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Ausgerechnet ihre ehemalige Affäre! Der attraktive Frauenarzt Leith Ballantyne ist der Einzige, an den Cassie sich wenden kann, als sie dringend einen Job in London sucht. Doch diesmal muss sie seiner verführerischen Anziehungskraft unbedingt widerstehen! Nur wie?
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Seitenzahl: 201
IMPRESSUM
Meine Affäre mit Dr. Ballantyne erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2013 by Anne Fraser Originaltitel: „Cinderella of Harley Street“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN, Band 87 Übersetzung: Katharina Illmer
Umschlagsmotive: Asya_mix/GettyImages
Veröffentlicht im ePub Format in 7/2021
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751507936
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Die afrikanische Mittagssonne brannte erbarmungslos, als Cassie ihren Koffer am Kai entlang schleppte.
Sie blieb kurz stehen, weil ihre Arme schmerzten, und sah auf. Das Schiff war riesig – viel größer, als sie es sich vorgestellt hatte. Gut, so gab es bestimmt genug Nischen, in die sie sich zurückziehen konnte. Dabei war es nicht so, dass sie keine Menschen mochte, sie war ganz einfach gern für sich.
Ein Mann stand an der Reling und telefonierte. Genau in dem Moment, in dem Cassie zu ihm aufsah, trafen sich ihre Blicke. Plötzlich drehte sich in ihrem Kopf alles, und die seltsamsten Gefühle wirbelten in ihrem Bauch herum.
Dabei sah er nicht einmal besonders gut aus – sie war schon mit deutlich attraktiveren Männern ausgegangen – aber seine Art, sich zu bewegen, das Lächeln, das seinen Mund umspielte, die kleinen Lachfältchen um seine Augen nahmen sie gefangen. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie geschworen, dass sie pure Lust spürte.
Als er den Kopf schräg legte und eine Augenbraue hochzog, errötete sie, weil sie ihn angestarrt hatte. Jetzt war ihr Gesicht bestimmt feuerrot. Na toll. Egal, wer er war, besser, sie ging ihm in den nächsten Wochen aus dem Weg.
Mitten auf der Gangway platzte plötzlich ihr vollgestopfter Koffer, der schon bessere Tage gesehen hatte, auf und verstreute T-Shirts, Kleider und selbst ihre Unterwäsche auf dem Weg. Entsetzt sah sie zu, wie eines ihrer Höschen aus Spitze und Seide über die Reling segelte, an einem Stück Metall hängen blieb und dort wie eine Art Spitzenflagge flatterte.
Beschämt angelte sie danach und wäre beinahe ins Wasser gefallen, hätte sie nicht jemand an seine breite, muskulöse Brust gezogen und festgehalten.
Für einen kurzen Augenblick genoss sie die Geborgenheit dieser Arme.
Wie lächerlich! Sie brauchte keinen Mann – niemanden – um sich sicher zu fühlen. Widerstrebend löste sie sich von dem Fremden und drehte sich um.
Irgendwie überraschte es sie gar nicht, dass der Mann, der sie davor bewahrt hatte, über Bord zu gehen, derselbe war, den sie kurz zuvor angestarrt hatte. Soviel zu ihrem Plan, ihm aus dem Weg zu gehen.
„Ich weiß, es ist heiß, aber ich würde davon abraten, hier am Schiff zur Abkühlung ins Wasser zu springen“, sagte er amüsiert.
Sein Akzent klang schottisch.
Als sie zu ihm aufsah, denn er war ein gutes Stück größer als sie, bemerkte sie entsetzt, dass er auch ihr Höschen gerettet hatte und das hauchdünne Stück Seide und Spitze in der Hand hielt.
„Ihres, oder?“, fragte er und grinste sie unverschämt an.
Ein toller Einstand, dachte Cassie verzweifelt, als sie bemerkte, wie neugierig sie beobachtet wurden. Und um alles noch schlimmer zu machen, blieb auch eine Gruppe Einheimischer stehen und deutete kichernd auf sie.
„Danke“, sagte Cassie steif und griff nach ihrer Unterwäsche. Musste er sie so hoch halten, damit alle sie sehen konnten?
Verlegen hockte sie sich hin, sammelte ihre verstreuten Habseligkeiten ein und stopfte sie hastig zurück in ihren Koffer.
Ihr Helfer – sie weigerte sich, ihn als Retter zu sehen; schließlich hatte er hauptsächlich ihre Unterwäsche gerettet – kniete sich ebenfalls auf der beengten Gangway hin, so nah, dass sie die Wärme spürte, die er ausstrahlte. So intensiv, dass es ihr den Atem raubte. Aber ihm auszuweichen, würde mit dem Bad enden, über das er gewitzelt hatte. Obwohl der Gedanke im Moment sehr verführerisch war.
„Ich komme schon zurecht“, sagte sie. „Sie haben sicher anderes zu tun.“
„Schon, aber das ist bei Weitem nicht so unterhaltsam.“
Empört sah sie zu ihm auf, und wieder lief ihr dieser seltsame Schauer über den Rücken. Schnell schob sie ihre restlichen Sachen in den Koffer, doch dann wurde ihr klar, dass sie ihn nicht schließen konnte, ohne dass er wieder aufplatzte, bevor sie ihre Kabine erreichte.
Scheinbar dachte er das Gleiche, denn er schloss ihren Koffer und klemmte ihn sich unter den Arm. „Deck und Kabinennummer?“, fragte er. „Ich nehme doch an, dass Sie die Schiffsbesatzung verstärken?“
Kurz musterte Cassie ihn. Er war groß, ungefähr 1,90, sein braunes Haar war von der Sonne aufgehellt, und die Mundwinkel seines breiten, vollen Mundes waren auf einer Seite weiter hochgezogen als auf der anderen. Seine Augen, ein außergewöhnliches Grün, zogen sie magisch an. Es kam ihr vor, als könnte er direkt in sie hineinsehen, all ihre Geheimnisse erkennen, und das gefiel ihr ganz und gar nicht.
Ihr wurde bewusst, dass er auf ihre Antwort wartete, denn er lächelte sie unsicher an. „Dr. Ross, Cassie Ross“, stellte sie sich vor und streckte ihm ihre Hand entgegen.
Sein Lächeln wurde breiter. „Dr. Leith Ballantyne. Willkommen auf dem Afrikanischen Hospitalschiff.“
Verdammt, er gehörte zu den Ärzten. Dadurch wurde es schwieriger, ihm aus dem Weg zu gehen. Aber mit etwas Glück verließ er das Schiff bald. Denn im Gegensatz zum Pflegepersonal, das mindestens drei Monate an Bord blieb, waren die meisten Ärzte anderswo fest angestellt und konnten, wie sie, nur ein paar Wochen ihrer Zeit zur Verfügung stellen.
Oben an der Gangway angekommen, griff sie nach ihrem Koffer. „Ich nehme ihn jetzt, wenn Sie nichts dagegen haben.“
„Ich bestehe darauf. Sie sind bestimmt müde von der Reise.“ Fragend zog er eine Augenbraue hoch. „London?“
„Ja“, antwortete sie kurz angebunden. Weil sie nicht unhöflich sein wollte, fügte sie hinzu: „Es kommt mir vor, als hätte ich England vor einer Ewigkeit verlassen. Und ich habe das Gefühl, als ob ich in den letzten zwei Tagen alle Transportmittel ausprobiert habe, die Afrika zu bieten hat. Es ist toll, endlich hier zu sein.“
„Es ist ein fantastisches Schiff mit einem wunderbaren Team.“
„Und ich freue mich schon darauf, heute Nachmittag loszulegen.“
„Die Arbeit geht für Sie erst morgen los.“ Ohne auf eine Antwort von ihr zu warten, ging er über einen engen Flur. Und weil er noch immer ihren Koffer trug, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
„Nach einer kurzen Dusche bin ich startklar“, protestierte sie hinter ihm.
Er drehte sich zu ihr um. „Glauben Sie mir, Sie werden noch genug zu tun kriegen. Wie lange bleiben Sie eigentlich?“
„Nur etwas über zwei Wochen.“
„Dann genießen Sie die Ruhe, solange Sie können.“ Als er sie schief anlächelte, schien ihr der Atem zu stocken. Mühsam löste sie ihren Blick von ihm und hoffte, dass er ihre roten Wangen auf die Hitze schob.
„Essen wir später zusammen? Dann erkläre ich Ihnen, wie es hier so läuft“, sprach er weiter.
Sie war noch nicht einmal fünf Minuten hier und wurde bereits angebaggert. Normalerweise störte sie das nicht, aber etwas an Leith machte sie nervös.
„Ich würde lieber gleich anfangen“, antwortete sie steif.
Sofort verschwand seine lakonische Art. „Keine Chance. Ein müder Arzt ist ein gefährlicher Arzt. Sie dürfen erst arbeiten, wenn Sie eine Nacht geschlafen haben.“ Dann lächelte er wieder. „Also Abendessen? Es ist nicht gerade Haute Cuisine, aber es erfüllt seinen Zweck.“
Wer war er eigentlich, dass er ihr vorschreiben wollte, was sie tun konnte und was nicht? Empört wollte sie gerade etwas erwidern, als er um die Ecke bog und weiterging. Dann öffnete er die Tür zu ihrer winzigen Kabine und ließ ihren Koffer auf eine schmale Koje fallen. In der Enge war sie sich nur zu bewusst, wie nah er bei ihr stand.
„Danke, jetzt komme ich schon zurecht“, sagte sie hastig. „Wenn ich nicht arbeiten kann, überspringe ich das Essen einfach und gehe früh ins Bett. Wenn Sie mich entschuldigen, ich glaube, ich sollte die Duschen suchen.“
„Am Ende des Ganges.“ Als er auf sie zutrat, wich sie unwillkürlich zurück. Sie wollte ihm nicht noch näher kommen, ihr Puls raste ja jetzt schon. Das musste an der Hitze liegen.
Er grinste erneut, und seine dunkelgrünen Augen funkelten amüsiert, als hätte er ihre Reaktion auf ihn bemerkt und war nicht überrascht davon. „Wenn Sie doch mit mir essen möchten, finden Sie mich gegen neunzehn Uhr in der Kantine.“
Als er ging, schloss Cassie die Tür ihrer Kabine hinter ihm und ließ sich aufs Bett sinken. Wenn nur irgend möglich würde sie Dr. Leith Ballantyne aus dem Weg gehen.
Pfeifend kehrte Leith in seine Kabine zurück. Seit dem ersten Blick auf sie wusste er, dass sein Leben interessanter werden würde. Normalerweise bevorzugte er Frauen mit langen Haaren, aber Cassies kurzer, seidig glänzender, schwarzer Bob passte zu ihren herzförmigen, zarten Gesichtszügen.
Bis ihr Koffer ihre Habseligkeiten über die Gangway verteilte, hatte sie unwahrscheinlich kühl und sexy ausgesehen in ihrer weißen Bluse und der hellen Baumwollhose, die ihre Kurven dezent betonte. Und dann diese Augen! Ihr eisiger Blick, als sie ihn beim Starren erwischt hatte, hätte einen schwächeren Mann vernichtet, darum war es eine Überraschung gewesen, als sie errötete – aber eine sehr angenehme Überraschung.
Sie reizte ihn unglaublich. Einen Moment kühl und beinahe schüchtern – und nach Leiths Erfahrung waren Frauen, die wie Cassie aussahen, alles andere als schüchtern – lebhaft und entschlossen im nächsten.
Schade, dass sie nur ein paar Wochen an Bord blieb. Er hätte sich gern Zeit gelassen, um Dr. Cassie Ross kennenzulernen, aber wenn sie nur so kurz hier war, musste er sich beeilen.
Mit dem Arm wischte sich Cassie den Schweiß von der Stirn und musterte die endlos lange Schlange vor der Hütte, in der sie ambulante Patienten behandelte. Auf dem Schiff gab es dafür keinen Platz, denn dort waren die Stationen und OP-Säle untergebracht.
Die meisten ihrer kleinen Patienten warteten geduldig mit ihren Müttern. Kinder, die weinten oder spielten, machten ihr nicht so viele Sorgen. Aber die, die nur reglos in den Armen ihrer Mütter lagen, brauchten beinahe immer dringend Hilfe.
An ihrem ersten Morgen war sie vom zuständigen Sanitätsoffizier in ihre Aufgaben eingewiesen worden und hatte seitdem kaum Luft holen können. Als einzige Kinderärztin war Cassie für alle Kinder zuständig, die die Krankenschwestern während der täglichen Morgenambulanz an sie überwiesen. Außerdem hatte sie die Aufsicht über die kleine, aber fantastisch ausgestattete Kinder- und die Frühgeborenenstation an Bord und assistierte bei pädiatrischen Fällen im OP, wenn ihre Hilfe gebraucht wurde.
Nichts davon störte sie. Je größer die Herausforderungen, je härter die Arbeit, desto besser.
Sie machte eine kurze Pause, um etwas Wasser zu trinken, als es plötzlich einen Tumult in einer der anderen Schlangen gab. Obwohl die Patienten stundenlang in der brennenden Sonne warten mussten, beschwerten sie sich selten, also musste etwas passiert sein. Schnell gab sie der Schwester Bescheid, die ihr assistierte, und sah nach, was los war.
Als sie näher kam, traten die anderen Patienten zurück. Eine junge Frau, nicht älter als siebzehn, lag auf dem Boden, umklammerte ihren geschwollenen Bauch und stöhnte vor Schmerz. Cassie kniete sich neben sie. Dem Umfang ihres Bauches nach zu urteilen, stand die Frau kurz vor der Geburt. Dann schrillten bei Cassie sofort sämtliche Alarmglocken – Blut sickerte durch das Kleid der Frau.
„Holt Hilfe!“, rief sie den Leuten zu, die danebenstanden und sich unterhielten. Sie wies einige der Frauen an, die Patientin abzuschirmen, bevor sie das Kleid der jungen Frau anhob. Ihre Oberschenkel waren blutverschmiert. Ein Planzentaabriss? Dann würde die junge Frau ohne Kaiserschnitt und eine Transfusion sicher sterben.
Als Cassie den Kopf hob, um nach einer Trage zu rufen, kniete sich jemand neben sie. Der Mann von der Gangway – Dr. Ballantyne. Von ihrer Begegnung vor vier Tagen einmal abgesehen hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen. Sie war ihrem Schwur treu geblieben und ihm aus dem Weg gegangen. Er machte sie einfach nervös – und das gefiel ihr nicht.
„Noch einmal hallo“, murmelte er. Mit einem Blick erfasste er die Situation, ohne dass Cassie etwas sagen musste. „Sieht aus wie ein Plazentaabriss“, sagte er grimmig. „Uns fehlt die Zeit, sie an Bord in einen OP zu transportieren. Wir müssen sie in die Hütte bringen und hier operieren.“
Cassie sah sich um. Sie brauchten Hilfe – für den Anfang eine Krankenschwester und einen Anästhesisten. Aber die meisten Ärzte und Schwestern machten gerade Mittagspause und hatten sich in den klimatisierten Speiseraum an Bord zurückgezogen.
„Wir brauchen hier eine Trage“, rief Leith. Erleichtert atmete Cassie auf, als aus einer der Hütten zwei Krankenschwestern kamen. Einer der Freiwilligen vor Ort brachte eine Trage, und gemeinsam legten sie die geschwächte Frau darauf und trugen sie in die Hütte, wo sie sie auf einen der Behandlungstische legten.
„Ich brauche einen Anästhesisten“, sagte Leith. „Sofort!“
„Sie sind alle an Bord“, antwortete eine Krankenschwester. „Soll ich einen holen?“
„Ja. Gehen Sie!“ Sobald sie losgelaufen war, sah Leith zu Cassie. „Selbst wenn sie gleich jemanden findet, werden sie nicht rechtzeitig zurück sein. Haben Sie schon mal eine PDA gegeben?“
Cassie nickte. Obwohl man sie gewarnt hatte, dass sie bei der Arbeit auf dem Hospitalschiff unter Umständen mit allem konfrontiert werden konnte, hatte sie nicht so schnell damit gerechnet. Zum Glück war Leith hier und wurde scheinbar locker mit der Situation fertig.
Er bereitete den Bauch der Patientin vor, und Cassie zog eine Spritze mit einem Lokalanästhetikum auf. Dann drehten sie die Frau vorsichtig auf die Seite, und Leith hielt sie fest, während Cassie die Hüfte der werdenden Mutter umfasste, nach der richtigen Stelle tastete und die Spritze setzte.
Während sie darauf warteten, dass die Betäubung wirkte, nahm Leith ihrer Patientin Blut für eine Kreuzprobe ab und reichte das Röhrchen der Krankenschwester, damit sie es zum Labor auf dem Schiff brachte. Auf das Ergebnis zu warten, kostete Zeit – dabei konnte jede Minute entscheidend sein.
In der Zwischenzeit kam die Hebamme mit einigen Infusionsbeuteln Kochsalzlösung zurück, und sofort legte Leith eine Infusion.
„Sie bereiten einen OP vor“, berichtete die Hebamme.
„Dazu ist es zu spät“, erwiderte Leith. Cassie ignorierte das nervöse Ziehen in ihrem Bauch und bemühte sich, sich das nicht anmerken zu lassen. Etwas, das sie in ihrer Kindheit gelernt hatte.
Sobald sie überzeugt war, dass die Patientin unterhalb der Taille nichts mehr spürte, nickte sie Leith zu, der anfing zu operieren. Während Cassie die Atmung der Frau im Auge behielt, setzte er einen Schnitt und holte kurze Zeit später ein kleines, perfektes Baby auf die Welt, das allerdings erschreckend reglos und still war. Sofort trat Cassie vor, stellte sicher, dass kein Sekret die Luftwege des kleinen Mädchens blockierte, und beatmete das Neugeborene. Komm schon, Kleine. Atme für mich. Wenn nicht für mich, dann für deine Mummy. Komm, du kannst das.
Zu ihrer Erleichterung schnappte das Baby nach Luft und begann zu schreien. Als Cassie zu Leith sah, grinste er sie erleichtert an. Sie konnte sein Lächeln nur erwidern. Dieses Baby hatten sie gerettet.
Nur leider waren sie noch nicht über den Berg. Die Kleine musste sofort auf die Neugeborenenstation an Bord gebracht werden.
Zum Glück betraten in genau diesem Moment zwei weitere Krankenschwestern den Raum mit einem tragbaren Brustkasten. Als die Hebammen das Baby dorthinein verlegten, warf Cassie einen Blick auf die Mutter und bekam einen Schreck, als sie das Blut sah, dass sich in ihrem Bauch sammelte.
„Verdammt. Ich werde eine Hysterektomie durchführen müssen“, fluchte Leith. „Aber ohne Vollnarkose kann ich nichts tun. Wir müssen sie in einen OP bringen.“
Während Leith das Becken mit Tupfern tamponierte, eilte ein weiterer Arzt in den Raum. Um nicht im Weg zu stehen, überließ Cassie die Mutter den Spezialisten und begleitete die Tochter an Bord.
Sobald das Baby versorgt war, übernahm die Neugeborenenschwester die Pflege. Obwohl das Mädchen etwas kleiner war, als Cassie lieb war, atmete es selbstständig, und sobald sich die Mutter von der Narkose erholt hatte, würde ihr eine Schwester das Baby zum Stillen bringen.
Jetzt war es kurz nach ein Uhr, und Cassie musste zu ihrer Sprechstunde zurück, denn es warteten noch Patienten auf sie, und danach sollte sie bei einer OP assistieren. Weil sie wusste, dass sie kaum die Zeit haben würde, um in Ruhe zu essen, holte sie sich schnell ein Sandwich aus der Kantine und ging für eine kurze Pause an Deck.
Dort schloss sie die Augen und genoss die Meeresbrise. Sofort wanderten ihre Gedanken zu Leith. Immer, wenn sie ihm auf dem Schiff begegnet war, hatte er Karten gespielt oder die Schwestern geneckt, als hätte er mit Medizin nichts am Hut. Gelegentlich sah er zu ihr, aber sie wich seinem Blick aus und hielt Abstand.
Welcher war der echte Leith? Der flirtende Arzt von ihrem ersten Treffen, der wusste, wie gut er aussah, oder der, der so auf seinen Patienten konzentriert war, dass er sie kaum wahrnahm? Sie schüttelte den Kopf. Warum interessierte sie das überhaupt? Sie hatte nichts gegen eine Affäre, aber nicht mit einem Kollegen. Das konnte ungemütlich werden, wenn es an den unvermeidlichen Abschied ging.
Sie biss ein letztes Mal in ihr Sandwich und warf den Rest in den Müll.
Nein, entschied sie, besser, sie vertraute ihrem ersten Gefühl und hielt sich von Dr. Leith Ballantyne fern.
Fünf Stunden später stand Cassie noch immer im OP. Die Chirurgin, der sie assistierte, operierte an einem Patienten, den Cassie während ihrer ersten Sprechstunde untersucht und für eine OP vorgeschlagen hatte. Der Teenager litt unter dem größten Tumor, den sie je gesehen hatte. Unbehandelt war er auf die Größe eines Fußballs angewachsen und hatte die Gesichtszüge des Jungen völlig verunstaltet – seine Nase und sein Mund waren grotesk verschoben.
Der gutartige Tumor war nicht lebensbedrohend, aber durch seine ungewöhnliche Erscheinung wurde der Junge in seinem Dorf geächtet. Ihr Herz flog ihm zu. Sie wusste, wie es sich anfühlte, ausgestoßen zu sein, und für ihn war es noch hundertmal schlimmer.
Cassie streckte sich, um ihren Rücken zu dehnen. Die Operation war faszinierend gewesen. Die Chirurgin, Dr. Blunt, die seit fünf Jahren auf dem Hospitalschiff arbeitete, hatte ihr erzählt, dass sie mit dieser Operation mehr Erfahrung hatte, als ihr lieb war. Aber sie hatte den Tumor mit minimaler Blutung und kaum Schäden an gesundem Gewebe entfernt.
Kurz traten sie zurück und betrachteten ihr Werk. Selbst mit der Schwellung sah der Junge fast normal aus. Er würde nie ein Model sein, aber dazugehören.
„Gute Arbeit, Dr. Ross“, lobte Dr. Blunt. Obwohl die Operation ein Erfolg gewesen war, fragte sich Cassie, ob sie nicht noch besser hätten sein können. Das war das Problem, sie war nie zufrieden. Nur Perfektion war gut genug.
Sie ließ sich von der OP-Schwester aus dem OP-Kittel helfen und warf ihre Handschuhe in den Müll. Beim Gedanken an ihren abendlichen Lauf fühlte sie sich noch erschöpfter, aber die Gewohnheit war ihr in Fleisch und Blut übergegangen, und sie wusste, sie würde hinterher besser schlafen. Doch vorher brauchte sie einen Moment, um sich zu entspannen.
Darum ging sie an Deck und atmete tief durch. Obwohl die Sonne schon längst hinter dem Horizont verschwunden war, hatte es sich noch nicht abgekühlt, und der Schweiß lief ihr den Rücken hinunter. Mit ihrem Lauf würde sie warten müssen, bis es kühler war, außerdem wollte sie noch nach ihrem Patienten sehen, wenn er aus der Narkose aufwachte.
Unter ihr ertönte Gelächter. Die Besatzung, die nicht gerade im OP oder auf den Stationen beschäftigt war, hatte sich zum Abendessen versammelt und unterhielt sich angeregt. Cassie wechselte auf die ruhigere Steuerbordseite – die aufs Meer blickte. Dort gab es einen Platz hinter den Rettungsbooten, an den sie sich oft zurückzog, wenn sie allein sein wollte – keine einfache Angelegenheit bei vierhundert Menschen an Bord.
Zu ihrem Entsetzen war ihr Platz bereits besetzt. Sie wollte sich gerade wegschleichen, als derjenige, der dort stand, sich umdrehte. Sie erkannte ihn sofort.
Er lächelte sie an. „Dr. Ross.“ Sie musste zugeben, dass sie seine Stimme mit dem warmen, schottischen Akzent mochte. „Ich hatte noch keine Gelegenheit, mich für Ihre Hilfe heute zu bedanken.“
„Ich habe nicht viel getan.“ Cassie zuckte die Schultern. „Wie geht es der Patientin?“
„Ich musste die Gebärmutter komplett entfernen. Sie wird keine Kinder mehr bekommen können.“
„Vielleicht ist das auch am besten.“ Dieses Gebiet litt so stark unter der Dürre, dass trotz der Arbeit des Hospitalschiffes und von Hilfsorganisationen viel zu viele Kinder verhungerten oder ohne sauberes Wasser an Krankheiten starben.
Überrascht sah Leith sie an. „Ich bezweifle, dass sie es so sehen wird.“
„Wenigstens lebt ihr Kind. Ich habe vorhin nach dem Baby gesehen, und es geht ihm gut. Ist es für eine Mutter nicht besser, ein gesundes Kind zu haben als mehrere kranke?“
„Ich glaube nicht, dass wir hier unsere westlichen Maßstäbe anlegen können, ohne die Kultur richtig zu kennen.“
Weil sie es hasste, belehrt zu werden, reagierte Cassie gereizt. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, sprach er weiter: „Ich habe vorhin zugesehen, als Sie im OP assistiert haben. Sie haben geschickte Hände.“
Sie hatte ihn gar nicht unter den Zuschauern auf der Galerie bemerkt.
„Danke … äh … Dr. Ballantyne.“
Seine jadegrünen Augen funkelten amüsiert. „Wie formell. Ich bin Leith.“
„Also gut. Danke, Leith.“ Himmel, sie benahm sich wie ein unbeholfener Teenager, der seinem Schwarm gegenüberstand. „Entschuldige mich, ich muss nach meinem Patienten sehen.“ Sie wollte sich nicht auf ein Gespräch einlassen. Eher das Gegenteil. Aus irgendeinem Grund wollte sie vor diesem Mann weglaufen, so schnell sie konnte.
Er sah ihr eine Sekunde länger in die Augen, als professionell gewesen wäre, bevor er ihr ein Grinsen schenkte, bei dem ihr Herz schneller schlug.
An den meisten Tagen ging Cassie nach ihrer morgendlichen Visite ans Ufer und zu den Hütten mit den provisorischen Behandlungsräumen. Seit ihrem kurzen Treffen an Deck versuchte sie öfter, als ihr lieb war, einen Blick auf Leith zu erhaschen. Aber obwohl sie sich zur Begrüßung lächelnd zunickten, suchte er zu ihrer Erleichterung nicht ihre Nähe – zumindest redete sie sich ein, dass sie erleichtert war.
Wie so oft ging die Sonne gerade unter, als sie den letzten Patienten des Tages entließ. Cassie gönnte sich einen Moment, um den roten Himmel zu bewundern, als Leith sich zu ihr gesellte. Zu ihrem Entsetzen fing ihr Herz an zu rasen.
„Fertig für heute?“, fragte er lächelnd. Sein weißes, kurzärmeliges Baumwollhemd betonte die dunklen Haare auf seiner Brust und seinen muskulösen Unterarmen. Warum zum Teufel fiel ihr das überhaupt auf?
„Abgesehen von der Stationsrunde vor dem Schlafengehen, ja.“ Cassie drehte sich zu ihm um, genoss die Abendbrise auf ihrer überhitzten Haut. „Und du?“
Er rieb sich das stoppelige Kinn. „Ich auch.“ Schweigend standen sie da, als die Sonne aufleuchtete und die Erde pink färbte.
„So ein wunderschönes Land“, flüsterte Cassie, „trotz der Probleme.“
Als er sie ansah, schlug ihr Herz noch schneller. Seine Augen sind so grün wie Gras im Sommer, dachte sie abgelenkt. Hastig wandte sie den Blick ab. Was stimmte denn nur nicht mit ihr? Noch nie zuvor hatte sie so eine heftige Anziehung gespürt, und das machte ihr Angst.
In dem Moment bemerkte sie eine Frau aus dem Dorf, die ein Stück entfernt stand und geduldig wartete.
„Doktor … mitkommen. Bitte?“
„Was ist los?“, fragte Leith. „Steckt jemand in Schwierigkeiten?“
Ängstlich sah sich die Frau um. „Bitte. Nur kommen. Beide.“
Mit hochgezogener Augenbraue wandte sich Leith an Cassie. „Bereit?“
Am liebsten wollte sie weglaufen – Abstand zwischen sich und diesen Mann bringen. Aber das war lächerlich. Jemand brauchte ihre Hilfe, da konnte sie nicht Nein sagen.
Als sie nickte, lächelte die Frau erleichtert. „Mein Name ist Precious“, erzählte sie. „Meine Schwester Maria sollen Sie untersuchen.“