Die Bräute von Penhally Bay - Teil 13-15 der Miniserie - Anne Fraser - E-Book

Die Bräute von Penhally Bay - Teil 13-15 der Miniserie E-Book

Anne Fraser

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Beschreibung

DR. DADDY UND DIE LIEBE von ANNE FRASER Unerwartet, aber heiß ersehnt: Annie ist schwanger! Dabei dachte die hübsche Hebamme immer, sie könne keine Kinder bekommen. Doch eine Urlaubsromanze mit einem Traummann hat alles geändert. Der aus heiterem Himmel in Cornwall auftaucht: Dr. Castillo – ihr neuer Boss! ZEIT DER ZÄRTLICHKEIT IN CORNWALL von KATE HARDY Gebannt starrt Charlotte in Dr. Alexanders funkelnde Augen: Der Herzchirurg und Millionär flirtet heiß mit ihr! Wie gern würde sich Charlotte in diesen Augen verlieren, aber sie weiß, wie weh die Liebe tun kann. Darf sie riskieren, erneut enttäuscht zu werden? ALLE LIEBEN DR. D'AZZARO von MARGARET MCDONAGH Als Chirurg hat er einen exzellenten Ruf, als Mann ist er unwiderstehlich! Warum sollte Dr. Luca d'Azzaro also ausgerechnet sie erobern wollen, fragt sich die unscheinbare Polly. Und wie konnte sie nur unbemerkt ihr verwundetes Herz an diesen Traummann verlieren?

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Anne Fraser Kate Hardy Margaret McDonagh
Die Bräute von Penhally Bay - Teil 13-15 der Miniserie

Die Bräute von Penhally Bay - Teil 13-15 der Miniserie

Cover

Titel

Inhalt

Dr. Daddy und die Liebe

Cover

Titel

Impressum

1. KAPITEL

2. KAPITEL

3. KAPITEL

4. KAPITEL

5. KAPITEL

6. KAPITEL

7. KAPITEL

8. KAPITEL

9. KAPITEL

10. KAPITEL

EPILOG

Zeit der Zärtlichkeit in Cornwall

Cover

Titel

Impressum

1. KAPITEL

2. KAPITEL

3. KAPITEL

4. KAPITEL

5. KAPITEL

6. KAPITEL

7. KAPITEL

8. KAPITEL

9. KAPITEL

10. KAPITEL

11. KAPITEL

EPILOG

Alle lieben Dr. d’Azzaro

Cover

Titel

Impressum

1. KAPITEL

2. KAPITEL

3. KAPITEL

4. KAPITEL

5. KAPITEL

6. KAPITEL

7. KAPITEL

8. KAPITEL

9. KAPITEL

10. KAPITEL

Guide

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Contents

IMPRESSUM

Dr. Daddy und die Liebe erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung: Katja Berger, Jürgen Welte Leitung: Miran Bilic (v. i. S. d. P.) Produktion: Christina Seeger Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2009 by Harlequin Books S.A. Originaltitel: „Spanish Doctor, Pregnant Midwife“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN Band 36 - 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Michaela Rabe

Umschlagsmotive: "Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 6/2024

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783751529808

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag: BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

In der spanischen Kapelle war es angenehm kühl. Annie glitt auf eine der Kirchenbänke und spürte, wie die andächtige Stille sie mit dem ersehnten Frieden erfüllte.

Noch zwei Tage, dann endete ihr Urlaub, und sie würde nach England zurückkehren müssen. In Penhally Bay wartete Arbeit auf sie – und die Realität, die sie hier unter südlicher Sonne weit von sich geschoben hatte.

Die Auszeit war dringend nötig gewesen. Ihre Eltern hatten sie zwar bedrängt, sie wenigstens auf einem Teil der Kreuzfahrt zu begleiten, die sie über Weihnachten und Neujahr gebucht hatten. Doch sie hatte sanft, aber bestimmt abgelehnt. Nach der Trennung von ihrem Verlobten Robert hätte es ihr gerade noch gefehlt, allein unter glücklichen Familien auf einem Luxusdampfer festzusitzen. Oder schlimmer noch, Weihnachten bei ihrer Schwester Fiona und ihrer jungen Familie in Schottland zu verbringen.

Selbst über die Feiertage in Penhally Bay zu bleiben, hätte sie nur schwer ertragen.

Aber die Ferien in dem kleinen andalusischen Dorf mit seinen blendend weiß getünchten Häusern hatten ihr gutgetan. Sie hatte die engen Gassen erkundet und war stundenlang über die Hügel gewandert, sodass sie abends todmüde ins Bett fiel. Bedrückende Träume hatten so keine Chance gehabt.

Natürlich würde die innere Leere nie ganz verschwinden, aber gegen Ende ihres Urlaubs war Annie so weit, dass sie wieder nach vorn blicken konnte. Was auch immer ihr die Zukunft bringen mochte.

Eine Gruppe aufgeregt flüsternder Kinder, begleitet von einer hochschwangeren Frau, brachte Leben in die stillen Räume. Als Annie die süßen Gesichter mit der olivfarbenen Haut und den glänzenden schwarzen Haaren sah, zog sich ihr das Herz zusammen. Besonders ein Mädchen erregte ihre Aufmerksamkeit. Anders als die anderen schwieg es und blickte sich nur mit großen ernsten Augen um. Gleichzeitig hielt es sich ein bisschen abseits, trotz wiederholter Bemühungen der Schwangeren, sie in den Kreis der Kinder zu holen.

Annie spürte die vertraute Sehnsucht in sich aufsteigen und betrachtete neidisch den runden Leib der werdenden Mutter. Der Geburtstermin schien nicht mehr weit, und Annie hätte sonst was gegeben, um an ihrer Stelle zu sein.

An Adoption hatte sie auch schon gedacht. Es gab wer weiß wie viele Kinder, die Liebe brauchten, und davon hatte Annie nun wirklich viel zu verschenken. Sie war überzeugt, dass sie eine gute Mutter sein würde, gäbe man ihr nur die Chance dazu.

Sie seufzte. Leider schienen Männer damit ihre Probleme zu haben. Nachdem sie sich mehr schlecht als recht damit abgefunden hatte, dass sie keine Kinder bekommen konnte, hatte sie Robert vorgeschlagen, eines zu adoptieren. Er reagierte abwehrend und schien sich mit der Idee überhaupt nicht anfreunden zu können. Im Gegenteil, im Verlauf der folgenden Monate zog er sich mehr und mehr von ihr zurück, bis sie ihm schließlich die Wahrheit entlockte: Eine Zukunft ohne eigene Kinder konnte er sich nicht vorstellen.

Als er sie verließ, war sie am Boden zerstört. Auf Mutterglück verzichten zu müssen, war schon ein hartes Los, aber dass nun auch der Mann, der sie hatte heiraten wollen, plötzlich entdeckte, dass er sie nicht bedingungslos lieben konnte … Das Schicksal meinte es wirklich nicht gut mit ihr.

Trotzdem wollte sie sich nicht unterkriegen lassen. Sie würde sich auf ihre Arbeit als Hebamme konzentrieren und ihre Liebe all den Winzlingen geben, die sie auf die Welt holte. Und sie würde etwas aus ihrem Leben machen. Ein neues Jahr, ein neuer Anfang.

Annie straffte die Schultern, nahm ihre Handtasche und stand auf. Sie war schon auf dem Weg zum Ausgang, als hinter ihr ein Schmerzensschrei ertönte. Alarmiert fuhr sie herum und sah, wie die Schwangere sich krümmte, beide Hände auf den geschwollenen Bauch gepresst.

Augenblicklich war Annie an ihrer Seite. „Was ist los? Geht es Ihnen nicht gut?“

Die Frau sah sie an, Schmerz und Furcht in den großen braunen Augen. „ Bebé “, keuchte sie.

„Wann soll Ihr Baby kommen?“, fragte Annie ruhig, aber die Frau schüttelte den Kopf. Anscheinend sprach sie kein Englisch. Annie verkniff sich einen frustrierten Seufzer. Ihre Spanischkenntnisse waren leider mehr als mager. Sie brauchte einen Dolmetscher, und zwar schnell.

„Sie sagt, Baby kommt. Jetzt.“

Annie legte die Hand auf den Bauch der Schwangeren, spürte die Kontraktionen und fing an zu zählen. Die Wehen kamen kurz hintereinander, alle zwei Minuten. Ja, das Baby war auf dem Weg.

Annie ging neben dem Mädchen, das sie angesprochen hatte, in die Hocke. „Wie heißt du, Sweetheart?“

„María.“ Sie deutete auf die Frau. „Das ist Señora Lopez.“

„Okay, María, kannst du mir helfen?“ Als die Kleine nickte, fuhr Annie mit erhobener Stimme fort, um das Geschnatter der anderen Kinder zu übertönen: „Hat sie noch mehr Kinder?“

María nickte wieder. „Drei.“

„Frag sie bitte, ob es normale Geburten waren. Dann brauche ich jemanden, der ein Handy dabeihat. Wir müssen einen Krankenwagen rufen.“

Eine alte Frau mit verwittertem Gesicht griff in die Tasche ihres voluminösen schwarzen Rocks und förderte ein Handy zutage. Annie verstand kein Wort von dem, was sie hineinmurmelte. Hoffentlich verständigt sie den Notdienst.

In der Zwischenzeit hatte María mit der werdenden Mutter geredet und hörte nun aufmerksam zu, während diese antwortete.

„Sie sagt, alle ihre Kinder kommen schnell. Baby soll erst in einer Woche kommen.“

„Danke, María, das hast du gut gemacht. Jetzt brauchen wir einen Raum, wo Mrs Lopez sich hinlegen kann. Gibt es hier so etwas?“

Während das Mädchen in die Menge fragte, die sich inzwischen um sie herum gebildet hatte, spürte Annie, wie Mrs Lopez ihre Hand umklammerte, als die nächste Wehe sie erschütterte. Es schien unvermeidlich, dass das Baby hier zur Welt kam. Annie vermutete, dass der Krankenwagen noch eine Weile brauchen würde. In den schmalen, gewundenen Gassen konnte man nicht schnell fahren.

Auf einmal teilte sich die Schar der unaufhörlich schwatzenden Frauen, und ein hochgewachsener dunkelhaariger Mann erschien. Die braunen Augen und die ausgeprägten Wangenknochen waren das Erste, was Annie an ihm auffielen. Dann wurde sie Zeugin, wie er in schnellem Spanisch mit der werdenden Mutter sprach, die immer noch Annies Hand hielt. Sekunden später entspannte sie sich sichtlich.

„ Mi hijo “, sagte die alte Frau mit dem Handy. „ Médico .“

Mein Sohn. Arzt. Auch Annie verspürte grenzenlose Erleichterung. Jetzt trug sie nicht mehr allein die Verantwortung, und vielleicht sprach er sogar Englisch. María gab zwar ihr Bestes, aber es dauerte quälend lange, bis sie Annies Fragen und Anweisungen übersetzt hatte.

Der Mann beugte sich hinab und schwang die Frau auf seine Arme, als wäre sie federleicht. Seine Mutter bedeutete ihm, ihr zu folgen, und die anderen Frauen kümmerten sich derweil um die Kinder. Annie fiel auf, dass die kleine María allerdings wie selbstverständlich mitging.

„Ich bin Hebamme“, sprach Annie den dunkelhaarigen Mann an. „Sprechen Sie Englisch?“

Er blieb kurz stehen und sah auf sie hinunter. „ Sí . Ja, ich spreche Englisch. Ich bin Dr. Rafael Castillo, Geburtshelfer und Gynäkologe. Meine Mutter hat einen Krankenwagen gerufen, aber er wird noch eine Zeit lang brauchen. Er muss erst aus der Stadt kommen, und die Straßen sind nicht besonders gut. Haben Sie sie schon untersucht?“

„Dazu war bisher keine Gelegenheit, aber die Abstände zwischen den Wehen sind gering. Die Geburt steht kurz bevor.“

Er nickte. „Ich glaube, Sie haben recht.“ Als er lächelte, entblößte er ebenmäßige weiße Zähne. „Sieht ganz so aus, als müssten wir beide das Baby auf die Welt holen – und zwar hier.“

Noch während er sprach, schrie Señora Lopez wieder auf und stieß ein paar Worte hervor.

Sie hatten das Priesterzimmer erreicht, und Dr. Castillo legte seine Patientin auf die schmale Liege, die dort stand. Dabei sprach er ruhig auf sie ein.

„Sie sagt, das Baby kommt“, wandte er sich dann an Annie, wobei er sich das Jackett auszog und zügig die Ärmel seines weißen Hemds aufrollte. „Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Annie entdeckte ein Waschbecken in der Ecke und ging hinüber, um sich Hände und Arme zu waschen. Dr. Castillo folgte ihr. Noch während er sich die Seife von der Haut spülte, machte Annie sich daran, die Frau zu untersuchen.

„Das Köpfchen, Dr. Castillo! Ich kann das Baby holen, wenn Sie ihr sagen, was sie tun muss.“ Sie wandte sich an María. „Kannst du mir ein paar Handtücher oder Laken besorgen? Irgendetwas, worin ich das Baby einwickeln kann?“

Als María losrannte, wandte Annie sich wieder an den Arzt. „In der wievielten Woche ist sie?“

„In der neununddreißigsten.“ Er sprach mit deutlichem Akzent, aber sein Englisch war perfekt.

„Und das weiß sie genau?“

„Ja. Sie heißt übrigens Sofía.“ Als er sich wieder der Patientin zuwandte und etwas zu ihr sagte, musste Annie kein Spanisch können, um zu verstehen, dass er sie bat zu pressen.

In dem Moment, in dem María und die Mutter des Arztes an der Tür erschienen, in den Armen einen Stapel Tücher und Schals, wurde die Schulter des Babys sichtbar. Doch dann ging es zu Annies Entsetzen nicht weiter. Das Baby steckte im Geburtskanal fest. Ihr Herz fing an zu rasen. Wo blieb der Krankenwagen?

Im selben Augenblick wurde ihr klar, dass es ihnen auch nichts nützen würde, wenn er in den nächsten Minuten auftauchte. In ihrem jetzigen Zustand war Sofía nicht transportfähig.

Annie blickte auf und sah direkt in Rafael Castillos braune Augen.

„Was ist?“, fragte er ruhig.

„Das Baby steckt fest. Ich glaube, wir haben hier eine Schulterlage.“

Sein besorgter Ausdruck verriet, dass er den Ernst der Situation erfasst hatte. Weitab von jedem Krankenhaus, ohne die notwendigen Instrumente, bestand die Gefahr, dass sie das Baby verloren.

Annie trat beiseite, damit er Sofía untersuchen konnte. María und die ältere Frau beobachteten derweil stumm das Geschehen. Weitere Minuten verstrichen, und die Presswehen blieben ohne Wirkung. Das Baby bewegte sich keinen Millimeter.

„Ich werde meine Mutter bitten, mir zu helfen, Sofías Beine Richtung Schultern zu ziehen“, verkündete Rafael schließlich mit grimmiger Miene. „Sie drücken gleichzeitig so fest es geht auf das Schambein.“

Er klang kompetent und besonnen, und auf einmal war Annie sicher, dass nur er Mutter und Kind retten konnte.

Sobald Sofías Beine in der richtigen Position lagen, folgte Annie seinen Anweisungen. Mit einem schmerzerfüllten Aufschrei presste Sofía ein letztes Mal, und das Baby glitt in Annies Arme. Sekunden danach ertönte sein erster empörter Schrei.

Annie und Rafael sahen sich über die erschöpfte Mutter hinweg an. Ihre Blicke verfingen sich, dann lächelte er breit, und in seinen Augenwinkeln erschienen Lachfältchen. Unwillkürlich hielt Annie den Atem an.

„Ein gesundes Mädchen“, sagte er da und brach den Zauber, der sie für einen winzigen Moment gefangen gehalten hatte. Dann wandte er sich an die Mutter, um die Worte auf Spanisch zu wiederholen.

Annie vergewisserte sich rasch, dass das Neugeborene frei atmen konnte, und wickelte es in ein Tuch, bevor sie es seiner Mutter reichte.

„ ¡Muchas gracias!, Rafael “, flüsterte Sofía bewegt und schmiegte ihr Kind an sich. Sie sah auf, suchte Annies Blick. „ ¡Mil gracias!, Señora .“

Draußen ertönte die Sirene des Krankenwagens und wurde schnell lauter. Wenig später stürmten auch schon die Sanitäter ins Zimmer.

Rafael erstattete Bericht, und Annie betrachtete ihn dabei. Er war wirklich der attraktivste Mann, dem sie je begegnet war! Sein welliges schwarzes Haar trug er etwas zu lang, und eine Locke war ihm in die Stirn gefallen. Ungeduldig schob er sie mit seinen langen, schlanken Fingern beiseite.

Er hatte hohe Wangenknochen, eine leicht gebogene Nase, und in seinem olivbraunen Gesicht erstrahlten seine ebenmäßigen Zähne blendend weiß. Unter dem weißen Hemd zeichnete sich ein muskulöser Oberkörper ab, und die maßgeschneiderte Hose umfing lange, kräftige Beine, die auf ein regelmäßiges Training im Fitnessstudio schließen ließen. Alles in allem strahlte er ein Sex-Appeal aus, dem Annie sich nicht entziehen konnte. Jemanden wie Dr. Rafael Castillo hatte sie bisher nicht kennengelernt. Der Mann war atemberaubend!

„Gut gemacht“, sagte er jetzt zu ihr. „Entschuldigen Sie, aber ich weiß noch nicht mal Ihren Namen.“

„Annie“, antwortete sie. „Annie Thomas. Sie brauchen mir nicht zu danken, ich bin froh, dass ich helfen konnte. Allerdings weiß ich nicht, ob ich es ohne Sie geschafft hätte … zusammen mit meinen beiden Helferinnen hier.“ Lächelnd deutete sie mit dem Kopf auf die alte Frau und das Mädchen, die sich entzückt über das Baby beugten.

„Meine Mutter hat mich angerufen. Zum Glück hatte ich in einem Café in der Nähe auf sie gewartet. Sie wollte hier nur ein Gebet sprechen, bevor wir zum Mittagessen nach Hause fahren.“

Da richtete sich seine Mutter auf und blickte zu ihnen herüber. Rafael stellte sie einander vor. Señora Castillo nickte heftig und redete gestenreich auf ihren Sohn ein.

„Sie sagt, Sie müssen unbedingt mit uns zu Mittag essen.“

Sofía wurde mit ihrem Baby auf eine Trage gelegt, und Rafael half dabei.

„Sollten wir Sofía nicht ins Krankenhaus begleiten?“, fragte Annie.

Seine weißen Zähne blitzten auf, als er sie lächelnd ansah. „Das übernehme ich. Für Sie ist kein Platz im Wagen. Außerdem haben Sie Urlaub, nicht? Ich bin sicher, dass Sie Besseres zu tun haben – selbst wenn Sie sich nicht dazu entschließen können, meiner Familie beim Mittagessen Gesellschaft zu leisten.“

Unerwartet war Annie enttäuscht. Ob es nun daran lag, dass sie ihre Patientin nicht wie gewohnt bis zum Schluss betreuen konnte, oder daran, dass Rafael für immer aus ihrem Leben verschwinden würde, konnte sie nicht sagen. Ach, eigentlich war sie überhaupt nicht in Stimmung für ein romantisches Abenteuer. Das würde doch nur mit Herzschmerz enden. Und davon hatte sie vorerst mehr als genug!

„Was ist mit der Kleinen?“ Sie warf einen Blick auf María, die sie mit ihren großen dunkelbraunen Augen aufmerksam beobachtete.

Rafael lachte auf und kniff das Mädchen liebevoll ins Kinn. „María fährt mit meiner Mutter nach Hause. Die ganze Familie trifft sich zu Neujahr hier. Vielleicht überlegen Sie es sich noch einmal und kommen doch zu uns, und ich sehe Sie nachher wieder?“

Als er fragend eine Augenbraue hochzog, rieselte ihr ein verwirrender Schauer über den Rücken. Was war an diesem Mann, dass sie sich unter seinem Blick befangen und auf eine ungewohnt scheue Weise weiblich fühlte? Sie hatte ihn doch gerade erst kennengelernt!

Vielleicht lag es an seinen tiefgründigen dunklen Augen und dem beeindruckenden männlichen Körper? Ihre Alarmglocken klingelten, wenn sie ihn nur ansah, und sie wusste, dass es klüger war, so viel Abstand wie möglich zu ihm zu halten. Und zwar schon bald!

Sie öffnete den Mund, um dankend abzulehnen, aber so weit kam sie nicht. Mit einem selbstsicheren Lächeln fügte er hinzu: „Eigentlich können Sie nicht Nein sagen. Mamá würde es nicht zulassen. Sagen wir, ihr Wort ist Gesetz.“ Er wandte sich zum Gehen. „Der Krankenwagen fährt gleich ab, ich muss gehen.“

Doch dann hielt er inne und sah Annie intensiv an. „Ich hoffe sehr, dass Sie kommen werden“, sagte er leise. Gleich darauf hatte er mit langen Schritten das Zimmer verlassen.

Annie war noch immer leicht benommen von den beunruhigenden Gefühlen, die er in ihr auslöste, da spürte sie, wie jemand ihren Arm umfasste und daran zog. Es war klar, was Mamá Castillo wollte. Und als dann auch noch María ihre schmale Hand in Annies schob, wusste sie, dass sie mit der Familie Castillo essen würde, ob sie nun wollte oder nicht.

Allerdings hatte sie heute nichts Besonderes vor, und wenn sie ehrlich war, so hatte sie genug vom Alleinsein. War es nicht einer ihrer guten Vorsätze zum neuen Jahr gewesen, sich wieder ins Leben zu wagen und das Beste daraus zu machen?

Über den wahren Grund, warum sie mitgehen wollte, mochte sie nicht zu lange nachdenken. Die Aussicht, Rafael zu sehen, lockte sie mit unwiderstehlicher Kraft. Und warum auch nicht? Bald würde sie sowieso wieder abreisen und niemanden von hier jemals wiedersehen. Wozu also vernünftig sein? Sie hatte doch nichts zu verlieren.

„Gut, dann komme ich gern“, sagte sie.

Und als María für sie übersetzte, glitt ein zufriedenes Lächeln über die verwitterten Züge von Señora Castillo.

Annie hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, wie sie zum Haus der Castillos kommen würden. Daher konnte sie ihre Überraschung kaum verbergen, als Mamá Castillo ihren faltenreichen Rock hob, ein kleines Moped bestieg und Annie bedeutete, sich hinter sie zu setzen.

Annie blickte zu María hinüber.

Das Mädchen nickte. „Sie sagt, sie nimmt Sie mit. Ich laufe. Es ist nicht weit.“ María deutete auf eine enge Gasse, an deren Ende mehrere weiß getünchte Häuser im Sonnenlicht schimmerten. „Da oben.“

„Kann ich nicht mit dir gehen?“

„Nein, Sie fahren mit Großmutter. Sie sagt, es ist zu weit und zu heiß in der Sonne für Sie.“

Widerspruch schien bei Mamá Castillo zwecklos. Ihr Gesicht verriet, dass sie erwartete, dass sie endlich aufstieg. Annie fügte sich widerstrebend.

Als sie den Hügel hinaufknatterten, stoben Hühner und Ziegen in alle Richtungen davon. Mehr als einmal kniff Annie erschrocken die Augen zusammen. Die Fahrt dauerte keine zehn Minuten, und Mamá Castillo drosselte nicht ein einziges Mal die Geschwindigkeit.

Endlich hielten sie vor einer beeindruckenden Finca, und Annie glitt erleichtert vom Moped. Es hatte Momente gegeben, da war sie nicht sicher gewesen, ob sie die wilde Fahrt überleben würde!

Kaum hatte sie wieder sicheren Boden unter den Füßen, war sie von Männern und Frauen umringt und hatte das Gefühl, als hätte sich das halbe Dorf versammelt, um sie zu begrüßen. Zwei junge Männer besaßen eine verblüffende Ähnlichkeit mit Rafael, und auch in den Gesichtern von mindestens einem halben Dutzend Frauen glaubte sie seine Züge wiederzuerkennen. Unzählige Kinder tobten lachend und kreischend über den Hof.

Überwältigt von dem Lärm und verlegen durch die plötzliche Aufmerksamkeit so vieler Menschen trat Annie einen Schritt zurück. Warum hatte sie nur zugestimmt, hierherzukommen?

Da löste sich eine wunderschöne Frau mit üppigem dunklen Haar und haselnussbraunen Augen aus der Menge und kam auf sie zu. „Willkommen bei uns zu Hause“, sagte sie freundlich und streckte ihr die Hand entgegen. „Mamá hat mir erzählt, dass Sie Sofía bei der Geburt ihres Babys geholfen haben. Sofía ist meine Cousine, wir stehen also tief in Ihrer Schuld.“

Die schwarzhaarige Schönheit musste Rafaels Schwester sein. Sie hatte die gleichen ausgeprägten Wangenknochen und den sinnlichen Mund.

„Nein, nein“, beeilte Annie sich zu versichern. „Ich bin froh, dass ich helfen konnte.“

„Ich heiße Catalina“, stellte die andere sich vor. „Ich habe gehört, dass Rafael auch dabei war.“ Sie erhob sich auf die Zehenspitzen, um Annie über die Schulter zu blicken. „Wo ist mein Bruder jetzt?“

„Er hat Sofía und ihr Baby ins Krankenhaus begleitet. Sobald er dort nicht mehr gebraucht wird, kommt er hierher.“

Catalina zog einen Schmollmund. „Typisch Rafael, er hat immer zu tun. Er wollte bei uns ein paar Tage Ferien machen, trotzdem sehen wir ihn kaum. Pah! Aber da er sich um unsere Cousine kümmert, werde ich ihm nicht den Kopf abreißen.“

Und dann führte sie Annie in eine riesige Küche. Eine lange Tafel bog sich förmlich unter der Last der Speisen, genug, um fünf Großfamilien satt zu machen. Überall verteilt standen bunt glasierte Keramikschüsseln mit Obst und Oliven zwischen schwarzen Eisenpfannen voll goldgelber Paella, in Tomaten und Kräutern geschmortem Kaninchen und Tapas-Platten mit Hackbällchen, würziger Wurst, deftigem Schinken und blassgelbem Käse. Andere Gerichte wiederum kannte Annie nicht, aber bei dem köstlichen Duft lief ihr das Wasser im Mund zusammen.

Bald saß sie inmitten der gastfreundlichen Familie und genoss die herzliche Aufmerksamkeit, die alle ihr entgegenbrachten. Es spielte keine Rolle, dass die Wenigsten Englisch sprachen. Wie sich herausstellte, waren die beiden jungen Männer tatsächlich Rafaels Brüder, und Catalina verriet ihr, dass sie noch zwei Schwestern hätten.

Die kleine María war, sobald Annie Platz genommen hatte, schüchtern lächelnd auf den Stuhl neben ihr gerutscht und wich nicht mehr von ihrer Seite. Annie sah sich am Tisch um und fragte sich, zu wem das Mädchen wohl gehören mochte. Aber da alle Kinder mit jedem vertraut schienen, fand sie darauf keine Antwort.

In einem stillen Moment, in dem niemand auf sie achtete, überlegte sie, wie es wohl wäre, Teil einer solchen Familie zu sein. Sofort überkam sie wieder die erdrückende Traurigkeit, und sie schloss rasch die Augen, um die Tränen zurückzudrängen. Dieses Glück würde sie nie erfahren.

Als sie die Augen wieder aufschlug, war Rafael da. Er betrachtete sie, die rabenschwarzen Brauen verwundert zusammengezogen. Sein Blick jedoch war so eindringlich, dass sie glaubte, er könne bis auf den Grund ihrer Seele sehen.

Gleichzeitig hatte sie den flüchtigen Eindruck, dass sich in der Tiefe dieser dunklen Augen ebenfalls ein Kummer verbarg, der ihrem nicht nachstand. Doch sie verscheuchte den Gedanken sofort wieder. Weshalb sollte dieser dynamische, attraktive Mann unglücklich sein? Soweit Annie es beurteilen konnte, besaß er alles, was man sich wünschen konnte. Ihr Blick schweifte wieder über die lebhafte Familie, die lachend und schwatzend das Festmahl genoss. Nun, zumindest alles, was wirklich zählte …

Er beugte sich über sie. „Nicht traurig sein, Annie Thomas“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Der Duft seines Aftershaves stieg ihr in die Nase, und sein warmer Atem auf ihrer Wange war wie eine Liebkosung. Ihr Herz machte einen Satz. Was war bloß an diesem Mann, dass sie sich in seiner Nähe wie ein schwärmerisch verliebtes Schulmädchen fühlte?

Sie konnte sich nicht erinnern, wann zuletzt ein Mann sie so sehr beeindruckt hatte. Ehrlich gesagt hatte noch keiner sie so fasziniert wie dieser hier … auch Robert nicht. Oder lag es an der spanischen Sonne und den zwei Gläsern Sangria, die sie zum Essen getrunken hatte? Was auch immer, sie freute sich jedenfalls unbeschreiblich, ihn zu sehen.

„Wie geht es Sofía?“ Annie hatte beschlossen, seine Bemerkung zu ignorieren.

„Mutter und Kind sind wohlauf“, antwortete er. „Sie bat mich, Ihnen noch einmal zu danken.“ Dann wandte er sich zu seiner Familie um, sagte etwas, und auf einmal erhoben alle ihre Gläser. „Auf Sofía! Auf Annie!“

Ein vielstimmiger Chor wiederholte seinen Toast, und alle Anwesenden lächelten Annie an. Verlegen ließ sie die Ehrung über sich ergehen. Rafaels breitem Lächeln nach zu urteilen, schien er ihr Unbehagen auch noch zu genießen.

Plötzlich wollte sie Abstand zwischen sich und diesen verwirrenden Mann bringen. Und zwar so viel wie möglich!

Hastig stand Annie auf und hätte dabei fast ihr Weinglas umgestoßen. „Vielen Dank für das Essen, aber ich muss jetzt gehen“, sagte sie atemlos.

Ihr Kreislauf dankte ihr die heftige Bewegung mit unerwarteter Benommenheit, und sie schwankte leicht. Sofort umfasste Rafael ihr Handgelenk, um sie zu stützen.

Die Berührung brannte wie Feuer auf ihrer Haut, und ihr Herz schlug unwillkürlich schneller.

„Ich bringe Sie zurück. Wo wohnen Sie?“

„Oh, das ist nicht nötig“, wehrte sie ab. „Mein Apartment liegt direkt gegenüber der Kirche. Ich brauche bestimmt nicht länger als eine halbe Stunde, und nach diesem üppigen Essen wird mir ein Spaziergang guttun.“ Du plapperst, seufzte sie stumm. In Gegenwart dieses Mannes erkannte sie sich selbst nicht wieder. „Außerdem haben Sie noch nichts gegessen.“ Sie blickte auf ihre Armbanduhr. „Es ist fast halb sechs! Sie müssen einen Bärenhunger haben. Also bitte, kümmern Sie sich nicht um mich. Ich finde den Weg auch allein.“

„Kommt nicht infrage, meine Mutter würde mir mein schlechtes Benehmen nie verzeihen. Sie ist imstande, mir … wie sagt man … die Ohren lang zu ziehen.“

Annie musste lachen. „Na gut, daran möchte ich wirklich nicht schuld sein. Aber Sie müssen erst etwas essen, bevor wir aufbrechen.“

„Nur wenn Sie versprechen, noch ein bisschen länger zu bleiben.“ Ihm schien etwas einzufallen, und seine Stirn umwölkte sich. „Verzeihen Sie, daran habe ich nicht gedacht – wartet jemand auf Sie?“

„Nein, niemand.“ Und im Grunde zog sie nichts in die einsame kleine Ferienwohnung zurück. Diese warmherzige Großfamilie rührte etwas in ihr an. Was schadete es schon, wenigstens für ein paar Stunden das Gefühl auszukosten, dazuzugehören, und nicht an ihr Leben zu Hause in Penhally Bay zu denken?

„Sie sind allein hier in Spanien?“, fragte er verwundert. „Über Weihnachten und Neujahr? Warum?“

Annie hatte nicht vor, ihm die Wahrheit anzuvertrauen. Sein Mitleid war das Letzte, was sie gebrauchen konnte. „Ich wollte dem Winter entfliehen.“

Das schien ihn noch mehr zu verblüffen. „Aber wir haben auch Winter.“

„Zu Hause in England schneit es.“ Annie lachte wieder auf. „Glauben Sie mir, das hier ist wie Sommerurlaub.“

„Na schön.“ Er lächelte charmant. „Jedenfalls bin ich froh, dass Sie nach Spanien gekommen sind.“ Da war etwas in seinem Blick, das ihr prickelnde Schauer über die Haut jagte. „Und Sofía auch.“

Seine letzte Bemerkung holte sie in die Wirklichkeit zurück. Natürlich, dachte Annie. Warum sollte ein Mann wie Rafael Castillo an ihr interessiert sein?

Es dämmerte schon, als Annie sich von allen verabschiedete. Jeder umarmte sie herzlich und bat sie, bald wiederzukommen, und sie merkte, wie schwer ihr der Abschied fiel. Dabei kannte sie diese Menschen doch kaum.

Aber es war ein magischer Nachmittag gewesen. Annie wünschte, sie könnte für immer bleiben, doch das war natürlich unmöglich. Sie hatte ihr eigenes Leben, so einsam es auch sein mochte.

Als Rafael das schmiedeeiserne Tor zur Straße öffnete, kam María angelaufen und warf sich ihr noch einmal in die Arme. Annie atmete den Orangenduft ihrer Haut ein, während sie sie an sich drückte, und spürte wieder die vertraute Sehnsucht. Was gäbe sie darum, ein eigenes Kind in den Armen zu halten.

Mamá Castillo rief nach María, und diese löste sich nur widerstrebend von Annie. Auch Annie winkte noch einmal bedauernd, bevor sie Rafael die staubige Straße hinunterfolgte.

„Zu wem gehört María eigentlich? Sie ist ein lieber Schatz, aber sie kommt mir so … ich weiß nicht … verloren vor.“

„Ach, die kleine María“, antwortete er gedehnt. „Ihre Mutter – meine Cousine – ist vor ein paar Monaten gestorben. Und ihr Vater …“ Verächtlich presste er kurz die Lippen zusammen. „Er ist schwach. Er ist gegangen und hat María zurückgelassen. Er hat es nicht verdient, Vater zu sein. Wenn María mein Kind wäre, ich würde alles tun, um sie bei mir zu behalten.“

Ein zorniger Ausdruck trat in seine dunklen Augen, und Annie fröstelte unwillkürlich. Rafael Castillo schien zu allem entschlossen zu sein, wenn es um etwas ging, das ihm gehörte. Ein Mann, mit dem sie sich ungern anlegen würde.

„Marías Vater muss es ziemlich schlecht gegangen sein“, sagte sie dennoch. „Manche Menschen handeln für uns unverständlich, wenn sie verletzt sind.“ Allerdings konnte sie auch nicht verstehen, warum ein Vater sein Kind im Stich ließ. Vor allem, nachdem es gerade erst seine Mutter verloren hatte. Das war mehr als grausam.

„Für sein Verhalten gibt es keine Entschuldigung“, erwiderte er hart. „Ein Vater hat seine Pflichten, und das Kind ist immer wichtiger als seine Gefühle.“

Rafael wandte den Blick ab, jedoch nicht schnell genug. Annie hatte die tiefe Trostlosigkeit in seinen Augen noch gesehen.

„María lebt jetzt bei meiner Familie“, fuhr er fort. „Sie liebt meine Mutter, aber sie trauert noch um ihre eigene. Sie ist traurig – genau wie Sie –, aber es geht ihr von Tag zu Tag besser.“

Da, er sagt es schon wieder. Sieht man mir meinen Kummer so deutlich an? fragte sie sich. Oder konnte dieser Mann ihr ins Herz blicken?

Sie gingen die schmale Gasse hinunter, eingehüllt in den süßen Duft der Orangenblüten, der den Bäumen zu beiden Seiten des Wegs entströmte. Über ihnen spannte sich ein von Sternen übersäter samtblauer Abendhimmel.

Rafael fragte nach ihrer Arbeit, und sie erzählte ihm von Penhally Bay und vom Krankenhaus St. Piran. Er hörte aufmerksam zu, ehe er von seinem Alltag in Barcelona berichtete. Immer wieder klang durch, dass er das Landleben vermisste und es bedauerte, dass er seine Familie nicht öfter sehen konnte.

„Wie Sie jetzt wissen, lieben wir Spanier unsere Familie. Je größer, desto besser“, meinte er lächelnd. „Was ist mit Ihnen?“

„Ich habe einen Bruder und eine Schwester. Er lebt mit seiner Frau und seinen kleinen Kindern in Australien, und meine Eltern werden nach ihrer Kreuzfahrt für ein paar Monate bei ihnen wohnen. Meine Schwester lebt mit ihrer jungen Familie in Schottland.“ Sie warf ihm einen Seitenblick zu. „Sie sind zu beneiden, dass Sie Ihre Lieben so nahe bei sich haben.“

Wieder einmal hatte sie den Eindruck, dass ein Schatten über seine markanten Züge glitt, aber da lächelte Rafael. Wahrscheinlich hatte sie sich getäuscht.

„Nicht immer, das können Sie mir glauben. Meine Schwestern und meine Mutter wollen über mein Leben alles genau wissen. Dios , sie lassen mich nie in Frieden.“

Die Zeit verging wie im Flug, und schon standen sie vor Annies Wohnung. In den Fenstern der Häuser blinkte noch die Weihnachtsbeleuchtung und strahlte auf das Kopfsteinpflaster.

Annie wollte nicht, dass der Abend schon endete, und Rafael schien ein ähnlicher Gedanke gekommen zu sein. Er zögerte kurz und sagte dann: „Wenn Sie nicht zu müde sind, können wir uns noch in ein kleines Restaurant setzen. Es ist nicht weit, nur ein paar Minuten zu Fuß. Dort bekommt man die besten Tapas im ganzen Ort. Ich habe wieder Hunger und könnte einen guten Bissen vertragen. Möchten Sie mir nicht Gesellschaft leisten?“

Ihr Blick glitt über seine athletische Gestalt. Rafael hatte kein Gramm Fett zu viel am Körper. Wo ließ er bloß all das Essen?

„Warum nicht?“, antwortete sie. „Es ist mein letzter Abend, morgen muss ich wieder nach Hause.“

Er führte sie zu einer Tapas-Bar hinter der Kirche. Drinnen war es voll, aber an den Tischen draußen auf der Plaza saß niemand.

„Wollen wir uns hier hinsetzen?“, fragte Annie.

„Gern, wenn Sie möchten.“ Er zog seinen dünnen Pullover aus. Darunter trug er ein kurzärmeliges Hemd, das muskulöse, mit dichten schwarzen Härchen bedeckte Unterarme enthüllte. „Aber ich bestehe darauf, dass Sie dies anziehen.“

Widerspruch schien zwecklos zu sein, also streifte sie sich den Pullover über den Kopf. Er duftete schwach nach Rafaels zitronigem Aftershave und barg noch die Wärme seiner Haut. Natürlich war er ihr viel zu groß und rutschte ihr beinahe von den Schultern.

Annie hielt den Atem an, als Rafael sich vorbeugte, um ihr die Ärmel umzuschlagen. Die Geste hatte etwas Zärtliches und Erotisches zugleich. Ihre Haut prickelte wie von einem leichten Stromschlag, wenn seine langen, schlanken Finger ihre nackten Arme streiften.

Rafael betrachtete sie, und dann hoben sich seine Mundwinkel, und die feinen Fältchen in seinen Augenwinkeln vertieften sich. Es war ein langsames, verführerisches Lächeln, das Annie sofort in seinen Bann schlug. Wieder einmal kam ihr der Gedanke, dass sie noch nie einem so atemberaubend maskulinen Mann begegnet war. Ihr Herz klopfte schneller, und sie spürte instinktiv die Gefahr, wollte aufspringen und weglaufen, weit, weit weg. Gleichzeitig wusste sie, dass sie es nicht ertragen könnte, wenn er aus ihrem Leben verschwinden würde. Noch nicht …

Nachdem ihre Meeresfrüchte serviert worden waren, erschien es ihr selbstverständlich, dass Rafael sie immer wieder mit kleinen Häppchen Hummer oder Shrimps fütterte. Jedes Mal, wenn seine Fingerspitzen ihre Lippen berührten, durchzuckte es sie heiß. Lustvolle Gefühle durchrieselten sie und erfüllten sie mit erwartungsvoller Erregung.

Ohne ein Wort zu sagen, standen sie irgendwann auf, und Rafael nahm ihre Hand. Annie führte ihn die Gasse wieder hinauf zu ihrer Ferienwohnung. Vor der Tür angekommen, schloss sie auf, ohne Rafael loszulassen, und zog ihn mit sich hinein.

„Bist du sicher?“, fragte er rau und sah ihr in die Augen.

„Ja“, sagte sie atemlos, von ihrer Kühnheit erstaunt. „Ich möchte es.“

Was sie hier tat, konnte gefährlich werden. Es war das, wovor jede Mutter ihre Tochter warnte. Aber sie vertraute ihm und wusste instinktiv, dass er ihr niemals etwas antun würde. Und er hatte ein Verlangen in ihr geweckt, das nur er stillen konnte, niemand sonst.

Rafael nahm ihre Hand und hob sie an seine warmen Lippen. Sie erbebte vor Sehnsucht, konnte es kaum erwarten, diesen sinnlichen Mund überall auf ihrem Körper zu spüren. Wie gebannt blickte sie in die dunklen Augen des gut aussehenden Spaniers, der heute Morgen noch ein Fremder für sie gewesen war.

Sein glutvoller Blick verriet, dass er genauso erregt war wie sie. Mit einer heftigen Bewegung riss Rafael sie an sich, eine Hand auf ihrer Hüfte, die andere auf ihrem Po. Annie spürte seine festen Brustmuskeln durch den dünnen Hemdstoff und den Druck der kraftvollen Schenkel an ihren. Aus schwelender Glut wurde ein verzehrendes Feuer, und Annie hob den Kopf und suchte seinen Mund.

Rafael verführte sie mit einem sanften, forschenden Kuss, aber sie spürte, dass er seine Leidenschaft nur mühsam unterdrückte. Schnell wurden seine Küsse fordernder, und bald hatte Annie das Gefühl, nicht mehr auf den Beinen stehen zu können. Eine süße Schwäche erfasste sie.

Da löste sich Rafael schwer atmend von ihr. Sie sah, dass er genau wie sie von der Heftigkeit ihres gegenseitigen Verlangens überwältigt war.

„Bist du sicher?“, wiederholte er seine Frage leise.

Als sie stumm nickte, glitt ein triumphierendes Lächeln über sein Gesicht, und er schwang sie auf seine starken Arme, um sie die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer zu tragen.

Im ersten Licht der Morgenröte erwachte Annie. Sie stützte sich auf einem Ellbogen ab und betrachtete ihren Liebhaber.

Schlafend wirkte Rafael weicher, irgendwie verletzlicher. Er war leidenschaftlich gewesen, sehr leidenschaftlich und trotzdem liebevoll und behutsam. Geschickt hatte er ihre Lust geschürt, bis Annie ihn heiser anflehte, endlich zu ihr zu kommen.

Sie lächelte verträumt. Wie kein anderer vor ihm hatte Rafael ihr gezeigt, zu welchen Freuden sie fähig war. Wieder und wieder hatte er sie zum Höhepunkt gebracht, und allein die Erinnerung daran ließ sie erschauern.

Zärtlich strich sie mit dem Zeigefinger über seine Lippen, über seine Wangen, seine Nase und die geschwungenen dunklen Brauen, wie um sich seine Züge einzuprägen. Sie wusste, dass sie ihn nicht wiedersehen würde.

In einer einzigen wundervollen Nacht war es ihm gelungen, eine tiefe Wunde in ihr zu heilen, von der sie gedacht hatte, dass sie sich nie wieder ganz schließen würde.

Allein deshalb würde sie ihn nie vergessen.

2. KAPITEL

Annie las in der Patientenakte, um ihr Gedächtnis aufzufrischen. Nicht dass es nötig gewesen wäre. Sie hatte Claire und Roy Dickson schon ein paarmal gesehen und kannte ihre Geschichte gut. Zufrieden, dass sie immer noch auf dem neuesten Stand war, lehnte sie sich zurück und wartete auf ihre Patienten.

Regentropfen prasselten gegen die Fensterscheiben, und Annie musste an jene magische letzte Nacht ihres Spanienurlaubs denken. Fast vier Monate waren seitdem vergangen, aber ihre Erinnerungen an die Stunden, die sie mit Rafael verbracht hatte, waren nicht im Mindesten verblasst.

Sie erinnerte sich an jede Berührung, an jeden Kuss. Es war, als hätte sie gefunden, was in ihrem Leben noch gefehlt hatte. Den Mann, auf den sie gewartet hatte. Ihren Seelenverwandten. Bisher hatte sie nicht daran geglaubt, dass es so etwas überhaupt gab. Doch inzwischen wusste sie es besser.

Manchmal allerdings wünschte sie sich, sie wäre ihm nie begegnet. Ihr war, als hätte sie einen Teil von sich in Spanien zurückgelassen, und das machte die Einsamkeit nur umso schmerzlicher. Annie seufzte, als sie sich an seine letzten Worte erinnerte.

„ Cariño “, hatte er am Morgen ihrer Abreise zu ihr gesagt. „Hätte ich dich nur schon früher kennengelernt. Aber jetzt ist es … zu kompliziert.“

Sie hatte ihn nicht gedrängt, ihr zu erklären, was er damit meinte. Wozu auch? Dennoch ließ sie die Frage immer noch nicht los. War er verheiratet? Nein, sicher nicht, seine Familie hätte irgendeine Andeutung gemacht. Vielleicht verlobt, unauflöslich verbunden mit einer anderen, der er die Ehe versprochen hatte?

Es spielte keine Rolle. Auch wenn er sie gebeten hätte, bei ihm zu bleiben, sie hätte Nein gesagt. Die niederschmetternden Erfahrungen mit Robert waren zu frisch, als dass sie sich so schnell wieder auf eine Beziehung eingelassen hätte.

Nein, es war besser, die Erinnerungen an jene wundervolle Liebesnacht in ihrem Herzen zu verschließen. Besser – und sicherer.

Als es klopfte, wandte Annie den Blick von den Regenschlieren und dem wolkenverhangenen Himmel. „Herein!“, sagte sie und stand auf.

Claire Dickson betrat zusammen mit ihrem Mann Roy das Zimmer. Annie begrüßte sie herzlich, wohl wissend, dass das Paar ziemlich nervös sein musste. Seit Jahren versuchten sie, ein Baby zu bekommen, und erst mithilfe künstlicher Befruchtung war Claire endlich schwanger geworden.

Die Ultraschalluntersuchung hatte jedoch nicht einen, sondern zwei kräftig schlagende Herzen enthüllt, und seitdem kümmerte sich Annie als Spezialistin für Risikoschwangerschaften um die werdende Mutter.

„Wie fühlen Sie sich?“, fragte sie und griff nach dem Blutdruckmessgerät.

„Wie auf Wolke sieben!“ Claire lächelte strahlend. „Abgesehen davon ist mir übel, ich bin ständig müde und ziemlich ängstlich.“

„Die Übelkeit vergeht bald. Nehmen Sie sie bis dahin als ein gutes Zeichen.“

Obwohl Annie sich für die beiden sehr freute, war sie doch ein bisschen neidisch. Wie gern wäre sie an Claires Stelle gewesen, mit Zwillingen im Bauch und umsorgt von einem liebenden Ehemann. Aber In-vitro-Fertilisation kam für sie nicht infrage, und außerdem standen bei ihr die Anwärter für den Posten des liebenden Ehemannes nicht gerade Schlange. Nun, wenigstens konnte sie diesem Paar helfen, sich den Traum von einer eigenen Familie zu erfüllen. Und das tröstete sie, auch wenn ihr selbst dieser Traum verwehrt blieb.

„Ihr Blutdruck ist genau, wie er sein soll, aber ich werde Sie und Ihre beiden Kleinen gut im Auge behalten. Sie wissen ja, dass Zwillingsschwangerschaften risikoreicher sind.“ Als Claire sich besorgt aufrichtete, fügte sie rasch hinzu: „Wir werden alles tun, um zwei gesunde Babys auf die Welt zu holen, und bisher verläuft alles wunderbar.“

Nach der Sprechstunde begleitete Annie das glückliche Paar zum Ausgang der Entbindungsstation und verabschiedete sich von ihnen.

Auf dem Weg zurück zu ihrem Zimmer verspürte sie plötzlich eine bleierne Müdigkeit. Sie liebte ihre Arbeit im Team für Risikoschwangerschaften des St.-Piran-Krankenhauses, aber es war ein emotionaler, manchmal anstrengender Job, der sie sehr forderte. Sie fühlte mit den werdenden Müttern, wenn sie ihnen durch die Höhen und Tiefer ihrer Schwangerschaft half.

Heute war sie jedoch besonders erschöpft, und sie ahnte, dass die Arbeit diesmal nicht der Grund war. Sie konnte es nicht länger ignorieren, sosehr sie es sich wünschte. Seit Monaten hatte sie ihre Regel nicht mehr bekommen, und sie hatte am Bauch zugenommen … beides Anzeichen einer vorzeitigen Menopause.

Entgegen aller Vernunft, und obwohl sie wusste, dass sie keine Kinder bekommen konnte, hatte sie insgeheim die Hoffnung nie aufgegeben, vielleicht doch eines Tages Mutter zu werden. Doch wenn bei ihr jetzt die Wechseljahre einsetzten, war es damit unwiderruflich vorbei.

Annie kannte nur einen Menschen, der ihr ihren Verdacht bestätigen konnte und dem sie sich anvertrauen mochte: Kate Althorp, die erfahrene Hebamme der Penhally-Bay-Gemeinschaftspraxis. Sie würde auf dem Nachhauseweg bei ihr vorbeifahren.

Annie arbeitete gern mit Kate und deren Kollegin Chloe zusammen. Anfangs hatten sie sich nur telefonisch über Patientinnen ausgetauscht, aber mit der Zeit waren sie Freundinnen geworden. Nach Dienstschluss im Krankenhaus hielt sie oft an der Praxis, um mit den beiden zu plaudern. Und gelegentlich trafen sich die drei Frauen auf einen Kaffee oder zu einem gemeinsamen Abendessen.

Entschlossen zog sie sich ihren Mantel über. Kate würde wissen, was sie tun sollte.

Und außerdem, hatte sie sich nicht schon vor Monaten geschworen, die Zukunft so zu nehmen, wie sie kam?

Kate war in ihrem Büro und bearbeitete Patientenunterlagen. Als sie aufblickte und Annie am Türrahmen stehen sah, lächelte sie.

„Ist es schon so spät?“ Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. „Gütiger Himmel, sechs Uhr! In vierzig Minuten muss ich Jem vom Fußballtraining abholen.“ Irgendetwas an Annies Gesichtsausdruck schien sie jedoch stutzig zu machen, denn sie fügte ruhiger hinzu: „Aber Zeit für einen Kaffee haben wir noch. Du siehst aus, als hättest du einen nötig.“

Während Kate zwei Tassen holte, überlegte Annie noch einmal, ob sie sich ihr wirklich anvertrauen sollte. Aber wenn es die Wechseljahre waren, brauchte sie Kates Rat, ob sie eine Hormonersatztherapie machen sollte, bevor sie sich an ihren Hausarzt Dr. Roberts, den Seniorpartner der Gemeinschaftspraxis, wandte.

„Hey.“ Kate betrachtete sie teilnahmsvoll. „Was ist los? Alles in Ordnung bei Claire? Ich weiß, dass sie und Roy heute einen Termin bei dir hatten.“

„Oh … nein, da gibt es keine Probleme.“

„Es ist schön zu sehen, wie glücklich die beiden sind.“ Sie reichte ihr eine Tasse. „Dich bedrückt doch etwas. Komm, heraus mit der Sprache.“

Annie zögerte. Hatte sie ihre Befürchtung erst ausgesprochen, konnte sie sie nicht mehr verdrängen.

Besorgt kam Kate zu ihr, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben Annie. „Du brauchst es mir nicht zu sagen, aber vielleicht kann ich dir helfen?“, fragte sie sanft.

Kein Wunder, dass alle mit ihren Problemen zu ihr kamen. Kate war eine wundervolle Zuhörerin, die andere von ihren Sorgen und Nöten erzählen ließ, ohne gleich ein Urteil zu fällen. Annie spürte, wie ihre Augen feucht wurden, und blinzelte die Tränen wütend weg. Nein, sie würde nicht weinen! Was sie bisher an Tränen vergossen hatte, reichte für ein ganzes Leben!

„Ich habe es dir nie gesagt, aber ich kann keine Kinder bekommen“, gestand sie schließlich. „Ich bin unfruchtbar.“

„Oh, Annie, das tut mir leid. Bist du sicher?“

„Hundert Prozent.“ Sie versuchte, die aufsteigenden Schluchzer zu unterdrücken. „Ich hatte doch einmal erwähnt, dass ich in Edinburgh verlobt war, bevor ich nach Penhally Bay zurückkam?“

Kate nickte und wartete, dass Annie fortfuhr.

„Robert und ich waren fünf Jahre zusammen. Wir haben uns geliebt … jedenfalls dachte ich das. Wir wollten heiraten und so bald wie möglich Kinder. Als ich nach einem halben Jahr immer noch nicht schwanger war, erzählte ich einer Kollegin davon. Sie schlug vor, dass wir uns testen lassen. Bei Robert war alles normal, doch bei mir stellten sie über einen neuen Bluttest fest, dass meine Eierstockreserve, also die Zahl der Eizellen, die ich noch habe, so gering ist, dass man sie nicht messen kann.“ Ihr versagte die Stimme, als sie sich an die niederschmetternde Diagnose erinnerte, als sei es gestern gewesen.

Tröstend legte Kate ihr den Arm um die Schultern, und Annie holte tief Luft. „Der Test ist sehr zuverlässig. Die Chance, dass ich schwanger werde, ist so minimal, dass sie nahezu gleich null ist. Künstliche Befruchtung wäre auch keine Lösung. Der Gynäkologe meinte außerdem, ich müsste mit einer frühzeitigen Menopause rechnen.“

Annie schluckte. „Und ich glaube, es ist so weit. Ich hatte meine Periode zuletzt …“, sie überlegte, „… vor Neujahr. Und … ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber meine Hormone scheinen verrückt zu spielen. Ich habe meine Gefühle nicht mehr richtig im Griff. Kannst du dir vorstellen, dass ich mich unglaublich zusammenreißen musste, um nicht vor Freude mitzuheulen, als Claire und Roy die glückliche Neuigkeit erfuhren? So bin ich sonst nicht. Mir liegt viel an meinen Patienten, das schon, aber deshalb fahren meine Gefühle nicht bei jeder Kleinigkeit Achterbahn.“

„Was verständlich wäre, oder?“, meinte Kate mitfühlend. „Das Glück deiner Patienten macht dir deinen persönlichen Kummer immer wieder von Neuem bewusst.“

„Ich weiß, aber ich habe mich so viel besser gefühlt, seit ich aus Spanien zurück bin. Als ich dort war, hatte ich beschlossen, nach vorn zu blicken und das Beste aus meinem Leben zu machen. Ich wollte versuchen, glücklich zu sein mit dem, was ich habe, und nicht an etwas zu verzweifeln, das ich sowieso nicht ändern kann. Aber wenn ich jetzt schon in die Wechseljahre komme, muss ich mich wieder mit allem befassen.“

„Und du bist sicher, dass das der Grund ist?“

„Eine andere Erklärung gibt es nicht. Meine Regel bleibt weg, dann diese unkontrollierbaren Gefühlswallungen … das müssen die Wechseljahre sein, von denen der Arzt gesprochen hat. Außerdem werde ich füllig, ich komme kaum noch in meine Jeans.“

Kate warf ihr einen scharfen Blick zu. „All das seit deinem Urlaub? Hm. Du hattest nicht vielleicht eine kleine Romanze dort unten im sonnigen Süden?“

Annie wurde rot, und Kate lachte leise auf. „Also tatsächlich? Sehr gut, es war höchste Zeit, dass du dir ein bisschen Vergnügen gönnst.“ Doch dann wurde sie ernst. „Ich hoffe, es hat Spaß gemacht? Oh, Liebes, entschuldige, so wollte ich es nicht ausdrücken. Du weißt, wie ich es meine.“

Ihre Wangen brannten. Spaß? Ja, den hatte sie gehabt und mehr als das. Inzwischen zählte jene Nacht zu ihren kostbarsten Erinnerungen.

„Falls du mit ihm geschlafen hast, hast du verhütet?“ Typisch Kate, sie redete nicht lange um den heißen Brei herum.

„Ja, das heißt … nein.“ Sie errötete wieder. „Ich habe ihm gesagt, es wäre nicht nötig, und er hat wohl angenommen, dass ich die Pille nehme.“ Oh, diese Unterhaltung war ihr so peinlich! Auch wenn sie Kate einiges anvertrauen konnte, aber es gab Grenzen.

„Worauf ich hinauswill …“, begann Kate nachdenklich. „Du hast wohl keinen Schwangerschaftstest gemacht, oder?“

Verblüfft schaute Annie sie an. Auf die Idee wäre sie niemals gekommen, nicht eine Sekunde lang! „Natürlich nicht. Ich kann nicht schwanger werden.“ Plötzlich wurde ihr schwindelig. „Oder doch? Meinst du wirklich?“

Kate stand auf. „Das lässt sich leicht feststellen. Komm.“ Sie öffnete einen der Schränke und nahm eine längliche Schachtel heraus. „Du gehst jetzt ins Bad und bringst mir eine Urinprobe.“

Zehn Minuten später saß Annie wie vom Donner gerührt vor Kate.

„Bist du sicher?“, brachte sie mühsam hervor. „Irrtum ausgeschlossen?“

„Ja.“ Kate lächelte breit. „Wir vereinbaren gleich einen Ultraschalltermin für dich, um absolut sicherzugehen, aber für mich besteht kein Zweifel. Du bist schwanger.“

Überschäumende Freude erfasste Annie. Ich bekomme ein Baby! Wie lange hatte sie diesen Moment herbeigesehnt, und jetzt war ihr sehnlichster Wunsch Wirklichkeit geworden. Die Müdigkeit, die Gefühlsschwankungen, all das machte plötzlich Sinn. Mit einem glücklichen Lächeln schlang sie die Arme um sich.

„Du hast nie von dem Vater gesprochen. Ich vermute mal, dass du zu ihm keinen Kontakt mehr hast, oder?“

Rafael! Es war sein Kind, anders konnte es nicht sein.

„Nein“, antwortete sie gedankenverloren. Was würde er sagen? Sollte sie es ihm überhaupt erzählen? Es war ein Urlaubsflirt gewesen, mehr nicht. Keiner von ihnen hatte mehr daraus machen wollen.

Annie erwartete nichts von ihm, auch jetzt nicht. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie würde eine Zeit lang unbezahlten Urlaub nehmen müssen, zumindest in den ersten Monaten nach der Geburt. Zum Glück hatte sie von ihrem Großvater eine kleine Summe geerbt, mit der sie ihr Mutterschaftsgeld aufstocken konnte. Irgendwie würde sie schon über die Runden kommen. Und eins war sicher: die Liebe zu ihrem Kind würde sie für alle materiellen Sorgen entschädigen!

„Soll ich es ihm sagen? Ich weiß nicht, ich kann es selbst noch nicht fassen. Aber wahrscheinlich hat er ein Recht, es zu erfahren.“

Annie glaubte, einen wehmütigen Ausdruck in Kates Augen zu sehen, doch dann war er so schnell wieder verschwunden, dass sie nicht wusste, ob sie sich nicht getäuscht hatte. Kate hatte ihren Sohn Jeremiah allein großgezogen. Ihr Mann James war gestorben, bevor er erfahren konnte, dass sie schwanger war. Wahrscheinlich hatte auch Kate ihre schmerzlichen Erinnerungen.

„Es ist allein deine Entscheidung“, sagte sie jetzt sanft.

„Ich weiß nicht, ob ich ihn in meinem Leben haben möchte. Außerdem lebt er in Spanien, das macht alles noch komplizierter.“

„Wenn du es nicht tust, was willst du deinem Kind sagen, wenn es nach seinem Vater fragt?“

Kate hatte recht. Schon deshalb musste Rafael es erfahren. Und noch etwas wurde ihr bewusst: Sie verdankte ihm ihr größtes Glück. Ohne es zu wissen und sicher auch ohne es zu wollen, hatte Dr. Rafael Castillo für sie einen Traum wahr gemacht.

Nachdem Annie aufgeregt und überglücklich gegangen war, saß Kate tief in Gedanken versunken an ihrem Schreibtisch.

Sie wusste noch wie heute, wie sie sich gefühlt hatte, als sie herausfand, dass sie schwanger war. In die Freude darüber hatten sich Scham und Bedauern gemischt. Jem war nicht von ihrem Mann. In jener Nacht, nachdem James während eines Orkans im Meer ertrunken war, hatte sie in den Armen eines anderen Mannes Trost gesucht.

So stark waren ihre Schuldgefühle gewesen, dass sie sich einfach nicht überwinden konnte, Nick zu erzählen, dass Jem von ihm war. Außerdem war er damals mit Annabel verheiratet gewesen und hatte schon drei Kinder. Trotzdem hatte er im letzten Jahr zufällig die Wahrheit erfahren, als Kate sich einer Freundin anvertraute.

Sie stand auf und ging zum Fenster. Draußen war es dunkel, und die Scheibe reflektierte leicht verschwommen ihr Gesicht und milderte dadurch die feinen Fältchen, die sich um ihre Augen gebildet hatten. Die Blüte der Jugend war längst vorbei, aber Kate erinnerte sich noch genau an die leidenschaftlichen Stunden in Nicks Armen, damals vor elf Jahren.

Wie wäre ihr Leben verlaufen, wenn sie ihm gleich erzählt hätte, dass Jem von ihm war? Hätte er sich dann zu seinem Kind bekannt? Kate seufzte. Es hatte keinen Zweck, mit sich zu hadern. Damals hatte sie eine Entscheidung getroffen, und damit musste sie leben. Sie hoffte nur, dass Annie die richtige traf und glücklicher wurde als sie.

„Oh, Darling, das sind ja wundervolle Neuigkeiten!“ Ihre Mutter reagierte begeistert, als Annie sie anrief. „Ich kann es kaum erwarten, Dad und David davon zu erzählen. Sie sind gerade alle mit den Kindern unten am Strand.“

Wie gern wäre Annie jetzt bei ihrer Familie gewesen!

„Sollen wir zurückkommen, Liebes?“

„Nein, natürlich nicht, Mum. Ich weiß doch, wie lange ihr euch auf diese Reise gefreut habt. Im August seid ihr ja wieder da, früh genug, um bei der Geburt dabei zu sein.“

Am anderen Ende trat eine betretene Stille ein.

„Heißt das, dass du wieder mit Robert zusammen bist?“, fragte Mrs Thomas.

Annie wusste, dass ihre Mutter mit ihm nie richtig warm geworden war, und als er sie verlassen hatte, war sie empört gewesen. Ein Mann, der sich so verhält, ist deiner nicht wert, mein Kind , hatte sie gesagt. Ohne ihn bist du besser dran.

„Nein, das Baby ist nicht von ihm.“

Wieder Schweigen. Ihre Mutter starb wahrscheinlich vor Neugier, aber sie hätte nie direkt gefragt.

„Der Vater ist jemand, den ich in Spanien kennengelernt habe … ein Arzt“, gestand sie verlegen. „Ich werde ihn nicht wiedersehen.“

„Hauptsache, du bist glücklich, mein Schatz“, entgegnete ihre Mutter sanft. „Und du wirst nicht allein sein. Dad und ich werden dir helfen, wo wir können.“

Das Telefonat mit ihrer Schwester in Schottland verlief nach einem ähnlichen Muster. Fiona war genauso begeistert wie ihre Mutter, hatte aber deutlich weniger Skrupel, Annie genau auszufragen.

„Weiß dein Dr. Castillo schon, dass er Vater wird?“

„Nein.“ Annie zögerte. „Ich wollte es ihm sagen, aber …“

„Du musst, Schwesterherz.“ Für Fiona schien es keine Alternative zu geben. „Tu das Richtige.“

„Ja.“ Sie seufzte. „Das tue ich doch immer.“

Trotzdem schob sie den Anruf noch eine Weile vor sich her. Seit ihrem Abschied an jenem Morgen in Andalusien hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Auch wenn sie es lange nicht wahrhaben wollte, so hatte sie doch gehofft, dass er Kontakt zu ihr aufnehmen würde. Das war nicht passiert, und das bedeutete, dass er wirklich nichts mehr von ihr wissen wollte.

Zwei Tage später fasste sie sich ein Herz und suchte die Nummer des Krankenhauses in Barcelona heraus. Nachdem sie ein paarmal tief Luft geholt hatte, um sich zu beruhigen, wählte sie und bat darum, zu Dr. Castillo durchgestellt zu werden.

Nervös und mit wild klopfendem Herzen wartete sie. Wie würde er die Neuigkeiten aufnehmen?

„ ¡Hola! Rafael Castillo.“

Die tiefe Männerstimme brachte auf einen Schlag alle Erinnerungen zurück. Annie sah sein gebräuntes Gesicht vor sich und spürte seine warmen Finger auf ihrer Haut. Ihre Hände bebten so sehr, dass sie schon befürchtete, den Hörer fallen zu lassen.

„Rafael, hier ist Annie.“

Keine Antwort. Die Pause dehnte sich, und Annie fragte sich, ob er nicht mehr wusste, wer sie war, oder ob es ihm die Sprache verschlagen hatte, so unerwartet von ihr zu hören.

„Wie geht es dir? Ist etwas passiert?“

„Nein, nein. Wenigstens nichts …“ Nichts Schlimmes, hatte sie sagen wollen, aber was für sie das höchste Glück bedeutete, konnte für ihn ein Ärgernis sein. „Entschuldige, dass ich dich während der Arbeit anrufe, aber ich wusste nicht, wie ich dich sonst erreichen sollte.“

„ No es nada “, sagte er. „Bitte, sprich weiter.“

Bildete sie es sich nur ein, oder klang er brüsk, fast abweisend? Ihre Stimmung sank in den Keller. Hast du etwas anderes erwartet?

Nein, eigentlich nicht. Wenn er mit ihr in Kontakt hätte bleiben wollen, hätte er sich melden können. Da er es nicht getan hatte, bedeutete ihm die gemeinsame Liebesnacht sicher nicht so viel wie ihr. Egal, sagte sie sich entschlossen, ich brauche ihn nicht, ich kann mein Baby allein großziehen!

Leider fiel ihr keins der Worte ein, die sie sich vorher zurechtgelegt hatte. Aber sie musste etwas sagen, er wartete. Sie glaubte, seine Ungeduld durch den Hörer zu spüren.

„Ich bin schwanger“, fiel sie mit der Tür ins Haus, obwohl sie es ihm schonend hatte beibringen wollen.

Diesmal war die Pause noch länger.

„Schwanger? Du hast gesagt …“

„Dass ich nicht schwanger werden kann … ja, ich weiß“, beendete sie seinen Satz. „Ich war mir sicher, aber jetzt ist es doch passiert!“ Sie konnte den freudigen Unterton nicht unterdrücken. Jedes Mal, wenn sie es aussprach, hätte sie platzen können vor Glück!

Als er sprach, klang seine Stimme eisig. „Und es ist wirklich von mir?“

Annie zuckte zusammen. Was sollte das denn? Glaubte er allen Ernstes, dass sie ihm das Kind eines anderen unterschieben würde? Oder mit mehreren Männern schlief und deshalb nicht wusste, wer der Vater war?

„Natürlich“, erwiderte sie scharf. „Du warst der Einzige, mit dem …“ Ihr stieg das Blut ins Gesicht. Oh, es war so furchtbar peinlich, so etwas am Telefon zu besprechen. „Mit dem ich geschlafen habe, seit …“ Wieder verstummte sie, setzte dann aber hastig hinzu: „Es kann nur von dir sein.“

Wieder ein unerträglich langes Schweigen. Warum hatte sie ihm nicht geschrieben? Dann hätte sie sich das hier erspart.

„Also musst du im vierten Monat sein. Warum hast du mir nicht früher davon erzählt. Ich nehme doch an, dass du es behalten wirst?“ Der kühle Tonfall passte so gar nicht zu dem Rafael, den sie in Erinnerung hatte.

„Sicher, sonst hätte ich dich wohl kaum angerufen! Ich weiß es auch erst seit ein paar Tagen … Ich habe einfach nicht gemerkt, dass ich schwanger bin.“ Na, was er jetzt von ihr denken mochte – eine feine Hebamme, die nicht merkt, dass sie schwanger ist! Aber sie wollte ihm nicht am Telefon ihre ganze Krankengeschichte erklären. Außerdem brauchte er überhaupt nichts darüber zu erfahren. Sie hatte ihre Pflicht getan und ihm von dem Baby erzählt, das genügte.

„Und? Was erwartest du von mir?“

Ärger wallte in ihr auf. Mit Begeisterungsstürmen hatte sie zwar nicht gerechnet, aber mit dieser abweisenden Reaktion auch nicht. „Ich wollte, dass du Bescheid weißt, mehr nicht. Es ist dein gutes Recht, finde ich.“ Sie lachte auf, doch es klang gekünstelt. „Keine Sorge, ich verlange nichts von dir. Für das Baby werde ich ganz allein sorgen, und ich möchte keine Geheimnisse vor ihm haben. Sollte es eines Tages nach seinem Vater fragen, werde ich ihm die Wahrheit sagen.“

„Wenn es mein Kind ist …“ Er betonte das erste Wort. „… dann ist es natürlich richtig, dass du mir davon erzählst. Aber wie kann ich sicher sein?“

Die kühle Frage war wie eine Ohrfeige. Annie atmete tief durch, um sich zu beruhigen. „Es ist von dir, da besteht kein Zweifel. Wenn du das nicht akzeptieren willst, gut, das ist deine Sache. Ich habe meine Pflicht getan. Leb wohl.“

Als sie den Hörer auflegte, glaubte sie ein „Warte, Annie“, zu hören, Doch sie hatte keine Lust, die Unterhaltung fortzusetzen. Rafael würde im Leben ihres Kindes keine Rolle spielen, und damit kam sie wunderbar klar.

Langsam ließ Rafael den Hörer auf die Gabel sinken. Es war ein Schock gewesen, nach all den Monaten unerwartet Annies Stimme zu hören. Sofort spürte er ihren warmen, anschmiegsamen Körper wieder in seinen Armen.

Nicht dass er Annie vergessen hätte. Ihre wundervollen hellgrünen Augen, ihre weichen Lippen und die milchweiße Haut, die einen bezaubernden Gegensatz zu ihrem dichten dunkelbraunen Haar bot, waren ihm nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Er erinnerte sich genau an ihre sanft geschwungenen Hüften, ihre schlanken Schenkel und die schmale Taille.

Fast hätte er laut aufgestöhnt. Er hatte sich bemüht, sie aus seinen Gedanken zu verbannen, und nun war sie plötzlich wieder in seinem Leben aufgetaucht. Weil sie ein Kind erwartete. Angeblich von ihm.

Unfähig, länger auf seinem Stuhl zu sitzen, erhob er sich und marschierte im Zimmer auf und ab. Annie hatte keinen Grund, ihn zu belügen, und sie hatte betont, dass sie nichts von ihm wollte. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass eine Frau ihn schamlos hinters Licht führte. Auf sein Herz war also kein Verlass.

Deshalb hatte er auch nicht versucht, zu Annie Kontakt aufzunehmen, obwohl er sich danach gesehnt hatte, sie wiederzusehen. Rafael fluchte leise vor sich hin. Wenn sie gelogen hatte, so würde er es herausfinden. Doch wenn das Kind wirklich von ihm war …

Die schmerzlichen Erinnerungen an Antonio überschwemmten ihn wieder. Dios! Dieses Mal würde niemand ihm sein Kind wegnehmen. Aber erst musste er die Wahrheit herausfinden.

Und da gab es nur eine einzige Möglichkeit.

3. KAPITEL

Im Laufe der Woche musste Annie immer wieder an ihr Telefongespräch mit Rafael denken. Und obwohl sie überzeugt war, das Richtige getan zu haben, konnte sie eine gewisse Enttäuschung nicht leugnen.

Nicht ihretwegen, sondern wegen des Kindes, das in ihr heranwuchs. Eines Tages würde sie ihm behutsam beibringen müssen, dass sein Vater nicht das geringste Interesse an ihm gezeigt hatte.

In der Praxis wussten inzwischen alle von ihrer Schwangerschaft, und Annie hätte jeden auf der Straße anhalten können, um ihm die frohe Botschaft mitzuteilen, so glücklich war sie. Wer der Vater war, hatte sie jedoch niemandem außer ihrer Familie verraten.

Annie biss sich auf die Lippe, während sie sich in ihrem bescheidenen Zuhause umsah. Ein großes und ein kleines Schlafzimmer, Küche und Wohnzimmer … sie liebte das winzige Cottage. Es war urgemütlich, vor allem im Winter, wenn im Kamin ein Feuer knisterte und sie es sich mit einem guten Buch auf dem Sofa bequem machte. Für eine Mutter mit Kind war es jedoch auf Dauer zu klein. In das zweite Schlafzimmer würden gerade einmal ein Kinderbett und ein Wickeltisch passen, aber vorerst musste das genügen. Finanziell sah es bei ihr nicht besonders rosig aus.

Doch was bedeuteten Geld und materielle Werte, wenn sie dafür ihr Baby hatte? Es machte ihr nichts aus, den Gürtel enger zu schnallen. Annie hätte mit niemandem auf der Welt tauschen mögen.

Das Klopfen an der Haustür riss sie aus ihren Gedanken. Wer mochte das sein? Es war Sonntag, und den verbrachten ihre Freunde mit ihren Familien. Verwundert ging sie hin und öffnete.

Vor ihr stand der letzte Mensch, mit dem sie jemals gerechnet hätte, ein leichtes Lächeln auf dem markanten Gesicht.