Sechser-Vergnügen - Timo Vega - E-Book

Sechser-Vergnügen E-Book

Timo Vega

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Beschreibung

Anstatt mit seinen besten Freunden Martin und Tarek einen Super-Single-Goes-Gay-Pride-Urlaub zu verbringen, entwickeln sich die Dinge für Jonah ganz anders, der sich plötzlich mit zwei frisch verliebten Pärchen und einem Blind Date, das nicht so richtig zu ihm passen mag, in einem Ferienhaus abseits der queeren Szene wiederfindet. Und als wäre die ungewöhnliche Konstellation nicht schon kompliziert genug, taucht da plötzlich auch noch Yannick auf und sorgt für mächtig Gefühlschaos in der Villa. Mit zynischer Komik werden Freundschaften und Beziehungen auf die Probe gestellt und nicht zuletzt um die wahre Liebe gekämpft. #Sommerliebe #Freundschaft #Gaylove

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Anstatt mit seinen besten Freunden Martin und Tarek einen Super-Single-Goes-Gay-Pride-Urlaub zu verbringen, entwickeln sich die Dinge für Jonah ganz anders, der sich plötzlich mit zwei frisch verliebten Pärchen und einem Blind Date, das nicht so richtig zu ihm passen mag, in einem Ferienhaus abseits der queeren Szene wiederfindet. Und als wäre die ungewöhnliche Konstellation nicht schon kompliziert genug, taucht da plötzlich auch noch Yannick auf und sorgt für mächtig Gefühlschaos in der Villa. Mit zynischer Komik werden Freundschaften und Beziehungen auf die Probe gestellt und nicht zuletzt um die wahre Liebe gekämpft.

#Sommerliebe #Freundschaft #Gaylove

*

Dieser Urlaub schien bereits am Frankfurter Flughafen eine Katastrophe zu werden. Ich hatte für die Reise wahrlich genug Kompromisse in Kauf genommen, doch als ich nun zum ersten Mal meinem Blind Date gegenüberstand, hätte ich unsere Spanien-Reise am liebsten abgebrochen. In Gedanken ging ich nochmal die einzelnen Paragrafen meiner Reise-Rücktrittversicherung durch. Griff diese auch bei vorübergehendem Realitätsverlust während der Planungsphase? Dabei hätte alles so perfekt werden sollen...

Die Idee, mit meinen besten Freunden Tarek und Martin einen unvergesslichen Urlaub zu verbringen, nahm beim letzten Jahreswechsel zum ersten Mal Gestalt an. Wir waren gemeinsam zu einer privaten Silvesterparty bei einem Bekannten eingeladen, der erst kürzlich mit seinem Freund zusammengezogen war. Was zunächst als geselliger Ausklang des alten Jahres begann, mit einem aufwendigen Silvester-Dinner und festlicher Dekoration, endete zunehmend in einer grotesken Vorführung ihres beneidenswert schicken Lifestyles. Offenkundig staunten ihre Gäste über die teuren Designermöbel und hochwertigen Dekorationsgegenstände, die Tine Wittler persönlich hätte nicht besser zum Einsatz bringen können. Darüber hinaus folgten romantisch-witzige Anekdoten von ihrer letzten Reise, die keinen Zweifel daran ließen, wie herrlich sie gewesen sein musste. Und über alledem lagen zigtausende kleine und große, eklig süße Liebesbekundungen, die von den versammelten Gästen mit rührseligen oohs und ahhs gehuldigt wurden. Kurzum, sie repräsentierten alles, was ich mir auch wünschte. Je weiter sich die Zeiger der Uhr dem Jahreswechsel näherten, desto mehr Neid schäumte in mir auf. Und spätestens mit dem ersten Sektrausch, war ich völlig geknickt und zermarterte mir den Kopf, warum mir eine solch schöne Beziehung vergönnt blieb. Meinen beiden besten Freunden ging es ähnlich. Ihrem unglücksseligen Gesichtsausdruck konnte ich entnehmen, dass sie sich mit der gleichen Frage beschäftigten. Tarek würde schon bald fünfunddreißig werden; Martin und ich folgten dicht auf. Keiner von uns hatte es bislang fertiggebracht eine längerfristige Partnerschaft einzugehen. Ich hatte mich diesen Sommer erst frisch getrennt. Zwölf Wochen hatte ich durchgehalten. Das war sicherlich kein Beziehungsrekord, aber die kurze Zeit war intensiv gewesen. Über die Trennung war ich beindruckend schnell hinweggekommen, aber dieser verdammte Jahreswechsel stimmte mich wahrhaftig sentimental.

„Wisst ihr, was wir brauchen?“, kam mir plötzlich eine Idee und ich schreckte damit die Jungs aus ihren trübsinnigen Gedanken. Beide schauten fragend auf und schüttelten träge die Köpfe.

„Einen fantastischen Urlaub.“ Ungläubiges Schweigen.

„Ihr wisst schon: einen unvergesslichen Single-Urlaub.

Gaypride, Maspalomas, Kanaren! Naaa?! Was sagt ihr dazu?“ Martin und Tarek wurden allmählich etwas aufmerksamer. Augenscheinlich waren sie für jeden Hoffnungsschimmer offen, der ihre geschwärzte Stimmung aufheiterte.

„Schaut mal, es gibt sogar noch Zimmer, nicht weit vom Yumbo Centrum entfernt.“ Ich hatte mein Smartphone gezückt und tippte nun aufgeregt darauf herum „Stellt euch mal die Szenerie vor: Eine Gay-Bar reiht sich an die nächste. Sportlich knackige Jungs flanieren an uns vorbei, während wir schon mittags unsere ersten Mojitos in den Straßencafés genießen. Wir verbringen wilde Nächte in den Clubs und tanzen mit den heißesten Typen... Und dann warten da noch die Dünen von Maspalomas auf uns, in denen pralle Pobacken und geölte Muskelmänner mit der Sonne um die Wette strahlen...“, übertrieb ich maßlos und zuckte dazu vielsagend mit den Augenbrauen. Im Hintergrund raunte schon wieder ein rührseliges Ach, wie süß! durch den Raum, das mir eine Gänsehaut verursachte. Offenbar war wieder eine kleine Schmalzparade unseres Gastgebers dargeboten worden. Spätestens jetzt war auch Tarek von meiner Idee angetan.

„Hast du mal auf die Preise geschaut? Das ist ja unglaublich, was die verlangen.“, tippte nun auch Martin auf seinem Smartphone.

„Martin!“, verzog Tarek empört das Gesicht. „Das wird durch die Kerle wieder amortisiert.“ Tarek war kein Kostverächter, wenn es um Männer ging. Der attraktive Deutsch-Türke machte viele Bekanntschaften und hatte in einem Monat mehr Dates als ich im gesamten Jahr. Leider suchten die Typen häufig nur ihren kurzweiligen Spaß mit ihm, während er sich aus so manchem Amoureusement eine Beziehung versprach. Die Enttäuschung folgte meist gleich tags darauf, wenn er im Morgengrauen aufwachte, nach einer leeren Bettseite tastete und begriff, dass er wieder einmal nur für eine einzige Nacht gebraucht worden war. Sein fröhliches Gemüt ließ er sich davon jedoch nicht trüben und zog stets ein positives Resümee aus seinen nächtlichen Abenteuern.

„Schon klar! Aber die Preiiiseee!“, hob ihm Martin sein Smartphone entgegen, auf dem eine vierstellige Zahl mahnend aufblitzte. „Und das sind Euro – keine Pesetas!“, unterstrich er sein Entsetzen.

„Tin´chen, wie viele Männer hattest du im vergangenen Jahr?“, konterte Tarek.

„Keinen, aber...“ Martin hasste es, wenn Tarek ihn Tin´chen nannte.

„Und wie viele hattest du überhaupt?“, unterbrach ihn der hübsche Südländer.

Martins beschämtes Schweigen rief in mir eine gewisse Unbehaglichkeit hervor. Ich kannte das Dilemma meines besten Freundes. Während seiner Schulzeit kämpfte er nicht nur mit Übergewicht, sondern litt vielmehr noch unter den herablassenden Bemerkungen seiner Mitschüler. Immer wieder war er heimlich in Klassenkameraden verliebt gewesen, die er jedoch nicht wagte anzusprechen. Anstatt eine schmerzhafte Ablehnung zu riskieren, wählte er die Einsamkeit und bevorzugte es, seine Mitschüler aus der Ferne zu bewundern. Oftmals, wenn ihn Liebeskummer zu sehr bedrückte, hatten Tarek und ich ihn aufgemuntert und ermutigt, seinen Herzbuben auf eine Cola einzuladen. Doch kurz darauf bewahrheiteten sich Martins Befürchtungen, denn die attraktiven Jungs interessierten sich nicht für dickliche Typen wie ihn. Das tat mir unendlich leid, gerade weil er ein unglaublich lieber und sensibler Mensch war. Vor einigen Jahren hatte er schließlich begonnen gegen sein Übergewicht anzugehen. Was zunächst mit unschuldigen Spaziergängen und ein paar wenigen Stunden im Fitnessstudio begann, weitete sich rasch in obsessives Ausdauertraining und einer kompletten Ernährungsumstellung aus. Bis er schließlich sogar regelmäßig an Laufwettkämpfen teilnahm, wo er seine Zeiten im Halbmarathon kontinuierlich verbesserte. Mit seiner eisernen Disziplin hatte er sich zu einem sportlichen jungen Mann, mit beneidenswert toller Figur transformiert. Im Kampf mit dem mangelnden Selbstwertgefühl ging er allerdings noch immer als Verlierer hervor, denn trotz seiner attraktiven Erscheinung blieb er innerlich der übergewichtige Schüler, voller Angst vor Zurückweisung.

„Ich denke darüber nach, Tarek!“, kaute er auf der Unterlippe.

Vielleicht war es der erkenntnisreichen Silvesterparty zu verdanken, vielleicht auch den bevorstehenden Geburtstagen, jedenfalls durchforsteten wir in den darauffolgenden Wochen beinahe täglich die gängigen Onlineportale nach interessanten Angeboten. Selbst Martin hatte sich nun mit den gehobenen Kosten arrangiert und gestaltete unsere Reisepläne aktiv mit. Wir favorisierten schließlich ein Hotel, nahe den berüchtigten Dünen, und waren uns im Prinzip schon einig darüber, dass dies unsere Super-Single-Goes-Gay-Pride-Unterkunft werden würde, doch dann nahm das Leben eine unerwartete Wendung, denn Martin begegnete Juan Pablo.

*

Wir waren mal wieder in unserer Lieblings-Szene-Bar versackt, welche nahezu jedes Wochenende ein neues Party-Motto erfand. Heute war mexikanische Nacht, also zu jedem Desperados-Bier einen Tequila gratis, um den Einstand des neuesten Thekenboys zu feiern: Juan Pablo. Kurz genannt Pepi – einundzwanzig Jahre jung, laut, bunt, kaum bekleidet und mit zahlreichen Tattoos verziert. Schnell hatte der junge Mexikaner Martins Aufmerksamkeit für sich gewinnen können, denn dieser stand schon immer auf zierliche Latinos, mit ebenmäßigen Gesichtszügen und engen Hüften. Während des Abends wechselten die Beiden zunächst kontinuierlich interessierte Blicke, was Martin zunächst unheimlich Überwindung kostete. Doch der wenig schüchterne Pepi fand Gefallen an Martins schönen blauen Augen und dem blonden Bartflaum, und gab sich daher noch lange nicht mit schnödem Augenkontakt zufrieden. Mit übertriebener Fürsorge kam er häufiger als benötigt an unseren Tisch und erkundigte sich nach unseren Getränkewünschen.

Dabei flirtete er unverhohlen mit Martin und brachte ihn mit seinen Schlagfertigkeiten zum Lachen. Wenige Tequila-Runden später lagen sich die Beiden knutschend in den Armen. Das hieraus eine ernsthafte Beziehung werden könnte, hatte zu diesem Zeitpunkt keiner von uns vermutet. Generell waren wenige Jungs in den frühen Zwanzigern darauf aus, eine verbindliche Beziehung mit einem beinahe fünfzehn Jahre älteren Mann einzugehen.

Die Interessen waren dafür viel zu unterschiedlich und die Vorstellung von Partnerschaft ging hier weit auseinander.

Die allermeisten Jungs strebten zunächst einmal danach ihre frisch gewonnene Unabhängigkeit zu genießen, nachdem sie endlich das Elternhaus verlassen hatten, und hatten wenig Interesse daran, sich bürgerlichen Beziehungsstrukturen unterzuordnen. Selbstbestimmung und Hedonismus waren für jene Generation wesentlich reizvollere Attribute.

Pepi überzeugte uns jedoch vom Gegenteil, ging noch in derselben Nacht für einen Quickie mit zu Martin und war, zu aller Verwunderung, kurz darauf mit einem Rucksack voll Kleidung bei ihm eingezogen. Martin sprach bald davon, in ihm einen festen Partner gefunden zu haben. Wir taten uns mit dieser Vorstellung jedoch schwer. Sowohl optisch als auch charakterlich, gaben die Beiden ein wenig stimmiges Bild ab. Martin war ein durch und durch bodenständiger Mensch, der durch seine elegante Zurückhaltung bestach, während Pepi funkelte und glitzerte, wie ein geschmücktes Zirkuspferd. Darüber hinaus wartete der schillernde Mexikaner mit witzigvulgären Sprüchen auf und übertönte alles und jeden in der verrauchten Szenenbar. Doch entgegen unserer Skepsis funktionierte ihre Beziehung und hielt Woche für Woche an. Während dieser Zeit verebbte Martins Euphorie für unsere Super-Single-Goes-Gay-Pride-Reise merklich. Und selbst als wir vorschlugen, seinen Pepi mitzunehmen, änderte sich nichts an seiner Zurückhaltung. Immer wieder kamen fadenscheinige Einwände seinerseits. Insgeheim hatte er Angst davor, dass ihm sein perfekter Boyfriend, auf einer Insel voller attraktiver schwuler Männer, ausgespannt werden könnte. Unsere Reiseplanung stagnierte daher zunächst.

*

Nahezu zeitgleich gestand mir auch Tarek, in einem stillen Moment, dass er schon eine Weile mit einem Typen rummache und es hatte den Anschein, dass sich daraus etwas Ernsteres entwickeln könne. Im ersten Moment hatte ich starke Zweifel daran, denn Tarek hatte grundsätzlich nach jedem Bums, der über einen One-Night-Stand hinaus ging, das Gefühl, es würde sich etwas Ernsteres entwickeln. Doch als wir uns eines schönen Nachmittags im Café Kult auf ein Stück Kuchen trafen und er mir hochoffiziell Ralf vorstellte, wurde mir schnell klar, wie bedeutsam unser Kennenlernen war. Die Beiden wirkten in der Tat innig und verliebt. Den gesamten Nachmittag ruhte Ralfs grobe Hand auf Tareks Schenkel und streichelte ihn von Zeit zu Zeit. Und Tarek wurde nicht müde Lobeshymnen und Küsse an seinen Begleiter zu verteilen. Über Ralf erfuhr ich nicht viel Interessantes. Er war recht wortkarg und zurückhaltend. Meist überließ er Tarek das Reden, der gewohnt kommunikativ die Unterhaltung führte. Ich hatte bislang lediglich erfahren, dass er aus Süddeutschland kam und sie drei Stunden Autofahrt in Kauf nehmen mussten, um sich zu sehen. Ansonsten war nicht viel Information zu holen. Tarek hatte mir außerdem schon mehrfach vorgeschwärmt, wie fantastisch Ralf im Bett war. So sehr ich mir auch Mühe gab, ich konnte leider überhaupt keine Gemeinsamkeiten zwischen ihnen ausfindig machen. Tarek war unterhaltsam und modern, ein wenig verrückt vielleicht, aber absolut lebendig. Ralf hingegen wirkte grobschlächtig und einfältig. Sein Haar war grau meliert, aber dicht für sein Alter, obwohl er gute zehn Jahre älter als Tarek war. Seine Augen strahlten einen spitzbübigen Charme aus und er hätte gar nicht mal unattraktiv sein können, ertönte nicht unwillkürlich der Kleidung-Clever-Kaufen-Bei-KICK-Jingle in den Ohren, sobald man an ihm hinabblickte. Es überraschte und verstörte mich gleichermaßen, dass mein attraktiver Freund, unter all seinen Bettgefährten, die in der Regel beneidenswert gutaussehend waren, sich für jenen Mann entschieden hatte, der auf den ersten Blick keine besonders reizvollen Attribute vorzuweisen hatte. Doch es hatte mich nicht zu kümmern, was die Beiden miteinander verband. Hauptsache Ralf behandelte meinen Freund gut.

Als allerdings auch bei Tarek Diskussionen los gingen, dass er seinen Partner ja kaum sah und der Urlaub die Beiden noch länger voneinander trennen würde, ging mir diese Beziehung das erste Mal auf den Sack. Geduldig hörte ich mir über Wochen Tareks Quengelei an, als er jedoch schließlich drauf und dran war den Urlaub wegen voraussichtlichem Liebeskummer abzusagen, einigten wir uns darauf, dass Ralf mit auf die Kanaren kommen würde. Ich konnte mir wahrlich schöneres vorstellen, als der einzige Single in unserem Super-Single-Goes-Gay-Pride-Urlaub zu sein, aber aus der Not heraus willigte ich ein.

*

Nachdem wir nun zu fünft statt zu dritt verreisten, hielten die Meisten es für angebracht die Urlaubskonditionen neu zu verhandeln. Wir beriefen also einen Abend bei Tarek ein, vernichteten Mojitos und präsentierten Pepi und Ralf die Unterkunft, die wir bereits ausfindig gemacht hatten und von der ich überzeugt war, dass sie den Beiden ebenfalls gefallen würde. Ich rechnete offen gestanden mit ihrer schnellen Einwilligung, doch wider Erwarten lehnten die Neuzugänge das Feriendomizil einstimmig ab. „Zu Teuer.“, hörte man von der einen Seite. „Zu laut!“, hallte es von der anderen. Adäquate Gegenvorschläge gab es kaum, denn viele Hotels waren zur Pride bereits ausgebucht. Die wenigen freien Unterkünfte waren meist zu kostspielig oder befanden sich in benachbarten Ortschaften. Die Recherchen gestalteten sich recht schwierig und nach einem langen Abend voller Diskussionen und Enttäuschungen über ausgebuchte Hotels, waren wir fast schon desillusioniert, ob wir jemals nach Maspalomas gelangen würden. Offenbar war es gänzlich unmöglich die Kriterien von solch unterschiedlichen Erwartungen zu erfüllen. Insgesamt schien kein Hotel zu existieren, mit dem wir uns alle arrangieren konnten. Als wir uns nach vielen faulen Kompromissen, hart diskutierten Zugeständnissen und dem wohlwollenden Einfluss von Mojitos endlich auf ein Hotel geeinigt hatten, sagte jemand, von dem man nahezu den gesamten Abend nichts gehört hatte, zum falschen Zeitpunkt genau das Falsche.

„Ein Kunde von mir besitzt eine geräumige Finca in Marbella, die mir bei Bedarf zur Verfügung steht. Ich könnte ihn anrufen, ob er sie uns im Mai überlässt.“, führte uns Ralfs unerwartetes Angebot wieder zum Anfang unserer Diskussion.

„Oh jaaa, Marbella!!!“, sprang Pepi sofort auf und kreiste seinen Popo zu einer imaginären Musik. Ich schlug verzweifelt die Hände über dem Kopf zusammen.

„Wo genau liegt denn Marbella?“, interessierte sich Martin für genauere Informationen.

„In Andalusien – dem Süden Spaniens.“

„Aber was wird dann aus der Gay Pride? Und den Abenden im Yumbo Centrum?“, erinnerte ich an unseren Plan. Ich war mehr als erschöpft von den endlosen Diskussionen um unseren Urlaub und verstand nicht, warum wir, so kurz vor Abschluss der Buchung, unsere Entscheidung wieder in Frage stellten.

„Ich bin für Marbella...!“, tanzte Pepi immer noch ausgelassen. Der Jetset-Ruf, der der Stadt vorauseilte, frohlockte den jungen Latino.

„Aber... wir hatten uns doch auf Maspalomas geeinigt...“, stotterte ich verunsichert. Ich hatte solch große Erwartungen an die Pride geknüpft, dass ich schon seit Wochen nervös war, weil wir noch nichts gebucht hatten.

Ich war fest davon überzeugt, dass Maspalomas mir die Freude verschaffen würde, die ich seit dem Jahreswechsel so schmerzlich vermisste.

„Und mit welchen Kosten sind zu rechnen?“, erkundigte sich Martin über das Ferienhaus und überging damit unbeeindruckt meinen Einwand.

„Wir werden lediglich für unsere Versorgung aufkommen müssen. Das Haus steht nicht zur Vermietung, doch ich darf es jederzeit nutzen, sofern der Eigentümer es nicht für eigene Zwecke benötigt.“, hielt sich Ralf geheimnisvoll bedeckt.

Wenige Augenblicke später hatten wir die Finca virtuell besichtigt und Ralf den Zeitraum abgeklärt, in dem es uns zur freien Verfügung stand.

„Ich finde es sehr schön.“, hakte sich Tarek liebevoll bei seinem Freund unter.

„Ich bin für die Kanaren.“, erhob ich Einspruch.

„Marbella!“, konterte Pepi.

„Jonah, so günstig bekommen wir nie mehr eine solch fantastische Unterkunft. Überleg doch mal, was wir mit dem gesparten Geld alles machen könnten.“, appellierte Martin an meine Vernunft. Ich funkelte ihn böse an. Klar, dass er für Marbella war und damit Pepis Wunsch nachkam. Außerdem musste er dort unten wenig Sorge haben, dass zig heiß gelaufene Männer seinem Freund Avancen machten. Doch auch die anderen sahen mich an, als wäre die Entscheidung für Marbella und gegen die Kanaren bereits gefallen.

„Aber was soll ich denn in Marbella???“, wurde ich nun verzweifelt. Es enttäuschte mich maßlos, dass offenbar niemand meine Bedürfnisse berücksichtigen wollte. „Euch kann es ja egal sein, wo wir verkümmern. Ihr habt ja alle eure Partner. Aber ich bin Single und ich möchte dahin, wo ich auch jemanden kennen lernen und mich mit einem schönen Mann vergnügen kann.“

„Was willst du denn mit einem Urlaubsflirt?!“, winkte Tarek ab. „Es gibt doch nichts Unbefriedigenderes als sich ein paar Tage mit einem Mann zu vergnügen, den man liebgewinnt und sich womöglich sogar verliebt, nur damit am Ende der Reise jeder wieder seine eigenen Wege geht. Das hat doch keine Zukunft, Joni.“, tat er meinen Wunsch ab. Dabei hatte er selbst noch vor ein paar Wochen ausschließlich wegen der Männer der Reise zugestimmt.

„Ich finde es einfach unfair, dass ihr mich dazu überreden wollt, mit zwei frisch verliebten Pärchen in irgendeine spanische Pampa zu reisen, wo ich keinerlei Chance auf ein bisschen Liebesglück habe.“, wehrte ich mich. Der Gedanke an Ferien in Marbella machte mir leider überhaupt keine Freude.

„Aber das ist doch gar nicht gesagt, dass du allein gehst.“, legte mir Martin mitfühlend den Arm um die Schultern.

„Schau mal wie schnell das bei mir und Pepi ging. Du hast noch drei Monate. Verabrede dich ein bisschen und vielleicht lernst du ja auch schon bald einen netten Mann kennen, den es lohnt mitzunehmen...“

Alle Widerworte halfen nichts. Ich kam nicht gegen vier Stimmen an, die sich gedanklich schon einen Haken an Marbella gesetzt hatten. Ich brach schweren Herzens unter ihren Argumenten zusammen. Und als sie sahen, wie geknickt ich mit dieser Entscheidung war, redeten sie so hoffnungsvoll und ermutigend auf mich ein, dass ich fast schon selbst daran glaubte, in den nächsten drei Monaten meinem Traummann beim Dating zu begegnen und wir alle sechs zusammen einen romantischen Urlaub in Marbella verbrächten.

*

Tatsächlich gab der Datingmarkt nicht viel mehr her als sonst auch. Hauptsächlich wollten die Typen nur unverbindlichen Sex mit mir. Surprise, surprise! Offenbar gab es keinen Mann, der noch bereit war, sich die Zeit zu nehmen oder gar die Geduld aufzubringen, sich gegenseitig aufrichtig kennen zu lernen. Manch einem mangelte es augenscheinlich auch an Optimismus. Mitunter waren die Verabredungen so langweilig, dass auch von meiner Seite aus kein Interesse an einem zweiten lauwarmen Versuch bestand. So verstrich ein Monat auf den anderen und bis auf einen aufregenden Bums, war nicht viel zu holen. Nachdem es in dieser Stadt offensichtlich keine beziehungstauglichen Männer mehr gab und ich unter keinen Umständen als fünftes Rad am Wagen in Marbellas Casa der Verliebten einziehen wollte, willigte ich kurzentschlossen ein, dass mein Reise-Date Tareks Bekannter aus Köln sein sollte, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, der aber laut Tarek total (!!!) zu mir passte. `Er ist superlieb, sieht gut aus, achtundzwanzig Jahre jung, sportlich, treu und humorvoll´ hatte er ihn beschrieben. Ein aktuelles Foto konnte er mir nicht zeigen, da Adrian nicht in den sozialen Netzwerken aktiv sei. Das fand ich grundsätzlich gut, aber in diesem Fall hinderlich. Vor lauter Panik kam mir Tareks Engagement für meine Partnersuche, noch nicht einmal verdächtig vor. Daher entging mir, wie groß wiederum seine Sorge war, ich könne ihnen den gemeinsamen Urlaub mit meiner schlechten Laune verderben, falls ich am Abreisetag nicht in Begleitung war. Vielleicht war ich naiv, vielleicht auch einfach nur verzweifelt, mich auf dieses blinde Arrangement einzulassen, aber ich hatte tatsächlich geglaubt, Tarek habe meinen Traummann gefunden. Warum er ihn mir bisweilen nie vorgestellt oder gar erwähnt hatte, hatte ich in meiner Gutgläubigkeit gar nicht hinterfragt.

Da Adrian aus Köln anreiste und wir vom Süden nach Frankfurt kamen, verabredeten wir uns mit ihm direkt am Flughafen. Ich war ziemlich neugierig auf den geheimnisvollen Mann. Der Name erregte meine Fantasie und schon bald hatte ich mir ein ziemlich genaues Bild von Adrian zurechtgelegt. In meiner Vorstellung traf ich auf einen jungen, elegant gekleideten, schlanken Mann, mit braunem dichtem Haar und einer sympathischen und höflichen Ausstrahlung. Ein Typ, der ganz wie ich, sportlichen Schick und kreativem Intellekt in sich vereinte. Auf dem Flughafen herrschte reges Treiben und so manch schnuckliches Mannsbild passierte unseren Weg. Auf viele hätte Adrians Beschreibung gepasst. Endlich winkte Tarek in einen Menschenpulk hinein. „Adriaaan. Wir sind hier.“, machte er auf uns aufmerksam. Verzweifelt suchte ich nach dem großen eleganten Mann, aber aus der Masse löste sich nur ein klein gewachsener Prolet, mit Brust und Bizeps, so dick wie seine Turnschuhe. Gekleidet in Jogginghosen und Muscle-Shirt, marschierte er direkt auf uns zu. Tarek und der Fitness-Prolo fielen sich um den Hals und begrüßten sich ausgiebig. Danach stellte er die Jungs der Reihe nacheinander vor, bis er als letztes schließlich bei mir gelandet war.

„Und das ist mein bester Freund, Jonah.“, warf mir Tarek einen stolzen Blick zu, der wohl heißen sollte: Hab´ ich zu viel versprochen?! Ja, er hatte zu viel versprochen, denn Adrian war so überhaupt nicht mein Stil.

„Hi, ich bin Adrian.“, hob dieser mir fröhlich die Hand entgegen. Ich erwiderte wenig herzlich, aber dafür mit festem Händedruck. Meine Enttäuschung war riesig, obwohl der kleine Mann recht freundlich schien. Aber von Tarek fühlte ich mich ziemlich verarscht. Hallo???

Kannten wir uns nicht schon ein halbes Leben lang? Hatte ich in dieser Zeit jemals für aufgepumpte Kleinwüchsige geschwärmt???

„... Und mit Jonah wirst du dir das Zimmer teilen. Ich habe euch im Flugzeug direkt nebeneinander eingebucht, dann könnt ihr euch schon mal kennen lernen.“, redete Tarek auf den Kölner Muskelmann ein und zwinkerte mir dabei zu. Ich lächelte verkniffen. Besser konnte ich leider keine Freude darüber heucheln. Auf dem Weg zu den Gates tat Adrian, wie ihm aufgetragen wurde und stellte sich mit ein paar Eckdaten und kleineren Anekdoten vor. Er wirkte eigentlich nicht unsympathisch und erinnerte mich sogar ein wenig an Lukas Podolski, mit den leuchtend blauen Augen und dem breiten Mund - vielleicht auch wegen seines unverkennbar rheinischen Dialekts. Allerdings war er mindestens zwei Köpfe kleiner, als der berühmte Ex-Nationalspieler – was er offensichtlich mit intensivem Fitnesstraining kompensierte. Ein kleines kompaktes Kraftpaket in Jogginghosen und einer goldenen Gliederkette um den Hals. Ein unpassenderes Bild konnten wir zwei, auf unserem Weg durch die Flughalle, nicht abgeben. Ich suchte einen geeigneten Moment, um Tarek bei Seite zu nehmen und ihn zu fragen, was er sich bei diesem Arrangement eigentlich gedacht hatte, aber der suchte den Schutz der Herde. Adrian plauderte unterdessen unbefangen mit diesem fröhlichen Rheinländer-Dialekt auf mich ein, doch ich konnte kaum zuhören. Meine Gedanken beschäftigen sich damit, wie ich diesen Urlaub einigermaßen gesund überstehen konnte, ohne mein ohnehin schon schwaches Nervenkostüm nachhaltig zu schädigen. Zunächst versuchte ich der Unterhaltung alsbald aus dem Weg zu gehen, indem ich intensiv die Duty-Free-Shops rund um die Abflugsteige inspizierte.

Wenn sich der erste Schock mal gelegt hatte, würde ich versuchen Adrian gegenüber offener zu sein, doch für den Moment erschien mir das nur wenig möglich. Leider war der kleine Podolski wenig bereit, mir die Zeit zum Akklimatisieren einzuräumen und verfolgte mich durch mehrere Regale Duftwasser und Parfüms. Es bedurfte all meiner Kontenance ihn nicht mit einem gezielten Spritzer Moschus, direkt in die Augen, abzuwehren.

Erst nachdem wir in der Luft waren, hatte ich mich allmählich mit der Situation abgefunden. Der Moment, als das Flugzeug von der Startbahn abhob, hatte etwas Endgültiges. Statt einem Super-Single-Goes-Gay-Pride-Trip, verreiste ich also mit einem wirklich miesen Blind Date und zwei Pärchen, die frisch verliebter nicht hätten sein können. Meine Nerven würden so blank liegen, dass am Ende der Ferien vermutlich niemand jemals mehr mit mir würde verreisen mögen. Den Piloten schienen all meine Befürchtungen nur wenig zu interessieren. Die Maschine war bereits steil in Richtung Alpen unterwegs und brachte mich meiner Hölle mit jeder verstrichenen Sekunde ein paar Kilometer näher. Ich atmete tief durch und beschloss die Gegebenheiten anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Was blieb mir auch anderes übrig. Also verwarf ich meinen ursprünglichen Plan mich dreieinhalb Stunden Flug lang schlafend zu stellen und eröffnete zum ersten Mal ein Gespräch mit Adrian.

„Was liest du da für ein Buch?“, startete ich unsere Unterhaltung und versuchte erfolglos den Titel zu erspähen. Adrian sah überrascht auf. „Ein Ernährungsbuch?“, tippte ich ins Blaue. Ich erwartete auf jeden Fall, dass es mit Sport oder Körperkult zu tun hatte.