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Dieser Band enthält folgende Romane: Alfred Bekker: Fluchtpunkt Mars Alfred Bekker: Operation Chaos Alfred Bekker: Wahre Marsianer Jo Zybell: Lennox und das Reiseziel Mars Jo Zybell: Lennox auf dem roten Planeten Jo Zybell: Lennox und das Erbe der Alten Der Mars tauchte als große, rötlich schimmernde Kugel vor dem Sichtfenster der ARMSTRONG auf. Wie eine Orange mit ein paar Schimmelstellen, ging es Jeff Larson durch den Kopf. Jeff Larson, sechsundvierzig Jahre alt und Sergeant der Star Force der Westunion (WU) blickte hinaus und kniff dabei die Augen etwas zusammen. Für Kanäle hatte man die überraschend regelmäßig wirkenden Linien gehalten, die von der Erde aus auf der Marsoberfläche zu erkennen waren. Aber diese Formationen waren ebenso wenig künstlichen Ursprungs wie die außerirdischen Gesichter, die die Ufo-Gläubigen des 20. Jahrhunderts auf Oberflächenfotos der Mars-Sonden zu erkennen vermeint hatten. Die angeblichen Riesenstatuen waren nichts weiter gewesen, als ein gestaltpsychologisch erklärbarer Irrtum des menschlichen Gehirns, das im Chaos des Universums um jeden Preis Vertrautes wiederzuerkennen versuchte. Doch vor einigen Wochen war genau das geschehen, wovon die Ufo-Jünger alter Zeit immer geträumt hatten. Menschen waren auf ein nach einem Raumkampf auf dem Mars havariertes Schiff einer außerirdischen Lebensform getroffen. Doch seitdem hatten sich die an dieser Mission beteiligten Männer um Star Force Commander John Darran nicht mehr gemeldet. Mochte der Teufel wissen, worin der Grund dafür lag. Vielleicht existierten sie gar nicht mehr. Es hatte Anzeichen für Kampfhandlungen gegeben.
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Seitenzahl: 698
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Sechsmal zum Mars: 6 Science Fiction Romane
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Fluchtpunkt Mars
Operation Chaos
Wahre Marsianer
Lennox und das Reiseziel Mars
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Lennox auf dem roten Planeten
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Epilog
Lennox und das Erbe der Alten
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Dieser Dreiteiler enthält folgende Romane:
Alfred Bekker: Fluchtpunkt Mars
Alfred Bekker: Operation Chaos
Alfred Bekker: Wahre Marsianer
Jo Zybell: Lennox und das Reiseziel Mars
Jo Zybell: Lennox auf dem roten Planeten
Jo Zybell: Lennox und das Erbe der Alten
Der Mars tauchte als große, rötlich schimmernde Kugel vor dem Sichtfenster der ARMSTRONG auf. Wie eine Orange mit ein paar Schimmelstellen, ging es Jeff Larson durch den Kopf. Jeff Larson, sechsundvierzig Jahre alt und Sergeant der Star Force der Westunion (WU) blickte hinaus und kniff dabei die Augen etwas zusammen.
Für Kanäle hatte man die überraschend regelmäßig wirkenden Linien gehalten, die von der Erde aus auf der Marsoberfläche zu erkennen waren. Aber diese Formationen waren ebenso wenig künstlichen Ursprungs wie die außerirdischen Gesichter, die die Ufo-Gläubigen des 20. Jahrhunderts auf Oberflächenfotos der Mars-Sonden zu erkennen vermeint hatten. Die angeblichen Riesenstatuen waren nichts weiter gewesen, als ein gestaltpsychologisch erklärbarer Irrtum des menschlichen Gehirns, das im Chaos des Universums um jeden Preis Vertrautes wiederzuerkennen versuchte.
Doch vor einigen Wochen war genau das geschehen, wovon die Ufo-Jünger alter Zeit immer geträumt hatten.
Menschen waren auf ein nach einem Raumkampf auf dem Mars havariertes Schiff einer außerirdischen Lebensform getroffen.
Doch seitdem hatten sich die an dieser Mission beteiligten Männer um Star Force Commander John Darran nicht mehr gemeldet. Mochte der Teufel wissen, worin der Grund dafür lag.
Vielleicht existierten sie gar nicht mehr.
Es hatte Anzeichen für Kampfhandlungen gegeben.
Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
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Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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von Alfred Bekker
Star Force Commander John Darran Band 1
Der Umfang dieses Buchs entspricht 112 Taschenbuchseiten.
Alfred Bekker schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA,die GORIAN-Trilogie und seine Romane um die HALBLINGE VON ATHRANOR machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, Kommissar X und Ren Dhark. Außerdem schrieb er Kriminalromane, in denen oft skurrile Typen im Mittelpunkt stehen – zum Beispiel den Titel DER TEUFEL VON MÜNSTER, wo er einen Helden seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einer sehr realen Serie von Verbrechen macht.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
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© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Der Mars tauchte als große, rötlich schimmernde Kugel vor dem Sichtfenster der ARMSTRONG auf. Wie eine Orange mit ein paar Schimmelstellen, ging es Jeff Larson durch den Kopf. Jeff Larson, sechsundvierzig Jahre alt und Sergeant der Star Force der Westunion (WU) blickte hinaus und kniff dabei die Augen etwas zusammen.
Für Kanäle hatte man die überraschend regelmäßig wirkenden Linien gehalten, die von der Erde aus auf der Marsoberfläche zu erkennen waren. Aber diese Formationen waren ebenso wenig künstlichen Ursprungs wie die außerirdischen Gesichter, die die Ufo-Gläubigen des 20. Jahrhunderts auf Oberflächenfotos der Mars-Sonden zu erkennen vermeint hatten. Die angeblichen Riesenstatuen waren nichts weiter gewesen, als ein gestaltpsychologisch erklärbarer Irrtum des menschlichen Gehirns, das im Chaos des Universums um jeden Preis Vertrautes wiederzuerkennen versuchte.
Doch vor einigen Wochen war genau das geschehen, wovon die Ufo-Jünger alter Zeit immer geträumt hatten.
Menschen waren auf ein nach einem Raumkampf auf dem Mars havariertes Schiff einer außerirdischen Lebensform getroffen.
Doch seitdem hatten sich die an dieser Mission beteiligten Männer um Star Force Commander John Darran nicht mehr gemeldet. Mochte der Teufel wissen, worin der Grund dafür lag.
Vielleicht existierten sie gar nicht mehr.
Es hatte Anzeichen für Kampfhandlungen gegeben.
Möglicherweise waren Darran und seine Männer einfach der vermutlich überlegenen Waffentechnik der Fremden zum Opfer gefallen.
Oder aber Darran und seine Männer hatten andere Gründe sich nicht mehr zu melden.
Gründe, über die man nur spekulieren konnte.
Jedenfalls hatte Robert Berringer, der Präsident der Westunion, entschieden, eine zweite Star Ship-Flotte loszuschicken, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Sechs Wochen hatte die Reise zum Mars gedauert.
Das Star Ship ARMSTRONG und ihre drei baugleichen Schwesterschiffe ALDRIN, COLLINS und SHEPHARD (alle nach Astronauten aus der Frühzeit der Raumfahrt benannt) waren mit ihrem heiklen Auftrag Richtung roter Planet geschickt worden.
Und Larson gefiel dieser Auftrag nicht...
"Träumen Sie, Sergeant?", fragte Commander Pat Gonzalez, der an Bord der ARMSTRONG die Befehlsgewalt innehatte. Pat Gonzalez war jünger als Larson. Fast zehn Jahre jünger. Aber irgendwie hatte er es geschafft, auf der Karriereleiter in der Star Force schneller hinaufzukommen als Larson.
Muss wohl daran liegen, dass er einfach stromlinienförmiger ist als einer wie ich!, ging es Larson durch den Kopf. Und mit dieser Voraussetzung hatte man natürlich in einer auf Befehl und Gehorsam basierenden militärischen Organisation wie der Star Force bessere Karten.
Gonzalez grinste, während er schwerelos durch die Kommandozentrale schwebte und sich dann an einem der Haltegriffe festhielt.
"Waren Sie nicht schon oft genug hier draußen, um vom Anblick des Mars nicht gleich eine Art Hypnose-Schock zu bekommen." Er lachte heiser.
Larson nickte. "Ich war oft hier draußen", bestätigte er. "Aber nach meinem Geschmack immer noch nicht oft genug."
"Ach, nein?"
"Es ist immer wieder auf's Neue faszinierend. Und wegen dieser Faszination bin ich zur Star Force gegangen..."
Gonzalez zuckte die Achseln.
"Wir werden hier einen knochentrockenen Job zu erledigen haben", erklärte er. "Ich hoffe, Ihre Gedanken sind dann da, wo sie sein sollten."
"Keine Sorge, Sir."
Der Kommandant der ARMSTRONG wandte sich an Lieutenant Celine Durant, die Funkerin. "Gibt es inzwischen irgend eine Reaktion auf unsere Signale, Lieutenant?"
"Nein, Sir, keinerlei Antwort."
"Verdammt, was denkt dieser Darran sich..."
"Sie gehen davon aus, dass er noch denken kann, Sir", mischte sich Larson ein.
"Um Ihre Meinung habe ich nicht gebeten, Sergeant Larson", erwiderte der Kommandant der ARMSTRONG eisig. Er wirkte angespannt. Die ganze Sache ging ihm ziemlich auf die Nerven.
Larson musterte seinen Vorgesetzten einige Augenblicke lang nachdenklich. Der Commander hatte dunkle Ringe unter den Augen.
Das ist der Unterschied zwischen uns beiden, überlegte Lieutenant Jeff Larson dann. Gonzalez fühlt sich genauso unwohl in seiner Haut wie ich - aber er würde das niemals zugeben, weil es einfach nicht zu seiner Vorstellung davon gehört, wie ein Commander zu sein hat.
"Eine Meldung des HQ", sagte jetzt Lieutenant Celine Durant und wandte dabei den Kopf. Sie trug ein Headset, dessen Bügel gleichzeitig verhinderte, dass ihre Haare in der Schwerelosigkeit buchstäblich zu Berge standen.
Gonzalez' Gesicht wirkte konzentriert. Ein Muskel zuckte unkontrolliert. Die Nasenflügel blähten sich leicht. Die Lippen bildeten einen dünnen Strich.
"Und?", fragte der Commander der ARMSTRONG
Celine Durant lächelte. "Im Orbit bleiben und auf Befehle warten."
"Na, so etwas habe ich gerne!"
"Tut mir leid, Sir, dass ich Ihnen keine besseren Nachrichten übermitteln kann..."
"Ist ja nicht Ihre Schuld, Lieutenant. Außerdem weiß man im Voraus nie, was sich am Ende als das ' Bessere' herausstellt."
"Sie sagen es..."
"Trotzdem, mir gefällt das nicht... Verdammt, warum kann sich da unten auf dem blauen Planeten keiner zu einer eindeutigen Entscheidung durchringen?"
"Sie können ja mal nachfragen, Sir!", sagte Celine Pioncheval.
Eine Bemerkung, die locker dahergesagt klingen sollte, aber genau den gegenteiligen Eindruck vermittelte.
Auf Befehle warten, echote es in Larsons Hirn. Die Befehle, auf die sie warten sollten, konnten unter Umständen bedeuten, auf die eigenen Leute zu schießen... Jedenfalls galt das für den Fall, dass Darran und seine Leute nicht umgekommen oder gefangengenommen waren, sondern schlicht und ergreifend eine Meuterei angezettelt hatten. Dann gab es verschiedene Optionen. Entweder Darran und seine Leute vom Weltraum aus vernichten oder hinunter auf die Planetenoberfläche gehen, um den Job dort zu erledigen.
Verdammt, ich bin nicht zur Star Force gegangen, um mich für so etwas herzugeben!, wurde Larson in diesem Augenblick bewusst.
Aber jetzt war er hier, hunderttausende Kilometer von der Erde entfernt, an Bord eines Raumschiffs, das einen Auftrag hatte, von dem der Sergeant alles andere als überzeugt war. In der Klemme, dachte Larson. So nennt man das wohl.
Vor unendlich langer Zeit musste ein Gesteinsbrocken von gigantischen Ausmaßen auf den Mars eingeschlagen sein. Nur einer von Hunderttausenden solcher Brocken, die ohne Bahn durch den Weltraum irrten, willfährige Spielbälle der Gravitationskräfte größerer Körper. Von Planeten zum Beispiel. Aber dieser eine Brocken hatte eine Spur hinterlassen, die bis heute sichtbar war. Den Lowell-Krater.
Es gab auch Krater vulkanischen Ursprungs auf dem Mars, wie etwa den Olympus Mons. Aber dieser Krater war durch einen gewaltigen Einschlag entstanden. Der Mars war übersät davon.
Vielleicht, so überlegte John Darran, während er auf die Bilder blickte, die der Bildschirm vor ihm zeigte, vielleicht war dieser Krater in der Frühzeit des Mars sogar mit Wasser gefüllt gewesen. Ein Binnenmeer, so wie es nach geologischen Erkenntnissen mehrere geben hatte. Möglicherweise sogar einen Ozean. Aber das war drei Milliarden Jahre her. Eine unvorstellbar lange Zeit.
Damals mochte der Mars vielleicht sogar primitive Formen von Leben getragen haben.
Fossile Überreste im Gestein sprachen dafür. Aber um höher entwickelte Lebensformen zu entwickeln waren die Bedingungen auf dem roten Planeten nicht lange genug günstig gewesen. Er hatte den Großteil seiner Atmosphäre in den Weltraum verloren, die Temperatur war gefallen und die Meere gefroren. Selbst wenn die Temperatur jetzt wieder angestiegen wäre, wäre der Atmosphärendruck einfach zu gering gewesen, um flüssiges Wasser zu halten.
Vielleicht kommen jetzt ja wieder bessere Zeiten für den Mars, dachte Darran. Mit Hilfe der Technologie der Fremden, die die von Robotern bemannten Schiffe gebaut hatten. Warum nicht?, dachte Darran. Raumhäfen, regelrechte Städte auf dem Mars. Vor seinem inneren Auge konnte er sie schon vor sich sehen. Durch die Roboter-Technologie war das alles keine reine Utopie mehr. Es war in den Bereich des Möglichen gerückt. Was war dagegen doch ein so armseliges Gebilde wie die Station Gamma, die die Menschheit im Lowell-Krater bislang unterhalten hatte... Nein, das war kein Vergleich.
Die Technologie der Fremden lässt sich für verschiedene Zwecke einsetzen, ging es ihm durch den Kopf. Aber die Zwecke, die sein eigenes Land, die Westunion, damit vermutlich im Sinn hatte, entsprachen nicht dem, was John Darran sich vorstellte. Eine Chance für die Menschheit, dachte er. Viel zu schade, um sie kleinkarierten Machtspielen auf der Erde zu opfern. Und genau das wird passieren.
Jeder, der auch nur einen Funken Verstand hat, kann das deutlich erkennen...
'Die Staaten, sie sind kalte Ungeheuer', erinnerte sich Darran an ein Zitat des Philosophen Friedrich Nietzsche. Das galt auch für jenen Staat, in dessen Diensten Darran offiziell immer noch stand.
Innerlich aber hatte er den Dienst in dem Moment quittiert, in dem ihm die Konsequenzen klargeworden waren.
Nach vorne blicken, John! Das Schwierigste steht dir noch bevor.
Und du weißt es nur zu gut...
Die EXPLORER II senkte sich langsam auf die Marsoberfläche.
Rötlicher Staub wirbelte auf. Er würde eine ganze Weile in der Atmosphäre bleiben, sich erst mit gewisser Verzögerung wieder auf den Boden senken. Eine Folge von niedriger Gravitation und geringem Atmosphärendruck.
Die Landung selbst war sehr sanft und ein äußerer Betrachter hätte kaum glauben können, dass der Pilot gerade erst den zweiten Flug mit dem ehemaligen Beiboot des havarierten und im Kampf stark beschädigten 200-m-Raumers der Fremden absolviert hatte.
Die Induktiv-Schulung, die John Darran und seine Männer über sich hatten ergehen lassen, machte es möglich, dass jeder von ihnen zumindest jetzt wenigstens über einen Teil des Wissens jener Wesen verfügten, die den von Robotern bemannten 200-m-Raumer geschickt hatten.
Darran hatte im Kommandosessel auf der Brücke der EXPLORER II platzgenommen. Er wirkte gelassen. Die innere Anspannung war ihm nicht anzusehen. Bald wird der Moment der Entscheidung kommen!, überlegte er. Aber dieser Moment musste sorgfältig abgewartet werden. Ein einziger Fehler und die Leute werden dir nicht mehr folgen, John Darran!
Das Risiko war immens. Für die Menschheit, für sein Land, die Westunion und für ihn persönlich. Denn was er vorhatte lief letztlich auf Meuterei hinaus... Man konnte es drehen und wenden wie man wollte. Schon jetzt hatte er Vabanque gespielt, in dem er alle Anfragen der Star Force Kommandos einfach ignoriert hatte. Ein Ritt auf der Rasierklinge. Eine Mission, die nicht gelingen konnte, wenn er die Unterstützung seiner Leute verlor.
Dieser Punkt ist der wichtigste!, wurde ihm klar.
Sein Blick war auf den Hauptschirm gerichtet, der die felsige Marslandschaft zeigte. Daneben waren Anzeigen über einen größeren Ausschnitt der Marsoberfläche zu sehen. In südwestlicher Richtung deutete sich einer der gefürchteten Stürme an, die durch die extrem dünne Marsatmosphäre tobten und dabei Unmengen von Sand bewegten. Von diesem war allerdings anzunehmen, dass er sich nur lokal auswirkte und vielleicht ein Gebiet von der doppelten Größe der Vereinigten Staaten buchstäblich durcheinanderwirbelte. Jedenfalls war der Bordrechner der EXPLORER II dieser Meinung. Und dessen Rechnerkapazitäten überstiegen alles, was es auf der Erde an Vergleichbarem gab. War also zu hoffen, dass seine Wettersimulationen etwas zuverlässiger waren als das, was die irdische Wettervorhersage so zustande brachte.
Der Sturm wird kommen, dachte Darran. So sicher wie die Erde durch das Auftauchen der fremden Raumer in den Strudel von Ereignissen galaktischen Ausmaßes gerissen wurde. Die Menschheit befand sich in einer Gefahr, von der auf der Erde noch kaum jemand etwas ahnte.
John Darran hatte innerlich längst die Konsequenzen daraus gezogen.
Er atmete tief durch, ließ den Blick schweifen.
"Wie wäre es, wenn Sie mich mal loben würden, Sir", meldete sich Lieutenant Rollins zu Wort.
John Darran blickte auf. "So wenig Selbstbewusstsein, Lieutenant?", fragte er. Mit den Gedanken war er jedoch nicht ganz bei der Sache.
Der Pilot grinste zufrieden. "War doch eine Musterlandung, meinen Sie nicht auch? So etwas soll mir erst einmal jemand nachmachen!"
Darran lächelte milde. Die Worte seines Piloten hatten ihn wieder aus seinen Gedanken zurück ins Hier und Jetzt gerissen.
"Sie haben recht, Lieutenant", fand er. "Ihre Landung war meisterhaft! Aber wenn Sie nicht der beste Pilot der Star Force wären, hätten Sie auch nicht die Ehre bekommen, diesen historischen Flug durchführen zu dürfen..."
Sein Gesicht wurde ernst. "Sir, ich bin mir dieser Ehre vollkommen bewusst!", erklärte er.
"Natürlich."
"Dieses Raumschiff hat ungeahnte Möglichkeiten, Commander!"
Rollins kratzte sich am Kinn. Seine Augen glänzten. Die Faszination, die er empfand, war ihm anzusehen. "Wir haben erst einen Bruchteil wirklich ausprobiert... Meine Güte, ich darf gar nicht daran denken, dass die EXPLORER II nur ein Beiboot ist."
Darran nickte. "Gebaut für einen 'lokalen Einsatz', Lieutenant!"
"Ja, nur, dass die Robot-Piloten wohl unter einem 'lokalen Einsatz' etwas verstehen, was für unsere Star Ships schon einer Reise ans Ende des Universums gleichkäme!"
"Sie sagen es."
"Das Mutterschiff dürften wir kaum wieder hinbekommen", meinte jetzt Captain Bert Vandoren, der für sein legeres Verhalten gegenüber Vorgesetzten berüchtigte Schiffsingenieur.
"Leider!", gab Rollins seinem Bedauern Ausdruck. "Wenn ich an die Möglichkeiten denke, die sich daraus ergeben könnten!"
Jetzt meldete sich Lieutenant Marc Johannsen zu Wort, der an Bord der EXPLORER II die Funktion eines Funkers und Navigators erfüllte.
"Commander, das Hauptquartier..."
"Ja, ich weiß", unterbrach Commander Darran.
"Bei allem Respekt, Sir - warum haben Sie bisher alle Anfragen des Oberkommandos ignoriert? Die machen sich Sorgen um uns, fragen sich ob wir überhaupt noch existieren..."
John Darran spürte auf einmal, wie sich die Blicke aller auf ihn richteten.
Jetzt ist er also gekommen, dachte Darran. Der Moment der Entscheidung. Er hatte ihn noch etwas aufschieben wollen, aber in Anbetracht der Umstände war das wohl nicht möglich.
Er erhob sich aus dem Kommandosessel, verschränkte die Arme.
"Was soll ich antworten, Commander?", fragte Lieutenant Johannsen. "Oder soll ich auch diese Anfrage einfach ignorieren - wie so viele zuvor?"
Rollins blickte Darran beinahe fassungslos an. "Ist das wahr, Commander? Sie haben Anfragen des HQ ignoriert?"
"Bei allem Respekt, aber ich denke, wir können eine Erklärung erwarten, Commander", sagte Marc Johannsen. Sein Gesichtsausdruck vermittelte Entschlossenheit.
Darran sah Johannsen an, hob die Augenbrauen. Der Commander begriff, dass Johannsen es sehr ernst meinte.
Jetzt lässt es sich nicht länger aufschieben, dachte Darran.
Er hob die Augenbrauen, sah Johannsen offen an.
"Was würden Sie vorschlagen, Lieutenant Johannsen?", erkundigte er sich.
"Ich?"
Johannsen war irritiert. Mit einer derartigen Gegenfrage hatte er nicht gerechnet. Er zuckte die Achseln, wandte dann den Blick kurz zu Rollins, der genauso verwirrt schien. Rollins kratzte sich am Hinterkopf. Eine Verlegenheitsgeste.
Darrans Tonfall blieb gelassen.
"Ja, Sie, Lieutenant Johannsen!", beharrte er. "Aber im Grunde ist das eine Frage, die auch jeden anderen von Ihnen angeht! Sie könnten dem Oberkommando mitteilen, dass wir mit Hilfe der Induktiv-Schulung ein Beiboot des havarierten Raumers beinahe so perfekt bedienen können, wie es eine Besatzung der Originalspezies vermögen würde! Wir könnten stolz berichten, dass wir das größte Machtmittel in Händen halten, das jemals in der Geschichte der Menschheit existiert hat... Keine Macht der Erde kann es mit uns aufnehmen. Die Waffentechnik der EXPLORER II hat zwar bislang noch keine echte Feuerprobe zu bestehen brauchen, wir können aber getrost annehmen, dass nicht einmal in den Geheimlabors von Westunion und PAZIV etwas auch nur halbwegs Vergleichbares entwickelt wurde..."
"Und wir wurden ausgeschickt, um diese Technologie für die Menschheit nutzbar zu machen", stellte Johannsen fest.
"Für die Westunion", korrigierte Darran.
"Meinetwegen: Für die Westunion", gestand Lieutenant Marc Johannsen zu.
Darran fuhr fort: "Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass unsere Regierung bereit wäre, diese Errungenschaften mit der Pazifischen Vereinigung zu teilen --- oder beurteilen Sie das anders?"
Johannsen zuckte die Achseln, verschränkte dann die Arme vor der Brust. "Warum auch?", meinte er. "Es wäre ja auch wohl gerade zu töricht, unseren Feinden das Messer in die Hand zu geben, mit denen sie uns die Gurgel durchschneiden können... So verflucht lange ist der große Krieg von 2031 schließlich auch noch nicht her!"
"Sehr richtig... Und jetzt denken Sie mal einen Schritt weiter! Wir bringen die EXPLORER II auf die Erde, landen damit vor dem Regierungssitz und sagen zu Präsident Berringer: Bitteschön, hier hast du ein tolles Spielzeug, mit dem du der PAZIV eins auswischen kannst! Haben Sie auch schonmal darüber nachgedacht, was dann geschehen wird?"
Schweigen herrschte.
Einige volle Sekunden lang sagte niemand ein Wort.
"Es wird Krieg auf der Erde geben", war schließlich Ron Sohlbergers unmissverständliche Analyse der Lage. "Entweder wird unsere eigene Regierung übermütig oder die PAZIV-Regierung schlägt zu, weil sie glaubt, dass sie hoffnungslos ins Hintertreffen gerät, wenn sie nicht bald etwas unternimmt..."
Darran nickte. Eins zu null, dachte er. Captain Ron Sohlberger schien seine Argumentation verstanden zu haben.
"Außerdem müssen wir damit rechnen, dass das Schiff, das den 2000-m-Raumer kampfunfähig geschossen hat, wieder hier im Sol-System auftaucht", war James O'Donnell, der Computerspezialist überzeugt.
Shebulaan, so nannte sich diese Spezies, wie sie aus den Speichern der Induktiv-Schulung wussten. Und da diese Shebulaan sich mit den Robotern, die den havarierten Kugelraumer bemannt hatten, offenbar im Krieg befanden, bedeutete dass, das zumindest eine der beiden Parteien der Menschheit feindlich gesonnen war.
Rollins nickte. "Und vermutlich wird das Shebulaan-Raumschiff nicht allein kommen. Wahrscheinlich werden diese Außerirdischen uns als Feinde betrachten... Schließlich fliegen wir mit einem Raumer ihrer Feinde durchs All, da liegt der Schluss ja auch nahe."
"Als Feinde?", zweifelte Captain Ron Sohlberger, der Waffenspezialist unter Darrans Leuten. Sohlberger schüttelte den Kopf. "Vielleicht eher als eine Art störendes Ungeziefer, das man beseitigen muss... Die militärischen Möglichkeiten der Westunion sind ein Nichts gegen die Macht dieser Außerirdischen. Und dasselbe gilt natürlich für die PAZIV! In dem interstellaren Krieg, der offenbar da draußen tobt, wären wir kein Machtfaktor. Noch nicht einmal jemand, den man überhaupt beachten müsste."
Darran war mit dieser Analyse der Lage durchaus einverstanden.
"Wir stehen kurz davor, in einen galaktischen Konflikt hineingezogen zu werden... In einen Konflikt, bei dem wir nicht die geringste Ahnung von den Hintergründen haben. Wir bewegen uns praktisch wie Blinde auf galaktischem Parkett. Und bislang sind wir so gut wie völlig schutzlos."
"Wen bezeichnest du jetzt als 'wir'?", fragte Major Net Rovan, ein Duzfreund Darrans. Seine Spezialität waren waghalsige Kommandounternehmen.
Darran drehte sich zu ihm herum. Er wechselte einen kurzen Blick mit dem Major.
"Wir? Das ist die Menschheit, Net", erklärte der Commander dann.
"Und die Westunion?", fragte Rovan zurück.
Darran zuckte die Achseln. Erkennst du das wirklich nicht, Net?, dachte er. Nein, es widerspricht allem, worauf er gedrillt wurde.
Allem, wofür er gelebt hat. Es gibt verdammt viel Gedankenmüll, den wir alle über Bord schmeißen müssen und ich kann nur hoffen, daß möglichst viele von uns das schaffen. Genug jedenfalls, um diese Sache durchzuziehen...
"Was bedeutet der Konflikt zwischen Westunion und PAZIV schon angesichts dessen, was da draußen auf uns wartet?", sagte Darran schließlich. Eine rhetorische Frage. Die Anwesenden schwiegen. Nach einer kurzen, effektvollen Pause fuhr Commander John Darran dann fort: "Nichts! Im kosmischen Maßstab gesehen bedeutet dieser Konflikt gar nichts! Er ist ein völlig bedeutungsloser Faktor, ein Kampf zwischen Kleinstaaten auf einem Primitiv-Planeten! Mehr nicht!" Darran atmete tief durch. Er sah die Zweifel in den Augen seiner Leute. Und er konnte sie sogar verstehen.
Schließlich hatten sie alle einen Eid geleistet, der Westunion loyal zu dienen. Und das, worauf Darrans Gedanken letztlich hinausliefen, war nicht mehr und nicht weniger als pure Meuterei...
So langsam begann das auch seinen Männern zu dämmern.
Und normalerweise wäre die Reaktion bei einigen von ihnen ziemlich heftig gewesen.
Normalerweise...
Aber es war nicht irgend jemand, dessen Gedanken praktisch auf Meuterei hinausliefen.
Es war John Darran. Und das natürliche Charisma des Commanders sorgte dafür, dass die Männer sich solche Äußerungen überhaupt anhörten.
Vielleicht hat der eine oder andere von ihnen ebenfalls bereits daran gedacht, überlegte Darran. Marc Johannsen zum Beispiel.
Johannsen hatte ja Gelegenheit genug dazu gehabt, das Hauptquartier der Star Force eigenmächtig zu informieren. Er hatte es nicht getan. Und das gewiss nicht ohne Grund. John Darran hielt das für ein gutes Zeichen.
Schließlich lagen die Konsequenzen ja auf der Hand, auch wenn vielleicht bislang noch nicht alle bereit waren, sie sich auch einzugestehen.
"Du traust unserer Regierung nicht, John", stellte Net Rovan fest.
Sein Tonfall klang klirrend kalt. John Darran registrierte das ganz genau. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass Net je so mit ihm geredet hatte...
John Darran nickte.
"Ganz recht", nickte er. "Ich misstraue der Regierung der Westunion in dieser Situation. Was würde denn passieren, wenn wir Ihnen die EXPLORER II und ihr Schwesterschiff, an dem unsere Leute gerade herumbasteln, überließen? Es wäre genau wie Captain Sohlberger es vorhin analysierte: Krieg oder Präventivkrieg!"
"Die verdammte PAZIV bekäme endlich mal eins auf die Nuss!", meinte Bert Vandoren, der offenbar so viel gar nicht gegen eine derartige Entwicklung einzuwenden hatte. Vielleicht entsprang seine Bemerkung aber auch einem Gewissen Hang zum Sarkasmus.
Er hatte das ziemlich flapsig dahingesagt, aber im Moment schien keinem der Anwesenden nach Humor dieser Art zu Mute zu sein.
Captain Vandoren zuckte einfach nur die Schultern, kratzte sich im Nacken.
Wieder folgte eine Pause.
Die Stille wurde nur durch einen piepsenden Signalton an einer der Konsolen unterbrochen. Ein nervtötendes Geräusch in dieser Situation.
"Wir wissen alle, was das bedeuten würde", meinte schließlich Ron Sohlberger. "Wie man es auch dreht und wendet, es läuft auf Krieg hinaus. Und was das bedeutet, haben wir 2031 gesehen.
Zumindest diejenigen, die alt genug sind, sich daran zu erinnern. Und damals hatten wir Glück, weil die ganz großen ballistischen Hammer in den Silos blieben... Sonst würden wir diesen Außerirdischen jetzt nur eine Strahlenwüste bieten."
"Für die Roboter vermutlich kein Problem!", meinte Marc Johannsen. Sein Grinsen wirkte gezwungen. Innerlich fühlte er sich längst nicht so locker, wie er tat. Es war einfach ein Versuch, die geradezu beklemmende Stimmung aufzubrechen, die sich an Bord der EXPLORER II breitgemacht hatte. Eine Stimmung, die daher rührte, dass im Endeffekt von jedem einzelnen eine Entscheidung verlangt werden würde. Eine Entscheidung, die einschneidende Konsequenzen für jeden an Bord nach sich ziehen würde. Und für die Menschheit im ganzen.
"Und darüber sind wir uns doch wohl alle einig: In der gegenwärtigen Situation wäre ein Krieg auf der Erde so etwas wie ein Selbstmord der Menschheit!", stellte John Darran fest. "Mit einem so glimpflichen Verlauf wie 2031 können wir nicht noch einmal rechnen. Die Waffenarsenale haben sich weiterentwickelt. Vielleicht können PAZIV und Westunion nicht mit der Waffentechnik der Kugelraumer mithalten, aber ihr Arsenal reicht imer noch aus, um mehr oder weniger die gesamte Menschheit zu vernichten."
"Und wie soll das Ihrer Meinung nach verhindert werden?", fragte Johannsen. "Durch Meuterei vielleicht?"
Er ist der erste, der es offen auszusprechen wagt!, registrierte Darran. Aber er war sich sicher, dass Johannsen sich über diese Konsequenz im Grunde schon länger klar war.
Commander John Darran nickte leicht.
"Sie sagen es, Lieutenant Johannsen", stellte er fest. Klar und eindeutig. Es gab keine Ausflucht mehr. Kein Drumherumreden. Die Alternativen lagen auf der Hand. Für jeden von ihnen. Augenblicke lang herrschte Schweigen. John Darran musterte nacheinander die Gesichter seiner Männer. Manche wichen seinem Blick aus.
"Das ist nicht Ihr Ernst!", protestierte schließlich Bert Vandoren.
"Ich sehe keinen anderen Weg. Wir dürfen die Beiboote des Roboter-Schiffs nicht aus der Hand geben", nickte John Darran.
Rollins fuhr sich mit einer fahrigen Geste über das Gesicht.
"Und dann?", fragte er. "Wie soll es dann weitergehen? Sollen wir hier auf dem Mars vielleicht so etwas wie eine unabhängige Macht gründen?"
"Warum nicht?", gab Darran zurück. Seine Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten. "Wir haben wahrscheinlich nicht viel Zeit..."
"Und die Konsequenzen?", fragte Johannsen. "Ich meine die Folgen, die so ein Unternehmen für jeden von uns persönlich hätte!"
Darran hob die Augenbrauen. "Wären die Folgen nicht unter Umständen viel schlimmer, wenn wir einfach den Befehlen des Star Force Oberkommandos folgen und ihm die Waffen der EXPLORER II zu Füßen legen?"
"Das klingt fast, als hätten Sie sich das gut überlegt, Commander!", versetzte Johannsen schneidend.
Darrans Augen wurden schmal.
"Seit wir zum ersten Mal den Kugelraumer betraten, denke ich an nichts anderes mehr", bekannte Darran. "Ich weiß, dass ein gewisses persönliches Risiko für jeden von uns dabei ist, aber ich sehe keine Alternative. Mit der Marsstation im Lowell-Krater haben wir etwas, das wir als eine Art Basis ausbauen können, von der aus wir operieren. Die Technologie der Roboter wird uns dabei helfen..." Der Commander ging auf Henson zu. Einige Augenblicke lang sahen sich die beiden Männer von Angesicht zu Angesicht an. "Wollen Sie noch immer das Oberkommando der Star Force informieren, Lieutenant?"
Johannsen biss sich auf die Lippen, die zu einem schmalen Strich geworden waren.
Er schüttelte schließlich den Kopf.
"Nein, Sir", murmelte er tonlos.
Darran hatte keine andere Antwort erwartet.
"Und was ist mit den anderen?" Der Commander der EXPLORER II drehte sich herum. "Wie ist Ihre Meinung? Bei dem, was ich vorhabe, bin ich auf jeden einzelnen von Ihnen angewiesen. Allein kann ich nichts ausrichten. Wenn Sie also der Meinung sind, dass Ihr Commander den Verstand verloren hat, dann verhaften Sie mich und liefern mich der Star Force aus. Johannsen braucht nur einen einzigen Knopf zu drücken..."
Wieder herrschte Schweigen.
Schließlich war es Rollins, der es als erster brach. "Verdammt, Sie haben recht, Commander. Ich bin dabei!" Er drehte sich herum. "Und was ist mit euch?"
Einer nach dem anderen nickte oder brachte ein halblautes "Ich auch" heraus.
Schließlich war die Reihe an Johannsen.
"Ich glaube, wir machen einen Fehler", sagte er. "Aber vielleicht machen wir einen noch größeren Fehler, wenn wir Commander Darran nicht folgen."
Ein erleichterter Ausdruck erschien auf Darrans Gesicht. Der Damm ist gebrochen, dachte er. "Ich hoffe, Ihnen ist klar, dass es kein Zurück von dieser Entscheidung gibt..."
Captain Ron Sohlberger meldete sich zu Wort. "Sie müssen eine Vollversammlung aller unserer Leute einberufen", meinte er. "Schließlich müssen wir uns auf jeden einzelnen verlassen können."
Sohlberger dachte natürlich vor allem an den Teil von Darrans Truppe, der zur Zeit noch immer damit beschäftigt war, das zweite 40-m-Beiboot des Kugelraumers instandzusetzen.
"Und was soll mit jenen geschehen, die unsere Entscheidung nicht mittragen können?", fragte Johannsen.
"Wir werden einen Weg finden, sie zur Erde zurückzuschicken", erklärte Darran.
Net Rovan, der alte Haudegen, atmete tief durch. Er verzog das Gesicht zu einem ziemlich gezwungen wirkenden Lächeln. Das Ganze ging ihm gehörig gegen den Strich, das lag auf der Hand. Andererseits sah aber auch er keine Alternative, als John Darrans Plan zu folgen.
"Wer hätte das gedacht," murmelte er dröhnend. "Werde ich doch tatsächlich noch auf meine alten Tage zum Renegaten!"
Darran lächelte dünn.
"Mit 42 sollten Sie noch nicht damit anfangen, mit dem Alter zu kokettieren, Major!", fand er.
Rovan grinste.
Aber selbst ihm, den sonst auch die brenzligste Situation nicht zu erschrecken vermochte, war anzusehen, wie mulmig er sich fühlte.
"Ein kleiner Haufen gegen die Welt und den Rest des Universums!", meinte er. "Das kann ja heiter werden..."
"Ich sehe keine andere Möglichkeit, Net!", meinte Darran ernst.
Rovan verschränkte die Arme. Es war ihm anzusehen, wie unwohl er sich in diesem Augenblick in seiner Haut fühlte. "Ich fürchte, du hast recht, John! Aber es gefällt mir ganz und gar nicht."
"Glaubst du mir?"
"Es wird ein Tanz auf der Rasierklinge."
Darran lächelte matt. "Für dich wohl kaum der erste, Net!"
"Ein schwacher Trost."
"Wo bleibt dein Optimismus?"
"Ich weiß, dass es keinen anderen Weg gibt. Aber ich weiß auch, dass ich die Hosen gestrichen voll habe bei der Sache. Und wenn du ehrlich bist, dann geht es dir nicht anders!"
"Dann werde ich heute mal nicht ehrlich sein", erwiderte Darran.
John Darran ließ eine Vollversammlung aller seiner Leute einberufen.
Sie trafen sich in der Kommandozentrale des Kugelraumers, dessen Beiboot Darran in EXPLORER II umbenannt hatte - benannt nach einem der vergleichsweise primitiven irdischen Star Ships, mit denen sie gekommen waren.
Es herrschte eine eigenartige Stimmung, während sich die Kommandozentrale mit den Männern der Star Force füllte.
Net Rovan betrachtete Darran von der Seite, bemerkte die Anspannung im Gesicht des Commanders.
Ein entscheidender Moment lag vor ihnen allen. Darran musste auch jene überzeugen, die während des letzten Probefluges der EXPLORER II auf dem Mars zurückgeblieben waren. Die meisten von ihnen waren damit beschäftigt gewesen, auch das zweite Beiboot des Kugelraumers wieder instand zu setzen. Nachdem sie der Induktiv-Schulung unterzogen worden waren, war das ein lösbares Problem geworden.
Er muss alles auf eine Karte setzen, dachte Net Rovan, während sein Blick noch immer auf dem Commander ruhte. Eine andere Möglichkeit bleibt ihm nicht. Er hat sich jetzt so weit vorgewagt - für ihn gibt es kein Zurück mehr.
Rovan atmete tief durch.
Er konnte sich nicht erinnern, jemals bei irgendeinem Kommandounternehmen oder in einer anderen brenzligen Situation, in die er als Angehöriger der Star Force geraten war, ein derart mulmiges Gefühl in der Magengegend empfunden zu haben.
Hängt vielleicht damit zusammen, dass du in solchen Augenblicken nie Zeit genug zum Nachdenken hattest!, überlegte Rovan.
Die Star Force Männer sahen Darran erwartungsvoll an.
Gemurmel entstand unter jenen, die noch nichts von John Darrans Plan wussten.
Darran wandte den Kopf.
Sein Blick traf sich mit dem Net Rovans.
"Was machen wir, wenn einige nicht bereit sind, ihr ganzes irdisches Leben hinter sich zu lassen und Ihnen zu folgen, Commander?", raunte Rovan.
Darran hob die Augenbrauen.
"Dann werden wir das akzeptieren müssen!"
"Sollen wir sie einfach davonziehen lassen?"
"Sie könnten ein Star Ship nehmen und damit zur Erde zurückfliegen. Aber warten wir erstmal ab!"
"Viel Glück, John!", sagte Rovan dann.
Darran nickte nur leicht. Davon werde ich jetzt eine ganze Menge brauchen, dachte er.
Schließlich waren sie alle vollzählig.
Totenstille herrschte in der Kommandozentrale des Kugelraumers.
Alle Augen waren auf den Commander gerichtet. Jeder der Anwesenden spürte, dass dies keine gewöhnliche Dienstbesprechung war. Keine Besprechung wie Dutzende andere zuvor. Deutliche Anspannung machte sich bei den Star Force-Leuten bemerkbar.
Jeder im Raum wusste, dass etwas sehr wichtiges bevorstand.
"Wir haben ein Problem", begann Darran. "Und deswegen habe ich Sie alle hier zusammengerufen. Vielleicht wird sich der eine oder andere von Ihnen auch bereits Gedanken darüber gemacht haben. Spätestens seit Sie die Induktiv-Schulung absolviert haben und die wahre Macht der außerirdischen Technologie abzuschätzen in der Lage sind." Und dann setzte John Darran ihnen seine Gedanken auseinander wie zuvor schon den Männern an Bord der EXPLORER II.
Er sprach mit ruhiger, überlegt klingender Stimme, brachte die Argumente mit der nötigen Nüchternheit vor - ließ aber auch die Zweifel erkennen, die ihn geplagt hatten. Zweifel, die er jetzt zu Gunsten einer klaren Entscheidung in den Hintergrund gedrängt hatte.
Das musste einfach sein. Die Zeit des Zögerns und der Überlegung musste zu Ende gehen. Jetzt musste gehandelt werden. Bevor andere handelten.
Nachdem John Darran geendet hatte, herrschte einige Augenblicke lang wieder Stille.
Einigen der Gesichter sah man an, wie schockiert sie waren.
Ein Commander der Star Force rief sie alle zu nichts weniger auf als zum Ungehorsam gegenüber jener Organisation, der sie alle dienten. Zum Hochverrat gegenüber der Nation, der sie dienten – der Westunion, die für sie alle die Freiheit und den Fortschritt symbolisierte.
"Das ist Meuterei!", rief jemand. "Schlicht und ergreifend Meuterei! Es mit einem anderen Begriff zu bezeichnen wäre Verharmlosung!"
Darrans Blick schwenkte herum.
Er sah in das schreckverzerrte Gesicht von Sergeant Pablo Maranas. Ein Gemurmel entstand. Hier und da regte sich Zustimmung und Empörung.
"Ich weiß, was ich verlange, vor welche Wahl ich Sie stelle", erklärte Darran und das Gemurmel legte sich wieder. Die natürliche Autorität Darrans zeigte Wirkung. "Jeden einzelnen von Ihnen... Und ich weiß auch, dass ich im Grunde von jedem hier erwarte, dass er alles Bord wirft, woran er sein bisheriges Leben lang geglaubt hat. Von der Karriere und solchen banalen Dingen mal ganz abgesehen, dass ist ein anderes Kapitel. Aber auch das will ich nicht unterschätzen!"
Darran registrierte, dass seine Autorität noch ihre Wirkung zeigte.
Aber ihm war sehr wohl bewusst, dass die Stimmung im Handumdrehen kippen konnte. Alles stand auf Messers Schneide.
"Verdammt nochmal, warum glauben Sie eigentlich, besser dafür geeignet zu sein, über das Schicksal der Erde zu entscheiden als unsere Regierung?", rief Maranas erbost.
Einige andere Männer knurrten etwas, das wie verhaltene Zustimmung klang.
"Ja, wie kommt er eigentlich dazu?"
"Hält er sich für einen Übermenschen oder so etwas?"
"Verdammt, setzen wir ihn fest und stecken ihn in eine Arrestzelle!"
Darran blieb gelassen.
Er verstand diese Leute nur zu gut.
Was er ihnen vorgeschlagen hatte, musste geradezu ungeheuerlich in ihren Ohren klingen.
"Bis unsere Regierung den Ernst der Lage wirklich erkannt hat, wird es längst zu spät sein. Wir müssen jederzeit damit rechnen, dass die fremden Angreifer, die den Kugelraumer kampfunfähig geschossen haben, zurückkehren... Und bis dahin müssen wir alles tun, um vorbereitet zu sein."
"Das ist doch illusorisch!", meinte Sergeant Norman Coburn kopfschüttelnd. Darran kannte ihn gut. Coburn war eigentlich ein gutmütiger Mensch, aber man tat besser daran, seine Reizschwelle nicht zu überschreiten...
Aber diesmal konnte ich ihm das nicht ersparen!, dachte Darran.
Der Commander bedachte den Sergeant mit einem ruhigen Blick.
Die sonore Stimme strahlte Sicherheit aus. Viel mehr Sicherheit, als Darran selbst in diesem Moment empfand. Aber nach außen hin durfte er jetzt keine Schwäche zeigen, durfte keinerlei Zweifel an seiner Entschlossenheit aufkommen lassen. Nur so konnte er diese Leute überzeugen. Stärke zeigen, das ist es...
"Wir müssen es versuchen", erklärte Darran. "Jedenfalls bin ich fest entschlossen dazu. Ich bin nicht bereit, einfach die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten, was passiert. Wir wissen so gut wie nichts von dem, was da draußen in der Galaxis vor sich geht... Aber was unten auf der Erde mit dem Wissen der Fremden passieren wird, das lässt sich an den Fingern einer Hand ausrechnen. Die PAZIV und die Westunion werden sich zerfleischen, um in den Besitz der Alien-Technologie zu kommen... Es geht um die Menschheit, Sergeant Coburn!"
Ein anderer Sergeant meldete sich Wort.
Er hieß Rufus Blackwood, war 39 Jahre alt und eine Art Mädchen für alles, was technische Dinge anging. Seine Ärmel waren hochgeschoben, so dass man die tätowierten Unterarme sehen konnte.
"Ich hatte immer einen verdammt großen Respekt vor Ihnen Commander", erklärte er, räusperte sich dann und druckste etwas herum. Mit einer nervösen Geste fuhr er sich über das Gesicht. Dann endlich sprach er weiter. "Ich nehme an, dass jeder von uns Angehörige unten auf der Erde hat. Menschen, die uns wichtig sind, die wir lieben... Haben Sie daran mal gedacht, Commander?"
Commander Darran nickte.
"Ja, das habe ich. Es geht mir da nicht anders als Ihnen allen."
"Wir werden lange nicht zurückkehren können, wenn wir Ihnen folgen, Commander."
"Das ist nicht auszuschließen. Aber wenn wir es nicht tun, dann gibt es 'da unten' wie Sie sich ausdrückten vielleicht schon bald niemanden mehr... Jeder von Ihnen hat eine Induktiv-Schulung hinter sich. Und wenn Sie damit auch nicht das komplette Wissen jener Spezies besitzen, die den Kugelraumer ursprünglich benutzte, so wissen Sie doch mehr als genug, um sich vorzustellen, was ein Schiff wie die EXPLORER II in den falschen Händen bedeutet..."
"Der Commander hat recht!", mischte sich nun Sergeant Cole Indish ein, ein dunkelhaariger Mechaniker, von dem Darran wusste, dass man sich absolut auf ihn verlassen konnte. "Wir dürfen es einfach nicht zulassen..."
Coburn war noch immer skeptisch. "Wir müssten Verstärkung haben! Mit dieser Handvoll Leute können wir kaum etwas ausrichten."
"Das stimmt", gab Darran zu. "Wir werden uns verstärken müssen."
"Und wie soll das geschehen?"
"Wir werden früher oder später mit der EXPLORER II oder ihrem Schwesterschiff auf der Erde landen und alle diejenigen aufnehmen, die sich uns anschließen wollen. Manche werden wir gezielt ansprechen müssen. Fachkräfte, Wissenschaftler, Techniker... Mit Hilfe der Technologie des Kugelraumers werden wir hier eine neue Macht aufbauen, die vielleicht verhindern kann, dass für die Erde der jüngste Tag anbricht."
"Und wo sollen all diese Leute wohnen?", fragte Rufus Blackwood. "Hier im Wrack des Kugelraumers vielleicht? In der Station im Lowell-Krater dürfte es auch ziemlich eng werden..."
"Und wenn die Feinde der Roboter zurückkehren, dann dürfte ein einziger Schuss genügen, um dieser 'neuen Macht' ein Ende zu setzen!", kommentierte Cole Indish ziemlich bissig.
Gemurmel brandete durch den Raum.
John Darran hob die Hände. Es dauerte eine Weile, bis die Anwesenden sich wieder einigermaßen beruhigt hatten.
"Wir werden diese Station mit Hilfe der fremden Technologie, die uns in die Hände gefallen ist, umbauen", kündigte Darran an. Er machte eine Pause, ging ein paar Schritte nach vorn und blieb dann stehen. Sein Blick musterte die Gesichter seiner Leute. Schließlich fuhr er fort: "Wir werden daraus Port Mars machen, eine unabhängige Stadt auf dem Mars, die es mit jeder Macht der Erde aufnehmen und in einiger Zeit vielleicht sogar Bedrohungen von außerhalb des Sonnensystems die Stirn bieten kann..."
Port Mars - ein Name, der wie ein Programm klingt!, dachte Net Rovan, während er den Worten des Commanders zuhörte.
Es wird nie wieder so werden wie es war, ging es ihm dann durch den Kopf. Die Zeiten, in denen der Mensch annehmen konnte, allein im Kosmos zu sein waren vorbei. Und damit auch die Zeiten, in denen sich die Menschheit vor allem darauf konzentriert hatte, sich selbst an den Rand des Abgrunds zu bringen...
Seltsam, dachte Rovan. Jeden anderen, der so daherredet wie der Commander, hätte ich für einen Spinner gehalten. Aber bei ihm klingt es so, als gäbe es gar keine Alternative.
"Ich kann niemanden dazu zwingen, sich meinem Plan anzuschließen", sagte Darran. "Wenn jemand von Ihnen dagegen ist, soll er es sagen. Wir werden für diejenigen, die sich uns nicht anschließen wollen, versuchen, eine Möglichkeit zur Rückkehr zu finden..."
Niemand meldete sich.
"Dann gehe ich davon aus, dass ich mich weiterhin so auf Sie verlassen kann, wie bisher."
Zustimmendes Gemurmel ertönte.
Net Rovan trat näher an Darran.
"Ich glaube, du hast gewonnen, John!"
Aber John Darran schüttelte den Kopf.
"Dies ist der Anfang", sagte er.
Ihm war bewusst, dass die tatsächlichen Bewährungsproben erst noch vor ihm lagen.
Und darum wollte sich ein Gefühl der Erleichterung auch nicht einstellen.
Robert Berringer, seines Zeichens für acht Jahre gewählter Präsident der Westunion, nahm die Datenbrille von den Augen und legte sie auf den Schreibtisch. In der letzten halben Stunde hatte er sich mit Hilfe der Brille die Ermittlungsergebnisse angesehen, die den jüngsten Attentatsversuch auf General Wilbert T. McCloud, den Chef der Star Force, betrafen.
Die Angelegenheit hatte Berringer ziemlich mitgenommen. Nicht in erster Linie aus persönlicher Anteilnahme, sondern weil der Vorfall gezeigt hatte, wie leicht das Sicherheitsnetz reißen konnte, dass die höchsten Stellen der Westunion umspannte.
Im Fall der Fälle steht jeder aus der Führung doch wie auf dem Präsentierteller da!, ging es dem Präsidenten durch den Kopf. Es war eine schlichte, grausame Wahrheit. Absolute Sicherheit gab es nicht.
Sie existierte einfach nicht. Bestensfalls war sie eine Illusion.
Eine Illusion, die jetzt verblasst ist!, ging es Berringer durch den Kopf.
Ein leicht melancholischer Zug machte sich in seinem Gesicht breit.
Wirst du auf deine alten Tage jetzt etwa weinerlich? Du hast doch noch so viel vor. Spar dir diese Art von Gefühlen für deinen Ruhestand auf... Vielleicht kannst du sie dir dann leisten!
Offenbar hatte die von der PAZIV gesteuerte Spionage Ausmaße erreicht, die Berringers furchtbarste Alpträume in dieser Hinsicht bei weitem übertrafen.
Die PAZIV hatte sich in erster Linie auf die Erschließung der Meere für den Menschen verschrieben. Die Besiedlung anderer Planeten war von den dortigen Machthabern mehr oder minder als utopisch angesehen worden. Etwas, das in absehbarer Zeit nicht zu verwirklichen war. Vorhandene Weltraumprogramme in Indien und China waren danach mehr und mehr eingestellt und schließlich auf ein Minimum zurückgefahren worden, das gerade noch ausreichte, Satelliten in stabile Umlaufbahnen zu schießen und dort zu halten.
Anders die WU.
Sie hatte die Zukunft der Menschheit immer im Weltraum gesehen. Die Stationen auf dem Mond und dem Mars legten davon Zeugnis ab.
Aber die überlegene Weltraumtechnik der WU ließ sich natürlich auch wunderbar für den Einsatz auf U-Booten oder in den Unterwasserstädten der PAZIV anwenden. Ganz abgesehen von der Möglichkeit, sie in der Waffentechnik einzusetzen. Es war also alles andere als verwunderlich, dass die PAZIV schon seit Jahren versucht hatte, ein dichtes Spionagenetz über die gesamte WU auszubreiten.
Aber das, was nun geschehen war, ging über alles bisherige hinaus.
Das ist Krieg!, dachte Berringer. Ein verdeckter, unerklärter Krieg, geführt mit den Mitteln der Spionage... Ein Krieg der kleinen bis mittleren Nadelstiche. Immerhin vermied diese Form der Auseinandersetzung den Einsatz des großen Nuklear-Hammers.
Wenn Berringer auch sonst nichts Positives darin zu sehen vermochte, so beruhigte ihn doch die Tatsache etwas, dass das derzeitige Niveau der Eskalation immer noch verhältnismäßig niedrig anzusiedeln war.
Berringer würde darauf reagieren müssen.
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, unterdrückte ein Gähnen.
Bei dem Mann, der jetzt den Raum betrat, handelte es sich um Darius Carrow, einen der zahlreichen Sicherheitsberater des WU-Präsidenten. Er war klein und drahtig. Das gelockte Haar hing ihm bis in die Stirn. Die Anzüge, die er trug, waren von einem Schneider in Mailand nach Maß angefertigt worden.
"Guten Morgen, Sir", sagte Carrow.
Berringer nickte ihm zu, wies auf einen der dunklen Ledersessel im Raum.
"Setzen Sie sich, Carrow."
"Danke, Sir."
"Einen Drink?"
"Nein danke, Sir."
"Aber Sie haben nichts dagegen, wenn ich mir einen genehmige..."
"Natürlich nicht."
Berringer stand auf, ging zu einem gut getarnten und perfekt an das Ambiente angepassten Getränkeschrank und holte sich eine Flasche Bourbon heraus, dazu ein Glas. Carrow registrierte, dass die Flasche bereits halb leer war und fragte sich, innerhalb welchen Zeitintervalls der Präsident den fehlenden Rest wohl geleert haben mochte. Manche Dinge lassen sich wohl nur mit chemischer Unterstützung ertragen, dachte Carrow zynisch. Er hatte Berringer während des Wahlkampfes erlebt und wusste, dass der Präsident in Krisensituationen zum Bourbon griff. Angemerkt hatte man das Berringer nie.
"Gibt es irgendetwas Neues über diese Dean-Berkewitz-Sache?", fragte der Präsident schließlich.
Carrow schüttelte den Kopf.
"Nein, Sir. Wir nehmen an, dass der Spionagering um Berkewitz zerschlagen ist."
"Es muss doch Verbindungen zu anderen Gruppen geben! Lässt sich da denn nicht..."
"Unsere Sicherheitsorgane verstehen ihr Handwerk, Sir", versicherte Carrow. "Aber sie verfügen nicht über die Fähigkeit der Zauberei. Sämtliche Spuren wurde sorgfältig verfolgt. Vor allem natürlich Datenspuren, die die Mitglieder dieses Rings in den Kommunikationssystemen hinterlassen hatten."
"Und?"
Carrow zuckte die Achseln. "Ich nehme an, dass diese Leute einfach sehr geschickt waren. "
"Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass sich so etwas wie dieses versuchte Attentat auf General McCloud wiederholt?", erkundigte sich der Präsident.
Carrow machte ein unbestimmtes Gesicht. Er hat Angst, der nächste zu sein, der auf der Liste des PAZIV-Geheimdienstes steht, überlegte Carrow. Eine sehr verständliche, naheliegende Angst, die Carrow gut nachvollziehen konnte. Die Arme des PAZIV-Geheimdienstes schien buchstäblich überall hin zu reichen. Jede noch so abgeschottete Institution schien vom Feind unterwandert. Überall lauerten Agenten im Verborgenen, die nur darauf warteten, im Interesse ihrer Auftraggeber loszuschlagen... Oder ist es etwas anderes, was ihn so verunsichert erscheinen lässt?, ging es Darius Carrow durch den Kopf.
Carrow kannte den Präsidenten wie kaum ein zweiter. Und er gehörte zu den wenigen Menschen, die das Vertrauen des mächtigsten Mannes der Westunion besaßen. Carrow hatte schon zu Berringers Team gehört, als der jetzige Präsident noch ein mehr oder minder bedeutungsloser Provinzpolitiker gewesen war, der sich mit aller Kraft nach oben zu strampeln versuchte. Carrow war mit ihm 'nach oben' gespült worden. Bis ins Zentrum der Macht. Eigenartigerweise war ihm Berringer auf diesem langen gemeinsamen Weg immer fremder anstatt vertrauter geworden.
"Ich kann Ihnen Ihre Frage nicht beantworten, Sir", sagte Carrow schließlich. "Wir haben die Informationsbeschaffung im Raum der PAZIV seit langem völlig vernachlässigt. Das ist nicht Ihre Schuld, sondern vor allem Ihren Vorgängern zuzuschreiben..."
Berringer lehnte sich zurück, stützte den Kopf auf der Handfläche.
"Ich weiß", sagte er.
Die Westunion hatte stets auf ihre technologische Überlegenheit gesetzt. So hatten ihre Nachrichtendienste seit Jahren schon kaum noch Agenten 'vor Ort'. Man hatte sich vor allem auf Überwachung der elektronischen Datenströme und umfangreiche Abhörmaßnahmen verlassen, um über Entwicklungen im PAZIV-Machtblock informiert zu sein.
Ein Fehler, wie sich jetzt langsam herausstellte.
Die PAZIV war den klassischen Weg gegangen, hatte von langer Hand ihre Agenten im anderen Machtblock etabliert.
So etwas ließ sich natürlich nur über einen Zeitraum vieler Jahre aufbauen.
"Wir können diesen strukturellen Nachteil auf unserer Seite nicht im Handumdrehen ausgleichen, Sir", erläuterte Carrow.
"Leider muss ich Ihnen recht geben."
"Ich habe eine detaillierte Gefahrenanalyse in Auftrag gegeben", erklärte Carrow. "Sobald die vorliegt, können wir uns darüber unterhalten, welche Konsequenzen gezogen werden müssen. Bis dahin würde ich an Ihrer Stelle mit dem Schlimmsten rechnen."
Berringer hob den Kopf. Seine Züge veränderten sich. Tiefe Furchen bildeten sich auf seiner Stirn. In seinen Augen flackerte es unruhig. Er trank das Bourbon-Glas leer, schenkte sich sogleich nach.
"Mit dem Schlimmsten?", echote er.
Carrow nickte. "Maulwürfe und Saboteure selbst in den höchsten Rängen. Der PAZIV-Geheimdienst hatte wahrlich Zeit genug, um sein Spionagenetz aufzubauen. Und wie der Attentatsversuch auf General McCloud zeigt, können sie überall zuschlagen..."
"Für McCloud galt schließlich auch Sicherheitsstufe eins..."
"So ist es."
"Offenbar ist auf nichts mehr Verlass."
"Sie müssen vorsichtiger sein denn je."
"Wem sagen Sie das!"
Berringers Finger tickten nervös auf der Sessellehne herum. Er schien ins Nichts zu blicken und über irgendetwas nachzudenken. Ein harter Gesichtsausdruck dominierte seine Züge.
Vielleicht bedauert er insgeheim, dass das Attentat gescheitert ist!, überlegte Carrow. Abwegig war dieser Gedanke nicht. Berringer war ein eiskalt kalkulierender Machtmensch. Und wenn McCloud aus dem Weg gewesen wäre, hätte das im Moment für Berringer einiges an Problemen gelöst.
Insbesondere, was die John Darran-Expedition anging. Der General hatte immer seine Hand über Darran gehalten. Wenn es nach Berringer gegangen wäre, hätte man Darran niemals die Leitung dieser Mission anvertraut, sondern jemandem, der in den Augen des Präsidenten zuverlässiger war.
Berechenbarer.
Jemand, der keine Extra-Touren machte, der Befehle bindungslos ausführte, ohne nach dem Grund zu fragen oder sich irgendeinen eigenständigen Gedanken zu der Angelegenheit zu machen. Aber McCloud hatte anders entschieden. Ein Fehler, wie in Berringers Beurteilung längst feststand. Ein Fehler, dessen ungeheure Tragweite noch gar nicht absehbar war.
"Da Sie gerade den Namen McCloud erwähnten", begann der Präsident.
Carrow erriet Berringers Gedanken.
"Sie denken an Darran."
"Hat er sich inzwischen gemeldet?"
"Nein, hat er nicht. Die Star Ships warten im Orbit und warten auf Ihre Befehle."
"Ein unhaltbarer Zustand."
"Dann ändern Sie ihn!"
Berringer atmete tief durch. "Was glauben Sie, was auf dem Mars geschehen ist?"
"Jede Äußerung dazu wäre reine Spekulation, Sir!", versuchte Carrow sich aus der Bredouille zu ziehen.
Berringer lächelte matt. "Dann spekulieren Sie mal!", forderte er seinen Sicherheitsberater auf. "Na, los! Was schwirren in Ihrem von Intelligenz nur so berstenden Schädel für Gedanken herum?"
Carrow quittierte diese Bemerkung mit Gleichmut.
"Niemand weiß, was auf dem Mars geschehen ist, Sir. Möglich, dass die Außerirdischen - oder auf wen immer Darran und seine Leute in dem fremden Raumschiff getroffen sind - unsere Crew niedergemacht haben. Für diese Version spricht auch, dass im Anschluss daran ein weiteres Schiff der Außerirdischen ein paar Flüge im Bereich zwischen Erde und Mars durchgeführt hat..."
Berringer nickte leicht. Das fremde Schiff war unter anderem auch auf die Star Force Flotte getroffen, die Darrans Crew hinterhergesandt worden war.
"Ja, was Sie sagen hat was für sich", murmelte er etwas abwesend, blickte dabei gedankenverloren auf das Etikett seiner Bourbon-Flasche.
Er hörte Carrows Worten zu, der fortfuhr: "Bei diesem - deutlich kleineren! - Raumschiff handelt es sich vermutlich um ein Beiboot der auf dem Mars havarierten Einheit. Jedenfalls ergeben das alle Untersuchungen, die diesbezüglich angestellt wurden."
"Das bedeutet, dass es Überlebende auf dem havarierten Raumer gab!", stellte Berringer fest.
"Richtig. Und ob die unsere Leute mit offenen Armen empfangen haben, möchte ich doch stark bezweifeln."
"Es gäbe auch noch eine andere Erklärung", sagte Berringer gedehnt. Er machte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf und sah seinem Sicherheitsberater direkt in die Augen.
"Und die wäre?", fragte Carrow.
"Hielten Sie es für abwegig, dass John Darran und seine Leute es vielleicht geschafft haben, eines der Beiboote des havarierten Raumers flugtauglich zu machen und es zu benutzen?"
Ach, darauf läuft es hinaus!, dachte Carrow. Er misstraut Darran!
Von Anfang an war das der Fall. Ich frage mich, wieso er nicht verhindern konnte, dass ein Mann die Leitung der Mars-Expedition übernimmt, dem der Präsident offensichtlich ALLES zutraut...
Carrow hob die Augenbrauen.
"Wenn es Darran und seine Leute waren, die in dem fremden Raumer saßen - warum haben Sie dann keine Signale gegeben?"
"Ebenfalls eine interessante Frage, Carrow."
"Sie denken an Meuterei?"
"Sieht es für Sie nach etwas anderem aus!"
Carrow mochte es nicht, wenn man eine Frage mit einer Gegenfrage beantwortete. Er mochte es auch nicht, wenn jemand dadurch versuchte, ihn zu manipulieren. Berringer schien darin ein Meister zu sein. Erprobt in hunderten von Fernsehauftritten, die er als Politiker zu absolvieren gehabt hatte. Wie viele Male hatte Carrow das schon erlebt! Zu oft, um es nicht sofort zu bemerken. Bei Auftritten vor den Medien konnte es überlebenswichtig sein, unangenehmen Fragen möglichst geschickt aus dem Weg zu gehen und den Gesprächspartner in die Richtung zu manipulieren, in die man das Gespräch sich entwickeln lassen wollte.
Berringer bemerkte die Überraschung in Carrows Gesicht.
Ein dünnes Lächeln bildete sich um die Mundwinkel des Präsidenten herum.
"Was würden Sie tun, wenn Sie durch Zufall in den Besitz des größten Machtmittels gelangen würden, das im Umkreis von mindestens einem Lichtjahr existiert?", fragte er und sein Blick schien Carrow dabei geradezu zu durchbohren, so intensiv wirkte er in diesem Augenblick.
Carrow zögerte.
"Nun..."
Der Sicherheitsberater war niemand, der schnell aus der Deckung kam. Nicht einmal gegenüber einem Mann wie Berringer, den er so lange kannte.
Präsident Berringer fuhr den Zeigefinger seiner linken Hand wie eine Waffe aus und richtete ihn auf den Sicherheitsberater.
"Denken Sie einen Augenblick darüber nach, Carrow, bevor Sie antworten. Sie müssen zugeben, dass die Versuchung gewaltig ist."
Carrow lehnte sich zurück, rutschte etwas auf seinem Sessel herum.
"Von welcher Versuchung sprechen Sie?", fragte er dann. "Meinen Sie, Darran sitzt im Beiboot eines außerirdischen Raumschiffs und versucht uns eines Tages damit zu erpressen? Glauben Sie das wirklich?"
"Das wäre eine Möglichkeit."
"Ich weiß nicht, Sir!"
"Oder er verkauft dessen Technologie an unsere Feinde - womit er derart reich werden könnte, dass sein Einfluss zwangsläufig größer wäre als der jeden anderen lebenden Menschen."
Carrow versetzte es einen Stich.
Er bezeichnet die PAZIV bereits als 'unsere Feinde'!, ging es dem Sicherheitsberater siedend heiß durch den Kopf. Er hat nicht 'Gegner' oder 'die andere Seite' gesagt, sondern wirklich 'Feinde'...
Das ließ für die Zukunft nichts Gutes erwarten. Carrow stand jeder Form kriegerischer Auseinandersetzung gegenüber auf rein emotionaler Basis reserviert gegenüber. Mehrere Mitglieder seiner Familie waren im großen Krieg von 2031 ums Leben gekommen. Ein Trauma, das bis heute an ihm nagte.
Hat er damit nicht eigentlich recht?, meldete sich eine andere Stimme in Carrows Kopf. Die PAZIV – unser Feind... Der Präsident hat doch nur ausgesprochen, was der Realität entspricht.
Carrow wusste das am besten.
Schließlich gehörte er, was Sicherheitsfragen anging, zu den bestinformierten Personen des ganzen Planeten.
Wenn er Berringer im Grunde auch recht geben musste, so blieb doch ein Rest an Unbehagen. Zuerst erkannte Carrow nicht gleich, womit dieses Unbehagen zu tun hatte, doch dann begriff er es: Berringer machte nicht einmal den Versuch, zu verhindern, dass alles auf eine Konfrontation mit der PAZIV hinauslief. Er hatte dies als feststehende Größe der zukünftigen Entwicklung vollkommen akzeptiert.
Für ihn ist die Frage nur noch, wann es zum großen Knall kommt und wie gut die Westunion darauf vorbereitet ist!, erkannte Carrow.
Und du? Bist du nicht irgendwann einmal in den Dunstkreis der Politik gegangen, um genau soetwas zu verhindern? Hast du dicht nicht genau aus diesem Grund zu einem Spezialisten für Sicherheitsfragen ausbilden lassen? Vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, alles hinzuwerfen...
Mit einemmal war es Carrow klar, dass er bei Berringer nicht mit Klugheit und Besonnenheit rechnen konnte, wenn es um den Umgang mit der PAZIV ging. Berringer würde nichts dafür tun, um das aufzuhalten, was Carrow für eine Katastrophe hielt.
Wie hast du je etwas anderes glauben können?, dachte er. Reines Wunschdenken wahrscheinlich.
Er bemerkte Berringers auf sich gerichteten Blick.
Carrow zuckte beinahe etwas zusammen. In seinem Inneren herrschte ein Gedankenchaos.
Wenn du jetzt die Brocken hinwirfst, wird alles nur schlimmer!, dachte er. Vielleicht kannst du die Entwicklung so gut es geht beeinflussen...
"Wie sollen wir Ihrer Meinung nach reagieren?", fragte Berringer.
"Unsere Star Ship Flotte hat den Mars erreicht und dort befindet sich auch das Beiboot, von dem ich annehme, dass sich an Bord ein gewisser John Darran mit seinen größenwahnsinnigen Renegaten befindet."
"Eine Annahme, die bisher nichts weiter als Spekulation ist!", gab Carrow zu bedenken.
"Eine sehr begründete Spekulation", erwiderte der Präsident und lehnte sich dabei zurück.
Carrow wurde klar, worauf der Präsident der Westunion hinaus wollte. Wenn Berringers Vermutung der Wahrheit entsprach, dann stellte John Darran und seine Leute eine massive Bedrohung der nationalen Sicherheit dar.
Und das wiederum hatte zur Konsequenz, dass man sie eliminieren musste, um Schlimmeres zu verhindern. Ein Schluss, der sich aufdrängte.
Er will, dass ich es bin, der das ausspricht, dachte Carrow.
"Reicht die Bewaffnung der Star Ships aus, um überhaupt etwas gegen die Waffen der Fremden auszurichten?", fragte Carrow.
"Das ist noch nicht ausprobiert worden!"
"Bei einem Angriff setzen wir das Leben unserer Leute aufs Spiel und möglicherweise kommt überhaupt nichts dabei heraus", gab Carrow zu bedenken.
"Die Leute kennen das Risiko. Sie sind schließlich bei der Star Force und nicht bei den Pfadfindern."
Die Besatzungen der Star Ships und ihr Schicksal sind ihm vollkommen gleichgültig!, erkannte Darius Carrow.
Dann fragte er: "Wo befindet sich dieses 'Beiboot'?"
"Auf dem Mars. Unweit des Lowell-Kraters, wenn man den Berichten unserer Star Ships glauben schenken kann."
"Ist es möglich aus dem Orbit heraus das Beiboot des Alien-Schiffs zu vernichten?"
"Wir wissen nichts über die Abwehrmöglichkeiten, die die Fremden in ihren Schiffen installiert haben."
"Gegen die ballistischen Sprengköpfe an Bord unserer Star Ships dürfte es kaum eine wirksame Abwehr geben, Carrow."
Er hat sich wahrscheinlich längst entschieden!, dachte Carrow . In Wahrheit braucht er nur jemanden, mit dem er die Verantwortung teilen kann. Jemanden, der ihm zustimmt und ihn in dem bestärkt, was er ohnehin getan hätte.
Aber Carrow hatte keine Lust, in diesem Spiel seine Rolle klaglos einzunehmen. In seinem Hirn arbeitete es. Was konnte er tun um diesen Zug, der sich schon in Bewegung gesetzt zu haben schien, noch aufzuhalten? Was...?
"Stellen Sie vorsichtshalber erst ein Ultimatum", riet Carrow.
Berringer schien überrascht zu sein. Ein flüchtiges Lächeln flog über sein Gesicht, so als wollte er sagen: Carrow, du alter Zauderer!
"Sie haben bisher nicht reagiert. Weder Darran noch das fremde Schiff."
"Das ist richtig, Sir."
"Warum sollten sie es also jetzt tun? Es gibt keinen vernünftigen Grund, das anzunehmen, Carrow."
"Was kostet Sie ein Versuch, Sir?"
"Nun..."
"Sie erhalten sich damit eine Option..."
"Welche?"
"Das fremde Schiff doch noch für die Westunion technologisch auszubeuten. Wenn Sie es erst einmal zerschossen haben – vorausgesetzt, das ist möglich! – dürfte das schwierig werden!"
Berringer hob das Kinn. Er bedachte Carrow mit einem nachdenklichen Blick. "Vielleicht haben Sie recht", murmelte er.
"Also ein Ultimatum. Sorgen Sie für eine Formulierung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt."
"Wird erledigt", versprach Carrow.
"Darran kann was erleben, wenn er wirklich dahinterstecken sollte und uns alle an der Nase herumgeführt hat!", knurrte der Präsident.
Seine Augen wurden schmal dabei. Die Mundwinkel zogen sich nach unten. Ein düsterer Zug machte sich in seinem Gesicht breit.
Commander Pat Gonzalez hangelte sich durch einen der Korridore an Bord des Star Ships ARMSTRONG.
Er gähnte.
Gonzalez hatte gerade eine Ruhephase hinter sich, aber gut geschlafen hatte er offensichtlich nicht. Angesichts der angespannten Lage war das auch nicht weiter verwunderlich.
"Na, wie steht's?", knurrte er, als er die Kommandozentrale der ARMSTRONG erreichte.
"Keine Neuigkeiten, Sir", meldete Celine Durant, die Funkerin.
Gonzalez verzog das Gesicht.
"Die Warterei geht mir auf die Nerven!", brummte er, während hinter ihm Jeff Larson in den Raum schwebte. Auch er hatte eine Schlafphase hinter sich.
Celine rieb sich die Augen.
"Wird Zeit, dass ich mich aufs Ohr haue", meinte sie. "Wann kommt Sergeant Montgommery endlich, um mich abzulösen?"
Jeff Larson grinste.
"Der ist nicht auf seiner Liege festgeschnallt. Könnte noch 'ne Weile dauern, bis er wirklich wach ist!"
Celine verdrehte die Augen.
"Mein Gott, das ist eine Dienstauffassung!"
Die ARMSTRONG befand sich jetzt zusammen mit ihren Schwesterschiffen auf der sonnenabgewandten Seite des Mars. Die Sonne schob sich als gleißende Sichel hinter dem dunklen Schatten hervor, den der Planet warf.
Celine hatte gerade ihr Headset abnehmen wollen, als sie plötzlich mitten in der Bewegung erstarrte. Ihr Gesicht wirkte angestrengt.
"Wir bekommen gerade etwas herein...", murmelte sie. "Befehle... sämtlich verschlüsselt, aber das haben wir gleich..."
Jeff Larson warf ihr einen fragenden Blick zu.
Einige Sekunden mussten sie darauf warten, dass der Computer die Signale entschlüsselt hatte.
"Wir sollen dem fremden Schiff, das inzwischen wieder auf dem Mars gelandet ist, ein Ultimatum stellen", flüsterte Celine und nahm jetzt endgültig ihr Headset ab. Sie wandte sich an den Commander der ARMSTRONG. "Sie müssen sich das unbedingt selbst anhören, Sir... Ich kann es einfach nicht glauben!"
"Was können Sie nicht glauben, Sergeant?", hakte Commander Pat Gonzalez nach.
"Unten auf der Erde geht man offenbar davon aus, dass sich John Darran und seine Leute an Bord dieses Beibootes befunden haben."
"Was sollte das für einen Sinn machen?", zweifelte Larson.
Das Gesicht des Commanders hingegen wurde zu einer starren Maske. Die Augenbrauen zogen sich zusammen, bildeten jetzt eine geschlängelte schwarze Linie mit einer kleinen Unterbrechung in der Mitte. Larson registrierte, wie sich die Hände des Commanders unwillkürlich zu Fäusten zusammenkrampften.
"Es macht Sinn", war der Commander überzeugt.
"Dann sollen wir also tatsächlich auf unsere eigenen Leute schießen!", stellte Larson fest.
Er konnte es noch immer nicht richtig fassen.
War diese Entwicklung wirklich so überraschend?, fragte er sich. Das ist doch genau das, was du von Anfang an befürchtet hast. Und nun ist es eingetreten. Viel schneller, als du gedacht hast. Selbst der Commander ist offensichtlich schockiert. Und das will bei Gonzalez schon etwas heißen.
Die Gedanken rasten nur so in Larsons Kopf.
"Darran und seine Leute sind Renegaten", erklärte Gonzalez dann kühl. "Welche Möglichkeit bleibt der Führung der Star Force denn sonst noch, um das Schlimmste zu verhindern..."
"Es war übrigens nicht der Code der Star Force, der bei der Verschlüsselung der Nachricht verwendet wurde", meldete Sergeant Durant.
Pat Gonzalez hob die Augenbrauen.
"Sondern?"
"Der Code des Geheimdienstes der Westunion."
"Das bedeutet, dass dieser Befehl direkt aus dem Hauptquartier des Präsidenten kam", flüsterte Gonzalez.
"Hätte ich mir auch kaum denken können, dass Major Wilbert T. McCloud seinen alten Freund John Darran so einfach im Regen stehen lässt!", knurrte Jeff Larson.
Das mulmige Gefühl, das sich schon lange in seiner Magengegend bemerkbar gemacht hatte, war jetzt zu einer ausgewachsenen Übelkeit mutiert. Ganz sicher kein Fall von Weltraumkrankheit!, durchzuckte es Larsons Hirn. Wahrscheinlich war sein Magen einfach ein bisschen sensibler als sein Hirn. Larson war immer gut damit gefahren, seine Instinkte nicht gering zu schätzen.
Du kannst nichts machen, dachte er. Alles läuft einfach seinen Gang, du bist nur Einzelner und kannst nichts ausrichten...
"Ich frage mich, weshalb Berringer so hart reagiert", erklärte Celine Durant.
Pat Gonzalez hob die Augenbrauen.
"Ich hoffe nicht, dass das eine ernsthafte Frage ist, Sergeant Durant." Der tadelnde Unterton war nicht zu überhören.
"Andernfalls hätte ich sie nicht gestellt." Celines Erwiderung war schneidend.
"Es sieht ganz so aus, als hätte sich Darran den größten Machtfaktor des Sonnensystems unter den Nagel gerissen", flüsterte Gonzalez. "Und das rechtfertigt jede Maßnahme. Ich wiederhole: jede. Und jetzt spielen Sie mir den vollständigen Befehl ab, Sergeant!"
"Aye, aye, Sir!"
Sergeant Case Lester zerschnitt mit dem Energiemesser die metallisch wirkende Platte. Mit einem leisen Surren ging das Messer durch das ultraharte Material durch, zerteilte es, als ob es sich um gepresste Pappe handeln würde.
Als er fertig war, deaktivierte Lester das Energiemesser.
Er wandte den Kopf nach links.
Sergeant Larian Sjöberg hatte ihm bei der Arbeit zugesehen.
Die beiden trugen Druckanzüge und befanden sich in einem der vier Beiboothangars des auf dem Mars havarierten Kugelraumers der Alpha-Klasse. Auch sie hatten eine Induktiv-Schulung hinter sich und verfügten nun in einigen Teilbereichen über das komplette Wissen der Fremden. Jetzt gehörten sie zu einem Trupp, der damit beschäftigt war, eines jener 40-m-Beiboote des Kugelraumers auszuschlachten, die nicht mehr zu retten sein würden.
Die EXPLORER II hatte ja bereits ihre Flugtauglichkeit unter Beweis gestellt, als John Darran mit einigen seiner Leute damit einen Probeflug unternommen hatte. Und die Arbeiten an dem zweiten Beiboot machten gute Fortschritte.
Die restlichen zwei Beiboote waren allerdings wohl zu sehr geschädigt, als dass man noch hoffen konnte, sie in absehbarer Zeit Instand zu setzen.
Schließlich drängte die Zeit.
Sowohl die Erbauer der Roboter, die sich im Kugelraumer befunden hatten, als auch deren geheimnisvolle Gegner, mit denen sie sich eine Art Raumschlacht geliefert hatten, als deren Ergebnis der Kugelraumer havariert war, konnten jederzeit ins Sol-System zurückkehren.
Und dann wollte John Darran vorbereitet sein...
Lester blickte kurz zu dem Außenschott hinüber, der ein Loch aufwies. Aus diesem Grund war die atembare Atmosphäre aus dem gesamten Hangar entwichen. Es herrschte Mars-Atmospäre. Für irdische Verhältnisse also ein ziemlich gutes Vakuum mit ein paar Spuren Kohlendioxid und Wasserdampf. Lester und Sjöberg waren daher gezwungen, Druckanzüge zu tragen.
Rötlicher Staub drang immer wieder in Schüben durch die Öffnung herein. Der Wind wehte draußen mit einer Geschwindigkeit von etwa 100 Kilometern pro Stunde. Für irdische Verhältnisse ein Orkan, für den Mars nicht weiter der Rede wert. Ein laues Lüftchen.
Die gefürchteten Sandstürme hatten Geschwindigkeiten bis zu 500 Kilometer pro Stunde.
Die Temperatur im Inneren des Hangars betrug etwa Minus vierzig Grad Celsius.
Draußen im Freien war es natürlich noch wesentlich kälter.
Lester wollte zu einem weiteren Schnitt an der Metallplatte ansetzen, aber Sjöbergs Stimme hielt ihn zurück. Sie flötete Lester über Helmfunk direkt ins Ohr.
"Warte mal!"
"Was ist denn?"
"Augenblick..."
Lester ließ das Energiemesser wieder sinken, deaktivierte es.
Von draußen drang erneut ein Schwall von rotem Staub ins Innere des Hangars.
Die beiden Männer wandten für einen Moment den Blick dorthin.
"Was hältst du von John Darrans Plan?", fragte Sjöberg.
Lester hob den Blick. Das Helmvisier seines Gegenübers spiegelte leicht, so dass er Schwierigkeiten hatte, Sjöbergs Gesicht genau zu sehen.
Worauf will er mit dieser Frage hinaus?, fragte sich Lester. Sein Puls beschleunigte sich.
Wieder drang Sjöbergs Stimme über den Helmfunk an Lesters Ohr.
"Wir kennen uns eine Ewigkeit, Case."