warum?», meinte Maria später, «hab es mir dann aber Gott sei Dank verkniffen. Ein bisschen brutal war das schon mit dem Einhorn, zuerst wollte ich Hamster sagen, ich weiß auch nicht, warum. Was macht man in seiner Not nicht alles, um endlich losfahren zu können?»
Wir Autoren glauben, «Schnall dich an, sonst stirbt ein Hamster!» wäre ein nicht ganz so fabelhafter Buchtitel geworden und hätte vermutlich seine Wirkung auf Pia verfehlt. Hamster sind keine amtlich zugelassenen Fabelwesen, so etwas wissen fünfjährige Mädchen, und Pia hätte dann vielleicht doch noch eine Erklärung verlangt. Maria hat also pädagogisch intuitiv vollkommen richtig gehandelt.
«Wir waren bis jetzt ein ganz gutes Vorbild für unsere Kinder, also auf das Rauchen bezogen», berichtet Gabi stolz. Das ist für Gabi allerdings auch keine asketische Meisterleistung, Zigaretten schmecken ihr einfach nicht. Bei ihrem Mann Peter ist das schon anders: «Ich hab ja meist auf Partys geraucht oder nach dem Sex oder so, aber seit die Kinder da sind … na ja …» Wir haben verstanden, Peter, keine Sexpartys mehr. Aber, lieber Peter, ist denn «Ich rauche nicht mehr, weil ich Kinder habe und kaum noch Sex» wirklich ein pädagogisch schlüssiges Konzept, um deine Tochter vom Rauchen abzuhalten? Wohl eher nicht.
Darum hat Gabi das Zepter im Kampf gegen den blauen Dunst übernommen. Sie weiß auch, dass man ihrer Tochter noch nicht einmal mit Warnungen kommen kann wie «Davon bekommst du Krebs» oder «Du stirbst früher, wenn du rauchst». Die dreizehnjährige Göre kontert dann doch tatsächlich in einem so überheblichen Ton, als ob sie die tiefen Täler menschlichen Lebens und Leidens mehr als ein Mal durchschritten und aus diesen Erfahrungen das mit Weisheit durchtränkte Destillat gewonnen hätte: «Mutti, wir müssen alle mal sterben, also mach keinen Stress.»
Einerseits freut sich Gabi über die Schlagfertigkeit ihrer Tochter, andererseits nervt dieses altkluge Dummgeschwätz sie schon gewaltig. Nun gut, denkt Gabi, mit Todesdrohungen ist ihr nicht beizukommen. Aber es gibt immerhin etwas, das fürchten Teenager mehr als den Tod: scheiße aussehen. Die simple Warnung auf einer Verpackung «Rauchen lässt Ihre Haut altern» reicht da nicht aus. Wenn man es wirklich eindringlich haben möchte, muss man schon andere Geschütze auffahren.
Von Gabi (39), Angestellte, für ihre Tochter Leona (13)
Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Die meisten unserer geliebten Kurzen sind gnadenlose Sesselfurzer. In der Küche mal eben neue Batterien für die Playstation-Fernbedienung zu holen, ist ihnen schon zu viel Laufarbeit. Papa Markus kann das gut nachvollziehen, denn er war ja selbst mal so. Damals, bevor er Papa wurde. Jetzt wäre er eigentlich insgeheim gerne immer noch so, verbringt aber offiziell am liebsten mit Luzie und Florian ganz viel Zeit draußen «in der Natur» (weil dann die Wohnung schön aufgeräumt bleibt und weil er so nicht ständig das ungute Gefühl hat, seine Kinder würden irgendwie dicker aussehen als am Tag zuvor). Außerdem hat Flo eine handfeste Hausstauballergie, und da sind Spaziergänge an der frischen Luft immer eine gute Alternative zum Feucht-Durchwischen.
Das Problem ist nur: Luzie und Florian haben überhaupt gar keinen Bock auf «draußen», denn dafür geht es ihnen drinnen viel zu gut. Als ihre Mutter am Wochenende wieder mal verzweifelt um ein bisschen Ruhe bettelt, weil sie sich Arbeit aus dem Büro mit nach Hause nehmen musste, und die Kinder wieder mal wie in ornamentaler Absicht auf dem Sofa festgenagelt erscheinen und ein Medley der nervtötendsten Ritter-Rost-Songs hören, hat Markus plötzlich eine Idee, die wie eine helle Leuchtspur vor seinem geistigen Auge vorbeizieht.
Von Markus (43), Hausmann, für seine Kinder Luzie (10) und Florian (8)
«Hat jemand das seltsame Licht heute Nacht gegen 3 Uhr gesehen?», fragt Markus mit auffallender Hinterfotzigkeit. «Nö, da haben wir schon geschlafen», erwidern Flo und Luzie, denen die Hinterfotzigkeit ihres Vaters aufgrund noch nicht ausreichend geschulter Hinterfotzigkeitssensoren nicht auffällt. «So ein seltsam violett-wabernder Glimmer», fährt Markus unbeirrt fort, «hat mich aufgeweckt. Ich bin zum Fenster, und da kam dieser gleißende Feuerball aus dem Himmel, ganz unwirklich, seltsam pulsierend, und ging über dem kleinen Wäldchen beim Sportplatz nieder!» «Boaah, ein Ufo?», schreit Flo aufgeregt. Markus schüttelt den Kopf. «Garantiert ein Meteor. Ein Bruchstück eines Planeten aus dem Weltraum, größtenteils beim Eintritt in die Atmosphäre verglüht.» Seine Kinder starren ihn mit offenen Mündern an. Jetzt bloß keine Gewissensbisse bekommen und knallhart weiterlügen. «Wer weiß, aus was für einem bisher unbekannten Material der besteht. Vielleicht verleiht es ja Superkräfte. Aber auf jeden Fall ist so ein Fundstück, wenn man es denn findet, einen Riesenhaufen Geld wert.» «So viel, dass man dafür die neue Playstation kaufen kann?» Markus nickt versonnen mit geschürzten Lippen, um nicht laut loslachen zu müssen. «Hmm. Garantiert. Vielleicht sogar zwei!», erklärt er, sein Kinn kratzend.
Jedenfalls: Markus kommt mit dem Anziehen seines Outdoor-Outfits gar nicht hinterher. Den ganzen Tag wird mit glühenden Wangen das kleine Wäldchen durchstreift, leider vergebens, aber es gibt ja immer noch das nächste Wochenende. Und wer weiß: Wenn der Entdeckerdrang in drei bis vier Wochen langsam nachlässt, dann leiht sich Markus vielleicht einen ganz besonders exotisch anmutenden Quarzkristall aus Tante Jennys Steinesammlung und buddelt dafür sogar eigens im Wald einen kleinen Einschlagkrater. Belohnung muss sein, und wenn er sich das Fettgerüst so anschaut, das er gebaut hat, um seinen Sixpack zu stützen, dann muss er zugeben: Ein bisschen Schwitzen könnte ihm selbst auch mal wieder guttun.
«Mama, guck mal, die Frau trägt den Popo vorne!», ruft Lotte im Bus laut aus. Kerstins vierjährige Tochter zeigt auf eine Frau mit einem tief ausgeschnittenen Dekolleté. Gerade will Kerstin Lotte an die Hand nehmen und ihr erklären, dass sie nicht so herumbrüllen soll, vor allem nicht so peinlich, da reißt sich ihr achtjähriger Bruder Matteo los und tobt wild den Gang entlang. Kerstin schaut auf, ist eine Hundertstelsekunde unkonzentriert, und schon windet sich Lotte aus Kerstins Umarmung und saust hinterher. Dabei lärmen die Kinder so dermaßen, dass jeder im Bus sie sofort zum Fressen lieb hat. Durch Kerstins Bitten, Drohen, Flehen, Mahnen, freundliches Ersuchen und dann wieder schimpfendes Einschüchtern lassen sich die beiden bei ihrem Hooligan-Happening nicht irritieren.
Von Kerstin (43), Angestellte, für ihre Kinder Lotte (4) und Matteo (8)
Kerstin holt ihre zwei Kinder am langen Arm zurück, pflanzt sie neben sich und guckt so böse, wie sie nur kann. Das böse Gucken: ein Erziehungstrick, den man bei Müttern sehr häufig sieht, der bei Kindern sehr häufig nicht wirkt. Da erinnert sich Kerstin an die Süßigkeiten, die sie gerade für ihre Kinder im Kaufhaus holen musste. Kaum nimmt sie die Tüte mit Schokobonbons heraus, rufen Lotte und Matteo begeistert: «Au jaa, lecker!» Aber Kerstin nimmt die Tüte an sich und sagt mit ernstem Gesicht: «Jetzt muss ich mich erst mal bei den Leuten hier entschuldigen, weil ihr so laut gewesen seid.» Dann geht sie mit der Tüte Süßigkeiten in der Hand durch die Reihen, bietet jedem Fahrgast Bonbons an und entschuldigt sich für ihre lärmenden Kinder.
Die Menschen sind zunächst total baff, greifen aber dann belustigt in die Tüte. So etwas haben sie noch nie erlebt. Lotte und Matteo sitzen da und machen das, was sie ebenfalls besonders gut können: ein langes Gesicht. Auch sie haben so etwas noch nie erlebt. Als Kerstin zurückkommt, sagt sie zu ihnen: «Jedes Mal, wenn ihr hier wieder laut herumtobt, nehme ich eure Süßigkeiten, um mich bei den Menschen zu entschuldigen. Die Tüte ist fast leer, ihr könnt jetzt selbst entscheiden, ob ich weitermachen muss oder ihr jetzt ruhig sitzen bleibt.» Noch etwas, das Kinder gut können: Sitzen und Bonbons lutschen.
Dieser Trick ist Kerstin ganz spontan eingefallen. Da sieht man mal wieder: Mütterliche Intuition ist unschlagbar.
Nachtrag:
Es wird noch besser: Als die Kinder ein paar Wochen später im Restaurant herumtobten, drohte Kerstin, den Nachtisch der beiden zu verschenken. Weil die Kleinen die Situation im Bus noch gut in Erinnerung hatten, setzten sie sich prompt wieder auf die Stühle.
Dreck ist gesund! Zu viel Hygiene schadet dem Immunsystem. Was Forscher jetzt wissen, wussten Kinder schon immer. Darum machen sie Dreck, das ist ihre Kernkompetenz. Sie machen das professionell, schnell, gut und zuverlässig. Diese enorme Kompetenz wird seltsamerweise nicht so oft nachgefragt. Sonst würden wir häufiger Stellenanzeigen wie diese finden:
Diese Stelle hätte die fünfjährige Mala sofort bekommen. Sie ist ein echter Profi und hätte nicht nur einfach ihren Job gemacht. «Das ist nicht nur mein Beruf», hätte sie gesagt, «das ist meine Berufung. Ich bin die Antwort auf Deutschlands Fachkräftemangel.» Doch wie so oft haben Eltern mit ihren Kindern etwas anderes vor. Sie möchten sie, Forschungsergebnisse hin oder her, zur Sauberkeit erziehen. Und das kann hin und wieder sogar klappen.
Von Hildegard (40), Lehrerin, für ihre Tochter Mala (5)
Hildegard ist in Eile, gleich bekommt sie Besuch von ihren Freundinnen. Und termingenau versaut Mala den Wohnzimmerboden fachmännisch mit ihren Dreckspatzschuhen. Mala muss dazu noch nicht einmal vor die Tür. Kreativ, wie sie ist, schleift sie einfach ihre schwarzen Gummisohlen über den hellen Parkettboden. «Wie kann so etwas Kleines so schnell so viel Schmutz machen?», wundert sich Hildegard. Und weil sie gerade keinen Lappen zur Hand hat, zieht sie ihren Hausschuh aus und wischt mit dem Socken die Schuhstreifen weg. Mala schaut Hildegard mit leuchtenden Augen an, als habe diese ihr soeben den Schlüssel zu einem Spielzeugparadies gegeben: «Haha, ach dafür sind die Socken da?!» Hildegard möchte ihr gerade noch erklären, dass das Sockenputzen eine Ausnahmesituation ist, weil die Zeit nicht reicht, da hat Mala schon die Schuhe aus, sprintet putzteufelswild von einer Ecke des Wohnzimmers zur anderen und kichert wie ein kleiner Lachsack. Hildegard ist zwar froh über diesen ungewollten Trick, schüttelt aber wegen der plötzlichen Metamorphose ihrer Tochter vom Dreckspatz zum Putzteufel den Kopf: «Da versucht man alles Mögliche und dann, aus heiterem Himmel … seltsam.» Merke: Tue etwas Witziges oder Verbotenes und schon sind deine Kinder dabei! Überall macht Mala mit ihren Socken jetzt sauber. Vielleicht wird Hildegard sie demnächst auf 400-Euro-Basis einstellen. Aber wahrscheinlicher ist, dass Mala schwarz weiterarbeitet, wie alle Putzfrauen.
Nachtrag:
Als einige Wochen später beim Sonntagskaffee ein großes Stück Schwarzwälder Kirschtorte mit Sahne vom Teller auf den Boden platschte, zog Mala blitzschnell ihren Hausschuh aus und versuchte mit dem Socken den Kuchen wegzuwischen. Das Tortenstück verteilte sich im Socken, anschließend im Hausschuh und dann in der Wohnung. Und das zur Belustigung der anwesenden Freunde und Verwandten. Nur Hildegard hatte nicht ganz so viel Spaß und wird sich jetzt doch nach einer anderen Putzfrau umsehen.
«Ja sischer, meine Kinder essen nur Rohkost», sagt Frauke zu Carina, «die kochen doch die Schokolade nicht vorher.» Carina lacht sich kaputt. Frauke, ihre rheinländische Nachbarin, haut wie immer einen Spruch nach dem anderen raus: «Wenn isch zum Essen so oft nein jesacht hätt’ wie meine Kinder, würd’ isch jetzt nich’ achtzig Kilo wiegen. Aber weißte, im Grunde kannste die Blagen auch nur mit Spaghetti Bolognese mästen, das is ejal. Guck dir mein Mäxchen an, der wird trotzdem zwei Meter zehn und kann mir auf’n Kopp spucken. Und isch jlaub, das hat der auch schon mal jemacht, das kleine Dreckschippenjesicht.»
Immer wenn Frauke mit Carina so redet, erscheint Carina das Thema Kindererziehung total simpel. Frauke ist wie der Fels in der Brandung pädagogischer Verwirrungen und Unsicherheiten. «Et hätt noch emmer joot jejange», sagt Frauke, «ja wie denn sons’?» Dann gibt Frauke Carina noch einen aufmunternden Klaps auf den Po: «So, mach et joot, lecker Mädche, ich muss jetzt mein Männe in Arsch treten geh’n, damit der mir noch meinen Rasen mäht. Nisch das, was du meinst … im Garten!» Und mit lautem Gelächter ist sie weg.
Als Carina sich anschließend ans Kochen macht, fällt ihr ein Trick ein, wie sie ihre Kinder dazu bewegen könnte, endlich mal Reis zu essen. Ein nicht ganz legaler Trick, weswegen das Moralmännchen in ihrem Gewissen tobt: «Mach das nicht, Carina, das darf man nicht!» Das Männchen wird aber schnell beiseitegeschoben, als Carina Fraukes Satz wieder einfällt: «Die Blagen werden im Leben noch so oft beschissen. Es kommt nur darauf an, das man es beim Bescheißen gut mit ihnen meint, das is alles.» Mit Fraukes Satz im Ohr ist Carina zu allen Schandtaten bereit.
Von Carina (35), Tischlermeisterin, für ihre Kinder Lea (5) und Tom (3)
Carinas Kinder essen keinen Reis, obwohl sie ihn nie richtig probiert haben und auch gar nicht so genau wissen, was Reis eigentlich ist. Die beiden lehnen ihn mit dem für Kinder typischen, logisch aufgebauten und schwer widerlegbaren Argument ab: «Nee, will ich aber nich’!» Carina kocht trotzdem Reis. Aber statt Ernährungsargumente aufzuzählen, ruft Carina diesmal einfach: «Kinder, es gibt Mini-Mini-Nudeln!» Freudestrahlend kommen die beiden angelaufen, gucken auf den Reis mit Tomatensoße und Lea fragt: «Hä, das sieht aber ein bisschen aus wie Reis, oder?» Carina überlegt kurz, dann sagt sie: «Mini-Mini-Nudeln, das sind extrakleine Kindernudeln mit süßer Soße.» Und siehe da, die beiden hauen rein, als wenn der Reis morgen verboten würde.
Hat jemand bei diesem Trick Schaden genommen? Ja, Carinas Moralmännchen. Das meldet sich auch sofort wieder: «Das wird sich rächen, Carina, so eine Verarsche rächt sich immer.» So unangenehm und unsympathisch dieses Männchen manchmal auch ist, es sollte dieses Mal recht behalten.
Nachtrag:
In einer Kantine, zwei Wochen später. Carina holte in der einen Ecke der Kantine ein paar Tabletts, während sich Lea vor der Theke aufstellte. Lea deutete auf den Reis und sagte zum Koch hinter der Theke: «Ich will die Mini-Mini-Nudeln.» Der Mann verstand nicht und sagte: «Meinst du den Reis?» Lea: «Nein, ich mag keinen Reis, ich will die Mini-Mini-Nudeln da vorne.» Der Mann war etwas verwirrt, blieb aber freundlich: «Also den Reis, ja?» Lea wurde energischer: «Neiiin, die Mini-Mini-Nudeln!»
«Tut mir leid, wir haben aber heute gar keine Nudeln im Angebot.» Da rief Lea durch die ganze Kantine laut zu ihrer Mutter: «Mamaaaaa, der Mann lügt!» Dann hob sie drohend den Zeigefinger und sagte zu ihm: «Das darf man nicht!»
Ja ja, Frauke: Et hätt noch emmer joot jejange, ja wie denn sons’?
Draußen ist es kalt, Benedikt ist erkältet, Tina ist verzweifelt. Das ist die stetig wiederkehrende Situation, weil Tina es nicht schafft, ihrem Vierjährigen eine Mütze aufzusetzen. Sie zieht ihm die Mütze auf, er zieht eine Schnute und die Mütze wieder ab. Und das, obwohl Tina bereits ihre komplette Erziehungsliste abgearbeitet hat:
Erklären, warum es gut ist, die Mütze aufzusetzen: «Sonst bleibst du krank.»
Liebevolles Bitten, die Mütze aufzusetzen: «Bitteeee, Schätzcheeen.»
Böse gucken, wenn Benedikt die Mütze auf den Boden wirft.
Noch böser gucken, wenn Benedikt die Mütze wieder auf den Boden wirft.
Gaanz böse gucken, wenn Benedikt die Mütze wieder auf den Boden wirft.
Drohung: «Du setzt jetzt die Mütze auf, sonst gibt’s Ärger!»
Erpressung: «Dann gibt’s heute Abend keine Tomatennudeln.»
Lügen: «Der Leo setzt immer seine Mütze auf!»
Erschöpft um Mitleid betteln: «Ärger die Mama doch nicht, jetzt mach, bitte!»
Schimpfen: «Verdammt noch mal, aufsetzen! Womit hab ich das verdient?»
Irgendwie hat diese Liste einen Haken, denkt Tina. Hilfesuchend schaut sie sich in ihrer Wohnung um. Da fällt ihr Blick auf eine übergroße Geburtstagskarte. Sie erinnert sich, dass diese Geburtstagskarte beim Öffnen eine Melodie gespielt hat. Vorn auf der Karte ist Albert Einstein abgebildet, der ihr seine prominente Zunge entgegenstreckt und in einer Sprechblase sagt: «Du bist relativ alt.» Besonders witzig fand sie diese Karte damals nicht. Aber Einstein hat auch noch etwas anderes gesagt: «Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt.» Tina denkt über diesen Satz nach und reißt kurzerhand die Geburtstagskarte auf.
Von Tina (38), Medizinische Assistentin, für ihren Sohn Benedikt (4)
Tina entfernt den eingeklebten Musikchip aus dem Karteninneren und schnappt sich Benedikts russische Wintermütze. Den Musikchip steckt sie genau so, wie er vorher in der aufklappbaren Karte klebte, in den umgeklappten Rand der Mütze. Zieht sie jetzt den Rand oben auseinander, spielt der Chip «Trallalala, Trallala, wie schön, dass du Geburtstag hast, Trallala, Trallalala, Trallalalala.» Tina marschiert euphorisch zu ihrem Sohn zurück: «Ich habe ganz vergessen, was diese Mütze kann, Beni. Wenn du die lange genug trägst, dann macht die Mütze Musik. Aber das geht nur draußen.» Benedikt schaut skeptisch, aber auch sehr neugierig. Eine Mütze voll Musik? Eine Mütze voll Schlaf, davon hat er schon gehört, aber Musik? Das muss er sich doch mal angucken.
Als sie draußen sind, setzt er die Mütze auf und konzentriert sich so stark auf die Töne, die ihm versprochen wurden, dass er dabei die Luft anhält. «Du kannst ruhig atmen, Beni», lächelt Tina, «das wird so laut, das hörst du auf jeden Fall.» Als es ihm zu lang dauert und Benedikt gerade wieder seine Schnute ziehen will, fasst Tina beiläufig hinten an die Mütze und klappt den Rand um. «Trallalala, Trallala, wie schön, dass du Geburtstag hast, Trallala, Trallalala, Trallalalala», tönt die Mütze. «Ich habe Geburtstag, jaaaa, Geschenke!», ruft Benedikt begeistert.
Benedikt hat die Mütze aufgelassen, und Tina konnte mit ihm endlich wieder an die frische Luft. Aber leider hat auch dieser Erziehungstrick einen Haken: Tina hat eine halbe Stunde gebraucht, um Benedikt zu erklären, dass er keine Geschenke bekommt. Aber wie würde Einstein sagen? Das ist relativ kurz, im Vergleich zu Tinas Alter.
Wie soll man es politisch korrekt ausdrücken? Hannes ist «umfangtechnisch herausgefordert». Er leidet an «hyperaktiven Drüsen». Er ist «genetisch mit schweren Knochen vorbelastet». Ja, genau, er ist eine fette Sau. So zumindest bezeichnet es Hannes selbst, was seine Eltern Josef und Karla ziemlich schmerzt, wünschen sie sich doch, wie alle Eltern, dass ihr Nachwuchs glücklich oder zumindest mit sich selbst im Reinen ist. Außerdem ist er gerade mal etwas pummelig, aber keineswegs fett. Und natürlich lieben sie ihn auch, wenn er das Konzept Babyspeck mit in seine Teens transportiert, aber jetzt sollten doch langsam mal ein paar Kilo runter, schon der Gesundheit zuliebe, zumindest, bis die medizinische Wissenschaft endlich feststellt, dass ein hoher Körperfettanteil eigentlich eine gute Sache ist.
Von Josef (52), leitender Angestellter, für seinen Sohn Hannes (15)
Wichtig zum Gelingen dieses Tricks ist, dass Hannes mittlerweile in der Pubertät ist. Gerade in dieser sowieso schon schwierigen Phase hadert Hannes mit seinem Körperumfang natürlich ganz besonders. Allerdings hat er sich auch etwas defätistisch in sein verfettetes Schicksal gefügt, denn alle kennen ihn ja nur als den pummeligen Hannes. Deswegen spaziert Josef eines Tages mit einem Foto und einem Brief in das Zimmer seines Käsecracker mümmelnden Sprosses. «Guck mal, H-Man!», sagt Josef und hält Hannes das Foto der hübschesten und stupsnasigsten Brünetten hin, die Hannes je gesehen hat. «Da Mama ja auch bald wieder im Job ist, haben wir in einer Agentur ein französisches Au-pair für ein Jahr besorgt. Das ist Veronique. Die reist in drei Monaten aus Paris an und wird dann bei uns wohnen. Ist nur zwei Jahre älter als du.» «Aha», sagt Hannes, denkt aber «Hawooooooooooooo!», wie der Wolf in den alten Bugs-Bunny-Cartoons. «Erstaunlicherweise» beginnt Hannes direkt am nächsten Tag mit einem strikten Diät- und Fitnessprogramm (plus Internetrecherche einiger gebräuchlicher Französisch-Vokabeln), damit er im Sommer eine Chance auf die große Liebe seines Lebens hat. Laut Josef hat der Trick auch gut funktioniert.
Nachtrag:
Was Josef uns aber nicht verraten wollte, war, ob diese Veronique im Sommer tatsächlich angereist ist oder ob es sich bei ihr nur um ein Phantom handelt, das Josef erfunden hat, um Hannes zum Abnehmen zu motivieren. Wahrscheinlich hängt die endgültige Ausführung dieses Tricks einfach davon ab, ob man nur basisgemein oder sehr extrem sonderfies ist.
Überall lesen wir die These: «Computer-Ballerspiele sind ungesund.» Stimmt das? Oder ergeben wir uns da vielleicht vorschnell einer Armee von übervorsichtigen Pädagogen?
Getötete bei einem zweistündigen PC-Ballerspiel
Quelle: Experte
Diese streng wissenschaftliche Graphik zeigt es überdeutlich: Computer-Ballerspiele haben gefährliche Folgen und sind ungesund. Und zwar nicht nur für die digitalen Soldaten, sondern auch für die realen Eltern. Die alte pädagogische Redensart «Du tötest mir den letzten Nerv» trifft voll ins Schwarze. Werner, der Vater des vierzehnjährigen Adrian, versteigt sich aber noch zu einer anderen, für Jugendliche unfassbaren These: Er glaubt tatsächlich, Ballerspiele seien nicht nur für die Eltern ungesund, sondern auch für die Spieler. Und darum versucht er alles, um seinen Sohn davon abzubringen. Schließlich ist Werner Psychologe, dem Gelingen steht also fachlich nichts im Weg, außer vielleicht sein eigener Sohn, der gerade mal wieder in seinem Zimmer am PC Menschen killt.
Von Werner (55), Psychologe, für seinen Sohn Adrian (14)
Werner: «Adrian, wusstest du das? Die Seelen von allen Menschen, die du in deinen Ballerspielen tötest, werden dich nachts besuchen, wenn du schläfst. Und dann kriechen sie in deinen Kopf und suchen nach ihren digitalen Leben.»
Adrian: «Da könn’ sie lange suchen.»
Werner: «Weißt du, du sollst dir Gedanken machen, ob das gut für deine Psyche ist. Das Volk der Yali auf Papua-Neuguinea glaubt zum Beispiel, dass man auch für die Toten verantwortlich ist, die man in seinen Träumen tötet. Und in gewisser Weise ist das digitale Töten damit vergleichbar.»
Adrian: «Papa, was is’? Ich kann mich nicht konzentrier’n. Nachher geh ich noch drauf hier.»
Werner wird klar, wie groß der Unterschied zwischen Adrian und dessen achtjährigem Bruder David ist. Dem Kleinen konnte er gerade eben noch in einfachen Sätzen deutlich machen, dass es nicht in Ordnung ist, seinen Klassenkameraden Juckpulver ins Hemd zu stopfen, und hat es ihm nach einer kurzen Standpauke abgenommen. Adrian hingegen jucken solche erzieherischen Ansagen überhaupt nicht mehr. «Heureka!», ruft Werner da in Gedanken laut aus, «ich hab’s!» Er sammelt sich, geht einen Schritt auf Adrian zu, klopft ihm freundschaftlich auf die Schulter und sagt: «Gut, Adrian, wenn du dich meinen Argumenten verschließt, kommen wir da im Moment nicht weiter, vielleicht ein anderes Mal.» Und mit einer liebevollen Geste verteilt Werner das Juckpulver, das er unauffällig aus seiner Hosentasche gezogen hat, auf Adrians Nacken und lässt es von oben in dessen T-Shirt rieseln, während er ihm mit der anderen Hand durchs Haar wuschelt, um Adrians Gefühlssinn abzulenken.
«Jaja, jaja, okay», würgt Adrian das Gespräch hektisch ab, ohne den Kopf vom Bildschirm abzuwenden. Werner verlässt Adrians Zimmer, wartet im Wohnzimmer auf das Ergebnis seines Experimentes und blättert unschuldig in einem Magazin.
«Ey, was das? Ey, nee, irgendwas juckt hier wie Sau», hört er schon nach kurzer Zeit Adrian fluchen, der an ihm vorbei ins Badezimmer sprintet.
Da fasst Werner einen Entschluss. Er erinnert sich an den Pawlow’schen Hund und an die klassische Konditionierung.[1] Jedes Mal, wenn Adrian von nun an vorm PC sitzt, wird Werner etwas Juckpulver auf ihm verteilen. Und das macht er so lange, bis Adrian PC-Ballerspiele und nerviges Jucken in seinem Gehirn zusammengeführt hat.
Der Daumen hat in unserer Gesellschaft schon immer eine große Rolle gespielt. Im alten Rom wurde mit dem Daumen des Kaisers das Todesurteil oder die Begnadigung der Kämpfer besiegelt, in den Siebzigern konnte man mit ihm von Holland bis nach Spanien trampen, und heute ist der Facebook-Daumen in aller Munde. Im Mund eines Kindes aber ertragen wir ihn irgendwann nicht mehr. So geht es auch Larissa, die ihrem fünfjährigen Sohn Simon das Daumenlutschen zur Einschulung abgewöhnen möchte.
Von Larissa (40), Angestellte, für ihren Sohn Simon (5)