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In den späten Lebensjahren selbstbestimmt und in Würde zu altern, das wünschen sich die meisten Menschen. Gerade in der zweiten Lebenshälfte gilt es, viele Entscheidungen zu treffen, die die Weichen dazu stellen, wie wir unser Alter erleben. Spiritualität kann uns dabei eine große Hilfe sein. Denn der Glaube vermittelt uns, dass wir eine unantastbare Würde haben. Zugleich lädt sie uns dazu ein, uns mit unserer Vergangenheit auszusöhnen und diese in unser Leben zu integrieren. Sie zeigt uns Wege auf, wie wir uns auch jetzt noch selbst verwirklichen und authentisch leben können. Dieses Buch möchte Menschen auf ihrem Weg zum selbstbestimmten Älterwerden begleiten. Dazu bieten die Autoren Übungen an, die helfen können, das eigene Alter so zu gestalten, dass es stimmig wird und bleibt.
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Seitenzahl: 145
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Printausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2022
ISBN 978-3-7365-0456-1
E-Book-Ausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024
ISBN 978-3-7365-0588-9
Alle Rechte vorbehalten
E-Book-Erstellung: Sarah Östreicher
Lektorat: Marlene Fritsch
Covergestaltung: wunderlichundweigand
Covermotiv: Delices_89/iStock.com
www.vier-tuerme-verlag.de
Anselm GrünHsin-Ju Wu
Selbstbestimmt im Alter
Ein Praxisbuch
Vier-Türme-Verlag
Geleitwort
Der Caritasverband für die Diözese Würzburg unterstützt gerne das vorliegende bemerkenswerte Buchprojekt »Selbstbestimmt im Alter«. Über die Abtei Münsterschwarzach und Pater Anselm Grün OSB, mit denen wir als Caritas in Unterfranken eng zusammenarbeiten, kam der Kontakt zu Frau Wu zustande.
Im Nachgang zu einer persönlichen Begegnung im Würzburger Caritashaus besuchte sie mit Vertretern der Diakonie der anglikanischen Kirche von Hongkong und Macau im Sommer 2018 einige unserer sozialen Einrichtungen in der Altenhilfe wie auch in der Kinder- und Jugendhilfe. Der fachliche Austausch war auch für uns von Gewinn!
Aus dieser Initiative ist bei Frau Wu die Idee zu den beiden Büchern entstanden, deren Entstehung der Caritasverband der Diözese Würzburg mit seiner Fachkompetenz begleitete. Hierfür sagen wir insbesondere unseren Expertinnen in der Altenhilfe, Frau Sonja Schwab und Frau Silke Birklein, ein herzliches Danke. Somit liegt nun eine wertvolle Anregung für den Dienst an älteren Menschen vor, der auch in unserem Kulturkreis eine Unterstützung und Hilfe für Betreuerinnen und Betreuer sowie die Familienangehörigen ist.
Über das fachliche Interesse und den Austausch über Grenzen und Kontinente hinweg ist es dem Caritasverband der Diözese Würzburg ein Anliegen, der humanitären Arbeit der Christen in Taiwan damit ein Zeichen der Wertschätzung zu setzen und ihnen durch diese Verbindung den Rücken zu stärken in ihrer Sorge um die politische Eigenständigkeit.
Würzburg, am 8. Juli 2022,dem Fest des hl. Kilian
Clemens Bieber Domkapitular Vorsitzender des Caritasverbandes
Barbara Stamm Landtagspräsidentin a. D. Ehrenvorsitzende
Einleitung
Alt zu werden ist nicht einfach – weder für einen selbst noch für die Menschen im eigenen Umfeld, die auf die eine oder andere Weise damit konfrontiert und oft auch mit betroffen sind. Sich selbst und anderen einzugestehen, dass man manche Dinge nicht mehr kann oder auch nicht mehr will, dass vieles langsamer geht als noch vor ein paar Jahren, dass das Gedächtnis nicht mehr so zuverlässig funktioniert und oft auch der Körper, ist schwieriger, als man sich das in jüngeren Jahren hat vorstellen können.
Wie so vieles andere, hat aber auch das Alter zwei Seiten bzw. kommt es immer darauf an, wie man es betrachtet, ob das Glas also sprichwörtlich halb voll oder halb leer ist. Denn im Alter gibt es auch viel zu gewinnen. Und noch so vieles, auch Neues, das möglich ist und bei dem man bis ins hohe Alter selbstbestimmt bleiben kann.
Damit das aber gelingt, braucht es Hilfen. Wir – Pater Anselm Grün und Hsin-Ju Wu – sind davon überzeugt, dass die Spiritualität eine solche wichtige Hilfe ist, damit Menschen auch im Alter selbstbestimmt leben können. Die Spiritualität zeigt uns unsere Würde und hilft uns, unser Selbstwertgefühl (wieder) zu entdecken. Der Glaube vermittelt uns, dass wir eine unantastbare Würde haben, dass wir eine Würde von Gott haben. Die Spiritualität hilft uns zugleich, unsere Beschränkungen im Alter zu überwinden. Sie lädt uns dazu ein, uns mit unserer Vergangenheit auszusöhnen und sie in unser Leben zu integrieren. Sie zeigt uns Wege auf, wie wir uns im Alter selbst verwirklichen, wie wir unsere einzigartige und wahre Gestalt authentisch leben können.
Das Ziel von Spiritualität im Alter ist, dass wir selbstbestimmt leben, dass wir uns nicht von außen bestimmen lassen, sondern aus unserem Inneren heraus unser Leben selbst gestalten. Denn jeder von uns ist ein einmaliges Bild Gottes. Es geht nicht darum, die Erwartungen anderer zu erfüllen, sondern dieses einmalige Bild in dieser Welt sichtbar werden zu lassen und es im Leben zu verwirklichen. Wenn wir unser wahres Selbst entdecken, werden wir frei von dem Druck, uns ständig darstellen oder beweisen zu müssen. Wir haben auch nicht mehr das Gefühl, uns wegen unseres Alters rechtfertigen zu müssen. Wir leben unsere Würde.
Selbstbestimmung bedeutet für uns als Autorin und Autor dieses Buches zudem: Ich kann selbst entscheiden, was für mich stimmig ist, was ich gerne tun möchte, aber auch, wie ich mich von anderen Menschen behandeln lassen möchte, wie ich mit anderen umgehen und wie ich gepflegt werden möchte. Und zur Selbstbestimmung gehört ebenfalls, dass ich meinen ganz persönlichen Glauben lebe. Wir haben dabei sieben Lebens- und Persönlichkeitsbereiche ausgemacht, in denen Selbstbestimmung eine große Rolle spielt und in denen es uns wichtig erscheint, das Thema aktiv zu überdenken und auch praktisch anzugehen:
SelbstwertKörperpflege und medizinische VersorgungEmotionen und der Umgang mit GefühlenSpiritualität und GlaubeLebensspuren und SelbstverwirklichungFinanzielle und erbliche AngelegenheitenEndlichkeit und TodDie Idee zu diesem Buch ist mit Anregung aus Deutschland in Taiwan entstanden. Dort hat Frau Wu ein Team von Pastoren, Psychologen und Sozialarbeiterinnen gebildet, das die verschiedenen Themen bearbeitet hat. Das Team bestand aus: Hsin-Ju Wu, Shiu-Jun Chou, Xuan-Ge Hong, Rui-Zhi Hu, Su-Fen Lin, Hsin-Nan Lin, Yen-Yu Lin und Hsin-Jen Wang. Zunächst entstand daraus ein Begleitbuch, das sowohl für Senioren gedacht war als auch für Leiter und Leiterinnen von Seniorengruppen in den Pfarreien. Ein zweiter Band enthielt dann verschiedene Übungen, um die Themen für sich persönlich und in der Gruppe zu bearbeiten. Der Kurs wurde auch vom Health Promotion Administrative Center, Cardinal Tien Hospital, in einigen Gemeinden durchgeführt und mit neuen Übungen ergänzt. Das Übungsbuch hatte den Titel »Meine Lebensgalerie«. Es ist zugleich als Erinnerungsbuch für die Familienangehörigen gedacht, in dem diejeinigen, die es nutzen, nicht nur ihre Lebensgeschichte beschreiben, sondern auch ihre tiefsten Gefühle und Gedanken mitteilen, ihre Lebensphilosophie erklären und ihnen Segensworte schreiben, die über ihren Tod hinaus als kostbares Vermächtnis in der Familie aufbewahrt werden können.
Beim Schreiben dieses Buches wurde uns dann bewusst, dass die Senioren, mit denen die Seniorenbeauftragten in den taiwanesischen Kirchengemeinden arbeiten, andere familiäre Strukturen und eine agilere Lebensweise aufweisen bzw. auch eine andere Förderung erfahren können im Vergleich zu pflegebedürftigen Senioren in deutschen Pflegeeinrichtungen. Die Gedanken und Übungen, die wir dann für die deutsche Ausgabe ausgesucht haben, sind sowohl für Senioren gedacht, die in kirchlichen Gemeinden oder anderen Treffpunkten zusammenkommen, aber auch für Senioren in Pflegeeinrichtungen. Im Kontext dieses Buches ist der Begriff der Pflegeeinrichtungen als ein ergänzendes teilstationäres Angebot wie eine Tagespflege bzw. als eine vollstationäre Pflegeeinrichtung mit einer Rund-um-die-Uhr-Versorgung zu verstehen. Dabei sind auch Einrichtungen wie beispielsweise Betreutes Wohnen, Senioren-WGs, Einrichtungen für Kurzzeitpflege inbegriffen.
Konkret ist das Buch daher konzipiert und hilfreich für folgende Leserinnen und Leser:
Seniorinnen und Senioren. Sie hatten auf ihrem Lebensweg häufig wenig Gelegenheit, an sich selbst zu arbeiten. Sie haben Zeiten von Armut und Not, Krieg und Nachkriegszeit mit ihren Entbehrungen erlebt. Sie können in diesem Buch Hilfen finden, sich selbst besser kennen und verstehen zu lernen und bis zum Ende selbstbestimmt zu bleiben.Familienangehörige. Das Buch will ihnen helfen, angemessen mit alten Menschen in der Familie umzugehen und sie zugleich als Spiegel für sich selbst zu sehen, um sich auf das eigene Älterwerden vorzubereiten. Zudem finden sie in diesem Buch Anregungen, wie sie mit ihnen spielerisch über wichtige Themen des Alters ins Gespräch kommen, und finden einfache Übungen, die anregen, über das Leben nachzudenken.Begleitende, Seelsorgerinnen und Seelsorger und Menschen, die mit Seniorinnen und Senioren arbeiten. Sie lernen nicht nur, wie sie diesen bei der Bewältigung ihrer Lebensgeschichte helfen können, sondern auch, im Umgang mit ihnen die eigene Lebensgeschichte anzuschauen und zu bearbeiten. Zudem bekommen sie Hilfen an die Hand, wie sie Gespräche gestalten können.Seniorengruppen. Hier können die Teilnehmenden über ihre Beziehung zu den Familienangehörigen ehrlich sprechen und einander stützen. Das Buch geht Themen an, die innerfamiliär häufig ausgeblendet werden, weil die Angehörigen ungeübt im Umgang mit Themen wie Emotionen, Krankheit, Tod sind. Hier finden Seniorengruppen Anregungen und Mutmacher, diese in der eigenen Familie anzusprechen.Das Buch möchte Menschen auf ihrem Weg zum selbstbestimmten Älterwerden begleiten und ihnen zugleich Übungen anbieten, die ihnen helfen können, dies so zu gestalten, dass es für sie stimmig ist. Die Übungen kann man entweder allein für sich praktizieren oder aber in einer Gruppe miteinander ausprobieren. Dann kann man sich gegenseitig ermutigen, kreativ auf das Älterwerden zu reagieren, und findet einige Hilfen, wie man das, was wir in diesem Buch besprechen, im Alltag umsetzen kann. Für diese Übungen haben wir zudem einige Arbeitsblätter entwickelt, die den Umgang mit diesen Themen erleichtern sollen und die Lust wecken, sich auf die persönliche Arbeit und den Austausch miteinander einzulassen.
Nutzt man dieses Buch als Pflege- oder Betreuungskraft, kann man aus der großen Auswahl an Übungen das auswählen, was man für die konkreten alten Menschen, mit denen man gerade arbeitet, als geeignet empfindet. Bei manchen Übungen haben wir »Leichtere Übung« in Klammern vermerkt. Diese Übungen sind vor allem für die Arbeit mit Senioren in verschiedenen Pflegeeinrichtungen gedacht.
Es ist schön, dass die Erfahrungen in der Altenarbeit in Taiwan auch unseren Umgang mit Senioren befruchten kann. Der Austausch der Kulturen ist immer ein Segen für beide Seiten. Außerdem stellt dieses Buch einen Austausch zwischen Caritas und Diakonie und zwischen katholischen und evangelischen Ansätzen in der Seniorenarbeit dar. So hoffen wir, dass dieses Buch über alle Konfessions- und Sprachgrenzen hinweg eine Hilfe sein kann für älter werdende Menschen und für alle, die mit ihnen und für sie arbeiten.
Zu diesem Praxisbuch ist separat ein Arbeitsbuch erhältlich, das zum Teil weitere Impulsfragen beinhaltet und in dem die Grafiken für die einzelnen Übungen als Kopiervorlagen schon vorgezeichnet sind. Die Übungen, bei denen das der Fall ist, sind im vorliegenden Buch mit der Seitenzahl im Arbeitsbuch gekennzeichnet: 12
Anselm Grün, Hsin-Ju WuSelbstbestimmt im AlterÜber 40 Arbeitsblätter für Gruppen- und Einzelarbeit48 Seiten, DIN A4ISBN 978-3-7365-0467-7www.vier-tuerme.de
1. Würde und Selbstwertgefühl
1. Ziel dieses Kapitels
Ziel dieses Kapitels ist es, älteren Menschen Selbstwertgefühl zu vermitteln und einen Sinn in ihrem Alter zu sehen. Nur wer einen solchen erkennt, kann zufrieden und gelöst leben. Zudem sollen Vorurteile gegenüber älteren Menschen überwunden und ein gutes und realistisches Selbstbild entwickelt werden. Ein drittes Ziel ist, die unantastbare Würde älterer Menschen zu entdecken. Das führt dazu, dass wir selbst unsere Würde leben und nicht von anderen verlangen, dass sie uns diese verleihen oder unsere Würde achten.
2. Zum Einstieg
Welche Bilder gibt es in Ihrer Kultur für das Alter? Wie spricht man in der Gesellschaft über das Alter? Welche Bilder haben Sie selbst vom Alter? Wie sprechen Sie über Ihr Alter? Verleugnen Sie es, indem Sie sagen: Ich bin noch jung? Vergleichen Sie sich mit jüngeren Menschen und möchten Sie sich vor jungen Menschen als fit und leistungsstark zeigen? Sind Sie neidisch auf junge Menschen?
3. Fallbeispiel
Ein 75-jähriger Mann will seiner 15-jährigen Enkeltochter beweisen, dass er schneller Ski fahren kann als sie. Er möchte auch in diesem Alter noch als jugendlich erscheinen. Doch das wirkt sowohl auf seine Tochter als auch seine Enkelin eher peinlich. Die Enkelin fühlt sich zudem nicht in ihrer Person und Rolle wahrgenommen, sondern nur als Konkurrentin.
Ein anderer Großvater wollte mit seinen Enkelkindern um die Wette laufen, aber als das Rennen startete, merkte er, dass er gleich außer Puste war und es keinen Sinn hat, seinen Enkeln zeigen zu wollen, wie schnell er noch ist. Er blieb stattdessen stehen und pflückte eine Pusteblume. Dann zeigte er den Enkeln, wie man die Samenstände wie Fallschirme in die Luft blasen kann. Die Enkel waren ganz begeistert und haben gleich mitgespielt. Da war auf einmal die Wette, wer am schnellsten läuft, gar nicht mehr wichtig. Er spürte, dass er seine Würde nicht im Laufen, sondern im Zeigen seiner Weisheit offenbart.
4. Entfaltung des Themas
Die Weisheit besteht ebenfalls darin, dass ich mich als alter Mensch nicht ständig mit jungen vergleiche oder ihnen beweisen will, dass ich noch fit bin. Es geht darum, auf die Jüngeren und ihre Ideen zu hören, aber auch darauf zu vertrauen, dass ich ihnen etwas zu sagen habe, dass ich für sie zum Segen werden kann. Der weise Mensch ist immer ein Lernender. Er lernt von den anderen und aus den eigenen Lebenserfahrungen. Es geht also nicht nur um eine »seniorenfreundliche Gesellschaft«, sondern um einen gesunden Austausch zwischen Alt und Jung, um eine Gesellschaft, deren Ziel das gemeinsame Wohl aller Generationen ist.
Der Neurologe und Psychiater Viktor Frankl erkannt die Voraussetzung dafür, in guter Weise alt zu werden, darin, dass man einen Sinn in seinem Altsein erkennt. Nach dem Schweizer Psychiater und Begründer der Psychotherapie Carl Gustav Jung liegt der Sinn des Alters darin, nach innen zu gehen und den Reichtum der Seele zu entdecken. Der katholische Theologe Romano Guardini sieht den Sinn des Alters darin, die Zusammenhänge des Lebens zu sehen und zu verstehen. Ein alter Mensch hat eine besondere Nähe zum Ewigen, sodass er im Blick auf Gott das Irdische relativieren kann.
Viktor Frankl geht es weniger darum, einen bereits vorhandenen Sinn des Alters zu entdecken. Vielmehr ist er der Ansicht, dass jeder seinem Alter einen Sinn geben muss. Er meint, das Schicksal könne uns vieles rauben: liebe Menschen, die Gesundheit, die Lebenskraft. Aber eines kann es uns nicht nehmen: die Freiheit, darauf zu reagieren. Es ist meine Freiheit, dass ich meinem Alter einen Sinn gebe. Er könnte zum Beispiel darin bestehen, dass ich jüngeren Menschen an meiner Weisheit Anteil gebe und auf diese Weise zum Segen für sie werde. Oder darin, dass ich nach innen horche und dem Geheimnis des Lebens nachspüre oder mich mit meiner Lebensgeschichte aussöhne, sodass ich Frieden, Hoffnung und Zuversicht ausstrahle.
Für C. G. Jung besteht der Sinn des Alters auch darin, sich innerlich auf das Sterben vorzubereiten. Einem Menschen, der unbedingt ein Gespräch mit ihm wollte, schreibt er: »Ich bin auf dem Abmarsch begriffen und schaue nur zurück, wenn es nicht anders zu machen ist. Diese Abreise ist an sich schon ein großes Abenteuer, aber keines, über das man ausführlich reden möchte … Der Rest ist Schweigen! Diese Einsicht wird mit jedem Tage deutlicher, das Mitteilungsbedürfnis schwindet« (Briefe III, 95).
Eine andere Frage ist: Was heißt im Alter Würde? Würde bedeutet, dass auch dieser Lebensabschnitt wertvoll ist, weil der alte Mensch viel erfahren hat, viel erlitten hat, weil er dadurch gereift ist. Gott hat ihm diese Würde geschenkt. Daher muss er sie nicht bei anderen suchen, andere nicht darum bitten oder von anderen erwarten, dass sie ihm diese Würde zusprechen. Er kann also gegenüber anderen so auftreten, dass sie seine Würde spüren und sie dann auch respektieren.
Zur Würde des Alters gehört die Würde des Leibes. Daher ist es wichtig, auch dann den eigenen Leib zu pflegen, sich schön anzuziehen, sich aber auch eine gesunde Körperpflege zu leisten. Damit zeigt er anderen seine Würde. Weil er darum weiß, gibt er sich Mühe, gepflegt zu erscheinen. Teresa von Ávila meint, wir sollten mit unserem Leib gut umgehen, damit unsere Seele Lust hat, darin zu wohnen. Wenn wir uns der Würde unseres Leibes und unserer Seele bewusst sind, dann haben wir eine gute und angenehme Ausstrahlung. Dann spüren wir den inneren Reichtum unserer Seele, aber zugleich auch die Schönheit, die unsere Seele dem Leib verleiht. Denn jeder Leib ist schön, wenn wir ihn liebevoll anschauen und wenn unsere Seele durch ihn hindurchstrahlt.
Vielen alten Menschen fällt das aber schwer. Sie leiden unter einem geringen Selbstwertgefühl. Das hat seine Ursache oft in ihrer Lebensgeschichte. Wenn ich als Kind ständig kritisiert worden bin, wenn ich ständig die Botschaft gehört habe: »Du bist zu langsam. Du bist nicht richtig. Mit dir kann es niemand aushalten«, dann fällt es mir schwer, ein gesundes Selbstwertgefühl aufzubauen. Daher ist es die Aufgabe des alten Menschen, die Verletzungen seiner Kindheit anzuschauen, sich damit auszusöhnen und – wie Hildegard von Bingen sagt – diese Wunden in Perlen zu verwandeln. Dabei hilft die Einsicht, dass das Schwere, das man erlebt hat, auch etwas Kostbares ist. Die je eigene Erfahrung gehört zu jedem Menschen und macht ihn erfahren. Er kann diese Erfahrung an die nächste Generation weitergeben, jedoch nicht auf arrogante Weise, also nicht als Besserwisser, sondern in Demut und mit einem weiten Herzen. Dann weckt er in seinen Angehörigen die Hoffnung, dass auch sie mit ihrer Lebensgeschichte wertvoll sind und dass sie mit ihren eigenen Wunden ebenfalls zum Segen für andere werden können. Sein wahres Selbst ist nicht davon abhängig, ob er nach außen hin sicher auftritt, sondern dass er ganz im Einklang ist mit sich selbst. Dann strahlt von ihm etwas Authentisches aus. Dann spürt man, dass dieser alte Mensch wertvoll ist, eine unantastbare Würde hat.