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Wahre Verbrechen aus aller Welt Zwei junge Holländerinnen verschwinden auf mysteriöse Weise im dichten Dschungel Panamas. Als man auf ihre Handys stößt, finden sich auf diesen grausame Fotos. Ungeklärt ist bis heute auch, warum der deutsche Ingenieur Rudolf Diesel von Bord eines britischen Fährschiffs verschwand und seine Leiche wochenlang auf offener See trieb. Und wie konnte es geschehen, dass die beiden »Lonely Hearts Killers« Martha Beck und Raymond Fernandez in nur drei Jahren über 20 alleinstehende Frauen ermordeten? Es sind oftmals Details, die ein gewöhnliches Verbrechen von einem unfassbaren Mysterium unterscheiden. Und um genau diese Details geht es Anne Luckmann und Christopher Bücklein, den beiden Hosts des beliebten True-Crime-Podcasts Schwarze Akte, wenn sie sich in ihrem Buch ungewöhnlichen Vermisstenfällen, mysteriösen Verbrechen und brutalen Mordserien aus aller Welt widmen. Sie nehmen uns mit auf eine spannungsgeladene Spurensuche, bei der nicht nur die Ermittlungen der Polizei, sondern auch die Überlegungen von Profilern, Anwälten und Journalisten eine wichtige Rolle spielen. Denn vielleicht ist an der einen oder anderen abwegigen Spekulation doch etwas dran? Das Ergebnis: Zehn außergewöhnliche, schockierende und rätselhafte Kriminalfälle, von denen einige von der Schwarzen Akte erstmals und exklusiv in diesem Buch vorgestellt werden.
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Seitenzahl: 276
Anne Luckmann | Christopher Bücklein
Anne Luckmann | Christopher Bücklein
Die spannendsten Kriminalfälle aus aller Welt
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
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Für Fragen und Anregungen
Wichtige Hinweise
Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.
Warnung
Dieses Buch enthält grausame und zum Teil blutige Beschreibungen, die zu emotionalen Belastungen führen oder erlittene Traumata reaktivieren können.
Die in diesem Buch geschilderten Kriminalfälle basieren auf den Recherchen und Texten von Christopher Bücklein, Silva Hanekamp, Franziska Julia Kopp, Anne Luckmann, Johanna Müssiger und Stefan Weber. Fremdsprachige Quellen wurden, soweit nicht anders vermerkt, von den Autoren übersetzt.
2. Auflage 2023
© 2023 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Türkenstraße 89, 80799 München
Tel.: 089 651285-0, Fax: 089 652096
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© Julep Media GmbH 2022, Lizenz durch g.l.a.m. GmbH & Co. KG
Redaktion: Dr. Carina Heer
Lektorat: Kerstin Brömer
Umschlaggestaltung: Karina Braun basierend auf einer Vorlage von Kinh Long Truong
Satz: Helmut Schaffer, Hofheim a. Ts.
eBook: ePUBoo.com
ISBN Print 978-3-7423-2235-7
ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-2011-4
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-2012-1
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.rivaverlag.de
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Ein paar Worte vorweg …
Ein Löffel voll Hirn
Mord im Paradies
Nachts im Museum
Von einer, die alles anders machen wollte …
Inzest, Geldgier oder Rache?
Verloren im Dschungel
Leichen im Keller
Liebe und Geld
Tod in den Fluten
Messias oder Massenmörder?
Zu guter Letzt
Quellen
Diesen Satz haben wir bereits über hundertmal zur Begrüßung in unsere Mikrofone gesprochen. Hier steht er nun schwarz auf weiß gedruckt in unserem eigenen Buch.
What?
Kann uns mal jemand kneifen?
Doch zunächst: Wer sind wir überhaupt? Anne ist eine norddeutsche Kaffee- und Konzertliebhaberin, Christopher ein rheinland-pfälzischer Madeira-Fan und Hobbykoch. Seit Jahren arbeiten wir gemeinsam in der Berliner Medienbranche.
Mai 2020: Mit Beginn der Coronapandemie beschließen wir, unsere Leidenschaft für Podcasts und True Crime zu kombinieren und wöchentlich über wahre, mysteriöse Kriminalfälle zu sprechen. Von einer Sache sind wir dabei überzeugt: So schwer kann das mit dem Podcasten doch nicht sein, oder?
Doch treue Hörerinnen und Hörer wissen, dass es die erste Aufnahme nie ans Licht der Streamingdienst-Welt ins Netz geschafft hat. Die zweite auch nicht. Die Aufnahmequalität war einfach zu schlecht. Allerdings fesselte uns das Thema unserer ersten Folge – die Geschichte von Lisanne Frons und Kris Kremers, zwei niederländischen jungen Frauen, die eigentlich nur die wunderschöne weite Welt entdecken wollten – derart, dass wir in Folge sechs einen zweiten Versuch unternahmen, in den panamaischen Dschungel abzutauchen – ein Fall, der uns so in den Bann gezogen hat, dass wir ihn euch in diesem Buch nicht vorenthalten wollen.
Anfangs noch zwei Fälle pro Folge, haben wir uns schnell dazu entschieden, einem Fall die volle Aufmerksamkeit zu schenken. Uns ging es schon immer um die Details, die ein gewöhnliches Verbrechen von einem unglaublichen Mysterium unterscheiden. Das kann doch niemals so passiert sein, denken viele.
Oh doch!
Wir schauen mit der Recherchelupe ganz genau auf die merkwürdigsten Spekulationen und suchen nach dem kleinsten Fünkchen Wahrheit darin.
Vor allem ungeklärte Fälle haben es uns angetan: jene, bei denen die Theorien in alle Himmelsrichtungen gehen, die Indizienlage so erdrückend und nichtssagend zugleich ist, bei denen unsere Gedanken heiß laufen und uns die Frage, was wirklich passiert ist, einfach nicht ruhig schlafen lässt.
Juni 2022: Die Schwarze Akte ist stolze zwei Jahre alt und wir kommen gerade von unserer ersten eigenen Livetour zurück. Vier deutsche Städte haben uns eine Bühne gegeben, auf der wir vor Hunderten von Zuschauerinnen und Zuschauern den Fall der Lonely Hearts Killer erzählt haben – einem mörderischen Pärchen, das in den 1940ern die analoge Datingwelt schamlos und brutal ausgenutzt hat.
Das Gefühl bei einer Liveshow ist unfassbar, raus aus der Komfortzone des heimischen Aufnahmesettings und rauf auf die echte, große Bühne. Ein Jahr zuvor haben wir die Live-Feuertaufe bei einem Podcast-Festival mit dem Fall der paradiesisch anmutenden Galapagos-Affäre bestanden. Doch so aufregend das Abenteuer deutscher Auswanderer auf Floreana klingt, so tragisch wird dieses sein Ende finden …
Die grausamsten und mysteriösesten Fälle passieren aber nicht nur fernab unserer Landesgrenze, nein, auch Deutschland wird von furchtbaren Verbrechen nicht verschont. So gehören die Morde auf dem Einödhof im bayerischen Hinterkaifeck zu den spektakulärsten und rätselhaftesten Gewalttaten unseres Landes.
Wir haben in diesem Buch einige Verbrechen verarbeitet, die ihr vielleicht schon aus dem Podcast kennt – beispielsweise die Geschichte von Aileen Wuornos, der US-amerikanischen Serienmörderin, deren starre, ausdruckslose Augen uns lange verfolgt haben. Doch wir haben auch viele neue Fälle im Gepäck, die wir noch nicht in der Schwarzen Akte besprochen haben. Und keine Sorge: Auch wenn euch einige Fälle schon bekannt sind, wird die Erzählung im Buch für ordentlich Gänsehaut sorgen.
Versprochen!
Dieses Buch, das ihr gerade in den Händen haltet, ist ein Geschenk für uns, von dem wir niemals zu träumen gewagt hätten. All das, was aus der Schwarzen Akte geworden ist, macht uns unfassbar stolz und würde es ohne euch, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, niemals geben.
Deshalb möchten wir, bevor es losgeht, noch einmal von Herzen Danke sagen!
Wir sind gespannt, wie euch das Buch gefällt, in welchen Momenten ihr es lest, wem ihr es vielleicht schenkt und was ihr über die Fälle denkt. Schreibt uns gern all das auf Instagram @schwarzeakte oder über unsere Website www.schwarzeakte.de.
Und damit schließen wir das Vorwort und wünschen euch eine spannende Zeit beim Lesen!
Alles Liebe
Anne & Christopher
Die Zelle ist größer als die anderen, die in den Stockwerken über ihm liegen. 5,5 Meter mal 4,5 Meter. Umso mehr fällt auf, wie wenig zwischen den steinernen Wänden steht. Ein einziger Stuhl vor einem Tisch. Beides aus gepresster Pappe. Feuerfest. Die Matratze liegt auf einem Betonklotz. Es ist ein unbequemes Bett. Ansonsten gibt es nur noch eine Toilette und ein Waschbecken – beide sind fest mit dem Boden verschraubt. Um zu diesem Ort zu gelangen, muss man viele Treppenstufen nach unten steigen, durch siebzehn verschlossene Stahltüren hindurchgehen und dabei eine Sicherheitsfreigabe von ganz oben in die Kamera halten.
Der sogenannte Glass Cage, der Glaskäfig, ist ein Gefängnis innerhalb eines Gefängnisses – und zwar nicht irgendeines, sondern der Hochsicherheitsanstalt Wakefield, das englische Alcatraz –, ein Ort, an dem Menschen eingesperrt werden, zu deren Zellen die Justiz am liebsten den Schlüssel wegwerfen möchte. Die Anstalt aus der Viktorianischen Zeit, gebaut 1594, liegt südlich der englischen Stadt Leeds und wird von den Engländern Monster Mansion genannt – nicht ohne Grund: Es ist das Zuhause für die schlimmsten Verbrecher überhaupt.
Seit den 1980er Jahren existiert jenes weitere Gefängnis innerhalb dieses größten und sichersten Gefängnisses im Westen Europas – eine Zelle aus Glas. In den vier Betonwänden dieser speziellen Zelle sind große Fenster aus kugelsicherem Panzerglas eingelassen. Durch eine kleine Öffnung, eine speziell gesicherte Schleuse, kann Essen in den Raum geschoben werden. Wachen patrouillieren von einem Fenster zum anderen, beobachten, was in der Zelle passiert. Es gibt keinen Fleck innerhalb dieser vier Wände, der nicht einsehbar ist.
Dreiundzwanzig Stunden am Tag bleibt die Tür verschlossen. Nur für eine Stunde pro Tag wird sie geöffnet. Der Mann, der als der gefährlichste Gefangene Großbritanniens gilt, wird dann von sechs bewaffneten Wachen zum Hofgang geführt, auf einen asphaltierten Platz, umrahmt von hohen Wänden, auf dem nichts wächst und von wo aus man nur einen schmalen Teil des blauen Himmels sehen kann. Nach sechzig Minuten geht es wieder zurück. Für dreiundzwanzig Stunden in die gläserne Zelle.
Genauso am darauffolgenden Tag.
Wie auch am übernächsten Tag.
Der Mann, der in dieser Zelle lebt, hat viele Namen. »Blue«, »Spoons«, »Hannibal the Cannibal« oder auch »Wolf Man of Wakefield«. Sein richtiger Name aber lautet Robert John Maudsley. Er hat fast vierzig Jahre seines Lebens in dieser Zelle verbracht. Er sitzt in Einzelhaft, weil er selbst für andere Häftlinge zu gefährlich sein soll …
Für die Monster von Wakefield.
Robert wird im Juni 1953 in Liverpool geboren. Er hat drei ältere Geschwister, die Brüder Kevin und Paul sowie seine Schwester Brenda. Ihre Eltern heißen George und Jean. Sie sind einfache Arbeiter in der Küstenstadt im Westen Großbritanniens und scheinen sich nicht besonders gut um ihre Kinder zu kümmern. Robert ist nicht mal ein halbes Jahr alt, als er, gemeinsam mit seinen älteren Geschwistern, wegen Vernachlässigung aus der Familie genommen wird. Sie kommen in ein Waisenhaus, das Nazareth House in Liverpool. Es wird damals wie heute von Nonnen, den Schwestern von Nazareth, geleitet. Es ist ein katholisches Kinderheim, ein riesiger Backsteinbau mit hohen Fenstern und einer imposanten Auffahrt. Die vier Geschwister wachsen dort auf. Sie gehen zusammen zur Schule, die nur wenige Meter von ihrem neuen Zuhause entfernt ist. Nach dem Unterricht kommen sie gemeinsam wieder zurück.
Aus dieser Zeit gibt es ein Foto von den vieren. Robert steht vor seinen beiden älteren Brüdern und der Schwester in einer schwarzen Hose und einem zugeknöpften weißen Hemd da. Er scheint ein glückliches Kind zu sein. Das berichtet später zumindest eine der Schwestern, die Robert in dem Waisenhaus großgezogen haben. Der Junge sei brav, intelligent und klüger als andere Kinder in seinem Alter gewesen. Auch Roberts Bruder Paul erinnert sich in einem Interview positiv an diese Zeit zurück. Die vier Geschwister haben eine enge Bindung zueinander.
Fast neun Jahre sind Robert und seine Geschwister im Nazareth House, als George und Jean, die Eltern der vier, plötzlich wieder den Kontakt zu ihren Kindern suchen. Zur Überraschung aller wollen die beiden die Geschwister zurück in ihr früheres Zuhause holen.
Besonders für Robert ist das ein Schock: Seine Geschwister können sich noch vage an ihre Eltern erinnern, für ihn sind George und Jean völlig fremd. Da er mit fast sechs Monaten ins Kinderheim gekommen ist, hat er keinerlei Erinnerung mehr an seine Eltern.
Diese beginnen, die Geschwister im Nazareth House zu besuchen. Sie kommen immer wieder vorbei, nehmen die Kinder auch mal nach Hause mit. Schließlich ziehen die vier probehalber bei ihren Eltern ein. Während dieser Übergangszeit sehen regelmäßig Nonnen bei der Familie vorbei, um zu prüfen, wie es den Geschwistern bei ihren Eltern geht. Es gibt keine Alarmzeichen, nichts, das ungewöhnlich scheint, wenn die Schwestern die Wohnung betreten und wieder verlassen.
Irgendwann kommt der Tag, an dem die vier Kinder offiziell in die Obhut von George und Jean zurückgegeben werden. Es muss für die Kinder einer der schlimmsten gewesen sein. Roberts Bruder Paul wird später berichten, dass ihr Vater, sobald die Formalitäten mit dem Kinderheim erledigt gewesen seien, sie erst heftig verprügelt und dann auf ihre Zimmer geschickt habe.
Im Haus der Familie sind Gewalt, Schläge, Tritte und Beschimpfungen fortan an der Tagesordnung.
Warum George und Jean ihre vier ältesten Kinder überhaupt wieder zu sich geholt haben, ist unklar. Die beiden haben inzwischen noch acht weitere Kinder bekommen. Brauchen sie die vier großen, damit diese sich um die kleinen kümmern? Das weiß niemand. Liebe dürfte jedenfalls nicht der Grund gewesen sein, weshalb sie die vier wieder zu sich geholt haben. Jahre später wird Robert einem Psychologen erzählen, dass er bei seiner Kindheit nur an eines denke: an Schläge. Sei es, weil die Kinder nicht rechtzeitig aus der Schule kommen oder einen Umweg machen – jede Kleinigkeit wird mit einer Tracht Prügel des Vaters bestraft. Die Mutter schlägt zwar selbst nicht zu, berichtet ihrem Mann jedoch am Abend von den »Fehltritten« ihrer Kinder, damit dieser sie entsprechend »maßregeln« kann. Eine grauenvolle Zeit für die ehemals fröhlichen Kinder – derart rohe Gewalt haben sie noch nie zuvor erlebt und hätten sie nie erleben dürfen. Einmal zerbricht George sogar ein Gewehr auf Roberts Rücken. Zudem wird der Junge von seinem Vater angeblich sexuell missbraucht und vergewaltigt.
Ein Martyrium.
Drei Jahre lang ist Robert bei seinen Eltern, bevor der Staat erneut eingreift. Die Behörden nehmen ihn, aber nur ihn, aus der Familie. Vater George erzählt den anderen Kindern daraufhin angeblich, dass sein Sohn gestorben sei. In Wahrheit kommt der Zwölfjährige in Pflegefamilien. Doch drei Jahre Prügel und Missbrauch haben ihre Spuren hinterlassen. Er gilt als problematisches Kind und kommt nicht gut mit anderen Leuten aus.
Vier Jahre später, mit sechzehn Jahren, packt Robert seine Sachen und haut ab. Er will nach London. Doch vorerst zieht er von einem Ort zum anderen, um mit Gelegenheitsjobs Geld zu verdienen. Schließlich gelangt er nach London. Dort gerät sein Leben völlig außer Kontrolle. Kaum angekommen, wird er – wie Robert Jahre später seinem Neffen erzählen wird – von einer Gruppe Männer aufgegriffen, die ihn missbraucht. Er beginnt, Drogen zu nehmen, wird abhängig und versucht, seine Sucht schließlich durch sexuelle Gefälligkeiten zu finanzieren.
In diesen fünf Jahren in London versucht Robert zweimal, sich das Leben zu nehmen. Beide Male kann er von den Rettungskräften vor dem Tod bewahrt werden. Immer wieder landet er in psychiatrischen Einrichtungen, immer wieder in Therapie. Einmal erzählt er einem Arzt, dass er Stimmen in seinem Kopf höre. Stimmen, die ihm sagen, dass er seine Eltern umbringen soll. Robert ist mittlerweile einundzwanzig Jahre alt. Es ist das Jahr 1974.
Um Geld zu verdienen, bietet sich Robert als sogenannter rent boy an. Eines Abends nimmt ihn ein Arbeiter namens John in seinem Auto mit. John wohnt in einem Stadtteil außerhalb Londons. Die beiden fahren zu seiner Wohnung und schlafen dort miteinander.
Als Robert gehen will, hält John ihn zurück. Er wolle ihm noch etwas zeigen, sagt er. Robert wartet und sieht dem anderen Mann zu, wie er mit einer Handvoll Fotos zurückkommt. Er hält sie Robert hin. Der greift nach den Bildern und starrt auf das, was darauf zu sehen ist. Es sind Fotos von Kindern, die sexuell missbraucht werden. John nennt sie seine »Opfer«.
Warum John ihm diese Fotos zeigt, ist unklar. Klar ist aber, wie Robert reagiert. Ein Psychologe, der später mit Robert sprechen darf, glaubt, dass seine Reaktion in jener Nacht direkt mit den Erfahrungen seiner Kindheit zusammenhängt. Denn Robert wird wütend. Richtig wütend. So wütend, dass er John zu würgen beginnt und ihn schließlich erdrosselt. Robert kennt kein Halten mehr. Mit einem Messer sticht er auf den Mann ein. Mit einem Hammer schlägt er dem Toten auf den Kopf.
Nach der Tat stellt Robert sich der Polizei. Die nimmt ihn fest und klagt den Einundzwanzigjährigen wegen Totschlags an. Das Gericht zieht schon damals Psychologen hinzu, die ein Gutachten über Roberts mentale Gesundheit erstellen sollen. Ist er überhaupt schuldfähig? Schließlich war Robert in den vergangenen Jahren immer wieder in psychologischer und psychiatrischer Behandlung.
Die Fachleute kommen zu dem Ergebnis, dass der Einundzwanzigjährige nicht vor Gericht gestellt werden darf. Stattdessen soll er im Broadmoor Hospital unterkommen. Das ist eine Hochsicherheitsanstalt für Kriminelle mit psychischen Auffälligkeiten – ein Krankenhaus, das von außen aussieht wie ein Gefängnis. Wachen laufen dort an den Mauern entlang, auf denen spitzer Stacheldraht vor sich hin rostet. Hinter den Wänden leben kriminelle Patienten mit gewalttätigen Zügen. In ganz Großbritannien gibt es nur drei solcher speziellen Einrichtungen.
Broadmoor liegt außerhalb Londons, südwestlich der Stadt. Dort bekommt Robert von den anderen Patienten und Mitarbeitern seinen ersten Spitznamen: »Blue«. Sie nennen ihn so, weil das Gesicht seines Opfers so ausgesehen hat – blau angelaufen, nachdem Robert ihn erdrosselt hat.
Drei Jahre lang lebt Robert in Broadmoor, zusammen mit anderen Kriminellen – sowohl mit Mördern als auch mit Pädophilen. 1977, als Robert fast vierundzwanzig Jahre alt ist, tötet er zum zweiten Mal. Dieses Mal begeht er die Tat aber nicht allein.
Es ist der 26. Februar 1977. In der Klinik hat Robert den dreiunddreißigjährigen John kennengelernt, der auf unbefristete Zeit als Patient in Broadmoor untergebracht ist. Offenbar schon seit längerer Zeit haben die beiden in akribischer Kleinarbeit das vorbereitet, was in den folgenden Stunden passieren wird. Aus Löffeln haben sie sich Messer geschnitzt und aus einem auseinandergenommenen Radio Kabel entfernt. So bewaffnet und ausgerüstet warten die beiden auf ihr Opfer, den sechsundzwanzig Jahre alten David.
Der Grund, weshalb dieser in Broadmoor sitzt: David hat Kinder missbraucht.
Robert und John greifen sich David und zerren ihn in eines der Zimmer. Krankenpfleger, die ihnen entgegenkommen, weichen vor ihren gezückten Behelfsmessern zurück. Sie nähern sich erst, als die Tür des Zimmers mit einem lauten Krachen zufällt. Irgendwie schaffen die beiden es, die Tür von innen zu verbarrikadieren. Robert und John sind nun mit David allein. Nur ein kleines Guckloch in der Tür ist geöffnet, vor das die beiden wiederholt ihr Opfer immer wieder zerren, um es den Pflegern zu präsentieren. Die Tür aufzubrechen wagen die Mitarbeiter der Klinik nicht. Aus Angst, dass Robert und John David dann sofort töten?
Es beginnen neun Stunden voller Qual und Schmerzen für David.
Robert und John fesseln ihr Opfer mit einem dicken Kabel an einen Stuhl. Sie schlagen und treten ihn. Sie stechen mit ihren Messern auf ihn ein. Von draußen versuchen Pfleger und Ärzte, auf das Duo einzureden – erfolglos. Die Schreie des gefolterten Mannes hallen durch die Krankenhausflure, bis sie irgendwann ganz plötzlich verstummen – und die Tür mit einem Klicken aufgeht.
Als die Mitarbeiter über die Schwelle in den Raum stürzen und Robert und John fixieren, bietet sich ihnen ein Bild des Grauens. David ist blau angelaufen und liegt erdrosselt auf dem Boden des Zimmers. In seinem Ohr steckt einer der präparierten angespitzten Löffel. Auf dem Boden finden die Ärzte Teile von Davids Hirn.
Die Mitarbeiter sind so schockiert, dass sie zunächst glauben, dass Robert mit dem Löffel Teile des Gehirns des Toten gegessen hat – ein schauriger Verdacht, den der Autopsiebericht widerlegen wird. Allerdings geht da die Geschichte des Hirn-Kannibalen Robert bereits durch die Presse. Alle reden über den Mörder, der offenbar die Gehirne seiner Opfer isst.
Robert und John werden wegen Mordes angeklagt. Und dieses Mal kommt Robert tatsächlich vor Gericht. Es ist unklar, warum er von der Justiz angeklagt und verurteilt wird, obwohl der Mord in einer psychiatrischen Einrichtung und von einem offensichtlich psychisch labilen Menschen begangen wurde. Vielleicht ist es der Justiz zu gefährlich, Menschen, die eine so brutale Tat begangen haben – nur durch eine Tür vom Klinikpersonal getrennt –, in einer anderen psychiatrischen Anstalt unterzubringen. Fakt ist, dass Robert 1978 in ein »richtiges« Gefängnis kommt, und zwar in Her Majesty’s Prison Wakefield.
Robert bekommt eine Zelle in einem Trakt, in dem auch Sexualstraftäter und Pädophile ihre Strafe absitzen. Er darf sich offenbar frei unter ihnen bewegen, es existiert keine besondere Form der Überwachung.
Weshalb das geschieht, können sich Experten bis heute nicht erklären. Den Mörder zweier Pädophiler gemeinsam mit Pädophilen und Sexualstraftätern unterzubringen scheint zu widersinnig, zu absurd, um einfach ein Fehler, ein Missverständnis gewesen zu sein. Und vielleicht war es das auch nicht? Man hat in Gefängnissen in der Regel wenig übrig für pädophile Insassen …
Die anderen Gefangenen haben schon von Robert gehört. Alle kennen die Geschichte des hirnessenden Mörders, der »Blue« genannt wird. Aber jetzt bekommt Robert einen neuen Spitznamen von seinen Mitgefangenen. Sie nennen ihn »Spoons« – nach dem Löffel, der im Ohr von David steckte.
In Wakefield eskaliert die Situation schneller als im Broadmoor Hospital. Nach nur fünf Monaten, im Jahr 1978 und im Alter von fünfundzwanzig Jahren, begeht Robert seinen dritten und vierten Mord.
In einem Brief an seinen Neffen beschreibt Robert, wie er an jenem 28. Juni 1978 morgens aus seinem Bett aufsteht und nur ein Ziel vor Augen hat: Er will so viele Sexualstraftäter und Pädophile umbringen, wie er nur kann.
Einmal mehr hat Robert sich aus Löffeln scharfe provisorische Messer gefeilt. Er steht nach dem Frühstück in der Tür seiner Zelle und beobachtet die anderen Gefangenen. Einer sticht ihm ins Auge. Es ist der sechsundvierzig Jahre alte Salney. Den kennt er sogar näher, weil er ihm und anderen Gefangenen Französischunterricht gibt. Die Quellen sind sich unsicher, ob Salney tatsächlich wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde oder ob der Mord an seiner Frau der einzige Grund ist, aus dem er in Wakefield einsitzt. Doch offenbar passt er in das Raster von Robert, der ihn unter einem Vorwand in seine Zelle lockt und die Tür hinter beiden zufallen lässt.
Mit einer schnellen Bewegung stößt Robert Salney zu Boden und sticht mit dem zugespitzten Löffel auf ihn ein. Er schneidet ihm die Kehle durch und schiebt den Körper des Toten unter sein Bett. Kein Geräusch ist aus der Zelle gedrungen, so schnell ist Robert über sein Opfer hergefallen. Es ist still, nur Wasser plätschert im Waschbecken, an dem Robert sich das Blut von den Händen und vom Gesicht spült.
Nur wenige Minuten später öffnet Robert die Zellentür und ist wieder im Flur, auf der Suche nach seinem nächsten Opfer. Weil sich innerhalb des Gebäudes keine passende Gelegenheit zu ergeben scheint, geht Robert in den Innenhof. Er spricht andere Gefangene an, aber keiner lässt sich nach drinnen ins Gebäude locken. Doch auf dem Weg zurück zu seiner Zelle bietet sich Robert eine für ihn unverhoffte Gelegenheit. Hinter einer offenen Tür liegt ein Mann auf dem Bett seiner Zelle und döst. Es ist der wegen Kindesmissbrauchs verurteilte William.
Mit wenigen Schritten ist Robert in der Zelle, zückt das Messer und sticht Dutzende Male auf den liegenden Mann ein. Danach schlägt er dessen Kopf gegen die Wand. Immer und immer wieder – bis er nach einem lauten Knacken von seinem Opfer ablässt.
Mit blutverschmierten Kleidern und dem Messer in der Hand verlässt Robert die Zelle und geht durch den Flur auf das Büro der Gefängniswärter zu. Er tritt ein und lässt das Messer auf den Tisch fallen. Die Wärter starren vom Messer hin zu dem blutüberströmten Robert, der vor ihnen steht. Mit ruhiger Stimme sagt er, beim abendlichen Appell würden zwei Gefangene weniger dabei sein.
Einige Wachen rennen noch in die Flure, in Roberts Zelle, in der Hoffnung, die Angegriffenen noch retten zu können, aber Salney und William sind tot. Robert wird erneut vor Gericht gestellt. Wieder wird er wegen Mordes verurteilt. Und wieder berichtet die Presse über den angeblichen Kannibalen. Denn schon bald kommt das Gerücht auf, dass Robert sich auch am Hirn seiner beiden letzten Opfer gütlich getan haben soll. Die Boulevardpresse macht Robert zu »Hannibal the Cannibal«.
Robert ist jetzt ein Serienmörder. Er wird im Wakefield Prison in Isolationshaft gesteckt. 1982 berichtet ein Fernsehteam der BBC über das Gefängnis und darüber, was Einzelhaft ohne Kontakt zu anderen mit den Menschen dort macht. Auch Robert spricht mit den Journalisten. Ein paar Ausschnitte haben ihren Weg ins Internet gefunden. Fast in jedem Zeitungsartikel gibt es Bilder aus der Dokumentation, die Robert mit langen Haaren und blauem Hemd vor einer weißen Wand sitzend zeigen. Das Interview facht die Berichterstattung über den vermeintlich gefährlichsten Gefangenen Großbritanniens noch einmal an. Offenbar wissen die Verantwortlichen nicht genau, was sie mit Robert machen sollen. Die Gefahr, die von ihm ausgeht, sei zu groß. Ihre Lösung: ein eigenes Gefängnis im Gefängnis bauen.
1983 ist sie fertig: die Glaszelle für den gefährlichsten Kriminellen überhaupt. Robert, damals dreißig Jahre alt, steigt mehrere Treppen hinab in den Keller des Wakefield Prison, er passiert siebzehn Stahltüren und betritt eine Zelle, in der er ab sofort dreiundzwanzig Stunden des Tages sitzen wird – permanent überwacht von Polizisten, die jede seiner Bewegungen von allen Seiten verfolgen. Später sagt Robert in der BBC-Doku über Isolationshaft: »Meine ganze Welt ist in dieser Zelle.«
Der Raum im Keller des Wakefield Prison erinnert an das Gefängnis von Hannibal Lecter, jener fiktiven Figur des Autors Thomas Harris, die im Horrorthriller Das Schweigen der Lämmer weltweit für Gänsehaut sorgen wird. Das Buch erscheint 1988 – wenige Jahre nachdem die gläserne Zelle für Robert fertiggestellt wurde. Obwohl der Autor für seine Figur des Hannibal Lecter einen mexikanischen Mörder persönlich im Gefängnis getroffen hat, sind die Parallelen zwischen Robert und Hannibal Lecter, der fiktiven Figur in einer Glaszelle, unverkennbar. Entsprechend tauchen, als die Verfilmung 1991 in die Kinos kommt, auch Roberts Gesicht und seine Geschichte wieder in der Presse auf. Als britischer Hannibal Lecter geistert er durch die Zeitungen. In den darauffolgenden Jahren bis heute gibt es immer wieder neue Berichte und Dokumentationen, die sich mit seiner Person beschäftigen.
Es werden Fragen gestellt.
Allen voran die wichtigste: Wie human ist das Gefängnis von Robert? Ein Häftling namens Mark, der neben Robert in eine Zelle eingesperrt war, bevor dieser in den Keller verlegt wurde, erzählt in einer Doku, dass die Behandlung der Gefangenen im Wakefield Prison unmenschlich sei. Was Robert getan habe, sei schlimm, aber genauso schlimm sei das, was das System mit ihm mache. Mark nennt Roberts Haftbedingungen »psychologische Folter«.
In verschiedenen Dokumentationen berichten Psychologen und Ex-Häftlinge von den Folgen von Isolationshaft, zuletzt in Making a Monster und HMP Wakefield: Evil Behind Bars, in denen auch Roberts Fall behandelt wird. Darin geht es zudem um die Frage, warum Menschen überhaupt töten. Die Fachleute glauben nicht, dass jemand einfach böse geboren wird. Sie beleuchten das Trauma, das Robert als Kind widerfahren ist. Und sie stellen die Frage: Hätten die Morde verhindert werden können?
Robert selbst beantwortet die Frage mit Ja. »Wenn ich meine Eltern 1970 umgebracht hätte, wäre niemand sonst gestorben«, wird er in Zeitungsartikeln zitiert. 2020 kommt in der Making a Monster-Doku zum ersten Mal ein Psychologe zu Wort, der mit Robert gesprochen hat. Denn der Mörder hat nicht die ganze Zeit in seiner gläsernen Zelle im Keller des Wakefield Prison verbracht.
Nach sieben Jahren im sogenannten Glaskäfig wird Robert plötzlich in ein anderes Gefängnis verlegt. Er kommt auf die Isle of Wight, in das Gefängnis Parkhurst. Warum er verlegt wird, ist unklar. Ein Versuch, Barmherzigkeit zu zeigen?
In Parkhurst trifft er Dr. Bob Johnson, beziehungsweise dieser trifft Robert. Dr. Johnson arbeitet als Psychologe im Gefängnis und besucht Robert in seiner Zelle. Er beschreibt ihn als hageren Mann mit langen Haaren und eingefallenem Gesicht. Er sehe aus wie Moses, meint der Psychologe. Dr. Johnson beantragt, Robert befragen und mit ihm arbeiten zu dürfen. Etwa zwei bis drei Jahre muss er auf eine Genehmigung warten, aber dann darf er zu Robert in die Zelle. Die beiden fangen an, miteinander zu reden.
Worüber sie sprechen, kommt in Making a Monster zum ersten Mal an die Öffentlichkeit. Mitschnitte von Aufnahmen, die Dr. Johnson gemacht hat, werden in der Doku abgespielt. Die beiden sprechen über Roberts Kindheit. Zwischendurch kommen immer wieder weitere Fachleute zu Wort, die das Gesagte einordnen.
Der Psychologe Dr. Adrian Needs beschreibt zum Beispiel, wie Missbrauch und Gewalt im Kindesalter die normale Entwicklung eines Jugendlichen verhindern. Weshalb Robert seine Gefühle nicht im Griff habe. Wie er aufgrund der Vernachlässigung durch die Eltern und die Gewalterfahrung nie gelernt habe, wie er sich gegenüber anderen verhalten solle. Seine Kindheit habe ihn gelehrt, anderen nicht zu vertrauen. Sie habe ihm beigebracht, dass die Welt ein gefährlicher und unversöhnlicher Ort sei, an dem er auf sich allein gestellt sei. Der forensische Pathologe Richard Sheperd bezeichnet Robert als eine Zeitbombe, die gebaut worden sei, als er ein Kind gewesen sei. Es sei nicht zu verhindern gewesen, dass er irgendwann explodieren würde. Was Robert als Kind erfahren habe, die Gewalt und den Missbrauch, habe seinen Hass auf Sexualstraftäter und Pädophile geschürt.
Robert spricht mit Dr. Johnson nicht über die Motivation hinter den Morden und nennt keine Details. Er sagt aber, dass er beim Töten an seine Eltern gedacht habe. Das hat er auch schon während der Verfahren den Richtern erzählt.
Über zwei Jahre lang sprechen Dr. Johnson und Robert miteinander. Sie reden über seine Vergangenheit und über die Auslöser für Roberts Wut. Er soll sich vorstellen, wie sein Vater auf dem leeren Stuhl in der Zelle sitzt. Anstatt in Rage zu verfallen, sagt er ihm nur: »Hör auf.« Der Psychologe fragt sich, was passiert wäre, wenn Robert früher passende Hilfe bekommen hätte. Hätten die Morde verhindert werden können? Und er stellt fest, dass Robert Fortschritte macht. Er öffnet sich, mit jeder Sitzung ein bisschen mehr.
Doch da wird Roberts Therapie von einem Tag auf den anderen beendet. Robert wird wieder in ein anderes Gefängnis verlegt – ins Woodhill Prison. Dort finden zwar keine Therapiestunden mehr statt, doch Robert kommt mit den Wachen gut zurecht und hat offenbar auch Kontakt zu anderen Häftlingen. Er spielt Schach mit den Wärtern, liest Bücher, hört Musik und schaut Fernsehen.
Dann die erneute Verlegung – zurück in seine gläserne Zelle in Wakefield.
Was genau hinter den schnellen Wechseln steckt, weiß niemand. Offenbar halten ihn die Verantwortlichen doch für zu gefährlich für ein normales Gefängnis. Dr. Johnson versucht mehrmals, Kontakt zu Robert aufzunehmen. Er schreibt ihm Briefe. Einmal erhält er eine Antwort. Es ist ein Zettel mit nur drei Worten darauf. »All alone now« steht da. Es ist das Jahr 2000.
Robert ist siebenundvierzig Jahre alt.
Und ganz allein.
Im selben Jahr, 2000, schreibt Robert eine Reihe von Briefen an die Presse. Ein Antrag auf Lockerung der Haftbedingungen, insbesondere der Isolation, ist kurz zuvor abgelehnt worden. Robert berichtet, wie einsam er sei, wie depressiv. Dass er frustriert sei. Es sei den Verantwortlichen egal, ob er verrückt oder ein schlechter Mensch sei. Sie hätten keine Antwort, sie interessierten sich auch nicht dafür, solange er aus den Augen und damit aus dem Sinn verschwunden sei. Für sie sei er ein Problem, für das sie nur eine Lösung sehen würden: ihn lebendig in einem Betonsarg zu begraben.
Robert möchte einen Wellensittich haben, ein Buch, vielleicht Fernsehen schauen – oder eine Giftkapsel bekommen, um Suizid zu begehen. Ein Polizist aus dem Woodhill Gefängnis, in dem Robert kurze Zeit war, sieht den Mörder in der Zelle im Wakefield Prison und ist schockiert, wie verändert dieser aussieht. Robert schneidet sich weder die Haare noch stutzt er seinen Bart. Er bekommt einen neuen Spitznamen: »Wolf Man of Wakefield«.
Die Briefe sorgen für große Aufmerksamkeit und für erneute Diskussionen über Haftbedingungen. In der Dokumentation Making a Monster stellt der forensische Pathologe Dr. Shepherd sogar die moralische Gesinnung jener infrage, die jemanden über Jahrzehnte hinweg in einem Keller einsperren. Ob es denn wirklich so schlimm wäre, wenn Robert sein eigenes Leben beenden dürfte?
Auch heute noch werden diese Fragen debattiert. Mittlerweile sind Roberts Haftbedingungen gelockert worden. Robert hat Kontakt zu seinen älteren Brüdern aufgenommen, die letztendlich erst durch die Presse erfahren haben, dass Robert doch noch lebt und nicht, wie ihr Vater behauptet hatte, gestorben ist. Sein Neffe Gavin besucht ihn. Er bringt ihm Bananenshakes mit und sie essen Schokoriegel. Oft hat Gavin eine Thermoskanne mit heißem Wasser dabei sowie einige Teebeutel und sie machen sich Tee. Robert darf Musik hören und Fernsehen schauen. Er hat eine Playstation 2. Laut Gavin geht er abends um zehn Uhr ins Bett.
In der Doku HMP Wakefield: Evil Behind Bars erzählt Gavin, dass sein Onkel mittlerweile zufrieden in seiner Glaszelle sei. Robert habe akzeptiert, dass er Schlimmes getan habe und dass er dafür in dieser Zelle sterben werde. Die sei mittlerweile sogar zu einer Art Schutzraum für ihn geworden.
Doch Robert würde, das hat Gavin angeblich in einem Brief geschrieben, wieder töten, wenn er freigelassen würde. Die Gelegenheit dazu wird er jedoch nie bekommen. Der fast Siebzigjährige wird aller Voraussicht nach bis zu seinem letzten Tag in der Glaszelle im Keller des Wakefield Prison sein.
Dreiundzwanzig Stunden am Tag zwischen vier Plexiglasfenstern.
Bewacht von mehreren Wachen.
Seit nun beinahe vier Jahrzehnten.
So lange wie kein anderer Gefangener auf der ganzen Welt vor ihm.
Einfach mal aussteigen aus dem Alltag, raus aus der Zivilisation und rein in die Natur – wer hat sich das nicht schon einmal gewünscht? Kein Autolärm mehr, keine Abgase, keine To-do-Listen und auch kein Termingehetze. Keine fremden Stimmen, die durch die Wände der Nachbarwohnung dringen, kein Türenschlagen und In-der-Schlange-Stehen.
Es ist der Wunsch nach Einsamkeit, nach einem Leben frei von den Zwängen bürgerlicher Konventionen, der Dr. Friedrich Ritter im Oktober 1929 dazu veranlasst, dem immer weiter wachsenden Berlin den Rücken zuzukehren und sein Glück auf einer unbewohnten Insel im Pazifik zu suchen. Unberührte Natur, so weit das Auge reicht, schwebt ihm vor. Pflanzen, die er noch nie gesehen hat. Tiere, wie er sie bisher nur aus Büchern kennt. Einsame Strände und warmer Sand, in den er seine Zehen eingraben kann – und über all dem eine wunderbare Ruhe.
Es ist die Suche nach Glück, die Ritter antreibt – ein Glück, das er in seinem Leben bisher nicht erlebt hat. Er wächst in einem nur scheinbar idyllischen Dorf in Südbaden auf. Seine Kindheit ist zutiefst unglücklich. Schuld daran ist vor allem ein sehr strenger Schulmeister, der dem kleinen Friedrich gegenüber mit Härte und Unnachsichtigkeit auftritt – zwei Eigenschaften, die den Jungen quälen und die er dennoch nachhaltig verinnerlichen und später in seinem Erwachsenenleben selbst anderen gegenüber an den Tag legen wird.