Keltische Knochen/Gedelöcke Erzählungen - Raabe, Wilhelm - kostenlos E-Book

Keltische Knochen/Gedelöcke Erzählungen E-Book

Wilhelm, Raabe

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The Project Gutenberg EBook of Keltische Knochen/Gedelöcke, by Wilhelm RaabeThis eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.org/licenseTitle: Keltische Knochen/Gedelöcke       ErzählungenAuthor: Wilhelm RaabeRelease Date: August 11, 2014 [EBook #46561]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KELTISCHE KNOCHEN/GEDELÖCKE ***Produced by Norbert H. Langkau, Jens Sadowski and theOnline Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net

Wilhelm Raabe Bücherei Erste Reihe Band 9

Wilhelm RaabeBücherei

Erste Reihe: Kleinere Erzählungen

Neunter Band

Berlin-Grunewald Verlagsanstalt für Litteratur und Kunst / Hermann Klemm

Wilhelm RaabeKeltischeKnochen•Gedelöcke

Erzählungen

Dritte Auflage 11.-16. Tausend

Berlin-Grunewald Verlagsanstalt für Litteratur und Kunst / Hermann Klemm

Gedruckt bei G. Kreysing in Leipzig Einbandzeichnung entworfen von Bernhard Lorenz Den Einband fertigte H. Fikentscher in Leipzig

Keltische Knochen

Festgeregnet!…… Wem steigt nicht bei diesem Worte eine gespenstische Erinnerung in der Seele auf? eine Erinnerung an eine Stunde — zwei Stunden — einen Tag — zwei, drei, vier — acht Tage, wo er oder sie ebenfalls festgeregnet war — festgeregnet an einer Straßenecke, unter einem Torwege, bei einem Freunde oder einer Freundin, in einer Dorfkneipe, auf dem Brocken, dem Inselsberge, dem Rigi oder dem Schafberge?

Es ist eine leidige Vorstellung — festgeregnet! Grau, greinend und griesgrämlich kriecht sie heran, streckt hundert fröstelnd-kalte, feuchte Fangarme nach dem warmen Herzen aus und ist so schwer los zu werden, wie alles andere Unbehagliche, Unbequeme, Ungelegene in der Welt.

In Ischl spazierten die schönen Damen auf der Esplanade im glänzendsten Sonnenschein, als wir ausfuhren, und sämtliche arme Hämorrhoidarier, Drüsen- und Skrofelkranke hatten ihren Jammer in die freie Luft getragen: auch die königlich-kaiserliche Familie fuhr spazieren.

In der Nähe von Laufen, im heiligen Bezirk der schönen, holdseligsten Maria im Schatten zog die allerschönste, aber auch allereigensinnigste Dame Natur den Nebelschleier über das Gesicht, und als wir auf dem See schifften, wurde dieser Schleier und unsere Hoffnung auf einen schönen Tag vollständig zu Wasser. Es scheint eben in den angenehmsten Gegenden am liebsten zu regnen; aber vielleicht war auch der fromme Dichter, welchen wir mit uns führten und welcher jedenfalls unter dem Zeichen des Wassermannes geboren war, schuld daran.

Wir waren unserer drei, und trotz allem war der Dichter der Edelste von uns; er hieß leider Krautworst und war aus Hannover, sagte natürlich beides nicht gern, sondern stellte sich meistens als den Verfasser der Lebensblüten vor und dar; sonst nannte er sich auch wohl, glänzenden aber ebenfalls von der Prosa ihres Namens oder Geburtsortes erdrückten Beispielen folgend, Roderich von der Leine. Er hatte uns in Linz im Erzherzog Karl aufgegabelt, hielt krampfhaft wenigstens an mir fest, schwärmte für Linz und ließ nicht selten geheimnisvolle Andeutungen fallen, daß er daselbst etwas erlebt habe. Seine öftere Geistesabwesenheit und Zerstreutheit gab Anlaß zur Vermutung, daß er dieses Erlebte poetisch zu verwerten im Begriff sei; seine lyrischen Wehen hatten oft etwas Beängstigendes für mich; affizierten jedoch den dritten in unserm Bunde weniger. Dieser dritte war, ohne sich dafür zu geben, ein Geheimnis, und ebenso verschlossen, wie der Poet offenherzig und mitteilungswütig war. In die Fremdenbücher zeichnete er sich kurz als Zuckriegel; ich hegte aber einigen Zweifel, ob dies wirklich sein Name sei; bis er in Wien in den drei Raben höchst unmotivierterweise in einen Streit geriet, der ihn und mich vor die königlich-kaiserliche Polizei führte und ihn zwang, mit seinem Paß herauszurücken. Er hieß in der Tat Zuckriegel, ohne sich dessen zu schämen, und war Prosektor an einer kleinen norddeutschen Universität, hatte jedoch in seinem Äußern sowohl, als in seinem Innern sehr viel vom Scharfrichter. Nur ein schlechter Charakter, gleich dem seinigen, konnte es über sich gewinnen, einen so guten Menschen wie den Dichter durch ein ewig wiederholtes Auftischen des gehaßten Familiennamens Krautworst an allen Nervenenden zu zupfeln und zu kitzeln.

Zuckriegels Reisezweck war, die Knochen des unbekannten Volkes am Rudolfsturm über Hallstadt zu besuchen und womöglich einen Schädel und einige sonst überflüssige Gebeine für seine osteologische Sammlung zu stehlen oder, wie er sich euphemistisch auszudrücken beliebte, an sich zu nehmen.

Er liebte es, irgend etwas an sich zu nehmen, wie zum Beispiel den besten Platz im Wagen, die besten Stücke an der Wirtstafel, sämtliche Zeitungen nach Tisch, und so weiter. Auf der Fahrt über den Hallstädter See hatte er im „Einbaum“ die Bank dicht hinter dem breiten Rücken und den Röcken des lieblichen Schiffermädchens eingenommen und saß sehr geschützt gegen den Regen, welchen der Wind uns ins Gesicht trieb.

Unser Kleeblatt hatte in Ischl trotz dem prächtigen Sommerwetter arg gelitten: der fromme Dichter an den reizenden Toiletten der Damen; Zuckriegel an sich selber und an einem amerikanischen Reverend nebst Familie, welche, nur durch eine dünne Wand von ihm getrennt, ihn durch nächtliche unendliche Gebete und näselnden Lobgesang sehr erbost hatten; ich hatte mich durch die Inschrift am Kurhause: In sale et in sole omnia consistunt verleiten lassen, das entsetzliche salzige Gesöff und seine Wirkung auf meine gottlob gute Konstitution zu versuchen, und hatte mich nicht vergeblich in die Gefahr begeben.

Die Inschrift an der Hygiea:

„Man nennt als größtes Glück auf Erden

Gesund zu sein —

Ich sage nein!

Ein größres ist, gesund zu werden“

gab mir nur einen mittelmäßigen Trost; das „Gesundwerden“ nach diesem höllischen Schoppen war längst nicht so angenehm als der behagliche Zustand vor meinem fürwitzigen Anlecken an den Becher der Hekate. Wir mieteten den Einspänner, setzten Roderich von der Leine neben den Kutscher auf den Bock, fuhren, wie gesagt, an der holdseligen Jungfrau Maria im Schatten und — Regen vorüber und durch Goisern und Sankt Agatha zur Gosaumühle, wo wir feucht abstiegen, und wo Zuckriegel sich in einen Wortwechsel mit dem Kutscher verwickelte, in welchen wir beiden andern uns nicht einmischten, weil wir dem Rosselenker recht geben mußten, und dieser sich selber zu helfen wußte.

Wir mieteten den Einbaum, das heißt einen Kahn mit einer dicken Jungfrau und einem Jungen, und wurden von jener Schifferin, welche der Dichter der Lebensblüten „sich poetischer gedacht“ hatte, über den See gerudert, und ich für mein armes Teil bedauerte in diesem Augenblick nicht mehr, daß der Tag dunkel war, denn er paßte zu der Gegend. Wären meine beiden Begleiter, der Junge und das Schiffermädchen, nicht gewesen, so würde höchstwahrscheinlich der Schatten Virgils aus den schwarzen Wassern emporgestiegen sein, um sich mir als Führer auf dem fernern Wege gegen die gebräuchliche Taxe anzubieten.

Ja, das Wasser des Sees war schwarz; schwarz waren die steilrechten Felsen, die sich im schwarzen Gewölk verloren; es konnte niemand von uns drei Touristen wissen, ob nicht hinter dem düstern Nebelvorhang die erweiterte Hölle mit allen seit dem vierzehnten September Dreizehnhunderteinundzwanzig hinzugekommenen großen und kleinen Missetätern ihren Anfang nehme und in Roderich von der Leine ihren neuen Schilderer erwarte. Der Name des Menschen, Krautworst, konnte dabei nicht hinderlich sein; denn Dante bedeutet in deutscher Zunge auch nichts weiter als „Hirschleder“; aber Krautworst selber war hinderlich, denn die wunderlich ergreifende Szenerie machte nicht den geringsten Eindruck auf ihn; ihn fror, er sprach vom Wechseln der Strümpfe, von rheumatischem Zahnschmerz und jammerte nach einer Tasse Tee.

Zuckriegel war schon ein anderer Mann: die Nähe der keltischen oder sonstigen Gebeine und der Sitz hinter dem walfischhaften Rücken unseres weiblichen Charons stimmten ihn milde; er glich in diesem Augenblicke weniger einem Scharfrichter als einem vazierenden Metzger; ob sein Sitz ihn auch erotisch stimmte, kann ich nicht bestimmt behaupten, stellenweise schien es so.

Nach einer Fahrt von zwei Stunden gewannen wir die Überzeugung, daß hinter dem Nebel- und Regenvorhang nicht l’inferno seinen Anfang nehme und seinen Eingang habe; sondern daß daselbst Hallstadt liege oder vielmehr klebe, und daß die Taxe für die Fahrt nicht unbillig zu nennen sei. Der Einbaum schoß beim Seeauer ans Land; und wie erotisch Zuckriegel durch unsere solide Schifferin gestimmt sein mochte, er fühlte sich keineswegs dadurch gehindert, beim Zahlen mit ihr in Konflikt zu geraten.

Von einem weiblichen Kellner geleitet, stiefelten wir durch den triefenden Garten selber triefend in das gastliche Haus, und Roderich bestellte zähneklappernd eine Tasse heißester Kraftbrühe. Hinter ihm rauschte der See, jedoch ohne ihn als Opfer haben zu wollen; im Gegenteil schien er herzlich froh, ihn losgeworden zu sein. Ich trank Kaffee, Zuckriegel aber entschloß sich zu einem starken Grog, dessen Bereitung er dann in der Küche selbst überwachte, da er diesen abgelegenen Erdenwinkel nicht mit Unrecht der richtigen Mischung dieses angenehmen Getränkes nicht gewachsen glaubte. Seinen Anzug wechselte er nicht; er blieb, wie er war, und fing nur in der Atmosphäre der geheizten Gaststube an, leise zu dampfen. Der Poet erschien nach einer Pause, während welcher man ihn nicht vermißte, wie ausgewechselt. In blendendem Weiß vom Kopf bis zu den Füßen war er von Ischl ausgefahren, jetzt stellte er sich von den Füßen bis zum Kopfe karriert dar, und wenn es seine Absicht war, in Hallstadt Aufsehen zu machen, so war dieses Kostüm wahrlich geeignet, ihn seinen Zweck erreichen zu lassen; auf einem nach der Kirchturmspitze ausgespannten Seile würde es das Natürlichste von der Welt gewesen sein. Sämtliche in der Gaststube anwesende Augen sprangen fast aus ihren Höhlungen, und die Kellnerin sprang mit einem recht unzivilisierten Aufkreisch in die Küche, worauf einen Moment später ein seltsames Gedränge von plattgedrückten Nasen an den Scheiben des dunklen Schiebfensters neben dem Ofen zu sehen war. Der Poet konnte mit dem Eindruck, welchen er hervorbrachte, zufrieden sein. Er war es auch, und setzte die Gaststube zum zweiten Male dadurch in Verwunderung, daß er seine Kraftbrühe wie jeder andere, gewöhnliche, nicht karrierte Mensch trank; jedermann schien das Gegenteil erwartet zu haben.

Der Himmel zeigte jetzt, daß er es gut mit uns gemeint habe; wenn er während der Fahrt nur leise auf uns herabtröpfelte, so tat er jetzt, da er uns unter Dach und Fach wußte, seinen Gefühlen keinen Zwang mehr an und zog seine Reserveschleusen. Es war zwei Uhr, und es regnete entsetzlich; der Wirt freute sich unseres Daseins in seinem Etablissement, und ein Autochthone tröstete uns aus einem fernen Winkel, daß wir nicht die ersten seien, die bei solchem Wetter in Hallstadt anlangten, und daß wir wahrscheinlich auch nicht die letzten sein würden, die bei ebensolchem Wetter es wieder verließen. Den Faust kannte der Eingeborene nicht und verwunderte sich deshalb zum drittenmal über den karrierten Dichter, welcher hohläugig und mit hohler Stimme rezitierte:

„Jammer! Jammer! von keiner Menschenseele zu fassen, daß mehr als ein Geschöpf in die Tiefe dieses Elends versank, daß nicht das erste genug tat für die Schuld aller übrigen!“

Frech setzte der Prosektor das Geschäft fort und fragte mit den Worten Mephistos:

„Warum machst du Gemeinschaft mit uns, wenn du sie nicht durchführen kannst?… drangen wir uns dir auf oder du dich uns? Fahren Sie fort, Herr Krautworst und sehen Sie nicht so mürrisch aus! ich habe Sie doch nicht kontrekarriert?“

Herr Krautworst fuhr nicht fort, er ärgerte sich sehr über das Zitat Zuckriegels, konnte jedoch nichts dagegen machen und besann sich erst fünf Minuten später, als der Prosektor dem Wirt das Küchenbulletin abverlangte, auf den empörten Ausdruck Fausts: „Fletsche deine gefräßigen Zähne mir nicht so entgegen! mir ekelt’s!“

Es war zu spät, auch dieses Zitat noch anzubringen; — und wir speisten zu Mittag und es gelang mir, einen mit Messer und Gabel bewaffneten Frieden zwischen dem Manne der Wissenschaft und dem Manne der Poesie herzustellen. Als aber nach Tisch der Prosektor bemerkte:

„Wahrhaftig, es regnet wahrhaft musenalmanachartig; das ist ein Wetter für einen Dichter, Herr Krautworst! wenn es mir nur nicht meine Knochen fortschwemmt!“ da schob der Poet den Stuhl zurück, griff nach dem Regenschirm, hing das Plaid über die Schultern und schritt mit einem vernichtenden Blick auf den Spötter aus der Tür. Es war, als ob Prometheus dem Geier mit titanenhafter Verachtung den Rücken zeige. „Um Gottes willen, halten Sie ihn fest!“ rief mir Zuckriegel zu. „Jetzt habe ich ihn in die rechte Stimmung versetzt; in einer halben Stunde ist er mit seinen gereimten Linzer Erlebnissen wieder da. Geben Sie Achtung, ob er sich nicht rächt; halten Sie ihn, bringen Sie ihn zurück, ich will Abbitte tun.“

„Sie lobe ich mir als Reisegefährten,“ sprach ich und ging dem guten Roderich nach. Solus cum solo war der Prosektor bei solchem Wetter doch nicht zu ertragen, die Last war zu schwer für die Schultern eines einzelnen Menschen. Von der Tür aus sah ich noch, wie er sich so gleichmütig als lang auf drei Stühlen ausstreckte und seine Reiselektüre, einen Band von Avé-Lallemants Geschichte des deutschen Gaunertums, durch deren Studium er sich mit Eifer auf sein großes Unternehmen vorbereitete, hervorzog; — durch einen dunkeln niedern Gang gelangte ich ins Freie, oder das, was man in Hallstadt das Freie nennen kann, und traf am Ausgang auf den Hospes, den ich fragte, was man bei solchem Regen „am Hallstädter See sehen“ könne?

„Hallstadt!“ sagte der Wirt, und er hatte recht, dreifach recht; Hallstadt ist bei jedem Wetter eine Merkwürdigkeit. Nirgends in der Welt vielleicht gibt es so viel Treppen auf so engem Raume als hier. Der Flecken macht den Eindruck, als sei er von einer Riesenhand, tüchtig durcheinander gerüttelt und geschüttelt, an den lotrecht aus dem schwarzen See aufsteigenden Felsen geworfen und kleben geblieben. Zwei Monate im Jahre soll ihn die Sonne nicht erreichen, und ich glaube es gern. Wo die Dächer aufhören, fangen die Straßen an; in keiner Stadt der Erde muß es so gefährlich sein, sich einen Rausch zu trinken, wie hier. Man schwindelt, wenn man empor-, und man schwindelt, wenn man hinuntergeht; — man fühlt sich selbst ohne Rausch keineswegs sicher auf seinen Füßen, und das Entzücken, mit welchem man zwischen zwei grauen Hauswänden, oder durch sonst eine Lücke in dem Mauer- und Felsenwerk auf den Spiegel des Sees und die Steierschen Alpen am jenseitigen Ufer sieht, ist stets von einer gewissen Beklemmung, einer nahen Cousine des Alpdrückens, begleitet. Die Häuser haben in Hallstadt das Recht, betrunken zu sein; die Vorsehung wacht über sie und behütet sie an den unmöglichsten Orten vor Schaden; wenn aber, was ebengenannte Vorsehung jedenfalls verhüten wird, einmal eins von diesen Häusern einfallen sollte, so wird es unzweifelhaft seine sämtlichen Genossen mit sich in den Abgrund reißen, und das ganze Nest wird zusammenfallen wie ein Kartenhaus, jedoch mit mehr Gepolter. Sehr richtig bemerkt Baedecker, daß in Hallstadt weder Pferd noch Wagen zu finden ist, und es kann einen nur wundern, daß der große Tourist hiesigen Orts danach gesucht hat. Ich erblickte nicht einmal einen Esel; als ich aber, vom Hospes auf den Mühlbach des Ortes aufmerksam gemacht, von zarter Hand zurechtgewiesen, an das romantische Wasser gelangte, stand Roderich von der Leine mit der Brieftasche in der Hand und dem Silberstift an den melodischen Lippen in einem dunklen Torbogen neben dem Gesprüh und Geplätscher, umgeben von einem achtungsvollen, aber erstaunten Kreis älterer und jüngerer Hallstädter von beiden Geschlechtern. Da ich weder ihm noch mir die Stimmung verderben wollte, so verschob ich die Besichtigung dieses berühmten Mühlbaches auf eine andere Stunde und ließ den Dichter für jetzt im unbestrittenen Besitz des Wasserlaufes; — man soll weder Diana noch den Poeten im Bade stören, so verlockend die Gelegenheit dazu sein mag.

Scheu wich ich zurück und geriet auf Umwegen zu der neuerbauten Kirche der Protestanten, die ihren Zweck erfüllte und deren Entstehung nach langem Kampfe mich sehr befriedigen mußte, welche ich jedoch, da sie verschlossen war, links liegen ließ, um mich zu der katholischen Kirche zu wenden.

Die katholischen Kirchen sind immer geöffnet, und den Weg zu ihnen findet man auch, wenn man ihn recht sucht, wozu Roderich von der Leine, oder wie ich ihn hier nennen darf, Krautworst aus Hannover, merkwürdige Belege aus seinem Erfahrungskreise liefern konnte.

Treppen, Treppen, Treppen! Hinauf, hinunter, hinauf! Feuchte, mit üppigen, sehr gesunden Mauerpflanzen bedeckte Mauern, tröpfelndes überhängendes Gebüsch aller Art — ein Kirchhof mit prächtigem, beperltem Grün, alten und neuen Denksteinen, Kreuzen, verregneten natürlichen und künstlichen Blumen, Goldflittern und Bändern, ein Kirchhof mit Aussicht über eine niedere Mauer, ein Kirchhof mit einer Aussicht über den wunderbarsten See auf das „Tote Gebirge“! — ich freute mich, daß ich kein Gedicht zu machen brauchte und keinen Ruf aufrecht zu erhalten hatte, wie der Verfasser der Lebensblüten; sondern nach einem trunkenen Blick auf all die keusch vom Regen verschleierte Schönheit ruhig meinen Regenschirm und meine ästhetischen Fühlhörner einziehen konnte, um auch das Innere des trefflichen alten Kirchleins zu besichtigen. In welchem Jahre und von welchem Künstler der Altarschrein geschnitzt ist, weiß ich nicht, und es geht mich auch gar nichts an, und das alte Weib, welches davor kniete, ging’s ebenfalls nichts an. Ich setzte mich in einen dämmerigen Kirchstuhl und hörte dem Murmeln