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Die Spannungen zwischen Athen und Sparta, den beiden Großmächten Griechenlands im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr., führten schließlich zum Peloponnesischen Krieg (431-404), einem Wendepunkt der griechischen Geschichte. Raimund Schulz erläutert zunächst die außenpolitischen Voraussetzungen, die Athen die Herrschaft über das Meer einbrachten. Er beleuchtet dabei auch die inneren Entwicklungen in den beiden Stadtstaaten. In Athen entstanden die direkte Demokratie und ihre Kultur, in Sparta kam es zur weiteren Disziplinierung von Staat und Gesellschaft. Der Peloponnesische Krieg zog in seinem Verlauf die gesamte griechische Welt in seinen Bann. Entschieden wurde er durch das Eingreifen der Perser, die den Spartanern den Aufbau einer Kriegsflotte ermöglichtenf: Athen musste kapitulieren. Doch die eigentlichen Gewinner waren die Perser, die im "Königsfrieden" 386 v. Chr. ihren Einfluss sicherten.
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Herausgegeben von
Kai Brodersen, Martin Kintzinger,
Uwe Puschner, Volker Reinhardt
Herausgeber für den Bereich Antike:Kai Brodersen
Berater für den Bereich Antike:Ernst Baltrusch, Peter Funke,Charlotte Schubert, Aloys Winterling
|III|Raimund Schulz
5. Auflage
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://www.dnb.de abrufbar
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5., durchgesehene und bibliografisch aktualisierte Auflage 2015© 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt1. Auflage 2003Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitgliederder WBG ermöglicht.Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim
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ISBN 978-3-534-26678-4
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Innentitel
Inhaltsverzeichnis
Informationen zum Buch
Informationen zum Autor
Impressum
Geschichte kompakt
Vorwort
Vorwort zur 4. und 5. Auflage
I. Athens Aufstieg zur maritimen Großmacht
1. Athens Aufstieg zur maritimen Großmacht – „Sonderweg“ oder Konsequenz der gesamtgriechischen Entwicklung?
2. Der Hegemoniewechsel des Jahres 478/7
3. Der Seebund der Athener
a) Bündnismitglieder und Schwurformel
b) Materielle Verpflichtungen
c) Synhedrion und Strategen
d) Ziele des Seebundes
4. Die Offensive gegen die Perser und die Sicherung des Seebundes in der Kimonischen Ära
5. Der Sturz Kimons und die Reformen des Ephialtes
6. Athens vergeblicher Griff nach Mittelgriechenland und Ägypten (1. Peloponnesischer Krieg)
7. Das athenische Seereich in der Zeit des Perikles
a) Die Lehren des Krieges und die so genannte Friedenspolitik des Perikles
b) Die Verlegung der Bundeskasse und die Finanzverwaltung
c) Die Wiedereingliederung rebellierender Bündner
d) Der Ausbau der Herrschaft durch Generaldekrete
e) Die Einrichtung von Demokratien
f) Beamte und Gastfreunde (proxenoi)
g) Kleruchien und Kolonien
h) Die Flotte und das Konzept des mare clausum
8. Die so genannte Westpolitik des Perikles
II. Athen und Sparta in der Mitte des 5. Jahrhunderts
1. Demokratie, Wirtschaft und Kultur der Athener
a) Einführung
b) Der Wandel von Gesellschaft und Wirtschaft
c) Maritimer Machtaufstieg und Entwicklung zur Demokratie
d) Institutionen, Praxis und Ideale der Demokratie
e) Adel und innere Opposition gegen die Demokratie
f) Der Ausgleich zwischen Elite und Masse
g) Politische Gruppenbildung und politische Führung
h) Die Sophistik und das geistige Klima der Zeit
i) Geschichtsschreibung und politisches Denken
j) Feste und Bauten Athens
k) Demokratie und Tragödie
|VI|2. Verfassung und Kosmos der Spartaner
a) Einführung
b) Die Verfassung und ihre politischen Institutionen
c) Innenpolitische Machtverteilung und außenpolitischer Entscheidungsprozess
d) Die Entwicklung des spartanischen Kosmos
e) Die Heeresreform
f) Die Homoioi-Ideologie und die Verklärung der Vergangenheit
g) Sparta und der Peloponnesische Bund nach 464
3. Zusammenfassung: Athen und Sparta – Zwei Antworten auf die Herausforderungen der Zeit
III. Der Peloponnesische Krieg
1. Der Weg in den Krieg
a) Einführung
b) Die Konflikte um Kerkyra
c) Das megarische Psephisma
d) Die Ereignisse um Potideia
e) Die Diskussionen in Sparta und der Kriegsbeschluss
2. Die Ursachen des Krieges
a) Die These des Thukydides: Der Machtaufstieg der Athener und der (erzwungene) Präventivschlag der Spartaner
b) Sparta als Aggressor?
c) Athen als Aggressor – Die Rolle des Perikles
d) Die Rolle Korinths und der Bundesgenossen
e) Zusammenfassung
3. Der Archidamische Krieg
a) Kriegsziele, Strategien und Rüstungen
b) Die Seuche in Athen und der Aufstieg Kleons und Nikias’
c) Athens Erfolge im Westen
d) Spartas Gegenschlag im Norden: Die Thrakienexpedition des Brasidas
4. Der Friede des Nikias und der Ausbau der Herrschaft Athens über den Seebund
a) Der Friede des Nikias
b) Die Veränderung der Bündniskonstellationen und der Aufstieg des Alkibiades
c) Der Ausbau der athenischen Herrschaft und die Ideologie der Macht
d) Die Schrecken des Krieges und die Tragödien des Euripides
5. Athens Griff nach der Weltmacht: Die große Sizilische Expedition
a) Vorgeschichte und Diskussionen in der Volksversammlung
b) Motive, Ziele und Gründe der Sizilienexpedition
c) Kritik und Zweifel: Die Sizilienexpedition im Spiegel des Theaters – Der Hermenfrevel
d) Die Ereignisse in Sizilien und der Weg in die Katastrophe
e) Bilanz und Ausblick
|VII|6. Der Ionisch-Dekeleische Krieg und die Kapitulation Athens
a) Die Hauptmerkmale des letzten Kriegsabschnittes
b) Der oligarchische Umsturz von 411
c) Die Rückkehr des Alkibiades
d) Spartas Aufstieg zur Seemacht und die Niederlage Athens
IV. Griechenland und die Folgen des Krieges im 4. Jahrhundert
1. Sparta, Athen und die Rückkehr Persiens in den griechischen Raum
a) Das „offene“ Ende des Peloponnesischen Krieges
b) Spartas Aufgaben und Probleme
c) Die Wiedereinführung der Demokratie und die Verarbeitung der Niederlage in Athen
d) Das große Flottenbauprogramm der Perser
e) Der Korinthische Krieg (395–386) und die Rückkehr Athens aufs Meer
f) Der späte Triumph Persiens: Der Königsfrieden von 386
2. Die Veränderung der griechischen Welt nach dem Königsfrieden
a) Griechenland zwischen politischer Ohnmacht und geistigem Aufbruch
b) Bürgerkriege als Konsequenz des großen Krieges
c) Die militärische Revolution
d) Spartas Unfähigkeit zum strukturellen Wandel
e) Wirtschaft und Gesellschaft Athens
f) Der dritte Weg: Das Beispiel Korinth und Megara
g) Der Aufstieg der Randgebiete
3. Die außenpolitische Entwicklung in Griechenland bis zum Zusammenbruch der großen Bünde
a) Athens zweiter Seebund
b) Der Zusammenbruch der alten und neuen Bündnissysteme
V. Neue politische Ordnungskonzepte und die Antworten der Intellektuellen auf die Probleme der Zeit
1. Friedenssehnsucht nach dem Korinthischen Krieg?
2. Demokratie, Seeherrschaft und Machtpolitik
3. Die Idee des Allgemeinen Friedens (Koine Eirene)
4. Panhellenismus und Krieg gegen die Perser
5. Bundesstaatliche Zusammenschlüsse (Koina)
6. Der Aufstieg des monarchischen Prinzips
7. Das Festhalten an der Polis als idealer Form der Gemeinschaft
VI. Bilanz und Ausblick
Auswahlbibliographie
Personen- und Sachregister
In der Geschichte, wie auch sonst, dürfen Ursachen nicht postuliert werden,man muss sie suchen. (M. Bloch)
Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden.
Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen des Mittelalters und der Neuzeit verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen und europäischen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte.
Die Autorinnen und Autoren sind jüngere, in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissenstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden.
Kai Brodersen Martin KintzingerUwe Puschner Volker Reinhardt
Eine moderne Geschichte des so genannten klassischen Griechenland zu schreiben, war für mich ein lang gehegter Wunsch. Dass er in dieser Form verwirklicht wurde, verdanke ich Kai Brodersen, dem Herausgeber der Reihe.
Die historische Bedeutung des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. ist unbestritten; doch haben viele Phänomene in den letzten Jahrzehnten eine neue Interpretation erfahren. Zentral scheint die Einsicht, dass Sparta und Athen bei allen fundamentalen Unterschieden doch in vielen Bereichen auch strukturell vergleichbare Entwicklungen durchgemacht haben, die im 5. Jahrhundert kulminierten. Wie verhielt sich die Entwicklung von Gesellschaft und Verfassung beider Poleis angesichts der außenpolitischen Veränderungen nach dem Sieg über die Perser, wie wirkte umgekehrt die innere Entwicklung auf die Gestaltung der Außenpolitik zurück, und welche kulturell-geistigen Wandlungen vollzogen sich parallel und als Reaktion auf die politisch-militärischen Veränderungen – dies sind nur einige der wichtigsten Fragen, auf die das Buch Antworten geben will. Besonderen Nachdruck habe ich darauf gelegt, das 5. und 4. Jahrhundert als Einheit zu betrachten; beide Jahrhunderte sind viel zu eng aufeinander bezogen, als dass man scharfe Trennlinien ziehen könnte. Weiterhin schien es mir wichtig, dem Phänomen Krieg wieder den ihm gebührenden Platz bei der Interpretation der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenhänge einzuräumen. Er bildet ein entscheidendes Movens der griechischen Geschichte und es wäre zu wünschen, dass man sich ihm in der schulischen und der universitären Lehre wieder so unbefangen widmet, wie es in der französischen und anglo-amerikanischen Forschung ganz üblich ist.
Zu danken habe ich Werner Dahlheim und Klaus Meister, die große Teile des Manuskripts gelesen und mich durch Diskussion und Rat vor manchen Fehlern bewahrt haben.
Weiterhin danke ich dem Herausgeber Kai Brodersen, mit dem ich das Thema durchgesprochen habe, sowie Dr. Martina Erdmann und Nicole Strobel von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft für ihre sorgfältige lektorische Arbeit.
Berlin, im Frühjahr 2003
Raimund Schulz
Für die 4. Auflage wurden orthographische Versehen, sprachliche Unebenheiten sowie kleinere sachliche Ungenauigkeiten korrigiert. Ferner habe ich die Literaturliste aktualisiert. Insgesamt zieht zwar nach wie vor die Geschichte Athens und seiner Demokratie (sowie deren Rezeption) das Hauptinteresse der Forschung auf sich, erfreulicherweise gibt es aber inzwischen manche wertvolle Studien zu anderen Poleis des „Dritten Griechenland“ sowie zur Außenpolitik des 5. und 4. Jahrhunderts. Beklagenswert (und unverständlich) ist nach wie vor das relative Desinteresse deutscher Althistoriker an militärisch-strategischen Fragen, die so weithin eine Domäne der angloamerikanischen Wissenschaft und Publikationstätigkeit bleiben.
Bielefeld, im November 2010
Raimund Schulz
Auch in der 5. Auflage wurde der bewährte Aufbau des Textes beibehalten und nur dort korrigierend eingegriffen, wo neue Forschungen eine Modifikation von Einzelaussagen erforderten. Das betraf zumal bestimmte Aspekte des politischen Leben und der politischen Kultur der Athenischen Demokratie und der spartanischen Polis. In diesem Rahmen habe ich auch die Ergebnisse der besonders im deutschen Sprachbereich so intensiv betriebenen Studien zur Erinnerungskultur zu integrieren versucht, soweit es der zur Verfügung stehende Raum gestattete. Im Literaturverzeichnis wurden überholte Werke entfernt und einschlägige jüngere Arbeiten sowie Textausgaben und Kommentare ergänzt.
Bielefeld, im Frühjahr 2015
|XII|
Es sind nur die wichtigsten literarisch und inschriftlich belegten und erschlossenen Besatzungen und Kolonien/Kleruchien aufgeführt. Man erkennt deutlich einen engeren Kreis von Festungen um das Gebiet von Attika, dem sich ein weiter ausgedehnter Kreis von Kleruchien und Kolonien im Ägäisraum anschließt.
479
Seeschlacht bei Mykale
Konferenz des Hellenebundes in Samos
478/7
Hegemoniewechsel. Gründung des Delisch-Attischen Seebundes
467
Niederschlagung der Revolte von Naxos
466/5
Doppelschlacht am Eurymedon
465/4
Niederschlagung der Revolte von Thasos
464–462
Erdbeben und Helotenaufstand in Sparta
462–61
Reformen des Ephialtes. Ostrakisierung Kimons
462–61
Bündnisse Athens mit Argos, Thessalien und Megara
ca. 460
Baubeginn der „Langen Mauern“ in Athen
460–454
Expedition und Niederlage der Athener in Ägypten
457
Schlacht von Tanagra
456/5
Flottenfahrt („Periplus“) des Tolmides
454/3
Verlegung der Bundeskasse von Delos nach Athen
450
Sieg und Tod Kimons bei Salamis (Zypern)
449/8
„Kalliasfriede“
447/6
Schlacht bei Koroneia
446/5
Dreißigjähriger Friede zwischen Sparta und Athen
446/5
Volksbeschlüsse über Eretria und Chalkis
441–39
Samischer Krieg
448–445
Kleruchien Athens in Naxos, der thrakischen Chersonnes und Brea
444/3
Gründung von Thurioi in Unteritalien
ca. 435/4
Pontosexpedition des Perikles
Thukydides (ca. 460–396)Er war der bedeutendste Historiker der Antike und stammte aus Athen. Während des Peloponnesischen Krieges führte er eine athenische Expeditionstruppe und verfasste später eine unvollendete Geschichte des Peloponesischen Krieges, die im Jahre 411 abbricht. Von seinem Vorgänger Herodot setzte er sich ab, indem er mythische Vorstellungen verbannte und mit hohen methodischen Ansprüchen (vgl. Methodenkapitel 1,22) nach Ursachen, Triebkräften und Kausalzusammenhängen der Geschehnisse fragte. So wurde er zum Begründer der politischen Geschichtsschreibung.
Folgen der Perserkriege
Augenscheinlich haften dieser Erklärung viele (durchaus unsichere) Voraussetzungen und (häufig unausgesprochene) Zwangsläufigkeiten an, die gerade jüngere Gelehrte nicht mehr ohne weiteres gelten lassen wollen. Die Forschung tendiert denn auch dazu, Athen nicht mehr als ein isoliertes Sonderphänomen der griechischen Geschichte des 5. und 4. Jahrhunderts zu betrachten (bzw. zu glorifizieren oder zu verdammen), sondern den Aufstieg der Stadt stärker im Kontext der gesamtgriechischen Entwicklung zu begreifen. Tatsächlich wissen wir heute, dass der Sieg über die Perser nicht nur in Athen, sondern auch in anderen Poleis Griechenlands ungeahnte Energien in den verschiedensten Bereichen des menschlichen Lebens (Philosophie, Architektur, Kunst) freisetzte und ein neues Selbstbewusstsein entfalten ließ, das man vorher in dieser Form nicht gekannt hatte: So führten die Marinerüstungen und der erfolgreiche Seekrieg gegen die Perser zu einem Wirtschaftsboom zumal im Bereich des Saronischen Golfes und zu einer größeren Beteiligung des Volkes am politischen Geschäft, dem die territorial verhafteten Poleis der Peloponnes wenig entgegenzusetzen hatten. Athen konnte von dieser Entwicklung am meisten profitieren und hat seinen Weg zur maritimen Großmacht und zur Ausbildung der ersten direkten Demokratie der Weltgeschichte am konsequentesten beschritten. Dieses Phänomen verlangt nach Erklärungen: Es gilt dabei nicht nur zu prüfen, ob die Athener ihren Aufstieg zielgerichtet geplant haben, sondern wir müssen auch erläutern, welche Umstände und Bedingungen ihren Erfolg ermöglichten.
Sparta hatte im Jahre 481 den Oberbefehl über alle Truppen des Hellenenbundes (Hegemonie) gegen die Perser erhalten. Nach Herodot (8,3) gab es bereits zu diesem Zeitpunkt Stimmen, die Athen als stärkster Seemacht das Kommando über die Flotte übertragen wollten. Diese Stimmen trafen jedoch auf den Widerstand der Verbündeten, die nur einen Hegemon akzeptieren wollten. Die Athener mussten sich beugen, doch war abzusehen, dass sie bei günstiger Gelegenheit erneut ihre Ansprüche geltend machen würden.
HegemonieUnter Hegemonie verstand man im engeren (vertragsrechtlichen) Sinne die Führung des militärisch stärksten Staates innerhalb eines Kampfbundes (Symmachie), im weiteren Sinne die Vorherrschaft eines Staates.
|3|Nach der siegreichen Landschlacht bei Plataiai stießen Heer und Flotte des Hellenenbundes weit in die Ägäis vor und konnten im September 479 das Schiffslager der Perser bei Mykale an der Mündung des Mäander (gegenüber Samos) stürmen sowie den Großteil der gegnerischen Schiffe vernichten. Damit war eine unmittelbare Bedrohung des Mutterlandes gebannt und auch der Anstoß zum Abfall der kleinasiatischen Griechen („Ionier“) gegeben: Diese vertrieben ihre perserfreundlichen Stadtherren und baten aus Furcht vor einem persischem Gegenschlag um Aufnahme in den Hellenenbund.
Konferenz von Samos
Ihr Aufnahmeantrag wurde auf einer Konferenz der Bundesmitglieder in Samos beraten. Hier traten die gegensätzlichen Standpunkte Spartas und Athens offen zu Tage. Die Spartaner lehnten die Bitte der Ionier ab und forderten sie statt dessen auf, nach Griechenland überzusiedeln. Dies ersparte den Spartanern eine Truppenpräsenz im östlichen Teil der Ägäis und entsprach ihrer traditionellen Politik, sich auf ihre Machtposition in Griechenland zu konzentrieren. Für die Betroffenen dürfte der Vorschlag freilich inakzeptabel gewesen sein, denn wer will schon die gerade errungene Freiheit mit der Aufgabe der Heimat bezahlen? Sie fanden Unterstützung bei den Athenern, die fürchteten, ihren Einfluss auf die ionischen Griechen zu verlieren (s. Quellen). Sie sahen in deren Schutzbedürfnis einen geeigneten Ansatzpunkt für die Verwirklichung ihrer eigenen Ziele. Diese bestanden kaum ein Jahr nach der Verwüstung Athens durch die Perser in erster Linie darin, die für die Stadt so lebensnotwendige Getreidezufuhr aus der Schwarzmeerregion zu sichern und die Ägäis vor persischen Angriffen zu schützen (J. M. Balcer). Am Ende kam es zu einem Kompromiss. So erhielten zwar lediglich die Ägäisinseln Samos, Lesbos und Chios Aufnahme in den Hellenenbund, doch konnten die übrigen Poleis damit rechnen, dass sich Athen weiter für sie engagieren würde.
Einnahme von Sestos
Nach der Konferenz segelte die Flotte des Hellenenbundes an den Hellespont. Die Schiffbrücke der Perser war jedoch bereits zerstört und der Oberbefehlshaber Leotychidas kehrte nach Sparta zurück. Die Athener sowie die ionischen und hellespontischen Griechen begannen dagegen die Stadt Sestos gegenüber Abydos zu belagern. Mit der Einnahme der Stadt endet das Geschichtswerk Herodots; Thukydides beginnt an dieser Stelle einen Exkurs, in dem er den Machtzuwachs der Athener beschreibt. Tatsächlich war dies die erste militärische Aktion, die die Athener und ihre ionischen Freunde unabhängig von der Streitmacht des Hellenenbundes unternahmen und die nicht mehr nur der Abwehr einer persischen Bedrohung diente. Die Frage wurde drängender, wie sich dieses Vorgehen mit den Zielen des Hellenenbundes und der Hegemonie der Spartaner in Einklang bringen lassen würde.
Wie häufig in der Geschichte führte die Eigendynamik der außenpolitischen Ereignisse zu einer Klärung. Im Frühjahr 478 stach zum letzten Mal eine Flotte des Hellenbundes unter Führung des spartanischen Regenten Pausanias gen Zypern in See und konnte einen Großteil der Insel unter Kontrolle bringen. Danach kehrten die Griechen in die Ägäis zurück, stießen bis zum Bosporus vor und eroberten die Stadt Byzanz. Damit waren die letzten Einfallstore in die Ägäis in griechischer Hand. Sparta trat nun – wie zu erwarten – für die Beendigung, Athen für die Fortsetzung des Krieges |4|ein. Ein Kompromiss wurde nicht mehr erzielt. Im Winter 478/77 wechselte der Oberbefehl des Hellenenbundes von Pausanias auf Aristeides, den Feldherrn der Athener. Dieser schloss darauf mit den kleinasiatischen Griechen Verträge, die den Grundstock einer neuen Bündnisorganisation bildeten, den so genannten Delisch-Attischen Seebund (s.S. 6ff.).
Die Konferenz von Samos
(Herodot, Historien 9, 106)
(…) In Samos angekommen hielten die Hellenen Rat über die Räumung des ionischen Landes; sie erwogen, wo in Hellas, soweit man des Landes Herr sei, die Ionier angesiedelt werden könnten (…) Sie fanden es ganz unmöglich, dass die Hellenen Ionien dauernd unter ihrer Obhut halten sollten, und doch durfte man nicht hoffen, dass die Ionier ohne solchen Schaden sich ungestraft von Persien freimachen könnten. Da meinten denn die peloponnesischen Führer, man solle die Handel treibenden Hellenenstämme, die zu den Persern gehalten hatten, verjagen und ihr Land den Ioniern geben. Die Athener dagegen wollten nichts von einer Räumung Ioniens hören und nicht dulden, dass Peloponnesier über athenische Pflanzstädte befänden. Ihrem heftigen Widerstand gaben die Peloponnesier nach. So wurden die Samier, Chier, Lesbier und andere Inselbewohner, die sich dem hellenischen Heer anschlossen, in den hellenischen Bund aufgenommen.
(Diodor 11,37)
Leotychidas und Xanthippos segelten zurück nach Samos, machten die Ionier und Äoler zu Verbündeten und bemühten sich dann, sie dazu zu bewegen, Asien zu verlassen und ihre Wohnsitze nach Europa zu verlegen. Sie versprachen, die Völker zu vertreiben, die sich der Sache der Meder angenommen hätten, und ihnen ihr Land zu geben (…). Als die Äoler und Ionier diese Versprechungen hörten, beschlossen sie den Rat der Griechen anzunehmen und bereiteten sich vor, mit ihnen nach Europa zu segeln. Aber die Athener (…) rieten ihnen, zu bleiben, wo sie waren, und sagten, dass die Athener, wenn auch kein anderer Grieche ihnen Hilfe bringen würde, als ihre Verwandten dies tun würden. Sie dachten, dass, wenn die Ionier von den Griechen gemeinsam eine neue Heimat erhielten, sie nicht Athen als ihre Mutterstadt betrachten würden. Dies war der Grund, weshalb die Ionier ihre Meinung änderten und in Asien zu bleiben beschlossen.
Hintergründe des Hegemoniewechsels
Die Hintergründe dieses „Hegemoniewechsels“ werden von den Quellen unterschiedlich dargestellt. Nach Thukydides (1,95–96) und Plutarch (Aristeides 23) hätten sich die Bündnispartner von der arroganten Führung des Pausanias lossagen wollen und deshalb Athen die Führung angetragen. Die Spartaner seien mit dieser Entwicklung nicht unzufrieden gewesen. Denn sie empfanden den Seekrieg zunehmend als Last und fürchteten, dass sich ihre Feldherrn durch die lange Abwesenheit der Heimat entfremdeten. Herodot (8,3,2) und Aristoteles (Athenaion politeia 23,2 und 4) betonen demgegenüber die alleinige Initiative der Athener: Sie hätten die Unbeliebtheit des Pausanias genutzt, um die Ionier gegen den Willen der Spartaner zum Abfall vom Hellenenbund zu bewegen und den Hegemoniewechsel zu vollziehen.
Rolle der Athener
Die Mehrheit der Forscher hat die unterschiedliche inhaltliche Tendenz der Quellen betont, doch lassen sie sich durchaus miteinander vereinbaren. Dass die Athener jede sich bietende Chance zur Übernahme des |5|Kommandos zu nutzen versuchten und dass die Weiterführung des Seekrieges auch den Wünschen der kleinasiatischen Griechen entsprach, kann nach den Ereignissen bei der Gründung des Hellenenbundes und der Konferenz von Samos kaum bezweifelt werden. Die Athener werden freilich mit Rücksicht auf Sparta so geschickt gewesen sein, sich offiziell von den Kleinasiaten bitten zu lassen (Thukydides und Plutarch), während im Hintergrund Aristeides die Bündner zu diesem Schritt ermuntert hatte (Herodot und Aristoteles). Die beiden Quellengruppen repräsentieren also eine eher offizielle und eine inoffizielle Version. Sie treffen sich aber im entscheidenden Punkt, dem gemeinsamen Interesse Athens und der kleinasiatischen Griechen an der Weiterführung des Seekrieges gegen Persien.
Rolle der Spartaner
Auch der Dissens der Quellen bezüglich der Haltung der Spartaner lässt sich plausibel erklären, wenn man sich von der Vorstellung verabschiedet, dass die führenden Politiker und einflussreichen Familien Spartas eine einheitliche außenpolitische Linie verfolgten. Tatsächlich war dies zumal in einer Grundsatzfrage wie der des Hegemoniewechsels offensichtlich nicht der Fall: Der Historiker Diodor (11,50,1–6) berichtet, wie im Jahre 475 eine Mehrheit der jüngeren Spartiaten in der Volksversammlung darauf drängte, die Hegemonie zurückzuerobern und einen Militärschlag gegen Athen zu führen; dies würde ihnen Wohlstand sichern und Spartas Macht steigern. Dagegen argumentierte ein Mitglied des Ältestenrates, man solle den Athenern ruhig die hegemonia überlassen, weil es nicht im spartanischen Interesse läge, Anspruch auf die Seeherrschaft zu erheben. Diodor hat bei seiner Schilderung zwar Erfahrungen des 4. Jahrhunderts mit einfließen lassen, die Grundzüge der Diskussion dürften jedoch nach Überzeugung der meisten Gelehrten die Situation nach dem Hegemoniewechsel korrekt widerspiegeln: Auf der einen Seite stand die Erfahrung der Alten, die ihre Entscheidung an den realpolitischen Möglichkeiten und den langfristigen Interessen Spartas bemaßen. Oberste Priorität besaß für sie die Sicherung der spartanischen Stellung auf der Peloponnes, die sie durch eine Ausweitung der militärischen Kräfte auf die See und fern der Heimat gefährdet sahen. Wir sind dieser außenpolitischen Tradition schon auf der Konferenz von Samos begegnet, als Sparta sich weigerte, die kleinasiatischen Griechen in den Hellenenbund aufzunehmen, und können sie bis in das Jahr 500 v. Chr. zurückverfolgen, als der spartanische König den Bitten der ionischen Gesandten um Unterstützung gegen die Perser eine Absage erteilte. Gerade im Jahre 478/7 war die Sorge um die Machtstellung Spartas auf der Peloponnes nicht unbegründet. Denn man rechnete mit Unruhen unter den Heloten und registrierte, dass sich die Beziehungen zu Tegea und Arkadien verschlechterten. Hinzu kamen die immensen Kosten eines weiteren maritimen Engagements im östlichen Mittelmeer, die langfristig die materiellen Ressourcen Spartas und seines Bundes überfordert hätten. Schließlich bestätigte das Verhalten des Pausanias die von Thukydides überlieferte Sorge vieler Spartaner, die Fortführung des Krieges könne ihre Feldherren, also ihre Könige, der Heimat entfremden.
HelotenAls Heloten bezeichnete man die von den Spartanern unterworfene und zu Hörigen gemachte einheimische Bevölkerung der südlichen Peloponnes inklusive Messeniens. Die Heloten waren an den Boden ihrer Herren gebunden und mussten deren Äcker bearbeiten sowie regelmäßige Fruchtabgaben leisten.
|6|Den innenpolitisch motivierten Überlegungen stand der außenpolitische Prestigeverlust gegenüber, den die Aufgabe der Hegemonie und der Rückzug aus dem Seekrieg bedeutet hätten. Die älteren, eher auf Sicherheit bedachten Spartaner mussten sich gegenüber dem Drängen der jungen Spartaner und der Anhänger des Pausanias durchsetzen, die im Seekrieg Erfolge, Ruhm und Reichtum zu erringen hofften und nicht bereit waren, ihre Hoffnungen einem vernünftigen, aber unpopulären gesamtstaatlichen Kalkül unterzuordnen. Sie konnten zudem darauf verweisen, dass die Athener ein Jahr nach der Gründung des Seebundes gegen spartanischen Protest die Stadtmauern wiederaufzubauen begannen. Angesichts einer möglichen persischen Revanche war dies zwar eine verständliche Maßnahme, im Kontext des Hegemoniewechsels konnte sie aber auch als Symbol einer neuen Außenpolitik verstanden werden, die selbstbewusst eine Konfrontation mit Sparta in Kauf nahm.
Am Ende setzten sich übergeordnete Staatsinteressen und erprobtes Sicherheitsdenken durch, der Widerspruch zwischen traditionellem Verharren und militärischer Aufbruchstimmung blieb jedoch bestehen; er hat die spartanische Politik auch in der Folgezeit häufig gelähmt und damit den Athenern den Spielraum verschafft, die einmal eingeschlagene politische Linie weiter zu verfolgen.
Das im Jahre 478/7 von Aristeides geschmiedete Bündnissystem war in inhaltlicher und formaler Hinsicht ein Novum: Während alle bisherigen Bündnisverträge die Führung eines Landkrieges vorsahen, legten die im Jahre 478/7 geschlossenen Verträge den Partnern Verpflichtungen auf, die allein den Seekrieg betrafen – deshalb auch die moderne Bezeichnung „Seebund“. Sparta hatte mit den Mitgliedern des Peloponnesischen Bundes im Laufe der Zeit Einzelverträge geschlossen; Athen tat dies auf einer konstituierenden Versammlung mittels eines mündlichen Schwuraktes, den Aristeides den Bundesgenossen abnahm und seinerseits für die Athener leistete. Die Versenkung von Eisen- oder Bleiklumpen im Meer (Plutarch, Aristeides 25,1) symbolisierte die Dauerhaftigkeit der Bündnisse. Ihre Summe ergab einen Kampfbund, in dem Athen die politische und militärische Führung (Hegemonie) zufiel. Deshalb bezeichneten die Athener die Gesamtheit des Bundes als „Die Athener und ihre Bundesgenossen“, d.h. die Athener standen der Masse der namentlich nicht genannten Bündner gegenüber.
Gründungsmitglieder
Da uns keine Liste der Gründungsmitglieder überliefert ist, müssen wir sie aus verstreuten Quellenangaben erschließen. Demnach zählten hierzu neben Athen fast alle Poleis der kleinasiatischen Küste bis an die karische Küste, ferner die Inselpoleis Chios, Samos, Amorgos sowie die von Lesbos, dazu Euböa (außer Karystos), Keos, Naxos, Kythnos, Siphnos, Mykonos, Ios, Syros, Delos, Paros, Lemnos, Imbros, Nisyros und einige Städte |7|der Chalkidike im Nordwesten der Ägäis. Vielleicht folgten kurze Zeit später Rhodos, dessen Städte Lindos, Kamiros und Ialysos von den Persern abgefallen waren, sowie einige Städte auf Zypern. Es handelte sich um einen Bund maritim ausgerichteter Poleis, die sich um die Ägäis konzentrierten.
Eidesformel
Nach Aristoteles (Athenaion Politeia 23,5) leistete Aristeides den Bündnispartnern den Eid, „dass Freund und Feind für sie gemeinsam sein sollten“. Diese Formel wird an anderer Stelle auch von Thukydides (1,44,1) erwähnt und ist inschriftlich aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erhalten. Ihr Inhalt war recht vage und ließ den Athenern genügend Gestaltungsmöglichkeiten, um ihr militärisches Übergewicht politisch auszunutzen. Denn im Gegensatz zu modernen Militärbündnissen fehlten genaue Angaben über den Bündnisfall sowie über die Art und Zielsetzung des gemeinsamen Kriegszuges, und auch das Verhältnis der Bundesgenossen zu Athen war nicht näher definiert.
Vielfach hat man deshalb gemeint, andere Klauseln hätten diese Lücke gefüllt. So hatten die Samier, Chier und Lesbier sowie einige andere Inselgriechen nach der Konferenz von Samos geschworen, „dass sie treu sein und nicht abtrünnig werden wollten“. Vielleicht wurde eine vergleichbare Formel auch bei der Gründung des attischen Seebundes verwendet. Inschriftlich ist diese Formel allerdings nur in den Verträgen überliefert, die rebellierende Bündner nach ihrer Wiedereingliederung durch Athen eingehen mussten (s.S. 21f.). 478/7 gab es aber noch keine Anzeichen für eine solche Entwicklung, so dass Athen sich äußerst ungeschickt verhalten hätte, wenn es schon jetzt eine entsprechende Formel gefordert hätte. Es handelt sich also wohl um eine Ergänzung, die erst später in den Vertrag aufgenommen wurde. Das Gleiche gilt für eine Formel, die sich aus einer von Thukydides (6,76) stilisierten Rede des Syrakusaners Hermokrates aus dem Jahre 422 rekonstruieren lässt. Demnach verbot diese den Bündnern, sich den Feldzügen des Bundes zu verweigern sowie Kriege gegen ein anderes Bundesmitglied zu unternehmen; doch war auch diese Bestimmung 478 überflüssig, da bereits die Schwurformel solche Aktionen ausschloss.
Tatsächlich wurde die allgemein gehaltene Schwurformel durch Einzelbestimmungen ergänzt, die sich auf die materielle Ausstattung sowie den Unterhalt der Bundesflotte und die Führung des Seekrieges bezogen (s. Quellen). Die von Athen in Kooperation mit den Bundesgenossen festgelegten Leistungen sahen vor, dass die einzelnen Städte (außer Athen) finanzielle Beiträge (Phoroi) zum Unterhalt bzw. zum Bau der athenischen Flotte leisten oder eigene Schiffe und Mannschaften stellen sollten; die zweite Möglichkeit nahmen nur die größeren Poleis Chios, Lesbos und Samos wahr. Die Schiffe sammelten sich im Piräus, die Gelder gelangten in eine Bundeskasse auf Delos.
Der Gründungsakt des Seebundes
(Thukydides 1,96)
(Die Athener) setzten nun fest, welche Städte Geld gegen den Barbaren beisteuern sollten und welche Schiffe (…). Damals setzten die Athener zuerst die Behörde der Schatzmeister von Hellas (Hellenotamiai) ein, den Beitrag (phoros) zu empfangen. Der erste Beitrag, der umgelegt wurde, betrug 460 Talente; als Schatzhaus wählten sie Delos, und dort im Heiligtum waren auch ihre Versammlungen.
(Andokides, Über den Frieden, p. 145)
Durch Überredung ordneten sie zur Verwaltung der öffentlichen Gelder in Athen die Hellenotamiai an und veranlassten teils die Versammlung der Flotten in unseren Häfen, teils die Stellung von Schiffen durch uns für Staaten, die keine Trieren hatten.
Phoroi (= „Abgaben“, „Beiträge“)Als Phoroi bezeichnete man die finanziellen Beiträge, die die Mitglieder des Delisch-Attischen Seebundes als Ersatz für die Stellung von Schiffen vertragsgemäß an die Bundeskasse abführen mussten.
Höhe des Phoros
Um die Höhe des Phoros festzulegen, bereiste der Athener Aristeides (Plutarch, Aristeides 24) die Ländereien der Bündner und prüfte anhand der Bodenerträge und der Gesamteinnahmen jeder Polis, wie viel Phoros sie aufbringen konnten. Nach der Auswertung der Ergebnisse in der Bundesversammlung ergab dies nach Thukydides eine Gesamtsumme von 460 Talenten. Diese Zahl ist vielfach – im Vergleich zu den späteren inschriftlichen Aufzeichnungen – als zu hoch angesehen worden, heute wird sie jedoch in der Regel mit der Erklärung akzeptiert, dass Thukydides andere Einnahmen (z.B. Zölle) mit einberechnet haben muss.
Formale Gleichheit im Synhedrion
Sitz der Bundeskasse und Tagungsort der Bundesversammlung (Synhedrion) war bis 454 Delos. Jedes Bundesmitglied hatte unabhängig von seiner Größe und seinem militärischen Gewicht eine Stimme. Die Mytilener erklärten später, die Athener seien „uns gleichgestellte hegemones“ (Thukydides 3,10; 11,4). Sie wollten damit sagen, dass die Athener zwar Oberbefehlshaber im Krieg (hegemones) waren, bei Abstimmungen im Synhedrion aber so viel wie jedes andere Bundesmitglied galten. Erfahrungsgemäß kann eine solche formale Gleichheit jedoch recht schnell durch das faktische Übergewicht der Führungsmacht aufgehoben werden. Die Athener Strategen führten auch die Bundesflotte, die zu großen Teilen aus athenischen Kriegsschiffen bestand. Schon dies gab der athenischen Stimme im Synhedrion ein großes Gewicht. Wir werden ferner sehen, dass die im Bundesrat beschlossenen Militäroperationen überwiegend der Durchsetzung athenischer Interessen dienten. Offensichtlich folgten die meisten Bündner bei ihrer Stimmabgabe den Vorstellungen der Hegemonialmacht.
Zuständigkeit in finanziellen Fragen
|9|Viele Forscher nehmen deshalb an, das Synhedrion sei nur dann zusammengekommen, wenn dringender Handlungsbedarf seitens Athens bestand. Demgegenüber hat R. Meiggs die ansprechende These vertreten, dass Bundesversammlungen regelmäßig stattfanden, wenn die Vertreter der Bündner im Frühjahr kurz vor Eröffnung der Seefahrtssaison ihre Phoroi nach Delos brachten. Zum Empfang und zur Verwaltung der Gelder wurden zehn hellenotamiai („Schatzmeister der Griechen“) aus den Reihen der Athener gewählt, doch waren sie Verwaltungsbeamte ohne politische oder exekutive Befugnisse. Was mit den Geldern im Einzelnen zu geschehen hatte, dürfte so zumindest in der Anfangszeit das Synhedrion bestimmt haben, zumal es bereits bei der Festlegung der Leistungen mitgewirkt hatte.
Es wird sich so in den Anfangsjahren eine recht reibungslose Kooperation zwischen Athen und seinen Bundesgenossen eingespielt haben. Die Konzentrierung politischer Macht sowie militärischer Kompetenzen ergab sich aus der Natur der Sache. Denn die Athener besaßen die größte Erfahrung im Seekrieg gegen die Perser, leiteten von Beginn an die militärischen Operationen und trugen damit auch die größte Verantwortung für deren Erfolge. Eine Zersplitterung der Kompetenzen hätte dagegen organisatorische und militärische Schwierigkeiten mit sich gebracht, die niemand heraufbeschwören wollte – zumal in einer Phase, in der sich der Bund erst noch militärisch bewähren musste. Die Ausübung der athenischen Hegemonie entsprach also den außenpolitischen Erfordernissen und Bedingungen der Zeit. Die weitere Entwicklung hing davon ab, welche Ziele die Athener verfolgten und inwiefern sich diese Ziele mit denen der Bundesgenossen in Einklang bringen ließen.
Rache
Die Athener gaben nach Thukydides (1,96,1; vgl. 3,10,2) als offizielles Ziel der Bündnisse an, „durch Verwüstungen des königlichen Landes (sc. des persischen Großkönigs) Rache für die eigenen Leiden zu nehmen“. Das Motiv der Rache war ein anerkanntes Prinzip aristokratischer Machtkämpfe und barg ein erhebliches offensives Potential. Im Jahre 478 war es aus rein athenischer Perspektive formuliert worden: Denn mit „den Leiden“, die der Großkönig verursacht hatte, waren die Zerstörung der Akropolis durch Xerxes sowie die Verwüstungen in Athen und Attika gemeint. Dementsprechend zielte die Rache nicht nur auf die Vertreibung der Perser aus der Ägäis, sondern auch auf die Zerstörung und Plünderung ihrer Hoheitsgebiete.
Freiheit