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Der Tod geht um im schönen Schwabenland: Der humorvolle Regiokrimi »Schwarze Reben« von Andreas Liebert jetzt als eBook bei dotbooks. Ein mörderisch guter Genuss … Um im Delikatessenladen ihrer Schwester auszuhelfen, kehrt die junge Hamburgerin Kathi nach vielen Jahren in ihre schwäbische Heimat zurück. Schnell fühlt sie sich zwischen Spätzle, Maultaschen und einem Glas Trollinger wieder pudelwohl. Doch von wegen Kleinstadtidylle! Unter den Winzern der Gegend scheint der Sensenmann umzugehen: Einen ersten Toten findet Kathi in seinem eigenen Gärkeller – und bald schon folgen weitere mysteriöse Unglücksfälle. Kathi beschleicht das ungute Gefühl, dass der Wettstreit zwischen den Winzern zu einem tödlichen Machtkampf ausgeartet ist – und immer ist sie zur falschen Zeit am genau falschen Ort! Gemeinsam mit ihrem neugierigen Nachbarn, dem jungen Dr. Burghard, beschließt Kathi, der Wahrheit auf den Grund zu gehen … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der humorvolle Weinkrimi »Schwarze Reben« von Andreas Liebert wird Fans von Jörg Maurer und Michael Böckler begeistern und zeigt, dass das Schwabenland neben der Kehrwoche noch sehr viel mehr herrlich unterhaltsame Schrullen zu bieten hat! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 286
Über dieses Buch:
Ein mörderisch guter Genuss … Um im Delikatessenladen ihrer Schwester auszuhelfen, kehrt die junge Hamburgerin Kathi nach vielen Jahren in ihre schwäbische Heimat zurück. Schnell fühlt sie sich zwischen Spätzle, Maultaschen und einem Glas Trollinger wieder pudelwohl. Doch von wegen Kleinstadtidylle! Unter den Winzern der Gegend scheint der Sensenmann umzugehen: Einen ersten Toten findet Kathi in seinem eigenen Gärkeller – und bald schon folgen weitere mysteriöse Unglücksfälle. Kathi beschleicht das ungute Gefühl, dass der Wettstreit zwischen den Winzern zu einem tödlichen Machtkampf ausgeartet ist – und immer ist sie zur falschen Zeit am genau falschen Ort! Gemeinsam mit ihrem neugierigen Nachbarn, dem jungen Dr. Burghard, beschließt Kathi, der Wahrheit auf den Grund zu gehen …
Über den Autor:
Andreas Liebert ist Kulturwissenschaftler mit dem Schwerpunkt 18. und 19. Jahrhundert. Seit Jahren arbeitet er als Schreibcoach für eine bundesweite Romanwerkstatt, gleichzeitig engagiert er sich als Lehrkraft im zweiten Bildungsweg.
Bei dotbooks veröffentlichte Andreas Lieberts auch seine historischen Romane »Die Pianistin von Paris«, »Die Töchter von Sankt Petersburg«, »Die Töchter aus dem Elbflorenz«, »Corellis Geige«, »Das Blutholz«, »Die Hexe von Rothenburg«, »Die Hexe von Tübingen« und »Die Tochter des Komponisten«.
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Aktualisierte eBook-Neuausgabe Januar 2021
Dieses Buch erschien bereits 2010 unter dem Titel »Das letzte Viertele« und unter dem Pseudonym Max Kellenberg bei Rowohlt und 2016 unter dem Titel »Das letzte Viertele« bei dotbooks.
Copyright © der Originalausgabe 2010 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München
Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München
Verwendung des Texts »Sag nicht, dass Entfernungen« von Schams Langrudi in der Übersetzung von Susanne Baghestanie. © Susanne Baghestanie
Verwendung des Texts »Große Männer« von Jürgen von der Lippe, Komposition & Text: Dohrenkamp, Hans-Jürgen, Haverkamp, Wendelin, Prima Musikverlag GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / Barth Fotografie / mythia / Hunter Bliss Images / scorpp / Kostiantyn / captblack76
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-95824-665-2
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Andreas Liebert
Schwarze Reben
Kriminalroman
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Hinter einer der hohen Scheiben der altehrwürdigen Untertürkheimer Gaststätte wurden die Kerzen gelöscht, immerhin ging es bereits auf 23 Uhr zu. Trotzdem gab es noch genügend Gäste, die es sich bei einem Viertele Wein gutgehen ließen, obwohl der eine oder andere bereits verstohlen gegähnt hatte. Aber der Wein schmeckte einfach zu gut, egal, ob Riesling, Lemberger oder Trollinger. Warum also nicht hocken bleiben. Wenn es gar nicht mehr gehen würde, lagen die Gästebetten des Hauses einen Stock höher.
Auch der Mann, der als Letzter den Stammtisch verließ, hatte es nicht allzu weit. Er wohnte nur wenige Straßenzüge entfernt, aber der Weg zu seinem Haus war doch etwas länger als der Heimweg seiner Kollegen, und vor allem ging er steil bergauf. Darum wunderte sich der Mann, dass er entgegen seiner Gewohnheit offenbar mindestens ein Glas Bier zu viel getrunken hatte.
Aber Schnapszahl ist eben Schnapszahl, sagte er sich. Der vierundvierzigste Stammtisch ist nun mal der vierundvierzigste Stammtisch. Wenn unser Tisch reden könnte … das gäb Stoff für hundert Romane. Vorhin zum Beispiel … aber egal, auf jeden Fall war es endlich wieder einmal eine gute Runde gewesen.
Die laue Sommerluft trug ihm die Gerüche von aufgeworfener Erde, saftigem Grün und warmem Sandstein zu. Dennoch verzog der Mann das Gesicht. Er hatte eine feine Nase und roch zu viel anderes, was nicht natürlichen Ursprungs war.
So ist halt die Zeit, dachte er. Im Zweifel immer für Industrie und Wachstum, für Autos und Chemie. Wein wächst woanders schließlich genug. Irgendwann ist dann alles kaputt. Dann mutiert der Eichenprozessionsspinner zum Traubenprozessionsspinner, und beide fressen um die Wette. Die einen den Wald weg, die anderen die Reben leer.
Ein Anlasser jaulte in die Stille.
Die drücken mal wieder alle aufs Gas, als wären sie noch im Kindergarten. Der Mann blieb am Straßenrand stehen.
Ohne Licht schoss das Auto heran. Erst als es unmittelbar vor ihm seine Geschwindigkeit etwas verringerte, flammten die Scheinwerfer auf.
»Ah … man gönnt sich wieder was!«, rief der Mann spöttisch in die Nacht. »Aber natürlich ganz umweltbewusst, weil die CO2-Werte so toll sind, gell?« Geblendet trat er schwankend ein Stück auf die Fahrbahn. Da drehte der Sechszylindermotor hoch. Verblüfft blieb der Mann stehen … und begriff zu spät, dass er besser auf dem Gehweg geblieben wäre.
Freitag, Ende Juli
Und wenn die Welt voll Teufel wär … Gewisse Genüsse hobeln einem wenigstens für den Moment die Sorgen weg. Katharina Grüninger biss in die krossen Ärmchen der schwäbischen Butterbrezel und genehmigte sich einen ordentlichen Schluck Trollinger.
Köstlich! Schlicht und edel.
Das Gute ist immer das Einfache, kam sie ins Philosophieren, während sie der malzigen Brezel und dem samtweichen Trollinger nachschmeckte. Denn wenn die Liebe, die ja das Gegenteil vom Einfachen ist, zerschellt, hilft nur noch handfester Genuss. Ja, so ist es, sagte sie sich, zumindest ungefähr so. Auf jeden Fall gibt es kaum Besseres als einen duftigen Trollinger, zwei, drei Körnchen Hagelsalz und eine warme Laugenbrezel mit einem Messerstrich Butter.
Der letzte Schluck!
Mit einem leisen Seufzer setzte Katharina das Henkelglas an die Lippen. Wie ein Abschiedskuss, dachte sie und überließ sich der Mattigkeit, die sie erfasste. Schließlich war es erst kurz vor vier und damit eigentlich zu früh für Trollinger, Riesling oder welchen Wein auch immer. Andererseits gab es an der gesamten Universität bestimmt keine zweite Frau, die am selben Tag Karriere und Beziehung hatte begraben müssen und jetzt nicht einmal mehr ihre Wohnung betreten wollte.
Katharina schloss die Augen und lauschte dem Xylophonspiel eines Straßenmusikanten. Mit Mozarts »Rondo alla turca« klöppelte er gegen das Geschrei der Möwen an, die über den Weinlauben des Rathausmarktes kreisten. Kaiserwetter in Hamburg! Ein makellos blauer Himmel beschirmte an diesem Freitag das Stuttgarter Weindorf, das nun schon zum vierundzwanzigsten Mal schwäbisches Flair in der Hansestadt verkaufte, freilich zu immer gesalzeneren Preisen.
»So, dann sind’s genau acht Euro.«
Wie urig und vertraut das auf Schwäbisch klang. Aber acht Euro waren für Katharina immer noch knapp sechzehn Mark.
»Ihr werdet auch immer teurer«, grummelte sie im schönsten Dialekt und zückte einen Zehner.
»Alles bloß Unkosten. Mir hen nix davon.«
Flink wischte die Wirtin die Wachstuchdecke des Stehtisches.
»Wer’s glaubt … Ihr schafft hier oben doch nicht für umsonst.«
»Es geht grade so auf. Mehr nicht.«
»Verstehe, ihr seid alle Samariter im Dienst des schwäbischen Kulturtransfers.«
»Wenn Sie’s so sagen …« Damit war das Gespräch beendet. Die Wirtin drückte Katharina ein Zwei-Euro-Stück in die Hand und entschwand zurück an den Tresen.
Da lebt man neun Jahre in Hamburg und hat hart daran gearbeitet, sich seinen Dialekt abzugewöhnen. Aber beim erstbesten Kontakt mit einer schwäbischen Weinbäuerin, einer Wengerten, macht man gleich auf Kehrwochen-Konversation.
Ohne Ziel schlenderte sie auf die Alsterarkaden zu. Das blendende Weiß von Hamburgs schönster Promenade spiegelte sich im stillstehenden Wasser des Fleets. Katharina schaute einem Asiaten zu, der einen Orientalen in weißem Kaftan fotografierte und sich hinterher mit strahlendem Lächeln und einer Verbeugung dafür bedankte. Wie aus einer anderen Welt, dachte sie: Der devote Asiate buckelt vor dem aristokratischen Orientalen. Beide Kulturen haben gemeinsam, dass sie kein Aufklärungszeitalter kennen.
Blödsinn, hör bloß mit diesem Mist auf, ermahnte sie sich.
Nix mehr Germanistik und Forschung zur Bürgerlichkeit im 18. Jahrhundert. Sieh dieser Tatsache endlich ins Auge! Es ist vorbei.
Vorbei.
Für einen Moment hatte sie das Gefühl, im Strom der Flaneure zu versteinern. Ihr Blick wurde starr, ihr Herzschlag setzte aus. Lag es vielleicht doch am Wein, dass sie sich plötzlich so einsam fühlte?
»Niemals«, murmelte sie und schaute sich nach einer freien Bank auf der Rathaus-Schleusenbrücke um. Du willst dich einfach nicht vor Edith blamieren und sie anbetteln, bei ihr für ein paar Tage unterschlüpfen zu dürfen.
Sie sackte auf einen gerade frei gewordenen Platz und malte sich das Telefonat aus: Du, kann ich mal so ein bisschen bei euch … Weißt du, ich bin heute Morgen ausgezogen … ja, freiwillig. Klar hast du recht gehabt! Dieter ist ein Mistkerl. Aber nun ist eben zu spät. Ja, du hast es von Anfang an gewusst. Gut … also danke, ist ja nur für zwei, drei Tage. Und selbst? Du bist schon im vierten Monat, nicht wahr? Und du kriegst wirklich einen eigenen Van? Mensch … Und die Buchsbaumhecke ist endlich angewachsen? Toll, die war doch immer euer Sorgenkind. Und mit den Nachbarn? Ihr grillt zusammen … Ja super! Ach, jetzt also doch ein Anbau? Prima, ehrlich, das freut mich jetzt.
So eine war Edith, anders gesagt: Das war aus ihr geworden. Ihre Freundin, Expertin für deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts, war nach dem Magisterexamen zur Vorstadt-Mutti geschrumpft. Zahnarztgattin im nördlichen Hamburger Speckgürtel, Wächterin über den Inbegriff eines trauten Heimes mit Kamin, Carport, Kinderschaukel und Köter.
Sie dagegen hatte auf die Wissenschaft gesetzt, eine Promotionsstelle ergattert, ihren Dr. phil. gemacht und … gehofft. Dass ihre Dozentur vielleicht doch in eine Assistenten-Stelle umgewandelt würde. Habilitieren wollte sie sich, Professorin werden. Doch jetzt war es endgültig: Ende des Semesters war Schluss, wie Professor Gönnmann ihr mit dem größten Bedauern heute Vormittag mitgeteilt hatte. Ab Oktober war sie folglich arbeitslos, es sei denn, eine ihrer Bewerbungen auf eine der raren Habilitationsstellen an einer anderen Universität hätte Erfolg.
Eine Taube spazierte auf sie zu, pickte einen Popcorn-Krümel auf und flatterte davon. Katharina spürte den Luftzug an ihren Beinen und bekam eine Gänsehaut. In ihrem olivfarbenen Etuikleid und den elfenbeinfarbenen Ballerinas sah sie hinreißend aus, für Hamburger Temperaturen aber war ein solches Outfit immer mit einem Risiko verbunden. Denn so sonnig es auch war, richtig heiß war es in Hamburg selten.
Los, ruf jetzt Edith an. Dann bist du es los.
Katharina zückte ihr Handy und scrollte durch das Adressbuch. Schemenhaft zeichnete sich ihre Short-Cut-Frisur auf dem Display ab. Wie stylisch, dachte sie selbstironisch. Und blond bin ich auch! Dann diese vornehme Bücher- und Akademiker-Blässe …
Blasse Gesichter produzieren blasse Gedanken, hatte Gönnmann einmal in seinem Arbeitszimmer zu ihr gesagt: »Also wird’s Zeit, dass Sie mal etwas Wangenrot ansetzen.« Worauf er sie wie ein Tango-Tänzer an sich gepresst hatte. Sein einziger Versuch dieser Art. Kurz und spontan, gefolgt von einem tiefen Seufzer und der Bemerkung: Betrachten Sie es als Kompliment.
Zeuner, Edith.
In derselben Sekunde plärrte das Handy sie mit den ersten Takten aus Mozart, Köchel-Verzeichnis 550, an. Vor Schreck rutschte es Katharina aus der Hand und schepperte zu Boden.
»Mensch, hast du mich erschreckt!«, fauchte sie ihre Schwester an. »Tu das nie wieder!«
»Was ist denn passiert?«
»Nur Welt unter.«
»Und das heißt?«
»Alles aus eben. Einfach vorbei. Job und der Rest auch.«
»Das hab ich dann wohl geahnt…«
»Verschon mich bitte mit diesem emotionalen Scheiß. Was willst du?«
»Dich. Und bevor du mich wegdrückst, hör mir um Himmels willen zu. Bitte.«
Fünf Minuten später klöppelte der Xylophonspieler Bachs »Toccata«, und unter den Alsterarkaden begann ein Flötist die »Badinerie« zu spielen.
Katharina ließ ihren Blick über den Rathausmarkt schweifen. Der Wind hatte aufgefrischt und blätterte die Seiten einer weggeworfenen Zeitung auf. Warum nicht, dachte sie, immerhin ist sie deine Schwester. Bis Oktober ist es auf jeden Fall die billigste Lösung. Und Edith kann ich auch morgen noch anrufen.
Sechseinhalb Stunden später stieg sie um kurz nach halb elf mit zwei Koffern aus dem Zug. Die Luft war schmeichelnd lau. Katharina schloss für einen kurzen Moment die Augen. Dieser Geruch, nein, dieser Duft. Nach vierzehn Jahren war sie wieder für länger zurück in der Stadt ihrer Kindheit und Jugend.
»So … nochmal Klartext, dafür sag ich’s auch nur einmal: Selbst wenn ich mich von dir hab breitschlagen lassen und sozusagen etwas kurz überlegt hier aufkreuze – ich tu dir den Gefallen, wie versprochen. Aber höchstens bis Oktober, verstehst du?«
»Nun sei doch nicht gleich so arg … Komm doch erst mal an!« Janina, Katharinas Schwester, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Ich bin nicht arg«, brauste Katharina auf, »nur für klare Verhältnisse. Und das ist ein Unterschied, liebe Schwester. Denn erstens ist das ganz normal für jemanden, der aus einer Weltstadt kommt, zweitens bin ich immerhin eine Studierte und sogar …«
Katharina brach im letzten Moment ab. Seit Minuten schon kehrte sie vor ihrer Schwester den Besen heraus, jetzt aber wurde es selbst ihr zu viel. Herrgott, ich tu wie ein Despot. Dabei bin ich das gar nicht. Warum verhalt ich mich bloß so? An Janina liegt es nicht. Sie freut sich wirklich, mich hier zu haben.
Die Antwort war einfach, aber Katharina fiel es schwer, sie sich einzugestehen. Schon das langsame Einrollen in Stuttgarts Sackgassen-Bahnhof hatte sie in Aufregung versetzt. Und als sie dann den Bahnsteig betrat, hatte sie kaum die Tränen zurückhalten können. Und das lag nur an diesem Geruch … diesem unvergleichlichen Mix aus Süßem und Saurem, der sich mit den Ausdünstungen von Großstadt und Bahnhof verband. Er machte Appetit, dieser Mix, sogar dann, wenn man satt war. Es war der Duft von Maultaschen und schwäbischem Kartoffelsalat in Brühe und Essig, der Duft von Brezeln, Wein und dampfenden Spätzle mit süßen Semmelbröseln.
»Hast du eigentlich Hunger?«, wollte Janina wissen. Trotz ihres hochschwangeren Zustands ließ sie es sich nicht nehmen, ihrer Schwester die Tür des Taxis aufzuziehen.
»Ich glaub schon. Eigentlich hab ich bloß gefrühstückt.«
»Prima. Dann lass dich nachher mit Sauren Kutteln verwöhnen.«
»Du spinnst wohl?«
»War nur ein Scherz.«
Knapp zehn Kilometer waren es nach Untertürkheim in die Beutelsbacherstraße. Doch schon als das Taxi die Cannstatter Straße mit den Unteren Schlossgartenanlagen hinter sich gelassen hatte, fiel die anfängliche Rührung von Katharina ab. Ich mach mir was vor, dachte sie. Als ob ich den lieben langen Tag hinter einem Verkaufstresen stehen kann. Was hat sich Janina bloß dabei gedacht? Aber noch schlimmer: Was ist in mich gefahren, einfach ja zu sagen? Das Ganze ist doch nichts als grober Unfug. Also … Ich bleib eine Woche, und dann geht’s zurück. Wir werden schon eine Freundin auftun, die für Janina das Schwabenlädle führt.
Das Taxi beschleunigte, kurz vor dreiundzwanzig Uhr war nicht mehr viel Verkehr. Janina, die vorne saß, wandte sich zu ihrer Schwester um: »Na, wird’s dir jetzt warm ums Herz? Das letzte Mal warst du vor sechs Jahren hier. Mamas Beerdigung. Davor, glaube ich, auch nur ein einziges Mal. Ich find, das sollte sich ab jetzt ändern.«
»Tut’s doch schon.«
»Ach, Kathi, ich weiß doch, was ich da verlange. Aber so viel wirft das Lädle nun auch nicht ab, dass ich jetzt wen einstellen könnte. Und der neue Hausbesitzer, dieser Dr. Rücklin, der hat, als er sich mir vorstellte, als Erstes gesagt: So … es riecht ja ganz köstlich bei Ihnen. Das ist bestimmt umsatzförderlich. Ich glaube, Sie könnten mich da glatt mit der Miete unterstützen.«
»Ach so einer.«
Sie hatten Untertürkheim erreicht. Jetzt noch das Stück auf der Stubaier Straße …
»Scheiße, was geht hier? Da vorn ist gesperrt. Total. Unfall oder so. Blaulicht.« Langsam rollte der Taxifahrer auf die Straßensperre zu.
»Weshalb es wenig sinnvoll ist, immer weiterzufahren, oder?«, stellte Katharina lakonisch fest.
»Kein Problem. Ich muss bloß meine Navi…«
»Nix Navi. Wir lotsen Sie.«
»Geht klar.« Der Taxifahrer wollte wenden, doch da setzte sich ein Polizist mit roter Kelle in Bewegung und eilte auf sie zu. »Eh, jetzt soll ich blasen oder was? Alkoholkontrolle?«
Grinsend drehte sich der Taxifahrer kurz zu Katharina um, während die Seitenscheibe nach unten fuhr.
»Auch das noch. Jetzt wird es noch später«, seufzte Janina.
»Und teuer auch.«
»Ich stell Taxameter aus, okay?«
»Das ist nett. Danke.«
»Guten Abend!«, sagte der Polizist. »Vor wenigen Minuten gab es einen Unfall mit Fahrerflucht. Ist Ihnen ein Fahrzeug mit überhöhter Geschwindigkeit entgegengekommen? Vielleicht ohne Licht?«
»Nicht direkt hier. Aber auf der Augsburger. Krass schnell. Aber mit Licht.«
»Könnten Sie was zum Fahrzeugtyp sagen?«
»Schwer, Geländewagen, bin ich ziemlich sicher. Touareg oder Cayenne.«
»Danke. Also Touareg oder Cayenne. Könnte aber auch ein BMW X6 gewesen sein … wie sie eben so aussehen, diese PS- Monster.«
»Mann tot?«
»Zum Glück nicht. Aber bewusstlos.«
»Wieso Mann? Könnte doch auch eine Frau sein«, mischte sich Katharina ein.
»Um die Zeit?«, fragte der Taxifahrer. »Dann ist bestimmt Mann.«
»In diesem Fall würde ich Ihnen recht geben. Aber in der Tat: Der Fahrer könnte auch eine Fahrerin gewesen sein.« Der Polizist schien unschlüssig, ob er noch etwas fragen sollte. Dann schob er hinterher: »Leider ist der Verunglückte ohne Papiere.«
In der Ferne ertönte das Martinshorn des Rettungswagens. Plötzlich sagte Katharina, ohne dass sie gewusst hätte, warum: »Ja, aber … wenn meine Schwester einen Blick auf den Verunglückten werfen würde. Vielleicht kennt sie ihn? Sie wohnt hier. Sie kennt viele Untertürkheimer mit Namen.«
»Das kann ich nicht machen. So etwas ist im Rahmen des Opferschutzes verboten.«
»Ist aber voll gute Idee. Und besser, als hinterher nix zu wissen.«
Der Polizist zögerte, dann gab er sich einen Ruck. »Machen wir eine Ausnahme. Aber ich gestatte nur einen einzigen Blick.«
»Meine Schwester ist im achten Monat. Ich komm mit«, entschied Katharina.
Der Polizist nickte. Als Katharina und Janina ausstiegen, näherte sich der Rettungswagen. Damit er in der engen, beidseitig zugeparkten Straße weiterfahren konnte, musste der Taxifahrer rückwärts in die nächstbeste Ausfahrt setzen.
»Mensch, du hast auch Ideen«, flüsterte Janina. »Ich schrei, wenn ich Blut sehe. Nicht mal gefragt hast du mich.«
»Dann sind wir jetzt quitt, liebe Schwester.«
Ein weiterer Polizist und ein Mann in Zivil knieten neben dem Bewusstlosen. In stabiler Seitenlage lag er am Rand der Fahrbahn, den Kopf auf ein flaches Aufblaskissen gelegt. Eine Rettungsdecke schützte seinen Körper gegen Auskühlung, auf der goldglänzenden Oberseite reflektierten die Blaulichter von Streifen- und Rettungswagen.
»Einen Blick, dachte ich … müssten wir in diesem Fall erlauben können«, sagte der Polizist zu einem Kollegen und wies auf Katharina und ihre Schwester. »Die Damen meinen, den Mann vielleicht identifizieren zu können. Sie wohnen hier.«
Der andere Streifenpolizist nickte. »Geht klar. Der kommt gerade wieder zu sich. Aber ob er sprechen kann? Fraglich.«
Die Türen des Rettungswagens schwangen auf, schon einen Moment später waren die Sanitäter mit der Rollentrage zur Stelle. Schnaufend ging Janina in die Knie. Katharina hielt sie an den Schultern fest, presste die Lippen aufeinander. Das ist wirklich eine Zumutung, dachte sie. Ich muss verrückt sein. Was geht uns das denn an? Ihr Herz klopfte hart, als der Schein der Taschenlampe auf den Kopf des leise stöhnenden Unfallopfers fiel. Doch da zuckte Janina schon zurück. »Das ist ja der Rainer vom Schlag-Hof!«, flüsterte sie entsetzt.
Katharina half ihrer Schwester auf und umarmte sie, jetzt mit einem riesig schlechten Gewissen.
»Können Sie noch mehr sagen?«, fragte der Polizist, der ihr Taxi angehalten hatte.
»Ja … nein. Nur, dass der Mann Rainer Schlag heißt. Er ist Winzer am Rotenberg. Ein echtes Urgestein!«
»Und Sie sind sich ganz sicher?«
Janina nickte. »Absolut. Schließlich hat mich der Rainer heute Morgen noch im Geschäft besucht.«
Nun war sie also wieder zu Hause. Und als ob sämtliche Untertürkheimer Geister beschlossen hätten, ihr klarzumachen, dass dies jetzt auch für immer so bleiben würde, kam Katharina das Wochenende über kaum aus dem Bett. Sie fühlte sich keineswegs krank, im Gegenteil: Sie hatte das Gefühl, seit Monaten das erste Mal wieder richtig schlafen zu können. Eine eigenartige Süße und wohlige Schwere hatten sie übermannt und träge und gedankenlos gemacht. So mutete sie sich bis zum Sonntagmittag nur einen Spaziergang zu – und dieser führte sie ausgerechnet in die Stadtkirche, wo sie versonnen die Josephswand betrachtete. Die auf Japanpapier gedruckte alttestamentliche Josephsgeschichte des weltberühmten Holzschneiders HAP Grieshaber faszinierte sie, seit sie denken konnte. Weil sie so viel mit mir zu tun hat, erklärte sie ihrer Schwester: »Ich könnte gar nicht sagen, was es genau ist. Vielleicht ja nur, dass da einer in die Fremde zieht…«
»Wobei der Joseph aber echt Karriere gemacht hat und so …«
»Danke, dass du mich an mein Scheitern erinnerst.«
»Entschuldigung. Mir ist das einfach alles zu streng.«
»Klaro. Schwangere stehen natürlich auf Plüsch und Rosa und interessieren sich nur für hyperallergene Nahrungsmittel.«
»Tor.«
»Steht’s also wieder unentschieden?«
Katharina drehte sich zu ihrer Schwester um, die sich auf einen der Gemeindestühle gesetzt hatte. Janina nickte und erhob sich mit lautem Schnaufen.
»Komm jetzt. Es ist zwölf. Vater rechnet fest damit, dass Punkt eins das Essen auf den Tisch kommt.«
»Schon gut. Stell dir vor, ich hab eine Riesenlust, zuzulangen. Wenn ich von hier wieder fortgehe, fürchte ich, seh ich aus wie du. Aber nicht, weil ich schwanger bin.«
»Wart’s ab.«
»Was soll das denn heißen?«
»Unverhofft kommt off.«
»Du meinst, wie bei dir?«
»Was redest denn du schon wieder!«, empörte sich Janina und wurde von einem Moment zum anderen rot.
»Entschuldigung.«
»Schon gut. Ich bitte dich nur um eines: Sag nichts, was uns streiten lässt. Denn wenn mir der Kragen platzt, wer ist dann der Verlierer? Ich doch, oder?«
»Stimmt.«
Kameradschaftlich knuffte Katharina ihre Schwester in die Seite, bevor sie sich bei ihr unterhakte. Sie genoss diesen kleinen Triumph, denn natürlich hatte Janina sich als Allerletztes vorstellen können, dass es ihre Schwester zuerst ausgerechnet in die Kirche zog. Katharina wusste nur zu gut, wie sehr Janina darauf brannte, ihr das Schwabenlädle zu zeigen. Aber ein bisschen Grausamkeit muss sein, dachte sie. Wenn ich schon den Sommer hinter einem Verkaufstresen verbringen soll, dann kann Janina bis morgen darauf warten. Im Übrigen ist das letzte Wort ja noch nicht gesprochen: Denn wenn’s mir zu blöd ist, gehe ich einfach. Zum Affen machen lasse ich mich nicht.
Schon wieder musste Katharina gähnen. Janina konnte nur noch die Augen verdrehen, aber Erich Grüninger, der Vater der beiden, nahm seine Ältere in Schutz: »Janne, das ist die Abspannung. Ganz normal. Pass auf, wenn sie wieder wach ist, wird sie die Ärmel hochkrempeln, wie grad eine, die so tut, als hätt sie nie was von Goethe und Schiller gehört.«
»Amen«, sagte Janina. »Wenn du es sagst, muss es ja stimmen.«
»Genau«, seufzte Katharina und verzog das Gesicht. »Schließlich, Paragraph eins: Der Herr im Haus hat immer recht.«
Ihr Vater konnte es einfach nicht lassen. Bis heute hatte er es nicht verwunden, dass sie sich für ein Germanistik-Studium und nicht für eine Karriere bei seiner Lieblingsfirma entschieden hatte. Und diese Lieblingsfirma hieß Bosch. Achtunddreißig Jahre lang hatte Erich Grüninger ihr die Treue gehalten, zum Schluss drei Jahre davon als Produktionsleiter. Dann kam der Herzinfarkt, darauf die Abfindung, schließlich die erste Rentenüberweisung. Inzwischen hatte Erich Grüninger gelernt, sein Leben zu genießen. Er erwog sogar, wieder zu heiraten.
»Jajaja … und auch, wenn der Vater mal nicht recht haben sollte«, rief er froh, »Paragraph vier besagt definitiv, dass er Anspruch darauf hat, von seinen Töchtern verpflegt zu werden.«
Vergnügt rieb er sich die Hände und schaute wohlgefällig über den runden gedeckten Tisch, der die blautapezierte Essecke des Wohnzimmers dominierte. Zum Auftakt des Sonntagsmenüs gab es Kartoffelsalat mit eingelegten Bohnen und Karotten. Weiter ging es mit einer dampfenden Flädlesuppe, und als Hauptgang dufteten geschmelzte Maultaschen in einer dunklen Zwiebelsoße vor sich hin. Natürlich gab es Spätzle, da verstand Erich Grüninger keinen Spaß: Wenn schon einmal schwäbisch gekocht wurde, dann richtig – ganz einfach, weil dann auch der Wein noch besser schmeckte.
»So … und das ist jetzt angeblich Janinas bester Tropfen, was die Weißweine angeht.« Erich Grüninger zog den Riesling aus dem Weinkühler und präsentierte ihn Katharina, als sei er ihr Privat-Sommelier. Katharina hörte ihre Schwester laut aufseufzen, woraufhin ihr Vater meinte: »Komm, Janne, ein Achtele geht immer. Und bei diesem hier, mit gerade mal achtfuffzig Umdrehungen … komm, das tut dem Kind gar nichts.«
»Nein, ich bleib hart. Kein Tropfen«, hauchte Janina, während Erich Grüninger Katharinas klassisches Grünhenkelglas mit dem bernsteinfarbenen Riesling füllte.
Auch was die Weingläser betraf, machte Erich Grüninger keine Kompromisse. Schwäbischer Wein gehöre in Henkelgläser, wurde er nicht müde zu betonen. Alles andere sei Mode. Folglich lehnte er auch die Meinung, gute Weißweine würden in mundgeblasenen langstieligen und dünnwandigen Gläsern besser schmecken, schlichtweg ab. Das sei ein Vorurteil.
»Auf uns, dass wir zusammen sind und alles gut wird!«
Erich Grüninger hob sein Glas, Katharina das ihre. Janina, die stur auf ihrem Cannstatter Sprudel beharrte, sagte: »Hoffen dürfen wir auf jeden Fall. Und jetzt will ich euch weinen sehen!«
Der erste Schluck. Eine Trockenbeerenauslese Jahrgang 2007. Katharina hatte das Gefühl, ihr Herz bleibe stehen, als der Wein über den Glasrand floss und Lippen und Zunge kühlte. Und dann, es kam ihr selbst unfassbar vor, trat ihr schlagartig das Wasser in die Augen. Dieser Wein war herrlich. Er war, gemessen an den Weißweinen, die sie in Hamburg verköstigt hatte, wie eine Sinfonie im Vergleich zum einsamen Jaulen einer Blockflöte. Allein sein Bouquet! Katharina schloss die Augen, um das Aprikosenflair, das mit einer Karamell- und Honignote gewürzt war, besser genießen zu können. Dann diese unendlich feine, rassige Säure, der Hauch von Nuss und sogar ein wenig Sand! Diese zu Ende komponierte Frucht, die sich an Zunge und Gaumen schmiegte wie eine kühle Flamme um ein frisches Scheit Holz.
»Da braucht es kein Rieslingglas mehr«, brachte gerührt Erich Grüninger hervor. »Diese Ruhe … kristallklar kommt sie daher, schwer wie die Tropfen eines Bergsees im Mondschein.«
»Sehr schön … wie mich das freut!« Janina schaute neidisch und sehnsüchtig zugleich auf die Flasche und schien kurz davor, ihre Abstinenz aufzugeben. Doch sie beherrschte sich: »Übrigens, damit ihr wisst, was eure Schwärmerei kostet: nicht mehr als zweiundzwanzig Euro vierzig.«
»Du und immer dein Geld!«, rief Erich Grüninger empört. »Jetzt sei still.«
»Bin ich doch. Aber zwei Euro habt ihr bereits vertrunken. Immerhin zirka drei Mark neunzig.«
Belustigt musterte Katharina ihre Schwester, die ihr brünettes lockiges Haar mit einem gelben Seidenband zusammengebunden hatte. Janina, zwei Jahre älter als sie, gehörte zu den Frauen, die hübsch, aber unscheinbar waren und vielleicht gerade deswegen erfolgreich Geschäfte machten. Und so sagte sie, bevor sie ihr Glas erneut an die Lippen setzte: »‹Wenn nur ein Traum das Leben ist, warum dann Müh und Plag? Ich trinke, bis ich nicht mehr kann, den ganzen lieben Tag!› So heißt es bei Gustav Mahler in seinem ‹Lied von der Erde›. Womit ich meine: Respekt, Janne, wie viel wirft dein Lädle ab, dass du mit solchen Tropfen anscheinend auf Du und Du stehst?«
»Schön wär’s.« Janina kippte sich den Rest der Flädlesuppe auf den Löffel. »Vorgestern brachte mir der Rainer Schlag einen Sechser-Karton. Mit der Bitte, die Flaschen so schnell wie möglich an die Kunden zu bringen, um hinterher ein Urteil von ihnen zu bekommen. Eure siebte Flasche war sozusagen der Lohn für diese Mühe.«
Damit war das Stichwort gefallen: Winzer Schlag und sein ominöser Unfall. Janina erzählte, dass sie vormittags Winzer Schlags Frau angerufen habe, um sich nach dessen Befinden zu erkundigen. Der Rainer stehe noch etwas unter Schock, hatte sie erfahren, habe aber außer einer leichten Gehirnerschütterung und einer Hüftprellung keine weiteren Verletzungen erlitten. Und: »Seine Amnesie hat auch nur drei Stunden gedauert.«
»Ja weiß man denn schon, wer’s war?«, fragte Katharina und schob die Gabel mit den Spätzle genüsslich in die Zwiebelsoße.
»Tja, jetzt wird’s kriminell. Denn der Rainer behauptet steif und fest, sich wegen der Blendung auf Teufel komm raus nicht an den Wagentyp erinnern zu können. Allerdings sei es was Größeres gewesen, ein Audi, BMW, vielleicht auch Mercedes, bestimmt aber ein Sechszylinder. Aber den Fahrer, besser gesagt, die Fahrerin – die hat er sicher erkannt.«
»Und wer ist es?«, fragte Erich Grüninger und schenkte sich großzügig nach.
»Die Frau vom Kellmann«, sagte Janina und setzte reichlich gehässig nach: »Die bessere Hälfte von Winzer Harald Kellmann, auch Madame blond und blöd genannt.«
»Ja so? Dann wird doch vieles klar. Die Gute hatte ein paar Umdrehungen zu viel und dann die Nerven verloren.« Erich Grüninger schloss die Augen, als er sich einen neuen Schluck der Trockenbeerenauslese gönnte.
»Von wegen.« Janina teilte eine Maultasche mit der Gabel. »Die hat ein wasserdichtes Alibi. Um diese Zeit war sie nämlich in Bad Urach in der Rehaklinik. Eine Woche Wellness. Und einen BMW X6 fährt sie schon lange nicht.«
»Ich merk schon, ich bin zurück im Land der Betuchten.« Katharina seufzte. »Warum kann ich nicht auch mal so zwischendurch eine Woche Wellness machen?«
Janina blickte betreten zur Seite, Katharinas Vater jedoch legte seine Hand auf die seiner Tochter und schaute ihr fest in die Augen: »Die kriegst du von mir, wenn Janne wieder allein im Lädle stehen kann. Versprochen.«
»Genau. Der Vater zahlt dir eine Woche, und ich dir die nächste«, beeilte Janina sich zu sagen. »Hab ich eigentlich schon erzählt, dass der Kellmann und der Schlag sich nicht grade grün sind? Dabei machen beide hervorragende Weine. Der Schlag rote und weiße, Kellmann nur weiße. Freilich scheint der Rainer Schlag mit seiner Trockenbeerenauslese, die ihr gerade trinkt, dem Harald Kellmann jetzt Konkurrenz zu machen. Wer weiß, vielleicht saß er am Steuer? Allerdings trägt er im Gegensatz zu seiner Frau Vollglatze.«
Morgens um neun ist die Welt noch in Ordnung. Zumindest galt dies für all jene Untertürkheimer oder Bad Cannstatter Ladenbesitzer, die beruhigt sein konnten, dass über Nacht bei ihnen nicht eingebrochen worden war. Anders gesagt: Wenn morgens um neun in der autofreien Altstadt von Bad Cannstatt nicht mehr als zwei Menschen vor den Auslagen und Türen der Geschäfte warteten, standen die Chancen gut, dass die Ladenbesitzer abends das Übliche resümierten. Dass der Umsatz schlechter, vielleicht aber doch auch einmal ein wenig besser hätte sein können … überhaupt werde die ganze Schafferei immer anstrengender … und irgendwie sähe man alles bald nicht mehr ein …
Auch Janinas Schwabenlädle hatte in der Bad Cannstatter Altstadt seinen Platz gefunden. Ein uriges Geschäft, hinter dessen Schaufenster museales Kochgerät, Weinflaschen mit barocken Etiketten und ein handgeschriebenes Pergament mit dem Rezept eines badischen Sauerbratens um Aufmerksamkeit warben. Eine Landjägergirlande und braunschwarze Korken mit Siegellackresten waren ebenfalls zu entdecken, und alles wurde von württembergischen Panoramafotos umrahmt.
»Aber um neun in der Früh lässt das natürlich alle kalt«, erklärte Janina ihrer Schwester, als sie in die Fußgängerpassage einbogen. »So ab elf geht’s dann los. Von zwei bis drei ist dann wieder mau, von vier bis sechs aber kann es richtig voll werden.«
»Weil einem dann der Magen knurrt und der Mensch sich was Gutes tun will?«
»Genau. Natürlich soll es dann auch immer schnell gehen. Wenn mehr als ein Kunde wartet, ist es gut, jeden Hinzukommenden sofort anzusprechen und um Geduld zu bitten.«
»Und dann bleiben sie?«
»Bis jetzt immer.«
Janina reckte den Kopf und beschleunigte ihre Schritte. Denn offensichtlich war heute bereits um halb neun viel los. Zumindest vor dem Schwabenlädle. Dort hatte sich nämlich eine Menschentraube versammelt, von denen allerdings niemand die Schaufensterauslagen bewunderte.
»Vielleicht ist einer umgekippt«, meinte Katharina. »Oder es gibt ein Fest im Haus. Du hast doch gesagt, es gäbe da einen neuen Hausbesitzer. Lerne ich den eigentlich auch noch kennen?«
»Jajaja, Herrgott, was ist da los?!«
Ein beleibter Mann mit Bäckerschürze kam ihnen entgegengeeilt, hinter ihm winkte eine Frau in einem blendend weißen Verkaufskittel. »Unglaublich, praktisch nichts passiert!«, rief der Mann mit der Schürze.
Katharina wehte ein Duft von frischem Brot und Süßgebäck in die Nase, was ihr sofort wieder das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Allmählich wird es lächerlich, dachte sie. Wenn es so weitergeht, bin ich Janinas und mein eigener bester Kunde.
Niemand war umgekippt. Auch die Schaufensterscheibe war weder beschmiert noch eingeschlagen, trotzdem traute Janina ihren Augen nicht: Die Tür ihres Schwabenlädles stand halb offen, Schloss, Tür und Zarge aber waren unbeschädigt.
»Polizei kommt gleich«, sagte jemand.
Katharina drehte sich um. Zwei gereifte Damen in weißen Dreiviertelhosen, eine runde Kopftuchfrau und ein Rentner mit Einkaufsnetz und Schiebermütze bauten sich mit dem Bäcker hinter ihr und Janina auf und schienen sie förmlich ins Lädle hineinschieben zu wollen. Es stimmte: Nichts war passiert. Nirgendwo schien etwas beschädigt zu sein, nicht eine einzige Flasche vom Göppinger Streuobst-Apfelsaft war zu Bruch gegangen. Selbst das Weinlager sei vollständig, hörte Katharina ihre Schwester aus dem Keller rufen. Ratlos kam Janina die Kellertreppe wieder nach oben und inspizierte erneut das Schloss. Als ein Polizist das Lädle betrat, verzogen sich die Neugierigen. Nur der Bäcker blieb, er gab an, die offene Tür entdeckt zu haben, weil ein vorwitziger Hund an langer Leine seinen Kopf durch den Spalt gesteckt habe.
»Da bin ich mit so einem merkwürdigen Gefühl rüber. Und hab natürlich gleich registriert, dass die Frau Grüninger noch gar nicht im Geschäft war.«
»Wer macht so was?«, fragte Katharina fassungslos.
»Dumme sind’s nicht«, antwortete der Polizist. »Es beginnt damit, dass irgendwann irgendwer ein Foto von Tür und Schloss macht. Anhand des Beschlags und anderer Details kann ein Profi den Sicherheitsstandard der Tür einschätzen. Vor allem bei älteren Schlössern lässt sich durch etwas Herumprobieren dann der Schließzylinder knacken. Derartige Herrschaften haben in ihren Werkstätten nämlich Hunderte von Schlüsseln.«
»Meine Schwester war also sicherheitstechnisch nicht auf dem neuesten Stand?«
»Könnte man so sagen. Aber das sind die wenigsten. Und hier, bei diesen alten Häusern, diesen geradezu klassischen Ladentüren … gut, was soll’s. Alles kostet. Also auch im Keller fehlt nichts, Frau Grüninger?«
»Nein«, schnaufte Janina und strich sich über den Bauch.
»Das ist jetzt schon seltsam. Und es ist absolut sicher, dass Sie nicht vergessen haben, zuzuschließen?«
»Himmel, ja!«
»Also – wir können es nur aufnehmen. Mehr nicht.«
»Kam hier so etwas denn schon einmal vor?«, wollte Katharina wissen.