Science Fiction Roman von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 133
Taschenbuchseiten.
Im Jahr 2234 übernimmt Commander Willard J. Reilly das
Kommando über die STERNENKRIEGER, ein Kampfschiff des Space Army
Corps der Humanen Welten. Die Menschheit befindet sich im wenig
später ausbrechenden ersten Krieg gegen die außerirdischen Qriid in
einer Position hoffnungsloser Unterlegenheit. Dem ungehemmten
Expansionsdrang des aggressiven Alien-Imperiums haben die
Verteidiger der Menschheit wenig mehr entgegenzusetzen, als ihren
Mut und ihre Entschlossenheit.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen,
Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb
er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry
Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica
Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick,
Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian
Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet
Farell.
Übersicht über die Serie “Chronik der Sternenkrieger”
in chronologischer Reihenfolge
Einzelfolgen:
Commander Reilly 1: Ferne Mission (Handlungszeit 2234)
Commander Reilly 2: Raumschiff STERNENKRIEGER im Einsatz
Commander Reilly 3: Commander im Niemandsland
Commander Reilly 4: Das Niemandsland der Galaxis
Commander Reilly 5: Commander der drei Sonnen
Commander Reilly 6: Kampf um drei Sonnen
Commander Reilly 7: Commander im Sternenkrieg
Commander Reilly 8: Kosmischer Krisenherd
Commander Reilly 9: IN VORBEREITUNG
Terrifors Geschichte: Ein Space Army Corps Roman
(Handlungszeit 2238)
Erstes Kommando: Extra-Roman (Handlungszeit 2242)
Erster Offizier: Extra-Roman (Handlungszeit 2246)
Chronik der Sternenkrieger 1 Captain auf der Brücke
(Handlungszeit 2250)
Chronik der Sternenkrieger 2 Sieben Monde
Chronik der Sternenkrieger 3 Prototyp
Chronik der Sternenkrieger 4 Heiliges Imperium
Chronik der Sternenkrieger 5 Der Wega-Krieg
Chronik der Sternenkrieger 6 Zwischen allen Fronten
Chronik der Sternenkrieger 7 Höllenplanet
Chronik der Sternenkrieger 8 Wahre Marsianer
Chronik der Sternenkrieger 9 Überfall der Naarash
Chronik der Sternenkrieger 10 Der Palast
Chronik der Sternenkrieger 11 Angriff auf Alpha
Chronik der Sternenkrieger 12 Hinter dem Wurmloch
Chronik der Sternenkrieger 13 Letzte Chance
Chronik der Sternenkrieger 14 Dunkle Welten
Chronik der Sternenkrieger 15 In den Höhlen
Chronik der Sternenkrieger 16 Die Feuerwelt
Chronik der Sternenkrieger 17 Die Invasion
Chronik der Sternenkrieger 18 Planetarer Kampf
Chronik der Sternenkrieger 19 Notlandung
Chronik der Sternenkrieger 20 Vergeltung
Chronik der Sternenkrieger 21 Ins Herz des Feindes
Chronik der Sternenkrieger 22 Sklavenschiff
Chronik der Sternenkrieger 23 Alte Götter
Chronik der Sternenkrieger 24 Schlachtpläne
Chronik der Sternenkrieger 25 Aussichtslos
Chronik der Sternenkrieger 26 Schläfer
Chronik der Sternenkrieger 27 In Ruuneds Reich
Chronik der Sternenkrieger 28 Die verschwundenen
Raumschiffe
Chronik der Sternenkrieger 29 Die Spur der Götter
Chronik der Sternenkrieger 30 Mission der Verlorenen
Chronik der Sternenkrieger 31 Planet der Wyyryy
Chronik der Sternenkrieger 32 Absturz des Phoenix
Chronik der Sternenkrieger 33 Goldenes Artefakt
Chronik der Sternenkrieger 34 Hundssterne
Chronik der Sternenkrieger 35 Ukasis Hölle
Chronik der Sternenkrieger 36 Die Exodus-Flotte (Handlungszeit
2256)
Chronik der Sternenkrieger 37 Zerstörer
Chronik der Sternenkrieger 38 Sunfrosts Weg (in
Vorbereitung)
Sammelbände:
Sammelband 1: Captain und Commander
Sammelband 2: Raumgefechte
Sammelband 3: Ferne Galaxis
Sammelband 4: Kosmischer Feind
Sammelband 5: Der Etnord-Krieg
Sammelband 6: Götter und Gegner
Sammelband 7: Schlächter des Alls
Sammelband 8: Verlorene Götter
Sammelband 9: Galaktischer Ruf
Sonderausgaben:
Der Anfang der Saga (enthält “Terrifors Geschichte”, “Erstes
Kommando” und
Chronik der Sternenkrieger #1-4)
Im Dienst des Space Army Corps (enthält “Terrifors
Geschichte”, “Erstes Kommando”)
Druckausgabe (auch als E-Book):
Chronik der Sternenkrieger: Drei Abenteuer #1 -12 (#1 enthält
Terrifors Geschichte, Erstes Kommando und Captain auf der Brücke,
die folgenden enthalten jeweils drei Bände und folgen der
Nummerierung von Band 2 “Sieben Monde” an.)
Ferner erschienen Doppelbände, teilweise auch im Druck.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und
BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Kapitel 1: Am Anfang des Weges
Nichts hatte ihn je so so fasziniert wie die Sterne.
Die Sterne und die Unendlichkeit des Raums.
Unendlich viele Welten.
Nur einen verschwindend geringen Bruchteil davon würde er er
je besuchen können.
Aber allein dieser winzige Bruchteil war es wert, zu den
Sternen zu fliegen.
Es sollte sein Traum werden.
Und sein Leben.
1
“Eines Tages werde ich der Kommandant seines Raumschiffs
sein”, sagte der Junge. “Eines Tages…”
“Natürlich wirst du das”, sagte sein Vater. “Denn eines Tages
wirst du die Flotte der Reilly-Raumflotte erben. Unsere Schiffe
fliegen bis in den hintersten Winkel der Humanen Welten. Und
darüber hinaus.”
“Auch ins Niemandsland?”
“Auch ins Niemandsland.”
“Und in das Reich der K’aradan?”
“Auch in das Reich der K’aradan.”
“Auch über das K’aradan-Reich hinaus?”
“Das K’aradan-Reich ist riesig, mein Junge.”
“Wie riesig?”
“Es durchmisst über 1000 Lichtjahre.”
“Dann ist überhaupt noch niemand bis auf die andere Seite des
K’aradan-Reichs gekommen?”
“Zumindest kein Mensch.”
“Vielleicht einer von den Saurier-Aliens?”
“Die Saurier-Aliens heißen Fulirr.”
“Meinst du, ein Raumschiff der Fulirr ist schon bis auf die
andere Seite des K’aradan-Reichs gekommen?”
“Das weiß ich nicht. Aber im Moment dürfte wohl kein
Fulirr-Schiff bis dorthin kommen.”
“Warum nicht?”
“Weil die K’aradan mit den Fulirr im Krieg sind und sie nicht
durch ihr Raumgebiet lassen werden.”
Der Name des kleinen Jungen war Willard.
Willard J. Reilly.
Willard und sein Vater standen an der transparenten
Fieberglas-Wand der Reilly-Terminal-Raumstation im Erdorbit. Man
konnte ins All hinaus sehen. Der Mond war beeindruckend nahe.
Willard hatte sich etwas vorgenommen.
“Ich werde eines Tages Kommandant eines Raumschiffs”, sagte er
noch einmal.
“Natürlich wirst du das”, wiederholte sein Vater.
“Aber ich meine damit kein Reilly-Schiff. Keinen Handelsraumer
und keinen Passagier-Transporter und auch keinen Frachter.”
“Ach, nein?”
“Ich will Commander eines Kriegsschiffs beim Space Army Corps
werden.”
“Warum das denn?”
“Damit die Planeten sicher sind und man ohne Gefahr zu allen
Systemen reisen kann, die zu den Humanen Welten gehören.”
Sein Vater schwieg einen Moment.
“Das sehen wir noch”, sagte er.
“Nein, das ist es, was ich will! Ich bin entschlossen dazu,
später mal auf die Space Army Corps Academy auf Ganymed zu
gehen!”
Sein Vater legte ihm eine Hand auf die Schulter.
“Du hast etwas Schlimmes erlebt. Und deshalb bist du jetzt
entschlossen, ein Sternenkrieger zu werden.”
“Das wird sich nicht mehr ändern. Tut mir leid, aber dann wird
eben irgendwann mein Bruder die Reilly-Raumflotte leiten
müssen.”
“Dein Bruder, Willard, wird das niemals tun.”
“Und warum nicht?”
“Weil er…- anders ist.”
“Anders als ich?”
“Anders als die meisten Menschen.”
“Vielleicht bin ich auch anders”, sagte der Junge. “Anders als
du denkst.”
“Hör zu, irgendwann wirst du erkennen, dass es unsinnig ist,
in eine andere Flotte einzutreten, wenn man seine eigene Flotte
befehligen kann.”
“Glaubst du?”
“Ja.”
Sie schwiegen einen Moment.
Kapitel 2: EIN KIND DER GÖTTER
Viele irdische Jahre später…
Auf einer anderen Welt.
Weit entfernt vom Sol-System, dem Zentrum des Bundes der
Humanen Welten.
1
Der Flussbezwinger.
So nannte man dich, aber man hat dir den Namen genommen und du
unterliegst dem Fluch der Götter des Eisvulkans, wenn du ihn,
entgegen dem Willen deines Stammes, weiter benutzt…
Die Gestalt blieb stehen, stand in dem etwa minus hundert Grad
Celsius kalten Wind. Handgroße Methantropfen regneten aus einem
schmutzig-braunen Himmel. Sie fielen langsam. Die dichte,
vorwiegend aus Stickstoff und Schwefelverbindungen bestehende
Atmosphäre sorgte für diesen sehr langsamen Regen. Die Schwerkraft
von gerade 0,6 g tat ein Übriges dazu.
Die großen Tropfen zerplatzten, wenn sie den aus schmutzigem,
steinhartem Eis bestehenden Boden berührten. Rinnsale von
flüssigem Methan sammelten sich zu kleinen, sich wieder
verzweigenden Bächen, die durch das unwirtliche Eisrelief
mäanderten. Ein Teil des Methans versickerte in den Eisspalten. Ein
anderer Teil würde sich zu immer größeren Rinnsälen und Bächen
sammeln, die zu wahren Strömen zusammenfanden, welche sich am Ende
wiederum in das glitzernde Meer ergossen, das am Horizont wie ein
funkelndes Band aufschien.
Dein Weg ist jetzt nicht mehr weit!, dachte das zottelige, mit
insgesamt sechs Extremitäten ausgestattete Wesen. Dein Hunger wird
ein Ende haben, wenn du das Ufer erreichst… Die Zeit ist
günstig.
Ein Arm schnellte vor und fing einen der langsam
herabsinkenden Methantropfen auf, der irgendwo weit über ihm in
einem braun-grauen Wolkengebirge kondensiert sein musste. Aber das
alles waren Dinge, über die dieses Wesen nicht Bescheid wusste, die
es nicht einmal für natürliche Prozesse hielt, sondern für
Gnadenerweise des Großen Wolkenspeiers, wie der Oberste unter den
Göttern genannt wurde, die oben auf den unglaublich hohen Gipfeln
der Eisvulkane residierten und den Sterblichen die Gesetze gegeben
hatten.
Gesetze, gegen die du verstoßen hast, du Unglücklicher!
Der Whuuorr spürte einen angenehmen Reiz der Nervenendungen
auf der Innenfläche jener achtfingrigen Riesenhand, mit der er den
Methantropfen gefangen hatte. Der Tropfen zerplatzte. Der Großteil
dessen, was auf seiner Handfläche gelandet war, spritzte einfach
weg, teilte sich in winzig kleine Tropfen.
Aber in der Höhlung in der Mitte der Handinnenfläche blieb
genug von diesem kostbaren Nass übrig, um es einer der beiden
Öffnungen zur Aufnahme von Nahrung zuzuführen.
Ein Whuuorr-Junges bekam schon von klein auf beigebracht, wie
man Tropfen fing, denn das aus den schmutzigen Wolkengebirgen
herausregnende Methan schmeckte einfach anders als die Flüssigkeit,
die man vom Boden aufnehmen konnte. Manchmal war das Methan in
einigen Seen mit wenig Flüssigkeitsaustausch so giftig, dass man es
nicht trinken konnte. Mit den Tropfen, die vom Himmel fielen,
passierte dies nie.
Der Whuuorr sog die Flüssigkeit begierig durch seine zweite
Essöffnung in sich hinein und stieß dabei ein wohliges Knurren
aus.
Das ist gut, dachte er. Wirklich gut… Der Weg hier her war so
lang und einsam… Da war es dringend nötig, wieder etwas zu
trinken!
Der Whuuorr war drei Meter hoch, hatte ein kräftiges und ein
zartes Paar Arme, deren achtfingrige Greifhände mit langen Krallen
bewehrt waren, die sich allerdings auch einfahren ließen. Die Beine
waren verhältnismäßig kurz und mit sehr großen Füßen ausgestattet,
die auch auf glatten Eisflächen einen sicheren Stand
ermöglichten.
Von Kopf bis Fuß war der Whuuorr mit einem dichten, zotteligen
Fell bedeckt, das auch die beiden Mundöffnungen mit den
Beißwerkzeugen überwucherte. Nur die großen dunklen Augen blieben
frei. Zwei befanden sich in tiefen Höhlen an den Seiten. Ein
Drittes wuchs am Ende eines Fortsatzes, der oben auf der
Schädeldecke seinen Ausgangspunkt hatte und sich in alle Richtungen
schwenken ließ. Der Whuuorr konnte daher den Blick wenden, ohne
unbedingt den großen Kopf drehen zu müssen.
Flussbezwinger hatte man ihn genannt, weil kein anderer
Whuuorr seines Stammes in der Lage gewesen war, so breite Flüsse zu
überqueren wie er. Dazu benutzte er die lange Gräte eines
Riesenflossers, die er mit seinen beiden linken Greifhänden fest
umklammert hielt. Der Whuuorr, der früher von seinem Stamm
Flussbezwinger genannt worden war, benutzte diese
Riesenflosser-Gräte auch als Waffe. Entweder gegen kriegerische
Artgenossen oder gegen unerbittliche Räuber, auf deren Speiseplan
durchaus auch ein Whuuorr zu finden sein konnte. Die Eiswürmer zum
Beispiel, die sich tiefe Tunnel in das steinhart gefrorene und zu
bizarren Formen vor Äonen erstarrte Eis bohrten, um dann
urplötzlich an die Oberfläche zu stoßen, wenn sie glaubten, dass
sich dort gerade etwas befand, was ihre Verdauungsorgane zu
verarbeiten vermochten.
Du hattest einen Namen und wenn es auch ein Frevel sein mag,
deinen alten weiter zu benutzen und von dir selbst als
Flussbezwinger zu sprechen, so kann es doch kein Unrecht sein, wenn
du dir selbst einen Namen machst.
Klar und eindeutig stand dieser Gedanke im Bewusstsein des
Whuuorr.
Das erschreckte ihn im ersten Moment, denn bislang hatte er es
sich strikt verboten, über diese Möglichkeit auch nur nachzudenken.
Wenn du die Gesetze der Vulkangötter brichst, wirst du alles
verlieren, was deine Seele ausmacht!, so erinnerte sich der Whuuorr
an den Text einer Überlieferung, die unter seinem Volk von
Generation zu Generation weitergeben worden war.
Dein Selbst wird verschwinden, denn ohne die Gemeinschaft bist
du nichts als ein namenloser, zum Untergang verurteilter Schatten!,
so ging der Text weiter, den der Schamane seines Stammes immer und
immer wieder rezitiert hatte. So oft, dass der Whuuorr jedes Wort
davon nicht nur auswendig kannte, sondern tatsächlich verinnerlicht
hatte.
Das zottelige Wesen hob drei Fäuste, während es den
Riesenflosser-Grätenspeer lediglich mit der zarten Hand auf die
linke Seite nahm.
Drei Fäuste richtete das Wesen gen Himmel und stieß einen
tiefen, grollenden Laut aus, der sich mit dem Donner vermischte,
der jetzt aus den schmutzigbraunen Wolkengebilden hervordrang und
beinahe wie eine Antwort auf sein Ansinnen wirkte. Ein Ansinnen,
das jeder Whuuorr-Schamane als Blasphemie empfinde musste.
„So hört denn, ihr Götter!“, schrie das Wesen in einer
Sprache, die vor allem aus dunklen, grollenden Kehllauten zu
bestehen schien, die abwechselnd ein- und zweistimmig aus den
beiden Schlünden des Whuuorr hervorgebracht wurden. „Hört, was euch
derjenige zu sagen hat, den sein Stamm und seine Sippe einst den
Flussbezwinger, Sohn des Flussbezwingers und Sohnessohn eines
weiteren Flussbezwingers nannte! Obwohl mir bitteres Unrecht
geschah, werde ich die Gerechtigkeit der Götter akzeptieren. Wer
weiß schon, wozu sie gut sein mag! So werde ich auch den Namen, den
mein Stamm mir einst übereignete und den ich mir durch Taten
verdiente, wie es unser Brauch ist, nicht länger tragen. Denn den
Zorn der Götter will ich nicht erregen – aber ein namenloser
Schatten will ich auch nicht sein!“
Ein Augenblick des Schweigens folgte. Einige Höhensegler
kreisten über der Uferzone des Meeres. Ihre schrillen Laute waren
unüberhörbar. Sie essen das, was für dich, namenlosen Narren,
bestimmt ist!, wurde es dem Whuuorr klar.
„Nennt mich den Alleinigen!“, rief der Whuuorr und reckte
wütend den Riesenflosser-Grätenspeer empor. „Nennt mich von nun an
den Alleinigen, denn allein auf mich gestellt bin ich, weil mein
Stamm mich verflucht hat!“
Sich selbst einen Namen geben…
Warum nicht?
Eigentlich war es das Vorrecht des Schamanen, dies zu tun.
Aber wenn er allein auf sich gestellt überleben wollte, musste er
sei eigener Schamane und sein eigener Jagdgefährte sein. Ein
Schauder erfasste ihn. Was konnte er fürchten? Den Zorn des Großen
Wolkenspeiers?
Vielleicht.
Worauf wartest du? Auf eine Antwort der Götter? Aber sie
schweigen. Wie aber ist ihr Schweigen zu bewerten? Als
stillschweigende Zustimmung? Als ein Gewähren lassen? Oder als
Ausdrucks des Zorns… Nein, es ist vielleicht eher Verachtung, was
da zum Ausdruck kommt. Du bist eine Antwort nicht wert. Nicht
einmal eines Blitzes, der dich erschlägt, hielten der Große
Wolkenspeier und seine Götterkameraden dich für würdig. Aber warum
solltest du sie nicht auf die Probe stellen? Warum nicht die Götter
versuchen, auch wenn es die Überlieferung verbietet? Du kannst
nichts mehr verlieren. Alles, was du zu gewinnen vermagst, ist eine
Erlösung von der Qual – jener speziellen Art der Qual, die eigens
für dich, der du dich jetzt den Alleinigen nennst, geschaffen
wurde.
Der Alleinige wandte sich gen Osten, wo der Blaue Riese
aufging. Er würde zwei Drittel des Himmels ausfüllen und für Licht
sorgen. Gleichzeitig ging im Westen der Rote Riese unter.
Dunkelheit gab es auf dieser Welt nicht. Allenfalls eine kurze
Phase der Dämmerung, in der dann die Monde und ein paar Sterne zu
sehen waren, bevor deren Licht von einem der beiden Riesen
überstrahlt wurde.
Gegen das Licht des aufgehenden Blauen Riesen hob sich ein
gewaltiger Vulkankrater ab.
Das war der Große Wolkenspeier – für die Whuuorr mehr als nur
ein hoher Berg, dessen Gipfel zumeist durch einen Kranz von
Methanwolken verhängt wurde.
„Wenn das, was ich tue, Frevel ist, dann zeig es mir, Großer
Wolkenspeier, und vernichte mich! Du hast die Macht dazu!“
Seine Worte verhallten.
Der Alleinige wandte sich wieder in Richtung des Meeres.
Was geschehen soll, geschieht, dachte er. Wie hatte der
Schamane immer gesagt? Deine Geschichte ist schon erzählt… Ja, so
musste es wohl sein.
Vorsichtig setzte er einen der großen, achtzehigen und
notfalls sogar greiffähigen Füße vor den anderen.
Aus der Ferne war das leise Rauschen des Meeres zu
hören.
Die Götter können nicht gegen mich sein. Sonst hätten sie mich
zweifellos vernichtet.
Die Anspannung verflog langsam.
Der aus seiner Schädeldecke hervor wachsende Augenfortsatz
schwenkte etwas herum und sondierte den Horizont. Ein erfahrener
Sammler wandte sich immer dorthin, wo die meisten Höhensegler am
Himmel zu sehen waren.
Die beiden Monde standen am Himmel. Sie bewegten sich am
Firmament, schwebten dahin wie riesige Kugelwolken. Der blaue Mond
schimmerte sehr viel deutlicher durch die Wolkendecke hindurch als
der etwas kleinere und unregelmäßige zweite Trabant, der eine
schmutzig-braune Farbe hatte und sich damit kaum von den Wolken
abhob.
Die Monde zogen das Meer mit sich. Dieses Phänomen war auch
den Whuuorr bekannt.
Es war Flut kam.
Und das bedeutet, dass ich mich beeilen muss, wenn ich heute
noch etwas zu essen bekommen will!, meldete sich eine eher
praktisch veranlagte Stimme in ihm.
Der Whuuorr spürte schon eine ganze Weile die untrüglichen
Zeichen, die ihm signalisierten, dass er Hunger hatte. Ein
schmerzhaftes Drücken war in seinem Brustkorb zu spüren.
Schnell muss es jetzt gehen. Sehr schnell. Sonst hat die Flut
alles überdeckt…
Bei Flut am Meeresufer auf Nahrungssuche zu gehen war nicht
ungefährlich.
Wenn sich Priele bildeten, die einem den Rückweg abschnitten,
war man verloren.
Der Alleinige hatte das während seiner bisherigen Lebensspanne
bereits bei mehr als einem Dutzend Stammesgenossen erlebt.
Normalerweise wurden immer einige Stammesmitglieder dazu
abgestellt, das Meer zu beobachten und darauf zu achten, dass den
Sammlern der Weg nicht abgeschnitten wurde.
Du wirst nur auf dich selbst achten können – oder die Götter,
die du so verflucht hast, tun es, weil sie dich für ein amüsantes
Spielzeug halten oder aus noch düsteren Motiven…
Der Alleinige fing sich noch ein paar Methantropfen aus der
Luft und saugte sie förmlich in sich hinein. Dann setzte er zu
einer Art Spurt an.
Die großen Füße waren sehr trittsicher. Die krummen, sehr
stämmigen O-Beine entwickelten einen erstaunlich eleganten
Laufstil. Mit großen Sätzen bewegte sich der Alleinige auf die sich
nähernde Küstenlinie zu. Das Rauschen des Meeres wurde immer
lauter. Es betäubte schließlich die Ohren. In unmittelbarer
Ufernähe war eine Verständigung innerhalb eines Sammlertrupps nicht
mehr auf akustischem Weg möglich. Es blieb nur die Möglichkeit,
sich gegenseitig Zeichen zu geben. Aber da bei den Whuuorr allein
drei Augen vollkommen unabhängig voneinander agieren konnten,
bestand stets die Möglichkeit, eins von ihnen zur Beobachtung des
Zeichengebers abzustellen.
Auf welche Zeichen wirst du jetzt achten? Auf die der Götter?
Verlass dich nicht auf sie. Du kannst dich nur auf deine eigenen
Fähigkeiten verlassen, denn du bist der Alleinige….
Ihm war bewusst, dass er in allem umdenken musste.
Wie oft hatte er den Schamanen und andere, ältere Mitglieder
des Stammes sagen hören, dass ein auf sich allein gestelltes
Überleben in der Wildnis vollkommen unmöglich war.
Während seines bisherigen Lebens hatte es der Alleinige
insgesamt dreimal erlebt, dass ein Mitglied des Stammes wegen der
Verletzung eines oder mehrerer Gesetze aus dem Stamm
ausgeschlossen, seines Namens beraubt, verflucht und für immer
verbannt wurde.
Die meisten derer, denen dieses Schicksal widerfahren war,
hatte der Stamm später auf seinen Wanderungen gefunden. Die Kälte
hatte sie zu steinharten Skulpturen des Todes erstarren lassen. Zu
Sinnbildern der Verfehlung und der Sünde, die dann den jüngeren
Stammesmitgliedern vom Schamanen stets als warnende Beispiel
vorgehalten wurden.
Wer Zwietracht in den Stamm hineinträgt, der wird so enden!,
hatte der Alleinige die Worte des Schamanen noch gut in Erinnerung.
Jetzt hallten sie immer dutzendfach in seinem Kopf wieder und
ergaben mit ungezählten weiteren Erinnerungen ein buntes
Kaleidoskop. Einen chaotischen Chor von Stimmen, kombiniert mit
Bildern, Szenen, Eindrücken…
Nie zuvor hatte der Alleinige das Gefühl gehabt, derart
intensiv zu leben und zu empfinden. Jede Nervenfaser seines Körpers
schien extrem überreizt zu sein.
Du wirst dich an diesen Zustand gewöhnen, glaubte er.
Zumindest hoffte er es.
Die Monde verschwanden am Himmel, als der Blaue Riese zur
Hälfte aufgegangen war und den gesamten östlichen Horizont wie eine
gewaltige, leuchtende Kuppel überspannte. Für Stunden würde jetzt
das Licht des Blauen Riesen, jenes der Monde dermaßen überstrahlen,
dass diese nicht zu sehen waren. Allenfalls an sehr diesigen,
Wolken verhangenen Tagen konnte man die Umrisse der beiden Monde
als grauweiße Konturen dann trotzdem noch am Himmel ausmachen. Aber
jetzt hellte sich das Wetter auf.
Die Wetterwechsel an der Küste des großen Binnenmeeres waren
sehr heftig.
Der Alleinige hatte inzwischen die eigentliche Uferzone
erreicht. Flüssiges Methan wurde durch den enormen Druck der
gewaltigen Flüssigkeitsmasse durch die Spalten und Ritzen im Eis
hindurch getrieben und quoll überall aus der Oberfläche heraus.
Die Uferzone war oft ein Zwitter zwischen Land und Meer. Aber
genau deswegen gab es hier so viel zu finden. Manchmal ließ die
Flut sogar einen Riesenflosser zurück, der nicht schnell genug in
tiefere Gewässer zurückgekehrt war und sich dadurch in Sicherheit
gebracht hatte.
Die Tiere waren so groß, dass ihr eigenes Gewicht sie
erdrückte, wenn sie nicht in einem Bad aus Methan schwimmen
konnten. Sie verendeten elendig oder wurden von
Whuuorr-Sammlergruppen getötet.
Aber auch kleinere Lebensformen waren auf dem steinharten Eis
zurückgeblieben, versuchten, in kleineren Pfützen zu überleben, bis
die Flut zurückkehrte und sie wieder in das Meer hineinholte.
Aber die Whuuorr waren nicht die einzigen, denen die Gezeiten
der Binnenmeere als Nahrungslieferant dienten. Die Höhensegler –
Organismen, die in der schweren, sehr dichten Atomsphäre ihre
gewaltigen, bis zu drei oder vier Meter messenden Flügel
entfalteten und auf ihnen so sanft dahin glitten, als würden sie
sich nicht innerhalb einer Gas- sondern einer Flüssigkeitsmasse
bewegen, waren die schlimmsten Konkurrenten.
Normalerweise gingen sie einer Gruppe von Whuuorr aus dem Weg.
Aber bei einem einzelnen Exemplar dieser Spezis war das anders. Da
rechneten sie sich Chancen aus und waren keineswegs bereit auf ihre
anvisierte Beute zu verzichten. Vor allem dann nicht, wenn es um
größere Brocken ging.
Eine Gruppe von ihnen kreiste über einer verendeten
Methanqualle. Sie hackten mit ihren schnabelähnlichen
Beißwerkzeugen Stücke aus dem hart gefrorenen Kadaver und balgten
sich anschließend in der Luft darum. Regelrechte Luftkämpfe fanden
da statt.
Der Alleinige fasste die Riesenflosser-Gräte mit allen vier
Händen an einem Ende und schlug damit um sich. Einen der
Höhensegler erwischte er. Die anderen stoben davon und versuchten
dabei die Beutestücke in ihren Greifschnäbeln zu retten.
Einige kamen zurück, setzten im Sinkflug zum Angriff an - sie
stürzten sich auf den Alleinigen, doch dieser war erfahren in
solchen Kämpfen.
Mit einer Gewandtheit, die kein unabhängiger Beobachter einem
Wesen mit einem so kompakten Körperbau zugetraut hätte, wandte er
sich herum und ließ die Riesenflosser-Gräte erneut durch die Luft
sausen. Aber diesmal stieß er mit ihr blitzschnell vor.
Einen der unerbittlichen Lufträuber erwischte er. Der
Höhensegler fiel zu Boden.
Eine grünliche Flüssigkeit rann dort aus seinem Körper heraus,
wo die Spitze der Riesenflosser-Gräte ihn schlimm verletzt hatte.
In die Luft steigen konnte er nicht mehr. Die Flugmembran war
gerissen. Selbst bei dem durch die dichte Atmosphäre in Kombination
mit der geringen Schwerkraft bedingten hohen Auftrieb war es so
unmöglich für ihn, sich in diesem Zustand wieder vom Boden zu
erheben.
Der Alleinige nutzte dies.
Er stieß noch einmal zu und der Höhensegler hauchte sein Leben
aus. Auch seinen Kadaver würde der Whuuorr für sich beanspruchen.
So kann ich sogar einen kleinen Vorrat anlegen!, durchzuckte es ihn
und er fühlte, wie eine Welle von Glücksempfindungen seinen Körper
wie einen angenehmen Schauder durchrasten.
All die Geschichten, die angeblich belegten, dass es unmöglich
war, als ein auf sich allein gestellter Jäger und Sammler zu
überleben, erschienen dem Alleinigen im Augenblick so vollkommen
wirklichkeitsfremd.
Niemandes Geschichte ist schon geschrieben!, glaubte er jetzt.
Auch meine nicht!
2
Die Höhensegler erkannten die Gefahr. Sie zogen sich zurück.
In dem wütend um sich schlagenden Whuuorr hatten sie ihren Meister
gefunden. Nochmals wollte keiner der Höhensegler riskieren, mit der
Gräte des Riesenflossers aufgespießt zu werden.
Die flugfähigen Räuber hielten sich also in gebührender
Entfernung. Manche hockten auf Eisblöcken, die von einer früheren
Flut, weit auf das Festland gerissen worden waren.
Der Alleinige machte sich jetzt daran, die Beute zu sichern
und transportfähig zu machen.
Er musste sich beeilen, denn schon hatte sich die herannahende
Flut bedrohlich genähert. Hinter ihm war ein Priel entstanden, das
sich in einer Bodenvertiefung gebildet hatte und immer mehr füllte.
Solange ich es noch mit meiner Beute über der Schulter
durchwaten kann, ist alles gut, machte sich der Alleinige nun neuen
Mut.
Er hatte sein Bündel gerade geschnallt und sich sowohl den
toten Höhensegler, als auch den Großteil der restlichen Beute über
den Rücken gehängt und wollte aufbrechen, zum sich aus der
Küstenzone heraus in Sicherheit zu bringen.
Es war nicht das erste Mal, dass er bei einer Jagdsituation
volles Risiko gegangen war – denn die Höhensegler waren zweifellos
stärker, als ein vereinzelter Whuuorr.
Aber in der Vergangenheit hatte er dies für den Stamm getan –
jenen Stamm, der im so übel mitgespielt hatte. Jetzt tat er es für
sich allein. Ausschließlich. Ein sehr eigenartiges Gefühl, dachte
er.
Noch hatte er seine neue Situation nicht wirklich bis in die
letzte Konsequenz bedacht.
Aber das würde die Zeit zweifellos mit sich bringen.
Der Alleinige wollte gerade losstapfen und überlegte, welchen
Weg er zu gehen hatte, um zu verhindern, dass er durch allzu tiefes
Wasser gehen musste, wo er seine Beute vielleicht wieder verlor,
wenn die Umstände ungünstig waren.
Aber zunächst stutzte er.
Am Himmel war deutlich zu sehen, wie ein völlig unbekannter
Gegenstand im Sinkflug dem Boden zustrebte. Alle drei Augen des
Whuuorr waren auf diesen Gegenstand gerichtet, der die Form eines
lang gezogenen Quaders hatte.
Der Alleinige hatte noch nie in seinem Leben etwas gesehen,
was auch nur eine entfernte Ähnlichkeit mit diesem Ding gehabt
hätte.
Was mag das sein? Ein Zeichen der Götter? Jenes Zeichen, auf
das ich vorhin so sehnsüchtig gewartet hatte? Das konnte gut
sein.
Gerade der große Wolkenspeier pflegte häufiger dadurch mit den
Sterblichen zu kommunizieren, indem er bizarr geformte Brocken aus
seinem riesenhaften Schlund hinabschleuderte. Nein, das ist für
dich!, war der Alleinige plötzlich zutiefst überzeugt. Alles andere
hätte ihn stark gewundert.
Seine Schritte beschleunigten sich. Er sah das herabfallende
Ding irgendwo zu Boden gehen. Du wirst es dir auf jeden Fall
ansehen!, nahm er sich vor.
Der Alleinige durchwatete einen Priel, in dem das flüssige
Methan bereits hüfthoch stand.
Als es noch tiefer wurde, musste er einsehen, dass es hier für
ihn nicht weiterging. So war er gezwungen, den Priel zu verlassen,
wieder auf festen Grund zu gehen und einen Umweg zu machen. Er
fluchte leise vor sich hin, während seine ungehaltenen Worte
allerdings durch das ohrenbetäubende Meeresrauschen der ganz
normalen Brandung verschluckt wurden.
Es dauerte lange, bis der Alleinige endlich einen Weg auf
festes, außerhalb der Überflutungszone gelegenes Terrain gefunden
hatte. Der Boden bestand hier aus schmutzigem Eis, das sich
teilweise Meterdick um kleinere Brocken reinen Gesteins gelegt
hatten.
Der Alleinige konnte es kaum erwarten, das vom Himmel
gefallene Ding zu beobachten, mit ihm Experimente anzustellen und
so weiter.
Die Neugier war in ihm erwacht.
Er nahm sein Bündel, aß unterwegs ein bisschen des Fleisches,
das er erbeutet hatte und fand schließlich die Absturzstelle.
Auch die Höhensegler schienen dieses Ding im ersten Moment für
eine lohnende Beute gehalten zu haben. Inzwischen schienen sie zu
einer anderen Beurteilung gelangt zu sein, denn sie beobachteten
das Geschehen jetzt nur noch aus sicherer Entfernung.
Der Alleinige legte seine Beute auf dem Boden ab und fasste
die Riesenflosser-Gräte mit beiden Händen beider Extremitätenpaare,
die zum greifen geeignet waren. Falls dieses Etwas ihn anzugreifen
versuchte, war er vorbereitet.
Niemand sollte dies tun, dachte er. Zumindest nicht
ungestraft.
Sehr zögernd und ständig bereit, die Spitze des Grätenspeers
dem fremden Gegenstand – oder dem Wesen, so genau wusste er das
noch nicht – in die metallisch glänzende Oberfläche
hineinzustoßen.
Mit welchem Erfolg auch immer.
Als der Whuuorr noch näher herankam, sah er, dass sich auf der
Oberseite des Quaders offenbar eine Öffnung befand.
Der Alleinige stellte fest, dass diese Öffnung von einem
transparenten, aber sehr harten Material bedeckt war.
Darunter war das Gesicht eines Wesens zu erkennen, das einer
erstaunlich schlecht ausgestatteten Rasse angehörte. Der Alleinige
wunderte sich zum Beispiel darüber, dass das Wesen im Quader
lediglich zwei Augen besaß.
Der Kopf selbst war – abgesehen von einem Haarkranz in
Ohrenhöhe und einer kleinen, genauestens gestutzten Haaransammlung
rund um die Essöffnung und die Kinnpartie herum - nackt.
Was für hässliche Gesichter die Kinder der Götter doch haben!,
dachte er und schämte sich sogleich für die Blasphemie, die in
diesem Gedanken steckte.
Ein wohliger Schauder erfasste ihn, als ihm ein ganz anderer
Gedanke kam. Vielleicht wollen die Götter, dass ich mich um dieses
Kind kümmere.
Der Sehfortsatz des Whuuorr drehte sich in Richtung des nahen
Vulkans. Einen kurzen Moment zögerte er noch, dann beugte er sich
nieder und berührte mit dem Kopf den Boden.
„Ich habe nicht glauben wollen und wurde eines besseren
belehrt!“, stieß er hervor.
Tiefe Dankbarkeit erfüllte ihn.
Er würde sich um dieses Kind der Götter kümmern. Und niemand
sollte es wagen, es anzugreifen oder gar für den eigenen Speiseplan
zu verplanen!
Kapitel 3: AUFBRUCH
Erdorbit, 2236 n. Chr.
Commander Willard J. Reilly saß in einem der Schalensessel im
Passagierbereich des Orbital-Shuttle A 332, das auf der Linie
Casablanca Raumhafen – Erdorbit verkehrte. Eine automatische Ansage
verkündete, dass sich das Shuttle Spacedock 1 näherte, dem ersten
Weltraumdock einer neuen Generation. Nach und nach sollten die
Spacedock-Orbitalstationen die herkömmlichen Orbiter-Werften
ersetzen, die bislang den Bereich des erdnahen Weltraums optisch
prägten. Reilly blickte durch eines der Sichtfenster. Die blaue
Kugel der Erde war zu sehen und reflektierte das Licht der fernen
Sonne. Spacedock 1 war deutlich erkennbar. Mindestens ein Dutzend
Kriegsschiffe des Space Corps hatten an diese Station zurzeit
angedockt.
Der Plan des Humanen Rates sah vor, noch mindestens zwölf
weitere Raumdocks dieser Bauweise in die Umlaufbahn der Erde zu
bringen, obwohl es dagegen massiven Widerstand vor allem von
marsianischer Seite gegeben hatte.
Über Jahrzehnte – Jahrhunderte – hinweg war der Mars auf Grund
seiner niedrigen Schwerkraft und der daher sehr günstigen
Produktionsbedingungen das Zentrum der Raumfahrtindustrie innerhalb
der Humanen Welt gewesen. Die Freigabe der Gelder zur Errichtung
der Spacedock-Orbitalstationen bedeutete eine weitere Stufe auf der
schrittweisen Rückkehr der Raumfahrtindustrie vom Mars zur
Erde.
Commander Reilly war gerade einmal dreißig Jahre alt. Ein
junger, ehrgeiziger Offizier im Dienst des Space Army Corps, der
Raumstreitkräfte der Humanen Welten, wie sich der Bund der von
Menschen besiedelten Planetensysteme nannte. Lange Zeit hatte man
die Notwendigkeit der Aufstellung von Raumstreitkräften geleugnet
und geglaubt, lediglich mit einer Flotte von Forschungs- und
Handelsschiffen auskommen zu können. Zwar war der Kontakt zu dem
ersten nichtmenschlichen, der überlichtschnellen Raumfahrt
mächtigen Spezies – den insektoiden Ontiden – friedlich verlaufen,
sodass man inzwischen mit ihrem Königreich eine lockere Allianz
eingegangen war. Aber inzwischen hatte man sowohl im Humanen Rat
durchaus begriffen, wie wichtig eine eigenständige Verteidigung für
den Bund der Menschheitswelten war. Mit viel Mühe hatte sich die
irdische Diplomatie der Menschheit bislang aus dem seit Jahren
andauernden Konflikt zwischen den menschenähnlichen K'aradan und
den sauroiden Fulirr heraushalten können – aber es war in der
Analyse mancher Experten nur eine Frage der Zeit, wann das
verhältnismäßig junge Sternenreich der Humanen Welten in den
Strudel dieser Ereignisse hineingerissen wurde und dann vielleicht
keine Möglichkeit mehr bestand, die Neutralität zu bewahren.
Der Weltraum, das hatte sich im Verlauf der letzten zwanzig,
dreißig Jahre immer deutlicher gezeigt, war keineswegs ein Ort, der
von der Kälte des Todes erfüllt war, sondern sehr lebendig.
Und gefährlich.