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Spannendes Abenteuer aus dem Mittelalter Mainz 1184: Am Rande des großen Festes zu Ehren der Söhne Barbarossas, die zu Rittern geschlagen werden sollen, finden die Zwillinge Hagen und Johanna ein Säckchen, prall gefüllt mit Gold. Ein Reiter im roten Umhang verlor es, als er im wilden Ritt davonpreschte. Hagen und Johanna machen sich auf die Suche nach dem geheimnisvollen Roten Ritter. Doch der Gesuchte führt Böses im Schilde...
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Seitenzahl: 79
Cornelia Franz
Das Geheimnis des Roten Ritters
Ein Abenteuer aus dem Mittelalter
Mit Illustrationen von Peter Knorr
All den kleinen und großen Abenteurern
in unserer Siedlung gewidmet
Hagen wurde vom leisen Wiehern der Pferde wach. Er schaute durch die Ritzen des hölzernen Stalles ins Freie. Die Sonne hatte noch längst nicht die Burgmauer erreicht. Die Nacht war gerade erst dem Tag gewichen. Wieder schnaubten und stampften die Pferde neben ihm. Noch etwas steif von der Kälte stand er auf und streckte sich. Er klopfte sich das Stroh aus den halblangen braunen Haaren. Was war los? Warum waren die Pferde so unruhig?
Im selben Moment fiel es ihm ein. Heute brachen die Männer auf! Gleich nach Sonnenaufgang wollten sie los, der Burgherr von Felsenstein und seine Leute. Es schien, als spürten die Pferde, dass sie heute eher als sonst gefüttert und gestriegelt werden sollten. Na klar, die Pferde waren aufgeregt wegen der langen Reise! Hagen klopfte dem Aschgrauen, der das Lieblingspferd seines Vaters war, die Flanke.
»Du hast es gut«, murmelte er. »Du darfst zum großen Hoffest nach Mainz. Alle dürfen mit. Nur ich nicht. Das ist so gemein!«
Der Aschgraue rieb seine Schnauze an Hagens Schulter, als wollte er ihn trösten.
»Mach’s gut, mein Alter.« Hagen seufzte. Er würde den Grauen vermissen.
Seit Hagen sieben Jahre alt war und nicht mehr unter der Obhut der Mutter stand, sollte er eigentlich bei seinem Vater übernachten. Doch er schlief selten im Schlafgemach der Männer. Er war schwer krank gewesen damals; einen schlimmen Husten hatte er gehabt. Die Männer hatten ihn beschimpft, weil sie wegen seines Bellens und Keuchens nachts nicht schlafen konnten. Und sein älterer Bruder Ludwig hatte sich geweigert, mit ihm das Bett zu teilen.
Und so war Hagen, als das hohe Fieber abgeklungen war, abends heimlich in den Pferdestall geschlichen. Die Tiere störten sich nicht an seinem Husten. Der Aschgraue hatte sich sogar geduldig neben ihn gelegt.
In der Wärme des Stalls war es viel leichter gewesen, die eklige Lungenkrankheit loszuwerden, als in dem zugigen Burgzimmer. Durch das Ölpapier in den Fensteröffnungen pfiff der Wind und die Mauern waren kalt. Nur im Saal, wo fast immer ein Feuer brannte und wo es Teppiche auf dem Boden und an den Wänden gab, war es ein wenig wohnlicher.
Als Hagen über den Hof zum Bergfried, dem Wohnturm, hinüberlief, kamen ihm schon Ritter Karl und die Knechte entgegen. Und allen voran natürlich Waldemar!
Hagen biss sich auf die Lippe. Wenn er diesen Kerl nur sah, grummelte es ihm schon vor Zorn im Bauch. Oder vor Neid.
»Guten Morgen, Vater«, rief Hagen Ritter Karl zu. An Waldemar, dem Knappen seines Vaters, sah er vorbei.
Karl legte Hagen die Hand auf die Schulter. »Hast du wieder im Stall geschlafen wie ein Bauer?«, brummte er. Aber er erwartete keine Antwort. Es war ihm egal, wo dieser Junge die Nacht verbrachte. Dieser blasse, schmale Junge … der einzige seiner Söhne, der immer noch auf der Burg des Vaters herumlungerte, als wäre er ein Mädchen.
»Vater, sag, darf ich nicht doch mit?« Hagen sah Ritter Karl bittend an, doch der zog nur die Augenbrauen hoch.
Da drehte sich Waldemar um.
»Hagilein«, stichelte er aus einiger Entfernung. »Sollen wir deine Amme auch mitnehmen? Damit sie dich in den Schlaf wiegt, wenn du Heimweh kriegst?«
Hagen bückte sich blitzschnell nach einem Stein und warf ihn in Waldemars Richtung. Doch der hob gerade noch rechtzeitig den Schild, den er für Ritter Karl trug. Der Stein schepperte gegen das mit Leder bezogene Holz.
Hagens Gesicht war rot geworden. Oh, wie er diesen Waldemar hasste! Und zwar nicht nur, weil Ritter Karls Knappe alles das durfte, was ihm selbst verboten war. Nein, dieser grässliche Kerl war einfach ein hinterhältiger, aufgeblasener Hanswurst. Und sonst nichts. Ritter Karl hatte ihn vor sieben Jahren als Pagen bei sich aufgenommen. Seitdem hatte er gelernt, seinen Herrn bei Tisch zu bedienen, sich anständig zu benehmen, aber auch Singen, Schwimmen, Reiten und sogar schon ein wenig den Umgang mit Schild, Schwert und Lanze.
Inzwischen war Waldemar vierzehn, also noch längst kein Ritter. Erst vor einem Vierteljahr war er vom Pagen zum Knappen aufgestiegen. Seitdem übte er fast täglich den Kampf mit Lanze, Schwert und Dolch, dazu noch das Jagen mit dem Falken und feineres höfisches Benehmen.
Hagen lachte grimmig. Höfisches Benehmen! Sobald Ritter Karl ihn nicht sah, führte Waldemar sich auf, als wäre er der Kaiser persönlich. Er stolzierte herum und behandelte Hagen, der nur zwei Jahre jünger war, wie einen Säugling.
Oder noch schlimmer: wie einen Feigling. Als wäre er, Hagen, nicht auch liebend gern auf eine andere Burg als Page gezogen! Nur wegen seiner elenden Krankheit war er auf Felsenstein geblieben. Ritter Gottfried, der Lehnsherr seines Vaters, hatte ihn nicht mehr als Pagen gewollt. Das wusste jeder auf der Burg!
Wie gerne wäre er damals ins Kloster Hartenau gegangen. Dann hätte er wenigstens das Lesen und Schreiben und die lateinische Sprache gelernt. Aber die Mutter hatte ihn leider nicht weggehen lassen – und so war er nun zu nichts nutze.
»Du musst mit dem ganzen Arm werfen, Hagen. Nicht nur mit dem Handgelenk.« Das war Ritter Karls Antwort auf die Bitte seines Sohnes. Dann gingen die Männer weiter und beachteten ihn nicht mehr. Nur Waldemar streckte Hagen kurz die Zunge heraus. Wie ein Hanswurst eben. Und so einer durfte mit nach Mainz! Ach, das Leben war so ungerecht!
»Psst … Hagen!« Eine leise, aber energische Stimme riss Hagen aus seiner Grübelei.
Er schaute in Richtung des Ziehbrunnens. Hinter dem großen Holzzuber, den eine der Mägde dort abgestellt haben musste, konnte er die braunen Locken seiner Schwester Johanna entdecken. Hagen lief zu ihr hinüber.
»Was machst du hier?«, fragte er. Normalerweise schliefen die Mädchen um diese Zeit noch im Frauenzimmer. Und Johanna sah auch wirklich so aus, als könnte sie gut noch ein paar Stunden Schlaf gebrauchen.
»Dasselbe wie du«, antwortete Johanna. »Ich will sehen, wie sie losziehen. Vater hat seine edelste Rüstung polieren lassen und ich hab ihm gestern Abend noch den neuen Waffenrock glatt gebürstet. Auf Waldemars Festgewand bin ich auch gespannt.«
Hagens Miene verdüsterte sich. »Ich will das nicht sehen!«, raunzte er Johanna an. »Lass mich in Ruhe mit dem Mist.«
Johanna nahm Hagen seine Grobheit nicht übel. Sie verstand ihn ja so gut. Auch sie wäre für ihr Leben gern bei dem großen Fest des Kaisers in Mainz dabei gewesen. Die Schwertleite der Kaisersöhne Heinrich und Friedrich! Beim großen Hoftag an Pfingsten sollten die beiden jungen Männer feierlich zu Rittern geschlagen werden. Auf die Bibel würden sie schwören, die Kirche zu schützen, die Schwachen zu verteidigen, gegen alles Böse zu kämpfen und ihrem Lehnsherrn treu zu sein. Drei Tage sollte das Fest dauern und es würde die prächtigsten Zweikämpfe und Buhurte geben, die man sich nur vorstellen konnte.
Johanna hätte schrecklich gerne einmal so einen Buhurt gesehen, bei denen zwei Gruppen von Rittern gegeneinander kämpften und ihre Geschicklichkeit mit den Pferden zeigten. Es ging dabei nicht blutig zu, weil die Männer nur mit Holzschwertern kämpften.
Auf Burg Felsenstein sprach man seit Wochen von dem Fest, das mit allem Glanz am Ufer des Rheins gefeiert werden sollte. Es hieß, dass Tausende und Abertausende von Rittern aus dem ganzen Reich erwartet wurden! Dazu alle wichtigen Leute des Reichs: Bischöfe, Äbte, Könige und Edelmänner. Allein der Abt von Fulda sollte mit fünfhundert Leuten angereist sein! Ach, all die feinen Edeldamen … was musste das für ein Schauspiel sein.
Johanna schluckte. Wenn ihre Mutter noch leben würde! Die wäre natürlich mit nach Mainz gefahren. Und dann hätten sie hier, auf Felsenstein, jedenfalls ein bisschen von der Festlichkeit mitbekommen. Denn ihre Mutter hatte es geliebt, die schönen Stoffe vor Johanna auszubreiten, aus denen sie ihre Kleider selbst schneiderte. Doch das war vorbei. Die Herrin von Felsenstein war an dem gleichen schrecklichen Lungenfieber gestorben, das Hagen ein paar Jahre zuvor nur knapp überlebt hatte.
»Waldemar sieht doch eh aus wie ein Narr, egal was er anhat«, meinte Johanna und stupste Hagen mit dem Ellenbogen an. Sie sah den mageren Waldemar vor sich und seufzte. Dieser Kerl, der sich offenbar für unwiderstehlich hielt, hatte ein Auge auf sie geworfen. Und für Ritter Karl stand ihre Verlobung mit seinem Knappen eh schon fest. Schließlich war Waldemar von Waldenburg der Sohn eines reichen Edelmanns und eine gute Partie. Aber auch wenn sie mit zwölf Jahren inzwischen heiratsfähig war, dachte sie gar nicht daran, sich dem Willen des Vaters zu beugen.
»Vaters Knappe ist leider ein Dummkopf«, sagte sie. Und es klang so, als wäre das eine Tatsache, an der es nichts zu rütteln gab.
Hagen grinste schwach. Johanna war auf seiner Seite. Das war immerhin ein Trost. Ach, wenn er Johanna nicht hätte, dann wäre es noch viel trübsinniger auf Felsenstein. Auch wenn sie ein Mädchen war …
»Hör mal«, flüsterte Johanna, obwohl sie hier am Brunnen von niemandem gehört werden konnten. »Ich habe eine Idee.«