Schönheit - Anselm Grün - E-Book

Schönheit E-Book

Anselm Grün

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Beschreibung

Anselm Grün entwickelt in seinem Buch eine neue Spiritualität der Schönheit, die ein Ausdruck von Lebensfreude ist. Er zeigt Wege, die Schönheit der Welt achtsam wahrzunehmen und im Schönen Trost und Heilung zu erfahren. Die Beschäftigung mit dem Schönen ermöglicht es, sich selbst anzunehmen. In der Natur, in der Kunst oder auch in der Begegnung mit anderen können wir die Kraft des Schönen entdecken und uns an ihr erfreuen. Mit sieben Haltungen bringt uns Anselm Grün in Berührung mit den heilenden Kräften der Schönheit.

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Anselm Grün

Schönheit

Eine neue Spiritualität der Lebensfreude

Vier-Türme-Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die Bibelzitate wurden mit freundlicher Genehmigung entnommen aus:

Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift 

© Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2014

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Dr. Ulrike Strerath-Bolz

Umschlaggestaltung: Thomas Uhlig, www.coverdesign.net

Umschlagfoto: ZenShui by PhotoAlto, Odilon Dimier/f1online.de

ISBN 978-3-89680-871-4 (print)

ISBN 978-3-89680-975-9 (epub)

www.vier-tuerme-verlag.de

Inhaltsverzeichnis
Titel
Einleitung
Das Schöne bei Dostojewski
Zwischen Sein und Empfindung: Platon oder Kant?
Die Schönheit Jesu im Lukasevangelium
Die paradoxe Schönheit des Kreuzes im Johannesevangelium
Die Schönheit der Schöpfung
Die Schönheit der Sprache
Die Schönheit der Musik
Die Schönheit der darstellenden Kunst
Die Schönheit der Liturgie
Die Schönheit des Leibes
Das Leben ist schön
Auf dem Weg zu einer Spiritualität der Schönheit
Sieben Haltungen einer Spiritualität der Schönheit
1. Haltung und Übung: Schauen
2. Haltung und Übung: Genießen
3. Haltung und Übung: Dankbar empfangen
4. Haltung und Übung: Sich von der Schönheit heilen lassen
5. Haltung und Übung: Die eigene Schönheit entdecken
6. Haltung und Übung: Kontemplation und Einswerden mit dem Schönen
7. Haltung und Übung: Die Welt und das Leben schön gestalten
Einige Gedanken zum Schluss
Quellen und Hinweise zum Weiterlesen

Einleitung

Zwei Aspekte haben meine Spiritualität bisher geprägt: Da war einmal der Aspekt, dass Gottesbegegnung immer auch Selbstbegegnung voraussetzt. Oft habe ich – in der Nachfolge der frühen Mönche – darüber geschrieben, wie man die eigenen Gefühle, Gedanken, Leidenschaften und Emotionen beobachtet und sie im Gebet Gott hinhält, damit sie verwandelt werden.

Der andere Aspekt war die therapeutische Dimension der Spiritualität. Jesus hat seine Jünger ausgesandt, um Kranke zu heilen und Dämonen auszutreiben. So habe ich die heilende Kraft biblischer Texte, kirchlicher Rituale und spiritueller Übungen meditiert und beschrieben. Mir war es wichtig, dass in meinen Büchern etwas von dieser heilenden Kraft Jesu spürbar wird.

Über das Thema Schönheit habe ich noch nie geschrieben. Vielleicht wundern sich Leserinnen und Leser darüber, dass ich mich nun mit diesem Thema beschäftige. Zunächst war die Beschäftigung eher zufällig. Ich sollte eine Fastenpredigt halten mit dem Thema »Schönheit und der Charme des Glaubens«. Bei der Vorbereitung dieser Predigt ist mir aufgegangen, wie heilsam dieses Thema für mich selbst ist und wie sehr es meine Spiritualität bereichert. Denn wenn ich über Schönheit nachdenke und Schönes bestaune, so entspricht das der kontemplativen und mystischen Spiritualität. Ich schaue das an, was ist. Ich lasse mich berühren von dem Schönen, das mir in der Natur, in der Kunst und im Menschen begegnet. Ich empfange das Schöne, das mir vorgegeben ist. Und in diesem Schönen erahne ich die Urschönheit Gottes, von der die Mystiker schreiben.

Es ist also eine Spiritualität, in der die Gnade im Mittelpunkt steht und nicht das eigene Tun. Ich nehme das Schöne wahr, und ich spüre, wie es mir guttut, wie heilend es auf mich wirkt. Die Beschäftigung mit dem Schönen entspricht also auch meiner therapeutischen Spiritualität. Das Schöne, das ich bestaune, von dem ich mich ergreifen lasse, bringt mich in Berührung mit meiner eigenen Schönheit, mit der Schönheit auf dem Grund meiner Seele.

Aber das Schöne bringt noch einen anderen Zug in meine Spiritualität. Es ist eine empfangende Spiritualität und eine optimistische Spiritualität. Sie klingt nicht nach Arbeit wie etwa die asketische Spiritualität. Sie lässt sich vom Schönen überraschen. Allerdings verlangt auch diese Spiritualität unser Tun. Denn es braucht Achtsamkeit, um das Schöne wahrzunehmen. Und es bedarf unserer Ehrfurcht. Ohne Ehrfurcht verbirgt sich das Schöne vor unseren Blicken. Die Spiritualität der Schönheit ersetzt auch nicht die anderen Formen der Spiritualität. Aber sie ergänzt sie und gibt ihnen einen Geschmack von Freude und Liebe. Denn wie Thomas von Aquin sagt:

Pulchra sunt quae visa placent. Schön ist das, was als Erschautes gefällt.

Das Schöne gefällt, erfreut. Und das Schöne ruft Liebe hervor. Aber das Schöne ist nicht ein moralischer Appell, dass wir einander lieben sollen. Es weckt vielmehr die zweckfreie, noch nicht auf irgendein »Objekt« gerichtete Liebe in uns. Im Schönen – so lesen wir bei Simone Weil – begegnet uns das zärtliche Lächeln Jesu.

Aber wir bestaunen und bewundern nicht nur das Schöne, das uns von außen begegnet und in dem uns letztlich Gottes Urschönheit anlächelt. Wir können auch Schönes herstellen. Wir können den Tisch schön decken, das Zimmer für unsere Gespräche schön herrichten, uns schön anziehen und im Handwerk oder in der Kunst schöne Dinge schaffen. Wir können das Leben schöner machen. Wir begegnen nicht nur der schönen Schöpfung. Wir sind auch selbst Schöpfer des Schönen. Wir können diese Welt schön machen, in ihr eine Spur der Schönheit eingraben. Und damit können wir einen wesentlichen Beitrag leisten zur Humanisierung der Welt, aber auch zur gesundheitlichen Vorsorge für die Menschen. Denn das Schöne bringt den Menschen in Berührung mit dem Heilen und Schönen in seiner Seele. Das Schöne ist heilsam für unsere Seele.

Bei dieser Beschäftigung mit dem Schönen hat mich ein Wort von Dostojewski besonders berührt:

SchönheitwirddieWeltretten.

Dieses Wort ist mir begegnet in einem Buch über Dostojewski, das die litauische Autorin Zenta Maurina vor dem Zweiten Weltkrieg verfasst hat. Darin hat sie ein eigenes Kapitel über die Schönheit bei Dostojewski geschrieben. Dieses Wort hat mich bei der Lektüre vieler Bücher, aber auch im eigenen Suchen nach dem Sinn und der spirituellen Bedeutung der Schönheit begleitet. Ich habe mich immer wieder gefragt, wie das Schöne auf mich wirkt, was es mit meiner Seele und mit meinem Leib macht. Und ich habe festgestellt, dass das Schöne wie ein Zufluchtsort der Seele ist, an dem sie mitten in den Turbulenzen dieses Lebens ausruhen kann.

Wenn ich über das Schöne schreibe, dann möchte ich nicht in Ästhetizismus flüchten. Ich möchte das Schöne mitten in der Realität dieser Welt anschauen. Für mich ist die Hinwendung zum Schönen eine Rückgewinnung des Trostes in unserer irdischen Existenz mit all den Bedrohungen und Gefährdungen, denen wir ausgesetzt sind. Gerade wenn ich mich ganz der Arbeit an dieser Welt verschreibe, brauche ich das Schöne als Zufluchtsort der Seele und als Trost mitten in all der Trostlosigkeit, der ich in den Gesprächen mit Menschen manchmal begegne.

Beim Schreiben dieses Buches war ich immer offen für alles, was mir an Schönem begegnete, aber auch für das, was andere Autoren über das Schöne geschrieben haben. Dabei habe ich festgestellt, dass ich selbst dieses Thema bisher vernachlässigt habe. Auch in der christlichen Spiritualität steht dieses Thema nicht im Mittelpunkt. Es gibt zwar einige Theologen, die darüber geschrieben haben, etwa Hans Urs von Balthasar in seinem großen Werk Herrlichkeit. Aber seine Sprache vermag nicht die vielen suchenden Menschen für das Schöne zu begeistern. Es ist eine theologische Sprache, die nur gebildete Theologen letztlich verstehen. Karl Rahner, über den ich promoviert habe und den ich als Theologen sehr schätze, hat nichts über die Schönheit geschrieben. Das Thema war außerhalb seines Horizontes, so wie es lange auch außerhalb meines eigenen Denkens war. Es gibt einige evangelische Theologen, die über das Schöne geschrieben haben: Rudolf Bohren, Karl Barth und Matthias Zeindler. Aber in ihren Schriften vermisse ich die optimistische Sicht, mit der etwa die Philosophen der Antike und die Theologen des Mittelalters auf das Schöne blickten. Die evangelischen Theologen sind sehr stark auf die Schuld fixiert, die unsere Beziehung zum Schönen verfälscht.

Wenn ich mich mit einem Thema beschäftige, bin ich immer sensibel, wenn das Thema im Gespräch aufscheint oder wenn ich in Zeitungen oder Zeitschriften etwas dazu lese. Sobald ich auf die Frage, worüber ich gerade schreibe, antwortete, es ginge um die Schönheit, ergab sich immer ein lebhaftes Gespräch. Und ich spürte, dass es ein Thema ist, das viele bewegt, und zwar auf unterschiedlicher Ebene. Für manche, die sonst eher Probleme mit der Kirche oder mit dem christlichen Glauben haben, ist das Schöne der Ort, an dem sie Gott erfahren oder zumindest offen sind für die Spur, die Gott in die Welt eingegraben hat. So ist das Schöne heute in unserer säkularisierten Welt der Ort, an dem wir uns über Glauben und Unglauben unterhalten können. Für viele kann es ein weltlicher Zugang zur Spiritualität sein. Andere haben sich schon theologisch und philosophisch mit dem Thema auseinandergesetzt. Ich war erstaunt, wie viele sich mit diesem Thema schon gedanklich beschäftigt haben. Wieder andere bewegt das Thema Schönheit in Bezug auf das eigene Aussehen. Und sie erzählen mir, welche Erfahrungen sie in ihrem Bekanntenkreis mit dem Streben nach Schönheit gemacht haben, wie die Sehnsucht nach Schönheit da oft zu krankhaften Verhaltensweisen führt.

Bei meiner Suche fand ich im Magazin der Barmer Ersatzkasse einen Artikel mit dem Thema »Was ist schön?«. Da geht es einmal um die Sehnsucht der Menschen, schön zu sein, und um die verschiedenen Schönheitsideale. Vor allem aber geht es um das Thema, das die Krankenkasse interessiert: die zahlreichen Schönheitsoperationen, zu denen die Sehnsucht nach Schönheit heute viele drängt.

Viele Menschen sind heute der Meinung, Schönheit sei machbar. Männer und Frauen wollen einem ganz bestimmten Schönheitsideal entsprechen. Ärzte und Psychologen stellen fest, dass heute immer mehr Menschen unzufrieden sind mit ihrem Körper. Der Grund ist, dass Medien und natürlich auch Kosmetikfirmen und die Schönheitschirurgie das Schönheitsideal so eng fassen,

dasskaumjemandvonNaturausoptischoptimalundformvollendethineinpasst.

BEK 3/2012, 28

Viele meinen, die äußere Erscheinung entscheide über Erfolg im Beruf und bei der Partnersuche, über Anerkennung in der Gesellschaft. Und so gehen viele Männer und Frauen aggressiv mit ihrem Körper um, ohne dass sie die Risiken einer Schönheitsoperation bedenken. Und viele sind nach der Operation unzufrieden, weil das Ergebnis doch nicht so ist, wie sie es erwartet haben.

Das gilt vor allem für Eingriffe im Gesicht. Das Gesicht wird durch eine Operation oft maskenhaft starr. Und so ein starres Gesicht wird vom sozialen Umfeld nicht als attraktiv wahrgenommen. Das schöne Gesicht lebt, es zeigt Emotionen, Reaktionen und Stimmungen. Und so erreichen Schönheitsoperationen oft gerade das Gegenteil von dem, was erwartet wurde. Sie führen nicht zu mehr Annahme, sondern zu Ablehnung. Eine fast tragische Situation.

Der Artikel im Gesundheitsmagazin der Krankenkasse zeigt, wie stark heute die Sehnsucht nach Schönheit ist. Aber zugleich wird darin sichtbar, dass man Schönheit allzu sehr mit äußerem Aussehen verbindet, mit klaren Maßstäben, wie ein schöner Körper auszusehen hat. Schönheit ist jedoch mehr als die äußere Erscheinung. Ein Körper ist schön, wenn sich eine schöne Seele darin ausdrückt. Und letztlich ist ein Mensch schön, wenn er sich liebevoll anschaut. Denn das Wort »schön« hängt auch mit dem Wort »schauen« zusammen. Schönheit hat immer auch mit Liebe zu tun. Nur wer sich selbst liebevoll anschaut, ist schön. Wer sich selbst hasst, ist hässlich.

Das gilt auch für die Beziehung zu anderen: Wer andere hasst, macht sie hässlich und wird selbst dabei hässlich. Und wer andere liebevoll anschaut, der entdeckt ihre Schönheit. Die Schönheit ist im anderen. Aber sie braucht auch eine Bereitschaft von unserer Seite, diese Schönheit wahrzunehmen. Und die eigentliche Bedingung, um Schönheit im anderen wahrzunehmen, ist die Liebe, der liebevolle Blick auf ihn.

In diesem Buch möchte ich Sie, liebe Leserin, lieber Leser, mitnehmen auf meine eigene Entdeckungsreise. Und ich wünsche Ihnen, dass Sie das Schöne, das Sie ja immer schon wahrnehmen und dem Sie immer schon begegnet sind, noch bewusster wahrnehmen. Ich wünsche Ihnen, dass die Beschäftigung mit dem Schönen für Sie ein spiritueller Weg wird. Denn im Schönen begegnen wir letztlich der Schönheit Gottes. Im Schönen spricht uns Gott an, der nach Vollendung seiner Schöpfung gesagt hat:

Eswarallessehrschön.

Genesis 1,31

Oft wird dieses Wort so übersetzt: »Es war alles sehr gut.« Doch das hebräische Wort »tob« kann auch »schön« bedeuten. Und die Griechen haben es mit »kalos« (schön) übersetzt. So wünsche ich Ihnen, dass Sie sich im Schönen von Gott selbst berühren lassen. Im Schönen berührt uns immer schon ein Gott, der Liebe ist. Aber Schönheit kann auch erschrecken. Es ist ein Gott, der uns erschüttert, der uns durch das Schöne bis ins Mark trifft und aufbricht für etwas, das größer ist als wir, das uns über uns hinausführt. So ist das Schöne ein Ort der Gotteserfahrung, aber zugleich ein Ort der Ermutigung zum Leben, ein Ort des Trostes und der Heilung unserer Wunden.

Das Schöne bei Dostojewski

Bei meiner Beschäftigung mit dem Thema der Schönheit hat mich vor allem das Wort des russischen Dichters Dostojewski berührt: »Schönheit wird die Welt retten.« So möchte ich mich in diesem ersten Kapitel bewusst mit Dostojewski und seiner Sicht des Schönen beschäftigen. Von Dostojewski wird erzählt, dass er einmal im Jahr nach Dresden reiste, um vor dem Bild der Sixtinischen Madonna zu verweilen. Auf die Frage, warum er das tue, sagte der Dichter:

IchmusswenigstenseinmalimJahrzueinemMenschenaufschauenkönnen, umnichtanmirselbstundananderenMenschenzuverzweifeln.

Die Madonna anzuschauen, die Rafael als schöne Frau gemalt hat, war für den Dichter heilsam. Die Schönheit Mariens in sich eindringen zu lassen war für ihn ein großes Bedürfnis. Denn die Beschäftigung mit der schönen Frau ermöglichte es ihm, sich selbst anzunehmen und nicht an seiner eigenen Brüchigkeit zu verzweifeln. Und das Schöne in Maria gab ihm Vertrauen auch in die Menschen.

Dostojewski ist in seinem Leben sehr vielen bösen und destruktiven Menschen begegnet, und er hat sie in seinen Romanen auch in ihrer Abgründigkeit und Verzweiflung beschrieben. Das Schöne in sich aufzunehmen verwandelt seinen Blick auf diese »bösen« Menschen. Er sah auch in ihnen noch das Schöne, das auf dem Grund ihrer Seele existierte. Durch das Schöne schöpfte er Hoffnung, dass auch diese Menschen sich vom Schönen berühren lassen und so das Böse in sich überwinden.

Das Thema der Schönheit erscheint bei Dostojewski vor allem in seinem Roman Der Idiot. Heinrich Böll nennt diesen Roman den besten Christusroman, den er kennt. In dem kranken Fürsten Myschkin erscheint etwas von der Reinheit und Schönheit Christi unter den Menschen. Das Tragische ist, dass diese innere Klarheit in unserer Zeit – so meint Dostojewski – gerade in der Gestalt eines kranken Menschen aufstrahlt. In diesem Roman erzählt der russische Dichter vom Gespräch zwischen dem Atheisten Hippolyt und dem Fürsten Myschkin. Hippolyt sagt zum Fürsten:

»HabenSiewirklicheinmalbehauptet, Fürst, dieWeltwürdedurchdieSchönheiterlöstwerden? Dochichmeine, erhatnurdeshalbsolcheleichtfertigenGedanken, weilerverliebtist. MeineHerrschaften«, wandteersichmitlauterStimmeanalle, »derFürstistverliebt. SchonbeiseinemKommenhabeichdasgesehen. WerdenSienichtrot, Fürst, Siewürdenmirleidtun. WelcheSchönheitwirddieWelterlösen? ... SindSieeineifrigerChrist?«

Der Idiot, II 70

Der Fürst antwortet auf diese Frage nicht. Der italienische Jesuit und Kardinal Carlo Maria Martini, der diese Stelle in seinem Buch Welche Schönheit rettet die Welt? anführt und meditiert, deutet das Schweigen so:

FasthatesdenAnschein, alswolleseinSchweigensagen: DieSchönheit, diedieWelterlöst, istdieLiebe, diedenSchmerzteilt.

Martini 10

Trotz des Spottes, der in den Worten Hippolyts liegt, rührt er an ein wichtiges Thema: einmal an die rettende, heilende und erlösende Wirkung der Schönheit und zum anderen an zwei Bedingungen, um an die heilende Wirkung der Schönheit zu glauben: an die Liebe und an das Christsein. Nur wer liebt, entdeckt im menschlichen Antlitz und in der Natur das Schöne. Und es braucht gerade die christliche Spiritualität, die ja an die Inkarnation Gottes glaubt.

Das Schöne ist eine Inkarnation Gottes. Da wird Gott sichtbar in der Materie, in der Welt. Die Fleischwerdung Gottes in Jesus Christus ist gleichsam der Höhepunkt der Inkarnation. Im Menschen Jesus – so sagt uns das Johannesevangelium – schauen wir die Herrlichkeit, die Schönheit Gottes. Sie wird sichtbar. Aber von Christus aus fällt auch das Licht der Schönheit auf alles Schöne, das wir in den Menschen und in der Natur schauen dürfen.

Mich hat dieses Wort »Schönheit wird die Welt erlösen. Schönheit wird die Welt retten« nicht mehr losgelassen. Ich habe Dostojewski von Neuem gelesen und Bücher über ihn, vor allem die von Romano Guardini und von Zenta Maurina. Und ich habe über die Schönheit nachgedacht, die die Welt retten soll. Schönheit, das ist für Dostojewski das Gegenteil von Nützlichkeit. Das Schöne ist einfach da. Wenn alles der Nützlichkeit unterworfen wird, dann wird der Mensch seiner Würde beraubt. Ohne Schönheit – so sagt Dostojewski – versinkt der Mensch in Schwermut. Und er versteht die erlösende Tat Jesu so, dass er die Schönheit in die Seelen der Menschen verpflanzt:

DaChristusinsichundinseinemWortdasIdealderSchönheittrug, beschlosser, esindieSeelenderMenschenzuverpflanzen, überzeugt, dassdieMenschenmitdiesemIdealinderSeeleuntereinanderBrüderwerden.

Maurina 281

Es ist interessant, dass hier überhaupt nicht von einer moralischen Forderung die Rede ist, die Nächsten zu lieben. Indem wir uns von Jesus den Sinn für das Schöne in unser Herz pflanzen lassen, werden wir alle Brüder und Schwestern. So wird unser Miteinander sich wandeln. Das Schöne weckt in uns die Liebe zu den Brüdern und Schwestern.

Ich mache manchmal bei Kursen die Übung, dass zwei Menschen sich gegenüberstehen. Der eine macht die Augen zu. Der andere schaut ihn an mit Augen des Glaubens, die nicht bewerten, nicht vereinnahmen, nicht beurteilen, sondern im anderen das Schöne sehen. Diese Übung macht die beiden, die sich abwechselnd unter dem Aspekt der Schönheit anschauen, wirklich zu Brüdern und Schwestern. Wenn ich auf das Schöne im anderen sehe, kommt er mir innerlich nahe.

Dostojewski zitiert bei seinen Ausführungen über das Schöne das Wort Jesu: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.« Und er folgert daraus:

GibtmanihnennurBrot, sowerdensievorLangeweiledieschlimmstenFeindewerden.

Maurina 281

Das, was die Menschen wahrhaft nährt und sie zu Menschen macht, ist das Schöne. Das Schöne ist für den russischen Dichter aber nie nur ein ästhetischer Begriff. Vielmehr schließt Schönheit immer auch das Gute mit ein. Es hat eine ethische und religiöse Dimension.

Als im Umfeld Dostojewskis eine Hebamme Selbstmord begeht, sieht er in einem Brief vom 10. Juni 1876 die Ursache darin, dass man ihr eine reine Nützlichkeit gepredigt habe. Dostojewski glaubt,

dieseFrauhättesichnachderSchönheitinderWeltundnachMenschengesehnt, siehättedanachgedürstet, eineEdeltatzuvollbringen.

Maurina 281

Doch man hat ihr diese Sichtweise ausgetrieben. Wenn es keinen Edelmut gibt, dann gibt es auch keinen Sinn zu leben. So schreibt Dostojewski:

DerSelbstmorddieserHebammeisteinBeweisfürdengeistigenUrsprungdesMenschen. NurvomBrotalleinkannmannichtleben, ohneSchönheitkannmannichtexistieren.

Maurina 282

Dostojewski will uns nicht in eine heile Welt des Schönen hineinführen. Er wusste um die Spannung zwischen unserer Sehnsucht nach Schönheit und der Zerrissenheit unseres Lebens, das wir oft gar nicht schön nennen können. Denn er lässt dieses Wort den kranken Fürsten Myschkin verkünden. Die Schönheit seiner Seele und seines Leibes verbirgt sich hinter einer Krankheit.

Schön sind für Dostojewski

nichtdieruhigen, ausgeglichenenGesichter, sondernjene, indenenGottundTeufelringenunddiegegensätzlichenUfersichberühren. SchönsindjeneMenschen, diesichinSehnsuchtnachdemGutenverzehren, selbstdann, wennsiederSündeanheimgefallensind. JeheftigerdieseSehnsuchtist, umsoschönerdasmenschlicheAntlitz.

Maurina 283

Das wird deutlich im Gesicht der Nastassja Philippowna, das den Fürsten so fasziniert. Er sieht die Schönheit in diesem Gesicht. Und zugleich erkennt er, dass sie unglaublich gelitten haben muss. Er erkennt darin ein stolzes Gesicht. Und der Fürst fragt sich:

Nurweißichnicht, obsieauchgutist. Ach, wennsieesdochwäre! Dannwäreallesgerettet!

Der Idiot, II 66

Dann schreibt Dostojewski von diesem Gesicht:

SeineblendendeSchönheitwarunerträglich, dieseSchönheitdesbleichenGesichtesmitdenfasteingefallenenWangenunddenbrennendenAugen. EineeigenartigeSchönheitwares. DerFürstkonntedenBlicknichtlosreißenvondiesemBild. Plötzlichjedochzuckteerzusammen, sahsichum, führtedannschnelldasBildandieLippenundküsstees.

Idiot, II 155f

Der Fürst küsst dieses Bild, weil er voller Mitleid ist mit der Zerrissenheit und dem Unglück dieser Frau. Die Schönheit zeigt ihm zugleich die Gefährdung dieser Frau. Von der Schönheit der Aglaja Iwanowna, einer anderen wichtigen Frau in diesem Roman, sagt der Fürst:

SiesindeineaußerordentlicheSchönheit ... Siesindsoschön, dassmanAngsthat, Sieanzusehen.

Und später:

EineSchönheitistschwerzubeurteilen. Ichhabemichnichtdaraufvorbereitet. SchönheitisteinRätsel.

Idiot, II 150

Guardini interpretiert diese Sätze so:

SchönheitistdieWeise, wiedasSeinfürdasHerzAngesichtgewinntundredendwird. InihrwirddasSeinliebesgewaltig, unddadurch, dassesHerzundBlutberührt, berührtesdenGeist. DarumistdieSchönheitsostark. Siethrontundherrscht, mühelosunderschütternd. NachdemaberdieSündedaist, hatsieMachtderVerführung. SiescheintzuübermächtigenwieimSpiel, weildasBilddesschönenSeinsunmittelbardasInnersteberührtundentzündet.

Guardini, Religiöse gestalten 280

So ist die Schönheit immer ambivalent. Sie erschüttert den Menschen, sie zieht ihn in ihren Bann. Manchmal ist es die Schönheit, die das Gute widerspiegelt. Aber es gibt auch die verführerische Schönheit, die Macht über uns gewinnt, uns aber nicht zum Guten führt, sondern in das Verderben. Die Schönheit ist und bleibt ein Rätsel. Und nur in diese Rätselhaftigkeit hinein kann man das Wort sprechen: »Schönheit wird die Welt retten.« Nur die Schönheit, die das Gute widerspiegelt, die rein und klar ist, vermag uns zu retten. Aber auch in der Schönheit des Stolzen und des Zerrissenen blitzt ein Funke der Hoffnung auf, dass dieser Mensch einen guten Kern hat, dass er gerettet werden kann.

Gerade diese Spannung zwischen Zerrissenheit und Schönheit, die mir bei Dostojewski begegnet, hat mich bewegt, etwas über die rettende und heilende Wirkung der Schönheit in einer oftmals unschönen Welt zu schreiben. Ich habe gespürt, da wird etwas Wesentliches über unsere christliche Spiritualität gesagt, das ich selbst noch kaum bedacht habe, über das ich auch in Büchern sehr wenig lese. Es ist eine heilende und heilsame Spiritualität, die frei ist von moralisierenden Tendenzen. Sie ist nicht fixiert auf das Böse und auf die Sünde, sondern auf die Grundtatsache einer schönen Schöpfung.

Die Schönheit der Schöpfung wahrzunehmen, wie sie uns in der Natur begegnet, vor einer schönen Blume einfach stehen zu bleiben – wie es der katholische Alttestamentler Fridolin Stier immer wieder getan hat –, das ist ein wesentlicher Aspekt christlicher Spiritualität. Schönheit tut uns gut. Die Schönheit Gottes leuchtet uns täglich in der Schöpfung auf. Daher ist die Schöpfung mit ihrer Schönheit ein wichtiges Heilmittel für die menschliche Seele. Aber der Kolosserbrief sagt uns, dass wir in der Schöpfung Jesus Christus und seiner Schönheit begegnen. Er ist

dasEbenbilddesunsichtbarenGottes, derErstgeborenederganzenSchöpfung.