Die Gewerkschaftsbewegung Darstellung der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiter und der Arbeitgeber aller Länder. - Kulemann, Wilhelm - kostenlos E-Book

Die Gewerkschaftsbewegung Darstellung der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiter und der Arbeitgeber aller Länder. E-Book

Wilhelm, Kulemann

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The Project Gutenberg EBook of Die Gewerkschaftsbewegung, by Wilhelm KulemannThis eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.org/licenseTitle: Die Gewerkschaftsbewegung       Darstellung der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiter              und der Arbeitgeber aller Länder.Author: Wilhelm KulemannRelease Date: July 12, 2014 [EBook #46259]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE GEWERKSCHAFTSBEWEGUNG ***Produced by Odessa Paige Turner, Jens Nordmann and theOnline Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net(This book was produced from scanned images of publicdomain material from the Google Print project.)

Die Gewerkschaftsbewegung.

Darstellung dergewerkschaftlichen Organisation der Arbeiter und der Arbeitgeber aller Länder. VonW. Kulemann Landgerichtsrat. Jena,Verlag von Gustav Fischer. 1900. Alle Rechte vorbehalten.

Vorwort.

Als ich bei der Vorbereitung des von mir auf dem evangelisch-sozialen Kongresse in Frankfurt a. M. am 17. Mai 1894 gehaltenen Vortrages über die Gewerkschaften daran ging, mich näher mit dem Gegenstande und der darüber bestehenden Litteratur zu beschäftigen, fand ich eine auffallende Thatsache. Man kann sicher unserer Zeit nicht den Vorwurf machen, daß zu wenig Bücher geschrieben würden. Sollte man da glauben, daß über eine Erscheinung, wie die Gewerkschaftsbewegung, deren weittragende Bedeutung von ihren Freunden wie von ihren Gegnern übereinstimmend anerkannt wird, nicht ein einziges Buch besteht, aus dem man sich zusammenhängend über sie unterrichten könnte! Man möge mich nicht mißverstehen. Ich will gewiß nicht das Verdienst der Werke von Brentano, Lexis, Sartorius von Waltershausen, Berghoff-Ising, Schmöle, des Ehepaares Webb u. a., deren Arbeiten dauernden Wert behalten, herabsetzen, aber sie alle haben sich auf ein bestimmtes eng begrenztes Einzelgebiet beschränkt, und ich trete ihnen deshalb nicht zu nahe, wenn ich es als eine auffallende Lücke unserer volkswirtschaftlichen Litteratur bezeichne, daß sie kein zusammenhängendes Werk über die Gewerkschaftsbewegung aufweist.

Ein solches ist aber neben jenen Arbeiten ein unabweisbares Bedürfnis, dessen Befriedigung um so dringender wird, je mehr die Ueberzeugung sich Bahn bricht, daß gerade bei uns in Deutschland die Sozialdemokratie nur deshalb ihre jetzige Bedeutung hat erlangen können, weil es an einer anderweiten Organisation der Arbeiterklasse zur Vertretung ihrer berechtigten Interessen fehlte, und deshalb auch diejenigen Arbeiterkreise, die den politischen Zielen jener Partei, wie ihren ethischen und volkswirtschaftlichen Grundlagen ablehnend oder wenigstens gleichgültig gegenüberstehen, sich notgedrungen ihr zuwenden müssen, weil nun einmal die Arbeiterinteressenvertretung eine soziale Naturnotwendigkeit ist, der auf irgend einem Wege Rechnung getragen werden muß.

Die bezeichnete Lücke auszufüllen ist der Zweck meines Buches. Ich habe versucht, so vollständig, wie es mir möglich war, alles Thatsachenmaterial zusammenzustellen, das sich auf die wirtschaftliche Interessenorganisation der Arbeiter bezieht, ohne Beschränkung auf einzelne Länder oder Formen. Ich bin auch der Ansicht, daß eine solche Arbeit nicht nur den Nutzen einer äußeren Zusammenfassung bietet, insbesondere den Personen, die sich mit der Bewegung beschäftigen wollen, die Mühe erspart, sich durch die Speziallitteratur hindurch zu arbeiten, sondern einen höheren Wert hat, denn, wie in allen jenen Einzelerscheinungen nur ein allgemeiner Gedanke der sozialen Kulturentwickelung zum Ausdrucke kommt, der aber in den verschiedenen Ländern eine durch die Eigenart der Verhältnisse bedingte verschiedene Ausprägung erhalten hat, so kann dieses einheitliche Moment auch nur durch eine einheitliche Behandlung zum vollen Verständnisse gelangen.

Aber die Aufgabe, die ich zu lösen hatte, bestand doch nicht etwa, wie es nach dem bisher Gesagten scheinen könnte, lediglich darin, das in den vorhandenen Einzelwerken enthaltene Material zusammenzustellen, vielmehr ist das Gebiet, das bis jetzt eine litterarische Bearbeitung erfahren hatte, nur ein Teil, und nicht einmal ein sehr großer Teil des Gesamtgebietes. Es ist zunächst räumlich begrenzt, denn es beschränkt sich auf die fünf Länder: England, Frankreich, Nordamerika, Deutschland und die Schweiz. Hinsichtlich der übrigen Länder giebt es nichts als zerstreute Aufsätze in einzelnen Zeitschriften. Aber zu dieser räumlichen Begrenzung kommt, wenigstens hinsichtlich des Landes, das uns am meisten interessiert, nämlich Deutschlands, noch eine inhaltliche hinzu, denn das einzige in Betracht kommende Werk von Schmöle über die sozialdemokratischen Gewerkschaften stellt sich gar nicht die Aufgabe, die ganze deutsche Gewerkschaftsbewegung zu umfassen, sondern greift nur eine einzelne Gruppe heraus, die freilich die stärkste, aber nicht entfernt die einzige ist, neben der vielmehr noch verschiedene beachtenswerte andere Organisationen bestehen, für die es an einer litterarischen Bearbeitung völlig oder fast völlig fehlt.

Zu diesen Organisationen gehören zunächst die Hirsch-Duncker'schen Gewerkvereine. Aber wenn in der Oeffentlichkeit meistens sie und die sozialistischen Gewerkschaften als die einzigen gewerkschaftlichen Bildungen angesehen werden, so ist das durchaus unrichtig. Nicht allein ist in neuester Zeit mit Erfolg der Versuch gemacht, christliche Gewerkvereine ins Leben zu rufen, sondern es giebt auch eine ganze Anzahl von Vereinigungen aller Art, die man freilich nicht zu den Gewerkschaften im engsten Sinne zählen kann, die aber nicht allein unter den Begriff der wirtschaftlichen Interessenorganisation der Arbeiter fallen, sondern die man sogar im weiteren Sinne zu den gewerkschaftlichen Bildungen rechnen muß. Wie in der Natur, so giebt es auch im sozialen Leben Uebergangsstufen, Formen, bei denen die karakteristischen Eigenschaften der betreffenden Gattung freilich noch nicht zu voller Entwicklung gelangt sind, aber doch bereits mehr oder weniger scharf hervortreten. Das gilt auch auf unserem Gebiete. Neben Vereinigungen, die sich ausdrücklich als Gewerkvereine oder Gewerkschaften bezeichnen, giebt es andere, die dies nicht thun, die aber dennoch unverkennbare Berührungspunkte mit ihnen haben. Sie sind als Vorstufen zu betrachten, als embryonale Formen, die sich aller Wahrscheinlichkeit nach mit der Zeit zu vollen Gewerkschaften entwickeln werden. Zu ihnen gehören neben den evangelischen und katholischen Arbeitervereinen vor allem eine Reihe kaufmännischer Organisationen, die in bunter Mannigfaltigkeit den gewerkschaftlichen Karakter in den verschiedensten Stufen der Ausbildung zeigen. Endlich haben auch vielfach staatliche und private Beamte das Bedürfnis einer gemeinsamen Vertretung ihrer Interessen empfunden und ihm durch Vereinigung Rechnung getragen. Nun werden freilich die Beamten im Sinne des Sprachgebrauches nicht zu den Arbeitern gezählt; aber sie befinden sich nicht allein in abhängiger Stellung, sondern diese unterscheidet sich auch meist nicht wesentlich von derjenigen des Arbeiters, insbesondere ist sie regelmäßig weder eine dauernd gesicherte, noch hinsichtlich der Leistungen und Gegenleistungen fest bestimmte, so daß für die Verteidigung der Interessen der Mitglieder gegenüber deren Arbeitgebern volle Veranlassung geboten ist.

Alle diese Organisationen, die, wie gesagt, als unentwickelte gewerkschaftliche Formen zu betrachten sind, haben ein Recht auf unsere Beachtung und müssen ihren Platz finden in einem Buche, welches sich die Aufgabe stellt, einen Ueberblick über die gesamte Gewerkschaftsbewegung zu geben. Aber damit ist eine große Schwierigkeit verbunden, nämlich diejenige der Abgrenzung und Auswahl. Sind jene Vereinigungen, wie ich ausführte, nicht völlig ausgereifte Gewerkvereine, enthalten sie vielmehr deren karakteristische Elemente nur in mehr oder weniger hohem Grade, so entsteht die Frage: welche Stufe der Entwickelung, welches Maß von gewerkschaftlichen Momenten ist zu erfordern, um danach eine bestimmte Vereinigung aufzunehmen oder unberücksichtigt zu lassen? Offenbar ist es nicht möglich, dies grundsätzlich zu bestimmen, sondern es muß dabei ein gewisses subjektives Ermessen walten, hinsichtlich dessen ich durchaus nicht den Anspruch erhebe, es überall zutreffend ausgeübt zu haben. Ich bin völlig darauf gefaßt, daß mir in dieser Beziehung Fehler nachgewiesen, daß mir Vereinigungen bezeichnet werden, die ich nicht berücksichtigt habe, während sie mindestens dasselbe Recht auf Beachtung gehabt hätten, wie andere. Ich werde solche Ergänzungen gern entgegennehmen und, sofern sich einmal das Bedürfnis einer zweiten Auflage geltend machen sollte, sie gewissenhaft verwerten.

Giebt es über die Hirsch-Duncker'schen Gewerkvereine wenigstens einige kleinere Schriften, so fehlt es dagegen hinsichtlich der übrigen im Vorstehenden bezeichneten Organisationen völlig an allgemein zugänglicher Litteratur. Ich war deshalb nicht allein für die Materialbeschaffung auf private Bemühungen angewiesen, sondern vor Allem konnte ich auch hinsichtlich der Existenz solcher Vereinigungen, abgesehen von zufälligen Notizen in den Zeitungen, nur auf diesem Wege etwas erfahren. Ich muß deshalb, obgleich ich mich an die am besten orientierten Stellen um Auskunft gewandt und diese fast ausnahmslos in liebenswürdigster Weise erhalten habe, trotzdem die Möglichkeit zugeben, daß mir die eine oder die andere Organisation entgangen sein könnte.

Aber noch in einer anderen Beziehung fiel mir die Aufgabe zu, völlig jungfräulichen Boden zu beackern. Fehlte es bisher nicht allein für einzelne Länder, sondern auch, namentlich in Deutschland, für große Gruppen innerhalb der Arbeiterbewegung an jeder litterarischen Bearbeitung, so gilt das Gleiche hinsichtlich der internationalen Organisation. Es liegt auf der Hand, daß die gewerkschaftliche Entwickelung nicht in die Grenzpfähle der einzelnen Staaten eingeengt werden kann, wird doch gegen jede noch so berechtigte Arbeiterforderung von den Vertretern der Unternehmer stets in erster Linie der Einwand erhoben, daß durch ihre Befriedigung der einheimischen Industrie die Konkurrenz auf dem Weltmarkte unmöglich gemacht werde. Wenn dies nicht in einzelnen, vielleicht auf dem betreffenden Gebiete unvollkommen entwickelten Ländern, sondern überall in gleichem Maße geschieht, wenn man sich in Deutschland auf Oesterreich, Frankreich, England, Amerika und dort wieder auf Deutschland beruft, so erinnert das allerdings lebhaft an die Heine'sche Erzählung von den beiden edlen Polen, von denen keiner wollte, daß der andere für ihn zahle und die deshalb beide schließlich nicht dazu kamen, ihre Zeche zu berichtigen. Aber immerhin ist nicht zu bestreiten, daß die Produktionsbedingungen in den Kulturländern einem natürlichen Ausgleichungsbedürfnisse unterworfen sind und daß die Industrie eines Landes geschädigt werden müßte, wenn die Ungleichheit ihrer Belastung im Vergleiche mit derjenigen der übrigen Länder ein gewisses Maß überschreiten würde. Aus diesem Grunde ist die gewerkschaftliche Bewegung, will anders sie dauernden Erfolg haben, grundsätzlich auf internationale Entwickelung hingewiesen.

Hier ist nun die bisherige Litteratur nicht allein völlig unzureichend, sondern es ist einfach keine vorhanden. Ja, mehr als das. Die Thatsachen der internationalen Organisation sind selbst in den eingeweihtesten Kreisen fast völlig unbekannt geblieben. Das scheint eine kühne Behauptung, aber ich darf doch ganz gewiß die Generalkommission der Gewerkschaften und den Vorstand des sozialdemokratischen Parteiarchivs zu diesen Kreisen zählen, und von beiden habe ich trotz des bereitwilligsten Entgegenkommens, für das ich hiermit öffentlich meinen Dank ausspreche, nicht allein keine derartige Litteratur erhalten, sondern es wurde mir vielmehr erklärt, daß eine internationale Organisation, abgesehen von den Buchdruckern, eigentlich noch gar nicht existiere und es kaum der Mühe verlohne, sich mit den vereinzelt gemachten erfolglosen Versuchen zu beschäftigen. Wenn es mir desungeachtet gelungen ist, eine, wie ich glaube, ziemlich vollständige Uebersicht der vorhandenen internationalen Beziehungen in den einzelnen Industriezweigen zu beschaffen, die in ihrer Gesamtheit doch recht beachtenswert sind und einen zwar langsamen, aber stetigen Fortschritt des Organisationsgedankens auch im internationalen Rahmen beweisen, so darf ich also hier den Ruhm eines Entdeckers unbekannter Gebiete für mich in Anspruch nehmen.

Soviel über die Arbeiterorganisationen. Aber je länger ich mich mit ihnen beschäftigte, um so mehr wurde mir klar, daß ich mich nicht auf sie beschränken durfte, wenigstens wenn ich nicht meine Aufgabe lediglich in der Zusammentragung von Thatsachen sehen, sondern in ihnen einen höhern Gedanken verfolgen und zum Ausdrucke bringen wollte. Dieser Gedanke, der sich ganz von selbst aufdrängt, sobald man nur die Thatsachen unbefangen auf sich wirken läßt, ist der, daß die Organisation als solche, die Zusammenfassung vieler Einzelner, die in gleichartigen Verhältnissen leben, nicht auf willkürlicher Neigung beruht, sondern einem inneren Bedürfnisse der Entwickelung unserer wirtschaftlichen Verhältnisse entspringt. Es wäre ja auch wunderbar, wenn es anders sein sollte. In früheren Jahrhunderten, als die Beziehungen der Staatsbürger untereinander unendlich viel einfacher und übersichtlicher waren, bestanden Organisationen, die jedem den seiner Stellung im Wirtschaftsleben entsprechenden Platz zuwiesen. Sollte heute, wo diese Beziehungen von Tag zu Tag mannigfaltiger und verworrener werden, das Bedürfnis nach Organisation geringer sein? Das ist kaum denkbar. Wenn man in unserem Jahrhundert die von früher überkommenen Formen zerschlagen hat, so war das berechtigt, weil diese Formen ihrem Zwecke nicht mehr entsprachen, aber nicht deshalb, weil der Zweck selbst, der sie ins Leben gerufen hatte, nicht mehr bestanden hätte. Indem man sie zerschlug, ohne sie zu ersetzen, schuf man eine Lücke, und das innere Bedürfnis, diese Lücke auszufüllen, ist die Triebkraft der modernen Organisationsbewegung. Individualismus und Sozialismus, Stellung des Einzelnen auf sich selbst und Zusammenfassung vieler oder aller Einzelnen zu organischen Gesamtheiten, das ist der große Gegensatz, zwischen dem sich unsere wirtschaftliche Entwickelung in Pendelschwingungen bewegt. Haben wir die Perioden sowohl der Zunftverfassung wie des Manchestertums überwunden, so liegt es nahe, gerade in der gewerkschaftlichen Organisation als einer Mittelstufe zwischen dem reinen Individualismus und dem extremen Sozialismus diejenige Form zu sehen, die unserer heutigen Entwickelung am besten angepaßt ist und mittelst deren es gelingen wird, einen harmonischen Ausgleich zu erzielen. Aber ist das richtig, so liegt auf der Hand, daß die Bewegung sich nicht auf die Arbeiter beschränken kann. Auch die Unternehmer haben durch Beseitigung der Zunftverfassung ihre frühere Organisation verloren, ohne daß doch das Erfordernis einer solchen beseitigt wäre. Es ist ja möglich, daß das Bedürfnis der Zusammenfassung zu Verbänden, die das gemeinsame Interesse verfolgen, bei ihnen nicht so stark ist, wie bei den Arbeitern, weil der einzelne Unternehmer schon für sich allein widerstandsfähiger ist, und daraus mag es sich erklären, daß im allgemeinen die Arbeiter den Organisationsgedanken lebhafter aufgegriffen haben, aber gerade nachdem diese vorangegangen sind, bleibt den Unternehmern nichts übrig, als denselben Weg einzuschlagen.

Wollte ich also den Organisationsgedanken zur Geltung bringen, wollte ich zeigen, daß die Vertretung der Interessen der Arbeit als volkswirtschaftlichen Faktors gegenüber denjenigen des Kapitals und der Konsumtion, kurz, daß die „Organisation der Arbeit“, wie man es vielfach genannt hat, eine Naturnotwendigkeit ist, die sich in den Thatsachen widerspiegelt, so mußte ich auch die Vereinigungen der Unternehmer berücksichtigen.

Aber hier bot sich eine große Schwierigkeit, wenngleich rein äußerer Art, nämlich die Rücksicht auf den Umfang des Buches. Hätte ich die Organisation der Unternehmer in derselben Ausführlichkeit behandeln wollen, wie diejenige der Arbeiter, so würde der Stoff in dem Maße angewachsen sein, daß er in einem Bande nicht hätte bewältigt werden können; damit aber würde ich den Zweck, auf den mein Buch nach seiner ganzen Anlage zugeschnitten ist, nämlich die Verbreitung in größeren Kreisen, aufgegeben haben. Es entstand nun die Frage, wie das zu vermeiden sei. Auf die Darstellung der Unternehmervereinigungen ganz zu verzichten, war nicht möglich. Wie schon bemerkt, liegt der leitende Gedanke meines Buches, die Quintessenz dessen, was ich durch dasselbe beweisen will, in dem Satze, daß der einzige Weg, um zu einer durchgreifenden und dauernden Gesundung unserer wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zu gelangen, in der Organisation der Arbeit, d. h. der beiden an ihr beteiligten Faktoren, der Arbeiter und der Unternehmer, zu sehen ist. Aber die Organisation ist ja nicht Selbstzweck, sondern, wie bemerkt, das Mittel, zu gesunden sozialen Zuständen zu gelangen. Für diese ist nun der weitaus wichtigste Faktor das Verhältnis zwischen den beiden Klassen der Bevölkerung, die sich heute fast wie zwei feindliche Heere gegenüberstehen, nämlich zwischen Arbeitern und Arbeitgebern. Wenn es deshalb möglich ist, die Organisation der Unternehmer nur insoweit zu behandeln, wie sie für dieses Verhältnis von Bedeutung ist, so mag freilich ein gewisser systematischer Fehler übrig bleiben, aber er ist dann von vorwiegend formeller Bedeutung, er beeinträchtigt nicht den Hauptzweck des Buches und darf als Preis der damit erzielten Umfangsbeschränkung in Kauf genommen werden.

In der That ist diese Scheidung leichter durchführbar, als es zunächst scheinen könnte. Der Unternehmer hat ein wirtschaftliches Interesse nach zwei ganz verschiedenen Richtungen, nämlich einerseits hinsichtlich der Herstellung und andererseits hinsichtlich des Absatzes. Bei dem letzteren tritt er in einen Interessengegensatz zu den Konsumenten, aber nicht zu den Arbeitern als solchen; zu ihnen besteht vielmehr eine Beziehung des Unternehmers lediglich im Rahmen der Produktion, insofern die Erfüllung der Forderungen, die im Interesse des Arbeiters liegen, in der Regel die Produktionskosten erhöht. Es ergiebt sich hieraus, daß diejenigen Unternehmerorganisationen, die sich mit der Regelung des Absatzes befassen, ganz von selbst aus dem hier gezogenen Rahmen entfallen.

Aber damit ist die uns obliegende Ausscheidung noch nicht erschöpft, vielmehr muß sie auch das Gebiet der Produktion ergreifen. Hier ist sie schwieriger, weil der Unternehmer mit einer ganzen Anzahl von Personen in ein Verhältnis des Interessengegensatzes tritt, und zwar sind dies alle diejenigen, deren Leistungen erforderlich sind, um die Produktion in ihren verschiedenen Stadien zu ermöglichen. Dazu gehören also außer den Arbeitern vor allem die Lieferanten der Roh- und Hülfsstoffe. Endlich kommen sowohl hinsichtlich des Absatzes, wie hinsichtlich der Herstellung für die Interessen des Unternehmers sehr wesentlich die Einrichtungen des Staates in Betracht, insbesondere auf dem Gebiete der Zoll- und Tarifpolitik. Die vielfachen „Vereine zum Schutze der wirtschaftlichen Interessen“, ebenso wie die Kartelle und Syndikate befassen sich nun in der That mit den Beziehungen der Unternehmer nach allen diesen Richtungen, also gegenüber den Konsumenten, den Lieferanten der Roh- und Hülfsstoffe und den staatlichen Behörden. Wenn wir deshalb für unseren Zweck uns auf diejenigen Unternehmerorganisationen beschränken, welche die Beziehungen zu den Arbeitern berühren, so scheiden wir dadurch nicht nur das Gebiet des Absatzes aus, sondern auch einen Teil desjenigen der Produktion, aber immerhin ist der Schnitt, den wir machen, ein völlig scharfer und begrifflich bestimmter, der erkennen läßt, was rechts oder links liegt.

Ich werde in dem Buche selbst nochmals auf diesen Punkt zurückkommen müssen[1], glaubte aber doch schon hier, wo es sich darum handelt, die verfolgte Aufgabe zu bezeichnen und den Leser über dasjenige, was er zu erwarten hat, zu unterrichten, mich darüber aussprechen zu sollen, zumal dadurch die Wahl des Titels berührt wird. Ich habe in diesem den Ausdruck „Arbeitgeber“ und nicht „Unternehmer“ gebraucht, weil in ihm das Verhältnis gerade zu den Arbeitern bezeichnet wird. Allerdings war es schwierig, hier die richtige Abgrenzung zu finden, da naturgemäß viele Vereinigungen sich nicht auf die Verfolgung der Interessen ihrer Mitglieder nach einer einzelnen Richtung beschränken. Lediglich die in neuerer Zeit zahlreich ins Leben gerufenen „Antistreikvereine“, die sich in einzelnen Gewerben zu Zentralverbänden für ganz Deutschland zusammengeschlossen haben, während andere alle Arbeitgeber eines bestimmten Bezirkes ohne Unterschied des Gewerbes umfassen, verfolgen als einziges Ziel die Regelung des Verhältnisses zu den Arbeitern, bei den meisten dagegen bildet diese Aufgabe nur die mehr oder minder in den Vordergrund tretende Seite ihrer Thätigkeit. Vereine, die sich ein weiteres Ziel gesteckt haben, habe ich überall da berücksichtigt, wo die Wahrung der Interessen gegenüber den Arbeitern in dem Statute zum Ausdruck kommt.

Es war meine Absicht, alle Unternehmerorganisationen, die sich mit den Beziehungen zu der Arbeiterschaft überhaupt befassen, zu erwähnen und das Wesentlichste über sie mitzuteilen. Aber an keiner anderen Stelle meines Buches ist das Gelieferte so weit hinter dem Gewollten zurückgeblieben, wie hier, insbesondere ist es mir nicht entfernt möglich gewesen, die angestrebte Vollständigkeit zu erreichen. Auch hier fehlte es bisher an aller und jeder Litteratur. Ja wohl, über die Kartelle und Syndikate giebt es solche in völlig ausreichendem Maße, und um so ruhiger konnte ich deshalb deren Ausscheidung verantworten, aber die Kampforganisationen der Unternehmer gegenüber den Arbeitern haben weder in Deutschland noch in anderen Ländern bisher irgendwelche litterarische Behandlung gefunden.

War ich deshalb zur Beschaffung des Materials ausschließlich auf den Weg privater Ermittelung verwiesen, so machte sich um so mehr eine weitere Schwierigkeit geltend. Die in Rede stehenden Vereinigungen wünschen nämlich zum Teil nicht, daß über ihre Einrichtungen etwas in die Oeffentlichkeit dringt. Brentano, den ich um seine Unterstützung bat, schreibt mir: „Gerade die Unternehmervereine sind heutzutage die wahren geheimen Gesellschaften.“ So habe ich denn auf meine Anfragen zum großen Teil entweder eine ablehnende oder gar keine Antwort erhalten.

Ich habe die gegen die Systematik meines Buches zu erhebenden Einwendungen offen dargelegt und dessen mangelnde Vollständigkeit anstandslos eingeräumt, aber ich konnte mich nicht entschließen, wegen dieser Unvollkommenheit den zweiten Teil ganz zu unterdrücken. Ist auch der Abschnitt über die Organisation der Arbeitgeber gewissermaßen ein Torso geblieben, so glaubte ich ihn doch als den ersten Versuch einer solchen Arbeit der Oeffentlichkeit nicht vorenthalten zu sollen. Dazu kommt, daß die Unvollständigkeit hier nicht von solcher Bedeutung ist, wie es scheinen könnte. Den Zweck einer Zusammenstellung, wie sie mein Buch bieten soll, wird man nicht sowohl darin zu sehen haben, den Leser über alle irgendwo bestehenden Vereinigungen dieser Art zu unterrichten, als vielmehr darin, die bisher unternommenen Versuche einer Organisation der Arbeitgeber mit Rücksicht auf die hierbei gemachten Erfahrungen und hervorgetretenen Tendenzen zu zeigen. Dieser Zweck aber ist erreicht, wenn in den zusammengestellten Thatsachen alle typischen und sonst interessanten Züge zum Ausdrucke gelangt sind, und daß dies geschehen ist, glaube ich annehmen zu dürfen.

Das bisher Gesagte gilt im wesentlichen auch hinsichtlich des dritten Hauptabschnittes, nämlich der gemeinsamen Organisation von Arbeitern und Unternehmern. Auch hier fehlte es bisher, abgesehen von dem Buche von Alfred Swaine über den ostschweizerischen Stickereiverband, dem Buche von Boissard über die französischen syndicats mixtes und einigen Arbeiten über die Tarifgemeinschaft der Buchdrucker an jeder Litteratur, so daß ich nur das bieten konnte, was mir durch private Erkundigung zugänglich geworden ist. Ich muß deshalb auch hier die Verantwortung für die Vollständigkeit meiner Zusammenstellung ablehnen.

Nach alledem sehe ich die Berechtigung meines Buches in folgenden Punkten. Dasselbe bietet zum erstenmale:

1.

eine Zusammenstellung der gesamten gewerkschaftlichen Entwickelung;

2.

eine Darstellung hinsichtlich derjenigen Länder, für die es bisher eine allgemeine zugängliche Litteratur nicht gab;

3.

eine Behandlung der in Deutschland bestehenden gewerkschaftlichen Ansätze, soweit sie außer den sozialistischen Gewerkschaften und den

Hirsch-Duncker

'schen Gewerkvereinen vorhanden sind;

4.

eine Uebersicht der bisherigen internationalen Organisation;

5.

Material über die Vereinigungen der Arbeitgeber, soweit sie das Verhältnis zu den Arbeitern berühren;

6.

eine Zusammenstellung der bisher unternommenen Versuche einer gemeinsamen Organisation von Arbeitern und Arbeitgebern. —

Habe ich mich bisher mit dem Inhalte meines Buches beschäftigt, so darf ich mir zum Schlusse noch einige Worte über die formelle Seite, insbesondere die Art der Behandlung gestatten. Wenn ich mir die Aufgabe stellte, die wirtschaftlichen Interessenorganisationen der Arbeiter und der Arbeitgeber in allen Kulturländern in einem einzigen Buche zu umfassen, so war damit von selbst die Notwendigkeit einer weitgehenden Beschränkung gegeben. Das ganze ungeheure Gebiet mit der Ausführlichkeit zu behandeln, wie es die vorhandene Speziallitteratur thut, würde zunächst die Kraft eines Einzelnen weit überstiegen haben. Aber selbst abgesehen hiervon, würde eine solche Arbeit kaum eine innere Berechtigung gehabt haben, denn, soweit bereits befriedigende Bearbeitungen der Einzelgebiete vorliegen, ist für ein neues Buch von gleichem Zuschnitte kein Bedürfnis vorhanden. Endlich aber würde ein solches Werk von vielen Bänden gerade den Zweck nicht erreicht haben, auf den es mir vor allem ankam, nämlich nicht ein Buch für Bibliotheken zu schreiben, das nur wenige Personen in die Hand bekommen, sondern das Verständnis für die große soziale Organisationsbewegung der Gegenwart in möglichst weite Kreise zu tragen. Hierzu bedarf es eines Buches, das freilich einerseits den ganzen Stoff umfaßt und von einheitlichen Gesichtspunkten aus behandelt, das aber andererseits unbeschadet der Vollständigkeit sich möglichster Knappheit befleißigt und dadurch eine Begrenzung nach Umfang und Preis erzielt, wie sie für den bezeichneten Zweck weiter Verbreitung unerläßliche Bedingung ist.

War ich aber hiernach ohnehin nicht in der Lage, mit den vorhandenen Werken der Speziallitteratur in Konkurrenz zu treten, indem vielmehr derjenige, der sich eingehender mit einem Spezialgebiete beschäftigen will, auf jene verwiesen werden muß, so würde es eine thörichte Eitelkeit gewesen sein, wenn ich hier die Absicht gehabt hätte, Originalstudien zu bieten und auf die Urquellen zurückzugehen. Ich habe deshalb vielmehr überall da, wo bereits Bearbeitungen des betreffenden Gebietes vorhanden waren, diese meiner Darstellung zu Grunde gelegt und nur, soweit sie nicht bis auf die Jetztzeit reichten, die erforderlichen Ergänzungen auf anderem Wege beschafft.

Unter den Werken, die für ein eingehenderes Studium in Betracht kommen, stehen in erster Linie die einschlägigen Artikel des von Conrad, Elster, Lexis und Loening herausgegebenen „Handwörterbuches der Staatswissenschaften“, in denen auch ausführliche Litteraturnachweise gegeben sind. Die wertvollste Materialsammlung für die fortlaufende Entwickelung bietet das von H. Braun begründete „Sozialpolitische Zentralblatt“, das seit 1. April 1895 unter dem Titel „Soziale Praxis“ erscheint und jetzt von C. Francke herausgegeben wird. Leider sind meist die Originalquellen, aus denen die Angaben entnommen sind, nicht bezeichnet. Ich erwähne beide Werke in diesem Zusammenhange, da ich vielfach aus ihnen geschöpft habe und es doch nicht gut durchführbar erschien, mich an jeder einzelnen Stelle ausdrücklich auf sie zu beziehen. Im übrigen habe ich die von mir benutzten Quellen und die wichtigere Litteratur bei den einzelnen Abschnitten angegeben.

Es war zuerst meine Absicht, mich nicht auf eine Sammlung des Thatsachenmaterials zu beschränken, sondern daneben in einem zweiten Bande dieprinzipielle Seite der Organisation, insbesondere deren wirtschaftliche und sozialpolitische Bedeutung zu erörtern.

Es waren auch hier äußere Gründe, die mich zwangen, hiervon abzusehen, und zwar einerseits die bereits hervorgehobene Rücksicht, den Umfang des Buches nicht zu sehr zu vergrößern, andererseits der Wunsch, die Veröffentlichung des fertig gestellten ersten Bandes nicht länger hinauszuschieben. Aber ich hoffe, in nicht allzulanger Zeit das jetzt Unterlassene nachzuholen und in einer ferneren Arbeit nicht allein den Nachweis zu erbringen, daß die Organisation von Arbeitern und Unternehmern als den beiden Faktoren der Arbeit eine unabweisbare Notwendigkeit ist, um deren Interesse gegenüber denjenigen des Kapitals und der Konsumtion wahrzunehmen und zu einer Ordnung in den verworrenen Verhältnissen des heutigen Erwerbslebens zu gelangen, sondern auch zu den hiermit zusammenhängenden Einzelfragen über die beste Form, insbesondere gemeinsame oder getrennte, freiwillige oder zwangsweise Organisation der beiden Berufsklassen, über die Beziehungen zwischen den gewerkschaftlichen und den politischen Aufgaben und das dadurch bedingte Verhältnis der Gewerkschaften zur Sozialdemokratie und endlich über die Berechtigung der einzelnen gewerkschaftlichen Forderungen, insbesondere die Erhöhung des Arbeitslohnes und die Verkürzung der Arbeitsdauer Stellung zu nehmen. In diesem Zusammenhange wird es mir auch möglich sein, etwas nachzuholen, was eigentlich der jetzigen Arbeit hätte vorausgehen müssen, insofern die Auswahl der behandelten Organisationen dadurch bedingt ist, nämlich den Begriff von „Gewerkschaft“ oder „Gewerkverein“ und dessen karakteristische Momente genau zu bestimmen. Ich bemerke dabei, daß ich die beiden genannten Ausdrücke in meinem Buche als gleichbedeutend behandele und abwechselnd gebrauche, ohne durch die Wahl des einen oder des anderen zu dem in Deutschland zwischen den Hirsch-Duncker'schen Gewerkvereinen und den sozialistischen Gewerkschaften bestehenden Gegensatze und insbesondere zu der Frage, welche von beiden Arten den englischen trade unions am nächsten steht, Stellung zu nehmen. Im allgemeinen ist das Wort „Gewerkschaft“ wegen der handlicheren Ableitungsformen für den Gebrauch bequemer.

Die bereits vorliegende und die vorstehend bezeichnete fernere Arbeit werden in gewisser Weise nur zwei Bände eines Buches bilden, indem sie nicht allein denselben Gegenstand lediglich nach zwei Seiten hin behandeln, sondern auch denselben Grundgedanken zur Darstellung bringen, nämlich die Notwendigkeit der sozialen Organisation, für die der Nachweis auf doppeltem Wege geführt wird, nämlich einerseits induktiv an der Hand der Thatsachen der bisherigen Entwickelung, andererseits deduktiv als Ausfluß anerkannter oder doch als sicher vorhanden nachzuweisender volkswirtschaftlicher und psychologischer Gesetze. Deßungeachtet sind beide Arbeiten formell selbständige Bücher, da sie beide für sich ihr Gebiet erschöpfen und keine von beiden die andere zur Voraussetzung hat.

Ich habe übrigens diese Scheidung in zwei Bände nicht in der Weise durchgeführt, daß ich mich in dem vorliegenden streng auf die Darstellung von Thatsachen beschränkt und jede Kritik vermieden hätte. Zweifellos wäre das rein systematisch das Richtige gewesen, aber Systematik ist eben nicht Selbstzweck und wird, wo sie als solcher behandelt wird, zur Pedanterie. Ist ganz gewiß das Durcharbeiten eines so massenhaften Materials, wie ich es zusammentragen mußte, für den Leser in hohem Grade ermüdend, so schien es mir geeignet, die Monotonie der Darstellung gelegentlich dadurch etwas zu unterbrechen, daß ich an einzelnen Stellen kurze kritische Bemerkungen mir gestattete. Dadurch wird freilich der sonst nach Kräften gewahrte durchaus objektive Karakter meines Buches etwas beeinträchtigt, und ein Leser, der nicht auf meinem Standpunkte steht, wird gewiß an diesen Aeußerungen zuweilen Anstoß nehmen. Immerhin darf ich hoffen, daß solche Leser, die gewohnt sind, auch gegnerische Meinungen anzuhören, mir darum nicht zürnen werden. —

Zum Schlusse will ich nicht verfehlen, den üblichen Appell an die Nachsicht meiner Kritiker zu richten. Welche Schwierigkeiten die Verarbeitung eines so ungeheuren Materials bietet, wie es mir vorlag, kann nur derjenige völlig beurteilen, der sich schon mit ähnlichen Arbeiten befaßt hat; besteht doch gerade die Aufgabe darin, diese Schwierigkeit gar nicht merken zu lassen, sondern bei dem Leser das Gefühl hervorzurufen, als ob das, was ihm auf wenigen Seiten über einen Gegenstand gesagt wird und den knappen Auszug aus vielen Bänden und umfangreichen Protokollen, Berichten, Statuten u. s. w. darstellt, Alles enthalte, was darüber zu wissen nötig und möglich sei. Das Exzerpieren ist an sich eine mechanische und gerade deshalb wenig befriedigende Arbeit, aber die Aufgabe, die dabei gelöst werden muß, nämlich zwischen Wichtigem und weniger Wichtigem zu unterscheiden, so viel zu bieten, wie zur Orientierung erforderlich ist, aber auch nicht mehr, ist doch weniger leicht, als es scheinen könnte, insbesondere erfordert sie einen litterarischen Takt, ein Feingefühl, dessen Bedeutung man nur am eigenen Leibe erfährt, wenn man an hundert und tausend Stellen vor der Frage steht, ob man eine Angabe aufnehmen oder fortlassen, sie ausführlicher oder knapper fassen soll.

Aber es ist nicht nur die Verarbeitung eines so großen Materials, was Mühe verursacht, sondern schon dessen Zusammenbringung ist mit Schwierigkeiten verknüpft, die sich der Fernstehende nicht träumen läßt, und die doppelt groß sind für Jemanden, der einerseits nicht am Sitze einer größeren Bibliothek wohnt und anderseits solche Studien nicht als Beruf betreibt, sondern in einem Amte steht, das notwendig den Hauptteil seiner Arbeitskraft in Anspruch nimmt, und der deshalb nur seine unregelmäßigen Mußestunden zur Verwendung hat. Perioden von Wochen und Monaten, in denen die Berufsgeschäfte die gesamte Thätigkeit in Anspruch nehmen, zwingen zu Unterbrechungen, die nicht allein dadurch, daß das stete Wiedereinfädeln des zerrissenen Fadens doppelte Mühe und Zeit beansprucht, eine sehr erhebliche Erschwerung mit sich bringen, sondern vor allem die Einheitlichkeit der Arbeit beeinträchtigen.

Sollte es mir gelungen sein, den geneigten Leser von der Größe aller dieser Schwierigkeiten zu überzeugen, so wird er es vielleicht milder beurteilen, wenn er die Aufgabe nicht überall als glücklich gelöst anerkennt, insbesondere einige Partien zu lang, andere zu kurz behandelt findet. Ich bilde mir nicht entfernt ein, hier überall das Richtige getroffen zu haben, ja ich sehe das Verdienst meiner Arbeit überhaupt weniger in dem, was sie selbst unmittelbar bietet, als in der Anregung, die ich mir von ihr für weite Kreise verspreche, sich mit den von mir behandelten Dingen eingehender, als es bisher geschehen ist, zu beschäftigen.

Für solche ferneren Arbeiten, die auf dem gleichen Boden weiterbauen, wird mein Buch, so hoffe ich, im Stande sein, eine brauchbare Unterlage zu bieten.

Braunschweig, 15. September 1899.W. Kulemann.

Fußnoten:

[1] Vgl. S. 516 ff.

Inhaltsverzeichnis.

Erster Teil.

Arbeiterverbände.

Seite

Erster Abschnitt.

Nationale Vereinigungen

1

I.

England

1

II.

Frankreich

63

III.

Oesterreich

85

IV.

Schweiz

111

V.

Belgien

135

VI.

Holland

140

VII.

Italien

145

VIII.

Die übrigen europäischen Länder

152

IX.

Nordamerika

159

X.

Australien

178

XI.

Deutschland

183

1.

Einleitung

183

2.

Die Hirsch-Duncker'schen Gewerkvereine

185

3.

Die sozialistischen Gewerkschaften

201

A.

Der v. Schweitzer'sche Gewerkschaftsbund

201

B.

Die Internationalen Gewerksgenossenschaften

202

C.

Die York'sche Gewerkschaftsunion

205

D.

Die Vereinigung der Lassalleaner und Marxisten

206

E.

Die lokalen Fachvereine

207

F.

Die Wirkung des Sozialistengesetzes

208

G.

Wiederaufleben der gewerkschaftlichen Bewegung

210

H.

Die neueste Entwickelung

216

I.

Die Lokalorganisierten

255

4.

Der deutsche Buchdruckerverband

258

5.

Die Bergarbeiter

293

6.

Die Postbeamten

316

a)

Allgemeines

316

b)

Der Bayrische Verkehrsbeamtenverein

318

c)

Verband deutscher Post- und Telegraphenassistenten

321

d)

Die Postunterbeamten

326

7.

Die Eisenbahnbediensteten

331

A.

Beamte

331

a)

Deutscher Eisenbahnbeamtenverein

332

b)

Verein Deutscher Lokomotivführer

333

B.

Arbeiter

334

a)

Verband Deutscher Eisenbahnhandwerker und Arbeiter

335

b)

Der Bayrische Eisenbahnerverband

336

c)

Verband bayrischer Eisenbahnwerkstätten- und Betriebs-Arbeiter

338

d)

Verband badischer Eisenbahnbediensteter

339

e)

Der Verband der deutschen Eisenbahner

340

C.

Gemischte Vereine

342

8.

Der deutsche Privatbeamtenverein

343

9.

Der Deutsche Werkmeisterverband

347

10.

Die kaufmännischen Vereinigungen

349

A.

Die ältere Richtung

351

a)

Deutscher Verband kaufmännischer Vereine

351

b)

Verein für Handlungskommis von 1858

353

c)

Kaufmännischer Verein in Frankfurt a. M.

354

d)

Kaufmännischer Verein in Mannheim

355

e)

Kaufmännischer Verein Union in Bremen

356

f)

Kaufmännischer Verein München

356

g)

Verein junger Kaufleute in Berlin

357

h)

Kaufmännischer und gewerblicher Hülfsverein für weibliche Angestellte

358

i)

Verband deutscher Handlungsgehülfen

359

k)

Verband reisender Kaufleute Deutschlands

360

l)

Kaufmännischer Hülfsverein in Berlin

361

B.

Die neuere Richtung

362

a)

Verein der deutschen Kaufleute

362

b)

Deutschnationaler Handlungsgehülfenverband

364

c)

Verein für kaufmännische Angestellte

367

d)

Zentralverband der Handlungsgehülfen und -Gehülfinnen Deutschlands

369

11.

Konfessionelle Arbeitervereine

372

A.

Evangelische

372

B.

Katholische

388

C.

Fachabteilungen

391

D.

Christlich-soziale Gewerkvereine

396

a)

Textilarbeiterverband Aachen, Burtscheid

397

b)

Textilarbeiterverein Eupen

399

c)

Textilarbeiterverein Düren

399

d)

Niederrheinischer Verband christlicher Textilarbeiter

400

e)

Textilarbeiterverband in Mönchen-Gladbach

403

e)

Textilarbeiterverband in Mönchen-Gladbach

403

f)

Bayrischer Textilarbeiterverband

404

g)

Gewerkverein der Maurer

405

h)

Gewerkverein der Metallarbeiter

407

i)

Gewerkverein der Gastwirtsgehülfe

407

k)

Gewerkverein kaufmännischer Hülfsarbeiter

408

l)

Schwarzwälder Uhrenindustriearbeiter

408

m)

Christliche Gewerkschaft in Frankfurt a. M.

409

n)

Gesamtverband christlicher Gewerkvereine

410

Zweiter Abschnitt.

Internationale Beziehungen

414

I.

Einleitung

414

II.

Die internationale Arbeiterassoziation

415

III.

Allgemeine Arbeiterkongresse

416

IV.

Die einzelnen Gewerbe

440

1.

Buchdrucker

440

2.

Bergarbeiter

462

3.

Eisenbahnarbeiter

472

4.

Textilarbeiter

475

5.

Die Metallarbeiter

478

6.

Die Holzarbeiter

481

7.

Die Seeleute und Hafenarbeiter

483

8.

Tabakarbeiter

486

9.

Lederarbeiter

489

10.

Die Brauer

490

11.

Former

491

12.

Handschuhmacher

492

13.

Hutmacher

496

14.

Töpfer

499

15.

Porzellanarbeiter

500

16.

Glasarbeiter

500

17.

Die Diamantarbeiter

504

18.

Die Bildhauer

505

19.

Die Lithographen

507

20.

Die Sattler und Tapezierer

509

21.

Schuhmacher

510

22.

Die Schneider

512

23.

Handlungsreisende

514

Zweiter Teil.

Arbeitgeberverbände.

I.

Einleitung

516

II.

Deutschland

522

A.

Uebersicht der bestehenden Interessentenvereinigungen

522

a)

Allgemeine Verbände

522

b)

Organisationen einzelner Berufszweige

526

B.

Arbeitgeber-Schutzverbände

533

a)

Allgemeine Arbeitgeberverbände

535

1.

Arbeitgeberverband Hamburg-Altona

535

2.

Bund der Arbeitgeberverbände Berlins

538

3.

Arbeitgeberverband Flensburg

539

4.

Verein Bielefelder Fabrikanten

540

5.

Bergischer Fabrikantenverein

541

6.

Die Streikversicherungsgesellschaft Industria

542

b)

Vereinigungen einzelner Berufszweige

545

I.

Bergbau

545

1.

Ausstandsversicherungsverband des Oberbergamtsbezirks Dortmund

545

2.

Oelsnitz-Gersdorf-Lugauer Steinkohlenbergwerke

546

3.

Magdeburger Braunkohlenbergbauverein

547

II.

Metallindustrie

548

1.

Gesamtverband Deutscher Metallindustrieller

548

2.

Verband der Metallindustriellen für Nürnberg, Fürth und Umgebung

550

3.

Verband der Metallindustriellen Magdeburgs und Umgebung

550

4.

Vereinigung der Berliner Metallwarenfabrikanten

551

5.

Vereinigung der Berliner Klempner, Kupferschmiede, Gas- und Wasser-Installateure und verwandter Berufszweige

552

6.

Verein der Kupferschmiedereien Deutschlands

552

7.

Verband Berliner Metallindustrieller

553

8.

Verband der Metallindustriellen Württembergs

554

9.

Verband der Metallindustriellen in Halle a. S. und Umgegend

554

10.

Verein Braunschweiger Metallindustrieller

555

11.

Verband der Metallindustriellen im Bezirk Leipzig

555

III.

Brauerei

556

1.

Verband Braunschweigischer Bierbrauereien

556

2.

Verband der norddeutschen Brauereien

557

3.

Die bayrischen Bierbrauereien

557

4.

Zentralverband deutscher Brauereien gegen Verrufserklärungen

558

IV.

Brauerei

560

1.

Verein zur Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen der Tuchfabrikanten zu Cottbus

560

2.

Tuchfabrikantenverein zu Aachen-Burtscheid

563

3.

Verein der Riemenfabrikanten in Barmen

564

4.

Wupperthaler Riemendreherverband

565

V.

Tabakindustrie

566

VI.

Baugewerke

567

A.

Oertliche Vereine

567

1.

Arbeitgeberbund für das Maurer- und Zimmerergewerbe von Berlin und den Vororten

567

2.

Bund der vereinigten Arbeitgeber der Maurer, Zimmerer und Bauarbeiter in Brandenburg a. H.

568

3.

Verein bremischer Baugewerksmeister

569

4.

Verband der Baumeister und Bauunternehmer in Dresden

570

5.

Freie Vereinigung der Baugeschäftsinhaber in Greiz

571

6.

Arbeitgeberverband des Maurer- und Zimmerergewerbes in Magdeburg

572

7.

Verband der Arbeitgeber des Baugewerbes in München

574

8.

Verband süddeutscher Baugewerksmeister

575

9.

Freie Vereinigung der Maurer- und Zimmermeister in Stettin

577

B.

Der deutsche Arbeitgeberbund für das Baugewerbe

578

VII.

Hutfabrikation

580

1.

Verein Berliner Wollfilzhutfabrikanten

580

2.

Verein sächsischer Strohhutfabrikanten zur Wahrung gemeinsamer Interessen

581

VIII.

Tapetenfabrikation

581

IX.

Handwerk

582

1.

Arbeitgeberbund der vereinigten Tischler- und Drechslermeister, sowie verwandter Holzbearbeitungsbetriebe in Stettin

582

2.

Verein der Möbel- und Bautischlereien in Herford

583

3.

Verband der Faßfabrikanten und Küfermeister von Rheinland und Westfalen

584

X.

Landwirtschaft

585

XI.

Der Deutsche Buchdruckerverein

587

III.

Oesterreich

602

IV.

England

611

V.

Frankreich

619

VI.

Die übrigen Länder

622

Dritter Teil.

Gemeinsame Organisationen.

A.

Freiwillige Vereinigungen

624

1.

Die Tarifgemeinschaft der deutschen Buchdrucker

624

2.

Der Schweizerische Stickereiverband

643

3.

Der Sächsische Stickereiverband

651

4.

Die Schweizerische

fédération horlogère

652

5.

Die Lippeschen Ziegler

654

6.

Solinger Stahlwarenindustrie

667

7.

Die Feilenhauerindustrie in Remscheid

671

8.

Die Bergische Bandindustrie

675

9.

Die Schlittschuhindustrie in Remscheid

677

10.

Die französischen

syndicats mixtes

678

11.

Die englische

trade alliance

685

B.

Gesetzliche Organisationen

624

Nachträge.

I.

697

II.

699

III.

700

IV.

700

V.

702

VI.

703

VII.

704

VIII.

708

IX.

709

X.

710

XI.

710

XII.

711

XIII.

711

XIV.

712

XV.

712

XVI.

712

XVII.

714

XVIII.

714

XIX.

716

XX.

718

Erster Teil. Arbeiterverbände.

Erster Abschnitt. Nationale Vereinigungen.

I. England[2].

Auf dem Gebiete der Arbeiterorganisation nimmt England zweifellos den ersten Platz ein. Die Entwickelung ist hier am längsten zu verfolgen und am weitesten vorgeschritten, und es liegt nahe, anzunehmen, daß diejenige der übrigen Länder in ihr das Vorbild zu sehen hat, dem sie gut thut als Ziel nachzustreben, womit es völlig vereinbar ist, daß sie sich je nach der Eigenart der Völker und ihrer geschichtlichen Entwickelung verschieden modifiziert.

Ueber den Ursprung der englischen trade unions besteht keine Uebereinstimmung der Meinungen. Während George Howell, dem sich die ältere Auffassung in England anschloß, in seinem Buche: „The conflicts of capital and labour“, London 1877, sie als Ausläufer der alten Handwerkergilden betrachtet, wird diese Auffassung von S. und B. Webb entschieden bekämpft, die vielmehr den Ausgangspunkt in den früh auftauchenden Genossenschaften von Lohnarbeitern finden wollen.

Auch Brentano[3], ebenso wie Schanz[4] sehen das Vorbild der trade unions nicht in den Gilden, sondern in den Arbeiterbrüderschaften.

Solche Vereinigungen von Handwerksgesellen, ähnlich den deutschen Gesellen- und Bruderladen, finden wir in England wie in den meisten übrigen Kulturländern schon im Mittelalter, aber überall stehen diese Bildungen im Gegensatze zu der Gesetzgebung, die häufig mit strengen Strafbestimmungen gegen sie einschreitet. Aus diesem Grunde hüllen sie ihre Thätigkeit regelmäßig möglichst in Dunkel, und es ist deshalb über sie wenig bekannt. Die Zeit, über die wir besser unterrichtet sind, beginnt erst mit dem im Jahre 1562 durch die Königin Elisabeth erlassenen sog. Lehrlingsgesetze, dessen Bestimmungen für das Verständnis der damaligen gewerblichen und sozialen Verhältnisse von dem größten Interesse sind. Vorbedingung für den Betrieb eines Gewerbes ist eine 7 jährige Lehrlingszeit. Die Anzahl der von einem Meister angenommenen Lehrlinge darf die der von ihm beschäftigten Gesellen höchstens um zwei übersteigen. Die Arbeitszeit dauert im Sommer 12 Stunden, im Winter von Tagesanbruch bis zur Nacht. Der Lohn wird vierteljährlich von den Friedensrichtern und Magistraten festgesetzt, doch ist nicht das Zahlen eines geringeren, sondern nur das eines höheren, als des bestimmten Lohnes mit Strafe für Arbeitgeber und Arbeiter bedroht; man hatte also nicht, wie heute gefordert wird, einen Minimal-, sondern einen Maximallohn. Der Grund hierfür war, daß, nachdem die Pest im Jahre 1348 die Bevölkerung um ein Drittel oder gar die Hälfte vermindert hatte, die Arbeitslöhne infolge des verminderten Angebotes an Arbeitskräften plötzlich außerordentlich in die Höhe gingen, so daß das Parlament 1349 zu einer besonderen Sitzung zusammenberufen wurde, um das „Arbeiterstatut“ zu erlassen, in welchem den Arbeitern verboten wurde, höhere Löhne zu fordern, als zwei Jahre vor Ausbruch der Pest üblich gewesen waren. Das Lehrlingsgesetz behielt diese Vorschrift bei, und verschiedene dagegen unternommene Aufstände hatten keinen Erfolg.

Kann hiernach das Gesetz gewiß nicht als ein arbeiterfreundliches bezeichnet werden, so wurde doch in den bald folgenden Zeiten der steigenden industriellen Entwickelung die behördliche Lohnregelung von den Arbeitern als ein Schutz angesehen, den die meist die Partei der Arbeitgeber nehmenden Behörden ihnen dadurch zu entziehen suchten, daß sie sich weigerten, den Anträgen auf Lohnfeststellung Folge zu geben, und die meisten Arbeiterunruhen aus dem 18. Jahrhundert haben ihren Grund in der Erbitterung der Arbeiter über den ihnen verweigerten Schutz. Einzelne Versuche der Gesellen, den Beistand des Parlamentes anzurufen, gelangen, waren aber ohne nachhaltigen Erfolg. So wurde im Jahre 1756 auf Antrag der Wollweber der Woollen Cloth Weavers Act erlassen, in dem die Festsetzung der Stücklöhne den Friedensrichtern übertragen wurde, aber auf Grund von Petitionen der Fabrikanten, die erklärten, der Konkurrenz gegenüber nicht bestehen zu können, wurde das Gesetz wieder aufgehoben.

Die frühere Periode der staatlichen Fürsorge wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts endgültig überwunden infolge der durch das 1776 erschienene berühmte Buch von Adam Smith: „The Wealth of Nations“ verkündeten und bald allgemein angenommenen Lehre von der wirtschaftlichen Freiheit, die dahin führte, daß 1813 das Lehrlingsgesetz von Elisabeth als „schädlich“ im vollen Umfange aufgehoben wurde.

Dieser Grundsatz der Freiheit forderte nach damaliger Auffassung die Beseitigung aller Vereinigungen, die im stande waren, sie zu beeinträchtigen und, nachdem schon eine Reihe von Einzelgesetzen für die verschiedenen Berufe vorangegangen waren, wurde 1799 durch das Gesetz 39 Geo. III c. 81, den General Combination Act allgemein jede Verbindung verboten und für kriminell strafbar erklärt; dieses Gesetz wurde auch im folgenden Jahre durch ein neues Gesetz (39 und 40 Geo. III c. 60) ausdrücklich bestätigt.

Nun richtete sich freilich das Verbot formell gegen die Arbeitgeber ebensogut, wie gegen die Arbeiter, aber nicht allein waren gegen sie nicht, wie gegen die Arbeiter, Gefängnisstrafen, sondern nur geringe Geldstrafen angedroht, sondern vor allem gelang es niemals, gegen sie ein Eingreifen des Friedensrichters zu erzielen, so daß ein Parlamentsbericht von 1824 anerkennen muß, daß sich kein einziger Fall von Verurteilung eines Arbeitgebers habe nachweisen lassen.

Erschwert wurde die Lage für die Arbeiter noch durch die nach dem Frieden von 1815 in Verbindung mit dem niedrigen Stande der Preise einsetzende außerordentliche Herabdrückung der Löhne. Es ist deshalb begreiflich, daß sich überall Geheimbunde bildeten und Verschwörungen stattfanden, die mit blutigen Verfolgungen endeten.

In dieser Not erstand den Arbeitern ein Helfer in der Person von Francis Plate, eines Schneidermeisters, der sich nach Aufgabe seines Geschäftes mit einer bewundernswerten Energie der Aufgabe der Befreiung der Arbeiterklasse widmete. Ihm in Verein mit dem Parlamentsmitgliede Josef Hume gelang es im Jahre 1824, im Parlamente ein Gesetz (5 Geo. IV c. 95) durchzubringen, welches alle Koalitionsverbote, insbesondere die Combination Laws von 1799/1800, aufhob und den gewerblichen Verbindungen gesetzliche Anerkennung verlieh, indem dieselben nur dann strafbar sein sollten, wenn sie Gewalt gegen Personen oder Sachen verübten. Aber die daraufhin einsetzende allgemeine Bildung von Gewerkvereinen in Verbindung mit erheblichen Lohnsteigerungen riefen einen Entrüstungs- und Petitionssturm der Unternehmer hervor, und es schien, als ob es ihnen gelingen würde, das neue Gesetz völlig wieder rückgängig zu machen. In Wahrheit kam es jedoch nicht hierzu; dasselbe wurde freilich aufgehoben, aber das neue Gesetz von 1825 (6 Geo. IV c. 129), obgleich es formell das allgemeine Verbot von Verbindungen wieder herstellte, berührte doch insofern die Interessen der Arbeiter nicht allzutief, als es von dem Verbote die Verbindungen zum Zwecke der Regelung der Löhne und der Arbeitszeit ausnahm und so das Recht der Arbeiter zum Verhandeln über diese Punkte anerkannte. Allerdings bezog sich dies nur auf Versammlungen, die sich mit den Arbeitsbedingungen der in der Versammlung anwesenden Personen beschäftigten. Ebenso waren Vereinbarungen, mit bestimmten Personen nicht zusammen zu arbeiten oder Jemand zur Niederlegung der Arbeit zu bewegen, strafbar. Die Folgen dieser gesetzlichen Maßregeln waren auch jetzt wieder Unruhen, die sich bis zu Mordthaten steigerten.

Zu dieser Ungunst der Gesetzgebung kam noch der mit dem Jahre 1825 einsetzende und bis 1829 dauernde wirtschaftliche Niedergang, der keine Ausdehnung der Gewerkschaften zuließ; alle von ihnen eingeleiteten Lohnbewegungen endigten mit völligen Niederlagen.

Die nächste Periode in der Entwickelung der englischen Gewerkvereine wird beherrscht durch den Einfluß des Fabrikanten Robert Owen, des ersten kollektivistischen Sozialisten, der nach Vereitelung des in seiner Kolonie New-Harmony in Nordamerika unternommenen Versuches, ein kommunistisches Gemeinwesen ins Leben zu rufen, seine ganze Kraft der heimischen Arbeiterbewegung widmete. Aber sein Ziel war nicht, wie es der Grundgedanke der heutigen Trade unions ist, eine berufliche Organisation innerhalb jedes einzelnen Gewerbes, sondern die Zusammenfassung aller Arbeiter ohne Unterschied zu einem einzigen umfassenden Verbande, entsprechend dem Ideale von der gemeinsamen absoluten Solidarität der Arbeiterinteressen. Dies ist deshalb der Typus für die Periode von 1829–1834, dessen Unterschied gegen die heutigen Gewerkvereine schon in dem Namen hervortritt, indem die damaligen Verbände sich nicht trade unions nannten, sondern ihre Organisation als trades union, also als eine einheitliche Vereinigung bezeichneten. Den äußeren Abschluß fanden diese Bestrebungen in der von R. Owen auf dem Kongresse in London am 6. Oktober 1833 ins Leben gerufenen Grand National Consolidated Trades Union, die in kurzer Zeit eine Mitgliederzahl von mehr als einer halben Million erreichte und einen wahren Gewerkschaftstaumel einleitete. Die Grundlage bildeten als Regel Vereine („Logen“) von Angehörigen desselben Gewerbes, doch gab es auch „gemischte Logen“. Die Leitung der ganzen Union lag in den Händen eines Exekutivkomitees, das aus vier Personen bestand und als Ziel offen den Generalstreik aller Lohnarbeiter ins Auge faßte. In einzelnen Fällen wurden auch tief eingreifende Arbeitseinstellungen unternommen. So war infolge einer von den Londoner Gasarbeitern eingeleiteten Arbeitseinstellung Anfang März 1834 ein Teil der Hauptstadt einige Tage nachts in völlige Dunkelheit gehüllt.

Es ist begreiflich, daß hiergegen nicht allein die Arbeitgeber alle Mittel der Abwehr in Bewegung setzten, indem sie hauptsächlich die Beschäftigung der Arbeiter davon abhängig machten, daß sie „das document unterschrieben“, d. h. erklärten, der Union nicht anzugehören, sondern daß auch die staatlichen Behörden sich zum Eingreifen verpflichtet hielten. Hierzu benutzte man nicht allein den alten master and servant act, auf Grund dessen man Arbeiter wegen Niederlegung der Arbeit zu Gefängnisstrafen verurteilte, sondern vor Allem richtete man den Angriff gegen eine aus dem Mittelalter überkommene Gewohnheit der Arbeiterverbände, sich mit allerlei mystischem und phantastischem Apparate zu umgeben und sowohl bei der Aufnahme der Mitglieder, wie bei sonstigen wichtigen Vorkommnissen feierliche Eidesleistungen zu fordern. Gegen diesen Gebrauch brachte man ein im Jahre 1819 erlassenes Gesetz (37 Geo. III c. 123) zur Anwendung, welches die Abnahme von Eiden seitens eines ungesetzlichen Vereins mit schweren Strafen bedrohte. Auf Grund dieses Gesetzes wurden am 18. März 1834 sechs Arbeiter in Dorchester zu sieben Jahren Deportation verurteilt. Hiergegen leitete die Grand National Consolidated Trades Union eine allgemeine Arbeiterbewegung ein, die nicht nur in einer Riesenpetition mit mehr als einer Million Unterschriften, sondern auch einer am 21. April 1834 ins Werk gesetzten Prozession vor das Parlamentshaus, an der 100000 Menschen teilnahmen, ihren Ausdruck fand.

Aber hinderte man hierdurch zwar den von den Arbeitgebern betriebenen Erlaß strengerer gesetzlicher Maßregeln gegen das Vereinigungsrecht, so erwies sich doch die Union nicht als fähig, die Uebermacht der Unternehmer auf rein privatem Gebiete, zu brechen. Das höchst wirksame Mittel, welches dieselben anwandten, bestand, wie schon bemerkt, darin, daß Sie überall durch „Präsentierung des Dokumentes“ die Arbeiter zum Austritte zwangen. Owen selbst sah sich gezwungen, seine Organisation im August 1834 auf einem zu diesem Zwecke einberufenen Kongresse aufzulösen und in eine „British and Foreign Consolidated Association of Industry, Humanity and Knowledge“ überzuleiten, deren Ziel die Errichtung einer „Neuen moralischen Welt“ durch die Versöhnung aller Klassen war, von der aber, außer wenigen mißglückten Versuchen der Gründung von Produktivgenossenschaften, nichts zu berichten ist.

Owen, der hiermit vom Schauplatze abtritt, war, wie gesagt, ein Vertreter des kollektivistischen Sozialismus und stand Marx ziemlich nahe. Er fand bei seinem Auftreten die Ideen vor, die in den Jahren nach 1815 die Schriften von Cobbes in die englische Arbeiterschaft hineingetragen hatten und die sich zusammenfassen lassen als den Gedanken der Erringung der politischen Macht seitens der Arbeiterklasse. Dieser politischen Demokratie, die er gering anschlug, setzte Owen seine „industrielle Demokratie“ mit dem genossenschaftlichen Eigentum und der genossenschaftlichen Kontrolle der Produktion entgegen. Es war begreiflich, daß nach dem Scheitern des Owenschen Gedankens das politische Ziel wieder in den Vordergrund trat, daß die Partei der „physischen Gewalt“ immer neue Anhänger fand, mit einem Worte, daß es zu der unter dem Namen der „Chartistenbewegung“ bekannten Schreckenszeit kam, die an Gefahr für alle staatliche und gesellschaftliche Ordnung weit alles überbot, was jemals der Sozialdemokratie hat nachgesagt werden können.

Da diese Bewegung, die von 1837 bis 1842 ihren Höhepunkt erreichte, aber bis 1848 ihren bedrohlichen Charakter bewahrte, durchaus politischer Natur ist, so fällt ihre Darstellung aus dem Rahmen der vorliegenden Aufgabe. Es sollen deshalb nur zwei Ereignisse erwähnt werden, die die oben aufgestellte Behauptung beweisen, nämlich einerseits die am 15. Juli 1839 seitens der Chartisten unternommene Plünderung von Birmingham und andererseits die am 10. April 1848 erfolgte Bestellung des Generals Wellington zum Oberbefehlshaber des Heeres, um den drohenden Angriff von 300000 Chartisten, die gegen London heranzogen, abzuwehren. Es ist zweifellos festgestellt, daß damals unter dem Drucke der politischen Erregung nicht allein sonstige Gewaltthätigkeiten, sondern geradezu Mordthaten von Personen verübt wurden, die sich sonst bei ihren Mitbürgern der besten Achtung erfreuten und diese auch ihrer Verurteilung ungeachtet nicht verloren, indem sie eben als politische Märtyrer angesehen wurden.

Uebrigens bestand hinsichtlich des Verhältnisses zu den trade unions zwischen der Owenistischen und der Chartistenbewegung der große Unterschied, daß die erstere die trade unions als Gesamtheit in ihren Bannkreis gezogen hatte, während sie der letzteren in ihrer Eigenschaft als Vereinigungen durchaus fern standen, womit vereinbar ist, daß manche ihrer Mitglieder für ihre Person zugleich eifrige Chartisten waren.

Kann man in gewissem Sinne die bisherige Periode der trade unions, die etwa bis 1843 zu berechnen ist, als die revolutionäre bezeichnen, der die etwa mit dem Jahre 1860 beginnende Glanzzeit der parlamentarischen Periode gegenübersteht, so giebt es zwischen beiden eine Periode des Ueberganges, in der sich die Ideen der neuen Entwickelung vorbereiten. Indem man alle Pläne sozialer Revolution aufgab, legte man das Hauptgewicht darauf, Wissen und Kenntnisse unter der Masse der Arbeiter zu verbreiten und im übrigen sich auf Maßnahmen rein praktischer Natur zu beschränken. Von der Kampfpolitik der früheren Zeit ist kaum eine Spur geblieben, insbesondere war das Mittel des Streiks so in Mißkredit geraten, daß nicht allein die meisten Verbände ihn völlig aus ihrem Programm beseitigten, sondern die Loge Portsmouth der Steinmaurer sogar beschloß, das Wort „Streik“ abzuschaffen. An Stelle des Streiks sollte das System der Einigungsämter und Schiedsgerichte treten. Man betonte nicht allein den Nutzen eines guten Einvernehmens mit den Arbeitgebern, um die bestehenden Vorurteile gegen die Arbeiterverbände zu zerstören, sondern wies vor allem darauf hin, daß die Höhe des Lohnes nicht in dem Belieben der Unternehmer stehe, sondern dem großen Gesetze von Angebot und Nachfrage unterworfen sei, daß es deshalb die erste Aufgabe der Arbeiterschaft sein müsse, das Angebot von Arbeit zu verringern, wofür man vor allem die Beschränkung der Zahl der Lehrlinge, die Beseitigung der Ueberzeitarbeit und die Schaffung eines Auswanderungsfonds ins Auge faßte. Insbesondere die letztere Maßregel fand allgemeinen Anklang, und in den nächsten 20 Jahren finden wir bei den meisten trade unions einen Fonds, aus dem man Personen unterstützte, die zur Auswanderung geneigt waren, bis die Erfahrung bewies, daß nicht allein die Mittel für einen solchen Zweck nicht entfernt ausreichten, sondern daß man auch gerade die kräftigsten Elemente der Arbeiterschaft entfernte, während die schwächeren zurückblieben. Dagegen stammt aus dieser Periode die segensreiche und auch noch heute anerkannte Politik der „lokalen Gewerbeämter“ zur schiedsrichterlichen Beilegung von Streitigkeiten als Ausdruck des Systems autoritativer Verhandlungen zwischen den Vertretern des Kapitals und der Arbeit. Die Betonung der besseren Bildung der Arbeiterschaft, um die sich insbesondere die allmählich in den Vordergrund des gewerkschaftlichen Lebens tretenden Bucharbeiter (Buchdrucker und Buchbinder) Verdienste erwarben, führte zu der immer allgemeineren Bildung von Gewerkschafts-Bibliotheken und ebenso zu der Gründung von ständigen Gewerkschaftsblättern. „Verschafft euch Wissen statt Alkohol“ — das ist eine in diesen öfters zu lesende Aufforderung an ihre Leser.

Hand in Hand mit dieser veränderten grundsätzlichen Haltung ging eine Umgestaltung der Organisation. Die Gewerkvereine hatten sich früher nicht nur auf Personen desselben Gewerbes, sondern auch auf einen bestimmten Ort beschränkt. Aenderte deshalb ein Mitglied seinen Aufenthalt, so verlor es alle Vorteile seiner bisherigen Mitgliedschaft und mußte erst an dem neuen Orte wieder einem Vereine beitreten, der ein hohes Eintrittsgeld forderte. Dazu kam, daß infolge dieses örtlichen Charakters innerhalb desselben Gewerbes eine ganze Reihe von Gewerkvereinen bestanden, unter denen es keinen organischen Zusammenhang gab. Dem half man dadurch ab, daß man nicht allein Freizügigkeit unter den Vereinen einführte, sondern diese selbst zu einer höheren Einheit verschmolz, indem man einen Exekutivausschuß und einen Sekretär einsetzte. Die erste Vereinigung dieser Art war der am 1. Januar 1851 ins Leben getretene Maschinenbauerverein (Amalgamated engineers).

Um den Streiks entgegenzuwirken, erfand man zwei Wege: entweder übertrug man die Entscheidung dem Exekutivkomitee, d. h. der Zentralinstanz, so daß rein lokale Einflüsse ausgeschlossen waren, oder man verlangte zur Einleitung eines solchen die Unterbreitung unter das Votum der gesamten Mitgliederschaft des ganzen Landes, womit ein erheblicher Zeitaufschub und eine Abkühlung der erregten Gemüter gegeben war.

Die Politik suchte man immer entschiedener aus den Bestrebungen der Gewerkschaften ganz auszuschließen, mit der einzigen Ausnahme der Beeinflussung des Parlamentes hinsichtlich solcher Gesetze, welche unmittelbar das Interesse der Arbeiterschaft berühren. Für diesen Zweck dagegen machte man große Anstrengungen, und so gelang es z. B. im Jahre 1844, als von den Unternehmern versucht wurde, ein Gesetz zustande zu bringen, durch welches die Friedensrichter ermächtigt wurden, „jede schlechte Aufführung in Bezug auf das Dienst- oder Arbeitsverhältnis“ mit zwei Monaten Gefängnis zu bestrafen und gegen jeden von seinem Arbeitgeber verklagten Arbeiter einen Verhaftsbefehl zu erlassen, durch Protestversammlungen und eine Riesenpetition mit zwei Millionen Unterschriften diese Gefahr abzuwenden.

Eine eigentümliche Stellung in dieser Periode bezeichnet die „National Association of United Trades for the Protection of Labour“, die von den vereinigten Gewerkschaften Sheffields, insbesondere unter dem Beistande des Parlamentsmitgliedes Duncombe, eines aristokratischen Demagogen im guten Sinne, Ostern 1845 auf einer von 110 Vertretern in London abgehaltenen Versammlung ins Leben gerufen wurde und eine Reihe von Jahren einen großen Einfluß hatte, obgleich sich ihr von vornherein gerade die großen Verbände fernhielten. Der Zweck der Vereinigung war „die Förderung der Interessen der vereinigten Gewerbe und deren Wohlergehens durch Schlichtung, Schiedsspruch und Rechtsanrufung sowie durch Förderung aller politischen, sozialen und erzieherischen Maßregeln, die die Lage der arbeitenden Klassen zu bessern bestimmt sind“, insbesondere aber die Erringung eines gerechten Lohnes (fair wage). Das Unternehmen knüpfte insofern an die Pläne Owens an, als es auf eine Zusammenfassung aller Gewerbe Bedacht nahm, doch unterschied es sich von diesen nicht nur durch den Grundzug der Mäßigung und der Fernhaltung aller anderen, als der rein gewerkschaftlichen Politik, sondern wollte auch durchaus vermeiden, in die Angelegenheiten der einzelnen Gewerkschaften einzugreifen. Obgleich man auch den genossenschaftlichen Gedanken Owens aufgriff, wollte man ihn doch nicht in den Vordergrund stellen und beschloß deshalb auf der am 28. Juli bis 3. August 1845 in London abgehaltenen Konferenz, das Unternehmen in zwei Teile zu zerlegen: in eine Vereinigung „zum Schutze der Arbeit“, welche die Interessen der Arbeiter gegenüber den Unternehmern und im Parlamente wahrnehmen sollte, und eine solche „zur Beschaffung von Arbeit“, welche den durch Streik arbeitslos gewordenen Mitgliedern auf genossenschaftlichem Wege Arbeit verschaffen sollte. Aber obgleich der Verband auf der im Juni 1846 in Manchester abgehaltenen und von 126 Vertretern besuchten zweiten Konferenz 40000 Mitgliedern zählte, krankte er doch bald an den Schwierigkeiten, die sich stets bei Zusammenfassung der Arbeiter aus verschiedenen Gewerbszweigen ergeben und hauptsächlich in deren widerstreitenden Interessen liegen; jeder Zweig glaubt sein Interesse zu Gunsten eines anderen zurückgesetzt, was insbesondere bei Unterstützung von Streiks sich geltend macht. Ebenso scheiterten die Versuche einer genossenschaftlichen Organisation der Arbeit, und nachdem Duncombe, der als Leiter dem Unternehmen seine ganze Kraft gewidmet hatte, 1848 infolge geschwächter Gesundheit sich hatte zurückziehen müssen, verlor der Verband immer mehr an Bedeutung; als Zeitpunkt der formellen Auflösung wird von Howell das Jahr 1860 bezeichnet.

War der genannte Verband gewissermaßen noch ein Nachzügler der älteren Periode, so sehen wir dagegen in der genannten Amalgamated Society of Engineers, die noch heute im Mittelpunkte des gewerkschaftlichen Lebens Englands steht, den vollen Durchbruch der neuen Anschauungen, die sich von denen der früheren Zeit wesentlich unterscheiden. Der Schwerpunkt liegt neben den bereits hervorgehobenen Momenten hauptsächlich darin, daß die Vereine auf eine breitere Basis, als die des bloßen gewerkschaftlichen Kampfes, gestellt wurden und das Ziel ins Auge faßten, den Mitgliedern einen Rückhalt für ihre ganze wirtschaftliche Existenz zu bieten, insbesondere durch Aufnahme der Versicherung gegen alle diejenigen Schädigungen, die den Arbeiter in seiner Lebensführung bedrohen. Diese vielfach angegriffene „Kassenpolitik“ hatte allerdings neben Vorzügen auch erhebliche Mängel. Der wesentlichste Vorzug bestand in der Sicherung eines festen Mitgliederbestandes, einer Sicherung, die so weit ging, daß selbst große Streiks mit unglücklichem Ausgange den Bestand des Verbandes kaum merklich erschütterten. Die Kehrseite dagegen tritt hervor in einer gewissen Ausschließlichkeit, in der Schaffung einer Arbeiteraristokratie, die sich dadurch behauptet, daß sie eine tiefere Schicht zu ihren Füßen schafft, auf der sie steht. „Schutz gegen Eindringlinge“ ist ein wesentlicher Programmmpunkt, mit dem man unmittelbar an die Verhältnisse der höheren Klassen, insbesondere den Abschluß der studierten Kreise durch Prüfungen, sich anlehnte. Hiermit war verknüpft eine einsichtsvollere Beurteilung der übrigen Bevölkerungsklassen; die in der früheren Periode übliche Bezeichnung derselben als „Müßiggänger“, die Scheidung zwischen „produktiven“ und „unproduktiven“ Klassen läßt man fallen und erhebt zum Grundsatz, keine Forderungen zu stellen, von denen man sich sagen muß, daß der Gegner sie nicht erfüllen kann.

Das Mittel, dessen die Gewerkschaften bedurften, um zu dieser neuen Stellung zu gelangen, war ein doppeltes. Einerseits erhoben sie Beiträge von einer solchen Höhe, wie man sie in Deutschland noch heute kaum kennt, und andererseits hatte man eine Sorgfalt der Geschäftsführung nötig, an die man früher gar nicht gedacht hatte. Damit hängt es zusammen, daß man nicht, wie früher, die Geschäfte der Verwaltung Arbeitern im Nebenamte übertragen konnte, sondern besondere Sekretäre mit angemessenem Gehalte anstellen mußte. Es genügten, wie Webb[5] sich ausdrücken, nicht mehr Enthusiasten und Agitatoren, sondern man bedurfte eine Klasse ständig bezahlter Beamten, die, aus den Reihen der trade unions selbst hervorgegangen, ausdrücklich auf Grund ihrer Fähigkeiten zur Geschäftsführung ausgewählt wurden.

Für alles dieses liefert die Amalgamated Society of Engineers den besten Typus. Ihre Entstehung verdankt sie in erster Linie den beiden um die Entwickelung der trade unions hochverdienten Männern William Newton und William Allam. Der erstere war Mitglied des „Unterstützungsvereins der Dampfmaschinenarbeiter und Maschinen- und Mühlenarbeiter“, denen bei der Bewegung die Führung zufiel. Während Newton in London für die Verschmelzung der bestehenden Vereine thätig war, richtete Allam seine Bemühungen auf die Provinz, insbesondere Lancashire und Manchester, und suchte die dort bestehende Rivalität gegen die Hauptstadt zu besiegen. Auf einer im September 1850 in Birmingham abgehaltenen Konferenz wurde der Plan der Verschmelzung endgültig beschlossen und am 6. Januar 1851 konnte das Exekutivkomitee sein Amt endgültig übernehmen. Obgleich der Bestand an Mitgliedern zunächst nur 5000 betrug, indem eine ganze Reihe von Vereinen sich zurückhielt, war derselbe doch bis zum Oktober auf 11000 gestiegen, die mit einem Wochenbeitrage von 1 Shilling eine stärkere Organisation darstellten, als man sie bis dahin überhaupt gekannt hatte.

Der neue Verein hatte sehr bald seine Feuerprobe zu bestehen, indem er mit dem ihm gegenüber begründeten Unternehmerverein der „Central Association of Employers of Operative Engineers“ über die Frage der Stückarbeit und der Ueberarbeit in einen Kampf verwickelt wurde, der das höchste Interesse der ganzen Arbeiterschaft erregte. Um einem Streik zuvorzukommen, schlossen die Unternehmer am 10. Januar 1852 ihre Werkstätten, und obgleich auch die unbeteiligten Kreise, insbesondere unter dem Einflusse der „Christlichen Sozialisten