Ein Hollywood-Märchen für Dr. Morgan - Anne Fraser - E-Book
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Ein Hollywood-Märchen für Dr. Morgan E-Book

Anne Fraser

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Beschreibung

Oh nein! Ein Blick auf sexy Stuntman Kendrick, und Elizabeth Morgan, die neue Ärztin am Filmset, möchte am liebsten weglaufen. Schließlich wollte sie über den Job eine schmerzliche Liebe vergessen. Ein Herzensbrecher wie Kendrick hilft ihr sicher nicht dabei, oder?

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IMPRESSUM

Ein Hollywood-Märchen für Dr. Morgan erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2011 by Anne Fraser Originaltitel: „Doctor on the Red Carpet“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBENBand 59 - 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Michaela Rabe

Umschlagsmotive: malija, arthobbit, Kiuikson / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733745844

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Dr. Eliza­beth Morgan stieg aus dem Wagen und starrte auf das hektische Treiben vor ihr. Die Wüstenhitze Kaliforniens lag wie eine Decke auf ihrer Haut, die Bluse klebte ihr am Rücken. Schweiß rann in schmalen Rinnsalen zwischen ihren Brüsten entlang.

Was tue ich hier eigentlich? schoss es ihr durch den Kopf. Wehmütig warf sie einen Blick auf das Gepäck, das der Fahrer gerade aus dem Kofferraum hob. Einen Moment war sie versucht, ihm zu sagen, er solle sie zum Los Angeles International Airport zurückbringen. Damit sie den nächsten Flug nach London nehmen konnte.

Aber das ging nicht.

Müde wischte sie sich den Staub vom Gesicht und atmete einmal tief durch. Der Regisseur musste dort irgendwo in der Menge sein. Sie packte den Koffergriff und zerrte ihr Gepäck hinter sich her, so gut es auf den ungewohnten High Heels ging. Das hier hatte sie nicht erwartet. Wurden Filme nicht in Studios gedreht? Hier draußen offenbar nicht, in diesem heruntergekommenen Minenstädtchen in der Nähe von Palm Desert. Nicht ein Hauch von Glanz und Glamour.

Allerdings wäre sie in London irgendwann durchgedreht. Dann schon lieber als Bereitschaftsärztin am Set eines Hollywoodfilms arbeiten. Hier würden sie wenigstens nicht ständig die Erinnerungen quälen.

Sie kniff die Augen gegen die gleißende Mittagssonne zusammen. Die Dreharbeiten waren in vollem Gange. Kameramänner hockten hoch auf mobilen Kameras, überall standen Gruppen von Leuten zusammen, und um den Drehort zog sich eine lange Reihe von Wohnwagen aus blitzendem Aluminium.

Genau in diesem Augenblick bockte eins der Pferde und schlug heftig aus. Der Reiter klammerte sich an das widerspenstige Tier, verlor jedoch das Gleichgewicht und flog in hohem Bogen durch die Luft, ehe er mit einem dumpfen Geräusch auf dem harten, staubigen Boden landete.

Sofort griff Eliza­beth nach ihrem Arztkoffer. Der Mann war so heftig aufgeprallt, dass er sich schlimm verletzt haben musste.

Aber noch ehe sie die wenigen Schritte zu ihm hin geschafft hatte, war er schon wieder auf den Beinen und klopfte sich mit seinem Cowboyhut lässig den Staub von der Hose.

„Wie war es, Philip?“, rief er mit amerikanischem Akzent. „War es dir realistisch genug?“

Eliza­beth ging langsamer. Der Mann war groß, ungefähr einsneunzig und muskelbepackt. Er trug eine eng sitzende ausgeblichene Jeans und Cowboystiefel mit Sporen. Mit seinem kurzen dunklen Haar und dem breiten Mund strahlte er eine totale maskuline Selbstsicherheit aus. Eliza­beth wusste instinktiv, dass dieser Mann ein Herzensbrecher war. War er einer der Schauspieler? Dumme Frage, was denn sonst?

Er musterte sie ungeniert, während sie auf ihn zukam. Dann grinste er, zeigte dabei strahlend weiße Zähne. Wenn er weiter so reitet, hat er sie nicht mehr lange, dachte sie leicht gereizt.

„Hi, Ma’am. Ich glaube, wir kennen uns nicht. Ich bin Kendrick.“ Er streckte die Hand aus.

Kräftige, schlanke Finger umschlossen ihre. Unerwartet fing ihr Herz an zu rasen, als er ihr in die Augen schaute.

„Dr. Eliza­beth Morgan. Ich bin die Ärztin hier bei den Dreharbeiten. Haben Sie Schmerzen? Vielleicht sollte ich Sie mir mal ansehen.“

Sein Grinsen wurde breiter. „Wenn ich es mir richtig überlege, Ma’am, tut mir die Schulter weh. Werfen Sie einen kurzen Blick drauf?“

Bevor sie antworten konnte, streifte er sich das staubige Hemd ab und stand mit nacktem Oberkörper da. Eliza­beth sah bronzebraune Haut, starke Muskeln und ein paar Narben. Der Mann hatte einen Waschbrettbauch mit feinen dunklen Härchen, die unter dem Gürtel der Jeans verschwanden. Unwillkürlich musste sie schlucken.

Er weiß genau, wie er auf Frauen wirkt. Aber nicht mit mir, sagte sie sich bestimmt.

„Nach einem solchen Sturz sollten Sie sich lieber hinsetzen, Mr …?“, sagte sie. So verrückt wie ihr Puls schlug, könnte man meinen, sie wäre gerade vom Pferd gefallen und nicht er.

„Ich heiße Kendrick. Niemand hier spricht sich mit dem Nachnamen an. In England ist man wohl so förmlich.“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Sie sind doch aus England, oder?“ Als sie nickte, fuhr er fort: „Aber hier nennen wir uns alle beim Vornamen, Lizzie.“

„Mein Name ist Eliza­beth. Und ich möchte Sie bitten, mich Dr. Morgan zu nennen“, erwiderte sie steif. „Also, welche Schulter tut Ihnen weh?“

Er kam näher, so dicht, dass sie nur mit Mühe das Bedürfnis unterdrückte, zurückzuweichen. „Keine, war nur Spaß.“ Seine Augen blitzten.

„Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meine Zeit nicht vergeudeten, Mr … Kendrick“, sagte sie und ärgerte sich, dass ihr Herz so hämmerte.

Wieder grinste er breit, ehe er sich einem Mann in mittleren Jahren mit langen Koteletten zuwandte, der mit einer jungen Frau auf sie zukam. Sie trug die kürzesten Jeansshorts, die Eliza­beth je gesehen hatte, dazu extrem hohe Stilettos.

„Hi, Philip“, begrüßte ihn Kendrick. „Vielleicht solltest du ihr erklären, wer ich bin. Ich habe das Gefühl, diese kleine Lady glaubt mir kein Wort.“

So eine Frechheit – kleine Lady! Für wen hielt der Mann sich eigentlich?

„Okay, Sunny, das war’s erst einmal.“ Philip gab seiner Begleiterin die Unterlagen zurück, die er auf dem Weg unterschrieben hatte. „Wir sehen uns nach dem Essen.“

Sunny warf Kendrick einen Blick aus ihren stark geschminkten Augen zu. Er zwinkerte ihr zu, sie wurde knallrot und drehte sich hastig um, ehe sie davonstöckelte.

„Sie müssen Dr. Morgan sein“, sagte Philip. „Freut mich, dass Sie so schnell kommen konnten. Ich bin der Regisseur.“ Er deutete auf Kendrick. „Wie ich sehe, haben Sie bereits unseren Stuntman und Stunt-Koordinator kennengelernt. Kendrick, Dr. Morgan ist die Nachfolgerin von Dr. Marshall. Du solltest darauf achten, dass sie immer in deiner Nähe ist.“

Kendrick schwang sich das Hemd über die Schulter. „Du weißt, dass ich mich selten verletze“, meinte er unbekümmert. „Deshalb hast du mich ja auch engagiert, Philip.“ Er nickte Eliza­beth kurz zu. „Schön, Sie kennengelernt zu haben, aber bitte entschuldigen Sie mich, ich muss jetzt unter die Dusche.“ Dann hob er lässig die Hand und schlenderte davon.

Schweigend blickten Eliza­beth und Philip ihm nach.

„Er hat recht – er verletzt sich kaum einmal. Zumindest nicht ernsthaft. Aber wir wollen kein Risiko eingehen und haben darum ständig einen Arzt am Set“, erklärte Philip. „Tut mir leid, dass ich nicht hier war, als Sie angekommen sind, aber solange das Licht mitspielt, geht das Drehen vor. Freut mich, dass Sie so kurzfristig für Dr. Marshall einspringen konnten.“

Gern hätte Eliza­beth gewusst, warum Dr. Marshall aufgehört hatte, hielt sich aber zurück. Sie würde es früh genug erfahren.

„Wenn Sie möchten, machen wir einen kleinen Rundgang, bevor Sie sich häuslich einrichten“, schlug er vor. „Unterwegs erkläre ich Ihnen, wobei wir Ihre Unterstützung brauchen.“

„Gern.“

„Wir drehen hier einen Actionfilm, aber das werden Sie bestimmt schon vermutet haben. Autorennen, Explosionen, wilde Pferde, alles dabei. Kendrick ist nicht unser einziger Stuntman, doch er übernimmt die meisten Stunts. Wir haben auch eine Stuntfrau, Sie werden sie später kennenlernen. Soweit ich verstanden habe, besitzen Sie Erfahrung in der Notfallmedizin?“

„Das stimmt.“ Er musste ja nicht wissen, dass es schon einige Zeit her war, dass sie als Ärztin gearbeitet hatte. Aber das stand schließlich alles in ihrem Lebenslauf. Abgesehen von einigen Dingen, die sie nie mehr vergessen würde.

„Gut. Meistens werden Sie es hier nicht mit Verletzungen, sondern mit Halsentzündungen, Magenbeschwerden und Ähnlichem zu tun haben, und ich verlasse mich darauf, dass Sie unsere Leute gesund und fit halten. Jeder ausgefallene Tag kostet die Produktionsfirma ein Vermögen.“

Über offenes Gelände erreichten sie eine staubige Straße, die von hölzernen Gebäuden gesäumt war. Ob es nur Fassaden waren, konnte Eliza­beth nicht ausmachen. Auf jeden Fall wirkten sie unglaublich echt.

Der Wüstenwind trieb eine Steppenhexe an ihnen vorbei. Es war brütendheiß.

„Neben unseren Stars Jack und Tara arbeiten ungefähr zwanzig weitere Schauspieler hier. Rechnen Sie die Kameraleute, das Aufnahmepersonal und alle Hilfskräfte hinzu, kommen wir auf gut hundert Leute. Sie werden sehen, dass wir Sie auf Trab halten.“

„Das macht mir nichts aus“, erwiderte Eliza­beth aufrichtig. Je mehr Arbeit, umso besser.

Philip blieb vor einem großen Zelt stehen. „Die meisten von uns essen hier, aber Sie haben in Ihrem Wohnwagen auch eine kleine Küche. Es bleibt also Ihnen überlassen.“

Eliza­beth nickte. Ab und zu würde sie mit den anderen essen, solange ihr niemand zu viele Fragen stellte. Sie wollte ihren Job erledigen, ansonsten aber in Ruhe gelassen werden.

„Okay, das war’s mehr oder weniger“, meinte Philip. „Abgesehen von dem Wohnwagen, in dem Sie die Patienten versorgen. Er steht auf der anderen Seite des Camps und enthält alles, was Sie brauchen. Schwere Fälle schicken wir per Hubschrauber ins Krankenhaus nach Los Angeles. Einer ist immer startklar.“

„Ich würde mir gern noch die medizinische Einrichtung ansehen. Nur um sicherzugehen, dass wirklich alles vorhanden ist.“

„Kein Problem. Überzeugen Sie sich gern, dass wir bestens ausgestattet sind. Wenn Sie sich umgesehen haben, bitte ich Sunny, Sie zu Ihrem Wohnwagen zu bringen. Die Dreharbeiten beginnen um zwei Uhr – bitte seien Sie in der Nähe. Wir drehen heute ein paar Stunts mit Kendrick, und wie wir ihn kennen, gibt es immer ein paar Schrammen zu behandeln.“

Philip hatte recht. Der riesige Ambulanzwagen war hervorragend bestückt. Defibrillator, Überwachungsgeräte, alle notwendigen Medikamente für die Erstbehandlung, es war alles da, was ihr auch im Krankenhaus zur Verfügung gestanden hätte.

Genausowenig war bei der Einrichtung ihres Wohnwagens gespart worden. Er enthielt eine kleine, aber hochmodern eingerichtete Küche, Schränke voller Lebensmittel, einen herrlich kühlen Wohnraum mit bequemen Sofas, einem riesigen Flachbildschirm und Regalen, in denen zahlreiche DVDs und Bücher standen. Im Nebenraum war das Schlafzimmer mit Doppelbett und Kleiderschrank und angrenzendem Bad. Was für ein Luxus! Sogar ihr Gepäck hatte jemand schon hergebracht.

Vielleicht konnte es hier doch ganz angenehm werden.

Sie zog die Fotografie ihrer Tochter aus der Handtasche und stellte sie behutsam auf den Nachttisch. Dann berührte sie mit dem Zeigefinger ihre Lippen und tippte sanft auf das Bild.

„Guten Morgen, mein Liebling“, flüsterte sie. „Hättest du gedacht, dass deine Mum einmal so wohnen könnte? Ich wünschte nur, du wärst hier.“

Ihr wurde der Hals eng, während sie auf das geliebte Gesichtchen blickte. Keine Sehnsucht und kein Gebet konnten ihr ihre Tochter zurückbringen.

Sie riss sich zusammen und sah auf ihre Uhr. Den Koffer auszupacken schaffte sie vor dem Mittagessen und den Dreharbeiten nicht mehr, aber für eine schnelle Dusche war noch Zeit.

Herrlich erfrischt, nachdem sie sich Staub und Schweiß abgespült hatte, zog sie eine weiße Baumwollhose und ein T-Shir­t an und flocht sich die Haare zu einem dicken Zopf. Dann trat sie hinaus in die brütende Hitze.

Vorsichtig bewegte er die Schulter und zuckte zusammen. Der Sturz war schlimmer gewesen, als er zugegeben hatte. Kendrick sah die neue Ärztin aus ihrem Wohnwagen kommen und stieß einen unterdrückten Pfiff aus. Was für eine Frau! Blonder Zopf, weißes T-Shir­t und schmale weiße Hose waren zwar kein heißes Outfit, aber damit konnte sie jeden Mann verrückt machen. Er dachte an ihre eisblauen Augen, die schmale aristokratische Nase … Dr. Eliza­beth Morgan könnte eine echte Herausforderung sein.

Und Kendrick liebte Herausforderungen.

Eliza­beth legte Obst und Käse auf ihren Teller und sah sich im Esszelt nach einem freien Platz um.

Zuerst hatte sie nicht zum Essen gehen wollen, weil sie keinen Appetit hatte. Aber sie durfte nicht krank werden, man würde sie sofort ersetzen, das war ihr klar. Als sie jedoch das Zelt erreichte, wäre sie beinahe rückwärts wieder hinausgegangen. Hier herrschte drangvolle Enge, Stimmengewirr mischte sich mit dem Klappern von Geschirr und Besteck. Schon wollte sie gehen, da tauchte Kendrick neben ihr auf, den Teller randvoll mit Brathähnchen und Reis.

Er fing ihren Blick auf und grinste. „Proteine. Gut für den Muskelaufbau, oder?“

Eliza­beth zuckte mit der Schulter. „In der Hinsicht scheinen Sie kein Problem zu haben.“

Erst als sein Lächeln breiter wurde, begriff sie, dass sie gedankenlos dahergeredet hatte.

„Ich meine … Sie hatten mir doch gesagt, dass Ihnen beim Sturz nichts passiert ist“, fügte sie hastig hinzu und ärgerte sich, dass sie dabei rot wurde.

„Wissen Sie was? Suchen wir uns doch draußen ein freies Plätzchen. Da ist es auch nicht wärmer als hier. Die Ventilatoren bringen nicht viel.“

Sie wollte schon ablehnen, aber da war er bereits auf dem Weg nach draußen. Es wäre unhöflich, ihm nicht zu folgen.

Draußen war es besser, da hatte er recht. Eine leichte Brise war inzwischen aufgekommen und kühlte ihre erhitzte Haut. Kendrick zog Eliza­beth einen Regiestuhl heran, nahm sich auch einen und setzte sich neben sie.

„Also, Lizzie, was bringt Sie hierher?“, fragte er und spießte ein Stück Huhn auf. „Sie kommen aus England, oder? Ich schätze, aus London.“

Ihr fiel auf, dass er nicht mehr wie ein Film-Cowboy sprach.

„Sie haben recht. London. Aber ich habe eine Weile in Amerika gelebt, bevor …“ Sie biss sich auf die Lippen. Mehr wollte sie nicht erzählen. Sie wollte nicht mehr an Simon denken, und noch weniger ertrug sie es, an Charlie zu denken. „Bevor ich wieder nach England zurückging.“

Kendrick musterte sie einen Moment lang nachdenklich.

„Was ist mit Ihnen?“, fragte sie, bevor er die nächste Frage stellen konnte. „Wenn ich mich nicht irre, haben Sie auch eine Zeitlang in England gelebt.“ Sein leichter Akzent verriet es.

„Richtig. Ich war dort auf einem Internat. Meine Eltern reisten viel in der Weltgeschichte herum, und meine Mutter ist Engländerin. Aber wir haben über Sie gesprochen“, drehte er den Spieß geschickt um.

„Da gibt es nicht viel zu erzählen.“ Zumindest nicht viel, was sie erzählen wollte. „Ich habe in St. Barts studiert, anschließend eine Ausbildung in Notfallmedizin absolviert und danach ein Jahr beim Londoner Luftrettungsdienst gearbeitet.“

„Verheiratet?“ Sein Blick fiel auf ihren Ringfinger.

Eliza­beth atmete einmal tief durch. „Ich war verheiratet, aber es hat nicht funktioniert“, erwiderte sie ruhig.

„Das tut mir leid.“

„Braucht es nicht. So was kommt vor.“ Sie stellte den Teller beiseite. „Gehen die Dreharbeiten nicht gleich wieder los?“

„Wahrscheinlich erst gegen halb drei. Unser Star nimmt es mit der Zeit nicht so genau.“ Er lächelte, und die charmanten Fältchen um seine Augen verrieten, dass er es oft tat.

„Wenn das so ist, gehe ich zur Ambulanz“, sagte sie. „Vielleicht wartet dort jemand auf mich.“

„Wissen Sie, wo sie ist? Wenn Sie wollen, zeige ich’s Ihnen.“

„Philip hat mich vorhin hingebracht. Aber müssen Sie sich nicht vorbereiten – damit man Sie in die Luft sprengen kann oder was auch immer?“, fragte sie bissiger als beabsichtigt. Sie wusste zwar nicht, warum, aber dieser Mann ging ihr unter die Haut, obwohl sie ihn doch gerade erst kennengelernt hatte.

Kendrick sah sie verblüfft an. Er stand auf und klopfte sich den Sand von der Hose. „Tut mir leid, Lizzie. Hoffentlich habe ich nichts gesagt, das Sie verärgert hat.“

Eliza­beth wurde verlegen. Er hatte recht. Obwohl er sein Interesse an ihr zeigte und offen mit ihr flirtete, war er überhaupt nicht aufdringlich. Er konnte ja nicht wissen, wie es in ihr aussah. Seit Simon sie verlassen hatte, ließ sie niemand mehr an sich heran. Und als dann Charlie kränker und kränker geworden war … Eine Welle des Schmerzes überflutete sie, und sie musste schlucken.

Aber all das entschuldigte nicht ihr schlechtes Benehmen.

„Entschuldigen Sie bitte, das war unhöflich von mir. Ich bin im Moment nur ein wenig …“ Sie suchte nach dem richtigen Wort. „… neben der Spur, das ist alles.“

Bevor er antworten konnte, ertönte ein nervtötendes Geräusch. Beide wirbelten herum.

„Was zum Teufel …!“, rief Kendrick aus.

Philips Megaphon hatte eine Rückkopplung gehabt.

„Er sollte es justieren lassen.“

Beide lächelten sich an, und Eliza­beths Herz setzte einen Schlag lang aus. Dieser Mann macht mich schwach, dachte sie irritiert.

„Ich muss leider los“, meinte Kendrick und salutierte spöttisch. „Und Sie werden auch gebraucht, denke ich. Philip hatte eine Szene zurückgestellt, weil er warten wollte, bis Sie hier sind.“

„Welche denn?“

„Ich stürze mit einem Wagen in den Abgrund.“ Es klang, als müsste er zu einem Picknick.

„Ach, wirklich?“ Eliza­beth zog eine Augenbraue hoch. Bestimmt wollte er sie wieder veralbern, aber diesmal würde ihm das nicht gelingen.

„Machen Sie sich keine Sorgen. Ich springe rechtzeitig aus dem Wagen, sitze also nicht mehr drin, wenn er unten aufprallt. Zumindest hoffe ich es.“

„Damit ich es recht verstehe … Sie befinden sich in einem Wagen, der in einen Abgrund stürzt, springen aber mitten im Flug heraus? Und wie kommen Sie nach unten? Fliegend?“

„Es hört sich schwieriger an, als es ist. Sobald ich rausspringe, öffnet sich mein Fallschirm, und ich lande sicher am Boden.“

Noch immer wusste sie nicht, ob sie ihm glauben sollte. Es klang einfach zu fantastisch.

Aber als die Lastwagen, beladen mit Kameras, Schauspielern und Team hinaus in die Wüste fuhren und schließlich oberhalb einer tiefen Schlucht hielten, wurde ihr klar, dass Kendrick es ernst gemeint hatte.

Philip beeilte sich, alle an ihre Positionen zu bringen. „Wir haben nicht viel Zeit, Leute“, sagte er. „Und ich will es nur einmal abdrehen, also machen wir es gleich richtig.“ Er wandte sich an Eliza­beth. „Sprechen Sie mit Kendrick ab, wo Sie sich aufhalten sollen, nur für den Fall, dass er ein Problem hat.“

Eliza­beth nickte, hängte sich ihre Arzttasche über die Schulter und sah sich nach Kendrick um.

Seiner Größe wegen entdeckte sie ihn schnell. Er war umringt von mehreren Leuten, und obwohl es um sie herum ziemlich laut war, war seine tiefe Stimme doch deutlich zu vernehmen, als er den anderen genauere Anweisungen gab. Als spüre er ihre Anwesenheit, schaute er zu ihr herüber, ihre Blicke verfingen sich, und ihr Herz klopfte schneller. Dieser Mann hatte alles im Griff, das war sicher. Wie mochte es sein, jemand wie ihn an der Seite zu haben? Jemand, auf den man sich verlassen konnte?

Sofort verscheuchte sie diese Gedanken wieder. Was sollte das denn? Sie kannte Kendrick doch gar nicht. Außerdem würde sie nicht wieder den gleichen Fehler begehen. Er war nur ein Arbeitskollege.

Sie ging zu ihm. „Wo halte ich mich am besten auf für den Fall, dass etwas passiert?“, fragte sie ihn.

Er grinste schief. „Lizzie, wenn dies hier schiefgeht, brauche ich keinen Arzt mehr.“ Seine Stimme wurde ernst. „Es wird schon klappen. Wir sperren eine Sicherheitszone am Boden des Abgrunds ab. Achten Sie vor allen Dingen darauf, ob sich Felsbrocken lösen, wenn das Auto abstürzt – das ist das größte Risiko für das Team.“

„Okay.“ Spontan wollte sie ihm Glück wünschen, verkniff es sich aber. Kendrick hätte es wahrscheinlich grinsend abgetan. Stattdessen machte sie sich auf den Weg hinunter in die Schlucht zu der Abdeckung aus verstärktem Plexiglas, die Schutz vor fallendem Geröll bot.

Von unten sah die Felskante noch gefährlicher aus. Kendrick hatte recht. Versagte sein Fallschirm, oder gelang es Kendrick nicht rechtzeitig, aus dem Wagen zu springen, würde selbst sie ihm nicht helfen können. Bei dem Gedanken gefror ihr das Blut in den Adern. Aber er war ein Profi, der wusste, was er tat.

Nach eineinhalb Stunden war endlich alles so weit. Der Wagen schoss über die Klippe. Eine Explosion erschütterte die Luft, Stichflammen schossen aus dem Fahrzeug. Die Kameras liefen weiter. Nach einer gefühlten Ewigkeit, vielleicht aber nur ein, zwei Sekunden später, kletterte eine Gestalt aus dem scheibenlosen Rückfenster und stieß sich vom Wagen ab. Sie fiel senkrecht hinab, aber der Fallschirm öffnete sich nicht.

Eliza­beth stand wie erstarrt da, erwartete den lauten Aufprall des Wagens, gefolgt von dem dumpfen Geräusch eines menschlichen Körpers. Erst als sich der Fallschirm mit einem deutlich hörbaren Zischen öffnete, merkte sie, dass sie die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. Kendrick landete mehrere Meter vom brennenden Wrack entfernt, nicht weit von ihr.

Er stand auf und verbeugte sich, als alle klatschten.

Erleichtert, dass zumindest er ihre Dienste nicht gebraucht hatte, ging sie zu ihm. Er war gerade damit beschäftigt, sich vom Fallschirm zu befreien.

„Alles okay?“, erkundigte sie sich.

„Mir geht es blendend.“ Seine blitzenden Augen verrieten, welchen Kick ihm der Stunt verschafft hatte.

„Das war völlig verrückt“, gab sie zurück. „Ich weiß auch nicht, wie Philip Sie dazu überreden konnte. Kein Film ist es wert, dafür zu sterben.“

„Entspannen Sie sich, Doc.“ Auch wenn er es in lockerem Ton sagte, so schwang doch ein eiserner Wille mit. „Ich habe nicht die Absicht, mich oder andere ins frühe Grab zu bringen. Wir besprechen alle Stunts ausführlich, um möglichst viele Risiken auszuschließen. Dann führen wir den Stunt durch – was unser Job ist. Wenn es Ihnen nicht gefällt, ist dies vielleicht nicht der richtige Job für Sie.“ Er blickte über sie hinweg. „He, Josh, Immy – was meint ihr? Hat Philip die Bilder, die er haben wollte?“

Damit ging er davon. Eliza­beth kam sich vor wie entlassen.

Nachdem die Dreharbeiten für diesen Tag beendet waren, fuhr Eliza­beth gleich mit dem ersten Wagen zurück ins Camp, denn jetzt musste sie mit Patienten rechnen. Und tatsächlich hatte sie bis zum Abendessen zu tun, unter anderem mit Halsschmerzen und Sonnenbränden. Bei den meisten Patienten reichten Tabletten und gute Ratschläge.

Als dann niemand mehr kam, schloss sie hinter sich ab. Falls noch jemand Hilfe brauchte, wusste er, wo er sie finden konnte.