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Die Spannungen zwischen Athen und Sparta, den beiden Großmächten Griechenlands im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr., führten schließlich zum Peloponnesischen Krieg (431-404), einem Wendepunkt der griechischen Geschichte. Raimund Schulz erläutert zunächst die außenpolitischen Voraussetzungen, die Athen die Herrschaft über das Meer einbrachten. Er beleuchtet dabei auch die inneren Entwicklungen in den beiden Stadtstaaten. In Athen entstanden die direkte Demokratie und ihre Kultur, in Sparta kam es zur weiteren Disziplinierung von Staat und Gesellschaft. Der Peloponnesische Krieg zog in seinem Verlauf die gesamte griechische Welt in seinen Bann. Entschieden wurde er durch das Eingreifen der Perser, die den Spartanern den Aufbau einer Kriegsflotte ermöglichtenf: Athen musste kapitulieren. Doch die eigentlichen Gewinner waren die Perser, die im "Königsfrieden" 386 v. Chr. ihren Einfluss sicherten.
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Seitenzahl: 412
Herausgegeben von
Kai Brodersen, Martin Kintzinger,
Uwe Puschner, Volker Reinhardt
Herausgeber für den Bereich Antike:Kai Brodersen
Berater für den Bereich Antike:Ernst Baltrusch, Peter Funke,Charlotte Schubert, Aloys Winterling
|III|Raimund Schulz
5. Auflage
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://www.dnb.de abrufbar
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5., durchgesehene und bibliografisch aktualisierte Auflage 2015© 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt1. Auflage 2003Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitgliederder WBG ermöglicht.Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim
Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-26678-4
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:eBook (PDF): 978-3-534-74097-0eBook (epub): 978-3-534-74098-7
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Innentitel
Inhaltsverzeichnis
Informationen zum Buch
Informationen zum Autor
Impressum
Geschichte kompakt
Vorwort
Vorwort zur 4. und 5. Auflage
I. Athens Aufstieg zur maritimen Großmacht
1. Athens Aufstieg zur maritimen Großmacht – „Sonderweg“ oder Konsequenz der gesamtgriechischen Entwicklung?
2. Der Hegemoniewechsel des Jahres 478/7
3. Der Seebund der Athener
a) Bündnismitglieder und Schwurformel
b) Materielle Verpflichtungen
c) Synhedrion und Strategen
d) Ziele des Seebundes
4. Die Offensive gegen die Perser und die Sicherung des Seebundes in der Kimonischen Ära
5. Der Sturz Kimons und die Reformen des Ephialtes
6. Athens vergeblicher Griff nach Mittelgriechenland und Ägypten (1. Peloponnesischer Krieg)
7. Das athenische Seereich in der Zeit des Perikles
a) Die Lehren des Krieges und die so genannte Friedenspolitik des Perikles
b) Die Verlegung der Bundeskasse und die Finanzverwaltung
c) Die Wiedereingliederung rebellierender Bündner
d) Der Ausbau der Herrschaft durch Generaldekrete
e) Die Einrichtung von Demokratien
f) Beamte und Gastfreunde (proxenoi)
g) Kleruchien und Kolonien
h) Die Flotte und das Konzept des mare clausum
8. Die so genannte Westpolitik des Perikles
II. Athen und Sparta in der Mitte des 5. Jahrhunderts
1. Demokratie, Wirtschaft und Kultur der Athener
a) Einführung
b) Der Wandel von Gesellschaft und Wirtschaft
c) Maritimer Machtaufstieg und Entwicklung zur Demokratie
d) Institutionen, Praxis und Ideale der Demokratie
e) Adel und innere Opposition gegen die Demokratie
f) Der Ausgleich zwischen Elite und Masse
g) Politische Gruppenbildung und politische Führung
h) Die Sophistik und das geistige Klima der Zeit
i) Geschichtsschreibung und politisches Denken
j) Feste und Bauten Athens
k) Demokratie und Tragödie
|VI|2. Verfassung und Kosmos der Spartaner
a) Einführung
b) Die Verfassung und ihre politischen Institutionen
c) Innenpolitische Machtverteilung und außenpolitischer Entscheidungsprozess
d) Die Entwicklung des spartanischen Kosmos
e) Die Heeresreform
f) Die Homoioi-Ideologie und die Verklärung der Vergangenheit
g) Sparta und der Peloponnesische Bund nach 464
3. Zusammenfassung: Athen und Sparta – Zwei Antworten auf die Herausforderungen der Zeit
III. Der Peloponnesische Krieg
1. Der Weg in den Krieg
a) Einführung
b) Die Konflikte um Kerkyra
c) Das megarische Psephisma
d) Die Ereignisse um Potideia
e) Die Diskussionen in Sparta und der Kriegsbeschluss
2. Die Ursachen des Krieges
a) Die These des Thukydides: Der Machtaufstieg der Athener und der (erzwungene) Präventivschlag der Spartaner
b) Sparta als Aggressor?
c) Athen als Aggressor – Die Rolle des Perikles
d) Die Rolle Korinths und der Bundesgenossen
e) Zusammenfassung
3. Der Archidamische Krieg
a) Kriegsziele, Strategien und Rüstungen
b) Die Seuche in Athen und der Aufstieg Kleons und Nikias’
c) Athens Erfolge im Westen
d) Spartas Gegenschlag im Norden: Die Thrakienexpedition des Brasidas
4. Der Friede des Nikias und der Ausbau der Herrschaft Athens über den Seebund
a) Der Friede des Nikias
b) Die Veränderung der Bündniskonstellationen und der Aufstieg des Alkibiades
c) Der Ausbau der athenischen Herrschaft und die Ideologie der Macht
d) Die Schrecken des Krieges und die Tragödien des Euripides
5. Athens Griff nach der Weltmacht: Die große Sizilische Expedition
a) Vorgeschichte und Diskussionen in der Volksversammlung
b) Motive, Ziele und Gründe der Sizilienexpedition
c) Kritik und Zweifel: Die Sizilienexpedition im Spiegel des Theaters – Der Hermenfrevel
d) Die Ereignisse in Sizilien und der Weg in die Katastrophe
e) Bilanz und Ausblick
|VII|6. Der Ionisch-Dekeleische Krieg und die Kapitulation Athens
a) Die Hauptmerkmale des letzten Kriegsabschnittes
b) Der oligarchische Umsturz von 411
c) Die Rückkehr des Alkibiades
d) Spartas Aufstieg zur Seemacht und die Niederlage Athens
IV. Griechenland und die Folgen des Krieges im 4. Jahrhundert
1. Sparta, Athen und die Rückkehr Persiens in den griechischen Raum
a) Das „offene“ Ende des Peloponnesischen Krieges
b) Spartas Aufgaben und Probleme
c) Die Wiedereinführung der Demokratie und die Verarbeitung der Niederlage in Athen
d) Das große Flottenbauprogramm der Perser
e) Der Korinthische Krieg (395–386) und die Rückkehr Athens aufs Meer
f) Der späte Triumph Persiens: Der Königsfrieden von 386
2. Die Veränderung der griechischen Welt nach dem Königsfrieden
a) Griechenland zwischen politischer Ohnmacht und geistigem Aufbruch
b) Bürgerkriege als Konsequenz des großen Krieges
c) Die militärische Revolution
d) Spartas Unfähigkeit zum strukturellen Wandel
e) Wirtschaft und Gesellschaft Athens
f) Der dritte Weg: Das Beispiel Korinth und Megara
g) Der Aufstieg der Randgebiete
3. Die außenpolitische Entwicklung in Griechenland bis zum Zusammenbruch der großen Bünde
a) Athens zweiter Seebund
b) Der Zusammenbruch der alten und neuen Bündnissysteme
V. Neue politische Ordnungskonzepte und die Antworten der Intellektuellen auf die Probleme der Zeit
1. Friedenssehnsucht nach dem Korinthischen Krieg?
2. Demokratie, Seeherrschaft und Machtpolitik
3. Die Idee des Allgemeinen Friedens (Koine Eirene)
4. Panhellenismus und Krieg gegen die Perser
5. Bundesstaatliche Zusammenschlüsse (Koina)
6. Der Aufstieg des monarchischen Prinzips
7. Das Festhalten an der Polis als idealer Form der Gemeinschaft
VI. Bilanz und Ausblick
Auswahlbibliographie
Personen- und Sachregister
In der Geschichte, wie auch sonst, dürfen Ursachen nicht postuliert werden,man muss sie suchen. (M. Bloch)
Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden.
Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen des Mittelalters und der Neuzeit verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen und europäischen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte.
Die Autorinnen und Autoren sind jüngere, in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissenstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden.
Kai Brodersen Martin KintzingerUwe Puschner Volker Reinhardt
Eine moderne Geschichte des so genannten klassischen Griechenland zu schreiben, war für mich ein lang gehegter Wunsch. Dass er in dieser Form verwirklicht wurde, verdanke ich Kai Brodersen, dem Herausgeber der Reihe.
Die historische Bedeutung des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. ist unbestritten; doch haben viele Phänomene in den letzten Jahrzehnten eine neue Interpretation erfahren. Zentral scheint die Einsicht, dass Sparta und Athen bei allen fundamentalen Unterschieden doch in vielen Bereichen auch strukturell vergleichbare Entwicklungen durchgemacht haben, die im 5. Jahrhundert kulminierten. Wie verhielt sich die Entwicklung von Gesellschaft und Verfassung beider Poleis angesichts der außenpolitischen Veränderungen nach dem Sieg über die Perser, wie wirkte umgekehrt die innere Entwicklung auf die Gestaltung der Außenpolitik zurück, und welche kulturell-geistigen Wandlungen vollzogen sich parallel und als Reaktion auf die politisch-militärischen Veränderungen – dies sind nur einige der wichtigsten Fragen, auf die das Buch Antworten geben will. Besonderen Nachdruck habe ich darauf gelegt, das 5. und 4. Jahrhundert als Einheit zu betrachten; beide Jahrhunderte sind viel zu eng aufeinander bezogen, als dass man scharfe Trennlinien ziehen könnte. Weiterhin schien es mir wichtig, dem Phänomen Krieg wieder den ihm gebührenden Platz bei der Interpretation der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenhänge einzuräumen. Er bildet ein entscheidendes Movens der griechischen Geschichte und es wäre zu wünschen, dass man sich ihm in der schulischen und der universitären Lehre wieder so unbefangen widmet, wie es in der französischen und anglo-amerikanischen Forschung ganz üblich ist.
Zu danken habe ich Werner Dahlheim und Klaus Meister, die große Teile des Manuskripts gelesen und mich durch Diskussion und Rat vor manchen Fehlern bewahrt haben.
Weiterhin danke ich dem Herausgeber Kai Brodersen, mit dem ich das Thema durchgesprochen habe, sowie Dr. Martina Erdmann und Nicole Strobel von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft für ihre sorgfältige lektorische Arbeit.
Berlin, im Frühjahr 2003
Raimund Schulz
Für die 4. Auflage wurden orthographische Versehen, sprachliche Unebenheiten sowie kleinere sachliche Ungenauigkeiten korrigiert. Ferner habe ich die Literaturliste aktualisiert. Insgesamt zieht zwar nach wie vor die Geschichte Athens und seiner Demokratie (sowie deren Rezeption) das Hauptinteresse der Forschung auf sich, erfreulicherweise gibt es aber inzwischen manche wertvolle Studien zu anderen Poleis des „Dritten Griechenland“ sowie zur Außenpolitik des 5. und 4. Jahrhunderts. Beklagenswert (und unverständlich) ist nach wie vor das relative Desinteresse deutscher Althistoriker an militärisch-strategischen Fragen, die so weithin eine Domäne der angloamerikanischen Wissenschaft und Publikationstätigkeit bleiben.
Bielefeld, im November 2010
Raimund Schulz
Auch in der 5. Auflage wurde der bewährte Aufbau des Textes beibehalten und nur dort korrigierend eingegriffen, wo neue Forschungen eine Modifikation von Einzelaussagen erforderten. Das betraf zumal bestimmte Aspekte des politischen Leben und der politischen Kultur der Athenischen Demokratie und der spartanischen Polis. In diesem Rahmen habe ich auch die Ergebnisse der besonders im deutschen Sprachbereich so intensiv betriebenen Studien zur Erinnerungskultur zu integrieren versucht, soweit es der zur Verfügung stehende Raum gestattete. Im Literaturverzeichnis wurden überholte Werke entfernt und einschlägige jüngere Arbeiten sowie Textausgaben und Kommentare ergänzt.
Bielefeld, im Frühjahr 2015
|XII|
Es sind nur die wichtigsten literarisch und inschriftlich belegten und erschlossenen Besatzungen und Kolonien/Kleruchien aufgeführt. Man erkennt deutlich einen engeren Kreis von Festungen um das Gebiet von Attika, dem sich ein weiter ausgedehnter Kreis von Kleruchien und Kolonien im Ägäisraum anschließt.
479
Seeschlacht bei Mykale
Konferenz des Hellenebundes in Samos
478/7
Hegemoniewechsel. Gründung des Delisch-Attischen Seebundes
467
Niederschlagung der Revolte von Naxos
466/5
Doppelschlacht am Eurymedon
465/4
Niederschlagung der Revolte von Thasos
464–462
Erdbeben und Helotenaufstand in Sparta
462–61
Reformen des Ephialtes. Ostrakisierung Kimons
462–61
Bündnisse Athens mit Argos, Thessalien und Megara
ca. 460
Baubeginn der „Langen Mauern“ in Athen
460–454
Expedition und Niederlage der Athener in Ägypten
457
Schlacht von Tanagra
456/5
Flottenfahrt („Periplus“) des Tolmides
454/3
Verlegung der Bundeskasse von Delos nach Athen
450
Sieg und Tod Kimons bei Salamis (Zypern)
449/8
„Kalliasfriede“
447/6
Schlacht bei Koroneia
446/5
Dreißigjähriger Friede zwischen Sparta und Athen
446/5
Volksbeschlüsse über Eretria und Chalkis
441–39
Samischer Krieg
448–445
Kleruchien Athens in Naxos, der thrakischen Chersonnes und Brea
444/3
Gründung von Thurioi in Unteritalien
ca. 435/4
Pontosexpedition des Perikles
Das spektakulärste Phänomen der griechischen Geschichte nach der Abwehr der Perser bildet der Aufstieg Athens zur maritimen Großmacht. Bis heute streitet die Forschung über die Frage, ob diese Entwicklung das Ergebnis eines von Beginn an ausgeprägten Machtwillens war, oder ob die Athener vornehmlich auf äußere Herausforderungen reagierten und ihr „Reich in der Form des Seebundes gleichsam geschenkt“ bekamen (A. Heuß). Die erste These wurde bereits von Thukydides, dem bedeutendsten Historiker der Antike, aus der Kenntnis der späteren Entwicklung vertreten und hat bis heute viele Anhänger gefunden: Thukydides hat die rund fünfzig Jahre von 479 bis zum Ausbruch des Peloponnesischen Krieges als eine zusammenhängende Epoche (Pentekontaetie = fünfzig Jahre) begriffen, die durch den unaufhaltsamen Machtaufstieg Athens und den sich hieraus ergebenden Antagonismus zu Sparta geprägt war. Athens Entwicklung zur Großmacht wird hierbei in die Nähe eines „Athener Sonderwegs“ gerückt, der unweigerlich in den Peloponnesischen Krieg führte.
Thukydides (ca. 460–396)Er war der bedeutendste Historiker der Antike und stammte aus Athen. Während des Peloponnesischen Krieges führte er eine athenische Expeditionstruppe und verfasste später eine unvollendete Geschichte des Peloponesischen Krieges, die im Jahre 411 abbricht. Von seinem Vorgänger Herodot setzte er sich ab, indem er mythische Vorstellungen verbannte und mit hohen methodischen Ansprüchen (vgl. Methodenkapitel 1,22) nach Ursachen, Triebkräften und Kausalzusammenhängen der Geschehnisse fragte. So wurde er zum Begründer der politischen Geschichtsschreibung.
Folgen der Perserkriege
Augenscheinlich haften dieser Erklärung viele (durchaus unsichere) Voraussetzungen und (häufig unausgesprochene) Zwangsläufigkeiten an, die gerade jüngere Gelehrte nicht mehr ohne weiteres gelten lassen wollen. Die Forschung tendiert denn auch dazu, Athen nicht mehr als ein isoliertes Sonderphänomen der griechischen Geschichte des 5. und 4. Jahrhunderts zu betrachten (bzw. zu glorifizieren oder zu verdammen), sondern den Aufstieg der Stadt stärker im Kontext der gesamtgriechischen Entwicklung zu begreifen. Tatsächlich wissen wir heute, dass der Sieg über die Perser nicht nur in Athen, sondern auch in anderen Poleis Griechenlands ungeahnte Energien in den verschiedensten Bereichen des menschlichen Lebens (Philosophie, Architektur, Kunst) freisetzte und ein neues Selbstbewusstsein entfalten ließ, das man vorher in dieser Form nicht gekannt hatte: So führten die Marinerüstungen und der erfolgreiche Seekrieg gegen die Perser zu einem Wirtschaftsboom zumal im Bereich des Saronischen Golfes und zu einer größeren Beteiligung des Volkes am politischen Geschäft, dem die territorial verhafteten Poleis der Peloponnes wenig entgegenzusetzen hatten. Athen konnte von dieser Entwicklung am meisten profitieren und hat seinen Weg zur maritimen Großmacht und zur Ausbildung der ersten direkten Demokratie der Weltgeschichte am konsequentesten beschritten. Dieses Phänomen verlangt nach Erklärungen: Es gilt dabei nicht nur zu prüfen, ob die Athener ihren Aufstieg zielgerichtet geplant haben, sondern wir müssen auch erläutern, welche Umstände und Bedingungen ihren Erfolg ermöglichten.
Sparta hatte im Jahre 481 den Oberbefehl über alle Truppen des Hellenenbundes (Hegemonie) gegen die Perser erhalten. Nach Herodot (8,3) gab es bereits zu diesem Zeitpunkt Stimmen, die Athen als stärkster Seemacht das Kommando über die Flotte übertragen wollten. Diese Stimmen trafen jedoch auf den Widerstand der Verbündeten, die nur einen Hegemon akzeptieren wollten. Die Athener mussten sich beugen, doch war abzusehen, dass sie bei günstiger Gelegenheit erneut ihre Ansprüche geltend machen würden.
HegemonieUnter Hegemonie verstand man im engeren (vertragsrechtlichen) Sinne die Führung des militärisch stärksten Staates innerhalb eines Kampfbundes (Symmachie), im weiteren Sinne die Vorherrschaft eines Staates.
|3|Nach der siegreichen Landschlacht bei Plataiai stießen Heer und Flotte des Hellenenbundes weit in die Ägäis vor und konnten im September 479 das Schiffslager der Perser bei Mykale an der Mündung des Mäander (gegenüber Samos) stürmen sowie den Großteil der gegnerischen Schiffe vernichten. Damit war eine unmittelbare Bedrohung des Mutterlandes gebannt und auch der Anstoß zum Abfall der kleinasiatischen Griechen („Ionier“) gegeben: Diese vertrieben ihre perserfreundlichen Stadtherren und baten aus Furcht vor einem persischem Gegenschlag um Aufnahme in den Hellenenbund.
Konferenz von Samos
Ihr Aufnahmeantrag wurde auf einer Konferenz der Bundesmitglieder in Samos beraten. Hier traten die gegensätzlichen Standpunkte Spartas und Athens offen zu Tage. Die Spartaner lehnten die Bitte der Ionier ab und forderten sie statt dessen auf, nach Griechenland überzusiedeln. Dies ersparte den Spartanern eine Truppenpräsenz im östlichen Teil der Ägäis und entsprach ihrer traditionellen Politik, sich auf ihre Machtposition in Griechenland zu konzentrieren. Für die Betroffenen dürfte der Vorschlag freilich inakzeptabel gewesen sein, denn wer will schon die gerade errungene Freiheit mit der Aufgabe der Heimat bezahlen? Sie fanden Unterstützung bei den Athenern, die fürchteten, ihren Einfluss auf die ionischen Griechen zu verlieren (s. Quellen). Sie sahen in deren Schutzbedürfnis einen geeigneten Ansatzpunkt für die Verwirklichung ihrer eigenen Ziele. Diese bestanden kaum ein Jahr nach der Verwüstung Athens durch die Perser in erster Linie darin, die für die Stadt so lebensnotwendige Getreidezufuhr aus der Schwarzmeerregion zu sichern und die Ägäis vor persischen Angriffen zu schützen (J. M. Balcer). Am Ende kam es zu einem Kompromiss. So erhielten zwar lediglich die Ägäisinseln Samos, Lesbos und Chios Aufnahme in den Hellenenbund, doch konnten die übrigen Poleis damit rechnen, dass sich Athen weiter für sie engagieren würde.
Einnahme von Sestos
Nach der Konferenz segelte die Flotte des Hellenenbundes an den Hellespont. Die Schiffbrücke der Perser war jedoch bereits zerstört und der Oberbefehlshaber Leotychidas kehrte nach Sparta zurück. Die Athener sowie die ionischen und hellespontischen Griechen begannen dagegen die Stadt Sestos gegenüber Abydos zu belagern. Mit der Einnahme der Stadt endet das Geschichtswerk Herodots; Thukydides beginnt an dieser Stelle einen Exkurs, in dem er den Machtzuwachs der Athener beschreibt. Tatsächlich war dies die erste militärische Aktion, die die Athener und ihre ionischen Freunde unabhängig von der Streitmacht des Hellenenbundes unternahmen und die nicht mehr nur der Abwehr einer persischen Bedrohung diente. Die Frage wurde drängender, wie sich dieses Vorgehen mit den Zielen des Hellenenbundes und der Hegemonie der Spartaner in Einklang bringen lassen würde.
Wie häufig in der Geschichte führte die Eigendynamik der außenpolitischen Ereignisse zu einer Klärung. Im Frühjahr 478 stach zum letzten Mal eine Flotte des Hellenbundes unter Führung des spartanischen Regenten Pausanias gen Zypern in See und konnte einen Großteil der Insel unter Kontrolle bringen. Danach kehrten die Griechen in die Ägäis zurück, stießen bis zum Bosporus vor und eroberten die Stadt Byzanz. Damit waren die letzten Einfallstore in die Ägäis in griechischer Hand. Sparta trat nun – wie zu erwarten – für die Beendigung, Athen für die Fortsetzung des Krieges |4|ein. Ein Kompromiss wurde nicht mehr erzielt. Im Winter 478/77 wechselte der Oberbefehl des Hellenenbundes von Pausanias auf Aristeides, den Feldherrn der Athener. Dieser schloss darauf mit den kleinasiatischen Griechen Verträge, die den Grundstock einer neuen Bündnisorganisation bildeten, den so genannten Delisch-Attischen Seebund (s.S. 6ff.).
Die Konferenz von Samos
(Herodot, Historien 9, 106)
(…) In Samos angekommen hielten die Hellenen Rat über die Räumung des ionischen Landes; sie erwogen, wo in Hellas, soweit man des Landes Herr sei, die Ionier angesiedelt werden könnten (…) Sie fanden es ganz unmöglich, dass die Hellenen Ionien dauernd unter ihrer Obhut halten sollten, und doch durfte man nicht hoffen, dass die Ionier ohne solchen Schaden sich ungestraft von Persien freimachen könnten. Da meinten denn die peloponnesischen Führer, man solle die Handel treibenden Hellenenstämme, die zu den Persern gehalten hatten, verjagen und ihr Land den Ioniern geben. Die Athener dagegen wollten nichts von einer Räumung Ioniens hören und nicht dulden, dass Peloponnesier über athenische Pflanzstädte befänden. Ihrem heftigen Widerstand gaben die Peloponnesier nach. So wurden die Samier, Chier, Lesbier und andere Inselbewohner, die sich dem hellenischen Heer anschlossen, in den hellenischen Bund aufgenommen.
(Diodor 11,37)
Leotychidas und Xanthippos segelten zurück nach Samos, machten die Ionier und Äoler zu Verbündeten und bemühten sich dann, sie dazu zu bewegen, Asien zu verlassen und ihre Wohnsitze nach Europa zu verlegen. Sie versprachen, die Völker zu vertreiben, die sich der Sache der Meder angenommen hätten, und ihnen ihr Land zu geben (…). Als die Äoler und Ionier diese Versprechungen hörten, beschlossen sie den Rat der Griechen anzunehmen und bereiteten sich vor, mit ihnen nach Europa zu segeln. Aber die Athener (…) rieten ihnen, zu bleiben, wo sie waren, und sagten, dass die Athener, wenn auch kein anderer Grieche ihnen Hilfe bringen würde, als ihre Verwandten dies tun würden. Sie dachten, dass, wenn die Ionier von den Griechen gemeinsam eine neue Heimat erhielten, sie nicht Athen als ihre Mutterstadt betrachten würden. Dies war der Grund, weshalb die Ionier ihre Meinung änderten und in Asien zu bleiben beschlossen.
Hintergründe des Hegemoniewechsels
Die Hintergründe dieses „Hegemoniewechsels“ werden von den Quellen unterschiedlich dargestellt. Nach Thukydides (1,95–96) und Plutarch (Aristeides 23) hätten sich die Bündnispartner von der arroganten Führung des Pausanias lossagen wollen und deshalb Athen die Führung angetragen. Die Spartaner seien mit dieser Entwicklung nicht unzufrieden gewesen. Denn sie empfanden den Seekrieg zunehmend als Last und fürchteten, dass sich ihre Feldherrn durch die lange Abwesenheit der Heimat entfremdeten. Herodot (8,3,2) und Aristoteles (Athenaion politeia 23,2 und 4) betonen demgegenüber die alleinige Initiative der Athener: Sie hätten die Unbeliebtheit des Pausanias genutzt, um die Ionier gegen den Willen der Spartaner zum Abfall vom Hellenenbund zu bewegen und den Hegemoniewechsel zu vollziehen.
Rolle der Athener
Die Mehrheit der Forscher hat die unterschiedliche inhaltliche Tendenz der Quellen betont, doch lassen sie sich durchaus miteinander vereinbaren. Dass die Athener jede sich bietende Chance zur Übernahme des |5|Kommandos zu nutzen versuchten und dass die Weiterführung des Seekrieges auch den Wünschen der kleinasiatischen Griechen entsprach, kann nach den Ereignissen bei der Gründung des Hellenenbundes und der Konferenz von Samos kaum bezweifelt werden. Die Athener werden freilich mit Rücksicht auf Sparta so geschickt gewesen sein, sich offiziell von den Kleinasiaten bitten zu lassen (Thukydides und Plutarch), während im Hintergrund Aristeides die Bündner zu diesem Schritt ermuntert hatte (Herodot und Aristoteles). Die beiden Quellengruppen repräsentieren also eine eher offizielle und eine inoffizielle Version. Sie treffen sich aber im entscheidenden Punkt, dem gemeinsamen Interesse Athens und der kleinasiatischen Griechen an der Weiterführung des Seekrieges gegen Persien.
Rolle der Spartaner
Auch der Dissens der Quellen bezüglich der Haltung der Spartaner lässt sich plausibel erklären, wenn man sich von der Vorstellung verabschiedet, dass die führenden Politiker und einflussreichen Familien Spartas eine einheitliche außenpolitische Linie verfolgten. Tatsächlich war dies zumal in einer Grundsatzfrage wie der des Hegemoniewechsels offensichtlich nicht der Fall: Der Historiker Diodor (11,50,1–6) berichtet, wie im Jahre 475 eine Mehrheit der jüngeren Spartiaten in der Volksversammlung darauf drängte, die Hegemonie zurückzuerobern und einen Militärschlag gegen Athen zu führen; dies würde ihnen Wohlstand sichern und Spartas Macht steigern. Dagegen argumentierte ein Mitglied des Ältestenrates, man solle den Athenern ruhig die hegemonia überlassen, weil es nicht im spartanischen Interesse läge, Anspruch auf die Seeherrschaft zu erheben. Diodor hat bei seiner Schilderung zwar Erfahrungen des 4. Jahrhunderts mit einfließen lassen, die Grundzüge der Diskussion dürften jedoch nach Überzeugung der meisten Gelehrten die Situation nach dem Hegemoniewechsel korrekt widerspiegeln: Auf der einen Seite stand die Erfahrung der Alten, die ihre Entscheidung an den realpolitischen Möglichkeiten und den langfristigen Interessen Spartas bemaßen. Oberste Priorität besaß für sie die Sicherung der spartanischen Stellung auf der Peloponnes, die sie durch eine Ausweitung der militärischen Kräfte auf die See und fern der Heimat gefährdet sahen. Wir sind dieser außenpolitischen Tradition schon auf der Konferenz von Samos begegnet, als Sparta sich weigerte, die kleinasiatischen Griechen in den Hellenenbund aufzunehmen, und können sie bis in das Jahr 500 v. Chr. zurückverfolgen, als der spartanische König den Bitten der ionischen Gesandten um Unterstützung gegen die Perser eine Absage erteilte. Gerade im Jahre 478/7 war die Sorge um die Machtstellung Spartas auf der Peloponnes nicht unbegründet. Denn man rechnete mit Unruhen unter den Heloten und registrierte, dass sich die Beziehungen zu Tegea und Arkadien verschlechterten. Hinzu kamen die immensen Kosten eines weiteren maritimen Engagements im östlichen Mittelmeer, die langfristig die materiellen Ressourcen Spartas und seines Bundes überfordert hätten. Schließlich bestätigte das Verhalten des Pausanias die von Thukydides überlieferte Sorge vieler Spartaner, die Fortführung des Krieges könne ihre Feldherren, also ihre Könige, der Heimat entfremden.
HelotenAls Heloten bezeichnete man die von den Spartanern unterworfene und zu Hörigen gemachte einheimische Bevölkerung der südlichen Peloponnes inklusive Messeniens. Die Heloten waren an den Boden ihrer Herren gebunden und mussten deren Äcker bearbeiten sowie regelmäßige Fruchtabgaben leisten.
|6|Den innenpolitisch motivierten Überlegungen stand der außenpolitische Prestigeverlust gegenüber, den die Aufgabe der Hegemonie und der Rückzug aus dem Seekrieg bedeutet hätten. Die älteren, eher auf Sicherheit bedachten Spartaner mussten sich gegenüber dem Drängen der jungen Spartaner und der Anhänger des Pausanias durchsetzen, die im Seekrieg Erfolge, Ruhm und Reichtum zu erringen hofften und nicht bereit waren, ihre Hoffnungen einem vernünftigen, aber unpopulären gesamtstaatlichen Kalkül unterzuordnen. Sie konnten zudem darauf verweisen, dass die Athener ein Jahr nach der Gründung des Seebundes gegen spartanischen Protest die Stadtmauern wiederaufzubauen begannen. Angesichts einer möglichen persischen Revanche war dies zwar eine verständliche Maßnahme, im Kontext des Hegemoniewechsels konnte sie aber auch als Symbol einer neuen Außenpolitik verstanden werden, die selbstbewusst eine Konfrontation mit Sparta in Kauf nahm.
Am Ende setzten sich übergeordnete Staatsinteressen und erprobtes Sicherheitsdenken durch, der Widerspruch zwischen traditionellem Verharren und militärischer Aufbruchstimmung blieb jedoch bestehen; er hat die spartanische Politik auch in der Folgezeit häufig gelähmt und damit den Athenern den Spielraum verschafft, die einmal eingeschlagene politische Linie weiter zu verfolgen.
Das im Jahre 478/7 von Aristeides geschmiedete Bündnissystem war in inhaltlicher und formaler Hinsicht ein Novum: Während alle bisherigen Bündnisverträge die Führung eines Landkrieges vorsahen, legten die im Jahre 478/7 geschlossenen Verträge den Partnern Verpflichtungen auf, die allein den Seekrieg betrafen – deshalb auch die moderne Bezeichnung „Seebund“. Sparta hatte mit den Mitgliedern des Peloponnesischen Bundes im Laufe der Zeit Einzelverträge geschlossen; Athen tat dies auf einer konstituierenden Versammlung mittels eines mündlichen Schwuraktes, den Aristeides den Bundesgenossen abnahm und seinerseits für die Athener leistete. Die Versenkung von Eisen- oder Bleiklumpen im Meer (Plutarch, Aristeides 25,1) symbolisierte die Dauerhaftigkeit der Bündnisse. Ihre Summe ergab einen Kampfbund, in dem Athen die politische und militärische Führung (Hegemonie) zufiel. Deshalb bezeichneten die Athener die Gesamtheit des Bundes als „Die Athener und ihre Bundesgenossen“, d.h. die Athener standen der Masse der namentlich nicht genannten Bündner gegenüber.
Gründungsmitglieder
Da uns keine Liste der Gründungsmitglieder überliefert ist, müssen wir sie aus verstreuten Quellenangaben erschließen. Demnach zählten hierzu neben Athen fast alle Poleis der kleinasiatischen Küste bis an die karische Küste, ferner die Inselpoleis Chios, Samos, Amorgos sowie die von Lesbos, dazu Euböa (außer Karystos), Keos, Naxos, Kythnos, Siphnos, Mykonos, Ios, Syros, Delos, Paros, Lemnos, Imbros, Nisyros und einige Städte |7|der Chalkidike im Nordwesten der Ägäis. Vielleicht folgten kurze Zeit später Rhodos, dessen Städte Lindos, Kamiros und Ialysos von den Persern abgefallen waren, sowie einige Städte auf Zypern. Es handelte sich um einen Bund maritim ausgerichteter Poleis, die sich um die Ägäis konzentrierten.
Eidesformel
Nach Aristoteles (Athenaion Politeia 23,5) leistete Aristeides den Bündnispartnern den Eid, „dass Freund und Feind für sie gemeinsam sein sollten“. Diese Formel wird an anderer Stelle auch von Thukydides (1,44,1) erwähnt und ist inschriftlich aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erhalten. Ihr Inhalt war recht vage und ließ den Athenern genügend Gestaltungsmöglichkeiten, um ihr militärisches Übergewicht politisch auszunutzen. Denn im Gegensatz zu modernen Militärbündnissen fehlten genaue Angaben über den Bündnisfall sowie über die Art und Zielsetzung des gemeinsamen Kriegszuges, und auch das Verhältnis der Bundesgenossen zu Athen war nicht näher definiert.
Vielfach hat man deshalb gemeint, andere Klauseln hätten diese Lücke gefüllt. So hatten die Samier, Chier und Lesbier sowie einige andere Inselgriechen nach der Konferenz von Samos geschworen, „dass sie treu sein und nicht abtrünnig werden wollten“. Vielleicht wurde eine vergleichbare Formel auch bei der Gründung des attischen Seebundes verwendet. Inschriftlich ist diese Formel allerdings nur in den Verträgen überliefert, die rebellierende Bündner nach ihrer Wiedereingliederung durch Athen eingehen mussten (s.S. 21f.). 478/7 gab es aber noch keine Anzeichen für eine solche Entwicklung, so dass Athen sich äußerst ungeschickt verhalten hätte, wenn es schon jetzt eine entsprechende Formel gefordert hätte. Es handelt sich also wohl um eine Ergänzung, die erst später in den Vertrag aufgenommen wurde. Das Gleiche gilt für eine Formel, die sich aus einer von Thukydides (6,76) stilisierten Rede des Syrakusaners Hermokrates aus dem Jahre 422 rekonstruieren lässt. Demnach verbot diese den Bündnern, sich den Feldzügen des Bundes zu verweigern sowie Kriege gegen ein anderes Bundesmitglied zu unternehmen; doch war auch diese Bestimmung 478 überflüssig, da bereits die Schwurformel solche Aktionen ausschloss.
Tatsächlich wurde die allgemein gehaltene Schwurformel durch Einzelbestimmungen ergänzt, die sich auf die materielle Ausstattung sowie den Unterhalt der Bundesflotte und die Führung des Seekrieges bezogen (s. Quellen). Die von Athen in Kooperation mit den Bundesgenossen festgelegten Leistungen sahen vor, dass die einzelnen Städte (außer Athen) finanzielle Beiträge (Phoroi) zum Unterhalt bzw. zum Bau der athenischen Flotte leisten oder eigene Schiffe und Mannschaften stellen sollten; die zweite Möglichkeit nahmen nur die größeren Poleis Chios, Lesbos und Samos wahr. Die Schiffe sammelten sich im Piräus, die Gelder gelangten in eine Bundeskasse auf Delos.
Der Gründungsakt des Seebundes
(Thukydides 1,96)
(Die Athener) setzten nun fest, welche Städte Geld gegen den Barbaren beisteuern sollten und welche Schiffe (…). Damals setzten die Athener zuerst die Behörde der Schatzmeister von Hellas (Hellenotamiai) ein, den Beitrag (phoros) zu empfangen. Der erste Beitrag, der umgelegt wurde, betrug 460 Talente; als Schatzhaus wählten sie Delos, und dort im Heiligtum waren auch ihre Versammlungen.
(Andokides, Über den Frieden, p. 145)
Durch Überredung ordneten sie zur Verwaltung der öffentlichen Gelder in Athen die Hellenotamiai an und veranlassten teils die Versammlung der Flotten in unseren Häfen, teils die Stellung von Schiffen durch uns für Staaten, die keine Trieren hatten.
Phoroi (= „Abgaben“, „Beiträge“)Als Phoroi bezeichnete man die finanziellen Beiträge, die die Mitglieder des Delisch-Attischen Seebundes als Ersatz für die Stellung von Schiffen vertragsgemäß an die Bundeskasse abführen mussten.
Höhe des Phoros
Um die Höhe des Phoros festzulegen, bereiste der Athener Aristeides (Plutarch, Aristeides 24) die Ländereien der Bündner und prüfte anhand der Bodenerträge und der Gesamteinnahmen jeder Polis, wie viel Phoros sie aufbringen konnten. Nach der Auswertung der Ergebnisse in der Bundesversammlung ergab dies nach Thukydides eine Gesamtsumme von 460 Talenten. Diese Zahl ist vielfach – im Vergleich zu den späteren inschriftlichen Aufzeichnungen – als zu hoch angesehen worden, heute wird sie jedoch in der Regel mit der Erklärung akzeptiert, dass Thukydides andere Einnahmen (z.B. Zölle) mit einberechnet haben muss.
Formale Gleichheit im Synhedrion
Sitz der Bundeskasse und Tagungsort der Bundesversammlung (Synhedrion) war bis 454 Delos. Jedes Bundesmitglied hatte unabhängig von seiner Größe und seinem militärischen Gewicht eine Stimme. Die Mytilener erklärten später, die Athener seien „uns gleichgestellte hegemones“ (Thukydides 3,10; 11,4). Sie wollten damit sagen, dass die Athener zwar Oberbefehlshaber im Krieg (hegemones) waren, bei Abstimmungen im Synhedrion aber so viel wie jedes andere Bundesmitglied galten. Erfahrungsgemäß kann eine solche formale Gleichheit jedoch recht schnell durch das faktische Übergewicht der Führungsmacht aufgehoben werden. Die Athener Strategen führten auch die Bundesflotte, die zu großen Teilen aus athenischen Kriegsschiffen bestand. Schon dies gab der athenischen Stimme im Synhedrion ein großes Gewicht. Wir werden ferner sehen, dass die im Bundesrat beschlossenen Militäroperationen überwiegend der Durchsetzung athenischer Interessen dienten. Offensichtlich folgten die meisten Bündner bei ihrer Stimmabgabe den Vorstellungen der Hegemonialmacht.
Zuständigkeit in finanziellen Fragen
|9|Viele Forscher nehmen deshalb an, das Synhedrion sei nur dann zusammengekommen, wenn dringender Handlungsbedarf seitens Athens bestand. Demgegenüber hat R. Meiggs die ansprechende These vertreten, dass Bundesversammlungen regelmäßig stattfanden, wenn die Vertreter der Bündner im Frühjahr kurz vor Eröffnung der Seefahrtssaison ihre Phoroi nach Delos brachten. Zum Empfang und zur Verwaltung der Gelder wurden zehn hellenotamiai („Schatzmeister der Griechen“) aus den Reihen der Athener gewählt, doch waren sie Verwaltungsbeamte ohne politische oder exekutive Befugnisse. Was mit den Geldern im Einzelnen zu geschehen hatte, dürfte so zumindest in der Anfangszeit das Synhedrion bestimmt haben, zumal es bereits bei der Festlegung der Leistungen mitgewirkt hatte.
Es wird sich so in den Anfangsjahren eine recht reibungslose Kooperation zwischen Athen und seinen Bundesgenossen eingespielt haben. Die Konzentrierung politischer Macht sowie militärischer Kompetenzen ergab sich aus der Natur der Sache. Denn die Athener besaßen die größte Erfahrung im Seekrieg gegen die Perser, leiteten von Beginn an die militärischen Operationen und trugen damit auch die größte Verantwortung für deren Erfolge. Eine Zersplitterung der Kompetenzen hätte dagegen organisatorische und militärische Schwierigkeiten mit sich gebracht, die niemand heraufbeschwören wollte – zumal in einer Phase, in der sich der Bund erst noch militärisch bewähren musste. Die Ausübung der athenischen Hegemonie entsprach also den außenpolitischen Erfordernissen und Bedingungen der Zeit. Die weitere Entwicklung hing davon ab, welche Ziele die Athener verfolgten und inwiefern sich diese Ziele mit denen der Bundesgenossen in Einklang bringen ließen.
Rache
Die Athener gaben nach Thukydides (1,96,1; vgl. 3,10,2) als offizielles Ziel der Bündnisse an, „durch Verwüstungen des königlichen Landes (sc. des persischen Großkönigs) Rache für die eigenen Leiden zu nehmen“. Das Motiv der Rache war ein anerkanntes Prinzip aristokratischer Machtkämpfe und barg ein erhebliches offensives Potential. Im Jahre 478 war es aus rein athenischer Perspektive formuliert worden: Denn mit „den Leiden“, die der Großkönig verursacht hatte, waren die Zerstörung der Akropolis durch Xerxes sowie die Verwüstungen in Athen und Attika gemeint. Dementsprechend zielte die Rache nicht nur auf die Vertreibung der Perser aus der Ägäis, sondern auch auf die Zerstörung und Plünderung ihrer Hoheitsgebiete.
Freiheit
Die kleinasiatischen Poleis hatten jedoch mit Ausnahme Milets weitaus geringere materielle Verluste durch die Perserkriege erlitten. Für sie reichte demnach das Rachemotiv allein nicht aus. Ihnen ging es in erster Linie um die Befreiung von persischer Herrschaft, sie verfolgten das politische Ziel der Freiheit (Thukydides 3,10). Der Begriff Freiheit setzte die Vertreibung der perserfreundlichen Stadtregimenter (Tyrannen) voraus und führte so zu einer Umwälzung der innenpolitischen Machtverhältnisse. Er beinhaltete außenpolisch das Ende der Tributzahlungen an die Satrapen (den Statthaltern |10|des persischen Reiches) und die Unabhängigkeit von persischen Befehlen. Von nun an konnten die Poleis ihren Kurs selbst bestimmen. Allerdings bedeutete die Entscheidung, sofort im Jahre 478 ein Militärbündnis einzugehen, eine nicht geringe Einschränkung der gerade errungenen Freiheit. Es blieb abzuwarten, wie Athen reagieren würde, wenn die Bündner bei einer Änderung der außenpolitischen Verhältnisse ihren Anspruch auf Freiheit auch im Hinblick auf den Seebund wahrnehmen, d.h. sich von der Hegemonie Athens lösen oder aus dem Bund ausscheiden wollten.
Schutz
Dieses Spannungsverhältnis zwischen den Zielen der Hegemonialmacht und denen der Bündner wurde überdeckt, solange die kleinasiatischen Poleis auf den Schutz des Bündnisses angewiesen waren; viele rechneten aufgrund der Erfahrungen des ionischen Aufstandes mit einem persischen Gegenschlag. Auch mit der Forderung nach Rache konnten sich viele Bündner arrangieren, indem sie Rache an denjenigen Mitbürgern nahmen, die mit den Persern kollaboriert hatten. Dies war jedoch eine recht gekünstelte Auslegung, die langfristig ihre Zugkraft verlieren musste. Überhaupt fehlten klare Kriterien, nach denen man entscheiden konnte, ob die proklamierten Ziele erreicht waren.
Unterwerfung von Hellas durch Athen?
Schon Thukydides (6,76; vgl. 6,83) vertrat deshalb die Auffassung, dass die Athener die Idee des Rachefeldzuges als Vorwand benutzt hätten, um entgegen allen Parolen von Freiheit und Schutz die Unterwerfung von Hellas zu betreiben. Es handelt sich jedoch um eine Einschätzung, die Thukydides erst im Nachhinein entwickelte und einem späteren Kriegsgegner Athens (dem Syrakusaner Hermokrates) in den Mund gelegt hat; vieles spricht dafür, dass er Parolen wiedergibt, die erst aufkamen, als die Athener in den 450er Jahren und während des Peloponnesischen Krieges die Zügel straffer anzogen. Sicherlich verfolgten die Athener Ziele, die über die offiziellen Verlautbarungen hinausgingen; ob sie aber bereits 478/7 den Seebund als Instrument zur Aufrichtung einer Herrschaft über die Bündner oder gar über ganz Griechenland zu nutzen gedachten, ist wenig wahrscheinlich und lässt sich auch aus der Kenntnis der bisherigen Fakten nicht entscheiden. Die These des Thukydides muss sich an den folgenden Ereignissen messen.
Die Gründung des Seebundes und der Sieg über die Perser bei Mykale markieren das Ende des Verteidigungskrieges gegen Persien und den Beginn der Offensive unter Athens Führung. Es folgt die Zeit der großen überseeischen Erfolge, die den Ruhm der Stadt und das Selbstbewusstsein ihrer Bürger nachhaltig prägen sollten. Initiator und Lenker dieser Erfolge war Kimon, der Sohn des Miltiades aus dem Haus der Philaiden und einer thrakischen Prinzessin, ein Prototyp des ehrgeizigen Aristokraten, der durch große Taten seine Tüchtigkeit (arete) beweisen musste. Er war einer der erfolgreichsten Strategen, die Athen je hervorbrachte, und hat die Zeit von 478/7–462/1 so geprägt, dass man auch von einer „Kimonischen Ära“ spricht.
Kimon (ca. 510–449)Politiker und Stratege Athens, Sohn des Marathonsiegers Miltiades. Er vertrat eine spartafreundliche Außenpolitik und führte Athen in die Offensive gegen die Perser seit 478. Höhepunkt seiner Erfolge war der Sieg am Eurymedon 466/5. Zwei Jahre später folgte er dem Hilferuf der Spartaner gegen die Heloten mit einer Hoplitenarmee, wurde aber von den Spartanern zurückgeschickt, musste sich den Reformen des Ephialtes beugen und wurde 461 durch das Scherbengericht verbannt („Sturz Kimons“). Nach seiner Rückkehr 457 führte Kimon ein letztes Mal eine große Flotte siegreich nach Zypern und starb bei der Belagerung von Kition.
Schlacht am Eurymedon
Den Auftakt der Offensive bildete die Eroberung von Eion an der thrakischen Küste (am Mündungsgebiet des Strymon), eine der letzten persischen Bastionen, die den Zugriff auf die Gold- und Silberminen des Pangeiongebirges versperrte. 476–466 führte Kimon die Flotte bis nach Karien und Lykien. Hier konnte er in einer Doppelschlacht zu Wasser und zu Lande an der Mündung des Eurymedon (in Pamphylien) das persische Schiffslager und 200 Kriegsschiffe vernichten. Athen war binnen 15 Jahren zur ersten Seemacht des ostmediterranen Raumes aufgestiegen.
Ausbau des athenischen Einflusses in der Ägäis
Parallel zu den Unternehmungen gegen die Perser begannen die Athener ihren Einfluss in der Ägäis auszubauen. Kimon eroberte 475 die östlich von Euböa gelegene Insel Skyros. Fünf Jahre später zwangen die Athener die im Süden Euböas gelegene Stadt Karystos in den Seebund. Diese Aktionen dienten allein athenischen Machtinteressen und sollten die für die Athener Bevölkerung so wichtigen Getreidehandelswege aus dem Schwarzmeergebiet – auch gegen die Piraten – sichern. 467 versuchte sich Naxos aus dem Seebund zu lösen, weil man die eigene Handlungsfreiheit durch die Athener bedroht sah (Thukydides 1,98,4). Zwei Jahre später fielen die Thasier ab, „die wegen ihrer Handelsplätze und der von ihnen betriebenen Bergwerke im gegenüberliegenden Thrakien mit Athen in Streit geraten waren“ (Thukydides 1,100). Thasos war Zwischenlieferant für das thrakische Bauholz, das für die stetig wachsende Flotte der Athener – Kimon soll 200 Trieren auf der Eurymedonexpedition mit sich geführt haben – eine zentrale Bedeutung gewann. Beide Bündner gehörten zu den wohlhabendsten Poleis des Seebundes und wurden nach langen Kämpfen mit der Erhöhung der Tribute, der Schleifung der Mauern und der Auslieferung ihrer Flotte bestraft.
Thukydides sieht in diesen Maßnahmen den untrüglichen Beweis für das wachsende Machtstreben Athens. Ein moderner Kenner der Materie wie R. Meiggs kommt zu dem Schluss, Athen habe mit der Niederschlagung der Rebellion von Thasos „the first unambiguous sign of tyranny“ gegeben. Jede unvoreingenommene Beurteilung muss aber die veränderten Rahmenbedingungen und die sich hieraus ergebenden Ziele der ägäischen Poleis berücksichtigen. Schon die antiken Quellen betonen, dass sich viele Bündner angesichts der nachlassenden Persergefahr damit abfanden, Athen die Initiative zu überlassen, und dazu übergegangen waren, anstelle von Schiffen Tribute zu zahlen (s. Quelle). Nach wie vor lag aber eine persische Gegenoffensive im Bereich des Möglichen, und nur der Ausbau und Unterhalt einer stehenden Flotte unter einem zentralen Kommando konnten den nötigen Schutz gewähren. Wer wollte es den Athenern verdenken, dass sie die von den Bündnern freiwillig übertragenen Kompetenzen und Ressourcen |12|getreu den Zielen des Seebundes zum Ausbau ihrer Flotte nutzten? Eine einheitliche, nach athenischen Richtlinien aufgestellte Flotte war zudem schlagkräftiger als zusammengewürfelte Einheiten unterschiedlicher Herkunft. Je mehr sich aber das militärische Potential und die außenpolitische Initiative in Athen konzentrierten, desto stärker musste sich die Stadt bemühen, die Kontrolle über die Verschiffungshäfen von Holz und Getreide (für den Unterhalt der Flotte) zu gewinnen und Abfallsbestrebungen zu unterdrücken.
Athen nutzt die Trägheit der Bundesgenossen zum Ausbau der Hegemonie
(Thukydides 1,99)
Die Gründe, die die Städte zum Abfall trieben, waren verschieden; der Hauptgrund war, dass sie mit dem Tribut und den Schiffen in Rückstand blieben oder überhaupt jede Leistung verweigerten. Die Athener trieben nämlich die Abgaben streng ein und machten sich durch ihre Zwangsmaßnahmen verhasst bei Menschen, die weder gewohnt noch willens waren, sich zu plagen. Auch sonst führten die Athener die Herrschaft nicht mehr so zur Zufriedenheit der Bundesgenossen wie anfangs. Sie behandelten sie bei Kriegszügen nicht als ihresgleichen, und zugleich wurde es ihnen immer leichter, die Abgefallenen wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Daran waren aber die Bundesgenossen selbst schuld. Weil die meisten an den Feldzügen nicht teilnehmen mochten, um nicht fern von der Heimat weilen zu müssen, verpflichteten sie sich zur Zahlung von Geldbeiträgen, die dem Wert der vertraglich festgelegten Schiffslieferungen entsprachen; so wurde die Flotte der Athener durch die Beiträge der Bundesgenossen immer größer, und diese waren, wenn sie sich auflehnen wollten, ungerüstet und ohne Erfahrung in der Kriegführung.
Athen und die Bündner
Diese Entwicklung schürte sicherlich Ressentiments zumal unter den reicheren Bundesmitgliedern; es gab aber auch viele Poleis, die froh waren, dass ihnen die Athener den gefahrvollen Kampf gegen die Perser abnahmen und durch die Zurückdrängung der Piraterie für einen gefahrlosen Schiffsverkehr sorgten. Der Ausbau der athenischen Hegemonialstellung war also immer auch eine Reaktion auf die nachlassende Kampfbereitschaft der Bündner und ihren Willen, sich der aktiven Mitarbeit zu entziehen. Athen hatte es seinerseits versäumt, den Bündnern angesichts der schwindenden Persergefahr ein neues Programm zu bieten und die Vorteile der Hegemonie stärker herauszustreichen; doch diese waren meist nur langfristig sicht- und deshalb schwer vermittelbar. „Die dadurch unvermeidlich werdenden Risse des Seebundes ließen sich nur mit dem Kitt athenischen Machteinsatzes verkleben“ (A. Heuß).
Reaktionen der Spartaner
Wie aber reagierten die Spartaner? Viele, die in den 470er Jahren auf einen Präventivschlag gedrängt hatten (s.S. 5f.), fühlten sich in ihren Befürchtungen bestätigt: Athens Flotte und Hegemonie im Seebund hatten sich in den 460er Jahren endgültig zu einem konkurrierenden Machtgebilde entwickelt, das die Stellung Spartas bedrohte. Auch die Besonnenen waren nun nicht mehr bereit, den Machtaufstieg Athens einfach hinzunehmen; doch bevorzugte man zunächst noch subtilere diplomatische und außenpolitische Methoden gegenüber einer direkten militärischen Konfrontation. So versprach man den Thasiern auf deren Bitte, sie bei ihrem Abfallbemühungen |13|durch einen Einmarsch in Attika zu entlasten. Dieses Angebot wurde aus unvorhersehbaren Gründen (s.S. 14) nicht eingelöst, doch allein die Bereitschaft, rebellierende Bündner Athens mit einer parallelen Offensive zu Lande zu unterstützen, hat die Beziehungen zu Athen erheblich belastet: Misstrauen und Missverständnisse prägten fortan das Verhältnis der beiden Mächte. Die seit den Perserkriegen latent vorhandene Konkurrenz drohte sich zu einem strukturellen außenpolitischen Antagonismus zu verfestigen.
Dass die Beziehungen Athens zu Sparta dennoch bis in die Mitte der 460er Jahre stabil blieben, war auch ein Verdienst Kimons. Ein erfolgreicher Seekrieg gegen Persien setzte – so seine Überzeugung – ein gutes Einvernehmen mit Sparta voraus: Athen könne nicht „allein in dem für zwei bestimmten Joch gehen“, so verkündete er seinen Mitbürgern, und die Erfolge gegen die Perser gaben ihm Recht. Sie verschafften ihm zudem die Zustimmung des Volkes, das er durch großzügige Gesten öffentlicher Freigiebigkeit auf seine Seite zu ziehen wusste.
Kimon und der Areopag
Die adligen Familien unterstützen Kimons Politik. Denn viele der aus ihren Reihen stammenden Feldherren (Strategen) sahen in der Ausweitung der maritimen Operationen die Chance, persönlichen Ruhm zu ernten sowie ihr Amt zur Bereicherung und innenpolitischen Machtpositionierung zu nutzen. Ferner verlangte die neue außenpolitische Lage schnelle Entscheidungen, die ohne die zeitaufwendige Mitwirkung des Volkes im Kreise der adligen Familien und ehemaliger Beamter im Areopag getroffen wurden. Obwohl der Areopag das Gesamtwohl des Volkes im Blick hatte und keine aristokratische Institution war, so gewann er doch im Zuge der maritimen Erfolge und der Konzentrierung der Entscheidungsprozesse auf die adlige Führungsschicht eine Machtstellung, die im Widerspruch zur isonomen, d.h. die politische und rechtliche Gleichheit aller Bürger betonenden Entwicklung stand: Aristoteles (Athenaion politeia 23) hat später gesagt, der Areopag habe nach den Perserkriegen an Macht gewonnen und die Polis verwaltet, ohne seine Vorherrschaft einem Beschluss zu verdanken. Da der Areopag die Beamten kontrollierte, konnte sich ein einflussreicher Mann wie Kimon im Areopag eine Interessenvertretung schaffen, die seine Politik und etwaige Verfehlungen deckte.
AreopagDer Areopag war der alte Adelsrat Athens auf dem Areshügel. Seit Solon versammelten sich hier die ehemaligen Beamten.
Veränderung der außen- und innenpolitischen Rahmenbedingungen
Spätestens seit der Mitte der 460er Jahre begannen sich jedoch die Rahmenbedingungen der kimonischen Außenpolitik zu ändern. Die persische Gefahr schien nach dem Sieg am Eurymedon gebannt und die von Kimon propagierte Partnerschaft mit Sparta hatte erste Risse erhalten, als das Hilfsangebot für Thasos bekannt wurde. Selbst die Theten, die unter Kimon das Meer erobert hatten, zweifelten an der Richtigkeit der Politik ihres Feldherrn, schienen die Spartaner sie doch um die Früchte ihrer Mühen zu |14|bringen. Sie sahen so auch nicht mehr ein, weshalb die hohen Herren allein die Außenpolitik bestimmen sollten.
Wie in Sparta so opponierte auch in Athen eine junge Politikergeneration gegen die Alten und nahm die Kritik auf: Sie war zu keinerlei Konzessionen mehr gegenüber Sparta bereit und versuchte gleichzeitig die „Interessenkumpanei von Areopag und Strategen“ (M. Stahl) aufzuheben. Ihre Wortführer waren ein Mann namens Ephialtes und der 25-jährige Perikles, ein Großneffe des Kleisthenes, der mütterlicherseits aus der hochadligen Familie der Alkmeoniden stammte. Beide befürworteten zwar wie Kimon eine Ausweitung des Seebundes, aber – wenn nötig – auch gegen den Willen und auf Kosten Spartas.
Erdbeben und Helotenaufstand in Sparta
Lange Zeit konnte Kimon das Heft in der Hand behalten und aufkommende Kritik unterdrücken. Die Wende brachte ein unvorhersehbares Ereignis: Im Jahre 464 hatte ein Erdbeben schwere Verwüstungen in Sparta angerichtet und die messenischen Heloten zu einem Aufstand veranlasst, der fälschlich als 3. Messenischer Krieg bezeichnet wird. Die Heloten hatten sich auf dem Berg Ithome verschanzt. Die Spartaner riefen daraufhin die Mitglieder des alten Hellenenbundes zur Hilfe, unter ihnen auch die Athener, die gegen rebellierende Bündner Erfahrung in der Eroberung befestigter Orte gesammelt hatten. Kimon konnte zwei Jahre später (462) die Entsendung von 4000 Hopliten nach Lakonien durchsetzen. Dort angekommen leisteten sich die Spartaner einen schweren diplomatischen Fauxpas (Thukydides 1,102): Aus der Sorge, die Athener könnten sich den Aufständischen anschließen und die Not Spartas nutzen – die Spartaner hatten das Gleiche gegenüber Athen im Falle von Thasos erwogen! –, schickten sie Kimon und seine Hopliten wieder nach Hause mit der Begründung, sie nicht länger zu benötigen.
Sturz Kimons
Die öffentliche Meinung in Athen reagierte mit Empörung auf diese Brüskierung und erblickte in Kimon den Schuldigen. Für Ephialtes bot sich nun die Chance, die spartafreundliche Politik des Strategen und deren Basis im Areopag zu schwächen. Schon während der Abwesenheit Kimons und seiner Hopliten hatte er verschiedene Anträge vor die Volksversammlung gebracht, die sich gegen den Areopag richteten. Kimon versuchte nach seiner Rückkehr alles, um diese Anträge zu verhindern. Ein Scherbengericht führte jedoch zu seinem Sturz und schickte den Sieger vom Eurymedon in die Verbannung; Ephialtes wurde wenige Tage später Opfer eines Anschlags.
Machtverlust des Areopag?
Seine Reformen waren zu diesem Zeitpunkt längst Gesetz: Zwar ist sich die Forschung über deren genauen Inhalt und Ziele nicht einig; dass jedoch der Areopag wichtige Kontroll- und Aufsichtsrechte über die Exekutive an die Volksversammlung und die neu eingerichteten Gerichtshöfe (Dikasterien) abgeben musste, scheint nach wie vor wahrscheinlich: Fortan übernahmen der Rat der 500, die Volksversammlung und die Volksgerichte die Überprüfung der Qualifikation (Dokimasie) und Amtsführung der Beamten sowie etwaige Anklagen. In den Gerichten fungierten per Los bestimmte Laien als Richter. Sie erhielten kurz nach 462 einen Sold, sodass nun auch die ärmsten Bürger über die Beamten zu Gericht saßen.
Die Frage, ob man dies alles als einen regelrechten „Sturz“ oder eine „Entmachtung des Areopag“ bezeichnen kann und die Maßnahmen des Ephialtes als einen entscheidenden Durchbruch zur „vollendeten“ oder |15|„radikalen Demokratie“ zu interpretieren hat, wird von den Forschern unterschiedlich beantwortet, je nachdem, welches Gewicht man den Hauptquellen des 4. Jahrhunderts (Aristoteles) zumisst und eine den Reformen vorausgehende (außen-)politische Führungsrolle des aristokratisch geprägten Areopag nach den Perserkriegen als historisch realistisch erachtet. Tatsächlich will eine solche Dominanz einerseits nicht so recht in die seit Kleisthenes angebahnte Tendenz der Athener Innen- und Verfassungspolitik passen. Auf der anderen Seite wäre es falsch, ex eventu eine allzu gradlinige Entwicklung vorauszusetzen, die keinerlei Umwege oder reale Alternativen zugelassen hätte. In jedem Falle erscheint es aber wenig angemessen, die Entwicklungen in der Mitte des 6. Jahrhunderts allzu stark auf die Initiative einzelner Personen zurückzuführen. Man wird deshalb die mit Ephialtes und Kimon verbundenen Ereignisse wohl eher als Schlaglichter eines längeren Prozesses sehen, von dem wir letztlich wenig wissen, der aber – und dies scheint ein recht untrügliches Strukturmerkmal zu sein – immer wieder durch besondere außenpolitische Ereignisse neue Impulse erhielt.
Schwierig zu beurteilen ist ferner, welche Bedeutung die Athener selbst den Reformen zumaßen. Vieles hängt von der Deutung der zeitgenössischen Tragödien ab (s.S. 54ff.). Ein Jahr vor den Reformen des Ephialtes hatte Aischylos in den Hiketiden geschildert, wie der König von Argos das Aufnahmegesuch ägyptischer Frauen vor der heimischen Volksversammlung vertreten musste und diese in betont isonomer Manier den endgültigen Beschluss fasste. Eine in Vers 604 benutzte Wortkombination setzt vermutlich den Begriff demokratia voraus. Aus all dem ist zu schließen, dass in Athen eine Stimmung herrschte, die zumindest erwog, dem Volk noch größere innenpolitische Macht zu verleihen und es so zum Herrn des politischen Entscheidungsprozesses zu machen. Dies bedeutete eine konsequente Weiterführung der kleisthenischen Isonomie. Seit Kleisthenes und Themistokles hatte man außenpolitisch-militärische Herausforderungen mit einer stärkeren Beteiligung breiter Volksschichten zu begegnen versucht, der Ausbau der Flotte, die Organisation des Seebundes und die Weiterführung des Seekrieges stellten Anforderungen wie selten zuvor. Doch Kimon und seine Freunde wichen von dieser Linie ab, konzentrierten den Entscheidungsprozess im Areopag und schotteten ihn vom Einfluss des Demos ab. Ephialtes korrigierte diese Entwicklung und führte sie auf eine neue Stufe. Seine Ermordung deutet jedoch darauf hin, dass die Übertragung der Exekutive vom Adel auf das Volk größere Gegensätze und Konflikte heraufbeschwor als früher. Vermutlich hat Aischylos auch diese Spannungen abzubauen versucht, indem er in den Eumeniden