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**Ein märchenhaft-schöner Roman von verzauberten Wäldern und einem verwunschenen Reh** Anstatt den Zwängen des Königshofs zu unterliegen, trainiert Nala lieber das Bogenschießen und gerät in Raufereien mit ihrem Bruder Dale. Aber als ihr Vater, der Baron von Dornwell, eine neue Frau auf das Anwesen bringt, sieht sie ihr Glück schwinden. Die Komtesse ist hochnäsig und böswillig, dennoch ist Nalas Vater ihr vollkommen verfallen. Als Nala schließlich das dunkle Geheimnis der Komtesse aufdeckt, ist es bereits zu spät. Sie setzt alles daran, ihre Familie vor der bösen Stiefmutter zu retten. Doch schon bald steht nicht nur das Leben ihres Bruders auf dem Spiel. Auch ihr eigenes Herz ist in Gefahr – und das des fremden Jägers mit dem verschmitzten Lächeln und den blaugrauen Augen… //Textauszug: Er zog sie an sich heran und küsste sie auf die Wange. Nala stieß ihn sofort von sich und verpasste ihm eine so schallende Ohrfeige, dass ihre Handfläche heiß pochte. »Was fällt Euch ein?«, fragte sie empört. Noch immer lächelnd rieb er sich die gerötete Wange. »Ich habe Euch einen Kuss gestohlen und nun hoffe ich darauf, dass ihr Ihn Euch zurückstehlt.«// //Alle Bände der Märchenadaption von »Brüderchen und Schwesterchen«: -- Secret Woods 1: Das Reh der Baronesse -- Secret Woods 2: Die Schleiereule des Prinzen -- Secret Woods Sammelband// Diese Reihe ist abgeschlossen. //Weitere märchenhafte Romane der Autorin: -- Sinabell. Zeit der Magie -- Being Beastly. Der Fluch der Schönheit -- Prinzessin Fantaghiro. Im Bann der Weißen Wälder -- Schneeweiße Rose. Der verwunschene Prinz (Rosenmärchen 1) -- Blutrote Dornen. Der verzauberte Kuss (Rosenmärchen 2)//
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Im.press Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2016 Text © Jennifer Alice Jager, 2016 Lektorat: Rebecca Steltner Umschlagbild: shutterstock.com / © Khomenko Maryna/ © conrado/ © mythja Umschlaggestaltung: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck Schrift: Alegreya, gestaltet von Juan Pablo del Peral
Für all die Brüder und Schwestern da draußen. Weil Blut dicker ist als Tinte.
Nala hob ihren Bogen und spannte die Sehne, bis sie mit den Fingerkuppen ihren Wangenknochen berühren konnte. Durch zusammengekniffene Augen fixierte sie ihr Ziel.
»Du schießt dir noch die eigene Nase weg«, höhnte Dale neben ihr.
Sie war sechzehn Jahre alt, er gerade mal zwei Jahre älter. Dennoch behandelte er sie nur zu gerne wie ein Kind.
»Von wegen«, entgegnete sie hoch konzentriert.
Nala ließ die Sehne schnellen und der Pfeil traf die Strohpuppe zielgenau mitten in die Brust.
»Ha!«, stieß sie stolz aus. »Siehst du? Habe ich es dir nicht gesagt? Ich treffe immer.«
Dale lachte herzlich.
»Bei zwanzig Metern kein Wunder.« Er deutete auf das Anwesen in ihrem Rücken. Es lag dort hinter einer halbhohen Mauer, auf dem sanft ansteigenden Hügel. Ein prunkvolles Herrenhaus mit geweißelten Wänden und freiliegenden, zinnoberrot lackierten Balken – ihr Zuhause. »Geh mal dreißig Meter zurück und versuch es dann noch einmal.«
»Geh du doch zurück«, entgegnete sie schnippisch. »Und lass mich in Ruhe.«
»Warum gleich so aufbrausend?« Noch immer grinsend hob er verteidigend die Hände und setzte eine wenig überzeugende Unschuldsmiene auf.
»Das weißt du sehr wohl!«, knurrte sie und hob erneut ihren Bogen.
Natürlich wusste er es und er wusste auch, dass es nichts mit ihm zu tun hatte. Auf ihren Vater war sie wütend, darauf, dass er wieder heiraten wollte und sie mit dieser Entscheidung so plötzlich überrumpelt hatte.
Sie war wütend darauf, dass er diese Erbschleicherin in ihr Zuhause gebracht hatte und Dale vorschickte, um seine Schwester zu überreden, zurück zum Anwesen zu kommen, wo sie ihre Stiefmutter kennenlernen sollte.
Nala blies sich eine ihrer blonden Strähnen aus dem Gesicht und zielte erneut auf die Strohpuppe. Weil sie genau gewusst hatte, dass es Dale sein würde, der sie holen sollte, hatte sie die Puppe nach seinem Abbild gestaltet, ihr eines seiner Hemden angezogen, ein schiefes Grinsen aufs Gesicht gemalt und einen Fetzen alten Bärenfelles auf den Kopf geklebt. Natürlich mimte Dale den besonnenen, älteren Bruder und ließ sich davon nicht ärgern.
»Lass mich mal, ich zeige dir wie das geht.« Er griff nach dem Bogen, doch Nala entzog sich ihm.
»Ich weiß auch so, dass du der bessere Schütze bist, das musst du mir nicht beweisen.«
Dale stemmte die Fäuste in die Seiten und grinste überlegen.
»Der beste der ganzen Baronie.«
Nala verdrehte die Augen. Sie hätte ihn nicht loben sollen, jetzt würde er tagelang von nichts anderem reden.
»Ja, ja, du wirst einmal der tollste Baron von allen und zu den königlichen Jagdgesellschaften geladen werden. Ich weiß schon.«
Auf gestelzte Weise verbeugte er sich tief vor ihr.
»O ja, so wird es sein, Schwesterherz.« Als er wieder aufsah, war sein Blick ernst geworden und nichts Scherzhaftes lag mehr in seiner Stimme. »Aber alle werden sie nur von dir reden. Der Baronesse von Dornwall. Die anmutigste Frau des ganzen Königreiches.«
Nala blieben die Worte im Halse stecken. Sie war gewiss nicht außergewöhnlich, ein graues Mäuschen, wenn man so wollte. Insbesondere neben Dale verblasste sie schnell. Er war groß, mit breiten Schultern und von sehnigem Körperbau. Sein dichtes, dunkles Haar hing ihm in wilden Strähnen vor den rehbraunen Augen. Augen, die tief und warmherzig waren und in denen sich schon so manche Magd verloren hatte.
Obwohl sie Geschwister waren und ihre Gesichtszüge die nahe Verwandtschaft auch verrieten, war sie klein, beinahe dürr, mit großen, aber blassen Augen und dünnem, blonden Haar, das nie länger wachsen wollte als knapp bis über ihre Schultern.
Ein solches Kompliment zu hören, und sei es auch maßlos übertrieben und zudem von ihrem Bruder, berührte sie peinlich. Gerade reimte sie sich eine Antwort zusammen, mit der sie dem entgegnen könnte, da grinste er wieder breit und frech.
»Aber weil du eine männerfressende Furie bist, werden dich alle nur von weitem bewundern wollen.«
Nala sog die Luft ein.
»Du!«, zischte sie durch zusammengebissene Zähne. »Na warte!«
Sie warf den Bogen beiseite und stürzte sich auf ihn. Überrumpelt, wie er war, stolperte er rückwärts und verlor das Gleichgewicht.
Lachend fielen sie beide ins hohe Gras, rauften sich wie zwei junge Hunde, pikten und kitzelten sich gegenseitig, bis Nala irgendwann um Gnade flehen musste.
»Bitte, bitte!«, jauchzte sie mit feuchtem Glanz in den Augen und vom vielen Lachen schmerzendem Zwerchfell.
Sie lag auf dem Rücken und wehrte sich mit Händen und Füßen gegen ihren Bruder, der sie in die Seite zu zwicken versuchte.
»Gibst du auf?«
»Niemals!« Sie versuchte ihn an den Haaren zu ziehen, bekam die Hände aber nicht frei.
»Sofort runter von ihr!«
Eine dürre Frau mit toupierter Turmfrisur und schief darauf drapiertem Hut kam den Hügel herunter gelaufen und geradewegs auf sie zu.
Sie trug ein schickes Kleid in kräftigem Bordeauxrot. Aus dickem Samt war es, mit schwarzen Aufnähten, passend zu ihren Stiefeln und Handschuhen.
Die fremde Frau fuchtelte mit einem Fächer wild in der Luft und schlug damit, kaum war sie bei ihnen angelangt, auf Dale ein.
»Runter von ihr! Runter, sofort!«, schrie sie hysterisch.
»Schon gut!«, beteuerte Dale, doch sie hörte nicht auf, bis sie ihn von Nala heruntergeprügelt hatte und schlug auch dann noch weiter auf ihn ein. »Ist ja gut! Autsch! Ich bin ja … Autsch, verflucht!«
»Hört auf!«, verlangte Nala.
Die Frau achtete nicht auf sie.
»Flegel! Ungehöriger Bursche!«, fauchte sie wie ein Drache.
Dale kroch von der Frau weg und versuchte vergebens auf die Beine zu kommen. Nala war dafür umso schneller wieder auf den Füßen. Sie griff nach dem Fächer, bekam ihn aber nicht zu greifen.
»Hört sofort auf ihn zu schlagen!«, verlangte sie.
Die Frau stieß sie zur Seite und holte erneut aus.
»Lasst das!« Nala schnappte wieder nach dem Fächer, da erhob die Fremde ihn auch gegen sie.
Erschrocken riss Nala die Arme hoch.
»Was soll das hier werden?«
Es war ihr Vater, der ihnen zurief. Er kam den Hügel heruntergelaufen und die Frau wandte sich ihm zu. Dale gelang es nun endlich sich aufzurappeln.
»Das frage ich mich auch«, murrte er entnervt und klopfte sich den Dreck von der Hose.
»Diese Verrückte hat völlig grundlos auf Dale eingedroschen!«, klagte Nala sie an.
»Ihr schlagt meinen Sohn?«
Verwirrt sah die Fremde den Fächer in ihrer Hand an und tat dabei gerade so, als habe ihn dort jemand ganz ohne ihr Wissen und Zutun platziert.
»Oh, mein Liebster, William, ich wusste ja nicht, wer er ist.« Sie deutete auf Nala. »Auf Eure Tochter hat er sich gestürzt und sie zu Boden gerungen. Verzeiht, aber bei dem verlotterten Äußeren und dem dunklen Haar sah ich keine Ähnlichkeit zu Euch, noch vermutete ich mehr als einen Strauchdieb unter all dem … Dreck.«
Mit dem Fächer deutete sie auf Dales Kleidung, die nach dem Raufen und dem unerwarteten Angriff tatsächlich sehr gelitten hatte. Missmutig sah Dale an sich herunter und fischte ein paar Grashalme aus den Falten seines Hemdes.
Nala sah nur flüchtig zu ihm. Sie konnte sich kaum von dem Anblick dieser aufgetakelten Dame lösen. Das sollte sie sein? Das war die Frau, von der ihr Vater so schwärmte? Eitel sah sie aus. Sie trug ihre Nase viel zu hoch und ihre Kleidung war am Königshof vielleicht angemessen, aber sicher nicht hier auf dem Lande, wo ihnen die Gänsehirten das Federvieh über den Hof trieben und Hunde sich in den Dreckpfützen suhlten, durch die Nala zuvor mit nackten Füßen gelaufen war.
Dornwall war ein beschauliches Stück Land, mit weiten Wäldern, einfachen Bauersleuten und einem bescheidenen Baron, der fern von allem Schick der Adelshäuser lebte.
Nalas Vater lächelte milde. Er brauchte keinen Gehrock aus Brokat oder goldene Ringe an den Fingern, so wie andere Edelleute ihren Reichtum gerne zur Schau trugen. Alleine seine Ausstrahlung zeichnete ihn schon als gütigen und weisen Herrscher aus, neben dem diese aufgedonnerte Pute im samtenen Kleid, mit ihren Polstern unter dem Rock und dem Schmuck im Haar, aussah wie ein exotischer Vogel.
»Nun, er hat das Haar seiner Mutter und die Kleidung … Gott weiß, wo er die herhat«, sagte er zu Nalas Überraschung.
Wieder betrachtete Dale das, was er am Leib trug und auch Nala musste sich fragen, seit wann ihrem Vater Hemd und Leinenhose nicht mehr gut genug waren.
»Sie, sie hat auch mich schlagen wollen«, warf sie ein.
Es konnte doch nicht sein, dass diese Frau so einfach damit durchkam. Welcher Mensch tat so etwas? Einfach auf jemanden einprügeln.
»Aber nein, niemals hätte ich die Hand gegen dich erhoben, Kindchen. Schützen wollte ich dich vor dem Flegel.«
»Aber sie hat … Dale, du hast es doch auch gesehen, oder?«
Verloren sah Nala von ihm zu ihrem Vater und wieder zurück. War sie denn die Einzige, die erkannte, dass die Frau eine falsche Schlange war?
»Das sind schwere Anschuldigungen, die du da gegen die Komtesse erhebst«, ermahnte ihr Vater sie.
Dale ergriff sofort Partei für Nala.
»Ein Missverständnis, mehr nicht.«
Nala riss die Augen auf.
»Wie bitte? Aber sie hat …«
»Lass gut sein, Schwesterchen«, unterbrach Dale sie.
Die Komtesse gackerte wie ein aufgeschrecktes Huhn.
»Feine Damen sollten aber auch nicht raufen, meint Ihr nicht auch, mein Liebster?« Sie streckte dem Baron die Hand entgegen und der nahm sie an.
»Sie war schon immer ein Wildfang«, erklärte er. »Sie weiß sich gegen ihren Bruder zu wehren.«
Nala verschränkte die Arme vor der Brust.
»Nicht nur gegen ihn«, murmelte sie.
Dale trat hinter sie und flüsterte ihr ins Ohr.
»Immer ruhig Blut.«
»Ich hatte es mir zwar anders ausgemalt, aber so habt ihr euch zumindest schon einmal kennengelernt«. Ihr Vater küsste die Hand seiner Verlobten. »Und jetzt kommt, wir wollen gemeinsam zu Abend essen und eure neue Schwester will sich euch ebenfalls vorstellen.«
Nala wollte sich gar nicht ausmalen, wie das vonstattengehen würde. Nachdem die Komtesse schon den Prügel ausgepackt hatte, würde ihre Tochter vielleicht mit dem Säbel auf sie warten.
»Die Kinder werden sich sicher blendend verstehen«, mutmaßte die Komtesse und öffnete mit einem kräftigen Ruck ihren Fächer.
Der Baron führte sie wieder den Hügel hinauf und Nala blieb mit zu Fäusten geballten Händen und angestauter Wut zurück.
»Hier.« Dale reichte ihr den Bogen und Nala riss ihn ihm aus der Hand.
»Verstehst du das?«, fragte sie, ohne den Blick von der Komtesse und ihrem Vater zu lösen.
»Vater ist verliebt. Wie wäre es, wenn du dich einfach für ihn freust?«
Sie wünschte sich, es wäre so einfach. Sie liebte ihren Vater und gönnte ihm alles Glück dieser Welt, aber sie erinnerte sich auch an ihre Mutter, daran, wie freundlich und gutherzig sie gewesen war. Sie erinnerte sich, als wäre es erst gestern gewesen und nicht vor über fünf Jahren, wie ihr Vater sie vergöttert hatte.
Es war eine aufrichtige, hingebungsvolle Liebe gewesen und nicht das, was sie jetzt im verklärten Blick ihres Vaters sah.
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, ich kann es nicht verstehen.«
Dale grinste breit und verpasste Nala einen Seitenhieb.
»Das musst du auch nicht, du bist ja schließlich noch ein Kind«, zog er sie auf.
»Und du bist ein Idiot!«, konterte sie und stieß ihn von sich, packte aber gleich darauf seine Arme.
Sie waren übersät mit Striemen, die der Fächer auf seiner Haut hinterlassen hatte.
»Das musst du Vater zeigen! Er sollte sehen, was für eine Furie er sich da ins Haus geholt hat.«
Dales Grinsen wurde breiter. Er beugte sich zu ihr vor und sah sich um, als würde er ihr ein großes Geheimnis anvertrauen wollen.
»Das kennt er schon. Er hat ja dich – die größte Furie von allen.«
»Und du«, stotterte sie sich etwas zurecht. »Du bist der größte Dummkopf von allen!«
Sie schubste ihn von sich und schlug ihm die Hände weg.
»Au!«, schrie er gekünstelt auf und rieb sich die Stelle, die Nala getroffen hatte. »Am besten, ich gehe damit sofort zu Vater.«
Er wich ihr aus, als sie mit dem Bogen ausholte.
»Oh, bitte nicht schlagen!«, höhnte er.
Er rannte den Hügel hinauf und sie folgte ihm.
»Na warte!«, rief sie. »Ich verpasse dir etwas, das du ihm zeigen kannst!«
***
Nala ließ sich viel Zeit damit, sich für das Abendessen fertig zu machen. Sie brauchte das, um zur Ruhe zu kommen. Im Vorbeilaufen hatte sie die Tochter der Komtesse bereits im Empfangszimmer gesehen.
Sie stand ihrer Mutter in nichts nach, trug ihre Nase ebenso hoch, wenn denn möglich sogar noch höher, und war in ein blassrosa Rüschenkleid gekleidet, das sie aussehen ließ wie ein riesiges Ferkel und war so bunt geschminkt wie ein Zirkusclown oder Hofnarr.
Sie war in Nalas Alter und vielleicht versteckte sich unter all dem Tand und Taft ja ein nettes Mädchen. Wirklich glauben konnte Nala das aber nicht. Es grauste ihr davor hinunterzugehen und den Abend mit diesen beiden Schnepfen zu verbringen.
Mehr noch verabscheute sie den Gedanken daran, ihr Leben und ihr Heim mit ihnen teilen zu müssen, im schlimmsten Fall sogar ihr eigenes Zimmer.
Die Baronie ihres Vaters war nicht sehr groß, ihr Anwesen eher bescheiden im Vergleich zu den Herrenhäusern umliegender Grafschaften und Fürstentümer. Wenn dieses Mädchen so anspruchsvoll war, wie sie aussah, würde sie sich mit der Kammer im Erdgeschoss sicher nicht zufriedengeben.
Nalas Zimmer war groß, sie hatte ein Doppelbett ganz für sich allein, einen eigenen Schminktisch und einen begehbaren Kleiderschrank. Würde man die Kommode beiseiteschieben, wäre genug Platz für ein zweites Bett, aber in den Schrank passte wahrscheinlich nicht einmal ein einziges ihrer pompösen Kleider.
Nala seufzte. Natürlich übertrieb sie damit. In ihrem Schrank war viel Platz. Dennoch wollte sie ihn nicht teilen. Nichts von alledem wollte sie teilen, erst recht nicht ihren Vater.
Es klopfte und wie gerufen trat der Baron ein.
»Ich werde mir kein Zimmer mit ihr teilen!«, warf Nala ihm entgegen, kaum dass er die Tür geöffnet hatte.
»Und das musst du auch nicht. Das hier ist dein Reich und das wird es auch bleiben.«
Sie wandte sich von ihm ab und beschäftigte ihre Finger damit, die Schatulle auf ihrem Schminktisch zu durchwühlen.
»Du hast Mutter nicht vergessen, oder?«, fragte sie, ohne ihren Vater dabei ansehen zu können.
Er kam zu ihr und strich ihr das Haar von den Schultern. Im Spiegel betrachtete er das Antlitz seiner Tochter, während er Antwort gab.
»Wie könnte ich? Wie könnte ich sie je vergessen, wo sie doch mein ganzes Leben war und alles an dir mich an sie erinnert? Zwar hast du mein Haar, aber von ihr hast du die strahlenden Augen, ihr Temperament, ihre Güte. Du bist das größte Geschenk, das sie mir machen konnte – du und dein Bruder.«
Nala drehte sich ihm zu.
»Und diese Frau, die du jetzt in unser Haus geholt hast, die du erst seit wenigen Wochen kennst, die magst du wirklich?«
Er küsste sie auf die Stirn.
»Deine Mutter wird sie nie ersetzen.«
»Aber du magst sie? Ich meine, sie ist so … so …«
»Wie wäre es, wenn du erst einmal versuchst, sie richtig kennenzulernen, bevor du ein Urteil über sie fällst?«
Sie atmete tief durch. Um seinetwillen würde sie es versuchen. Schließlich war Nala kein Kind mehr, das ihren Vater für sich beanspruchen konnte. Wenn die Komtesse ihn wirklich glücklich machte, dann würde sie ihren ersten Eindruck und das ungute Gefühl, das sie plagte, einfach ignorieren und der Frau und ihrer Tochter eine Chance geben.
Einsichtig nickte sie und entlockte ihrem Vater damit ein Lächeln.
»Ich habe hier etwas für dich«, sagte er und drehte Nala wieder zum Spiegel um.
Aus der Tasche zog er eine Kette und legte sie ihr um den Hals.
»Mutters Kette«, hauchte Nala völlig überwältigt. Ihre Finger glitten über die filigrane Fassung des Anhängers, der einen leuchtend hellen Amethyst umrahmte. Wie eine Träne sah er aus, glitzernd wie Tau an einem Sommermorgen.
Sie liebte diese Kette. Schon als Kind hatte sie sie immer bewundert und sich gewünscht, sie einst auf ihrer eigenen Hochzeit tragen zu dürfen.
»Sie soll dich immer daran erinnern, dass du mir das Teuerste bist.«
Nala wirbelte herum und fiel ihrem Vater in die Arme.
»Aber das weiß ich doch auch so«, beteuerte sie.
Natürlich gönnte sie ihm sein Glück und wollte sich dem nicht in den Weg stellen. Bloß dass er in ihren Augen nicht glücklich aussah und diese Sorge konnte sie zwar beiseiteschieben, nicht aber abstellen.
***
»Du bist jetzt also bestechlich«, flüsterte Dale ihr ins Ohr, als er hinter ihr in den Speisesaal trat.
Nala fasste an den Anhänger ihrer Kette.
»Du bist nur eifersüchtig, weil Vater mich lieber hat als dich«, giftete sie zurück.
Sie stieß ihm ihren Ellbogen in die Rippen und streckte ihm die Zunge raus. Er wollte sie nur wieder necken, das wusste sie und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
»Ich liebe diesen … rustikalen Stil«, erklärte die Komtesse in herablassendem Ton und strich mit dem Zeigefinger über die Anrichte. Skeptisch betrachtete sie ihre Fingerkuppe und rümpfte die Nase.
»Ich finde es hier düster, dreckig und es stinkt nach Bauern«, brummte ihre Tochter und ließ sich auf den Stuhl am Kopfende der Tafel plumpsen.
Nala gab sich alle Mühe nicht die Fassung zu verlieren. Sie durfte das einfach nicht zu ernst nehmen. Womöglich war das Mädchen ja nur übermüdet von der langen Anreise und in Wirklichkeit eine ganz Nette.
»Dort sitzt Vater für gewöhnlich«, erklärte Nala so höflich sie konnte und vergaß dabei nicht freundlich zu lächeln.
»Für gewöhnlich«, wiederholte das Mädchen Nalas Worte überspitzt. »Für gewöhnlich stellt man sich vor, bevor man jemanden zu belehren versucht. Mein Name ist Amelia Margaret von Hohenberg und deiner?«
»Nala«, antwortete sie verbissen.
»Nala, und weiter?«
»Nala von und zu heb deinen vornehmen Popo in die Höhe und verschwinde«, spie sie dem verwöhnten Balg entgegen.
Amelia klappte die Kinnlade runter.
»Aber, aber, meine Damen! Wir wollen doch nicht streiten«, mischte die Komtesse sich ein.
Bevor Nala darauf reagieren konnte, kam ihr Vater in den Speisesaal. Mit beiden Händen trug er ein schwer beladenes Silbertablett. Er stellte es auf den Tisch und hob schwungvoll den Deckel ab. Darunter kam ein halbes Dutzend knusprig brauner und noch dampfender Rebhühner zum Vorschein. Sofort erfüllte der Duft nach gebratenem Fleisch den ganzen Raum.
»Tadaa!« Mit ausgebreiteten Armen präsentierte er das Mahl. »Für meine Besten nur das Beste.«
»Oh«, war die blasse Reaktion der Komtesse.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte er verwundert.
»Nein! Nein, alles ist gut. Hervorragend. Nur haben denn die Bediensteten heute frei?«
»Nun … die Köchin, ja, wie jeden Sonntag.«
»Und wer deckt für gewöhnlich den Tisch? Wer räumt ab und wer schneidet das Fleisch?«
Der Baron lächelte verlegen.
»Es gibt außer uns nur Frau Lankfort, die Köchin, zwei Stallburschen und Fräulein Griepen, die Hauswirtin.«
»Ah.« Die Komtesse zog ihre Lippen zu einem runzligen, kleinen Etwas zusammen.
Es amüsierte Nala, dass diese Frau so bestürzt darüber war. Scheinbar hatte sie einen etwas anderen Haushalt erwartet und in einer anderen Baronie wäre sie da sicher auch fündig geworden, aber Baron William von Dornwall war keiner dieser Männer, die nicht auch selbst mit anpacken konnten, die sich von hinten bis vorne bedienen ließen und für die ihre Hausangestellten den ganzen Tag schufteten.
»Vater ist ein hervorragender Koch«, erklärte Nala und küsste ihn auf die Wange. »Und sonntags gehört die Küche ganz ihm.«
Die Komtesse lächelte gezwungen.
»Ich hasse Geflügel«, maulte Amelia und schürzte die Lippen.
Nala musste ihre Meinung über die Komtesse revidieren. Sie hatte geglaubt, es könnte nicht schlimmer sein, aber Amelia bewies gerade das Gegenteil.
»Sicher gibt es auch Beilagen, nicht wahr?«, fragte die Komtesse.
»Sicher!«, bestätigte William und hob die Hände. »Bloß habe ich nur zwei Hände. Ich gehe aber gleich und hole den Rest.«
»Du wirst doch jetzt nicht den ganzen Abend Hausarbeit verrichten wie eine Küchenmagd?«, bedauerte die Komtesse und legte ihre Hände auf die seinen. »Ich habe extra zum feierlichen Anlass unserer Verlobung eine besondere Flasche Wein mitgebracht.«
Der Baron rieb die Finger seiner Zukünftigen und da war er wieder, dieser verklärte Blick, den Nala von ihm so nicht kannte. Was sah er bloß in dieser Frau, dass er seine Augen nicht von ihr lassen konnte?
»Nala«, stammelte er, ohne sich von der Komtesse lösen zu können. »Sei so gut, geh in die Küche und hol das Gemüse und die Soße.«
»Was soll ich tun?«, fragte sie ungläubig.
Aber was beschwerte sie sich? Alles war besser, als hier in diesem Raum zu sein und mit ansehen zu müssen, wie ihr Vater sich zum liebestollen Narren machte.
»Sie ist sich zu fein, um in die Küche zu gehen, Mutter«, spekulierte Amelia herablassend.
»Für nichts bin ich mir zu fein!«, warf Nala ihr lautstark zurück.
»Bitte, Kinder.« Die Komtesse kam zu Nala und Dale gelaufen und drängte beide zur Tür. »Vielleicht magst du deiner Schwester helfen? Und holt auch die guten Weingläser für euren Vater und mich.«
»Wir habe keine besseren als die, die auf dem Tisch stehen«, erklärte Dale, als die Komtesse bereits die Tür hinter ihnen schließen wollte.
»Dann kauft welche«, zischte sie und schlug die Tür zu.
»Hat sie gerade …«, begann Dale verdutzt und sah stirnrunzelnd zu Nala.
Die knirschte mit den Zähnen.
»Uns aus unserem eigenen Esszimmer geworfen? Uns zur Küchenarbeit verdonnert? Uns damit beauftragt, spät abends noch Weingläser zu kaufen? Ich sage dir, mit dieser Frau stimmt etwas ganz und gar nicht und Vater hat den Verstand verloren, wenn er meint, mit ihr glücklich werden zu können.«
Dale war früh am Morgen zur Jagd aufgebrochen, so dass er nicht mitbekam, wie die Kutschen mit dem Gepäck der Komtesse und ihrer Tochter ankamen.
Gleich drei waren es, über und über beladen mit schweren Kisten und Truhen, eine größer als die andere. Nala hätte neben ihrem Hab und Gut noch den ganzen Hausstand, ja sogar das ganze Anwesen samt Stock und Stein einpacken müssen, und wäre mit der Hälfte dieser Koffer ausgekommen.
Sie stand im Korridor und sah den Männern dabei zu, wie sie das Gepäck ins Haus schleppten und in den Zimmern verteilten.
Die Komtesse begutachtete jedes einzelne Stück, bevor sie sagte, wo es abzustellen war.
»Bringt das in das Empfangszimmer dort und gebt Acht, es sind zerbrechliche Porzellanvasen darin.«
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