»Alle
Schiffe steuern die Schrecklichen Zwerge an!«, befahl KaraGai der
Flotte. »Fliegt so tief hinein, wie Ihr könnt und verbergt Euch
dort!«
Ihr war bewusst, dass die Chancen schlecht standen, das
tödliche Asteroidenfeld zu erreichen, das die Moondiv »die
Schrecklichen Zwerge« nannten. Es gehörte schon ein
außergewöhnliches navigatorisches Talent dazu, auch nur die
Ausläufer unbeschadet zu passieren. Von allen Schiffen, die sich –
freiwillig oder nicht – jemals hineingewagt hatten, war kaum eins
wieder herausgekommen. Doch die Moondiv waren ausnahmslos der
Überzeugung, dass es besser war, von den Schrecklichen Zwergen
zermalmt zu werden, als dem Feind in die Hände zu fallen, der in
ihre Körper eindrang, sie veränderte und ihnen die Persönlichkeit
raubte.
Ein Funkspruch kam vom Hauptschiff der Wachflotte herein.
»Bringt Ihr Euch in Sicherheit, KaraGai«, schlug dessen Kommandant
SorTak vor. »Ihr müsst an die Fracht denken! Wir decken Euren
Rückzug!«
»Das werdet Ihr nicht überleben, SorTak!«
»Natürlich nicht!«, bestätigte der Wachkommandant so fröhlich,
wie es nur ein Moondiv sein konnte, der den Tod vor Augen und ihn
akzeptiert hatte. »Aber wir werden eine Menge Feinde mit in den Tod
nehmen. Ihr dagegen seid der letzte Garant dafür, dass unser Volk
überlebt. Flieht und überlasst den Feind uns.«
SorTak wartete KaraGais Antwort nicht ab, sondern sammelte
seine Schiffe und stürzte sich mit ihnen selbstmörderisch jedem
Feind entgegen, der Kurs auf KaraGais Schiff nahm oder Anstalten
machte, es zu beschießen. Die Kommandantin zögerte nicht und nahm
Kurs auf die Schrecklichen Zwerge mit der höchsten Beschleunigung,
die ihr Schiff, das den bezeichnenden Namen FREIHEIT trug,
erreichen konnte.
Doch der Feind hatte nicht die Absicht, sie entkommen zu
lassen. Die Götter mochten wissen, weshalb sie ausgerechnet die
Moondiv so vehement verfolgten und ausrotten wollten, nachdem es
ihnen nicht gelungen war, sie zu übernehmen. Denn obwohl alle
verfügbaren Wissenschaftler der Moondiv an dem Problem arbeiteten,
war es ihnen nicht einmal im Ansatz gelungen, eine wirksame Methode
zur Bekämpfung des furchtbaren Feindes zu entwickeln. Deshalb blieb
ihnen in Situationen wie dieser nur der Kampf mit militärischen
Mitteln. Und den führten beide Seiten mit aller Vehemenz. Die
Moondiv kämpften um ihre Freiheit; die anderen darum, auch noch den
letzten Moondiv zu versklaven oder zu vernichten.
Es hieß zwar, dass die Feinde denjenigen, die sie übernahmen,
ein hohes technisches Wissen gaben und eine verlängerte Existenz.
Doch der Preis dafür war der Verlust von Freiheit und – noch
schlimmer! – der eigenen Persönlichkeit. Und die Moondiv würden
weder das eine noch das andere jemals freiwillig zulassen. Also
hatten die Feinde beschlossen, die Moondiv vollständig zu
vernichten – und sie waren dabei gründlich vorgegangen.
Sie hatten die Moondiv-Welten angegriffen und die Bevölkerung
ausgelöscht, sofern die nicht rechtzeitig hatte fliehen können.
Schiffe der Versorgungsklasse wie die FREIHEIT waren in aller Eile
umfunktioniert worden zu Flüchtlingsschiffen, mit denen die Moondiv
versuchten, ihre Welten zu evakuieren, bevor die feindliche
Angriffswelle sie erreichte. Hunderten Schiffen war die Flucht
gelungen.
Aber die Feinde hatten sie verfolgt und dezimiert, bis nur
noch die FREIHEIT und die sie begleitenden Wachschiffe übrig waren.
Kommandant SorTak hatte Recht, dass KaraGais Verpflichtung in
erster Linie ihrer »Fracht« galt: 1863 Frauen, Männern und Kindern,
die die letzte Hoffnung des fast ausgerotteten Volkes auf Überleben
waren. Falls es KaraGai gelang, sie an einem Ort in Sicherheit zu
bringen, den die Feinde nicht finden konnten, und an dem sie in
Ruhe lange genug leben konnten, bis sich ihre Zahl wieder so weit
erhöht hatte, dass sie aufs Neue der Bezeichnung »Volk« gerecht
wurden.
Doch dazu mussten sie die Schrecklichen Zwerge erreichen – und
sie überleben! – bevor die Feinde sie erwischten oder
aufhielten.
Acht Feindschiffe nahmen Kurs auf die FREIHEIT und eröffneten
das Feuer. Das Schiff wurde von mehreren Treffern geschüttelt, aber
die Ablenkschirme verhinderten das Schlimmste.
»Feuer frei aus allen Geschützen!«, befahl KaraGai ihrem
Waffen-Sek. Und dem Navigations-Sek: »Ausweichmanöver!«
Die Navigatorin sperrte ihren rüsselartigen Mund auf und ließ
eine Reihe von klickenden Lauten hören, während ihre Finger mit den
zurzeit inaktiven Saugnäpfen an den Enden in rasender
Geschwindigkeit über die Kontrollen flogen. LuniMar fand die
Situation trotz der Gefahr aufregend und erheiternd. KaraGai
wünschte sich manchmal, ein ebenso unerschrockenes und
unverwüstliches Gemüt zu haben wie ihre Navigatorin. Doch oft genug
ging ihr deren Draufgängertum und ihr vorlauter Rüssel gewaltig auf
die Nerven.
Jetzt allerdings war gerade diese draufgängerische
Unerschrockenheit die einzige Chance, die den Moondiv noch zum
Überleben blieb. LuniMar zwang die FREIHEIT zu Manövern, die jedes
andere Schiff aufgrund der Materialbelastung in Stücke gerissen
hätte. Doch die FREIHEIT war in den letzten Jahren immer wieder
verbessert, verstärkt, modifiziert und nachgerüstet worden, bis es
kein widerstandsfähigeres, schnelleres, leistungsstärkeres und
besser bewaffnetes Schiff gab.
Und keine bessere Crew. KaraGai war unglaublich stolz darauf,
die Elite ihres Volkes zu befehligen. Gleichzeitig erfüllte die
damit verbundene Verantwortung mit der beständigen Furcht, in ihrer
Aufgabe zu versagen, sie oft genug mit Unsicherheit. Doch für
solche Gedanken war jetzt nicht die richtige Zeit.
SorTaks Schiff vernichtete zwei Angreifer, und die Geschütze
der FREIHEIT zwei weitere. Drei Wachschiffe warfen sich den Feinden
in den Weg und kollidierten mit ihnen. Die Anzeigen auf dem
Bildschirm zeigten, dass nur noch sieben Wachschiffe der Moondiv
übrig waren. Und auf die stürzte sich das Gros der Feinde. Stumm
sahen KaraGai und ihre Leute der Vernichtung zu.
LuniMar holte den letzten Rest aus den Triebwerken heraus, und
die FREIHEIT schoss den Schrecklichen Zwerge entgegen. Durch
geschickte Zuschaltung der Hilfstriebwerke gelang es ihr, genug
Abstand zwischen sich und die Feindschiffe zu bringen, dass deren
Beschuss wirkungslos wurde. Aber die Verfolger gaben nicht auf. Sie
wussten genau, dass die FREIHEIT die letzten überlebenden Moondiv
in sich trug. Wenn es ihnen gelang, dieses eine Schiff noch zu
vernichten, waren die Moondiv Geschichte. Also hefteten sie sich an
die Fersen des fliehenden Schiffes.
Die FREIHEIT raste auf die Schrecklichen Zwerge zu und in ihre
Ausläufer hinein. Erst im letzten Moment schaltete LuniMar die
Haupttriebwerke aus, ging auf Gegenschub, dass die Hülle der
FREIHEIT gequält aufkreischte und KaraGai fast sicher war, dass das
Schiff dieser Belastung nicht standhalten würde.
Doch es hielt und sie konnten hinter einem der größeren
Gesteinsbrocken in Deckung gehen.
»Manöver 173!«, befahl KaraGai.
Der Waffen-Sek reagierte sofort. DolKan stieß ein extra zu
diesem Zweck präpariertes und längst unbrauchbares Beiboot aus und
brachte es zur Explosion. Durch Sprengstoffladungen und
Metallschrott an Bord simulierte das Boot die Masse der FREIHEIT.
Im Schutze der Explosion schaltete LuniMar die Spiegelgeneratoren
ein.
Diese Technologie, die sie von den Yagari gekauft hatten,
ermöglichte die Erzeugung eines Hologramms, das die Umgebung nicht
nur optisch perfekt nachbildete, sondern auch deren
Energiestruktur. Bisher hatten die Feinde noch keine Möglichkeit
gefunden, ein solches Hologramm als das zu erkennen, was es war.
Außerdem bot es einen elektronischen Ortungsschutz, der die
Energieemissionen der Lebenshaltungssysteme und des Stand-by-Modus
der Triebwerke verdeckte. Solange die FREIHEIT die Triebwerke nicht
aktivierte, blieb sie unsichtbar.
Allerdings gab es dabei einen gravierenden Nachteil. Die
Spiegelgeneratoren fraßen eine enorme Menge Energie, sodass das
Hologramm nur wenige Stunden lang aufrecht erhalten werden konnte.
Doch mit etwas Glück würde die so gewonnene Zeit ausreichen.
LuniMar schaltete die Triebwerke aus und intonierte ein
jubilierendes Trillern. »Fresst Feuer, ihr Fikiti!«, schleuderte
sie den Verfolgern entgegen, obwohl die sie nicht hören
konnten.
»Reißt Euch ein bisschen zusammen, LuniMar«, rügte KaraGai
sanft, denn sie konnte die Gefühle ihrer Navigatorin nur zu gut
verstehen. »DolKan, wie ist der Zustand der Waffen?«
»Energie auf 43 Prozent, aber es reicht noch aus, um einige
Feindschiffe in das Ewige Flammenmeer zu blasen. Und einen Teil
davon dürften ohnehin die Schrecklichen Zwerge für uns erledigen«,
fügte er amüsiert klickend hinzu.
»Schadensmeldung!«, forderte KaraGai von den übrigen Sektionen
des Schiffes.
Zu ihrer Erleichterung gab es nur minimale Schäden, die
innerhalb kurzer Zeit behoben sein würden. KaraGai ordnete an, dass
alle nicht lebensnotwendigen Energiequellen abgeschaltet wurden.
Danach gab es nichts weiter zu tun als abzuwarten und zu
beobachten, was die Feinde taten. Einige Feindschiffe waren
vernichtet worden, weil sie sich zu weit in die Schrecklichen
Zwerge vorgewagt hatten.
Doch sie gaben nicht so schnell auf. Offenbar misstrauten sie
der Explosion, die die Vernichtung der FREIHEIT vorgetäuscht hatte
und scannten die Umgebung unablässig.
Zum Glück hatte LuniMar einen Asteroiden wählen können, der
innerhalb des Asteroidenfeldes eine stabile Bahn besaß und groß
genug war, Zusammenstöße mit kleineren Brocken unbeschadet zu
überstehen. Außerdem hielt sie die Triebwerke in ständiger
Bereitschaft für einen Notstart. Doch die Hauptabwehr oblag den
Waffen, falls es notwendig war, einige Brocken zu sprengen.
KaraGai hoffte allerdings inständig, dass das erst nötig
wurde, wenn die Feinde abgezogen waren. Sonst würde das
Geschützfeuer sie verraten. Das Gleiche galt auch für den
Ablenkschirm.
O Ihr Zwei Einen, die Ihr über uns wacht, betete KaraGai stumm
zur Göttin und dem Gott der Moondiv. Beschützt uns! Lasst die
Feinde nicht den Sieg davontragen! Helft uns! Steht uns bei, Ihr
Gütigen.
Offenbar erhörten die Zwei Einen das Gebet, denn die Moondiv
hatten doppeltes Glück. Zwar suchten die Feinde die Schrecklichen
Zwerge gründlich ab, so weit ihre Scanner reichten, doch sie
akzeptierten schließlich die Trümmer des gesprengten Beiboots als
Beweis für die Zerstörung der FREIHEIT. Und in der Zeit, während
die Feinde noch in Scannerreichweite waren, bedrohten keine
Asteroiden oder Meteoriten das Schiff unmittelbar, obwohl ein paar
nicht gerade kleine Brocken die FREIHEIT näher passierten, als es
KaraGai lieb war.
Die Feinde zogen schließlich ab. Nachdem sie die Reichweite
der Scanner – auch ihrer eigenen – verlassen hatten, ließ KaraGai
die Spiegelgeneratoren abschalten. Die Energiezellen würden jetzt
einen halben Tag brauchen, bis sie wieder voll aufgeladen waren.
Und die FREIHEIT war noch lange nicht in Sicherheit.
Sicherheit, erkannte KaraGai, würde es hier ohnehin nicht mehr
geben, weil sich der Feind rasend schnell vermehrte.
Sie betätigte die Rundsprechanlage. »Alle Seki finden sich
sofort im Besprechungsraum ein«, ordnete sie an. Es musste eine
Entscheidung getroffen werden. Doch die besaß eine Tragweite, dass
KaraGai sie nicht allein treffen konnte.
Als die Seki vollzählig versammelt waren, ehrten sie zuerst
die Toten mit einem lang gezogenen Triller. Danach folgte ein
Moment des ehrfurchtsvollen Schweigens. Schließlich ergriff KaraGai
das Wort.
»Wir können hier nicht bleiben.« Und jeder wusste, dass sie
damit nicht das Asteroidenfeld meinte. »Wir brauchen eine Zuflucht,
wo wir sicher sind.«
»Da werden wir aber weit fliegen müssen«, warf DolKan ein.
»Die Feinde breiten sich mit einer Geschwindigkeit aus, die unsere
Reproduktionsrate übertrifft. Selbst wenn wir uns ans Ende der uns
bekannten Gebiete zurückziehen, würde es nur wenige Jahrzehnte
dauern, bis sie auch bis dorthin vorgedrungen sind und uns wieder
das Leben schwer machen.«
»Außerdem ist die Frage«, ergänzte BuriRam, die Chefärztin,
»ob es jenseits der uns bekannten Gebiete Welten gibt, auf denen
wir uns ansiedeln können.«
»Die gibt es sicher«, beruhigte KaraGai sie, »auch wenn wir
vielleicht lange nach einem geeigneten Planeten suchen müssen. Aber
DolKan hat Recht, was die Tatsache betrifft, dass die Feinde uns
bald wieder eingeholt haben würden.«
»Ihr habt eine andere Idee«, vermutete LuniMar und blickte
ihre Kommandantin aufmerksam an.
»Ja«, bestätigte KaraGai und sah jeden Anwesenden der Reihe
nach eindringlich an. »Wir gehen durch das Wurmloch.«
*
Captain Rena Sunfrost saß zurückgelehnt in ihrem Sessel und
beobachtete auf dem Bildschirm die Annäherung an Raumdock 87. Dort
parkte der neue Stolz der Space Army Corps Flotte: die
STERNENKRIEGER II, Prototyp der neuen SEK-Klasse –
Sondereinsatz-Kreuzer – speziell dafür konstruiert, immer dorthin
geschickt zu werden, wo es »brannte«. Und natürlich für alle
übrigen Sondereinsätze jedweder Art.
Captain Rena Sunfrost!, sagte sie sich innerlich. Endlich kein
Commander mehr, der ein Schiff kommandiert und deshalb Captain
genannt wird, sondern ein richtiger!
Sie war erfüllt von dem Stolz über die Beförderung, die ihr
ihr letzter Einsatz eingebracht hatte.
Doch der Stolz, den sie darüber empfand, dass man gerade ihr
und ihrer Crew dieses neue Wunderwerk der Raumfahrttechnik
anvertraut hatte, überwog das leicht.
Die neue STERNENKRIEGER bot einen prachtvollen Anblick. Es war
etwas kleiner als die Vorgängerin, die beim letzten Einsatz
zerstört worden war. Genau genommen hatte Rena Sunfrost die
Selbstzerstörungsanlage aktiviert, um durch die Explosion das
Wurmloch zu destabilisieren.
Und es scheint ja funktioniert zu haben, dachte sie. Immerhin
sind uns die Etnord nicht sofort gefolgt.
So hatte das Space Army Corps of Space Defence, der
militärische Arm der Humanen Welten die Gelegenheit erhalten, sich
auf die Verteidigung vorzubereiten.
Die neue STERNENKRIEGER hatte die Form einer zu einer Sichel
gebogenen Walze, deren Enden spitz zuliefen. Von der Mitte aus
stach ein langer »Schwanz« nach hinten, flankiert von den
Haupttriebwerken. Von oben betrachtet besaß das Schiff deshalb eine
gewisse Ähnlichkeit mit einem Pfeilschwanzkrebs.
Rena rann ein Schauer über den Rücken. Ich habe noch nie ein
Schiff gesehen, das derart offensichtlich wie ein Kriegsschiff
wirkt. Und wir müssen uns dafür ganz neue Kampftaktiken
erarbeiten.
Die alte STERNENKRIEGER hatte über eine Breitseiten-Bewaffnung
verfügt, die die mangelhafte Zielelektronik durch die schiere Masse
an Projektilen wettmachen sollte. Obwohl sie nur ein Leichter
Kreuzer gewesen war, war sie mit 160 Gausskanonen bewaffnet
gewesen.
Die neue besaß lediglich zehn – sechs nach vorne, vier nach
hinten. Doch diese waren schwenkbar, sodass es keine toten Winkel
gab. Außerdem war die Zielerfassung stark verbessert worden und
übertraf jetzt sogar die der Qriid.
Rena erinnerte sich noch an die Besprechung, in der die
Ingenieure ihr erklärt hatten, dass die neue Zielvorrichtung für
die ungewöhnliche Form verantwortlich war. Sunfrost hatte nach den
ersten Sätzen des Technikgeschwafels kaum noch etwas verstanden und
nur zustimmend genickt.
Ich muss mir das alles noch mal in Ruhe von Lieutenant Erixon
erläutern lassen, nahm sie sich vor und war dankbar, dass sie ihren
Leitenden Ingenieur auch auf dem neuen Schiff zur Verfügung
hatte.
Am wichtigsten war für sie als Captain der STERNENKRIEGER
ohnehin, dass jedes Geschütz von einem Lieutenant einzeln
angesteuert wurde.
Das wird wahrscheinlich ablaufen, wie auf einem Schießstand,
dachte sie. Sie werden darum wetteifern, wer mehr Abschüsse zu
verzeichnen hat.
Verbessert war auch die Triebwerksleistung im
Einstein-Universum, und zwar enorm. Die herkömmlichen Triebwerke
waren einem modernen Mesonenantrieb gewichen, der endlich auch für
Schiffe dieser Größe zur Verfügung stand. Mit dem erreichte die
STERNENKRIEGER die erforderliche Geschwindigkeit zum Eintritt in
den Sandström-Raum in nur noch drei Stunden, statt wie bisher erst
in acht.
Dazu war natürlich auch die Hüllenpanzerung verbessert worden
und die Leistung der Plasmaschirme.
Wobei Letztere uns kaum noch nutzten werden, fuhr es Rena
durch den Kopf.
Die Plasmaschirme waren speziell gegen die Traser der Qriid
entwickelt worden, mit denen vor wenigen Monaten endlich Frieden
geschlossen worden war. Gegen die Waffen der Etnord halfen sie
nicht.
Ferner befand sich einer der neuen Jäger an Bord. Diese
Kleinstraumschiffe waren im Grunde genommen nichts anderes als
fliegenden Gausskanonen mit Antrieb und Pilotenkanzel, aber überaus
effektiv, wie sie in ihrem ersten Großeinsatz im letzten Kampf mit
den Qriid bei Konors Stern bewiesen hatten.
Der Pilot dieses Jägers war Titus Naderw, der früher als
Beiboot-Pilot auf der STERNENKRIEGER I gewesen war. Rena war froh,
diesen fähigen Mann wieder in ihrer Crew zu haben.
Die neue STERNENKRIEGER verfügte nur noch über zwei
15-Mann-Shuttles, und selbst die waren nur für den
Schiff-zu-Schiff-Verkehr gedacht, auch wenn sie natürlich
atmosphärentauglich waren. Die neue SEK-Klasse war dafür
konstruiert, selbst in Planetenatmosphären einzudringen und auf
Antigravfeldern schwebend zu »landen«.
Durch den Wegfall von 150 Gaussgeschützen gab es beinahe
verschwenderisch viel Platz an Bord. Besonders weil die Führung des
Schiffs nur noch 85 Crewmitglieder erforderte. Dafür befanden sich
nun 30 voll ausgerüstete Marines an Bord.
Rena seufzte unhörbar, als sie an all die Veränderungen
dachte, die in den letzten Wochen mit ihr, ihrer Crew und ihrem
Schiff geschehen waren. Die Personaländerungen – so schmerzhaft sie
waren – freuten sie im Grunde. Sergeant Rolfson, Kommandant der
Marines an Bord der STERNENKRIEGER, hatte ein Stipendium erhalten
und büffelte inzwischen an der Akademie für sein Offizierspatent.
Und Lieutenant David Kronstein hatte nach seiner verdienten
Beförderung zum Lieutenant Commander die STERNENKRIEGER verlassen,
um als Erster Offizier auf der ALEXANDER unter dem Kommando von
Captain Nina Singh zu dienen.
Rena warf einen Blick auf ihren Ersten Offizier. Steven Van
Doren betrachtete ebenso wie sie das neue Schiff auf dem
Bildschirm. Um seine Lippen spielte ein leises Lächeln, und er
machte ein überaus zufriedenes Gesicht.
»Ich nehme an, das entschädigt Sie ein bisschen für die
Versetzung auf die STERNENKRIEGER I«, sagte sie leise und spielte
damit auf die Tatsache an, dass Van Doren, ehemaliger Captain des
Schweren Kreuzers DAEDALOS, nach der Schlacht bei Konors Stern zum
Lieutenant Commander degradiert und zur STERNENKRIEGER versetzt
worden war.
»Oh ja!«, bestätigte Van Doren »Es ist fast ein Déjà-vu. Als
ich mein erstes Kommando übernahm, war mein Schiff der neue
Prototyp der Leichten Kreuzer, die JUPITER, der Zwilling der
STERNENKRIEGER. Und jetzt komme ich wieder auf einen Prototyp, der
das Beste an technischer Entwicklung ist, das die Humanen Welten
zurzeit haben.«
»Leider sind Sie nicht der Captain.« Van Doren grinste. »Kommt
noch«, prophezeite er augenzwinkernd. »Ich werde eines Tages wieder
ein eigenes Kommando haben.«
»Ich gönne es Ihnen von Herzen.« Normalerweise wäre der Erste
Offizier an Bord der STERNENKRIEGER II ein Commander gewesen und in
der Hierarchie des Space Army Corps hatte man diesen herausragenden
Posten auch sicher ursprünglich nicht mit einem degradierten und in
Ungnade gefallenen Offizier besetzen wollen. Aber Rena hatte darauf
bestanden, dass Van Doren ihrer neuen Crew zugeteilt wurde. Auf
Grund seiner außerordentlichen Kommandoerfahrung wurde es ihm
schließlich ausnahmsweise gestattet, trotz seines derzeitigen
Ranges eines Lieutenant Commander als Erster Offizier des neuen
Sondereinsatzkreuzers zu fungieren.
Eine Art kleiner Rehabilitierung, dachte Rena.
Immerhin war Van Dorens Degradierung recht fragwürdig gewesen.
Sein einziges »Verbrechen« hatte in der Tatsache bestanden, dass er
unmittelbar nach dem Ende der Kampfhandlungen mit den Qriid 73 von
ihnen aus ihrem zerstörten Schiff gerettet hatte, wobei er
allerdings die Sicherheit der DAEDALOS riskierte.
Obwohl der neue Regierungschef der Qriid sich persönlich bei
ihm dafür bedankt und seinen Mut gelobt hatte, nahm man das im
Space Army Corps zum Anlass, Van Doren zu degradieren. Nicht nur
Rena hegte den begründeten Verdacht, dass ihm jemand in
einflussreicher Position damit kräftig eins auswischen wollte. Aber
das war nicht mehr zu ändern. Van Doren war ein ausgesprochen guter
Erster Offizier, von dessen reichhaltiger Erfahrung Rena und die
STERNENKRIEGER schon mehr als einmal profitiert hatten.
Nur manchmal musste sie ihn noch daran erinnern, dass sie die
STERNENKRIEGER kommandierte und nicht er.
Das Shuttle dockte an, und der Rest der Crew, der noch nicht
an Bord der STERNENKRIEGER II war, wechselte hinüber in ihr neues
Schiff.
Van Doren atmete hörbar die Luft tief ein. »Ich liebe den
Geruch eines neuen Schiffs«, schwärmte er. »Es duftet nach Energie
und neuen Taten.«
Rena warf ihm einen belustigten Bück zu. »Jetzt sagen Sie nur
noch ›nach Freiheit und Abenteuer‹!«
Obwohl sie sich weitgehend an Van Dorens manchmal schrägen und
oft makabren Humor gewöhnt hatte, überraschte er sie hin und wieder
immer noch mit seinen Bemerkungen. Er grinste.
»Aber es duftet tatsächlich nach Freiheit und Abenteuer«,
stimmte er zu.
»Die Luft hier drinnen riecht nach gar nichts, Van
Doren.«
Van Doren warf ihr einen mitleidigen Blick zu. »Ach Captain,
Ihnen fehlt einfach die erforderliche Fantasie.«
Bevor Rena etwas darauf antworten konnte, wurden sie von der
Bordcrew begrüßt.
Robert Ukasi, der gerade zum Lieutenant Commander befördert
worden war, begrüßte sie. Als bislang ranghöchster Offizier an Bord
hatte er bis eben das Kommando innegehabt. Als Taktik-Offizier
hatte er das Kommando über die zehn Lieutenants, die die
Gauss-Kanonen bedienten. Von denen befand sich keiner hier, aber
Rena hatte sie alle bereits kennen gelernt.
»Willkommen an Bord, Ma’am!«, grüßte er. »Sir!«
»Danke, Lieutenant Commander. Wie ich sehe, brennen Sie
förmlich darauf, mir Ihre Meinung über unser neues Schiff
mitzuteilen.«
»Oh ja, Ma’am! Das Schiff ist eine Wucht! Anders kann ich es
nicht bezeichnen.« Und er erging sich in einer detaillierten
Beschreibung aller Vorzüge – besonders der neuen Bewaffnung und der
Manövrierfähigkeit –, die das neue Schiff hatte.
Rena hob abwehrend die Hand, um seinen Redefluss zu
unterbrechen. Sie hatte Ukasi noch nie so euphorisch erlebt. »Ich
bin mir sicher, dass das alles äußerst interessant ist, Lieutenant
Commander, aber lassen Sie mich doch erst mal an Bord
kommen.«
Ukasi grinste ein wenig verlegen. »Natürlich, Ma’am,
entschuldigen Sie. Jedenfalls hat mir der LI versichert, dass die
STERNENKRIEGER II in bestem Zustand und einsatzbereit ist. Und ich
kann es nicht erwarten, sie in Aktion zu erleben.«
»Ich auch nicht«, stimmte Rena zu. »Start in einer
Stunde.«
»Jawohl, Ma’am!«
Ukasi jubelte seine Bestätigung beinahe und verschwand im
Laufschritt Richtung Brücke, während Rena und die übrigen neu
eingetroffenen Besatzungsmitglieder zunächst ihre Quartiere
aufsuchten, um ihr Gepäck zu verstauen. Renas Kabine war fast
doppelt so groß wie ihre bisherige. Und die unteren
Mannschaftsränge mussten sich nur noch zu zweit eine Kabine teilen
statt sich wie bisher in Quartieren zu viert zu stapeln.
Doch Rena hielt sich nicht lange damit auf, in diesem Luxus zu
schwelgen, sondern eilte auf die Brücke, wo sie feststellen musste,
dass Van Doren schneller gewesen war und bereits im Sessel des
Ersten Offiziers zur Linken des Captains saß. Er erhob sich, als
sie eintrat und ging zum Ortungspult hinüber, wo der frisch
beförderte Lieutenant Wiley Riggs saß, der nun David Kronsteins
Platz einnahm. Scheinbar konzentriert prüfte Van Doren irgendwelche
Anzeigen auf dem Display und gab Rena so die Gelegenheit, für ein
paar Minuten vollkommen ungestört ihren Platz in der Mitte zu
genießen.
Was sie ausgiebig tat und als Erstes feststellte, dass auch
der Kommandosessel besser war als der vorherige. Er war nicht nur
bequemer, sondern besaß auch ein erweitertes Display, auf dem die
aktuellen Meldungen aller Sektionen ständig in einem aus kleinen
Sichtfenstern bestehenden Band am oberen Rand verfügbar
waren.
Doch Renas Aufmerksamkeit galt in erster Linie dem Gefühl, auf
diesem Platz in der Mitte zu sitzen, auf diesem Schiff, dessen
Kommandantin sie war. Es war ein herrliches Gefühl, und sie musste
sich gewaltsam wieder davon losreißen.
Van Doren setzte sich wieder in seinen Sessel und grinste sie
breit an.
Rena konnte nicht anders und lächelte zurück. »Ich möchte in
15 Minuten starten.«
Ihr Erster Offizier nickte und wandte sich an Lieutenant Susan
Jamalkerim, die Kommunikationsoffizierin. »Ich nehme an, wir haben
bereits Startfreigabe.«
»Ja, Sir, ist soeben reingekommen.«
Die Zentrale füllte sich. Lieutenant John Taranos nahm seinen
Platz am Navigationspult ein und Lieutenant Commander Robert Ukasi
den am Taktikdisplay. Rena fand es beruhigend, die vertrauten Leute
um sich zu haben. Von allen Stationen kamen in kurzer Reihenfolge
die Klarmeldungen.
»Lieutenant Taranos, bringen Sie uns aus dem Dock und
anschließend aus dem System. Danach fliegen wir ein paar Manöver
zum Test.«
»Aye, Ma’am.«
Captain Rena Sunfrost lehnte sich in ihrem Sessel zurück. »Und
dann, Lieutenant Commander Ukasi, werden wir mal schauen, ob Ihre
neuen Geschütze das halten, was die Konstrukteure versprochen
haben.«
Zwar hatte die gesamte Besatzung ein intensives Training im
Simulator absolviert, sodass jeder mit der neuen STERNENKRIEGER
vertraut war. Aber jedes Schiff hatte eine eigene Disposition, ein
Verhalten, das sich selbst im besten Simulator nicht nachbilden
ließ. Rena neigte inzwischen nach entsprechend langer Erfahrung
dazu, ihrem früheren Ausbilder Recht zu geben, der immer behauptet
hatte, jedes Schiff habe seine eigene Seele, ähnlich wie ein
Mensch.
Zwar wollte sie nicht so weit gehen und von einer Seele
sprechen, aber eine gewisse Persönlichkeit hatte ein Schiff
durchaus. Auch wenn die vorwiegend aus technischen Schaltkreisen
und den dadurch bedingen »Verhaltensweisen« bestand, reagierte doch
kein Schiff genau so wie ein anderes des gleichen Typs und
Bauart.
Die Triebwerke nahmen ihre Arbeit auf, und Rena verspürte das
vertraute und doch neue Vibrieren unter sich, das kaum merklich auf
ihren Körper übergriff und unterschwellig ständig da sein würde,
solange das Schiff beschleunigte.
Sie aktivierte ihr Hauptdisplay und nahm Zugriff auf die
Übertragungskameras des Docks. So konnte sie beobachten, wie der
Start der STERNENKRIEGER II aus der Sicht eines Beobachters aussah.
Es war ein beeindruckender Anblick, den Rena bis zur letzten
Sekunde genoss. Als sie den Blick wieder nach vorne auf den
Hauptbildschirm wandte, bemerkte sie, dass Van Doren sie mit einem
verständnisvollen Lächeln beobachtete.
»Es ist immer wieder erhebend, nicht wahr?«, sagte er leise.
»So oft ich das schon erlebt habe, ist es doch jedes Mal wieder
etwas ganz Besonderes und absolut unvergleichlich.«
»Ja«, stimmte Rena inbrünstig zu. »Wo Sie Recht haben, haben
Sie Recht.«
»Dann wollen wir uns mal in unser nächstes Abenteuer stürzen.
Egal welches das sein wird.«
»Ehrlich gesagt, ist mein Bedarf an Abenteuern fürs Erste
gedeckt. Und ich kann es sehr wohl erwarten, dass das nächste
auftaucht.«
Van Doren warf theatralisch die Arme in die Luft. »Ach,
Captain«, sagte er mit betrübtem Kopfschütteln, »Sie haben einfach
keinen Sinn für die schönen Dinge des Lebens!«
Rena verkniff sich ein Lachen und konzentrierte sich wieder
auf das Geschehen auf den Bildschirm.
»Lieutenant Taranos, sobald Sie so weit sind, beginnen Sie mit
Manöver Alpha 27 …«
*
Aufgeregtes Klackern folgte auf KaraGais Ankündigung, gemischt
mit verblüfftem Zischen und hier und da einem unmutigen
Trommeln.
»Ich halte das Wurmloch für keine gute Idee«, widersprach
HonTir, der Erste Versorger. »Wir wissen nicht, was uns dort
erwartet.«
»Das wissen wir auch nicht, wenn wir auf dieser Seite des
Wurmlochs in unbekanntes Gebiet vorstoßen«, erinnerte ihn
LuniMar.
»Dafür wissen wir, dass auf der anderen Seite Wesen leben, die
keine Freunde unserer Feinde sind«, fügte KaraGai hinzu.
»Und Ihr glaubt, dass die deswegen unsere Freunde sein
müssen?«, höhnte BuriRam.
»Natürlich nicht«, widersprach KaraGai ruhig. »Wir würden
natürlich erst die Lage sondieren, genau beobachten und danach erst
abwägen, ob und wem wir dort drüben trauen können.«
»Wenn ich Euch richtig verstehe, schlagt Ihr vor, dass wir uns
dort eine neue Heimat suchen«, vergewisserte sich die
Chefärztin.
»Ja. Falls sich die dort lebenden Völker nicht als ebenso
große Feinde entpuppen wie die Fikiti hier, haben wir da viel
größere Chancen zu überleben und unsere Zahl wieder auf ein Level
zu bringen, dass man uns ein Volk nennen kann.«
»Wir sind ein Volk!«, fuhr LuniMar hitzig auf. »Solange nur
noch ein einziger Moondiv lebt, ist unser Volk nicht tot!«
KaraGai legte zustimmend den Kopf schief und verschränkte für
einen Moment ihre vier Arme. »Aber ein einziger Moondiv kann sich
nicht mehr fortpflanzen. Sehen wir den Tatsachen ins Auge. Wenn wir
hier bleiben, ist unsere Chance zu überleben gering. Wir wissen
zwar nicht, was uns jenseits des Wurmlochs erwartet, aber es kann
auf keinen Fall schlimmer sein als die Situation hier. Doch
vielleicht gelingt es uns, auf der anderen Seite Verbündete zu
gewinnen.«
»Wofür?«, fragte HonTir interessiert.
»Zunächst einmal für den Kampf gegen den Feind. Und
langfristig vielleicht dafür, unsere Heimatwelt eines Tages
zurückzuerobern.«
KaraGai erkannte an dem inhaltsvollen Schweigen, dass sie mit
diesem Argument alle Seki auf ihre Seite gebracht hatte. Als sie
die Abstimmung durchführte, gab es keine einzige Stimme gegen ihren
Plan.
»Da es nun entschieden ist, machen wir uns also auf den Weg«,
entschied sie.
»Das wird interessant!«, war LuniMar mit einem aufgeregten
Klicken überzeugt.
KaraGai seufzte. »Euer Wagemut wird eines Tages noch Euer
Verderben sein, LuniMar.«
»Oder uns wieder einmal unser aller Leben retten«, entgegnete
die Navigatorin unbekümmert und klapperte amüsiert mit den
Hornplatten in ihrem Rüsselmund.
»Euer Selbstvertrauen möchte ich haben! Ich glaube, davon
könnten wir alle eine gute Portion brauchen.«
Sie kehrten auf ihre Stationen zurück, und KaraGai ließ die
FREIHEIT starten. LuniMar setzte erneut ihr gesamtes Können ein, um
das Schiff unbeschadet aus den Schrecklichen Zwerge hinaus zu
manövrieren. KaraGai musste wieder einmal zugeben, dass LuniMars
navigatorisches Können außergewöhnlich war.
Trotzdem blieb es ein riskantes Unterfangen, denn der
Asteroid, hinter dem sie sich versteckt hatten, hatte sich
inzwischen tiefer in das Asteroidenfeld bewegt. Doch LuniMar
schaffte es, die FREIHEIT unbeschadet wieder in den freien Raum zu
bringen.
KaraGai atmete ebenso wie alle anderen unhörbar auf und ließ
Kurs auf das Wurmloch setzen. Als sie sich ihrem Ziel näherten,
ordnete KaraGai an, dass die Spiegelgeneratoren ständig in Betrieb
blieben. In unmittelbarer Nähe hielten sich etliche feindliche
Schiffe auf.
LuniMar übertraf sich selbst. Im antriebslosen Schleichflug
navigierte sie die FREIHEIT unbemerkt an ihnen vorbei ins rettende
Wurmloch …
*
Thorbjörn Soldo, Kommandant der im Picus-Sektor stationierten
Space Army Corps-Schiffe, schob zur Abwechslung eine ruhige Kugel
mit der Bewachung des Wurmlochs. Was ihn allerdings nicht daran
hinderte, äußerst wachsam zu sein. Das »Wurmloch Alpha« schien
zunächst ein Geschenk Gottes zu sein, das den Weg ans andere Ende
der Galaxis und damit ungeahnte Möglichkeiten eröffnete. Doch wie
so oft hatte der Schein getrogen.
Jenseits des Wurmlochs lauerte ein Feind, der schrecklicher
war, als alle Feinde, mit denen es die Humanen Welten bisher zu tun
gehabt hatten. Sie nannten sich Etnord und waren Parasiten,
faustgroße Schmarotzer, die sich in einem Wirtskörper festsetzten
und ihn seines freien Willens beraubten. Sie hatten die Körper der
Kolonisten übernommen, die jenseits des Wurmlochs geblieben waren,
als es sich zum ersten Mal geöffnet hatte.
Jedem Menschen lief jetzt ein kalter Schauer über den Rücken
bei dem Gedanken, den eigenen freien Willen innerhalb von wenigen
Stunden nach der Übernahme seines Körpers durch einen Etnord
vollständig zu verlieren.
Außerdem fielen offenbar sämtliche Haare aus, die der Wirt bis
dahin gehabt hatte. Immerhin war Letzteres ein gutes Merkmal, an
dem man die Besessenen identifizieren konnte. Das Problem mit ihnen
war außerdem, dass sie sich überaus schnell vermehrten. Laut den
Erkenntnissen der Expedition, die erst vor kurzem aus dem Wurmloch
zurückgekehrt war, war der gesamte Sektor auf der anderen Seite von
den Etnord besetzt. Und nun trafen diese Vorbereitungen, auch das
Gebiet der Humanen Welten heimzusuchen.
Deshalb saß Soldo mit den besten Schiffen des Space Army Corps
und einer Wachstation wie die Katze vor dem Mauseloch und hoffte,
etwaige Etnord-Schiffe rechtzeitig unschädlich machen zu können,
bevor sie die Blockade durchbrachen und die Humanen Welten
angriffen.
Doch Commodore Soldo graute davor, dass es so weit kam. Die
fortgeschrittene Technologie der Etnord machte es möglich, dass
ihre Schiffe ungefähr 50 Prozent schneller beschleunigten als die
des Space Army Corps. Sie verfügten über eine Laserbewaffnung, die
den Plasmaschirm der STERNENKRIEGER weggebrannt hatte, als sei sie
nicht vorhanden.
Fast am schlimmsten war, dass die Etnord eine Möglichkeit der
Verteidigung gegen die Gaussgeschütze des Space Army Corps gefunden
hatten. Ihre Gravitationsschirme lenkten die Gaussgeschosse ab,
sodass nur noch direkte Treffer den üblichen durchschlagenden
Erfolg hatten.
Und wir haben noch immer nicht genügend Raumminen, um das
Wurmloch effektiv zu sperren!, ging es Soldo durch den Kopf. Und
nur dem Opfer der STERNENKRIEGER ist es zu verdanken, dass wir
etwas Zeit zur Vorbereitung hatten.
Inzwischen war das Wurmloch wieder stabil, und alle warteten
darauf, das eine Invasionsflotte hindurchkam.
Zwar arbeiteten sämtliche Wissenschaftler fieberhaft an der
Lösung des Problems, doch es würde noch dauern, bis sie eine
gefunden hatten. Was nicht zuletzt daran lag, dass noch sehr wenig
über die Etnord, ihre Fähigkeiten und ihre Physiologie bekannt
war.
Soldos düstere Gedanken wurden unterbrochen.
»Sir, im Wurmloch tut sich was!«, meldete seine
Ortungsoffizierin, Lieutenant Joline Pranavindraman.
Soldo hatte keine Zeit mehr, Alarm zu geben oder anderweitig
zu reagieren. Aus dem Wurmloch heraus schoss ein riesiges Schiff.
Es hatte die Form einer Keule – vorne rund mit einem Durchmesser
von über 2500 Metern, wie die Ortung anzeigte, und verjüngte sich
nach hinten zu einem walzenförmigen »Schweif« von 1875 Metern Länge
und 113 Metern Durchmesser am Ende. Das Schiff brach mit großer
Geschwindigkeit aus dem Wurmloch heraus und machte keine Anstalten,
sie zu verringern.
»Identifizierung?«, verlangte Soldo zu wissen.
»Unbekannt, Sir.«
»Rufen Sie es!«, wies Soldo seinen Kommunikationsoffizier
Seiichi Ishikawa an.
»Keine Antwort, Sir!«, kam gleich darauf die Meldung.
»Das Schiff tritt in den Sandström-Raum ein«, meldete
Pranavindraman.
»Schicken Sie eine Sonde hinterher!«
Die von den K'aradan überlassenen Sandström-Sonden drangen
selbst in dieses übergeordnete Kontinuum ein und sandten von dort
ihre Daten. Auf diese Weise erfuhr Soldo immerhin den Kurs, den das
fremde Schiff einschlug.
»Was war denn das?«, entfuhr es dem Waffenoffizier, der die
Finger an seiner Konsole gehabt und nur auf Soldos Feuerbefehl
gewartet hatte.
»Das wüsste ich auch zu gern«, antwortete der Commodore.
»Wenn das Schiff den Kurs beibehält«, meldete Pranavindraman,
»landet es direkt im Gebiet der K'aradan.«
»Geben Sie mir eine Verbindung mit dem Hauptquartier«,
forderte Soldo und überließ es Pranavindraman, die Anfragen der
übrigen Schiffe zu beantworten, die jetzt ununterbrochen eintrafen
…
*
»Gut gemacht«, lobte KaraGai ihre Navigatorin, nachdem die
FREIHEIT unbeschadet und unbehelligt das Wurmloch passiert hatte
und auf Überlichtgeschwindigkeit gegangen war, ohne von den
Wachschiffen auf beiden Seiten aufgehalten worden zu sein.
»Behaltet den Kurs vorläufig bei, LuniMar. Ortung, Ihr sucht nach
unbewohnten Welten, die für unsere Bedürfnisse passend sind, sobald
wir weit genug vom Wurmloch weg sind.«
»Ich halte es für einen Fehler, dass wir uns nicht den
Wachschiffen vor dem Wurmloch zu erkennen gegeben haben«, wandte
KaraGais Stellvertreter KaluNor ein. »Schließlich ist es unser
Bestreben, auf dieser Seite Freunde und Verbündete zu gewinnen und
nicht, uns Feinde zu machen.«
»Da habt Ihr Recht, KaluNor. Aber könnt Ihr dafür garantieren,
dass die Besatzung dieser Schiffe nicht schon zu den Feinden
gehört, denen wir zu entkommen trachten? Solange wir das nicht
zuverlässig wissen, ist ein Kontakt zu riskant. Zumindest wenn
hunderte Schiffe gegen unser einzelnes stehen.«
»Da habt Ihr Recht, Kommandantin«, gab der Moondiv zu. »Aber
ich bin besorgt, wie ich zugeben muss. Wir können es uns nicht
leisten, uns zusätzliche neue Feinde zu schaffen.«
KaraGai seufzte. »Ich weiß. – Behaltet Kurs und
Geschwindigkeit noch bei, LuniMar. Später werden wir den Kurs
ändern und anschließend ein Versteck für die FREIHEIT suchen. Wer
weiß, ob sie uns orten können. Wir müssen uns vergewissern, dass
wir nicht verfolgt werden, ehe wir uns auf die Suche nach einem
passenden Standort für eine Basis machen können.«
»Verstanden«, bestätigte die Navigatorin.
Die Tür zur Zentrale glitt auf, und BuriRam trat ein.
Normalerweise hatte die Chefärztin dort nichts zu suchen, wenn sie
nicht zu einem Notfall gerufen wurde. Doch KaraGai sah es ihr an,
dass sie wichtige Neuigkeiten hatte.
»Sprecht«, forderte sie sie daher auf, noch ehe BuriRam etwas
sagen konnte.
»Kommandantin, Die Zwei Einen haben uns ein Zeichen gegeben«,
verkündete die Ärztin atemlos und benutzte die ehrfurchtsvolle
Bezeichnung für die einzige Gottheit, die die Moondiv verehrten.
»Soeben ist eine No’isala geschlüpft!«
KaraGai brauchte einen Moment, ehe sie die Tragweite dieser
Worte begriff. Die letzte No’isala war ebenso wie der Rest des
Volkes der Moondiv, der nicht rechtzeitig hatte fliehen können, von
den Feinden übernommen worden. Damit hatte sie ihre göttliche
Stellung als religiöses Oberhaupt des Volkes verloren. Dass jetzt
eine neue No’isala geboren war, gab allen Überlebenden
Hoffnung.
Doch bevor diese Tatsache öffentlich allen verkündet werden
konnte, musste die Identität der No’isala zweifelsfrei bestätigt
werden, und zwar traditionsgemäß von jemandem aus der
Priesterschaft und jemandem aus dem weltlichen Regierungsbereich.
Da die gesamte Regierung nicht mehr existierte, musste KaraGai als
Kommandantin diese Aufgabe übernehmen.
Sie folgte BuriRam, die sie in die Unterkünfte der
überlebenden Zivilisten und die dortige Brutkammer führte. Dort sah
sie das Wunder mit ihren eigenen Augen. In einer warmen Wabe lag
das frisch geschlüpfte Junge, dessen blausilberner Panzer keinen
Zweifel daran ließ, dass es sich um eine echte No’isala handelte.
Diese waren die einzigen Moondiv, die jemals mit einer solchen
Farbe geboren wurden.
Neben der Wabe standen alle Priesterinnen und Priester, die
sich auf die FREIHEIT hatten retten können.
»Wir bestätigen, dass die Panzerfarbe hundertprozentig den
Merkmalen entspricht, die nur die No’isalas haben«, sagte der
Älteste von ihnen.
KaraGai kannte ihre Pflicht, auch wenn sie diese noch nie
zuvor ausgeübt hatte. Sie nahm das Junge in die Hände und
betrachtete es von allen Seiten, untersuchte vor allem den Panzer
und suchte nach Fehlbildungen. Wie die Priesterschaft bestätigt
hatte, war der Panzer komplett von der blausilbernen Farbe, die den
Anspruch einer No’isala auf den Titel und die damit einhergehende
Position zu bestätigen.
»Auch ich bestätige, dass dieses Kind alle Merkmale der
No’isala trägt«, sagte KaraGai und legte das kleine Wesen zurück in
seine Wabe. »Aus welcher Familie stammt sie?«
»Aus der Familie Dan.«
»Ich werde die Geburt der No’isala NoiDan ins Logbuch
eintragen und allen verkünden«, sagte KaraGai feierlich. »Ich wage
kaum zu hoffen, dass wir wenigstens einen Kunar an Bord
haben?«
»Sogar zwei«, antwortete der älteste Priester mit einem
amüsierten Klicken und winkte die beiden Kunari nach vorn.