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Ein Abenteuer aus der Welt der Nordseepiraten Sylt, im 15. Jahrhundert: Piraten machen die Nordsee unsicher. In ihre Fänge geraten auch die zwei Kinder Jaike und Broder, als sie mit ihrem kleinen Boot schiffbrüchig werden. Doch damit nicht genug: Die Freibeuter haben auch noch eine Geisel an Bord. Und das ist kein geringerer als Gerhard, der Sohn des Grafen von Holstein ...
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Seitenzahl: 80
Cornelia Franz
Seeräuber vor Sylt!
Ein Abenteuer aus der Welt der Nordseepiraten
Mit Illustrationen von Thilo Krapp
Deutscher Taschenbuch Verlag
Originalausgabe 2009
© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
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eBook ISBN 978-3-423-40542-3 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-07717-0
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Sturm über Sylt
Die Schatzkiste
Ein Loch auf Tades Eiland
Irrlichter
In großer Not
An Bord der Rosenboom
Der junge Graf
Die Geschichte vom Mann ohne Kopf
Schwere Gedanken
List und Tücke
Geheime Pläne
Hurra, es stinkt!
In letzter Sekunde
Wundersame Rettung
Ein glänzender Beweis
»Broder, Broder! Es soll Sturm aufkommen!« Jaike rannte so schnell, dass sie auf dem Sandweg fast ihre Holzschuhe verlor. Die ersten dicken Regentropfen hatten den Strand schon dunkel gefärbt und der Wind fegte über die Bucht von Rantum.
Broder drehte sich um und streckte den Rücken, der ihm vom langen Hocken auf dem Boden schmerzte. Fast zwei Stunden saß er nun schon hier und half dem alten Pidder beim Ausbessern seiner Fischernetze. Die Finger hatte er sich dabei blutig gerissen. Aber noch hatte er seinen Lohn nicht bekommen, der aus einem Eimer Heringen bestand. Und so arbeitete er weiter und hob nur kurz den Kopf mit den verfilzten blonden Haaren.
»He, Jaike«, antwortete er und nickte dem Mädchen freundlich zu.
Sie kniete neben ihm nieder. »Es soll heftiger Sturm aufkommen, verstehst du?«, wiederholte sie. Ihre Stimme klang verschwörerisch.
Prüfend schaute Broder über das Watt gen Osten, wo sich der Himmel wie ein graues Tuch zum Horizont spannte. Keine Wolke war zu sehen. Aber Broder wusste, dass Jaike sich nicht irrte. Wer am Meer aufgewachsen war, der konnte den Sturm wittern wie ein Reh den Fuchs, der sich anschleicht. Als er den Kopf in die andere Richtung drehte, sah er die fast schwarze Wolkenmasse, die sich vom offenen Meer auf die Insel zuschob.
Jaike legte ihm die Hand auf den Arm. »Komm schon«, drängte sie. »Der Wind dreht auf. Wir müssen uns beeilen.«
Broder warf einen Blick zu Pidder hinüber. Der friemelte mit seinen knorrigen Fingern die Knoten in den Netzen so flink auf, dass es aussah, als würden sie sich von selbst entwirren. Trotzdem hatte er genau mitbekommen, was das Mädchen von Broder wollte.
»Dübel ouk, was heckt ihr zwei Teufelsbraten wieder aus?«, brummte er. Dann stieß er mit dem Fuß gegen den Heringseimer, der neben ihm stand. »Nun geh schon, Junge. Aber passt auf, dass euch der Strandvogt nicht erwischt.«
Broder sprang auf und griff nach dem Eimer. Schnell weg, ehe Pidder es sich anders überlegte. Er stapfte hinter Jaike her, die mit langen Schritten vorauseilte. Sie wollte am Dorf vorbei zur Westseite der Insel, das war klar.
»Warte doch«, rief er. »Wir haben noch jede Menge Zeit. Nur weil der Wind ein bisschen pustet, rennst du gleich los wie ein kopfloses Huhn.«
Ohne auf Jaikes Protest zu achten, drehte er in Richtung der Katen ab, die den Dorfrand säumten. Sehnsüchtig betrachtete er den Eimer mit den dicken glänzenden Heringen. Jetzt ein Feuerchen machen und einen der Fische knusprig braten… Broder hatte am Morgen nur ein Stück Brot gegessen. Der Gedanke an ein warmes Essen machte ihn fast schwindlig.
Aber Jaike hatte recht. Bei so einem Unwetter, wie es sich da im Westen zusammenbraute, konnte ihnen ein weitaus dickerer Fisch ins Netz gehen. Vielleicht sogar ein goldener!
Er stellte den Eimer neben die lehmverputzte Kate von Jaikes Mutter, in der er seit einigen Monaten schlief. Dann rannte er hinter seiner Freundin her.
Mit seinen elf Jahren hatte Broder schon in vielen der schäbigen Hütten im Dorf gewohnt. Für ein paar Wochen kam er hier unter, für ein paar Monate da. Die Rantumer Fischer, Torfstecher und Salzsieder hatten ihn aufgenommen wie eine streunende Katze.
Broder war erst sechs Jahre alt gewesen, als sein Vater nach einer stürmischen Nacht nicht vom Fischen zurückkam. Seine Mutter hatte er nie gekannt. Sie war bei seiner Geburt gestorben. Auch das hatte sich in einer sturmgepeitschten Nacht zugetragen, in der der Regen waagerecht über die Insel fegte.
Und trotzdem liebte Broder den Sturm und den Regen. Wenn der Himmel blau war und die Sonne das Meer glitzern ließ, dann schaute er oft verloren auf die See hinaus. Vielleicht passte sein hartes Leben, das aus fast nichts anderem als Arbeit bestand, nicht zu so einer leuchtend hellen Welt. Aber das Düstere und Wilde der Herbststürme weckte alle Lebensgeister in ihm. Wenn er dann Seite an Seite mit den Fischern die Boote an Land zog, jubelte er manchmal laut. »De lüdde Broder spinnt«, sagten die Männer dann und lachten gutmütig.
Alle im Dorf mochten den kräftigen Waisenjungen, vor allem, weil er gut mit anpacken konnte. Wo immer es etwas zu tun gab, beim Torfstechen, Salzsieden oder Fischen, ackerte er von früh bis spät, bis ihm die Knie weich wurden und er die Arme vor Schmerzen nicht mehr heben konnte.
Als Broder jetzt hinter Jaike her über die Insel jagte, stieg ihm der brenzlige Geruch der Torffeuer in die Nase, der sich über ganz Sylt breitzumachen schien. In Rantum beschwerte sich niemand über den Gestank. Die Menschen verdienten mehr mit dem Torf und dem Salz als mit den Fischen, die sie aus dem Meer holten.
Aber Broder war froh, dass der Sturm den stinkenden Rauch wegfegte. Frisch und kühl war die Luft. Voller Übermut lief er dem Unwetter und der Brandung entgegen und sang lauthals alte Friesenlieder gegen den Wind. Dies war genau das Wetter, das ihnen vielleicht Glück bringen würde!
Außer Atem ließen sich Jaike und Broder in den nassen Sand fallen. Sie drückten sich bäuchlings gegen die Düne und schauten über die Kuppe hinaus auf die See.
»Genau so muss es sein«, sagte Jaike und wischte sich den Schweiß mit dem Ärmel ihres Leinenkleides von der Stirn. »Sturm und trotzdem Ebbe. Da kann man den Sandbänken kaum ausweichen. Selbst wenn man weiß, wo sie sind.«
Broder kicherte. »Und die fremden Kapitäne, die kennen sich ganz und gar nicht aus. Sagt Pidder jedenfalls.«
»Klar kennen die sich nicht aus. Das weiß jeder im Dorf. Die sind ja aus Venedig!« Jaike klang naseweis, obwohl sie keine Ahnung hatte, wo dieses Venedig lag. Aber immerhin hatte sie über die Handelsschiffe, die aus dem fernen Land kamen, schon eine ganze Menge gehört. Es hieß, sie wären randvoll mit Kostbarkeiten beladen: mit Seide und Elfenbein, Parfüm und Juwelen. Manche fuhren bis nach Schweden hoch – aber falls man Glück hatte, kamen sie nicht so weit.
Jaike beobachtete die grauen Wellen. Wenn sich das Meer bei Ebbe zurückzog, dann ragten die Sandbänke als schmale, helle Inseln aus dem Wasser. Aber bei so einem Seegang, wie er jetzt herrschte, war es fast unmöglich, die tückischen Untiefen vorauszuahnen.
Broder kniff die Augen zusammen. »Kein Schiff zu sehen«, murmelte er. »Kein Mast weit und breit.« Enttäuscht rollte er sich auf den Rücken. Er ließ sich die Regentropfen ins Gesicht pladdern. Seine wollene Jacke und die Hose waren durchnässt, aber das störte ihn nicht. Schlimmer war der Hunger, der ihn jetzt wieder packte. Unwillkürlich drückte er sich die flache Hand auf den Magen.
»Hätt ich dich mal deinen Fisch braten lassen«, sagte Jaike mitleidig. Sie kannte diese Geste bei Broder und wusste, was sie bedeutete.
»War schon richtig so«, antwortete er. »Wenn wir abwarten, bis sich der Sturm verzogen hat, ist der Strandvogt vor uns da. Aber wenn es so schüttet wie jetzt, lässt der sich nicht blicken.«
Grimmig ballte Jaike die Faust. »Ich hab so gehofft, dass diesmal eins der dicken Schiffe auf Grund läuft«, murmelte sie. »Der Pfarrer hat am Sonntag den Strand gesegnet, damit endlich mal ein richtiger Sturm aufkommt. Wenn Gott mit uns ist, dann muss er uns doch mal einen ordentlichen Pott schicken. Beim letzten Sturm hab ich nichts als ein paar Planken aus dem Wasser gefischt. Die sind schon längst im Herdfeuer gelandet.«
Broder lachte. »Vielleicht ist Gott ja mit den Venedigern – so stinkereich, wie die sind, kann man das schon glauben.«
»Venezianer heißt das, du…!« Jaike brach ab. Sie packte Broder beim Arm. Mit der anderen Hand zeigte sie in Richtung Meer. »Sieh nur! Da hinten auf Tades Eiland!«
Tades Eiland war eine der großen Sandbänke, die man bei Ebbe tatsächlich für eine Insel halten konnte. Sie hatte ihren Namen nach dem Einsiedler Tade bekommen, der von Hamburg nach Sylt gekommen war, um die Einsamkeit zu suchen. Als er die Sandbank sah, wollte er ausgerechnet dort seine Hütte bauen. Dum und dwylsinnich sei er gewesen, erzählten sich die alten Leute in Rantum, komplett verrückt. So verrückt, dass er gegen jede Warnung bei Ebbe rausgerudert war, um sich dort eine hölzerne Bude zu zimmern. Und so war er noch am selben Tag, als die Flut kam, mitsamt seinen Brettern in den Wellen verschwunden.
Broder folgte Jaikes Blick. Jetzt entdeckte auch er, was sie meinte. Irgendetwas hatte sich dort in den Sand gegraben. Immer wenn sich die Wellen für einen Moment zurückzogen, war es zu sehen. Dort, auf Tades Eiland, war etwas gestrandet!