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Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Die großen Western Classic Diese Reihe präsentiert den perfekten Westernmix! Vom Bau der Eisenbahn über Siedlertrecks, die aufbrechen, um das Land für sich zu erobern, bis zu Revolverduellen - hier findet jeder Westernfan die richtige Mischung. Lust auf Prärieluft? Dann laden Sie noch heute die neueste Story herunter (und es kann losgehen). Dieser Traditionstitel ist bis heute die "Heimat" erfolgreicher Westernautoren wie G.F. Barner, H.C. Nagel, U.H. Wilken, R.S. Stone und viele mehr. Der Mann drehte sich langsam um, bis sein Poncho auseinanderfiel, dieser Umhang, wie ihn Vaqueros trugen. Dann sah Lee Callum die Hand aus dem auseinanderklaffenden Poncho kriechen. In der Hand lag der Colt. Die Mündung wies in Callums Kopfhöhe. Es war ein verrücktes Gefühl, das Callum plötzlich beschlich, ungefähr so, als wäre er ein Kaninchen und die Mündung des Colts der aufgerissene Rachen einer Schlange. So ist das, dachte Callum, ich bin ein hypnotisiertes Kaninchen, nichts sonst, nur hypnotisiert. So einfach ist das – man hat Hunger, setzt sich an einen Tisch in einem Saloon und bekommt ein Essen. Dann kommt jemand herein. Er schlendert ganz harmlos durch die Tischreihen, scheinbar konzentriert blickt er zum Tresen und studiert das schöne Bild darüber, die nackte Maja. Der Mann hier blickt hin, bis er sich plötzlich umdreht, um seinen Poncho auseinanderzuschlagen und mir seinen Colt zu zeigen. Callum war nicht mehr hypnotisiert. Er hob den Blick und sah dem Mann ins Gesicht. Er hatte ihn noch nie gesehen, denn er hätte sich sonst an die Narbe über dem linken Augenbrauenwulst erinnert. »No, no«, sagte der Mann mit den schwarzen Augen und der weißen Narbe auf brauner Haut sanft, als Callum die Gabel hinlegen wollte. »No, Amigo!« Auf den Zinken der Gabel steckten zwei Bohnen, in Öl gesotten und mit Estragon bestreut. Sie wurden jetzt kalt, genauso wie Callum. Der blickte vom Gesicht des Mannes fort zum Tresen. Einen Moment lang sah Callum nur die Frau hinter dem Tresen.
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Seitenzahl: 146
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Der Mann drehte sich langsam um, bis sein Poncho auseinanderfiel, dieser Umhang, wie ihn Vaqueros trugen. Dann sah Lee Callum die Hand aus dem auseinanderklaffenden Poncho kriechen. In der Hand lag der Colt.
Die Mündung wies in Callums Kopfhöhe.
Es war ein verrücktes Gefühl, das Callum plötzlich beschlich, ungefähr so, als wäre er ein Kaninchen und die Mündung des Colts der aufgerissene Rachen einer Schlange.
So ist das, dachte Callum, ich bin ein hypnotisiertes Kaninchen, nichts sonst, nur hypnotisiert. So einfach ist das – man hat Hunger, setzt sich an einen Tisch in einem Saloon und bekommt ein Essen. Dann kommt jemand herein. Er schlendert ganz harmlos durch die Tischreihen, scheinbar konzentriert blickt er zum Tresen und studiert das schöne Bild darüber, die nackte Maja. Der Mann hier blickt hin, bis er sich plötzlich umdreht, um seinen Poncho auseinanderzuschlagen und mir seinen Colt zu zeigen.
Callum war nicht mehr hypnotisiert. Er hob den Blick und sah dem Mann ins Gesicht. Er hatte ihn noch nie gesehen, denn er hätte sich sonst an die Narbe über dem linken Augenbrauenwulst erinnert.
»No, no«, sagte der Mann mit den schwarzen Augen und der weißen Narbe auf brauner Haut sanft, als Callum die Gabel hinlegen wollte. »No, Amigo!«
Auf den Zinken der Gabel steckten zwei Bohnen, in Öl gesotten und mit Estragon bestreut. Sie wurden jetzt kalt, genauso wie Callum.
Der blickte vom Gesicht des Mannes fort zum Tresen. Einen Moment lang sah Callum nur die Frau hinter dem Tresen. Sie war rotblond, groß, vollschlank und vier Jahre älter als Callum. Sie war seine Freundin, wenn man das so nennen wollte, wenn ein Mann manchmal nach Laredo kam, in das Fronteras Hotel ging, dort im Mietstall sein Pferd abstellte und im Saloon einen Drink nahm, um später Zigarillos im Store zu kaufen. Vier verschiedene Lokale waren es, und alle gehörten dieser Frau, in deren Bett Callum manchmal schlief.
Die Frau hieß Claire Dorson und lächelte gerade einen Mann an. Es war einer der Rancher von San Jacinto Creek. Neben ihm standen drei seiner Freunde. Sie scherzten mit Claire, wie alle Männer es taten, die sich etwas erhofften und es doch
nie bekommen würden, weil es für
Claire nur einen Mann gab. Dieser Mann saß in der Ecke an seinem Stammplatz und hatte zwei Bohnen auf einer Gabel und einen Mann mit schwarzen Augen und einem Colt vor sich.
Die Schwingtür klappte auf, und er sah Rich Boone hereinkommen. Links von Rich ging Mateo, einer seiner Freunde. Rechts Panhard, ein hagerer Typ mit schweren Lidern, die immer halb die Augen bedeckten und den Eindruck erzeugten, daß Panhard müde und schläfrig war.
Das blieb nicht alles, denn nun kam auch noch Seguro herein. Dessen Gang hatte Callum schon immer an das Schleichen eines Pumas erinnert. Der kleine Kerl mit dem bartlosen Gesicht und den düsteren Augen hob die Füße kaum an. Aber er schlurfte niemals, sondern glitt dahin, lautlos, geschmeidig – und tödlich.
Boone, Panhard, Mateo, Seguro – vier Männer dort, einer hier, und Callum wußte, welchen Beruf sie hatten. Vielleicht wußten es andere auch, aber man sprach nie darüber, denn wer wollte schon Ärger mit Rich Boone und seinen Vieh- und Pferdedieben bekommen. Bis heute hatte man Boone zwar verdächtigt, doch beweisen konnte man ihm nichts.
Du großer Gott, dachte Callum – sein Blick flog sofort wieder zum Tresen, und er sah jetzt, daß Larry und Kincaid Huston dort standen, zwei seiner Freunde – wenn man das Freundschaft nennen konnte, was zwischen Callum und den Hustons war.
Du großer Geist!
Neben den Hustons lehnte Archimede, der Neger, an der Theke. Archimede war stark wie ein Wasserbulle, er konnte einem ausgewachsenen Stier den Hals umdrehen.
Luke Palmer kam mit zwei Flaschen auf dem Tablett aus der Tür zum Nebenzimmer, in dem irgendwelche Rancher tagten. Palmer war ein großer schwarzhaariger Mann mit öligem Gesicht und wieselflinken Augen. Er war erster Waiter in Claires Saloon, ein Mann, der immer alles sah.
Palmer sagte nichts und hütete sich, noch einen Schritt zu gehen, denn er hätte sich dann genau in die Schußbahn des Mannes mit der Narbe hineinbewegt.
In diesem Moment brüllte Big Tiger los. Sie hatten ihn Big Tiger genannt, obwohl er eigentlich Butcher hieß und nichts von einem Tiger an sich hatte. Big Tiger war kein Mann, kein Riese, kein Goliath und keine blutrünstige Bestie.
Big Tiger war nichts als eine Handvoll Hund, die letzte Bastardmischung, die es gab.
Er hatte zu lange Beine, zu spitze Ohren, einen Büschelschwanz und Mäusezähne, und er war stinkend faul. Big Tiger hatte Knopfaugen, lag den ganzen Tag in einem Korb auf der Flaschenanrichte hinter dem Tresen und blinzelte nur ab und zu, wenn jemand hereinkam. War es ein Freund, sprang Big Tiger aus dem Korb und begrüßte ihn. Er hatte nur vier Freunde, und deshalb brauchte er sich nicht sehr zu bewegen, denn sie kamen nicht oft in den Saloon.
Big Tiger brüllte los, sprang auf, sauste aus dem Korb und auf Rich Boone zu.
Das war es, was die Sache entschied. Boone hatte sicher nicht mit dem Hund gerechnet und einen ganz anderen Ablauf geplant gehabt.
Dieser winzige Köter verdarb ihm alles, denn natürlich wußten auch die Hustons, daß Big Tiger nur vier Freunde hatte, die er schwanzwedelnd und bellend begrüßte.
Lee Callum war vor einer Stunde gekommen und hatte weder Jesse Marlowe noch Bill Jackson mitgebracht, die anderen Freunde Big Tigers. Die Hustons hatten mit Lee gesprochen und ihm erzählt, daß Marlowe und Jackson alle Hände voll mit den Maultieren zu tun hätten. Folglich blieb nur noch ein Mann übrig, den Big Tiger bellend zu begrüßen hatte: Rich Boone.
Als der Hund um die Tresenecke sauste und bellend zwischen den Tischen hindurchschoß, hatte Rich
Boone mit seinen Komplicen gerade vier Schritte gemacht. Er hätte noch sieben bis zum Tresen zu gehen gehabt, aber dazu kam es nicht mehr.
In derselben Sekunde wirbelten die Hustons am Tresen herum. Sie stießen sich ab und rissen ihre Revolver heraus, ehe sie Boone überhaupt wahrnahmen.
Das war alles, was Lee Callum sah. Warum es geschah, wußte er nicht. Und dann brach die Hölle los.
*
»Laßt fallen!«
Boones scharfer Schrei kam viel zu spät. Der stämmige Boone mußte es erwartet haben, denn sein Colt kam eine halbe Sekunde eher hoch, als Larry Huston die Waffe heraus hatte.
»Nein, nein!«
Claire Dorson rief es so hell, daß ihre Stimme im letzten Winkel des Saloons gehört werden mußte. Aber weder die Hustons noch die Horde um Boone machten sich etwas aus ihrem Ruf.
Es war schlimm für Callum, daß er nur den Zuschauer spielen konnte und zusehen mußte, wie Claire, als wäre sie vor Schreck gelähmt, reglos am Tresen stehenblieb. Sie hätte sich wenigstens ducken können, aber sie tat nichts.
Es ging auch zu schnell, denn
Boone drückte nach seinem Warnschrei sofort ab. Die Kugel schlug über Larry Hustons Kopf in die Wand.
Larry Huston riß den Colt hoch. Er war weit genug herumgekommen und schlug auf Boone an. Erst in diesem Augenblick sah Huston, daß
Boone seine Freunde mitgebracht hatte. Aber jetzt war es zu spät.
Lee Callum erkannte, daß Larry noch versuchte, mit einem verzweifelten Satz zur Seite auszuweichen. Doch Rich Boone feuerte jetzt wieder. Den Bruchteil einer Sekunde später kam Larry Hustons Schuß.
An der Stellung seiner Hand sah Callum, daß er die Kugel hoch über Boone in die Decke des Saloons jagen würde. Larry Huston drückte noch ab. Er wollte wegtauchen, aber Boones Geschoß erwischte ihn mitten in der Brust.
Es sah aus, als würde Larry von einem Fausthieb getroffen. Er wurde gegen den Tresen geschleudert. Sein Colt sank, seine Linke griff nach der Brust, die Knie gaben nach.
Sein Bruder Kincaid war noch nicht ganz herum, als der schläfrig wirkende Panhard abdrückte. Die Kugel bohrte sich durch Kincaids Lederweste in dessen linke Schulter. Das Geschoß stieß Kincaid Huston wieder herum. Ehe er erneut mit der Brust zum Tresen stand, krachte Seguros Colt.
Der Mann, dessen Füße sich beim Gehen nie richtig hoben, war viel zu eiskalt, um jemandem eine Chance zu lassen. Seine Kugel traf Hustons linke Seite und gab ihm den Rest.
Kincaid Huston fiel auf die Tresenplatte. Er schien tödlich getroffen zu sein, denn Blut rann aus dem Loch in seinem Westenrückenteil.
Aber dann krachte Kincaids Revolver. Die Waffe spie Feuer aus – Feuer, das weit über den Tresen leckte und jemanden erfaßte, der mit all dem, was zwischen den Hustons und Boones Bande war, nicht das geringste zu tun hatte.
Lee Callum hörte den hellen Schrei im Krachen des Schusses. Er wußte, daß Claire Dorson geschrien hatte. Er sah sie in diesem Moment nicht, weil Archimede, der Neger, nach links sprang und sein Messer herausriß. Archimede verdeckte
Claire nur für zwei Sekunden, aber ausgerechnet im Krachen von Kincaids Colt.
Während Archimede nach links hechtete, hob Mateo, Boones Mann, die Rechte und schoß. Der Neger stieß ein fürchterliches Gebrüll aus, als ihn Mateos Kugel im Oberschenkel traf. Archimedes stürzte zu Boden, wo er weiterbrüllte und sein getroffenes Bein bewegte, als wäre er ein auskeilendes Maultier.
Für Lee Callum war der Blick zum Tresen und zu Claire Dorson jetzt frei. Claire taumelte, beide Hände auf die Brust pressend, bis zum Flaschenschrank zurück.
Callum blickte wie gelähmt auf das Blut, das plötzlich über ihre schlanken Hände floß. Es war ein so unwirklicher Anblick, daß Callum zu keiner Bewegung fähig war. Er vergaß den vor ihm stehenden Mann vollkommen. Er hatte nur noch Augen für Claire und glaubte nicht an das, was passiert war.
Es wollte ihm einfach nicht in den Kopf, denn Kincaid Huston rutschte jetzt langsam vom Tresen herunter. Daß er, obwohl er tödlich getroffen war, noch gefeuert hatte, kam Lee unmöglich vor.
»Lieg still, du schwarze Bestie!«
Panhard, von dem man wußte, daß er Neger wie die Pest haßte und um jeden von ihnen einen weiten Bogen machte, weil er angeblich stinken sollte, wirkte gar nicht mehr müde.
Der hagere Mann sprang nach links hinüber, um zwischen zwei Tischen stehenzubleiben und den Colt auf Archimede zu richten.
»Liegst du wohl still, du elender Schurke?«
Larry Huston war zuerst auf die Knie und dann auf das Gesicht gestürzt. Sein Bruder Kincaid rutschte jetzt von der Tresenplatte, kippte hintenüber und fiel über Larry. Er hatte den Colt losgelassen. Die Waffe lag noch auf der Platte, und aus ihrer Mündung kräuselte Rauch.
Der und die Pulverwolke tauchten das Gesicht Claires in graues gespenstisches Licht.
»Mein Gott«, stieß irgend jemand hervor. »Claire ist getroffen! Dieses verdammte Schwein.«
Boone stand geduckt keine drei Schritte von Callum entfernt an einem Tisch. Er hob die linke Hand mit einer Gebärde, als wolle er irgend etwas festhalten. Sein Gesicht war angespannt und verzerrt gewesen. Nun wurde es leichenblaß, und er fragte ungläubig:
»Wie konnte das passieren? Wie konnte das…«
Danach verschluckte er sich, wirbelte auf der Stelle herum. Sein Colt zeigt auf Lee Callum.
»Pepe, halte ihn in Schach!« schrie er. »Rühr dich nicht, Lee!«
Seine etwas schrill klingende Stimme riß Callum aus der Erstarrung. Aber das Gefühl blieb in Callum, daß seine Muskeln gelähmt waren. Er konnte zwar den Kopf wenden, war jedoch nicht fähig, die Gabel loszulassen. Lee umklammerte die Gabel wie ein Ertrinkender einen Strohhalm. Er sah, wie Boone mit zwei Sprüngen heranflog.
In der nächsten Sekunde stieß er Callum den Colt gegen die Brust. Daß er zugriff und Callum den Colt aus dem Halfter riß, begriff Lee erst zwei Sekunden später.
»Claire, Claire!«
Callaghan, einer der Rancher, sprang um den Tresen, als Claire Dorson langsam an der Flaschenanrichte abwärtsrutschte und irgend etwas murmelte.
»Was hast du da angerichtet, Rich?« keuchte Callum entsetzt. »Rich, du verdammter Narr, was hast du gemacht?«
»Sie zogen doch zuerst!« schrie Boone wie ein Verrückter. Seine Nerven ließen ihn jetzt im Stich, und er wich mit zuckenden Lidern und flackernden Augen zurück. »Was kann ich dafür, Lee? Das ist ihre Schuld, allein ihre. Verstehst du? Misch dich nicht ein, sage ich dir. Das ist eine Warnung, Lee!«
»Geh mir aus dem Weg!« brüllte Lee den durchdrehenden Boone an. »Zur Hölle mit dir, aus dem Weg!«
Er sprang auf. Seine Lähmung war verflogen, und er stürmte, ohne auf den Mann mit der Narbe, auf dessen Colt oder auf Boones Revolver zu achten, zum Tresen.
Noch schneller als er war Seguro, der Schleicher, dort. Er fischte Kincaid Hustons Colt von der Platte, und Larry lag tot über seiner Waffe. So konnte – was Boone und seine Leute zu befürchten schienen – Callum an keinen Colt kommen.
Callaghan, der Rancher, war schon hinter dem Tresen. Er hatte Claire Dorson gestützt, aber nicht verhindern können, daß sie zu Boden gesunken war. »Claire, um Gottes willen«, sagte Callum entsetzt. »Claire, laß sehen. Nimm die Hände weg, laß mich nachsehen!«
»Lee… Meine Schwester Annabelle… Hilf ihr!«
Ihre Stimme klang dünn, ihre Lider flatterten, und die wächserne Blässe ihres Gesichtes sagte Callum alles.
»Lee, laß mich – sitzen«, bat
Claire mit schwacher Stimme. »Der Hund, Lee… Du – du mußt ihn wieder zurücknehmen. Er gehört doch dir. Nimm ihn und… Der Hund, Lee…«
Lee hatte Claire den Arm um die Schultern gelegt und versuchte, sie flach sinken zu lassen. Ehe es gelang, fiel ihr Kopf zur Seite.
Lee Callum blickte erschüttert in ihre gebrochenen Augen.
In die Totenstille des Saloons hinein drang plötzlich das klagende Winseln des Hundes. Der winzige Bastard hatte bis jetzt wie erstarrt in seinem Korb gelegen. Dorthin war er bei den ersten Schüssen geflohen. Sein Gewinsel ließ Callum langsam den Kopf heben.
»Der Hund«, sagte Callum, und seine Stimme kam ihm fremd und rauh vor. »Verdammt, nehmt doch den Hund da weg und sperrt ihn in die Küche!«
Der winzige Bastard tat plötzlich etwas, was er noch nie getan hatte, wenn jemand nach ihm gegriffen hatte, um ihn auf den Arm zu nehmen.
Big Tiger fletschte seine Mäusezähne und schnappte nach Callaghans Hand, um dann wie rasend zu bellen und mit gesträubtem Fell aus dem Korb zu springen. Das Tier federte zu Boden. Es bellte nicht mehr, sondern flog, da Callum kauerte, auf Lees Oberschenkel und suchte winselnd jenen Platz, an dem es immer Schutz gesucht hatte, als es noch ein Welpe gewesen war.
Es schlüpfte unter Callums Jacke. Dort blieb es zitternd und jaulend liegen, ab und zu den Kopf reckend und Calum die Hand leckend.
»Schon gut, Tiger«, murmelte Callum. »Nur ruhig. Dir tut ja niemand etwas. Nun laß das. Was leckst du mir die Hand? Tiger, laß das…«
Jemand stieß Callum gegen den rechten Stiefel.
»Lee, he!«
Der Hund bellte, seine Schnauze stieß Callum ins Gesicht, und er knurrte wütend.
»Lee, was ist los?«
Noch zwei oder drei Stöße trafen Callums Stiefel, bis der Hund wie irr bellte und kaltes Wasser in Lees Gesicht rann, das ihn munter machte.
»Hol’s der Teufel, wer gießt mir da…«
»Na, endlich wirst du wach«, sagte jemand seufzend. »Du hast geschrien, daß man es auf der Straße gehört hat und dein verflixter Hund wie irr durch meinen Maultiercorral rannte. Lee, hörst du mich?«
»Ja«, sagte Lee. Aber er machte die Augen nicht auf. Er blieb liegen und spürte, wie der Hund sich in seiner linken Achselhöhle zusammenringelte. »Ja, Bill.«
Er fror plötzlich. Übelkeit stieg in ihm auf. Der Schweiß ließ sein Hemd am Körper kleben, aber es war kalter Schweiß. Nur er wußte, daß es die Angst war, die ihn hatte schwitzen lassen.
Seit damals war die Angst in ihm – Angst, die er früher nie gekannt hatte. In Laredo hatte er sie kennengelernt und danach immer wieder den gleichen Traum gehabt. Einen sogenannten Wahrtraum, der immer mit demselben Bild begann, dem Poncho und dem Revolver, und der damit endete, daß der Hund winselte und Claire tot war. Dann kamen die Gedanken, bohrten, nagten und fraßen sich in sein Gehirn.
Warum war er damals nicht aufgesprungen, hatte dem Tisch einen Stoß mit den Knien gegeben und ihn dem Mann mit der Narbe entgegengeschleudert?
Warum hatte er nichts gesagt, sondern still hinter seinem Teller gesessen und nicht eingegriffen, den Dingen ihren Lauf gelassen?
Claire war tot. Aber er hätte dafür sorgen können, daß es nicht im Saloon zu dieser Schießerei gekommen wäre. Er hätte, wenn er nicht gezaudert hätte…
Lee Callum sah ihr Gesicht wieder vor sich, dieses blasse Gesicht mit den erloschenen Augen, dem leicht geöffneten Mund.
Er sah Blut, überall.
Callums Rechte kroch zur Seite. Stroh knisterte unter seinen Fingern, als die Hand suchte und endlich die Flasche fand. Callum hätte blind sein können, die Flasche hätte er immer gefunden. Aber sie war leer. Der Korken fehlte.
Der Mann stand vor der ersten Box im Stall, an jenem Platz, den Callum immer fand, ganz gleich, wieviel er auch getrunken haben mochte. Dies war Callums Schlafplatz, wenn er irgendwo zuviel getrunken hatte. Lee Callum fand immer her, manchmal erst im Morgengrauen, manchmal um Mitternacht oder auch am hellen Vormittag.
Der Mann sah auf Callum hinab und betrachtete die Hand. Er war mittelgroß, alt und unrasiert. Er sah nun zu, wie Callum die Flasche anhob, an den Mund setzte und wartete, bis der letzte Tropfen seine Zunge netzte.
Er ist fertig, dachte der alte Bill Jackson, ihm gehört nichts mehr. Zuerst hat er sein Gewehr versetzt, danach seinen Revolver, schließlich den Sattel und seinen einzigen dunklen Anzug
Am Ende war sein Pferd dran – alles für Fusel.