Seit du bei mir bist - Anne Fraser - E-Book

Seit du bei mir bist E-Book

Anne Fraser

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Beschreibung

Staatsanwalt Daniel Frobisher hat ein Herrenhaus mit Butler und gibt seinem kranken Sohn eine kahle Kammer? Temperamentvoll stellt Physiotherapeutin Colleen den Vater ihres kleinen Patienten zur Rede – dabei lässt dieser Mann sie keineswegs kalt. Aber sie weiß, dass sie nicht schwach werden darf. Ihre Hochzeit mit einem anderen ist bereits geplant …

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IMPRESSUM

CORA ARZTROMAN SCHICKSAL erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2012 by Anne Fraser Originaltitel: „The Firebrand Who Unlocked His Heart“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Deutsche Erstausgabe 2012 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg, in der Reihe: Julia Ärzte zum Verlieben, Band 64 Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Erste Neuauflage in der Reihe CORA ARZTROMAN SCHICKSAL, Band 6 10/2021 Übersetzung: Catarina Heyland

Abbildungen: mauritius images / Westend61 / Roger Richter, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751506236

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

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1. KAPITEL

„Ich bedauere, aber es bleibt bei meinem Nein“, sagte Colleen.

Daniel Frobisher lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah sie aus zusammengekniffenen Augen an, als könne er nicht glauben, was er hörte.

Colleen schätzte ihn auf Ende dreißig. Er hatte hellbraunes Haar und auffallend grüne Augen. Mit seiner geraden Nase, den vollen Lippen und markanten Wangenknochen wirkte sein Gesicht wie ein klassisches Gemälde. Er sah schon fast zu gut aus.

„Ich biete Ihnen ein sehr gutes Gehalt an.“ Frobisher nannte einen Wochenlohn, bei dem ihr schwindelig wurde. So viel verdiente sie in ihrem Job in zwei Monaten nicht. Aber hier ging es nicht ums Geld.

„Ich brauche Ihr Geld nicht. Abgesehen davon bin ich in Dublin wunschlos glücklich.“ Zwar entsprach das nicht unbedingt der Wahrheit, aber das ging ihn nichts an.

Schon vor ein paar Tagen hatte sie Frobishers persönlicher Sekretär – Haversham oder so ähnlich – mit demselben Anliegen kontaktiert, und sie hatte ihm eine Absage erteilt.

„Wenn Mr Frobisher sich nicht die Zeit nehmen kann, mich persönlich aufzusuchen, dann scheint ihm das Schicksal seines Sohnes nicht allzu sehr am Herzen zu liegen“, hatte sie ihm am Telefon erklärt. „Um eine Verbesserung seines Zustandes herbeizuführen, braucht der Junge rund um die Uhr intensive Zuwendung. Ohne die Mitarbeit seines Vaters ist das unmöglich.“

„Mr Frobisher ist ein viel beschäftigter Mann“, hatte Haversham geantwortet. „Er wäre gerne selbst gekommen, doch da es sein Terminplan nicht zuließ, hat er mich mit der Angelegenheit betraut.“

Der Angelegenheit? Sie sprachen hier über Frobishers Sohn.

„Es tut mir sehr leid, aber wenn Mr Frobisher so wohlhabend ist, wie Sie sagen, wird er sicher eine andere Lösung finden.“

Danach hatte sie aufgelegt und das Gespräch fast vergessen – bis heute Morgen.

„Colleen, da ist ein unglaublich gut aussehender Mann, der dich sprechen will.“ Lillian, die Empfangssekretärin, war mitten in die Dienstübergabe nach ihrer Nachtschicht geplatzt. „Ich habe ihm erklärt, dass du beschäftigt bist, aber er sagt, er müsse dich unbedingt sofort sprechen.“ Sie sah Colleen mit weit aufgerissenen Augen an. „Hast du etwa Geheimnisse vor uns? Na ja, wenn ich meinen Freund mit so einem Prachtexemplar hintergehen würde, würde ich es auch niemandem erzählen.“

„Ich habe Ciaran noch nie betrogen.“ Colleen war empört. „Wer auch immer es ist, sag ihm, dass er sich gedulden muss – oder am Montag wiederkommen.“

„Süße, was auch immer du mit diesem Mann angestellt hast, er wird sich nicht abwimmeln lassen.“

Neugierig warf Colleen einen Blick in den Wartebereich. Tatsächlich. Der Mann, der dort auf und ab lief und alle paar Sekunden auf seine Armbanduhr blickte, sah aus wie ein Hollywoodstar. Mit Sicherheit war sie ihm nie zuvor begegnet. Daran würde sie sich erinnern.

„Ich habe keine Ahnung, wer das ist“, flüsterte sie. „Hat er dir keinen Namen gesagt?“

„Doch. Er heißt Frobisher.“

Sieh an. Der viel beschäftigte Geschäftsmann konnte doch ein paar Minuten seiner kostbaren Zeit erübrigen. Nun, sie würde ihm dieselbe Antwort geben wie Haversham.

Nach der Dienstübergabe machte Colleen die übliche Runde, um sich von ihren Patienten zu verabschieden. Mit einem routinierten Schwung wich sie Jakes Elektrorollstuhl aus, als er in halsbrecherischem Tempo um die Ecke brauste. „Hey, Jake, du bist hier nicht in Silverstone“, rief sie mit gespielter Entrüstung.

Jake war seit vielen Monaten Patient auf der Rehabilitationsstation, auf der Colleen arbeitete. Er war nach einem Motorradunfall zu ihnen gekommen, querschnittsgelähmt und voller Zorn über sein Schicksal. Doch seit er den Elektrorollstuhl besaß, hatte er neuen Lebensmut gefasst und war fest entschlossen, seinen Alltag wieder alleine zu bewältigen. Colleen würde ihn vermissen, wenn er in ein paar Wochen entlassen wurde.

Als Letztes betrat sie das Zimmer von Kiera Flannigan, einer bildhübschen Achtzehnjährigen, die nach einem schweren Verkehrsunfall vor sechs Monaten vom Hals abwärts gelähmt war. Genau wie Jake hatte sie zu Anfang sämtliche Therapieangebote verweigert. Colleen hatte stundenlang an ihrem Bett gesessen und ihr Mut zugesprochen. Sie hatte nicht zugelassen, dass Kiera sich aufgab – und letztlich Erfolg gehabt. Zwar würde Kiera für immer gelähmt bleiben, aber sie hatte gelernt, einen Spezialcomputer zu bedienen, den sie mit ihrem Atem steuern konnte. Damit konnte sie Nachrichten tippen und ihren Rollstuhl lenken.

„Hey, Colleen“, erschien jetzt auf dem Monitor. „Gehen wir heute Abend in die Disco?“

„Lieber nicht. Ich brauche meinen Schönheitsschlaf. Was hast du heute noch vor?“

„Hausaufgaben, igitt! Bald sind Prüfungen. Würde lieber tanzen gehen.“

Colleen hätte viel darum gegeben, ihr diesen Wunsch erfüllen zu können. Wenigstens durfte auch Kiera bald wieder nach Hause. Colleen und ihre Kollegen hatten eine Spendenaktion durchgeführt, damit sie ihren Computer mitnehmen konnte. Ihre Klinik war die einzige neurologische Rehabilitationseinrichtung im Süden Irlands, finanzierte sich jedoch ausschließlich über Spenden. Darum war das Geld stets knapp, gerade wenn es darum ging, wichtige, aber teure technische Hilfsmittel für die Patienten anzuschaffen.

„Was macht dein Blog?“, wollte Colleen wissen.

„100 Besucher pro Tag.“ Sobald Kiera die Bedienung des Computers gemeistert hatte, war ihr langweilig geworden. Colleen hatte ihr vorgeschlagen, einen Blog über ihren Umgang mit der Behinderung zu erstellen. Kiera hatte sich begeistert an die Arbeit gemacht, und ihre Webseite war ein kleiner Erfolg geworden.

Eine halbe Stunde später betrat Colleen den Empfangsbereich, wo Daniel Frobisher sie mit einem vorwurfsvollen Blick auf die Uhr ungeduldig erwartete.

„Tut mir leid, dass Sie warten mussten. Ich bin Colleen McCulloch. Sie wollten mich sprechen?“

Frobisher schüttelte ihr energisch die Hand. „Daniel Frobisher. Können wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten?“

Er war so groß, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen zu sehen.

„Ich fürchte, Sie verschwenden Ihre Zeit. Wie ich Ihrem Mitarbeiter bereits sagte, kann ich die Pflege Ihres Sohnes nicht übernehmen. Ich habe ihm einige Kolleginnen empfohlen.“

„Vielleicht könnten Sie mir einen Moment lang zuhören, da ich mir schon die Zeit genommen habe hierherzukommen.“

Schon griff er nach ihrem Ellenbogen und schob sie in Richtung Ausgang. „Ich habe genug von Krankenhäusern.“ Seine Stimme klang angespannt. „Gibt es einen angenehmeren Ort, wo wir alles besprechen können?“

„Wie gesagt, es gibt nichts zu besprechen.“ Colleen versuchte vergeblich, sich aus seinem Griff herauszuwinden. Wollte er sie etwa entführen? Angesichts seines finsteren Gesichtsausdrucks würde sie es ihm zutrauen.

Mach dich nicht lächerlich. Er würde sie wohl kaum am helllichten Tag mitten in Dublin in sein Auto zwingen.

Doch genau das tat er. Sein Wagen, ganz in elegantem Schwarz und Chrom gehalten, parkte direkt vor dem Haupteingang der Klinik, was noch nicht einmal dem medizinischen Direktor gestattet war.

Bevor Colleen wusste, wie ihr geschah, saß sie neben ihm auf der Rückbank, während der Chauffeur den Motor startete.

Kranker Sohn hin oder her, der Mann begann ihr auf die Nerven zu gehen. Colleen rüttelte am Türgriff.

„Lassen Sie mich auf der Stelle aussteigen.“ Sie versuchte, ruhig zu bleiben. „Halten Sie den Wagen an. Sofort!“

Sie wühlte in ihrer Handtasche nach etwas, das sie als Waffe benutzen konnte, fand aber im üblichen Durcheinander aus gebrauchten Taschentüchern und Münzen lediglich ein Notizbuch, einen Stift, ihre Geldbörse und eine Flasche Parfüm. Ohne nachzudenken, zog sie den Flakon heraus und richtete ihn auf den Chauffeur. „Wenn Sie nicht anhalten, sprühe ich Ihnen das hier ins Gesicht.“

Statt den Chauffeur anhalten zu lassen, drückte Frobisher einen Knopf, und eine Glasscheibe fuhr zwischen Vorder- und Rückbank hoch. „Sie wollen mich und meinen Fahrer mit Parfüm außer Gefecht setzen?“ Seine grünen Augen blitzten amüsiert, wodurch er nicht mehr gar so streng aussah. „Ich bitte Sie lediglich um eine halbe Stunde Ihrer Zeit“, sagte er versöhnlich. „Danach bringe ich Sie nach Hause. Ich möchte nur, dass Sie mich anhören, bevor Sie eine Entscheidung treffen.“

In seiner Stimme lag ein Anflug von Melancholie, der Colleen innehalten ließ.

Sie studierte sein Gesicht genauer, ohne sich von seinen perfekten Zügen täuschen zu lassen. Um seine Augen zog sich ein Netz feiner Fältchen, und sein Mund bildete eine harte Linie, als würde er nie lächeln. Irgendetwas quälte diesen Mann. Zwar entschuldigte das nicht sein arrogantes Benehmen, aber sie würde sich wenigstens anhören, was er zu sagen hatte.

„Also gut“, lenkte sie ein. „Aber nicht hier im Auto. Ich sterbe fast vor Hunger. Um die Ecke ist mein Stammcafé. Sagen Sie dem Fahrer, dass er dort anhalten soll.“

„Versprechen Sie mir, dass Sie nicht weglaufen werden?“

Colleen musste bei der Vorstellung, wie sie Haken schlagend durch Dublin rannte, Frobisher immer dicht auf den Fersen, das Lachen unterdrücken. „Versprochen. Ich werde Ihnen zuhören, solange ich esse. Länger nicht. Abgemacht?“

Sie streckte die Hand aus, und er schlug ein. „Abgemacht.“ Verflixt. War der Mann elektrisch geladen, oder warum begann ihr Arm unter seiner Berührung zu kribbeln? Schnell zog sie die Hand zurück.

Beim Anblick des Cafés verzog Frobisher erstaunt das Gesicht. Von außen wirkte es zugegebenermaßen nicht gerade einladend, aber drinnen war es warm und gemütlich, und man bekam das beste Frühstück im ganzen Viertel. Colleen verbrachte hier viel Zeit vor und nach ihren Schichten. Außerdem war Trish, die Inhaberin, ihre beste Freundin.

„Sind Sie sicher, dass Sie hier essen wollen?“, fragte ihr Begleiter zweifelnd.

„Entweder hier oder gar nicht“, entgegnete sie mit fester Stimme.

„Okay. Sie sind der Boss.“ Dann lächelte er, und für den Bruchteil einer Sekunde erschien sein Gesicht wie verwandelt; jünger und – sofern das möglich war – noch attraktiver.

Sie nahmen an Colleens bevorzugtem Tisch am Fenster Platz. Trish steuerte umgehend auf sie zu. Hinter Frobishers Rücken zog sie theatralisch die Augenbrauen hoch und tat so, als müsste sie sich Luft zufächeln.

Colleen ignorierte ihren fragenden Blick. „Für mich bitte das Übliche, Trish.“

„Und für Sie, Sir?“, hauchte Trish.

„Kaffee. Schwarz, ohne Zucker.“

Trish entfernte sich und schwang im Gehen die Hüften. Frobisher würdigte sie keines Blickes, was erstaunlich war. Normalerweise wirkte Trish auf Männer wie ein Magnet. Er musste sich wirklich große Sorgen um seinen Sohn machen.

„Okay, schießen Sie los. Allerdings wird das an meiner Entscheidung kaum etwas ändern.“ In einem etwas freundlicheren Ton fuhr sie fort: „Wie gesagt, ich habe bereits einen Job, mit dem ich sehr glücklich bin. Abgesehen davon wohnen Sie in London, und ich habe nicht die Absicht, Irland zu verlassen. Es tut mir wirklich sehr leid, Mr Frobisher.“

„Nennen Sie mich Daniel.“

„Also gut, Daniel. Haben Sie es woanders probiert? Wenn ich Mr Haversham richtig verstanden habe, benötigt Ihr Sohn rund um die Uhr Betreuung. Ich kann Ihnen ein oder zwei hervorragende Einrichtungen in London empfehlen.“

Trish brachte zwei Becher Kaffee und einen Teller mit Eiern, Würstchen, Speck und Toast. Daniels Gesichtsausdruck spiegelte leise Ungläubigkeit. Hatte er noch nie eine Frau mit gutem Appetit gesehen? Während Colleen eine ordentliche Portion Ketchup auf ihrem Frühstück verteilte, zog Daniel ein Foto aus der Brusttasche und reichte es ihr.

Sie legte ihr Besteck beiseite und betrachtete das Bild. Es war an einem Strand aufgenommen und zeigte eine hübsche blonde Frau, die ihren Arm um einen Jungen gelegt hatte. Er lächelte scheu in die Kamera. Seinen leuchtend grünen Augen nach zu urteilen, handelte es sich um Daniel Frobishers Sohn.

„Die Aufnahme ist etwas über zwei Jahre alt“, sagte Daniel. „Harry war damals zehn.“

„Ist das Ihre Frau?“

„Meine Exfrau. Wir waren zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits geschieden. Eleanor kam bei dem Unfall ums Leben, bei dem Harry verletzt wurde.“

„Wie furchtbar.“ Colleen unterdrückte den Impuls, ihre Hand tröstend auf seine zu legen. Er wirkte nicht wie ein Mann, der eine solche Geste zu schätzen wusste.

Daniels Gesichtsausdruck war schwer zu deuten. „Eleanor hatte Harry aus dem Internat abgeholt. Die beiden waren auf dem Weg zum Flughafen, als es passierte …“ Er zögerte, als würde er jenen schrecklichen Tag in Gedanken noch einmal durchleben.

„Ihr Sohn wurde sehr schwer verletzt, nicht wahr?“, fragte Colleen mit sanfter Stimme.

Daniels Gesicht verzog sich schmerzhaft. „Harry lag fast eine Woche im Koma. Eine Zeit lang dachte ich, er würde es nicht schaffen. Vor einem Monat hat er das Bewusstsein wiedererlangt. Er kann nicht sprechen und sich nur sehr eingeschränkt bewegen.“ Seine Lippen zitterten. „Mein Gott, er kann noch nicht einmal alleine essen. Mein Sohn ist in seinem eigenen Körper gefangen.“

„Es ist noch sehr früh“, sagte Colleen leise. „Mit der richtigen Pflege und Förderung kann er im Laufe des nächsten halben Jahrs große Fortschritte machen.“

Daniel nahm ihr das Foto aus der Hand und schob es vorsichtig zurück in seine Tasche.

„Das sagen seine Ärzte auch. Aber ich halte es für besser, wenn er zu Hause von jemandem betreut wird, der über die entsprechenden Qualifikationen und Fähigkeiten verfügt. Ich möchte nur das Beste für meinen Sohn, und nach allem, was ich über Sie in Erfahrung gebracht habe, sind Sie genau die Richtige für diese Aufgabe. Ich weiß, dass Sie ausgebildete Physiotherapeutin und Krankenschwester sind. Ich weiß außerdem, dass Sie auf jugendliche Patienten spezialisiert sind und persönliche Erfahrung mit dieser Art von Verletzungen haben.“

Colleen hielt in ihrer Bewegung inne, eine Gabel voll Ei und Toast kurz vor ihrem Mund. „Woher wissen Sie das?“

„Sagen wir einfach, ich habe meine Hausaufgaben gemacht.“ Er sah sie prüfend an. „Bevor ich jemandem einen Job anbiete, pflege ich mich eingehend über die Person zu informieren. Ich habe mit Professor Ludwig am Guy’s Medical College gesprochen, wo Sie Ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Er hat Sie uneingeschränkt empfohlen. Wenn irgendjemand meinen Sohn wieder in Ordnung bringen kann, dann sind Sie es. Ich bin bereit, alles Nötige dafür zu tun und Sie sehr gut zu bezahlen.“

„Ihren Sohn in Ordnung bringen?“ Seine Wortwahl irritierte sie. Schließlich handelte es sich nicht um ein kaputtes Auto. „So einfach ist das leider nicht. Selbst ein halbes Jahr intensivster Pflege und Reha-Maßnahmen garantiert nicht, dass Ihr Sohn vollständig geheilt wird. Es ist sogar sehr wahrscheinlich – und darauf sollten Sie vorbereitet sein –, dass Harry niemals wieder der Junge sein wird, der er vor dem Unfall war. Wenn er eine Woche lang im Koma lag, müssen wir von einer schweren Hirnverletzung ausgehen.“

Daniel beugte sich über den Tisch und fixierte sie mit seinen faszinierenden grünen Augen. „Sagen Sie wenigstens, dass Sie es sich überlegen werden.“

Colleen hasste es, unter Druck gesetzt zu werden. Doch obgleich sie seine Vorgehensweise missbilligte, hatte sie Mitleid mit dem Mann. Niemand hatte ein solches Schicksal verdient. Colleen wusste nur zu gut, was er durchmachte. Vor zehn Jahren war ihr jüngster Bruder Cahil in der gleichen Situation gewesen. Was Daniel verlangte, war trotzdem unmöglich.

„Schauen Sie, es tut mir wirklich leid für Ihren Sohn, aber ich kann nicht mit Ihnen nach London kommen. Ich habe meine Arbeit, ganz zu schwiegen von meinem Verlobten, meiner Familie …“

„Sie haben drei Brüder, zwei von ihnen wohnen noch bei Ihren Eltern.“ Daniel schien sie mit seinen Blicken zu durchleuchten. „Ihr jüngster Bruder Cahil erlitt vor zehn Jahren eine schwere Kopfverletzung. Heute ist er der beste Stürmer seiner Fußballmannschaft.“

Zum ersten Mal in ihrem Leben fehlten Colleen die Worte.

„Sie sind mit Ihrem Kindergartenfreund Ciaran verlobt, leben aber noch nicht zusammen“, fuhr er fort. „Sie sind dabei, ein Haus zu bauen, und sobald Sie genug Geld gespart haben, wollen Sie heiraten.“ Er lehnte sich zurück und musterte sie. „Heutzutage mag einem das fast schon altmodisch erscheinen.“

Colleen fühlte eine brennende Wut in sich aufsteigen. Mit diesem unverschämten Menschen hatte sie eben noch Mitgefühl verspürt? Es war eine Sache, wenn er sich über ihre fachlichen Qualifikationen erkundigte – abgesehen davon, dass sie sich niemals um eine Stelle bei ihm beworben hatte –, aber das ging entschieden zu weit.

„Wie können Sie sich erdreisten, in meinem Privatleben herumzuschnüffeln?“

„Ich bevorzuge den Ausdruck recherchieren, und ich erdreiste mich, weil ich die bestmögliche Lösung für meinen Sohn finden will.“

„Das ist zwar sehr edel von Ihnen, gibt Ihnen aber noch lange nicht das Recht …“

„Sie könnten sich ein halbes Jahr beurlauben lassen“, sagte Frobisher schnell. „Das Gehalt, das ich Ihnen anbiete, wird ausreichen, um sowohl Ihr Haus als auch eine rauschende Hochzeit zu finanzieren. Zusätzlich werde ich Ihrer Klinik eine großzügige Spende zukommen lassen. Ich habe bereits mit Ihrem Stationsleiter gesprochen. Er ist bereit, Sie zu beurlauben. Was die Trennung von Ihrem Verlobten und Ihrer Familie betrifft – mein Privatflugzeug steht Ihnen jederzeit zur Verfügung, sobald Harry erste Fortschritte gemacht hat.“

Colleen lehnte sich mit einem tiefen Seufzer zurück. „Sie haben wohl an alles gedacht?“

„Es blieb mir nichts anderes übrig. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um Harry zu helfen.“ Wieder entglitten Daniel für einen Moment die Gesichtszüge, und der Schmerz in seinen Augen ließ Colleen verstummen.

„Mein Sohn braucht mich. Und ich brauche Sie. Bitte helfen Sie mir. Tun Sie es nicht für mich, tun Sie es für meinen Jungen. Bitte.“

Für einen Moment herrschte Stille. Colleen merkte, wie ihr Entschluss unter dem flehentlichen Ausdruck seiner grünen Augen ins Wanken geriet. Natürlich würde sie seinem Sohn gerne helfen, doch sie zögerte. Er verlangte sehr viel von ihr, und sie wusste zu wenig über Harry, um entscheiden zu können, ob sie wirklich die richtige Person für diese Aufgabe war.

Daniel zog ein weiteres Foto hervor. „Das hier wurde vor drei Wochen aufgenommen.“

Colleen betrachtete den Jungen auf dem Bild. Er lag in einem Krankenhausbett. Mit seinem weißblonden Haar, der blassen Haut und dem Schlauch der Sonde, der aus seiner Nase ragte, wirkte er unendlich zerbrechlich. Die grünen Augen schienen ins Leere zu blicken.

Sie erinnerte sich an die Zeit nach Cahils Unfall. Wie er sie aus seinem Krankenhausbett mit leeren Augen anstarrte. Die Ärzte hatten ihnen wenig Hoffnung gemacht, aber ihre Mutter hatte um Cahil gekämpft. Sie bestand darauf, ihren Sohn mit nach Hause zu nehmen, und die ganze Familie kümmerte sich abwechselnd Tag und Nacht um ihn. Es hatte Monate gedauert, bis er wieder alleine essen, und noch viel länger, bis er wieder gehen und sprechen konnte. Mittlerweile spielte er in der Fußballmannschaft seiner Schule.

Offensichtlich hatte Daniel ihr Zögern bemerkt. „Lernen Sie Harry wenigstens kennen. Kommen Sie mit mir nach London. Wenn Sie danach immer noch der Meinung sind, dass Sie den Job nicht annehmen wollen, werde ich Sie nicht weiter bedrängen. Unabhängig von Ihrer Entscheidung werde ich Ihrer Klinik eine umfangreiche Spende zukommen lassen.“

Bevor sie ihm eine Antwort geben konnte, klingelte sein Handy. Er sah aufs Display und runzelte die Stirn. „Entschuldigen Sie, ich bekomme gerade einen wirklich wichtigen Anruf. Es dauert nicht lange.“ Das Handy ans Ohr gepresst, verließ er das Café.

Sobald er draußen war, kam Trish herbeigeeilt und setzte sich auf seinen leeren Stuhl.

„Sag mal, was ist denn das für ein Prachtexemplar? Warum hast du mir nicht von ihm erzählt? Meine Güte, Colleen, das hätte ich dir gar nicht zugetraut!“

„Was?“ Colleen war in Gedanken noch bei Cahil und Harry. Sie warf einen Blick nach draußen. Daniel stand vor dem Fenster und telefonierte. Sie schüttelte den Kopf. „Das ist Daniel Frobisher, ein reicher Typ aus London. Er will mich als private Krankenschwester für seinen Sohn engagieren.“

„Ach, und ich dachte, er wäre dein neuer Liebhaber“, sagte Trish enttäuscht.

Typisch Trish. Colleen sah sie strafend an. „Hast du vergessen, dass ich verlobt bin?“

Trish stieß zischend die Luft aus. „Und hast du vergessen, welche Zweifel dir in Bezug auf diese Hochzeit gekommen sind? Allein deswegen solltest du für eine Weile nach London gehen und dir über deine Gefühle für Ciaran klar werden.“

Vielleicht hatte Trish recht. Seit ihrer Verlobung war sie unsicher, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Statt im siebenten Himmel zu schweben, fühlte sie sich, als stünde sie am Rande eines gähnenden Abgrunds.

„So ein Quatsch. Es ist doch normal, dass man vor seiner Hochzeit nervös ist“, entgegnete sie brüsk. „Natürlich liebe ich Ciaran. Ich fühle mich wohl mit ihm. Wir respektieren uns, wir haben gemeinsame Interessen … Kommt es in einer Ehe nicht genau darauf an?“ Sie warf einen verstohlenen Blick nach draußen zu Daniel. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich jemand in seiner Gegenwart wohlfühlte. Dafür war er zu raumgreifend, zu ruhelos … einfach zu viel von allem.

„Um Himmels willen, das ist doch keine Basis für eine Ehe! Wenn du dich wohlfühlen willst, kauf’ dir ein Paar warme Pantoffeln. Wo bleiben die Schmetterlinge im Bauch? Die Leidenschaft? Das Gefühl, die Hände nicht voneinander lassen zu können? Mitten am Tag Champagner trinken?“

„Ich mag Champagner nicht“, wich Colleen aus. „Ich trinke lieber Tee.“

„Siehst du, genau das meine ich“, rief Trish triumphierend. „Es geht nicht darum, Champagner zu mögen. Die meisten Leute trinken ihn, weil sie das Prickeln und den Rausch lieben.“

„Ich brauche keinen Rausch.“