Chronik der Sternenkrieger
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von Alfred Bekker
Ein CassiopeiaPress E-Book
Die abweichende Original-Printausgabe erschien in der
Romanreihe „STERNENFAUST“ unter dem Titel „Kampf um Karalon“.
© 2005,2008,2013 by Alfred Bekker
© der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich (Westf.)
www.AlfredBekker.de
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Mitte des 23. Jahrhunderts werden die von Menschen besiedelten
Planeten durch eine kriegerische Alien-Zivilisation bedroht. Nach
Jahren des Krieges herrscht ein brüchiger Waffenstillstand, aber
den Verantwortlichen ist bewusst, dass jeder neue Waffengang mit
den Fremden das Ende der freien Menschheit bedeuten würde. Zu
überlegen ist der Gegner.
In dieser Zeit bricht die STERNENKRIEGER, ein Raumkreuzer des
Space Army Corps, unter einem neuen Captain zu gefährlichen
Spezialmissionen in die Weite des fernen Weltraums auf...
Alfred Bekker schrieb die fesselnden Space Operas der Serie
CHRONIK DER STERNENKRIEGER. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN,
die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem
großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die
Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und
ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH,
LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FALSCHE MUMIE und andere. In
seinem Kriminalroman DER TEUFEL VON MÜNSTER machte er mit dem
Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum
Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall. Im November 2012
erschien mit DER SOHN DER HALBLINGE sein nächster großer
Fantasy-Epos bei Blanvalet.
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„Wir waren lange nicht hier“, stellte Commander Steven Van
Doren, der Erste Offizier des Sondereinsatzkreuzers STERNENKRIEGER
II fest. Van Doren regulierte die Feinabstimmung und den Zoomfaktor
an der Anzeige des Panorama-Schirms. Ein kleinerer Bildausschnitt
zeigte den Blick zurück zu Wurmloch Alpha und die durch Ausbrüche
fünfdimensionaler Strahlung verursachten Lichterscheinungen, die in
einem völlig unvorhersehbaren Rhythmus in der Schwärze des Alls
aufflackerten.
Der Blick nach vorn, in das, 50.000 Lichtjahre von der Erde
und den Humanen Welten, entfernt gelegene Raumgebiet war
vergleichsweise nüchtern.
Tausende von Fixsternen leuchteten vor einem tiefschwarzen
Hintergrund.
Captain Rena Sunfrost, die Kommandantin der STERNENKRIEGER,
schlug die Beine übereinander und berührte leicht das Amulett, das
sich unter ihrer Uniformjacke ein wenig abhob.
„Bremsvorgang ist eingeleitet, Rendezvouspunkt X wird
angesteuert“, meldete Lieutenant John Taranos, der Rudergänger der
STERNENKRIEGER II. Der außerordentlich begabte Pilot nahm ein paar
Schaltungen an einer Konsole vor. „Austrittsgeschwindigkeit 0,4023
LG.“
„Ausgezeichnet“, nickte Commander Steven Van Doren, seines
Zeichens Erster Offizier der STERNENKRIEGER. „Die
5-D-Strahlen-Emission des Wurmlochs liegt im Normalbereich.“
Rena Sunfrost sah zu ihrem Ersten Offizier hinüber. „In dieser
Hinsicht kann uns ja jetzt auch wohl nichts mehr passieren,
oder?“
„Sie meinen wegen der Installation eines
Von-Schlichten-Aggregats?“ Van Dorens Gesicht wirkte skeptisch.
Auf dem Gesicht des Ersten Offiziers, das von leicht rotstichigem
Haar und Bart umrahmt wurde, erschien ein Zug, der tiefe Zweifel
ausdrückte. „Ehrlich gesagt, traue ich dem Ding erst, wenn es
wirklich einer Belastungsprobe ausgesetzt wurde.“ Van Doren stellte
durch Berührungen von ein paar Sensorpunkten auf seinem Touchscreen
eine Verbindung zum Maschinentrakt her.
Das facettenäugige Gesicht von Lieutenant Simon E. Erixon
erschien auf einem Nebenschirm. Der Leitende Ingenieur der
STERNENKRIEGER wirkte etwas abgelenkt. Aus dem Hintergrund heraus
schien ihn jemand anzusprechen, der nicht im Bild war.
„Überprüfen Sie noch mal den Beta-Verteiler, Fähnrich Gomes“,
sagte er und wandte sich dann voll ins Bild. „Commander?“
„Wie sieht es mit dem Alpha-Faktor aus, L.I.?“, fragte
Commander Van Doren.
„Alles in bester Ordnung. Das Von-Schlichten-Aggregat
funktioniert tadellos. Ich sehe keine der Nebenwirkungen, die es in
der Testphase gegeben hat. Allerdings ist das Aggregat bis jetzt
auch nur mit sehr geringer Leistung gefahren worden, weil wir im
Moment ja selbst bei der Wurmloch-Passage eine verhältnismäßig
geringe Belastung durch 5-D-Strahlen hatten.“
„Das freut mich zu hören. Ich möchte, dass Sie bei der
kleinsten Unregelmäßigkeit sofort die Brücke verständigen.“
„Natürlich, Sir.“
„Van Doren Ende.“
„Ihre Bedenken sind offenbar unbegründet, I.O.“, sagte Captain
Sunfrost. Ein verhaltenes Lächeln erschien in ihrem
feingeschnittenen, von sportlich kurz geschnittenem Haar umrahmten
Gesicht.
Kommunikationsoffizierin Lieutenant Susan Jamalkerim meldete
sich nun zu Wort. „Captain, wir bekommen die ID-Kennungen und
Peilsignale mehrerer Space Army Corps Einheiten herein. Die STAR
WARRIOR CARRIER Y-1, die MARIA STUART, die AMSTERDAM…“
„Wir sind die letzten“, stellte Sunfrost fest.
*
Der Rendezvouspunkt befand sich 50 AE von der Porta des
Wurmlochs entfernt. Ein Schnittpunkt von drei abstrakt gezogenen
Linien, die ihre Bezugspunkte durch astronomische Phänomene des
Trans-Alpha-Sektors bekamen – mehr war hier nicht.
Ein Treffen im Nichts fand hier statt. Insgesamt zwanzig zum
Teil große Einheiten des Space Army Corps hatten sich hier
eingefunden. Admiral Thorbjörn Soldo, der als Held von Alpha Picus
wohl seinen Platz in der Geschichtsschreibung sicher hatte,
befehligte vom Carrier STAR WARRIOR CARRIER Y-1 aus den Verband, zu
dem auch die drei Schwesterschiffe der STERNENKRIEGER gehören
sollten.
Allerdings ortete Lieutenant Riggs lediglich die
Sondereinsatzkreuzer AMSTERDAM und MARIA STUART.
„Die SONNENWIND unter Captain Chip Barus fehlt noch“, stellte
Van Doren fest.
„Das heißt, wir sind doch nicht die letzten – obwohl wir noch
einen Abstecher nach Sedna mussten, um auf die Sonderwünsche
unserer kleinen Schar von erlesenen Wissenschaftlern einzugehen“,
lautete der sarkastische Kommentar des Taktikoffiziers. Lieutenant
Commander Robert Ukasi war in der Bordhierarchie nach dem Captain
und dem Ersten Offizier die Nummer drei.
Warum dieser bittere Unterton?, fragte sich Rena Sunfrost.
Ukasi war ein Mathematiker mit herausragenden Fähigkeiten. Er hatte
eigentlich keinen Anlass, um sich gegenüber den Mitgliedern der
Wissenschaftler-Gruppe an Bord der STERNENKRIEGER minderwertig zu
fühlen. Ukasi könnte es mit manchen von denen sicherlich an
Begabung aufnehmen, dachte Sunfrost. Und vielleicht denkt er jetzt
darüber nach, dass er das auch besser getan und nach Sedna oder auf
die Brüderschule von Sirius gegangen wäre, anstatt zum Space Army
Corps…
„Captain, ich habe hier eine Signatur auf dem Ortungsschirm,
die auf ein Etnord-Schiff hinweist…“, meldete Ortungsoffizier
Lieutenant Wiley Riggs. Er nahm ein paar Feineinstellungen vor und
aktivierte einen sogenannten IF-Peilstrahl, der speziell auf die
fluoreszierende, kristalline Schicht reagierte, von der alle
Etnord-Schiffe überzogen waren. „Das endgültige Ergebnis werden wir
gleich haben…“
Van Doren, der sich die Ortungsdaten auf seine eigene Konsole
holte, nickte langsam, als die Analyse der Orter-Daten
abgeschlossen war.
Als dann auch noch das Ergebnis der IF-Peilung eintraf, gab es
keinen Zweifel mehr.
„Etnord“, murmelte Steven Van Doren. „Damit war zu
rechnen.“
„Es handelt sich um eine Einheit, die ursprünglich mal ein
Leichter Kreuzer gewesen ist“, stellte Riggs fest. „Der einzige
Unterschied dürfte die Bewaffnung sein.“
Die umgebauten Schiffe der menschlichen Taralon-Kolonisten
verfügten sowohl über Strahlenwaffen, als auch über die
herkömmlichen Gauss-Geschütze. Je nach taktischem Vorteil konnten
die Etnord auf beide Waffensysteme zurückgreifen.
„Gibt es Anzeichen für die Anwesenheit weiterer
Etnord-Einheiten, Lieutenant Riggs?“, erkundigte sich Rena.
„Nein, Ma’am.“
„Dann sollten wir uns auch nicht den Kopf darüber zerbrechen.
Dass sie uns beobachten, ist nur natürlich und es wäre
verwunderlich, wenn sie es nicht täten.“
„Sie wissen, dass wir den Virus haben, der sie alle zu
vernichten vermag“, stellte Ukasi fest. „Also werden sie sich kaum
auf eine Konfrontation einlassen.“
Wenig später meldete die Funkoffizierin Susan Jamalkerim eine
Transmission von der STAR WARRIOR CARRIER Y-1.
„Schalten Sie den Kanal frei, Lieutenant Jamalkerim“, befahl
Sunfrost.
„Aye, aye, Sir.“
Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht eines ernst
dreinblickenden Mannes mit dunklen Haaren und V-förmigem Kinn.
„Hier spricht Commodore Derek Bailor, Erster Offizier der STAR
WARRIOR CARRIER Y-1.“
„Ich grüße Sie, Commodore“, erwiderte Sunfrost. „Die
Verzögerungen bei unserer Anreise bitte ich zu entschuldigen. Aber
die waren nicht von mir zu verantworten.“
„Über die Umstände, die zu den Verzögerungen führten, sind wir
bereits informiert worden“, sagte Bailor.
Sunfrost horchte auf. Kommunikation durch das Wurmloch ist nur
über eine Funksonde oder ein Kurierschiff möglich, durchfuhr es die
Kommandantin der STERNENKRIEGER. So viel Aufwand? Da hat aber
jemand von ganz oben die Prioritäten gesetzt!
„Captain, der Admiral möchte Sie und Ihre Führungsoffiziere zu
einer Lagebesprechung an Bord der STAR WARRIOR CARRIER Y-1
willkommen heißen, damit die weitere Planung der Mission besprechen
können.“
„In Ordnung“, bestätigte Sunfrost. Haben wir denn so viel
Zeit?, fragte sie sich. Vor Beginn der Mission hatte Captain
Sunfrost einen kurzen Funkkontakt zu Admiral Raimondo gehabt, dem
neuen Vorsitzenden des Humanen Rates, der nun wohl endlich dort
angekommen war, wo er schon seit langem hingewollt hatte – nämlich
ganz die Spitze.
Dass Raimondo die Position eines Ratsvorsitzenden und
letztlich den gesamten Rat als eine machtlose Pseudoregentschaft
ansah, weil ihm einfach nach den Gesetzen der Humanen Welten zu
wenig Machtbefugnisse gegeben waren, um eine wirklich starke
Führung ausüben zu können, stand auf einem anderen Blatt.
Raimondo hatte Rena Sunfrosts Weg von Anfang an aufmerksam
verfolgt. Fast wie ein Mentor. Er selbst hatte wohl auch solche
Mentoren gehabt, denn sonst wäre auch sein Aufstieg wohl kaum
möglich gewesen.
Dass der Admiral mit Rena Kontakt aufgenommen hatte, obwohl er
im Space Army Corps schon lange gar keine operative Funktion mehr
hatte und schon gar nicht ihr direkter Vorgesetzter war, fand Rena
daher auch nicht weiter verwunderlich.
Bei diesem Gespräch hatte Raimondo erwähnt, dass der
Geheimdienst Informationen darüber besaß, dass auch die K'aradan
eine Expedition nach Trans-Alpha unternommen hatten – allerdings
über Wurmloch Beta.
Die seltsamen Objekte, die in großer Zahl durch beide
Wurmlöcher gekommen waren, beschäftigten die Fantasien aller. Woher
waren sie gekommen? Handelte es sich um Sonden einer unbekannten
Macht? Man wusste so gut wie nichts über diese leuchtenden
Phantome, die wie Spiegelungen aus einem fremden Raum wirkten, so
als wären sie gar nicht wirklich im Einstein-Universum
materialisiert. Man hatte nichts gegen sie unternehmen können. Sie
breiteten sich überall aus und drangen selbst in Sperrzonen hinein
vor. Sowohl die Humanen Welten als auch Teile des K'aradan-Reichs
und das Gebiet des ehemaligen Nalhsara, das jetzt zu neun Zehnteln
dem K'aradan-Reich angegliedert worden war, hatte diese Invasion
erdulden müssen. Und selbst vor dem Heiligen Imperium der Qriid
hatten diese nicht fassbaren Irrlichter nicht Halt gemacht, bevor
sie die Wurmlöcher wieder passiert hatten und im Trans-Alpha-Sektor
verschwunden waren – einem Raumgebiet, das 50 000 Lichtjahre von
Wurmloch Alpha entfernt auf der entgegen gesetzten Seite der
Galaxis lag und von der Erde aus auf Grund der enormen Helligkeit
des galaktischen Zentrums nicht einmal beobachtet werden
konnte.
„Admiral Soldo erwartet Sie umgehend“, drang nun Commodore
Bailors Stimme in Renas Bewusstsein.
„Vielleicht wäre es ratsam, wenn unser wissenschaftlicher
Berater Bruder Guillermo sowie einige andere Spezialisten, die sich
derzeit an Bord der STERNENKRIEGER befinden an dieser Unterredung
teilnehmen“, meinte Sunfrost.
Aber Commodore Bailor schien da anderer Ansicht zu sein.
„Nein. Nur Offiziere. Und Bruder Guillermo ist kein Teil der
Offiziershierarchie. Auch wenn er die Privilegien eines Space Army
Corps Offiziers genießen mag.“
„Wie Sie meinen“, gab Sunfrost etwas kleinlaut zurück.
„Aber Ihren Schiffsarzt, den sollten Sie bitte
mitbringen.“
„Ich werde den Wünschen des Admirals entsprechen“, versprach
Rena.
Kurz darauf unterbrach Commodore Bailor die Verbindung. Rena
wandte sich an Van Doren. „Seltsame Töne, die da angeschlagen
werden“, fand sie.
„Das ist eigentlich nicht Soldos Art“, stellte der Erste
Offizier fest.
„Ganz meiner Meinung, I.O. Das kommt von ganz oben.“ Sie
wandte sich an Jamalkerim. „Lieutenant Mandagor übernimmt hier das
Kommando. Rufen Sie ihn und sorgen Sie dafür, dass sich genug
Fähnriche einfinden, um die Brücke zu besetzen.“
„Aye, Ma’am.“
„Danach finden Sie sich bitte wie alle anderen im Hangar ein.
Wir wollen den Admiral schließlich nicht warten lassen.“
*
Nachdem die STERNENKRIEGER ihr Bremsmanöver abgeschlossen und
sich dem Flaggschiff bis auf 20 000 Kilometer genähert hatte, ließ
sich Captain Sunfrost zusammen mit den anderen Offizieren der
STERNENKRIEGER mit der Fähre L-1 ausschleusen. Yakuf Bogdan war der
Pilot der L-1. Er saß an der Steuerkonsole und lenkte das Shuttle
auf den gewaltigen Carrier zu, der sich wie ein Gigant erhob.
Anderthalb Kilometer lang war dieser y-förmige Koloss. Die
STERNENKRIEGER war mit ihrer Länge von kaum hundert Metern geradezu
ein Winzling dagegen und selbst die 800 m langen
Dreadnought-Schlachtschiffe wirkten klein gegen dieses Ungetüm.
Dabei besaß die STAR WARRIOR CARRIER Y-1 trotz ihrer enormen Größe
und Ausdehnung mit ihren zwanzig schwenkbaren Gauss-Geschützen eine
Feuerkraft, die gerade mal doppelt so groß war wie jene des
Sonderreinsatzkreuzers STERNENKRIEGER. Aber die eigentliche Waffe
von Schiffen wie der STAR WARRIOR CARRIER Y-1 waren auch nicht die
Geschütze. Die dienten ausschließlich der Selbstverteidigung im
Nahbereich, wenn es feindlichen Einheiten gelang, bis zum Schiff
vorzudringen.
Die wichtigste Waffe eines Carriers waren seine Jäger.
329 waren es derzeit an Bord von Admiral Soldos Schiff.
Eine mächtige Streitmacht, denn jeder dieser Jäger war
letztlich nur ein mit Mesonenantrieb ausgerüstetes Gauss-Geschütz,
das von einem Piloten gelenkt wurde. Die extreme Beschleunigungs-
und Wendefähigkeit dieser Maschinen machte es für den Gegner sehr
schwer, ihre Schiffe abzuwehren.
Dr. Trent, der neue Schiffsarzt der STERNENKRIEGER, hatte auch
seinen Platz in der Fähre, was einige verwunderte. Zwar war der
Schiffsarzt eines Sondereinsatzkreuzers – im Regelfall ein
Lieutenant – auch Offizier, aber normalerweise war es so, dass der
Bordarzt abgesehen von einer Grundsausbildung wenig mitbekommen
hatte, was ihn für eine Kommandofunktion im militärischen Ernstfall
qualifiziert hätte.
„Auf Ihre Anwesenheit wurde ausdrücklich bestanden, Dr.
Trent“, wandte sich Sunfrost während des Fluges ganz offen an den
Arzt. „Haben Sie eine Erklärung dafür? Schließlich geht es in
erster Linie vermutlich um operative Fragen und da…“
„…bin ich nicht gerade der Spezialist“, grinste Trent. „Sie
haben Recht, das will ich gar nicht erst abstreiten. Aber in aller
Unbescheidenheit kann ich feststellen, dass meine Anwesenheit dort
ganz sicher nicht ohne Bedacht arrangiert wurde, Captain.“
Sunfrost hob die Augenbrauen. „Ihr Vertrauen in unsere
politisch-militärische Hierarchie scheint ja nahezu unbegrenzt zu
sein, Dr. Trent.“
„Na ja, ich will auch nicht übertreiben. Nehmen wir es einfach
wie es ist. Jemand hält es für wichtig, dass ich gut informiert
bin.“
„Heißt dieser jemand zufällig Gregor Raimondo?“
„Ich habe gehört, dass Sie ebenfalls gute Beziehungen zu dem
Admiral unterhalten, Captain.“
Unterhielten, hätte Rena beinahe korrigiert, aber sie konnte
sich gerade noch auf die Lippen beißen und die Äußerung verhindern.
Aber es passte tatsächlich besser, wenn man diese Aussage in die
Vergangenheit setzte, denn mit vielem, was Raimondo in seiner neuen
Eigenschaft als Vorsitzender des Humanen Rates tat, war Rena
keineswegs einverstanden. Das begann schon einmal damit, dass er
sich von der Unterstützung der radikalen Humanity First Bewegung
abhängig gemacht hatte. Ein gewisses Zwielicht hatte Raimondo schon
immer umgeben und Rena Sunfrost war weit davon entfernt, ihn
wirklich zu durchschauen.
*
An Bord der STAR WARRIOR CARRIER Y-1 wurden Sunfrost und ihre
Offiziere im Hangar von Commodore Bailor abgeholt, der die Gruppe
in die großzügig angelegte Offiziersmesse der STAR WARRIOR CARRIER
Y-1 brachte, wo sie von Admiral Thorbjörn Soldo erwartet wurden.
Soldo – ein blonder, bärtiger Hüne mit breitem Gesicht und
kräftige Statur – begrüßte die Ankömmlinge knapp.
Man setzte sich an einen Konferenztisch mit integrierten Touch
Screens und Displays.
Neben Sunfrost hatten Van Doren und Taranos Platz genommen.
Ukasi, Jamalkerim und Riggs nahmen die restlichen Plätze auf dieser
Seite des Konferenztischs ein, während ihnen Soldo und Bailor
gegenübersaßen.
„Ich habe Sie dazu veranlasst, Ihre Anweisungen und die
entsprechende Daten dazu persönlich in Empfang zu nehmen, weil dies
eine außerordentlich heikle Mission ist“, erklärte Soldo. „Es liegt
zwar jederzeit in unserer Macht die Etnord durch den
Anti-Etnord-Virus zu vernichten – aber es liegt niemandem daran,
den Konflikt wieder aufleben zu lassen. Andererseits ist es aber
unerlässlich, dass wir herausfinden, wo der Ursprung dieser
seltsamen Sonden ist, die die Wurmlöcher passiert haben. Es ist
noch nicht einmal ausgeschlossen, dass sie von den Etnord geschickt
wurden, auch wenn unsere Geheimdienstspezialisten der Meinung sind,
dass diese Technik über dem Niveau der Etnord liegt.“ Soldo zuckte
mit den Schultern. „Meiner persönlichen Ansicht nach muss das
überhaupt nichts heißen. Es gibt kaum ein Volk, das die Technik
anderer so perfekt zu assimilieren vermag und da wir bislang noch
nicht einmal wissen, wie weit sich der Einflussbereich der Etnord
in Trans Alpha ausdehnt und welche Zivilisationen dort von ihnen
unterworfen wurden, können wir dazu streng genommen auch keine
Aussage machen. Aber da die Sonden zweifellos 5-Technik darstellen,
könnten sie durchaus Hinterlassenschaften der Alten Götter sein,
die von den Etnord genauso reaktiviert wurden wie die
Wurmlöcher.“
Admiral Soldo aktivierte durch das Berühren eines
Sensorpunktes auf seinem Touch Screen einen Wandbildschirm. Dort
wurde eine Positionsübersicht in scheinbar dreidimensionaler
Qualität eingeblendet. Die veranschaulichte Raumregion erkannte
Sunfrost an der typischen Konstellation wieder.
Das Taralon-System, dachte sie. Zentrum des Etnord-Reichs in
Trans-Alpha…
„Der Plan des Oberkommandos sieht folgendes vor: Wir werden
eine massive Streitmacht in einem Umkreis von 100 AE um die
Trans-Alpha-Porta des Wurmlochs Alpha positionieren, um den Etnord
auf der einen Seite unsere Entschlossenheit zu zeigen. Auf der
anderen Seite wollen wir sie nicht provozieren und entsenden
deswegen nur zwei Einheiten ins Taralon-System, in der Hoffnung
dort mehr über die Herkunft der Sonden zu erfahren. Das werden die
beiden Sondereinsatzkreuzer SONNENWIND und STERNENKRIEGER sein. Die
SONNENWIND befindet sich bereits im Anflug auf das System.“ Eine
Markierung hob die gegenwärtige Position hervor.
Dann sind wir also doch die Letzten gewesen, ging es Sunfrost
durch den Kopf, während Soldo fortfuhr: „… und Sie werden sich in
ein bis zwei Tagen dorthin begeben.“
„Ist das ganze diplomatisch flankiert?“, fragte Rena.
„Durchaus. In zahlreichen Funktransmissionen haben wir den
Etnord versichert, dass wir nicht auf ihre Vernichtung aus sind und
uns nur die Herkunft der mysteriösen Sonden interessiert.“
„Wie war die Reaktion?“, fragte Sunfrost.
„Genau das ist das Problem, Captain Sunfrost.“ Soldo hob seine
Augenbrauen, was kaum zu sehen war, da sie so hell waren, dass sie
sich fast gar nicht von der Hautfarbe abhoben. „Es gab keine
Reaktion. Wir wissen aber durch unsere Analyse des Funkverkehrs,
wie nervös die andere Seite ist. Auch wenn viele Funksprüche
verschlüsselt sind und die Codes von unserer Seite aus auch gar
nicht so schnell geknackt werden können, gibt alleine schon die
Verteilung und die Häufigkeit der Kommunikation einen Aufschluss
darüber, was die Rückkehr des Space Army Corps nach Trans Alpha
ausgelöst hat!“
Soldo aktivierte ein paar schematische Übersichten, die die
aufgezeichneten Kommunikationsströme innerhalb des Taralon-Systems
veranschaulichten.
„Ich habe Sie doch richtig verstanden, Sir“, meldete sich nun
überraschenderweise Dr. Trent zu Wort. „Die Vernichtung der Etnord
ist doch nach wie vor eine Option, die nicht ausgeschlossen
ist!“
Soldos Gesicht veränderte sich und wurde starr, während er
Trent ansah.
Weiß Trent mehr?, fragte sich Sunfrost. Hat man ihn an höherer
Stelle mit einer weitergehenden Order gebrieft? Langsam begann sich
Sunfrost zu fragen, welches Ei man ihr da ins Nest gelegt hatte.
Zusammen mit dem äußerst merkwürdigen Umstand, dass Trent ein
Renommee als Wissenschaftler hatte, das ihn eigentlich für die
Funktion eines Schiffsarztes an Bord eines Sondereinsatzkreuzers
völlig überqualifiziert erscheinen ließ, ergab das alles ein sehr
eigenartiges Bild. Hat man ihn mit einer speziellen Order an Bord
geschickt, von der ich nichts weiß?
Sunfrost gefiel der Gedanke nicht.
Soldo musterte Trent einen Augenblick.
„Sie haben vollkommen Recht, Trent. Die Vernichtung der Etnord
bleibt militärisch eine Option. Die letzte Option.“ Der Admiral
aktivierte eine weitere Darstellung.
In diesem Augenblick meldete sich der Kommunikator des
Admirals mit einem Summton. Man konnte verschiedene Tonsignale
einstellen – und dies war das Signal für höchste Priorität.
Soldo nahm das Gespräch entgegen.
„Hier ist der Admiral. Was gibt es?“
Auf dem Mini-Display des Gerätes meldete sich Commodore Ashra
Nasangataram, die auf der STAR WARRIOR CARRIER Y-1 die Funktion
eines Zweiten Offiziers ausfüllte und derzeit offenbar das
Brückenkommando hatte.
„Admiral, soeben sind die 25 Etnord-Schiffe aus dem
Zwischenraum materialisiert, deren Ankunft wir bereits über
Sandström-Sonden geortet hatten.“
„Danke, Commodore“, sagte Soldo. „Ich bin gleich auf der
Brücke.“ Dann unterbrach er die Verbindung und wandte sich an
Sunfrost. „Scheint so, als würde es jetzt ernst.“
„Wäre es nicht besser, wenn wir sofort ins Taralon-System
aufbrechen würden?“, fragte Rena.
„Das könnte genau der Tropfen sein, der das Fass zum
Überlaufen bringt. In ein paar Tagen hat sich vielleicht alles
beruhigt und den Etnord ist klar geworden, dass wir keinen Krieg
wollen. Bailor?“
„Ja, Sir?“, meldete sich der Erste Offizier der STAR WARRIOR
CARRIER Y-1 und nahm dabei selbst im Sitzen unwillkürlich Haltung
an.
„Übergeben Sie Captain Sunfrost noch den vorbereiteten
Datenträger.“
„Aye, aye, Admiral.“
„Sie mögen sich darüber wundern, dass wir Ihnen die
Einsatzdaten auf diesem Weg zukommen lassen, aber wir sind uns
nicht sicher, welche Möglichkeiten der Spionage die andere Seite
hat – insbesondere, was die Fähigkeit angeht, unsere Schiff - zu
Schiff-Kommunikation zu entschlüsseln. Captain Barus hat eine Kopie
dieses Datensatzes. Aber es wird davon nichts von Schiff zu Schiff
übertragen. Unter keinen Umständen.“
„Ich habe verstanden, Sir“, versicherte Sunfrost.
*
Captain Chip Barus erwachte durch den Summton des Interkom.
Der Kommandant des Sondereinsatzkreuzers SONNENWIND öffnete die
Augen und es brauchte drei weitere Summtöne, ehe er sich daran
erinnerte, wo er sich befand.
Barus nahm das Gespräch über seinen Armbandkommunikator
entgegen.
„Hier spricht der Captain. Was gibt es?“
Auf dem Mini-Display tauchte das Gesicht seiner Ersten
Offizierin Reena McKee auf.
„Captain, wir orten zahlreiche dieser mysteriösen Sonden“,
erklärte sie.“
„Ich bin gleich bei Ihnen“, versprach Barus.
Er gähnte. Seit 24 Stunden befand sich die SONNENWIND am Rand
des Taralon-Systems, das einst das Zentrum der menschlichen
Siedlungen im Trans-Alpha-Sektor gewesen war, bevor die Etnord
gekommen waren und die Siedler durch Implantierung ihrer
faustgroßen Parasitenkörper nach und nach unterwandert hatten. Als
sich Wurmloch Alpha 2341 plötzlich zu schließen drohte, ohne dass
es dafür einen für die menschliche Wissenschaft einleuchtenden
Grund gegeben hatte, hatten dennoch die meisten der Taralon-Siedler
es vorgezogen, fünfzigtausend Lichtjahre von der Erde entfernt eine
vom Rest der Menschheit unabhängige Existenz zu führen. Acht Jahre
brauchte selbst ein überlichtschneller Sandström-Funkspruch für
diese Distanz – und manche der in der Frühzeit von dort abgesetzten
Nachrichten hatten die Menschheit wie Geisterbotschaften aus der
Vergangenheit schließlich sogar erreicht.
Aber in der Praxis hatte man davon ausgehen müssen, dass der
Kontakt völlig abbrach – was dann auch geschehen war.
Barus hatte oft darüber nachgedacht. Die Menschen von Taralon
hatten den Mut gehabt eine völlig eigenständige Zivilisation zu
gründen, die zwar anfangs auf den gesellschaftlichen und
technischen Standards der Humanen Welten aufgebaut hätte, sich
später aber zwangsläufig anders entwickelt hätte.
Doch der Mut der Siedler war ihnen letztlich zum Verhängnis
geworden.
Wie hätten sie – die damals einen Raum von maximal dreißig
Lichtjahren um die Trans-Alpha-Porta herum erforscht hatten – auch
ahnen können, welche Bedrohung aus den Tiefen des für sie völlig
unbekannten Raumes da auf sie gewartet hatte.
Die Etnord…
Eine Spezies von Parasiten, die nicht nur die Körper, sondern
auch die Technologie und die Kultur ihrer jeweiligen Wirte
vereinnahmten, sie sich zu Eigen machten und alles heraussaugten,
was ihnen in irgendeiner Form von nutzen sein konnte.
Ein uraltes Hilfsvolk der legendären Alten Götter, die vor
einer Million Jahren die Galaxis mit ihrer ungeheuer überlegenen
Technologie beherrscht hatten – geschaffen, um zu kämpfen und zu
vernichten.
Dass sie die Technologie ihrer Schöpfer nur sehr unzureichend
beherrschten und mit den Hinterlassenschaften der Alten Götter
ähnlich unbeholfen herumspielten, wie es ein Neandertaler
vielleicht mit der Steuerkonsole eines Raumschiffs getan hätte.
Es konnte für die Menschheit nur ein Trost sein, dass die
Etnord in ihrem Verständnis des uralten Wissens der Alten Götter
keinen größeren Vorsprung besaßen.
Barus zog sich die Stiefel seiner Uniform an und war wenig
später auf dem Weg zur Brücke.
Den Weg nutzte er, um sich beim Leitenden Ingenieur Lieutenant
Brass von Gerling nach dem fehlerfreien Funktionieren des
Von-Schlichten-Aggregats zu erkundigen.
Bisher gab es nur minimale Schwierigkeiten, aber da der
Probelauf dieser Aggregate sehr problematisch verlaufen war, stieß
der Einbau der Geräte zunächst bei fast allen betroffenen
Kommandanten auf große Skepsis.
Zunächst waren nur die vier Sondereinsatzkreuzer des Space
Army Corps damit ausgerüstet worden, aber es war auch geplant,
mittelfristig den Rest der Space Army Corps Schiffe auf diese Weise
vor der schädlichen Wirkung zu schützen, die Resonanzwellen
fünfdimensionaler Impulse auf die Raumtechnik haben konnten.
Und so lange man dem Erbe der Alten Götter auf der Spur war,
würde man es wohl immer wieder mit derartigen Phänomenen zu tun
haben.
Darüber hinaus schützte das Von-Schlichten-Aggregat auch vor
den 5-D-Strahlungsausbrüchen, die im Zusammenhang mit Wurmlöchern
immer wieder auftraten.
„Alles in Ordnung“, bestätigte von Gerling.
„Da bin ich ja beruhigt, L.I.“
„Bei den bisher aufgetretenen 5-D-Schwankungen hat das
Aggregat einen Neutralisierungsgrad von fast 98 Prozent erreicht.
Es handelte sich dabei zwar nicht um die Signalformen, dir wir
bisher als gefährlich eingestuft hatten, aber es gibt keinen Grund
anzunehmen, weshalb es dann nicht auch funktionieren sollte.“
Barus beendete das Gespräch und ereichte wenig später die
Brücke.
Commander McKee nahm Haltung an.
„Achtung! Captain auf der Brücke.“
„Mache Sie weiter, McKee“, sagte Barus.
„Ja, Sir.“
Auf dem Hauptschirm war eine Positionsübersicht zu sehen. Die
SONNENWIND befand sich mit einem Abstand von fast 90 AE in einem
noch sehr großen Abstand zum inneren Teil des Systems, wo sich die
Planten befanden – insbesondere Taralon III, das von einem golden
schimmernden Kubus von gigantischen Ausmaßen umkreist wurde. Dieser
Kubus war der Ausgangspunkt der 5-D-Signale gewesen, die das
Von-Schlichten-Aggregat bisher so erfolgreich neutralisiert hatte.
Es handelte sich um eine riesige Steuerzentrale der Alten Götter.
Eine Raumstation, die von den Etnord ins Orbit von Taralon III
geschleppt worden war. Von dort war die teilweise sehr ungeschickte
Manipulation der Wurmlöcher ausgegangen. Aber seit Ende des
Etnord-Krieges konnte dieser Kubus von keinem Etnord mehr betreten
werden, da das Artefakt seitdem mit dem Anti-Etnord-Virus verseucht
war.
Es musste für die Führung der Etnord frustrierend sein, diese
gewaltige Hinterlassenschaft der Alten Götter mit ihren
unerschöpflichen und nach wie vor wahrscheinlich intakten
Datenspeichern in einer Entfernung von nicht einmal 400 000
Kilometern zur eigenen Hauptwelt zu wissen und diese Station nicht
betreten zu können – geschweige denn, dass es möglich gewesen wäre,
sich weitere Teile des Wissens anzueignen.
Auf der Positionsübersicht wurde auch angezeigt, wie sich die
Flottenverbände der Etnord derzeit verteilten. Sie konzentrierten
sich im Orbitalbereich von Taralon III, aber seitdem die SONNENWIND
am Rand des Systems aus dem Sandström-Raum getaucht war, hatten
mindestens ein Dutzend Etnord-Schiffe einen Abfangkurs
eingeschlagen. Sämtliche Versuche einer Kontaktaufnahme waren
bisher fehlgeschlagen. Die andere Seite antwortete einfach nicht,
während zur gleichen Zeit die Funkaktivität innerhalb des näheren,
von den Etnord beherrschten Raums um ein Vielfaches angestiegen
war.
Insgesamt sechzehn der geheimnisvollen Lichtsonden waren auf
der Übersicht verzeichnet. Sie waren die Objekte, die sich mit
Abstand am schnellsten bewegten. Und sie alle schienen ein Ziel zu
haben…
Den Kubus, erkannte Barus.
„Keine einzige dieser Sonde konnten wir seid unserer Passage
durch Wurmloch Alpha bisher orten“, stellte McKee fest, eine Frau
mit einem dichten, roten Haarschopf, den sie zu einem Zopf gebunden
hatte. „Jetzt tauchen plötzlich so viele auf einmal auf – das kann
kein Zufall sein.“
„Es könnte sein, dass diese Sonden gerufen wurden“, mischte
sich Ortungsoffizier Lieutenant James Teluvion ein. „Das Auftauchen
der Sonden korreliert jedenfalls mit der bisher heftigsten
5-D-Schwankung, die von unserem Ortungssystem an Bord des Kubus
lokalisiert wurde.“
„Halten Sie es für möglich, dass sich jemand an Bord dieser
Gigant-Station befindet?“, erkundigte sich Barus.
Teluvion zuckte mit den Schultern. „Schwer zu sagen. Wenn,
dann ist es sicher kein Etnord. Aber was die Artefakte der Alten
Götter angeht, wurden die in der Vergangenheit ja durchaus auch
ganz von allein aktiv…“
„Klopfen Sie die Daten in jeder nur erdenklichen Hinsicht ab,
Mister Teluvion.“
„Aye, Aye, Captain.“
„Und seien Sie dabei unvoreingenommen. Ich will nicht hoffen,
dass die Etnord ein Gegenmittel zur Bekämpfung des Virus gefunden
haben und es ihnen vielleicht doch wieder möglich ist, die Station
zu betreten – aber können wir das deshalb vollkommen
ausschließen?“
*
Der Herr stand vor der großen Bildwand in einer der Hallen
seiner Residenz. Er war schlank und trug einen sehr eng anliegenden
Overall in dunkelblauer Farbe. Eine ID-Kennung war in den
Hinterkopf implantiert. Es durfte niemals einen Zweifel daran
geben, wer er war.
Herr lautete die schlichte Bezeichnung, mit der ihn alle
Etnord, die unter seiner Herrschaft standen, anredeten, sofern ihre
Wirtskörper ein Anreden überhaupt möglich machten. Angehörige
zahlloser Rassen waren von den Etnord unterworfen worden.
Normalerweise übernahmen Etnord die Individualbezeichnungen ihrer
Wirte.
Das hatte rein praktische Gründe. Die Namen, die sich die
primitiven Lebensformen selbst gegeben hatten, entsprachen zumeist
auch ihrem Artikulationsvermögen und das machte die interpersonale
Informationstransmission – die menschlichen Wirte hätten das
vielleicht ein Gespräch genannt – einfach leichter.
Aber der Herr war in dieser Hinsicht eine Ausnahme.
Das hatte bei den Etnord eigentlich nur praktische Gründe.
Wozu einen weiteren Namen, wenn ohnehin klar war, dass es nur einen
Herrn gab.
Wer herrschte, konnte seinen Namen ablegen, sofern er je einen
besessen hatte. Und wer eigens zu dem Zweck implantiert worden war,
um zu herrschen, brauchte sich gar nicht erst eine
Individualbezeichnung zu geben.
Manche Etnord sagten sogar, dass es für einen Herrscher einem
schlechten Omen gleichkäme, seinen Namen zu behalten. Schließlich
konnte man das auch als ein Zeichen für mangelnden Optimismus
verstehen, denn ein Herrscher, der seinen Namen behielt, deutete ja
damit auch an, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestand,
dass es zu seinen Lebzeiten noch einen anderen Herrschern
gab.
Auch um diesen fatalen Eindruck zu vermeiden verzichtete der
Herr auf das Tragen einer zusätzlichen Individualbezeichnung.
Der Kopf des Herrn war völlig haarlos. Die Implantierung des
Etnord hatte bei zahlreichen Spezies gewisse äußerlich sichtbare
Nebenwirkungen. Bei den Menschen gehörte der Verlust jeglicher
Behaarung dazu. Sie tat nicht sofort nach der Implantierung ein,
sondern zumeist erst nach einiger Zeit. Bis zu sechs Wochen konnten
vergehen, ehe dieser Effekt einsetze.
Der Mensch, in dessen Körper man den Herrn implantiert hatte,
hatte ohnehin nur einen unvollständigen Haarkranz und – gemäß den
Eigenarten seines Geschlechts – etwas Haarwuchs um den Mund herum
aufzuweisen gehabt. Dem Etnord war Haarwuchs ohnehin zuwider und er
bedauerte jeden seiner Artgenossen, der das Pech hatte, in den
Körper einer behaarten Spezies implantiert worden zu sein.
Was die Menschen anging, ließ sich das ertragen.
Und abgesehen davon war die unhygienische Fluserei nach ein
paar Wochen ja auch ohnehin vorbei.
Beim Herrn der Etnord gab es da nur eine einzige Ausnahme und
die brachte ihn manchmal zur Weißglut. Vor allem dann, wenn er
ohnehin schlechter Stimmung war. Die Haare in seiner Nase waren
geblieben und wuchsen auch stets kräftig nach, wenn er sie stutzte.
Manchmal kitzelten sie und brachten ihn zum Niesen.
Abgesehen davon war er allerdings mit seinem Menschenkörper
ganz zufrieden.
Die Schuppenhaut der sauroiden Fulirr war viel empfindlicher,
ließ sich schwerer reinigen und war dadurch extrem anfällig für
allerlei Mikroben, die sich in den kleinen Ritzen zwischen den
Schuppen festsetzen. Außerdem musste immer ein ganz genau
bestimmter Feuchtigkeitsfilm aufrechterhalten bleiben, was die
Sache noch etwas komplizierter machte. Nein, er konnte insgesamt
schon ganz zufrieden sein mit dem Körper, in den er implantiert
worden war.
Der Herr machte einen Schritt auf die große Bildwand zu.
Mittels einer kleinen Fernbedienung, die sich an einem
unscheinbaren Ring an der linken Hand befand, veränderte er den
Bildausschnitt.
Eine der Ganglien, die von dem faustgroßen Etnord-Implantat in
seiner Brust bis in die äußersten Enden der alles in allem doch
recht effektiv angeordneten Extremitäten reichten, hatte der Herr
mit der Fernbedienung verbunden, sodass er sie direkt mit den
neuronalen Strömen seines Etnord-Hirns bedienen konnte.
Er zoomte ein Objekt heran, das wie ein Mond am Himmel von
Taralon III stand. Nur hatte es eine ganz andere Form. Es war ein
Kubus.
Der Kubus stand in der Nacht wie ein großes Licht am Himmel –
deutlich größer als die nächsten Sterne des Sektors, den die
Menschen Trans-Alpha nannten. Aus den Basis-Erinnerungen, die der
Herr von seinem Wirt nach der Implantierung übernommen hatte, bevor
die Wirtspersönlichkeit schließlich restlos aufgelöst wurde, kannte
der Etnord-Herrscher den Anblick des Erdmonds. Es war einfach ein
einprägsames Bild aus den Erinnerungen seines Wirts, die diesen
offenbar in früher Jugend geprägt hatten. Menschen verbanden mit
dem Anblick des Trabanten ihrer Heimatwelt so etwas wie eine
gewisse irrationale Romantik. Und zwar selbst dann, wenn sie diesen
Erdmond gar nicht aus eigener Anschauung kannten, weil sie irgendwo
sonst im Kosmos geboren worden waren. Aber die Unterhaltungsmedien
der Menschen nahmen immer wieder auf diesen Mondmythos Bezug, der
in der Entwicklung dieser Spezies offenbar eine sehr tiefgehende
Bedeutung gespielt hatte.
Dem Herrn waren derartige sentimentale Regungen völlig fremd.
Er konnte sie nur mit einer Mischung aus Befremden und erstauntem
Interesse zur Kenntnis nehmen.
Es gibt nichts, was so absonderlich ist, dass man es nicht als
Ausgangspunkt eines Lernprozesses begreifen könnte, fiel ihm ein
Axiom der uralten Etnord-Überlieferungen ein, die seit Urzeiten
tradiert wurden und deren Ursprünge vielleicht auch in jenes dunkle
Zeitalter zurückreichten, in denen die Erhabenen noch das Universum
bevölkert hatten.
Der Herr zoomte den Kubus so nahe heran, wie es sein System
zuließ. Die Bilder stammten von mehreren Satelliten, die Taralon
III in einem Orbit umkreisten, das exakt mit der Umlaufbahn des
Kubus synchronisiert war.
Außerdem befanden sich ständig mindestens ein Dutzend der mit
einer kristallinen Fluoreszenz-Schicht überzogenen
Etnord-Raumschiffe in der Nähe dieses gewaltigen Artefakts, das den
Etnord einst in die Hände gefallen war.
Der Herr hatte es hier her gebracht, um es in der Nähe des
Macht-Zentrums zu haben.
Die Gedanken rasten nur so durch die Windungen seines
Etnord-Hirns, das selbstverständlich den Hauptteil des faustgroßen
Etnord-Implantats in seiner Brust ausmachte. Das ziemlich
ungeschützt im Kopf befindliche Menschenhirn, dessen exponierte
Lage für den Wirt sicher sehr problematisch gewesen war, weil es
den Träger anfällig für gewalttätige Angriffe aller Art machte,
diente nur als Nebenspeicher und zur Koordination von Bewegungen
und Reflexen.
Ich werde eine Reihe von Entscheidungen treffen müssen,
stellte der Herr fest. Das Auftauchen des Menschen-Schiffs hier in
unserem System hat es offenbar werden lassen… Und ganz gleich, wie
die Entscheidungen ausfallen werden, so werden die Konsequenzen für
unser Volk furchtbar sein…
Der Herr fand, dass es in der gegenwärtigen Lage das Beste
war, auf Zeit zu spielen. Mit einem Gedanken aktivierte er über
seine Ring-Fernbedienung den Abspielmodus für die bisher in der
Residenz der Etnord eingegangenen Transmissionen der
Menschen.
Die erste stammte von dem blonden Admiral namens Soldo, der
den Oberbefehl über die Verbände der Humanen Welten in Trans Alpha
zu führen schien. Soldo versicherte in dieser über Sandström-Funk
abgestrahlten Botschaft den Friedenswillen der Humanen Welten und
kündigte gleichzeitig an, dass eigene Schiffe den Kubus anfliegen
würden.
Der Herr hatte diese Nachricht ebenso wenig beantwortet wie
die späteren, die von Captain Barus, dem Kommandanten des
Sondereinsatzkreuzers SONNENWIND abgesetzt worden waren, der sich
momentan noch etwa 37 AE vom Kubus entfernt befand.
Unser Vorteil ist, dass wir so vieles über euch wissen. Über
eure Körper, eure Kultur und eure kollektiven Erinnerungen. Und
nicht zuletzt auch über eure Technik.
Und doch hatten die Menschen und ihre Verbündeten einen
zumindest vorläufigen Sieg gegen die Etnord davongetragen, obgleich
der Herr Pläne hatte, die zu revidieren.
Ein Signal ertönte.
„Der Berater ist hier“, sagte eine Stimme, die ein Mensch als
angenehm moduliert empfunden hätte. Der Herr ertappte sich dabei,
dass er diese Ansicht inzwischen teilte.
„Soll hereinkommen“, erwiderte er. „Und was ist mit Commodore
Mizuko?“
„Sein Shuttle befindet sich im Landeanflug.“
„Dann soll er sich so schnell wie möglich hier her
bewegen.“
„Jawohl.“
Schritte ließen den Herrn sich herum wenden.
Ein Sauroide mit blauer Tunika betrat die Halle. Er war mit
etwa einem Meter sechzig etwas kleiner als ein durchschnittlicher
männlicher Mensch.
Der Sauroide blieb etwa vier Meter vor dem Herrn stehen und
führte einen Gruß nach Art seiner Wirts-Spezies durch, indem er
seine vierfingrige rechte Faust an die linke Schulter schlug.
„Seid gegrüßt, Herr“, sagte er im Idiom der Fulirr. Ein
Translator übersetze seine Worte.
„Guten Tag, Berater Tambashorrr“, erwiderte der Herr.
Tambashorrr war einer der zahlreichen Etnord mit
Fulirr-Wirtskörpern, die es seit der Zerschlagung des Nalhsara
durch die Etnord-Invasoren gab. Nach der Rückeroberung des
Fulirr-Territoriums durch die Anti-Etnord-Koalition waren die
Etnord-Fulirr über Wurmloch Beta in großer Zahl nach Trans-Alpha
geflohen.
Ein Teil von ihnen siedelte im Taralon-System. Die meisten
hatten sich allerdings auf Planeten in der unmittelbaren Umgebung
niedergelassen, auf denen die Siedlungsdichte weniger groß
war.
Für die Flotte der Etnord bildeten die Beute-Schiffe der
Fulirr eine wichtige Unterstützung, zumal sie mit Antimateriewaffen
ausgestattet waren und daher eine wichtige strategische Variante
darstellten.
Tambashorrr war zu einem der wichtigsten Berater des Herrn in
Sicherheitsfragen geworden.