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Seitenzahl: 144
Schutz- und Trutzbündnisse in der Natur
Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde, Stuttgart
Die Gesellschaft Kosmos bezweckt, die Kenntnis der Naturwissenschaften und damit die Freude an der Natur und das Verständnis ihrer Erscheinungen in den weitesten Kreisen unseres Volkes zu verbreiten. — Dieses Ziel sucht die Gesellschaft durch Verbreitung guter naturwissenschaftlicher Literatur zu erreichen im
Kosmos, Handweiser für Naturfreunde
Kriegs-Ausgabe.
Jährlich 12 Hefte mit 4 Buchbeilagen. Preis halbjährl. M 2.80.
Diese Buchbeilagen sind, von ersten Verfassern geschrieben, im guten Sinne gemeinverständliche Werke naturwissenschaftlichen Inhalts. Vorläufig sind für das Vereinsjahr 1918 festgelegt (Änderungen und Reihenfolge vorbehalten):
Wilh. Bölsche, Eiszeiten und Klimawechsel Reich illustriert. Geheftet M 1.—
Dr. Kurt Floericke, Forscherfahrt in Feindesland (Dobrudscha). Reich illustriert. Geheftet M 1.—
Dr. Fischer-Defoy, Schlafen und Träumen Geheftet M 1.—
Über einen weiteren Band folgt Mitteilung im Handweiser.
Diese Veröffentlichungen sind durch alle Buchhandlungen zu beziehen; daselbst werden Beitrittserklärungen (Jahresbeitrag nur M 5.60) zum Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde (auch nachträglich noch für die Jahre 1904/17 unter den gleichen günstigen Bedingungen, jährlich zu M 4.80, Jahrg. 1917 M 5.60) entgegengenommen. (Satzung, Bestellkarte, Verzeichnis der erschienenen Werke usw. siehe auf den nächsten Seiten.) Der Kosmos kann während des Krieges auch halbjährlich zum Preise von M 2.80 mit Buchbeilagen bezogen werden.
Geschäftsstelle des Kosmos: Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart.
Von
Wilhelm Bölsche
Mit vielen erläuternden Abbildungen
Stuttgart
Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde
Geschäftsstelle: Franckh’sche Verlagshandlung
1917
Alle Rechte, besonders das Übersetzungsrecht, vorbehalten.
STUTTGARTER SETZMASCHINEN-DRUCKEREI HOLZINGER & Co, STUTTGART
„Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust...“ Dieses Wort Fausts ist auch dem Naturforscher unserer Tage immer einmal wieder entgegengeklungen. Der alte Siebold mag sich daran erinnert haben, als es ihm in einer zoologischen Überraschungsstunde gelang, einen vertrackten Schmarotzerwurm der Karpfen, das Diplozoon paradoxum, das angeblich zwei Darmkanäle und zwei Mundöffnungen hatte, auf solche Zweiseelenexistenz zurückzuführen: indem es sich nämlich um zwei Wurmindividuen dabei handelte, die jedesmal auf der Höhe ihres Lebens übers Kreuz miteinander zu einem neuen Doppelwesen verwuchsen (Abb. 1). Die Geschichte war aber doch harmlos gegen die andere, die ums Ende der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts von deutschen Botanikerkreisen in die Welt ausging. Alexander von Humboldt, als er seinen „Kosmos“ schrieb, hatte einmal gleichsam des Weltalls letzte Ecken in einen einzigen prächtigen Satz gefaßt: vom fernsten bläulich verglimmenden Nebelfleck bis zur letzten gelben Flechte am irdischen Granitfels; ihm erschien die Flechte dabei als die äußerste, fast kosmisch anspruchslose Anpassungsform des Lebens, wie sie, beinahe nur noch einer dürren mineralischen Farbkruste gleich, als einsamer Pionier zuletzt am splitterfasernackten Hochgebirgsstein unter der unendlichen Weltraumsöde hing. Eben von diesen Flechten insgesamt aber wurde damals plötzlich behauptet, daß sie gar keine richtige Pflanzenklasse für sich bildeten, sondern ebenfalls so diplozoonhaft, nur noch paradoxer, erst durch körperliche Verwurstelung und Verknotung von je zwei Vertretern himmelweit verschiedener Klassen einzeln zustande kämen. Ungefähr so, wie wenn der Elefant sich eines Tages als ein Mischprodukt aus einer Maus und einem Tintenfisch herausstellte, die nicht in kühner Ehe ein Kind erzeugt, sondern als ausgewachsene Wesen sich ineinander gekrempelt hätten.
Der Sachverhalt erschien, abgesehen von dem großen Systemsturz, den er bedeutete, für allgemeine Lebensfragen so einzigartig merkwürdig, daß einer der Väter der Theorie, Anton de Bary (trotz des fremden Namens ein geborener Frankfurter und damals Professor der Botanik an der neuen reichsdeutschen Universität zu Straßburg, Abb. 2), auf der Naturforscherversammlung zu Kassel von 1878 einen Vortrag darüber für nötig hielt, der zugleich den Grundstein zu einem ganz neuen Forschungsgebiet weit noch über die Einzelfrage hinaus setzen sollte. De Bary legte den Schwerpunkt darauf, daß es sich hier um ein dauerndes ganz intimes Zusammenleben handle. Und zwar nicht bloß wie beim Diplozoon von zwei Individuen ein und derselben Art. Sondern von Vertretern verschiedener Arten, ja Klassen oder Stämmen. Nun kennen wir zwar eine Form solchen „innerlichen“ Zusammen- und Ineinanderlebens auch sonst und sogar persönlich mißlich. Der Bandwurm z. B. lebt zeitweise in unserem Menschenleibe und löffelt als übler Schmarotzer dort auf unsere Kosten mit. Bei den Flechten aber schien das einfache Zusammenleben zu einer im Gegensatz ganz friedlichen Lage geführt zu haben: zu einer wirklichen Genossenschaft in einer Art gemeinsamen Haushalts. Im einzelnen blieb hier für de Bary allerdings noch manches unklar. Aber er meinte, es müsse auf jeden Fall für dieses ganze hochinteressante Gebiet von engstem Zusammenhalten verschiedener Wesen systematisch gegensätzlicher Art ein neues Wort geschaffen werden, das zugleich ein Arbeitsprogramm für weitere Studien bedeuten könnte. Und so übersetzte er nach dem hergebrachten Fremdwörterbrauch der Forschung mit „Symbiose“, was wörtlich (aus griechisch syn, zusammen, und bios, Leben) eben nur das einfache deutsche „Zusammenleben“ wiederholt. Er ließ dabei offen, unter dieses ganz allgemeine Wort auch den Fall Bandwurm, wo der eine Mitleber den andern plagt, mitaufzunehmen, doch erschien auch ihm schon ersichtlich am wichtigsten das „Zweiseelengeschöpf“, bei dem die eine „Seele“ der andern brüderlich half. Und in diesem Zusammenhang verwies er auch schon auf eine im Verhältnis zu der noch nicht über 10 Jahre alten Flechtengeschichte uralte, fast hundertjährige wissenschaftliche Tat hin, die zu ihrer Zeit allerdings auch ein Abenteuer ersten Ranges gewesen war. Nämlich die große Entdeckung des trefflichen Rektors Sprengel zu Spandau von 1793, daß auch zwischen Blumen und Insekten, also genügend himmelweit verschiedenen Angehörigen sogar zweier gegensätzlicher Lebensreiche, eine Art solcher Lebensgemeinschaft bestehe. Die Blüte lieferte der Biene oder dem Schmetterling Honig, und das Insekt vermittelte dafür die Befruchtung der Pflanze. Hier war zwar von flechtenhaft oder auch nur bandwurmhaft dauerndem Ineinanderleben der Parteien nicht eigentlich die Rede. Aber dafür trat die friedliche Gegenseitshilfe besonders hübsch hervor, und de Bary nahm also versuchsweise auch diese Sprengelgeschichte (die kein Geringerer als Darwin selbst damals erneut in Umlauf gebracht hatte) unter seinen Titel auf.
Wie gewöhnlich, wenn ein mehr oder minder glückliches Schlagwort zur Stelle ist, machte erst jetzt das Flechtenabenteuer der Spezialbotaniker das Gesamtaufsehen, das es verdiente. Als im Herbst 1883 abermals die Naturforscherversammlung tagte, diesmal in Freiburg i. B., ergriff der damalige junge Jenenser Zoologieprofessor Oskar Hertwig (Abb. 3) zu der Sache erneut das Wort. Er knüpfte unmittelbar an de Barys Vortrag an, spann den Faden aber jetzt für die Tierkunde aus. Er berichtete von wunderbaren Genossenschaftshaushalten sehr verschiedenartiger Tierarten (auch hier aus gegensätzlichen Klassen und Stämmen), die im Meeresgrunde bei Neapel merkbar würden, und enthüllte ganz besonders auch einen fabelhaften Fall, der an Sprengel anklang, indem Tiere darin ebenfalls mit Pflanzen zusammenhielten, zugleich sich aber diesmal beide Parteien wirklich flechtenhaft auf Lebenszeit ineinander verschachtelten. Das Entscheidende aber war, daß Hertwig, der dem Thema nach über „Die Symbiose oder das Genossenschaftsleben im Tierreich“ sprach (de Bary hatte allgemein „Die Erscheinung der Symbiose“ angekündigt), aufs unzweideutigste jetzt grade die Bedeutung der friedlichen, gegenseitig fördernden Genossenschaftsbildungen einseitig hervorhob und in ihnen die eigentliche Grundlage einer „gesetzmäßigen Vereinigung ungleichartiger Organismen“, wie sie die Symbiose darstelle, sah. Vor einem Beispiel für schon höher entwickelte Tiere fiel bei ihm dabei gradezu das Wort von einem „Freundschaftsbund“ der aneinander angeschlossenen Parteien. Und das hat für die Folge, je mehr Beispiele sie anhäufte, zunächst über den eigentlichen Gebrauchswert des Wortes „Symbiose“ entschieden. Man hat sich gewöhnt, fortan unter wahrer Symbiose nur eben jenes im engeren Sinne genossenschaftlich fördernde Zusammenleben zu verstehen, — unter Ausschluß der bandwurmhaft aussaugenden und mißbrauchenden Einwohnerschaft. Dafür paßte dann freilich der Wortsinn nicht mehr ganz scharf, da er selbst ja nur das Zusammenleben überhaupt betonte, während andererseits solche loseren Fälle, wie der des alten Sprengel, die doch grade für jenen echten Genossenschaftsaustausch so sehr beweisend sind, in ihm wieder wie in einer zu engen Jacke steckten. Inzwischen ist’s ein Schlagwort geworden und lebt als solches fort, wobei man, wie so oft, schließlich nur den Klang noch hört und ihm selber den rechten Sinn unterlegt, ohne daß es auf die Buchstaben mehr viel ankäme. Will man aber aus gutem deutschem Ausdruck ersetzen, so würde sich das auch in unserem Titel gewählte „Schutz- und Trutzbündnisse zwischen Tier- und Pflanzenarten“ empfehlen. Auf „Arten“ muß dabei aus gleich zu erörternden Gründen ein Nachdruck liegen.
Die merkwürdige Naturerscheinung, die hier gefaßt ist und einige der gewiß seltsamsten Einzelentdeckungen aus dem Lebensgebiet zugleich berührt und erklärt, ist, wie dieser kurze Geschichtsabriß zeigt, eine echte Errungenschaft neuerer Forschung — noch nicht vier Jahrzehnte dort alt. Von ihren ersten Ergründern ist de Bary erst 1888 gestorben, Hertwig lebt und lehrt noch. So jung ist die Definition und sind (wenn wir von Sprengels Insektengeschichte absehen) auch die Beobachtungen dazu aus dem Naturgebiet selbst. Denn auch die Flechtensache ist im einzelnen erst seither ordentlich geklärt worden. Freilich: über Schutz- und Trutzbündnisse in der Tier- und Pflanzenwelt allgemein gab es scheinbar schon die umfangreichste alte Literatur. Die ganze älteste Zoologie ist mehr oder minder anekdotischer Beispiele voll, das Volk erzählte davon. Dem Vater Herodot hatten sie bereits im alten Ägypten das Vöglein (einen Regenpfeifer) gezeigt, das dem Krokodil ins offene Maul krieche, um ihm die Zähne vom Ungeziefer zu reinigen, wofür der gutmütige Leviathan darauf verzichte, es zu verschlucken. Das meiste derart war aber unverfälschtes Jägerlatein. An der Krokodilgeschichte scheint etwas Wahres zu sein, doch ist bis heute nicht geklärt, ob sie wirklich an eine echte Symbiose anklingt. Durchweg aber steckten in diesem alten Wust loser Berichtchen auch sonst die gewöhnlichen Einzelfehler kindlicher Naturgeschichte. Die Sachen wurden als ganz isolierte Wunder tierischen oder gar pflanzlichen Genies geschildert, durchweg der Einzelintelligenz oder dem Einzelgemüt des betreffenden Wesens je nachdem bewundernd oder gerührt zugeschrieben. Davon nun unterscheidet sich jener neu entdeckte wissenschaftliche Begriff der Symbiose weit und grundlegend. Durch und durch Erzeugnis modern geschulten Naturforscherblicks, sucht er im Gegensatz eine streng gesetzmäßige Erscheinung. Wo Symbiose in seinem Sinne auftritt, da gehört sie, dauernd und von allen Individuen immer wieder geübt, den betreffenden Arten an wie ein Organ, angeschlossen heute an uralt eingepaukte Reflexe und Instinkte mit dem großen „Muß“ solcher. So romantisch gelegentlich auch hier die Beispiele selbst klingen mögen (wie bei den Flechten!) — ihren Entdeckern lag alles ferner als romantische Gefühlsregungen. Das neue Feld eröffnete sich ihnen in ihrem nüchternsten Fachgebiet, all ihren auch sonst verwerteten exakt wissenschaftlichen und experimentellen Methoden zugänglich. Vor allem aber traf es bei ihnen in eine Stimmung, die keine frühere Naturbetrachtung so haben konnte, während sie uns heute allenthalben beherrscht. De Bary selbst gipfelte gleich seinen ersten Vortrag in einem lebhaftesten Hinweis auf Darwin. Dem „Maschinenbetrieb“ gewissermaßen des äußeren Tier- und Pflanzendaseins auf Erden, wie ihn Darwin genial zu zeichnen versuchte, sollte sich auch das neue Phänomen dieser Symbiose restlos einordnen. Ich glaube, daß wir nichts Besseres tun können, als auch unsere Betrachtung ebenfalls gleich ohne Zögern auf diese „Darwinschau“ einzustellen.
Nun, wie bekannt, ist Darwins großes Lebensgemälde allerdings zunächst der Idee von friedlichen Schutz- und Trutzbündnissen gewiß nicht günstig. Kampf steht vielmehr dort im Vordergrund. Nehmen wir irgend einen Blütenbaum. Ich erinnere mich aus dem Garten meines Elternhauses zweier uralter ungeheurer Birnbäume. Wenn sie im Frühjahr blühten, war es ein wahres Märchen, der ganze Garten lag noch einmal wie im Schnee, in den die Sonne vom blauen Himmel sah und aus dem die Bienen sangen. Oft später ist mir die ganze „Natur“, wenn ich das Wort irgendwo gebrauchte, im Bilde dieser Zauberbäume erschienen. Für Darwin aber ist solcher Baum zunächst nur der Schauplatz eines gradezu schaurigen Kampfes. Unendliche Massen von Lebensformen wirft die phantastisch schaffende Natur herauf, nur eine beschränkte Zahl aber kann bestehen. Die äußeren Verhältnisse hauen auf die Arten, die Arten zerfleischen sich untereinander, unzählige Individuen regnen beständig ab wie Blütenschnee. Dante in seiner Hölle hat keine härteren Bilder gemalt, als Darwins unbestechliche Hand hier von der Natur. Es ist wie in den Schrecken eines Schiffbruchs: die paar Planken gönnen nur wenigen Raum, diese stoßen sich zum Teil noch unabsichtlich herab, und die Letzten dezimiert das gräßliche Schlachtlos in der Hungersnot. So nimmt der Frost Blüten mit, andere fallen in der Raumnot vom Ast, soundso viele werden von Insekten gefressen, die selbst wieder in ihren verschiedenen Arten kannibalisch übereinander stürzen, um im ganzen von den niedlichen Singvögeln dezimiert zu werden, denen Raubvögel nachstellen.
Aber schon in dieser harten „Maschine“ Darwins sehen wir doch auch ein Gegenbild. Jener schauerliche Kampf mit seinen ungezählten Schlachtopfern tobt nur zwischen den äußeren Verhältnissen und den Arten sowie den Arten unter sich. Er schweigt dagegen ganz oder doch größtenteils zwischen den Individuen ein und derselben Art.
Grade der eigentliche scheußliche Kannibalismus des Artkampfes ist hier wie ausgelöscht, dafür herrschen Frieden, gegenseitige Hilfe, Sorge des Stärkeren für den Schwachen, Hingabe des einen für andere. Das Rotschwänzchen füttert seine Jungen, die Bienen sammeln für ihre Brut mit und stechen als hingebende Soldaten eines großen Familienstaats, wehrhafte Männchen schützen allenthalben die Weibchen, starke Weibchen die unmündigen Kinder. Was bedarf es auch hier der Ausmalung! Bei Quallen und Pflanzensprossen führt das zu unmittelbar auch körperlich zusammengewachsenen Geschwisterstaaten, bei Ameisen und Termiten zu den wunderbarsten freieren Instinktverbänden, und wir wissen schließlich alle, daß sämtliche höheren Pflanzen und Tiere mit Einschluß von uns Menschen ja als Einzelperson schon einen solchen Geschwisterbund aus zahllosen Zellen, einen „Zellenstaat“ mit großartiger, in den Organen offenbarter Arbeitsteilung, darstellen. Also es gibt auch friedliche Möglichkeiten, — auch in der harten Darwinwelt des Vorteils; Frieden muß eben hier das Vorteilhaftere sein.
Aber auch bei den so wüst einander bekämpfenden Arten selbst gewahren wir bei genauem Hinsehen einen sehr interessanten tiefsten Sachverhalt. Auch dort geht der noch so erbitterte Zerfleischungszwist durchweg nicht auf wirkliche Vernichtung. Sondern es ist, als werde immer nur ein gewisser Überschuß gewaltsam abgeschöpft, der im Gesamtkonto jeder Art entbehrt werden kann. Der Birnbaum, die Insektenarten, die Vögel, jetzt dezimiert, sind als Art doch im nächsten Jahr wieder da, wenigstens durchweg. Selbst die äußeren Verhältnisse mit ihren Dürren, Frösten, Hagelschlägen schöpfen meist nur solchen Überschuß ab. Auf die Dauer geologischer Zeiträume mögen sie allerdings mit stärkeren Mitteln auch ganze Arten ausrotten. Aber bei den Arten unter sich reicht offenbar in der Regel der Überschuß, der Luxus gleichsam schon zur Erhaltung des Gleichgewichts. An sich ist das Abheben dieses Überschusses ja eine leidige Notwendigkeit. Können doch die Tiere im ganzen überhaupt nur leben, indem sie von der Pflanzenschöpfung mitzehren; trotzdem grünt aber diese Pflanze in aller Fülle der Kraft bis heute, sie hat eben offensichtlich von je so viel Überschuß in Blättern, Wurzeln, Früchten erzeugen können, daß der ganze Grundstamm der Tierwelt mühelos davon mit unterhalten werden konnte; was aber die Tiere noch mehr brauchen, das erheben sie in Überschußabnahme wieder voneinander als Tribut gefressener anderer Tiere, ohne daß doch auch da wirkliche Werte vertilgt würden; der Leopard lebt seit undenklichen Zeiten neben der Antilope, dezimiert sie, aber beide bleiben. Ja, das ganze ungeheure Arsenal an Waffen und Schutzinstinkten, das die einzelnen Arten gegeneinander aufstellen, scheint in diesem Sinne nur dazu zu dienen, daß bei dem gewaltsamen Überschußabschöpfen kein Mißbrauch getrieben wird, der wirklich zu solcher Vernichtung führen könnte. Es schützt soundso viel Individuen als eisernen Bestand, der bleiben muß, während der Rest dareingehen mag. Pfiffige Gegner meinten wohl der Theorie z. B. von den Schutzfärbungen damit ein Bein stellen zu können, daß sie nachwiesen, kein Schutz derart wirke unter allen Umständen sicher. Weismann hat darauf aber schon vor Jahr und Tag geantwortet, solcher absolute Schutz sei auch gar nicht der Zweck; bei ihm stürze der ganze Naturhaushalt ein; soundso viel Prozent etwa rinden- oder blattähnlicher Insekten müßten trotzdem den andern zum Opfer fallen, dieser Überschuß könne aber entbehrt werden, wenn nur ein gewisser Stamm oder eiserner Bestand durch den Schutz davon komme; in der Tat ist mir keine einzige absolut wirkende Schutzanpassung bekannt.
Erwägt man aber das, so sieht man auf eine neue Möglichkeit. Schließlich hätte sich auch hier bei den Arten am Ende alles viel friedlicher regulieren lassen. Auf Grund dessen, daß ja doch auch hier zuletzt nur ein gegenseitiges Unterstützungsverhältnis vorliegt. Wenn nun der besagte „Überschuß“ allgemein freiwillig abgegeben worden wäre? Vielleicht hätte er nicht immer durch den Tod ganzer Individuen mit allen Schrecken eines solchen zu gehen brauchen. Jeder einzelne hätte bereits ohne Lebensgefahr seinen Teil Überschuß abgeben können, etwa wie auf jener friedlichen Seite die Mutter Blut oder Milch an ihre Jungen wendet, ohne daß diese Jungen sie deshalb auffressen müßten. Dabei konnte die allgemeine Gegenseitigkeit der Überschußnutzung vielleicht noch schärfer herausgearbeitet werden, indem eine Art etwa geradeso viel Überschuß von der andern übernahm, wie sie selbst gewährte. Solche Arten hätten ihre Waffen gegeneinander abschaffen und gegen den gemeinsamen Feind in den äußeren Verhältnissen richten können, dort sich mit dem unterstützend, was sie hier sparten. So hätten sich Schutzverbände aufrichten können auch zwischen Gattungen, Klassen, Reichen, die auf niederen Stufen vielleicht wieder zu körperlichen Verwachsungen führten, auf höheren zu freier Angliederung, wo jeder so weit selbständig blieb, aber zugleich mit dem andern auf do ut des